Vortrag - Psychosomatik Basel
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Fortbildungsveranstaltungen <strong>Psychosomatik</strong><br />
Universitätsspital <strong>Basel</strong><br />
13. Januar 2009<br />
Psychosoziale Risikofaktoren für<br />
kardiovaskuläre Erkrankungen &<br />
Herzinfarkt<br />
Roland von Känel<br />
Chefarzt <strong>Psychosomatik</strong><br />
Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin<br />
Psychokardiologie, Swiss Cardiovascular Center<br />
Inselspital Bern
Psychosoziale Risikofaktoren<br />
im Wandel der Jahrzehnte
Übersicht<br />
Operationalisierung psychosozialer<br />
Risikofaktoren<br />
Welche sind „kardiotoxisch“?<br />
Psychobiologie<br />
Stresseffekte auf kardiovaskuläre Biomarker?<br />
Screening und Therapie<br />
psychosozialer Risikofaktoren<br />
Was bringt‘s bezüglich Mortalität?
Wenn wir die Patienten fragen:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
„Was denken Sie, war schuld an Ihrem Infarkt?“<br />
...„ich habe schon etwas viel Stress gehabt in letzter<br />
Zeit“<br />
Was heisst das genau?<br />
Stress bzw. psychosoziale Risikofaktoren müssen<br />
operationalisiert werden<br />
(wie klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren)
Qualitative Einteilung psychosozialer Risikofaktoren<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Negative Affekte (Distress)<br />
Depression, Angst, sich Sorgen machen (worrying), Trauer<br />
(„Nachsterben“), Hoffnungslosigkeit, PTSD<br />
Fatigue<br />
Vitale Erschöpfung (vital exhaustion), Burnout, Insomnie<br />
Persönlichkeitsfaktoren<br />
Feindseligkeit (hostility), Ärgerbereitschaft (anger), Typ D-<br />
Persönlichkeit (distressed personality), übersteigerte<br />
Verausgabungsbereitschaft (overcommitment)<br />
Soziales Umfeld (Stressoren)<br />
Sozialer Support, sozioökonomischer Status, Stress am Arbeitsplatz,<br />
soziale Isolation, Pflege eines Angehörigen (caregiver), Stress in<br />
der Partnerschaft<br />
Rozanski et al, Circulation 1999;99:2192<br />
Rozanski et al, J Am Coll Cardiol 2005;45:637<br />
von Känel, J Am Coll Cardiol 2008;52:2163
Patientenvignetten<br />
<br />
Herr K, 62-jährig, akuter Vorderwandinfarkt vor 6 Wochen;<br />
Erschöpft und überarbeitet, keine Freude mehr an Gartenarbeit,<br />
„rastete schon immer aus“ bei geringem Anlass.<br />
Stress am Arbeitsplatz, vitale Erschöpfung, Depression,<br />
Ärgerbereitschaft<br />
<br />
Frau G, 64-jährig, 3-facher ACB bei instabiler AP vor 6 Monaten:<br />
Ehemann vor 7 Jahren verstorben, lebt zurückgezogen, Kinder<br />
kommen wenig auf Besuch, seit 3 Monaten Herzklopfen und<br />
Schonverhalten aus Angst, einen „Herzschlag“ zu erleiden.<br />
Geringer sozialer Support, soziale Isolation, Angststörung
®<br />
Psychokardiogramm (PKG): ein Beispiel<br />
<br />
<br />
Patient füllt Fragebogen zu Beginn der<br />
12-wöchigen Rehabilitation aus.<br />
Analyse des Fragebogens mit dem PKG<br />
Programm:<br />
<br />
<br />
<br />
Typ D Persönlichkeit<br />
Depressivität<br />
Wenig positive Emotionen<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Nimmt am Rehabilitationsprogramm und<br />
der psychologischen Beratung teil.<br />
Erhält evtl. Empfehlung für eine<br />
individuelle psychologische Therapie.<br />
Erhält Erklärungen und Anweisungen<br />
basierend auf dem PKG.<br />
Füllt den Fragebogen am Ende der<br />
Rehabilitation erneut aus.<br />
Analyse der Veränderungen im PKG.<br />
Dr. phil. Sonja Kohls, KARE, Psychokardiologie,<br />
Swiss Cardiovascular Center, Inselspital Bern<br />
PKG-Profil
Einteilung nach zeitlichem Verlauf<br />
<br />
<br />
<br />
Akut<br />
- Ärger und andere heftige Affekte<br />
- Mentale Belastungen (Traumata)<br />
Episodisch<br />
- Depression<br />
- Erschöpfung<br />
Chronisch<br />
- Feindseligkeit<br />
- Niedriger sozioökonomischer Status<br />
Kop, Psychosom Med 1999;61:476
Warum sind psychosoziale Faktoren<br />
„gefährlich“ für Herz und Kreislauf?<br />
1. Fördern<br />
ungesunden<br />
Lebensstil<br />
2. Direkte pathophysiologische<br />
Auswirkungen<br />
3. Beeinträchtigen<br />
Compliance mit<br />
kardialer Therapie<br />
Rozanski et al, Circulation 1999;99:2192
Hamer et al, J Am Coll Cardiol 2008;52:2156<br />
Psychological distress as a risk factor for cardiovascular<br />
events: pathophysiological and behavioral mechanisms<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Prospektive Studie mit 6,576 gesunden schottischen<br />
Männern und Frauen (51±13 J)<br />
Psychologischer Distress: 12-item General Health<br />
Questionnaire (kategorial und kontinuierlich): Positive und<br />
negative Affekte, Schlafstörungen in den letzten 4 Wochen<br />
Hospitalisation w. CVD Ereignis 7 J später: nicht-fataler<br />
MI, ACB, Angioplastie, Hirnschlag, Herzinsuffizienz, CVD Mortalität<br />
Erhöhtes Risko für CVD Ereignis bei mehr Distress:<br />
HR=1.5, 95% CI 1.1-2.2, p = 0.013<br />
Erklärte Varianz:<br />
- Life style = 65%: Rauchen > körperliche Aktivität > Alkohol<br />
- Pathophysiologie = zusätzliche 19%: HTN > hs-CRP
Psychosoziale Risikofaktoren treten beim<br />
gleichen Patienten oft miteinander auf<br />
(Cluster-Phänomen).<br />
Psychosoziale Risikofaktoren treten oft<br />
zusammen mit klassischen<br />
kardiovaskulären Risikofaktoren auf.<br />
Das totale kardiovaskuläre Risiko ergibt<br />
sich aus dem additiven oder multiplikativen<br />
Effekt sämtlicher Risikofaktoren.<br />
Für das totale kardiovaskuläre Risiko<br />
sind psychosoziale Risikofaktoren<br />
ebenso wichtig wie klassische RF.<br />
Circulation 1999;99:2192-217
Weltweite Beziehung zw. psychosozialen Faktoren und dem Risiko<br />
für r einen erstmaligen Myokardinfarkt<br />
INTERHEART Study: Fallkontrollstudie in 52 Ländern; 15‘152 Fälle u. 14‘820 Kontrollen<br />
Kombinierter Index:<br />
Kombinierter Index:<br />
Depression; Locus of<br />
Control; Stress zu Hause,<br />
bei der Arbeit, mit Finanzen<br />
u. Anzahl negativer<br />
Lebensereignisse im<br />
vergangenen Jahr<br />
Yusuf et al, Lancet 2004;364:937
Studien zu individuellen<br />
Risikofaktoren<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Depression<br />
Angst<br />
Akuter mentaler Stress<br />
Vitale Erschöpfung<br />
Feindseligkeit & Ärger<br />
Typ D Persönlichkeit<br />
Sozialer Support<br />
Sozioökonomischer Status
Depression: Langzeit-Überleben nach AMI in Bezug zum BDI score<br />
während Hospitalisation (n=853) Lesperance et al, Circulation 2002;105:1049<br />
„Dosis-Wirkungs“ Beziehung<br />
BDI = Beck Depressions Inventar
Achtung:<br />
Die Depression präsentiert sich bei<br />
Patienten nach Herzinfarkt atypisch<br />
Energieverlust > Traurigkeit<br />
Gereiztheit > Schuldgefühle oder<br />
Verlust des Selbstwerts<br />
…und wird deshalb oft verkannt!
Häufigkeit der Depression nach AMI<br />
<br />
<br />
20% der Patienten haben eine major depression<br />
20% der Patienten haben eine minor depression<br />
4x höhere<br />
Prävalenz für<br />
eine MDD<br />
gegenüber der<br />
Allgemein-<br />
bevölkerung!!<br />
Carney & Freedland, Biol Psychiatry 2003;54:241<br />
Kop & Ader, Ital Heart J 2001;2:890
Epidemiologie: wie hoch ist das RR?<br />
Depression ohne koronare Herzkrankheit: 1.5-2.0 x<br />
eine KHK im Verlauf zu entwickeln.<br />
Depression mit koronarer Herzkrankheit: 2.0-3.0 x<br />
für erneuten AMI oder kardiale Mortalität.<br />
Depression mit aortokoronarem Bypass: 2.0-3.0 x<br />
für kardiale Mortalität.<br />
Depression mit chronischer Herzinsuffizienz: 2.0 x<br />
für kardiale Mortalität.<br />
Lett et al, Psychosom Med 2004;66:305
Aktuellster Stand<br />
Erstmaliges Auftreten einer Depression<br />
nach dem Infarkt scheint am<br />
gefährlichsten<br />
Somatische Symptome der Depression<br />
haben höherem prädiktiven Wert als<br />
affektive Symptome<br />
Denollet, Psychosom Med 2008;70:949
Walters et al, Eur Heart J 2008;29:2981<br />
Panik und Herzinfarktrisiko<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
58‘000 Patienten mit der Diagnose Panikattacken oder<br />
Panikstörung und 347‘000 Patienten ohne diese Diagnose<br />
650 Grundversorgerpraxen in England<br />
Patienten mit Panikstörung im Mittel 43-jährig, 73% Frauen<br />
Prospektive Studie: medianer follow-up 2 J n. 1. Konsultation<br />
wegen Panik; d.h. alle Patienten mit vorbestehender<br />
Panikstörung u/o Herzkrankheit ausgeschlossen<br />
Patienten
Akuter Stress Intensive Gefühle bei Naturkatastrophen, Kriegsereignissen,<br />
Sportanlässen, wichtigen Daten (z.B. Weihnachten, Geburtstag)<br />
Bsp. Plötzlicher Herztod auf dem Boden einer arteriosklerotischen<br />
kardiovaskulären Erkrankung ausgelöst durch ein Erdbeben<br />
Northridge,<br />
Los Angeles area<br />
Leor et al, N Engl J Med 1996;334:413-419
Kopp et al, Psychosom Med 1998;60:752<br />
Zustand „vitaler“ Erschöpfung<br />
Maastricht Vital Exhaustion Questionnaire (Short Form)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Fühlen Sie sich oft müde?<br />
Haben Sie oft Probleme einzuschlafen?<br />
Wachen Sie nachts öfter auf?<br />
Fühlen Sie sich ausgelaugt?<br />
Fühlen Sie sich in letzter Zeit lustloser als früher?<br />
Irritieren Sie Kleinigkeiten in letzter Zeit mehr als früher?<br />
Haben Sie manchmal das Gefühl: „Meine Batterien sind leer?“<br />
Fühlen Sie sich entmutigt?<br />
Wachen Sie manchmal erschöpft oder ermüdet auf?
„Exhaustion is bad for the heart“<br />
Vitale Erschöpfung sagte Erstinfarkt bei 3,877<br />
Männern (39-65 Jahre) ohne KHK nach einem<br />
Follow-up von 4.3 Jahren voraus.<br />
<br />
Appels & Mulder, Eur Heart J 1988<br />
Vitale Erschöpfung zeigte einen unabhängigen<br />
Zusammenhang mit einem erneuten kardialen<br />
Ereignis nach PCTA bei Männer nach einem<br />
Follow-up von 1.5 Jahren.<br />
Appels et al, Eur Heart J 1995
Friedman & Rosenman: Association of specific overt behavior pattern with blood and cardiovascular<br />
findings; blood cholesterol level, blood clotting time, incidence of arcus senilis, and clinical coronary<br />
artery disease. JAMA 1959;169:1286-96.<br />
Typ-A-Verhalten als Risikofaktor: überholt!<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Ehrgeiz<br />
Dominanzstreben<br />
Arbeitseifer<br />
Sich in Zeitdruck bringen<br />
Unfähigkeit zu entspannen<br />
Ungeduld<br />
Reizbarkeit<br />
Perfektionismus<br />
Hohe Ziele<br />
Bedürfnis nach Anerkennung<br />
„Coronary Prone Behavior Pattern“<br />
„Kardiotoxisch“ ist nicht die Leistungsorientiertheit sondern die<br />
damit einhergehende feindselige Haltung gegenüber Mitmenschen<br />
= hostility & Ärgerbereitschaft = anger.
Feindselige Einstellung gegenüber Mitmenschen<br />
Hostility (Cynical Distrust Scale)<br />
1. Ich glaube, die meisten Leute würden lügen, wenn sie dadurch<br />
Vorteile hätten.<br />
2. Den meisten Leuten widerstrebt es innerlich, sich Mühe zu<br />
machen, um anderen zu helfen.<br />
3. Die meisten Leute schließen Freundschaften, weil ihnen<br />
Freunde nützlich sein können.<br />
4. Es ist sicherer, niemandem zu trauen.<br />
5. Niemand kümmert sich gross darum, wie es einem geht.<br />
6. Die meisten Leute sind vor allem deshalb ehrlich, weil sie Angst<br />
haben, erwischt zu werden.<br />
7. Ich frage mich häufig, welche versteckten Gründe jemand dafür<br />
haben könnte, etwas Gutes für mich zu tun.<br />
8. Die meisten Leute würden eher zu etwas unfairen Mitteln<br />
greifen als sich einen Gewinn oder Vorteil entgehen zu lassen.<br />
Greenglass & Julkunen, Person Ind Dif 1989;10:209-18
Mittleman et al, Circulation 1995;92:1720<br />
Heftiger Ärger als auslösender Faktor eines Herzinfarkts<br />
Ärger Intensität / Beschrieb<br />
1 Ruhig<br />
2 Beschäftigt<br />
3 Leicht verärgert (nicht<br />
sichtbar)<br />
4 Mittelässig verärgert (zeigt<br />
sich an der Stimme)<br />
5 Sehr verärgert (Körper<br />
angespannt, Fäuste und<br />
Zähne zusammengepresst)<br />
6 Heftigster Ärger (wirft Tisch<br />
um, knallt Türe zu)<br />
7 Ausser sich vor Ärger (wirft<br />
Gegenstände an die Wand,<br />
verletzt Mitmenschen)<br />
<br />
2 Std.<br />
n=1‘623, Alter 20-92 Jahre,<br />
Befragung 4 Tage nach Infarkt
Typ D Persönlichkeit:<br />
Typ D Persönlichkeit: Tendenz negative Gefühle zu empfinden<br />
und diese in sozialen Interaktionen nicht ausdrücken zu können<br />
7 Items zu sozialer Vermeidung<br />
(„social inhibition“)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Es fällt mir leicht, Kontakt zu<br />
anderen Menschen zu knüpfen.<br />
Ich unterhalte mich oft mit Fremden.<br />
Ich fühle mich oft im Umgang mit<br />
Anderen gehemmt.<br />
Es fällt mir schwer, mit anderen eine<br />
Gespräch zu beginnen.<br />
Ich bin vom Wesen her<br />
verschlossen.<br />
Ich neige dazu, andere Leute auf<br />
Abstand zu halten.<br />
Ich weiss nicht, worüber ich mit<br />
Anderen reden soll<br />
7 Items zu negativer Affektivität<br />
(„negative affectivity“)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Ich rege mich oft über<br />
unwichtige Dinge auf.<br />
Ich fühle mich oft unglücklich.<br />
Ich bin oft gereizt.<br />
Ich sehe die Dinge<br />
pessimistisch.<br />
Ich bin oft schlechter Laune.<br />
Ich mache mir oft Sorgen.<br />
Ich bin oft schlecht drauf.<br />
Denollet, Psychosom Med 2005;67:89-97
Prospective studies<br />
Psychosom Med 2005;67:89-97
Struktureller Support: Art und Umfang<br />
der Kontakte mit dem sozialen Netzwerk<br />
– Häufigkeit sozialer Interaktionen,<br />
Anzahl nahestehender Personen,<br />
Zivilstand, Zugehörigkeit zu einer Gruppe<br />
oder Kirche.<br />
Funktioneller Support: Qualität der<br />
erhaltenen Unterstützung durch die<br />
sozialen Strukturen – z.B. emotional<br />
Subjektivität: Erhaltene (received) vs.<br />
wahrgenommene (perceived) soziale<br />
Unterstützung.<br />
Psychosom Med 2005;67:869-78
Meta-Analyse zu sozialem Support<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Verschiedene Formen von sozialem Support sind mit einem<br />
ca. 1.5-fach erhöhten Risiko für erstmaligen Myokardinfarkt<br />
bzw. ein Infarktrezidiv behaftet.<br />
Funktioneller Support bedeutsamer als<br />
struktureller Support<br />
Zusammenhang gilt für Gesunde (d.h. Individuen ohne KHK)<br />
und Patienten mit etablierter KHK.<br />
Theorien: Stressbuffer, Gestresste profitieren mehr,<br />
Individuen mit mehr Zugehörigkeitsgefühl sind empfänglicher<br />
für Support und profitieren mehr (z.B. Frauen, nicht feindselig<br />
Eingestellte).<br />
Lett et al, Psychosom Med 2005;67:869-78<br />
Barth, Schneider, von Känel, Psychosom Med (under review)
Niedriger sozioökonomischer Status<br />
Verwendete Indizes<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Ausbildung (Grundschule, Berufschule, Universität)<br />
Einkommen (in 10‘000.- Kategorien / Jahr)<br />
Beruf (white vs. blue collar workers)<br />
Anstellungsgrad (ungewollte Arbeitslosigkeit)<br />
Soziale Klasse<br />
Materielle Lebensumstände<br />
Nachbarschaft<br />
Kaplan & Keil, Circulation 1993;88:1973-98
Sir Michael Marmot, JAMA 2006;295:1304<br />
Das „Status Syndrom“<br />
<br />
<br />
<br />
Je höher die soziale Position, umso<br />
besser die Gesundheit.<br />
Weltweites Phänomen, grösstenteils ohne<br />
konventionelle Erklärungen<br />
(nicht Ursache sind weniger Zugang zur Gesundheitsversorgung,<br />
ungesunder Lebensstil etc.)<br />
Je tiefer ein Individuum in der sozialen Hierarchie steht,<br />
umso weniger werden seine Grundbedürfnisse<br />
befriedigt:<br />
- Selbstbestimmung<br />
- Integration in die Gesellschaft<br />
- soziale Partizipation
(I) Das Anforderungs-Kontroll<br />
Kontroll-Modell<br />
(Job Demand-Control Model n. Karasek & Theorell)<br />
Missverhältnis von:<br />
1) Anforderungen<br />
Arbeitsaufgabe,<br />
Verantwortung<br />
2) Kontrollierbarkeit<br />
Handlungsspielraum, Einsatz<br />
persönlicher Fähigkeiten<br />
3) Sozialem Support<br />
Rückhalt durch Mitarbeitende<br />
und Vorgesetzte<br />
Stress am Arbeitsplatz (job stress)<br />
Karasek, , R.A.: Control in the workplace and its health related aspects. . In: S.L. Sauter, , J.J. Hurrel &<br />
C.L. Cooper (Eds.), Job control and worker health. Chichester: : Wiley, 1989, 129-159.<br />
159.
(II) Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen<br />
(Effort-Reward Imbalance Model n. Siegrist)<br />
Ungleichgewicht zwischen<br />
beruflicher Verausgabung und<br />
Belohnung gepaart mit<br />
Überengagement<br />
1) Extrinsische Verausgabungsquelle durch Arbeitsanforderung<br />
2) Materielle und immaterielle Belohnung (Lohn, Anerkennung)<br />
3) Intrinsische Verausgabungsquelle durch übersteigerte<br />
Verausgabungsbereitschaft (overcommitment)<br />
Siegrist, J Occup Health Psychol 1996;1:27
2.5<br />
2<br />
1.5<br />
1<br />
812 Männer und<br />
Frauen, initial<br />
gesund,<br />
25-J Follow-up<br />
1= low<br />
2= intermediate<br />
3= high<br />
0.5<br />
0<br />
JDC<br />
ERI<br />
Kontrolliert für: Alter, Geschlecht, Berufsgruppe, Rauchen, körperliche<br />
Aktivität, systolischer Blutdruck, totales Cholesterin, BMI<br />
BMJ 2002;325:857
Übersicht<br />
Operationalisierung psychosozialer<br />
Risikofaktoren<br />
Welche sind „kardiotoxisch“?<br />
Psychobiologie<br />
Stresseffekte auf kardiovaskuläre Biomarker?<br />
Screening und Therapie<br />
psychosozialer Risikofaktoren<br />
Was bringt‘s bezüglich Mortalität?
Die Psychobiologie untersucht die zugrundeliegenden Mechanismen<br />
Rozanski et al, Circulation 1999;99:2192
Ausgewählte Mechanismen<br />
Zusammenhänge zwischen psychosozialen<br />
Risikofaktoren und akutem Stress mit:<br />
<br />
<br />
<br />
Blutdruck<br />
(Biomarker: z.B. Blutdruckreaktivität)<br />
Entzündung<br />
(Biomarker: z.B. hs-CRP, IL-6, TNF-α)<br />
Gerinnung<br />
(Biomarker: z.B. Fibrinogen, D-dimer, PAI-1, Thrombozyten)
Blutdruck<br />
Blutdruckreaktivität auf akuten<br />
Stress
160 adoleszente Zwillingspaare<br />
Reaktionstest und Rechenaufgabe von total 17 min<br />
Vererbte Variation in der Blutdruckreaktivität<br />
Systolischer<br />
Blutdruck<br />
Diastolischer<br />
Blutdruck<br />
Ruhe<br />
52%<br />
51%<br />
Stress<br />
66%<br />
64%<br />
Genetik wichtiger für<br />
Variation des Stresswerts<br />
als des Ruhewert.<br />
Ruhewert vor allem auch<br />
durch gemeinsame<br />
Umweltfaktoren (shared<br />
environment) bestimmt.<br />
Kein Unterschied zwischen<br />
Frauen und Männern.
Negative emotions and acute physiological responses<br />
to stress Feldman et al, Ann Behav Med 1999;21:216<br />
Durch akuten Stressor provozierte Ärger und Angst<br />
erklären einen sig. Anteil des Blutdruckanstiegs<br />
Ärger erklärt zwischen 0.6% und 12% der Varianz; weitgehend<br />
unabhängig von der Art des Stressors
CARDIA Study: Blutdruck-Reaktivität auf akuten Stress und koronare<br />
Kalzifizierung (quantitativ mit CT erfasst) nach 13 Jahren Follow-up.<br />
Koronare Kalzifizierung = eigenständiger<br />
Risikofaktor für KHK.<br />
Grössere Blutdruckreaktivität während dem<br />
Videospiel sagt vermehrte Kalkeinlagerung<br />
in den Koronarien vorher.<br />
Blutdruck-Reaktivität auf Stress als Marker<br />
für das Risiko einer KHK?<br />
Matthews et al, Hypertension 2006;47:391
Inflammation<br />
Akut-Phase-Reaktion als Antwort<br />
auf Stress
Trier Social Stress Test<br />
Transkriptionsfaktor NF-kB<br />
vermittelt proinflammatorische<br />
Aktivität von Monozyten (d.h.<br />
Zytokinfreisetzung TNF-α).<br />
NF-kB durch Stress<br />
hochreguliert (vgl. Abbildung)<br />
Effekt wird über Noradrenalin<br />
und einen α1-adrenergen<br />
Mechanismus vermittelt.<br />
PNAS 2003;100:1920
von Känel et al, Brain Behav Immun 2006;20:40<br />
Aktivierung proinflammatorischer Zytokine<br />
r=-.54,<br />
p=.011<br />
IL-6 Anstieg wird durch HPA-Achse supprimiert<br />
Signifikanter Anstieg von IL-6 mit zeitlicher Verzögerung: Gen-Transkription?
von Känel et al, Brain Behav Immun 2008;22:150<br />
Aspirin reduziert IL-6 Anstieg mit akutem Stress<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
64 gesunde Männer<br />
(47±7 Jahre)<br />
Randomisierte,<br />
doppelblinde,<br />
Plazebo-kontrollierte<br />
Studie<br />
100 mg Aspirin p.o. für<br />
5 Tage am Morgen<br />
TSST<br />
* p
Blutgerinnung<br />
Beschleunigte Gerinnung mit<br />
akutem Stress
Aktivierung der Blutgerinnung<br />
Signifikanter<br />
Anstieg von:<br />
- vWF<br />
- Fibrinogen<br />
- FVII:C<br />
- FVIII:C<br />
- FXII:C<br />
Alle P-Werte
Wann wird die physiologische<br />
Stressreaktion pathologisch?<br />
Beispiel Gerinnungs-Veränderungen:<br />
Übermässige Auslenkung<br />
Verzögerte Erholung<br />
Chronischer Zustand<br />
(Kampf-Flucht Rückzug-Konservierung)<br />
Das Blut ist zu lange zu dick!
Fibrinbildung (D-dimer) ist bei älteren Patienten mit koronarer oder<br />
zerebrovaskulärer Erkrankung (Arteriosklerose) unter Stress verstärkt<br />
2 standardisierte<br />
mentale Stressoren<br />
von total 22 min<br />
Dauer.<br />
Verteidigungsrede u.<br />
Betreuungssituation<br />
von Känel et al,<br />
Am J Cardiol<br />
2001;87:1405
Verzögerte Erholung der Thrombozytenaktivität<br />
nach akutem Stress bei 17 Patienten mit einer KHK im<br />
Vergleich zu 22 Kontrollprobanden<br />
P
Preckel & von Känel, Heart Drug 2004;4:123<br />
↑<br />
Akuter Stress: Gerinnung ↑ > Fibrinolyse ↑ (physiologisch)<br />
Chronischer Stress: Gerinnung ↑ und Fibrinolyse ↓ (pathologisch)
Auswirkungen von chronischem Stress<br />
chronischem Stress auf affektive<br />
Störungen, Verhalten und Pathophysiologie<br />
Rozanski et al,<br />
JACC 2005;45:637
Stress am Arbeitsplatz und Metabolisches Syndrom<br />
Whitehall II Study:<br />
10‘308 Staatsangestellte<br />
(London) wurden 1985-1988<br />
eingeschlossen.<br />
14-J Follow-up mit 5 Messzeitpunkten<br />
für „job stress“ (sog.<br />
„exposures“)<br />
Definition von Stress am Arbeitsplatz:<br />
Kombination von hohen Anforderungen<br />
plus geringem Handlungsspielraum plus<br />
geringem sozialem Support von<br />
Mitarbeitenden und Vorgesetzten<br />
Chandola et al, BMJ 2006;332:521
Erhöhtes Risiko bei „Alzheimer caregivern“ eine<br />
Hypertonie zu entwickeln<br />
Mittlere Dauer bis zum Eintreten einer Hypertonie:<br />
1125±76 vs. 1414 ±135 Tage (P140/90 mmHg)<br />
Kontrollvariablen: Geschlecht,<br />
Alter, BMI, SES, BD-senkende<br />
Medikamente
Erhöhte Plasmaspiegel pro-inflammatorischer<br />
Zytokine und<br />
von Akutphase-Proteinen bei der Depression<br />
„Chronische Akutphase-Reaktion“<br />
Tumor-Nekrose-Faktor-α<br />
Interleukin-1β<br />
Interleukin-6<br />
C-reaktives Protein<br />
Fibrinogen<br />
Zusammenhang mit<br />
der Arteriosklerose:<br />
Sind alle prospektiv<br />
(und von klassischen<br />
kardiovaskulären<br />
Risikofaktoren<br />
unabhängige) „neue“<br />
bzw. „moderne“<br />
Risikofaktoren für eine<br />
koronare Herzkrankheit.<br />
Pasic et al, Psychosom Med 2003;65:181
Tracey JK. The Inflammatory Reflex. Nature 2002;420:853<br />
Verminderte vagale bzw. cholinerge Aktivität (z.B. bei der<br />
Depression) führt zu erhöhter inflammatorischer Aktivität<br />
„The cholinergic antiinflammatory<br />
pathway“<br />
Efferente<br />
Vagusaktivität ↓<br />
Acetylcholin ↓<br />
Pro-inflammatorische<br />
Zytokine ↑
Übersicht<br />
Operationalisierung psychosozialer<br />
Risikofaktoren<br />
Welche sind „kardiotoxisch“?<br />
Psychobiologie<br />
Stresseffekte auf kardiovaskuläre Biomarker?<br />
Screening und Therapie<br />
psychosozialer Risikofaktoren<br />
Was bringt‘s bezüglich Mortalität?
Aktuelleste Empfehlungen<br />
<br />
American College of Cardiology/American<br />
Heart Association Task Force on Practice<br />
Guidelines for the treatment of AMI patients.<br />
<br />
„The psychosocial status of the patient<br />
should be evaluated, including inquiries<br />
regarding symptoms of depression,<br />
anxiety, or sleep disorders and the<br />
social support environment"<br />
Antman et al, Circulation 2004;110:588
Anamnese beim Koronarpatienten<br />
<br />
<br />
<br />
Bio-psycho-soziales Vorgehen (Familie, Beruf,<br />
soziale Kontakte, Wohnsituation) Stressoren?<br />
Gezielte Fragen nach psychischer Befindlichkeit<br />
(Angst, Depression) Distress?<br />
Gezielte Fragen nach dem Persönlichkeitsstil<br />
(Entspannungsformen, Überengagement im<br />
Beruf, Ärger) Modulator?<br />
Zusammenhang psychosozialer Stress –<br />
ungünstiger Lebensstil (Rauchen, Essen, Schlaf,<br />
Bewegungsmangel) Verstärker vs. Ressourcen?
Stress Biology<br />
Research:<br />
Influencing<br />
factors and<br />
biological<br />
mechanisms<br />
(© R. von Känel)<br />
Wie therapeutisch<br />
intervenieren?<br />
- CBT<br />
- Entspannung<br />
- Stress management<br />
- Exercise<br />
- Medikamente<br />
Salutogenetische<br />
Möglichkeiten
Meta-Analysen: „The addition of psychosocial treatments to standard<br />
cardiac rehabilitation regimens reduces mortality and morbidity,<br />
psychological distress, and some biological risk factors.“<br />
Kardiale Rehabilitation: Kardiale Mortalität 25%↓:<br />
schlossen Stressmanagement und Entspannungstherapien ein<br />
Linden et al, Arch Intern Med 1996;156:745.<br />
23 RCT, 2‘024 Infarktpatienten & 1‘154 Kontrollen.<br />
Psychologischer Distress↓, SBD↓, HF↓, Cholesterin↓.<br />
Kardiale Mortalität nach Infarkt ↓ (OR 1.70, 95% CI 1.1-2.6)<br />
Rezidivereignisse ↓ (OR 1.84, 1.1-3.0)<br />
Dusseldorp et al, Health Psychology 1999;18:506.<br />
37 Studien, Psychoedukation, d.h. Gesundheitserziehung und<br />
Stress management: BD ↓, Cholesterin ↓, Gewicht ↓, Rauchen ↓,<br />
körperliche Aktivität ↑, Ernährungsgewohnheiten<br />
Kardiale Mortalität ↓ (34%), Rezidivereignisse ↓ (29%)
202 pooled black/white men/women<br />
with prehypertensive to stage I<br />
hypertension at baseline.<br />
Transcendental Meditation (TM) group<br />
vs. combined controls (usual care,<br />
education, PMR etc.).<br />
3 months of TM – follow-up 8±4 yrs.<br />
23% risk reduction in<br />
all-cause mortality (p=.04)<br />
30% risk reduction in<br />
cardiovascular mortality (p
Zusammenfassung<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Gute Evidenz für psychosoziale Risikofaktoren<br />
(„Stressoren“ vs. „Distress“)<br />
Plausible Psychobiologie<br />
Berücksichtigung psychosozialer RF in der Anamnese<br />
und ärztlichen Beratung beim Herzpatienten (d.h. daran<br />
denken und darauf screenen)<br />
Lebensqualität und Distress sicher, Überleben<br />
möglicherweise, verbessert<br />
Forschung: welche psychosozialen Interventionen<br />
beeinflussen Biomarker günstig und reduzieren die<br />
(kardiale) Morbidität & Mortalität?
Danke für Ihre<br />
Aufmerksamkeit!