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Vortrag - Psychosomatik Basel

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Anpassungsstörung<br />

und<br />

Akute Belastungsstörung<br />

Jürgen Bengel und Martin Härter<br />

Abteilung für Rehabilitationspsychologie<br />

Institut für Psychologie<br />

Universität Freiburg<br />

<br />

<br />

<br />

Jürgen Bengel<br />

Institut für Psychologie<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie<br />

<strong>Vortrag</strong> Universitätsspital tsspital <strong>Basel</strong>, 21. September 2010


Fallbeispiel Frau D.<br />

48 Jahre, allein erziehende Mutter einer 15-jährigen Tochter, seit zehn<br />

Jahren geschieden, seit drei Jahren arbeitslos<br />

Vor vier Monaten habe ihre 15-jährige Tochter einen schweren Unfall<br />

gehabt, bei dem sie ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten habe. Seit<br />

diesem Ereignis mache sie sich ständig Sorgen um sie. Sie habe<br />

furchtbare Angst, dass sie nie wieder ganz gesund werde. Ihre Tochter<br />

gehe wegen der Unfallfolgen momentan nur stundenweise zur Schule.<br />

Jetzt, wo sie selbst viel zu Hause sei, passe sie immer auf die Tochter<br />

auf und schaffe es nicht mehr, sich auszuruhen oder etwas für sich zu<br />

tun. Sie sei ständig angespannt und schlafe nur noch ganz schlecht.<br />

Oft streite sie mit ihrer Tochter, weil diese nicht auf ihre Gesundheit<br />

achte. Hinterher mache sie sich Vorwürfe und sei ganz deprimiert. Sie<br />

habe auch nicht mehr die Nerven, sich mit Freunden oder Nachbarn zu<br />

unterhalten. Da sie immer nach der Tochter fragten, gehe sie ihnen aus<br />

dem Weg. Hilfe oder Unterstützung bekomme sie keine, sie fühle sich<br />

völlig allein gelassen.<br />

F 43.22 Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion gemischt<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 2


Fallbeispiel Herr M.<br />

36 Jahre, kommt drei Tage nach Rückkehr von einer Klettertour in die Ambulanz.<br />

Am zweiten Tag der Klettertour sei einer aus der Gruppe sechs Meter in die Tiefe<br />

gestürzt; es sei noch offen, ob er nicht querschnittsgelähmt bleibe. Er mache sich<br />

Vorwürfe, weil er der Bergsteiger der Gruppe mit der meisten Erfahrung sei. Kurz<br />

vor dem Unfall habe er noch gedacht habe, er müsse noch mal alles checken,<br />

habe es dann aber aus irgendeinem Grund nicht gemacht.<br />

Direkt nach dem Unfall und auch am Abend sei es allen und auch ihm „den<br />

Umständen entsprechend“ gegangen. Seit dem Nachmittag des nächsten Tages<br />

werde er jedoch das Bild von dem am Boden liegenden jungen Freund nicht los,<br />

ebenso wenig auch Gedanken daran, dass er kurz davor habe die Sicherungen<br />

prüfen wollen.<br />

Die anderen seien ebenfalls sehr betroffen, aber keinem ginge es so schlecht wie<br />

ihm. Er könne sich nicht mehr genau erinnern, wie die Bergwacht gekommen sei<br />

und ob er überhaupt richtig geholfen habe. Seit vorgestern habe er kaum noch<br />

geschlafen, ständig kreisten die Gedanken nur um den Unfall, er stehe neben sich.<br />

Gestern habe er die Freundin des verunglückten Mannes getroffen. Hinterher habe<br />

er sich Vorwürfe gemacht, dass er ihr gegenüber kein Mitgefühl habe empfinden<br />

können. Er glaube, keiner sage es, aber alle dächten, er habe Schuld an dem<br />

Unfall. Es würde nichts mehr so sein wie vorher, er glaube nicht, dass er jemals<br />

wieder Freude am Leben werde haben können oder dürfen.<br />

F43.1 Akute Belastungsreaktion (bzw. Akute Belastungsstörung)<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 3


Gliederung<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Kriterien und Differentialdiagnose<br />

Stressorkriterium<br />

Chronische Krankheit als Stressor<br />

Ätiologiemodell – Schutz- und Risikofaktoren<br />

Beratung und Therapie<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 4


Kriterien Anpassungsstörung F43.2<br />

A Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht<br />

außergewöhnlichen oder katastrophalem Ausmaß; Beginn<br />

der Symptome innerhalb eines Monats.<br />

B Symptome und Verhaltensstörungen, wie sie bei F3, F4<br />

und F91(Sozialverhalten) vorkommen; keine spezifische<br />

Störung.<br />

C Symptome sind nicht Ausdruck einer Einfachen Trauer<br />

D Die Symptome dauern nicht länger als sechs Monate nach<br />

Ende der Belastung oder ihrer Folgen an, außer bei der<br />

längeren depressiven Reaktion (F 43.21).<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 5


Klassifikation von Anpassungsstörungen (ICD-10)<br />

Kurze depressive Reaktion (F43.20)<br />

Längere depressive Reaktion (F43.21)<br />

Angst und depressive Reaktion gemischt (F43.22)<br />

Mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen<br />

(F43.23)<br />

Mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens (F43.24)<br />

Mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten<br />

(F43.25)<br />

Mit sonstigen spezifischen deutlichen Symptomen (F43.28)<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 6


Prävalenz der Anpassungsstörungen<br />

0.6% Frauen, 0.3% Männer, Allgemeinbevölkerung<br />

(Ayuso-Mateos et al., 2001)<br />

10-30% Anteil an psychischen Störungen<br />

Häufigste Diagnose bei körperlichen Erkrankungen<br />

Häufigste Diagnose in der stationären psychosomatischen<br />

Rehabilitation<br />

Forschungsstand unsicher, auch durch Verlauf<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 7


Kriterien Akute Belastungsreaktion F43.0<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Zeitlicher Zusammenhang zwischen Belastung und Beginn der<br />

Symptome<br />

Gemischtes und gewöhnlich wechselndes Bild: „Betäubung“,<br />

dann Depression, Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität und<br />

Rückzug<br />

Kein Symptom längere Zeit vorherrschend<br />

Reaktion beginnt innerhalb weniger Minuten, wenn nicht sofort<br />

Symptome rasch rückläufig: klingen innerhalb von wenigen<br />

Stunden ab, wenn Entfernung aus belastender Umgebung möglich<br />

Keine Verschlechterung einer bestehenden Störung<br />

Vorgeschichte mit psychischen Störungen spricht nicht gegen<br />

Diagnose.<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 8


Kriterien Akute Belastungsstörung (DSM-IV)<br />

A Traumatisches Ereignis<br />

B Dissoziative Symptome (emotionale Taubheit,<br />

Depersonalisationserleben, Derealisation, ....)<br />

C Wiedererleben des traumatischen Erlebnisses (wiederkehrende<br />

Bilder, Gedanken, Träume, Flashback-Episoden, etc.)<br />

D Vermeidung von Reizen, die an das Trauma erinnern<br />

E Symptome von Angst oder erhöhtes Arousal<br />

F Beeinträchtigungen in wichtigen Funktionsbereichen<br />

G Mindestens 2 Tage und höchstens 4 Wochen, innerhalb<br />

von 4 Wochen nach dem traumatischen Ereignis<br />

9


Anpassungs- und Belastungsstörungen<br />

Bengel & Hubert, 2010, mod. nach Möller et al., 2005, ergänzt um ABS nach DSM<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 10


Differentialdiagnostische Aspekte AD<br />

Differentialdiagnose<br />

Depressive<br />

Störung<br />

Generalisierte<br />

Angststörung<br />

Andere<br />

Angststörungen<br />

(F41.2 / F41.3)<br />

Somatoforme<br />

Störungen und<br />

Chronische<br />

Erschöpfung<br />

Überlappende<br />

Merkmale<br />

−Stressor<br />

−Depressive Symptome<br />

−Vegetative Symptome<br />

−Stressor<br />

−Angstsymptome<br />

−Stressor<br />

−Angstsymptome<br />

−Depressive Symptome<br />

−Angstsymptome<br />

−Vegetative Symptome<br />

Differenzierende<br />

Merkmale<br />

−Ausprägung der<br />

Symptome<br />

−Dauer der Symptomatik<br />

−Anhaltende Ängste und<br />

Sorgen, die sich nicht auf<br />

ein Objekt oder Ereignis<br />

beziehen<br />

−Schwere der Symptome<br />

−Multiple körperliche<br />

Symptome<br />

−Dauer der Symptomatik<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 11


Unschärfe der Störungsklassifikation<br />

Abgrenzung von normaler Belastungsverarbeitung?<br />

Kontinuum bei Formen der Belastungsverarbeitung<br />

und zeitlichem Verlauf<br />

Grenzziehung zu spezifischen Störungskategorien<br />

Vor allem verwendet, wenn Kriterien für eine<br />

spezifische Störung nicht erfüllt: „Restkategorie“<br />

Bei Stressoren mit „offenem Ende“ (z. B. chronische<br />

Krankheit) - Zeitkriterium nicht eindeutig anwendbar<br />

(Baumeister & Kufner, 2009; Bengel & Hubert, 2010)<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 12


Subtypen von affektiven Störungen / MD<br />

<br />

<br />

Subtypen nach Lebensereignis / Stressor (ätiologisch)<br />

Subtypen nach Symptomatik / Syndrom (strukturell)<br />

(Subtypen nach Behandlungsansprechbarkeit)<br />

Dimensionales versus kategoriales Konzept<br />

Anpassungsstörung:<br />

Subsyndromale PTBS<br />

Anpassungsstörung ängstlicher Typ<br />

Posttraumatische Verbitterungsstörung<br />

Kriterium der klinischen Signifikanz, Ein- und Ausschlusskriterien<br />

(Baumeister & Kufner, 2009; Baumeister, Maercker & Casey, 2009; Baumeister & Parker, 2010)<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 13


Gliederung<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Kriterien und Differentialdiagnose<br />

Stressorkriterium<br />

Chronische Krankheit als Stressor<br />

Ätiologiemodell – Schutz- und Risikofaktoren<br />

Beratung und Therapie<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 14


Zirkularität<br />

Trauma<br />

PTBS<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 15


Kritische und traumatische Lebensereignisse<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Deutliche Veränderung der schulischen und beruflichen Situation<br />

Deutliche Veränderung der häuslichen und familiären Situation<br />

(Schwere, chronische) körperliche Erkrankung<br />

Schwerer Unfall, schwere Verletzung<br />

Verlust einer nahe stehenden Bezugsperson<br />

Sexuelle Gewalt, Vergewaltigung<br />

Erleben von Naturkatastrophen<br />

Erleben von technischen Katastrophen<br />

Erleben von krimineller Gewalt<br />

Kriegserlebnisse, Kriegsgefangenschaft, Geiselhaft, Folter<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 16


A-Kriterium – Kontroverse<br />

Nach Revisionen des A-Kriteriums Zusammenhang zwischen Ereignissen /<br />

Exposition und posttraumatischem Syndrom noch immer unklar<br />

Vergewaltigung, Folter versus Geburt, Fernsehbericht über 9/11<br />

<br />

Symptomatische Beschreibung der PTBS hingegen zunehmend valide, nicht<br />

jedoch die Anpassungsstörung<br />

A-Kriterium verleitet zu Tautologie<br />

Bedard-Gilligan & Zoellner, 2008; North et al., 2009; Weathers & Keane, 2007; Baumeister & Kufner, 2009<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 17


Probleme und Thesen<br />

Fokus auf Stressor (A-Kriterium)<br />

Schlussfolgerung häufig: Erleben traumatisches<br />

Ereignis = PTBS<br />

Vernachlässigung anderer psychischer Störungen als<br />

Folge kritischer Ereignisse<br />

Vernachlässigung unterschwelliger Probleme als Folge<br />

kritischer Ereignisse<br />

Vernachlässigung von Risiko- und Schutzfaktoren<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 18


Inhaltliche Klassifikation von Stressoren<br />

(Bengel & Hubert, 2010; modifiziert nach R. Bastine)<br />

Stressor Beschreibung Beispiele<br />

Alltagsstressoren,<br />

belastende<br />

Alltagsereignisse<br />

(Mikrostressoren)<br />

Kritische<br />

Lebensereignisse<br />

(Makrostressoren)<br />

Traumatische<br />

Ereignisse<br />

(Makrostressoren)<br />

Situationen und Ereignisse des täglichen<br />

Lebens, die (bei Häufung verstärkt)<br />

Missempfinden bewirken (können)<br />

Subjektiv belastende Lebensumstände, die<br />

räumlich und zeitlich begrenzt sind.<br />

normativ oder nicht-normativ,<br />

erwartbar oder plötzlich,<br />

positiv oder negativ in ihrer Valenz<br />

Typ-I-Trauma(tisches Ereignis): einmalig,<br />

begrenzte Dauer<br />

Typ-II-Trauma(tische Ereignisse):<br />

wiederholte, lang andauernde<br />

Ereignisse<br />

Ärgernis mit<br />

Haushaltsführung,<br />

Konflikt im<br />

Arbeitsleben<br />

Verlassen des<br />

Elternhauses<br />

(normativ, erwartet),<br />

plötzlicher Tod einer<br />

nahe stehenden<br />

Person (unerwartet)<br />

Schwerer<br />

Verkehrsunfall,<br />

Naturkatastrophe<br />

(Typ-I), fortgesetzter<br />

sexueller Missbrauch<br />

(Typ-II)<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 19


Verlauf nach Stressoren (erweitert nach AWMF, 2009)<br />

Traumatisches Ereignis<br />

KLE<br />

Akute<br />

PTBS<br />

Integration<br />

Kompensation<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 20


Gliederung<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Kriterien und Differentialdiagnostik<br />

Stressorkriterium<br />

Chronische Krankheit als Stressor<br />

Ätiologiemodell – Schutz- und Risikofaktoren<br />

Beratung und Therapie<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 21


Prävalenz PTBS bei körperlicher Krankheit in %<br />

HIV und Aids 15-64<br />

Behandlung auf Intensivstation 0-64<br />

Unzureichende Sedierung bei OP 56<br />

Krebs 2-46<br />

Verbrennungen 18-45<br />

Herztransplantation 10-38<br />

Herzchirurgischer Eingriff 5-19<br />

Lebertransplantation 4<br />

Hoher Anteil passagerer Symptomatik? Zeitpunkt der Erhebung! Diagnostische Kriterien!<br />

Davydow et al., 2008; Griffiths et al., 2007; Krauseneck et al., 2005; Vranceanu et al., 2008<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 22


Erkrankung versus andere Traumata<br />

Bedrohung nicht durch äußere Umwelt, sondern durch<br />

internen Stressor<br />

Trennung Bedrohung – Person nicht möglich<br />

Belastung weniger durch Erinnerung an vergangenes<br />

Ereignis, sondern durch zukünftige (und dadurch<br />

unspezifischere) Lebensbedrohung<br />

(Ausnahme z.B. Herzinfarkt; Behandlung einiger gravierender<br />

Erkrankungen, die als Todesbedrohung erlebt werden können)<br />

„Informationstrauma“ (Bedrohung eine Information)<br />

Intrusionen durch Rumination<br />

Zöllner & Maercker, 2005<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 23


Gliederung<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Kriterien und Differentialdiagnose<br />

Stressorkriterium<br />

Chronische Krankheit als Stressor<br />

Ätiologiemodell – Schutz- und Risikofaktoren<br />

Beratung und Therapie<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 24


Multifaktorielles Rahmenmodell für Belastungsstörungen<br />

Vor Auftreten<br />

des Stressors<br />

Während<br />

Einwirkung des<br />

Stressors<br />

Nach Ende der<br />

Einwirkung des<br />

Stressors<br />

Resultate<br />

Risikofaktoren<br />

• u.a. Geschlecht <br />

Schutzfaktoren<br />

• z.B. soz.<br />

Unterstützung<br />

Ereignisfaktoren<br />

• Schwere, Dauer<br />

Initiale Reaktion<br />

der Person<br />

• u.a. negative<br />

Emotionen<br />

Prozesse nach<br />

dem Ereignis<br />

Aufrechterhaltende<br />

Faktoren<br />

• z.B.<br />

Gedankenunterdrücken<br />

Gesundheitsfördernde<br />

Faktoren<br />

•Z.B. Soz.<br />

Unterstützung<br />

Störungsbilder<br />

Psychosoz.<br />

Konsequenzen<br />

Persönliche<br />

Reifung<br />

modifiziert nach Maercker, 2009<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 25


Risiko- und Schutzfaktoren vor Stressor<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Kritische LE im letzten Jahr<br />

Alltagsstressoren<br />

Negative Kindheitserfahrungen<br />

Psychopathologie in<br />

Familienanamnese<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Wohlbefinden,<br />

Lebenszufriedenheit<br />

Soziale Unterstützung<br />

Kommunikationsfähigkeit<br />

Hoher Selbstwert, Ich-Stärke<br />

<br />

Psychiatrische Vorgeschichte<br />

<br />

Gesundheitsstatus / Fitness<br />

<br />

Neurotizismus; negative<br />

Affektivität<br />

<br />

Vorbereitung<br />

<br />

Starke Erschöpfung<br />

<br />

<br />

Körperliche Störungen<br />

Weibliches Geschlecht<br />

<br />

Frühere Stressoren<br />

<br />

Niedrige Intelligenz<br />

<br />

Niedriger sozioökonomischer<br />

Status


Risiko- und Schutzfaktoren während Stressor<br />

Emotionale Reaktion während des traumatischen<br />

Ereignisses<br />

Wahrgenommene Bedrohung während des<br />

traumatischen Ereignisses<br />

Schwere des Ereignisses (u.a. aktiv beteiligt statt<br />

Zeuge)<br />

Dissoziation<br />

Informationsverabeitung während des Ereignisses<br />

Wahrgenommene Kontrolle


Risiko- und Schutzfaktoren nach Stressor – 1<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Level akuter psychischer<br />

Symptome<br />

Verletzung / Level akuter<br />

Schmerzen<br />

Desorganisation des<br />

Traumagedächtnisses /<br />

Schwierigkeiten, zu erinnern<br />

Vermeidungsverhalten<br />

Sicherheitsverhalten<br />

Dissoziation<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Gedankenunterdrückung<br />

Grübeln / Rumination<br />

Katastrophisieren oder dichotome<br />

Bewertungsmuster<br />

Negative Kognitionen<br />

-über die Welt, Andere, sich<br />

selbst<br />

-über Trauma und dessen Folgen<br />

Negativer Attributionsstil<br />

negative Ereignisse stabil und<br />

global attribuieren<br />

Gefühl der gegenwärtigen<br />

Bedrohung


Risiko- und Schutzfaktoren nach Stressor – 2<br />

Fähigkeit zur Regulation negativer<br />

Emotionen<br />

Sich anderen öffnen<br />

Soziale Unterstützung


Insel Kauai, Hawaii – E. Werner<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 30


Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen<br />

Personale Schutzfaktoren<br />

- Körperliche Schutzfaktoren<br />

- Kognitive und affektive Schutzfaktoren<br />

- Interpersonelle Schutzfaktoren<br />

Familiäre Schutzfaktoren<br />

- Strukturelle Familienmerkmale<br />

- Familiäre Beziehungen<br />

- Merkmale der Eltern<br />

Soziale Schutzfaktoren<br />

- Soziale Unterstützung<br />

• Beziehung zu Erwachsenen<br />

• Kontakte zu Gleichaltrigen<br />

- Qualität der Bildungsinstitutionen<br />

(www.bzga.de; siehe Bengel et al., 2009)<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 31


Resilienz und Schutzfaktoren<br />

Schutzfaktoren (Bewältigungsdispositionen)<br />

Selbstwirksamkeitserwartung<br />

Optimismus, positives Selbstkonzept<br />

Soziale Unterstützung<br />

Mögliche Wirkungen:<br />

•Realistische Risikowahrnehmung<br />

•Puffern von Belastungen<br />

•Direkte Wirkung auf das physiologisches System / Immunsystem<br />

• Adäquates Vorsorge- und Gesundheitsverhalten<br />

•Wechselwirkung zwischen Risiko/Schutzfaktoren, Umwelt, Genen<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 32


Gliederung<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Kriterien und Differentialdiagnose<br />

Abgrenzung und Weiterentwicklung<br />

Stressorkriterium<br />

Chronische Krankheit als Stressor<br />

Ätiologiemodell – Schutz- und Risikofaktoren<br />

Beratung und Therapie<br />

- Anpassungsstörungen<br />

- Akute Belastungsreaktion<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 33


Behandlung nach kritischen Ereignissen<br />

Umfang und Intensität der therapeutischen<br />

Maßnahmen abhängig von<br />

Schwere des Ereignisses<br />

Schwere der Symptomatik<br />

Individuelle Risiko- und Schutzfaktoren<br />

Becker & Bengel, 2009<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 34


Kurzanleitung für die Exploration<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Anlass der Kontaktaufnahme und formaler Überweisungsweg<br />

Aktuelle Symptomatik und bisheriger Verlauf<br />

Suizidalität<br />

Kritisches oder traumatisches Ereignis<br />

Subjektives Erklärungsmodell für die Symptome und Beschwerden<br />

Versuche der Problembewältigung<br />

Risikofaktoren und Schutzfaktoren<br />

Soziales Netz und Einbindung<br />

Krankheitsanamnese und komorbide Störungen<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 35


Systematik der Frühinterventionen<br />

A Psychische erste Hilfe und psychosoziale Akuthilfen<br />

B Unspezifische Interventionsstrategien<br />

C Spezifische Interventionsstrategien<br />

Zeitfenster: bis 3 Monate nach Ereignis<br />

AWMF, 2009; Bengel & Becker, 2009


A Psychische erste Hilfe und psychosoziale Akuthilfen<br />

Zeitfenster: Akut, erste 48 Stunden<br />

Emotionale und soziale Unterstützung<br />

Befriedigung basaler Bedürfnisse<br />

Nondirektive unterstützende Kontaktaufnahme<br />

Dosierte Informationsvermittlung<br />

Unterstützung von äußerer und innerer Sicherheit<br />

(AWMF, Evidenzbewertung: E III)


A Akuthilfen -Evaluation<br />

Angebot nach einem traumatischen Ereignis – unabhängig<br />

von der wahrgenommenen oder diagnostizierten Belastung<br />

Inanspruchnahme freiwillig<br />

Angepasst an die Bedürfnisse der Betroffenen<br />

Kein Drängen, direkt nach dem traumatischen Ereignis<br />

über emotionale Reaktionen zu sprechen<br />

Annahme: Bewältigungsmöglichkeiten werden<br />

verbessert<br />

Nicht empirisch validiert(-bar)<br />

Konsens unter Experten (E III)<br />

ACPMH, 2007; Gray & Litz, 2005


B Unspezifische Interventionsstrategien<br />

Psychoedukation<br />

Screening bzgl. Symptome und Risikofaktoren<br />

Monitoring bzgl. Verlauf und<br />

Symptomentwicklung<br />

Unterstützung sozialer Vernetzung, praktische<br />

und soziale Unterstützung<br />

Indikationsstellung zu weiterführender<br />

Versorgung<br />

Mitversorgung von wichtigen Bezugspersonen<br />

(AWMF, Evidenzbewertung: E III)


B Unspezifische Interventionen – Evaluation<br />

Hohe Raten an Spontanremission; cave Chronifizierung<br />

bei Teilgruppe – siehe Risikofaktoren (Bengel, 2003; NICE, 2005)<br />

Bei leichten Symptomen, die weniger als vier Wochen<br />

nach dem Trauma andauern: watchful waiting (NICE, 2005)<br />

Annahme: Bewältigungsmöglichkeiten werden verbessert<br />

Nicht empirisch validiert(-bar), Konsens unter Experten<br />

(E-III)<br />

Zugang zu weiterführender Diagnostik<br />

Kontroversen:<br />

Anwendung bei allen Personen versus Personen mit<br />

Symptomen<br />

Watchful waiting versus spezifische Interventionen


C Spezifische Interventionsstrategien<br />

Kognitive Verhaltenstherapie (E I)<br />

EMDR (E III)<br />

Psychodynamische Methoden (E III)<br />

Hypnotherapeutisch-imaginativeTechniken (E III)<br />

Pharmakotherapie im posttraumatischen Akutzeitraum<br />

(E II-III)<br />

- Unruhezustände, Schlafstörungen: sedierende<br />

Antidepressiva<br />

- psychotische Dekompensation: Antipsychotika<br />

(AWMF, Evidenzbewertung: insgesamt E III)


Indikationskriterien für Frühmaßnahmen<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Schweres traumatisches Ereignis, z.B. sexuelle Gewalt<br />

Kontrollverlust, Angst und Hilflosigkeit<br />

Belastende Lebensereignisse / frühere Traumatisierungen<br />

Weitere Risikofaktoren, z. B. psychische Störunge<br />

Eigene Schuldzuschreibung und negative Zukunftserwartung<br />

Vermeidende Bewältigungsstrategien, Suizidgedanken<br />

Geringe soziale Unterstützung<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 42


Zusammenfassung und Fazit<br />

Unscharfe Diagnose, Restkategorie, wenig<br />

untersucht und beforscht<br />

Hohe Prävalenz und relevante Diagnose<br />

Problem „Stressor“ - Beziehung zwischen<br />

traumatischem Ereignis und Reaktion<br />

Berücksichtigung unterschwelliger Folgen<br />

Gewichtung von Risiko- und Schutzfaktoren<br />

Indikation zu psychotherapeutischer Versorgung<br />

Kein spezifisches therapeutisches Vorgehen<br />

Leitlinien zu Frühinterventionen<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 43


Literaturhinweise Freiburger Arbeitsgruppe<br />

Baumeister, H. & Kufner, K. (2009). It is time to adjust the adjustment disorder category. Current Opinion in Psychiatry, 22,<br />

409-412.<br />

Baumeister, H., Maercker, A. & Casey, P. (2009). Adjustment disorders with depressed mood: A critique of its DSM-IV and<br />

ICD-10 conceptualization and recommendations for the future. Psychopathology 42, 139-147.<br />

Baumeister, H. (2008). Anpassungsstörungen im Sinne einer reaktiven Depression: Charakteristika und Prävalenzraten der<br />

deutschen Allgemeinbevölkerung. <strong>Psychosomatik</strong> und Konsiliarpsychiatrie, 2, 91-96.<br />

Becker, K. & Bengel, J. (2009). Belastungs- und Anpassungsstörungen. In J. Bengel & M. Jerusalem (Hrsg.), Handbuch der<br />

Gesundheitspsychologie und Medizinischen Psychologie (S. 416-426). Göttingen: Hogrefe.<br />

Bengel, J. (Hg.) (2004). Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst. Berlin: Springer.<br />

Bengel, J. & Becker, K. (2009). Psychologische Frühinterventionen. In A. Maercker (Hrsg.), Posttraumatische<br />

Belastungsstörungen (3. Auflage). Berlin: Springer.<br />

Bengel, J. & Hubert, S. (2010). Anpassungsstörung und Akute Belastungsreaktion. Göttingen: Hogrefe.<br />

Bengel, J., Meinders-Lücking, F. & Rottmann, N. (2009). Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen – Stand der Forschung<br />

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Huber.<br />

Prof. Dr. Dr. Jürgen Bengel<br />

Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie<br />

Institut für Psychologie, Universität Freiburg<br />

Engelbergerstraße 41, D-79085 Freiburg, Deutschland<br />

Tel.: 0761 – 203-2122, Fax: -3040, bengel@psychologie.uni-freiburg.de<br />

Abt. Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Bengel - 44

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