Verwaltungsgericht Düsseldorf, 31 K 3904/10.O - Verdi-finanzamt.de
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<strong>Verwaltungsgericht</strong> <strong>Düsseldorf</strong>, <strong>31</strong> K <strong>3904</strong>/<strong>10.O</strong><br />
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<strong>Verwaltungsgericht</strong> <strong>Düsseldorf</strong>, <strong>31</strong> K <strong>3904</strong>/<strong>10.O</strong><br />
Datum: 15.12.2010<br />
Gericht:<br />
<strong>Verwaltungsgericht</strong> <strong>Düsseldorf</strong><br />
Spruchkörper: <strong>31</strong>. Kammer<br />
Entscheidungsart: Urteil<br />
Aktenzeichen: <strong>31</strong> K <strong>3904</strong>/<strong>10.O</strong><br />
Schlagworte: Beamter Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte<br />
Europäische Menschenrechts-Konvention Koalitionsfreiheit<br />
Streikrecht Verhältnismäßigkeit Warnstreik<br />
Normen: EMRK Art 11<br />
Leitsätze:<br />
1. Auch nach <strong>de</strong>r neueren Rechtsprechung <strong>de</strong>s Europäischen<br />
Gerichtshofs für Menschenrechte bleibt es dabei, dass in<br />
Deutschland Beamte nicht streiken dürfen. Tun sie dies gleichwohl<br />
(hier: Lehrerin), so begehen sie ein Dienstvergehen, das die<br />
Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach sich zieht.<br />
2. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme (hier: Geldbuße)<br />
wegen <strong>de</strong>r Streikteilnahme ist in<strong>de</strong>ssen unzulässig, wenn <strong>de</strong>r<br />
Beamte nicht zu <strong>de</strong>m in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK beschriebenen<br />
Kernbereich hoheitlicher Staatsverwaltung gehört. In <strong>de</strong>rartigen<br />
Fällen ist das Disziplinarverfahren vielmehr einzustellen, da nur so<br />
<strong>de</strong>r EMRK Rechnung getragen wer<strong>de</strong>n kann<br />
(völkerrechtsfreundliche Auslegung).<br />
Tenor:<br />
Die Disziplinarverfügung <strong>de</strong>s Beklagten vom 10. Mai 2010 wird<br />
aufge-hoben.<br />
Der Beklagte trägt die Kosten <strong>de</strong>s Verfahrens.<br />
Die Berufung wird zugelassen.<br />
Die 1965 geborene Klägerin steht als Lehrerin (BesGr A12) im Schuldienst <strong>de</strong>s<br />
beklagten Lan<strong>de</strong>s. Seit September 2002 ist sie Beamtin auf Lebenszeit.<br />
Strafrechtlich und disziplinar ist sie bisher nicht in Erscheinung getreten.<br />
1<br />
2<br />
Mit Verfügung vom 10. August 2009 leitete <strong>de</strong>r Beklagte gegen die Klägerin ein<br />
Disziplinarverfahren ein. Anlass war die Teilnahme <strong>de</strong>r Klägerin an Warnstreiks am<br />
28. Januar sowie 5. und 10. Februar 2009. Nach Anhörung <strong>de</strong>r Klägerin und<br />
Beteiligung <strong>de</strong>r Gleichstellungsbeauftragten erließ <strong>de</strong>r Beklagte am 10. Mai 2010<br />
eine Disziplinarverfügung, mit <strong>de</strong>r er <strong>de</strong>r Klägerin eine Geldbuße in Höhe von<br />
1.500,- Euro auferlegte. Die Disziplinarverfügung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Klägerin am 17. Mai<br />
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2010 zugestellt.<br />
Am 17. Juni 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. 3<br />
Die Klägerin ist <strong>de</strong>r Auffassung, ihr stehe ein Streikrecht zu. Dies ergebe sich aus<br />
Art. 11 <strong>de</strong>r Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK). Das dort normierte<br />
Streikrecht gelte auch für Beamte; es sei nicht auf Streiks beschränkt, die auf <strong>de</strong>n<br />
Abschluss eines Tarifvertrages abzielten, son<strong>de</strong>rn dürfe auch für Streiks mit <strong>de</strong>m<br />
Ziel einer Än<strong>de</strong>rung von Vorschriften über die Beamtenbesoldung in Anspruch<br />
genommen wer<strong>de</strong>n. Ausgeschlossen sei lediglich ein politischer Streik. Zu<strong>de</strong>m<br />
ergebe sich das Streikrecht auch aus Art. 9 Abs. 3 GG bei <strong>de</strong>r gebotenen<br />
völkerrechtsfreundlichen Auslegung und Abwägung mit Art. 33 Abs. 5 GG.<br />
4<br />
Die Klägerin beantragt, 5<br />
die Disziplinarverfügung <strong>de</strong>s Beklagten vom 10. Mai 2010 aufzuheben. 6<br />
Der Beklagte beantragt, 7<br />
die Klage abzuweisen. 8<br />
Wegen <strong>de</strong>s weiteren Sach- und Streitstan<strong>de</strong>s wird auf die Gerichtsakte und die<br />
beigezogenen Personalakten und Disziplinarvorgänge <strong>de</strong>s Beklagten Bezug<br />
genommen.<br />
9<br />
Entscheidungsgrün<strong>de</strong> 10<br />
Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begrün<strong>de</strong>t. Die Disziplinarverfügung vom<br />
10. Mai 2010, mit <strong>de</strong>r gegen die Klägerin eine Geldbuße (§ 7 LDG NRW) in Höhe<br />
von 1.500,- Euro verhängt wur<strong>de</strong>, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren<br />
Rechten (§ 3 Abs. 1 LDG NRW, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).<br />
1. Die Klägerin hat allerdings ein einheitliches Dienstvergehen (§ 47 Abs. 1<br />
BeamtStG, ehemals § 83 Abs. 1 LBG NRW a.F.) dadurch begangen, dass sie an<br />
drei Tagen - am 28. Januar sowie 5. und 10. Februar 2009 - während <strong>de</strong>r<br />
Dienstzeit vorsätzlich an Warnstreiks teilgenommen und dabei <strong>de</strong>n Dienst<br />
versäumt hat. Damit hat sie schuldhaft gegen ihre Dienstleistungspflicht verstoßen.<br />
Die Dienstleistungspflicht ist die zentrale Pflicht <strong>de</strong>s Beamten. Er darf gemäß<br />
§ 62 Abs. 1 Satz 1 (ehemals § 79 Abs. 1 Satz 1) LBG NRW nicht ohne<br />
Genehmigung seines Dienstvorgesetzten <strong>de</strong>m Dienst fernbleiben.<br />
2. Die Koalitionsfreiheit <strong>de</strong>r Beamten bil<strong>de</strong>t we<strong>de</strong>r einen Rechtfertigungs- noch<br />
einen Entschuldigungsgrund für das Verhalten <strong>de</strong>r Klägerin.<br />
11<br />
12<br />
13<br />
14<br />
a) Die Gewährleistung <strong>de</strong>r Koalitionsfreiheit im nationalen Recht (Art. 9 Abs. 3 GG)<br />
vermittelt Beamten kein Streikrecht; <strong>de</strong>nn Arbeitskämpfe setzen ein tarifvertraglich<br />
regelbares Ziel voraus. Die Bezüge von Beamten wer<strong>de</strong>n aber nicht durch<br />
Tarifvertrag, son<strong>de</strong>rn durch Gesetz festgelegt. Beamte sind nach <strong>de</strong>n<br />
hergebrachten Grundsätzen <strong>de</strong>s Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) nicht<br />
befugt, zur För<strong>de</strong>rung gemeinsamer Berufsinteressen kollektive<br />
Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Die Zulassung eines Streiks ist<br />
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verfassungsrechtlich ausgeschlossen.<br />
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1958 - 1 BvR 1/52, 46/52 -, BVerfGE 8, 1,<br />
17; Beschluss vom 30. März 1977 - 2 BvR 1039, 1045/75 -, BVerfGE 44, 249,<br />
264; BVerwG, Urteil v. 3. Dezember 1980 - 1 D 86.79 -, BVerwGE 73, 97, 102;<br />
Urteil vom 10. Mai 1984 - 2 C 18.82 -, BVerwGE 69, 208, 212 f.; Urteil vom 23.<br />
Februar 1994 - 1 D 48.92 -, DokBer B 1994, 2<strong>31</strong>; an<strong>de</strong>rs für "insich-beurlaubte"<br />
Beamte Urteil vom 7. Juni 2000 - 1 D 4.99 -, BVerwGE 111, 2<strong>31</strong>, 234.<br />
15<br />
Daran än<strong>de</strong>rt sich auch nichts mit Blick auf das europäische Recht. 16<br />
Die Vereinigungsfreiheit ist europarechtlich in Art. 11 EMRK gewährleistet. Dieses<br />
Menschenrecht umfasst zwar auch die Befugnis zu Kollektivverhandlungen und<br />
zum Streik. Für <strong>de</strong>n öffentlichen Dienst darf es nur solchen Einschränkungen<br />
unterworfen wer<strong>de</strong>n, die mit Art. 11 Abs. 2 EMRK vereinbar sind. Derartige<br />
Einschränkungen dürfen bestimmte Beamtenkategorien erfassen, sich aber nicht<br />
auf Beamte im Allgemeinen erstrecken. Die gesetzlichen Einschränkungen <strong>de</strong>s<br />
Streikrechts müssen so klar und eng wie möglich die Kategorien <strong>de</strong>r betroffenen<br />
Beamten festlegen.<br />
Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Entscheidungen<br />
vom 12. November 2008 - Nr. 34503/97 -, Demir und Baykara, und vom 21. April<br />
2009 - Nr. 68959/01 -, Enerji Yapi-Yol Sen, AuR 2009, 269 und 274; NVwZ 2010,<br />
1018 (L).<br />
An diesen Anfor<strong>de</strong>rungen gemessen dürfte das <strong>de</strong>utsche Beamtenrecht<br />
europarechtswidrig sein. Denn es schließt Streiks von Beamten generell aus, ohne<br />
eine Unterscheidung nach bestimmten Kategorien von Beamten vorzunehmen.<br />
Die (mutmaßliche) Europarechtswidrigkeit <strong>de</strong>s nationalen Rechts än<strong>de</strong>rt aber<br />
nichts daran, dass dieses Recht weiterhin gültig ist. Es lässt sich nicht im Wege<br />
völkerrechtsfreundlicher Auslegung beamtenrechtlicher Vorschriften an die EMRK<br />
anpassen. Denn da die hergebrachten Grundsätze <strong>de</strong>s Berufsbeamtentums<br />
entgegenstehen, wären damit die Grenzen <strong>de</strong>r Auslegung überschritten. Sollte <strong>de</strong>r<br />
Verstoß gegen die EMRK durch die zuständigen Überwachungsorgane<br />
aufgegriffen wer<strong>de</strong>n, könnte dies dazu führen, dass die Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
Deutschland wegen Verletzung <strong>de</strong>r Konvention verurteilt wird. Dies gibt <strong>de</strong>m<br />
einzelnen Beamten aber nicht das Recht, sich über die bestehen<strong>de</strong>n Regelungen<br />
hinwegzusetzen. Vielmehr ist es Aufgabe <strong>de</strong>s verfassungsän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />
Gesetzgebers, einen mit Art. 11 EMRK vereinbaren Rechtszustand im <strong>de</strong>utschen<br />
Beamtenrecht herbeizuführen.<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
Vgl. A. Seifert, KritV 2009, 357, 375 f. 21<br />
b) Die Klägerin han<strong>de</strong>lte auch schuldhaft. Sie durfte sich bei <strong>de</strong>r Teilnahme an <strong>de</strong>n<br />
Warnstreiks nicht von <strong>de</strong>r Vorstellung leiten lassen, sie sei europarechtlich zum<br />
Streik befugt. Ihr musste klar sein, dass Streiks von Beamten nach gelten<strong>de</strong>m<br />
Recht nicht zulässig sind. Entsprechend ist sie in Einzelgesprächen mit <strong>de</strong>r<br />
Schulleiterin und <strong>de</strong>r Konrektorin am 23. und 26. Januar 2009 belehrt wor<strong>de</strong>n. Auf<br />
vereinzelt im Schrifttum vertretene Gegenmeinungen durfte sie sich nicht<br />
verlassen. Vielmehr hätte sie sich, wenn sie ihrem Verhalten eine solche<br />
abweichen<strong>de</strong> Rechtsauffassung zugrun<strong>de</strong> legen wollte, vorher erkundigen<br />
müssen, ob dieser Rechtsstandpunkt von <strong>de</strong>n letztinstanzlich zuständigen<br />
22<br />
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Gerichten geteilt wird. Bei einer unvoreingenommenen, fachlich fundierten<br />
Beratung wäre ihr die Auskunft erteilt wor<strong>de</strong>n, dass dies nicht <strong>de</strong>r Fall ist.<br />
3. Der Beklagte durfte auf das Dienstvergehen <strong>de</strong>r Klägerin aber nicht mit <strong>de</strong>m<br />
Erlass einer Disziplinarverfügung reagieren. Er war daran durch die EMRK und die<br />
zu ihr ergangene Rechtsprechung <strong>de</strong>s Europäischen Gerichtshofs für<br />
Menschenrechte (EGMR) gehin<strong>de</strong>rt.<br />
a) Der EGMR hat in jüngerer Zeit mehrfach ausgesprochen, dass Vertragsstaaten<br />
konventionswidrig han<strong>de</strong>ln, wenn sie an die Teilnahme eines Beamten an einem<br />
Streik eine Sanktion knüpfen. Denn nicht nur das abstrakte - in Deutschland nach<br />
<strong>de</strong>m oben Ausgeführten weiterhin gültige und zu beachten<strong>de</strong> - Streikverbot greift in<br />
das Menschenrecht <strong>de</strong>s Beamten aus Art. 11 EMRK ein, son<strong>de</strong>rn auch die<br />
Sanktionierung <strong>de</strong>r Streikteilnahme im Einzelfall. Für diesen Eingriff fehlte es in<br />
<strong>de</strong>n vom EGMR entschie<strong>de</strong>nen Fällen an einer Rechtfertigung, da er nicht - wie es<br />
Art. 11 Abs. 2 EMRK for<strong>de</strong>rt - "in einer <strong>de</strong>mokratischen Gesellschaft<br />
notwendig" (nécessaire dans une société <strong>de</strong>mocratique) war.<br />
So die Entscheidungen <strong>de</strong>s EGMR vom 27. März 2007 - Nr. 6615/03 -, Karacay;<br />
15. September 2009 - Nr. 30946/04 -, Kaya und Seyhan; 13. Juli 2010 - Nr.<br />
33322/07 -, Cerikci, jeweils in französischer Sprache auf <strong>de</strong>r Homepage <strong>de</strong>s<br />
EGMR veröffentlicht.<br />
Eine unter <strong>de</strong>m Blickwinkel <strong>de</strong>s Art. 11 Abs. 2 EMRK ausreichen<strong>de</strong> Rechtfertigung<br />
<strong>de</strong>r Disziplinierung streiken<strong>de</strong>r Lehrer ist auch im gelten<strong>de</strong>n Recht <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland nicht gegeben. Denn nicht an<strong>de</strong>rs als das abstraktgenerelle<br />
Streikverbot (vgl. oben 2a) ist auch die konkret-individuelle<br />
Disziplinarmaßnahme im Einzelfall "in einer <strong>de</strong>mokratischen Gesellschaft<br />
notwendig" nur dann, wenn sie sich auf gesetzliche Einschränkungen <strong>de</strong>s<br />
Streikrechts stützen kann, die so klar und eng wie möglich die Kategorien <strong>de</strong>r<br />
betroffenen Beamten festlegen. Das ist im <strong>de</strong>utschen Recht nicht <strong>de</strong>r Fall. Der<br />
Gesetzgeber hat es auch nach <strong>de</strong>n Entscheidungen <strong>de</strong>s EGMR bei <strong>de</strong>m<br />
allgemeinen verfassungsrechtlichen Verbot <strong>de</strong>s Beamtenstreiks bewen<strong>de</strong>n lassen,<br />
ohne nach <strong>de</strong>n Funktionen <strong>de</strong>r Beamten zu differenzieren, insbeson<strong>de</strong>re eine<br />
Begrenzung auf die Ausübung hoheitlicher Befugnisse im engeren Sinne<br />
vorzunehmen.<br />
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob eine ausreichen<strong>de</strong><br />
Einschränkung bereits in <strong>de</strong>r Zugehörigkeit <strong>de</strong>s Beamten zu einer <strong>de</strong>r in Art. 11<br />
Abs. 2 Satz 2 EMRK genannten Gruppen von Staatsbediensteten (Streitkräfte,<br />
Polizei, Staatsverwaltung) liegen kann, ohne dass es einer ausdrücklichen<br />
Regelung im nationalen Recht bedürfte. Denn Lehrer gehören nicht zu diesen<br />
Gruppen, insbeson<strong>de</strong>re nicht zur "Staatsverwaltung" im Verständnis <strong>de</strong>r EMRK.<br />
Vgl. EGMR, Entscheidung vom 8. Dezember 1999 - Nr. 28541/95 -, Pellegrin,<br />
NVwZ 2000, 661, 663, mit Hinweis auf eine Mitteilung <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Kommission vom 18. März 1988; dazu mit Blick auf Lehrer: Lörcher, AuR 2009,<br />
229, 241.<br />
Danach verstieß die hier angefochtene Disziplinarverfügung gegen die EMRK.<br />
Denn die Warnstreiks, an <strong>de</strong>nen die Klägerin teilnahm, sind von <strong>de</strong>m durch <strong>de</strong>n<br />
EGMR anerkannten Streikrecht erfasst. Den Entscheidungen <strong>de</strong>s EGMR lassen<br />
sich keine Einschränkungen in dieser Hinsicht entnehmen. Es hat daher bei <strong>de</strong>m<br />
23<br />
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25<br />
26<br />
27<br />
28<br />
29<br />
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allgemeinen, seit langem durch das Bun<strong>de</strong>sarbeitsgericht anerkannten Grundsatz<br />
zu verbleiben, dass zu <strong>de</strong>n zulässigen Streiks auch Warnstreiks gehören.<br />
Vgl. BAG, Urteil vom 17. Dezember 1976 - 1 AZR 605/75 -, BAGE 28, 295 = AP<br />
Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Urteil vom 21. Juni 1988 - 1 AZR 651/86 -,<br />
BAGE 58, 364 = AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.<br />
Auch für eine sonstige Unzulässigkeit <strong>de</strong>r Streiks ist unter <strong>de</strong>m Blickwinkel <strong>de</strong>r<br />
EMRK nichts ersichtlich. Sie waren insbeson<strong>de</strong>re nicht unverhältnismäßig.<br />
Vgl. zum Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht grundlegend:<br />
BAG (GS), Beschluss vom 21. April 1971 - GS 1/68 -, BAGE 23, 292 = AP Nr. 43<br />
zu Art. 9 GG Arbeitskampf.<br />
b) Die Entscheidungen <strong>de</strong>s EGMR sind zwar nicht unmittelbar verbindlich, zumal<br />
sie nicht gegen die Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland ergangen sind. Es entspricht aber<br />
<strong>de</strong>r Völkerrechtsfreundlichkeit <strong>de</strong>s Grundgesetzes, dass die Gerichte im Rahmen<br />
ihrer Bindung an Gesetz und Recht auch die Gewährleistungen <strong>de</strong>r EMRK und die<br />
Entscheidungen <strong>de</strong>s EGMR zu berücksichtigen haben. Dies hat in methodisch<br />
vertretbarer Gesetzesauslegung zu geschehen. Liegt <strong>de</strong>r Konventionsverstoß in<br />
<strong>de</strong>m Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts, so hat die zuständige Behör<strong>de</strong> die<br />
Möglichkeit, diesen schon nicht zu erlassen o<strong>de</strong>r - falls dies bereits geschehen ist -<br />
wie<strong>de</strong>r aufzuheben. Eine konventionswidrige Verwaltungspraxis kann geän<strong>de</strong>rt<br />
wer<strong>de</strong>n; die Pflicht dazu können Gerichte feststellen.<br />
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111,<br />
307, 323ff. - Görgülü.<br />
Der Auffassung <strong>de</strong>s EGMR, dass eine disziplinare Reaktion auf einen<br />
Beamtenstreik die EMRK verletzt, hätte <strong>de</strong>r Beklagte Rechnung tragen können und<br />
müssen. Zwar war er nach § 17 Abs. 1 LDG NRW gehalten, ein<br />
Disziplinarverfahren einzuleiten; <strong>de</strong>nn die Klägerin hatte ein Dienstvergehen<br />
begangen. Einer Disziplinarmaßnahme stan<strong>de</strong>n auch die §§ 14 und 15 LDG NRW<br />
nicht entgegen (§ 17 Abs. 2 LDG NRW). Das Disziplinarverfahren hätte aber nicht<br />
zum Erlass <strong>de</strong>r Disziplinarverfügung führen dürfen, son<strong>de</strong>rn nach § 33 Abs. 1 Nr. 4<br />
LDG NRW eingestellt wer<strong>de</strong>n müssen. Über diese Vorschrift hätte nach ihrem<br />
Wortlaut <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s EGMR zwanglos Rechnung getragen wer<strong>de</strong>n können:<br />
Eine Disziplinarmaßnahme war "aus sonstigen Grün<strong>de</strong>n", nämlich wegen<br />
Verstoßes gegen die EMRK, unzulässig.<br />
4. Die Disziplinarkammer teilt nicht die in <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung geäußerte<br />
Befürchtung <strong>de</strong>s Beklagten, die Unzulässigkeit <strong>de</strong>r disziplinarischen Ahndung von<br />
Verstößen gegen das Streikverbot wer<strong>de</strong> dazu führen, dass Beamte, insbeson<strong>de</strong>re<br />
Lehrer, künftig in erheblichem Umfang an Streikmaßnahmen teilnehmen und<br />
dadurch die Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>s öffentlichen Dienstes gefähr<strong>de</strong>n. Zum einen<br />
be<strong>de</strong>utet die Verpflichtung zur Berücksichtigung <strong>de</strong>r Rechtsprechung <strong>de</strong>s EGMR<br />
im Rahmen <strong>de</strong>s § 33 Abs. 1 Nr. 4 LDG NRW nicht, dass eine Streikteilnahme<br />
folgenlos bleibt. Denn abgesehen von <strong>de</strong>r möglichen beamtenrechtlichen<br />
Rechtsfolge <strong>de</strong>s Verlustes von Dienstbezügen (vgl. § 62 Abs. 2 LBG NRW, § 9<br />
BBesG), über die in diesem Verfahren nicht zu befin<strong>de</strong>n war, muss ein<br />
Disziplinarverfahren eingeleitet wer<strong>de</strong>n, das - etwa bei Unverhältnismäßigkeit <strong>de</strong>s<br />
Streiks - nicht zwangsläufig mit <strong>de</strong>r Einstellung en<strong>de</strong>t. Zum an<strong>de</strong>ren sind Beamte in<br />
beson<strong>de</strong>rer Weise verpflichtet, Verfassung und Gesetze zu befolgen (vgl. § 46<br />
30<br />
<strong>31</strong><br />
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33<br />
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Abs. 1 LBG NRW), unabhängig davon, ob die Nichtbefolgung sanktionsbewehrt ist.<br />
Daher muss davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n, dass sie das verfassungsrechtliche<br />
Streikverbot auch dann beachten, wenn ein Verstoß keine Disziplinarmaßnahme<br />
nach sich zieht. Welche rechtlichen Konsequenzen sich ergäben, wenn diese<br />
Annahme durch die künftige Entwicklung wi<strong>de</strong>rlegt wer<strong>de</strong>n sollte, bedarf hier<br />
keiner Entscheidung. Offen bleiben konnte auch, wie zu entschei<strong>de</strong>n gewesen<br />
wäre, wenn die Klägerin nicht Lehrerin, son<strong>de</strong>rn Angehörige einer <strong>de</strong>r in Art. 11<br />
Abs. 2 Satz 2 EMRK genannten Gruppen von Beamten gewesen wäre (vgl. oben<br />
3a).<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 1<br />
VwGO.<br />
Die Zulassung <strong>de</strong>r Berufung ist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW i.V.m. §§ 124a<br />
Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfolgt. Die Frage <strong>de</strong>r disziplinaren Ahndung<br />
<strong>de</strong>r Teilnahme eines Beamten an einem Streik nach <strong>de</strong>n einschlägigen<br />
Entscheidungen <strong>de</strong>s EGMR hat grundsätzliche Be<strong>de</strong>utung.<br />
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