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Das Wir und die An<strong>de</strong>ren –<br />
Ein Erklärungsansatz zum Rechtsradikalismus in Deutschland<br />
Ich machte Rast im Gasthaus zur Post<br />
Und bestellte ein Rehragout<br />
Das schmeckte so gut mit Kartoffelbrei<br />
Und Preiselbeeren dazu<br />
Ein Förster saß am Stammtisch und aß<br />
Und trank in geselliger Rund<br />
Und zwischen seinen Stiefeln lag brav<br />
Sein schwarzbrauner Schäferhund<br />
Das war in Brückmühl im Bayernland<br />
Und <strong>de</strong>r Mann mit <strong>de</strong>m Pinsel am Hut<br />
Warf untern Tisch ein Stück Leberkäs<br />
Und knurrte: Lass aus, ’s ist vom Jud!<br />
Die Männer lachten und sah’n untern<br />
Tisch<br />
Dem Schäferhund tropfte <strong>de</strong>r Zahn<br />
Er roch an <strong>de</strong>m Fleisch und jaulte dazu<br />
Und rührte es doch nicht an.<br />
1979, drei Jahre nach seiner Ausbürgerung<br />
aus <strong>de</strong>r DDR, machte Wolfgang Biermann<br />
solche Beobachtungen in West<strong>de</strong>utschland.<br />
Er schrieb darüber ein Lied,<br />
das mit <strong>de</strong>n Zeilen en<strong>de</strong>t: Der tägliche<br />
kleine Faschismus sieht/So urgemütlich<br />
aus. Seit einiger Zeit scheint ihm dieses<br />
urgemütliche Aussehen abhan<strong>de</strong>n gekommen<br />
zu sein. Er zeigt die Fratze von kahl<br />
geschorenen Skinheads, die sich gar nicht<br />
mehr die Mühe geben, irgend einem i<strong>de</strong>ologischen<br />
Arier-I<strong>de</strong>al nachzueifern. Sie<br />
verklei<strong>de</strong>n statt <strong>de</strong>ssen Bierbäuche in T-<br />
Shirts und Bomberjacken und attackieren<br />
Menschen, die ihnen aus irgendwelchen<br />
Grün<strong>de</strong>n nicht passen, wegen einer an<strong>de</strong>ren<br />
Hautfarbe o<strong>de</strong>r Religion o<strong>de</strong>r weil sie<br />
ohne Wohnsitz sind. Man muss sich fragen,<br />
was in diesen Kahlköpfen vorgeht.<br />
Biermanns Text beschreibt eine Ursache<br />
dieser Entwicklung: Allzu viele stecken an<br />
Stamm- und an<strong>de</strong>ren Tischen die Köpfe<br />
zusammen und machen diskriminieren<strong>de</strong><br />
Witze über „die An<strong>de</strong>ren“. Das können<br />
Rechtsradikale genauso als Auffor<strong>de</strong>rung<br />
zum brutalen Austoben missverstehen<br />
wie das immer neue Verstummen <strong>de</strong>r Empörung<br />
über ihre Taten <strong>de</strong>s letzten Jahrzehnts.<br />
Schließlich wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r erste Angolaner<br />
kurz nach <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Einheit in<br />
Eberswal<strong>de</strong> umgebracht. Schließlich gehen<br />
Asylbewerberheime seit Beginn <strong>de</strong>r<br />
Neunziger in Flammen auf.<br />
Es hat viele Versuche gegeben, das Phänomen<br />
faschistischer Denkhaltungen zu<br />
erklären. Hier soll ein ganz einfacher Vorschlag<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r auf Überlegungen<br />
<strong>de</strong>s Historikers Hans-Ulrich Wehler<br />
zurückgeht. Demnach wäre Faschismus<br />
<strong>de</strong>r Traum <strong>de</strong>s Zukurzgekommenen<br />
von Übergröße. Gera<strong>de</strong> in Zeiten politischer<br />
Umbrüche und wirtschaftlicher<br />
Mo<strong>de</strong>rnisierungsschübe, die die geistigen<br />
Kapazitäten vieler Bürger überfor<strong>de</strong>rn und<br />
Zukunftsängste auslösen, macht sich dieser<br />
Traum vehement bemerkbar. Das war<br />
in <strong>de</strong>n zwanziger und dreißiger Jahren<br />
nicht an<strong>de</strong>rs, als <strong>de</strong>r Faschismus in Europa<br />
geboren wur<strong>de</strong>. Heute rauben die rasanten<br />
Entwicklungen <strong>de</strong>r Elektronik-Technologie<br />
und ihre Konsequenzen in Wirtschaft<br />
und Gesellschaft (Globalisierung)<br />
vielen Bürgern ihren sozialen Halt.<br />
In solchen Zeiten greifen die Verunsicherten<br />
zu einfachsten Erklärungsmo<strong>de</strong>llen für<br />
<strong>de</strong>n Weltzustand und folgen jenen, die ihnen<br />
die Erfüllung <strong>de</strong>r Träume von großer<br />
Macht versprechen. Mitten in einer unüberschaubaren<br />
Informations-Explosion<br />
ist Gewalt die einfachst mögliche Form<br />
<strong>de</strong>r Kommunikation. Außer<strong>de</strong>m verleiht<br />
sie <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r sie erfolgreich einsetzt, ein<br />
Gefühl von Macht. Daher wird sie bei <strong>de</strong>n<br />
für faschistisches Gedankengut Anfälligen<br />
als Ausdruck ihrer Selbst-Repräsentation<br />
angewen<strong>de</strong>t: Wir sind die Starken – ihr<br />
müsst Angst haben. So einfach funktioniert<br />
das faschistische Lebensgefühl, das<br />
sich aus <strong>de</strong>r schlichten Polarität: „Wir =<br />
gut – die An<strong>de</strong>ren = schlecht und mit<br />
Gewalt zu vernichten“ begreifen lässt.<br />
So ein Lebensgefühl ist zunächst indivi-<br />
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