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Kontext und Inhaltliches zu Ovids Metamorphosen

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<strong>Kontext</strong> <strong>und</strong> <strong>Inhaltliches</strong> <strong>zu</strong> <strong>Ovids</strong> <strong>Metamorphosen</strong><br />

Alessandra Widmer, 13.06.2010<br />

Rückfragen an: alessandra.widmer@stud.unibas.ch<br />

aus: P. Ovidius Naso: <strong>Metamorphosen</strong>. Lateinisch/ Deutsch. Nach der Überset<strong>zu</strong>ng von Michael Albrecht.<br />

NACHWORT. Stuttgart, Reclam: 1994.<br />

<strong>Ovids</strong> Leben<br />

- Die meisten Angaben <strong>zu</strong> <strong>Ovids</strong> Biographie sind der Tristia, seiner Autobiographie <strong>zu</strong><br />

entnehmen, die gewissermassen die erste bekannte Selbstdarstellung der europäischen<br />

Literatur ist.<br />

- *43 v. Chr. in Sulmo<br />

- Mitglied des italienischen Landadels (sein Vater war Ritter)<br />

- f<strong>und</strong>ierte rhetorische Ausbildung<br />

- <strong>Ovids</strong> Generation hat die Bürgerkriege <strong>und</strong> den Fall der Republik (43 v. Chr.) nicht<br />

(bewusst) miterlebt. Die durch Augustus ausgelöste Friedensperiode ist für Ovid ein<br />

Normal<strong>zu</strong>stand. <strong>Ovids</strong> Generation hat keine besonderen politischen Interessen.<br />

Wahrscheinlich verzichtet er auch deshalb freiwillig auf den cursus honorum, der<br />

enorm an Anziehungskraft eingebüsst hat <strong>und</strong> eher einer veralteten Beamtenlaufbahn<br />

gleicht.<br />

- Ovid entscheidet sich für den Beruf des Dichters, obschon sein Vater ihm davon abrät.<br />

Sein Vater rät ihm <strong>zu</strong>r rhetorischen Prosa, doch was Ovid schreibt, wird sofortig <strong>zu</strong>m<br />

Vers. Das soll nicht heissen, das Ovid ein Schnelldichter war, sondern dass sich sein<br />

Dichterwesen gegen die rationalen Ansichten durch<strong>zu</strong>setzen vermochte, wie dies in<br />

der Tristia geschildert wird.<br />

- Vorbilder/Kollegen: M. Valerius Messalla Corvinus (Ovid findet Zugang <strong>zu</strong> seinem<br />

Dichterkreis); Albius Tullibus (Zugang für Ovid <strong>zu</strong>r Liebeselegie, <strong>zu</strong>m eleganten<br />

Versbau)<br />

- Warum schreibt Ovid die amores (Liebeselegien): gesellschaftliche Gründe: Die<br />

Überordnung der Liebe führt <strong>zu</strong> einer Fokussierung des Privaten, bedeutet also eine<br />

Abwendung <strong>zu</strong>r früheren Gesellschaftsbezogenheit <strong>zu</strong> Zeiten der res publica.<br />

- Ovid trägt bereits Gedichte vor, als er sich kaum ein paar mal rasiert hat.<br />

- Werke: 1. Schaffensperiode<br />

¨ amores (Liebeselegien): Darst. von Liebessituationen<br />

¨ ars amatoria: Lebens- <strong>und</strong> Liebeskunst<br />

Ergän<strong>zu</strong>ng: remedia amoris: „Heilmittel gegen die Liebe“<br />

¨ Medea: (nicht mehr erhaltene) Tragödie<br />

- die erste Schaffensperiode zeigt bereits Parallelen <strong>zu</strong> den <strong>Metamorphosen</strong> (im<br />

Folgenden „Mm.“: psychologischer Zugang / Interesse für erotische Thematik /<br />

Systematisierung, Streben nach enzyklopädischer Vollständigkeit (in den amores) /<br />

Reduktion einer Handlung auf das Wesentliche <strong>und</strong> daraus heraus dramatische<br />

Entwicklung (in der Medea)<br />

- Werke: 2. Schaffensperiode:<br />

¨ <strong>Metamorphosen</strong><br />

¨ Fasti: elegische Darst. des römischen Festkalenders<br />

¨ Tristia (aus dem Exil in Tomi, vgl. unten)<br />

¨ Epistulae ex Ponto<br />

- 8. n. Chr. Ovid wird ins Exil auf die kulturlose Insel Tomi verbannt (ohne<br />

Gerichtsverfahren, auf kaiserliches Edikt): Die Gründe sind weitgehend unbekannt<br />

- Mögliche Gründe für <strong>Ovids</strong> Exil: Unsittlichkeit der ars amatoria (dagegen spricht die<br />

lange Zeitspanne zwischen Herausgabe der „Liebeskunst“ <strong>und</strong> dem Exil sowie die<br />

rege Rezeption; dafür spricht die Ehevorstellung von Augustus die mit der ars


Alessandra Widmer, 13.06.2010<br />

Rückfragen an: alessandra.widmer@stud.unibas.ch<br />

amatoria in Widerspruch stand); Ovid deutete mehrfach an, er habe etwas<br />

„Verbotenes“ gesehen, er wurde vielleicht Mitwisser, Zeuge eines Skandals (allenfalls<br />

das unsittliche Verhalten einer Dame des Kaiserhauses oder eine Intrige durch<br />

Agrippa Postumus, Augustus’ Enkel; für eine Intrige spricht, dass Augustus’<br />

Nachfolger <strong>und</strong> Stiefsohn Tiberius so hartnäckig am gesprochenen Urteil festhielt)<br />

Inhalt <strong>und</strong> Aufbau der <strong>Metamorphosen</strong><br />

- 15 Bücher, ca. 250 Sagen, die grösstenteils Verwandlungsgeschichten <strong>und</strong> lose<br />

miteinander verb<strong>und</strong>en sind<br />

- Anspruch auf Chronologie<br />

- die Sagen sind zwar lose verknüpft, sind aber systematisch miteinander verknüpft<br />

(Themenblöcke), die Bücher stellen jedoch keine sinnvolle Trennung dar.<br />

- Proömium <strong>und</strong> Epilog bzw. generell das erste <strong>und</strong> letzte Buch vertreten eher eine<br />

naturwissenschaftliche Weltsicht (vgl. bspw. die Weltzeitalter), ansonsten st das Werk<br />

„mythisch“ gehalten<br />

Gattungen, Quellen, Vorbilder der <strong>Metamorphosen</strong><br />

- episches Versmass: streng gesehen handelt es sich bei den Mm. also um ein Epos.<br />

Dafür spricht auch die Idee des fortlaufenden Gedichts, des „carmen perpetuum“<br />

- Jedoch sind die Mm. nicht sehr objektiv, symmetrisch aufgebaut oder wahren die<br />

Würde die Götter (wie für das Epos üblich): Der Einfluss der Elegie (bei Ovid:<br />

psychologisch, subjektiv, gefühlsbetont) ist nicht <strong>zu</strong> unterschätzen.<br />

- andere Gattungen: Kleinepik; Lehrgedicht; Idyll (Kurzgedicht; urspr. poet. erweiterte<br />

Inschrift); Rede bzw. Monolog (Ovid erfuhr ja eine f<strong>und</strong>ierte rhet. Ausbildung);<br />

Universal- oder Weltgeschichte: Ovid verquickt alle diese Vorbilder miteinander<br />

(spielerischer Umgang mit Gattungen)<br />

- <strong>Ovids</strong> Umgang mit inhaltlichen Vorlagen: Ovid hält sich nicht sklavisch an die<br />

Vorlagen; Künstlerische Selbstständigkeit zeigt sich bei ihm durch die Transformation<br />

versch. Inhalte, Momente, Fokussierungen etc.; wahrscheinlich nutzte er auch ein<br />

mythographisches Handbuch<br />

Literarische Technik in den <strong>Metamorphosen</strong><br />

- Gr<strong>und</strong>züge von <strong>Ovids</strong> Erzählkunst:<br />

¨ Beginn <strong>und</strong> Schluss einer Geschichte unterscheiden sich meist drastisch in<br />

Be<strong>zu</strong>g auf das Erzähltempo: Die Geschichte beginnt bspw. mit einer<br />

breiten Landschaftsdarstellung <strong>und</strong> konzentriert sich dann immer intensiver<br />

auf den Helden oder die Heldin (vgl. auch Anwendung der Tempi:<br />

dramatisches Präsens, historisches Perfekt)<br />

¨ Spannungssteigerung durch retardierende Momente<br />

¨ Verwendung von Vergleichen<br />

¨ Monologe als Innensicht in die Figuren<br />

¨ schneller Spannungsabfall <strong>zu</strong>m Schluss<br />

¨ psychologische Durchdringung der Figuren<br />

¨ Nennung bzw. explizit-Machen des Gr<strong>und</strong>themas (Liebe, Götterzorn etc.)<br />

¨ tragische Ironie<br />

¨ Wechselspiel zwischen Distanzierung <strong>und</strong> Einfühlung<br />

¨ Darstellung der allmählichen Übergänge während der Verwandlung <strong>und</strong><br />

ebenso zwischen zwei Sagen


Alessandra Widmer, 13.06.2010<br />

Rückfragen an: alessandra.widmer@stud.unibas.ch<br />

¨ Parallelen <strong>zu</strong>m Film: Ovid beschreibt nicht – wie <strong>zu</strong> dieser Zeit üblich –<br />

eher statisch, sondern überwindet ebendies.<br />

¨ generell: Dichterische Erfindungskraft<br />

Gedankliches in den <strong>Metamorphosen</strong><br />

- Transformation des üblichen dichterischen Topos des dreigeteilten Weltbildes<br />

(Himmel, Erde, Unterwelt): Verquickung mit wissenschaftlicheren Theorien.<br />

- Für den antiken Menschen ist das Weltbild gleichsam „Theologie“: Es werden 3 Arten<br />

der Theologie unterschieden: diejenige der Dichter (die mythische); diejenige der<br />

Philosophen (die „wahre“ naturwissenschaftliche) <strong>und</strong> diejenige der Bürgerschaft (die<br />

„Staatsreligion“). Zwar hatte die zweite den höchsten Wahrheitsanspruch, jedoch<br />

wurde vor allem auch die mythische Weltanschauung nicht ganz aus dem Denken<br />

verbannt. Der Mythos war gleichsam „Schatz typischer Situationen <strong>und</strong><br />

Schicksalsverläufe, die auch unabhängig von Religion <strong>und</strong> Philosophie Aussagen über<br />

den Menschen <strong>und</strong> seine Welt ermöglichten.“ (S. 983)<br />

- Ovid stellt das mythische in einen physikalischen <strong>und</strong> historisch-politischen Rahmen<br />

- auch die vorherrschenden mythischen Teile der Mm. sind jedoch mit Natur <strong>und</strong><br />

Geschichte verb<strong>und</strong>en: Die Verwandlungen umfassen vor allem Körper <strong>und</strong> Dinge,<br />

die wiederum <strong>zu</strong>r Umwelt beitragen (vgl. bspw. Echo). Mensch <strong>und</strong> Umwelt prägen<br />

sich gegenseitig.<br />

- Die Mm. wollen nicht philosophisch-dogmatisch sein, sondern lebensphilosophisch.<br />

- Zusammenhang Erotik <strong>und</strong> Mm.: Es geht vor allem auch um die Darstellung des<br />

bipolaren Verhältnisses zwischen Eros (Liebestrieb) <strong>und</strong> Thanatos (Todestrieb). Über<br />

dieser Beziehung des Werdens <strong>und</strong> Vergehens steht die Metamorphose („Alles<br />

wandelt sich, nichts geht unter.“) In diesem Sinne sind die Mm. ein Weltgedicht, sie<br />

handeln von der sichtbaren Welt.<br />

Fortwirken <strong>und</strong> Bedeutung der <strong>Metamorphosen</strong><br />

- Mittelalter: Lektüre der Mm. vor allem aus naturwissenschaftlichem Interesse<br />

- Neuzeit: Mm. sind „F<strong>und</strong>grube“ für die auch noch heute berühmte Stoffe für die<br />

Poesie <strong>und</strong> die bildende Kunst (Einzelsagen wie Philemon <strong>und</strong> Baucis etc.)<br />

- Gegenwart: enorme Einflüsse auf bildende Kunst (Rodin, Dalí etc.)<br />

- Die psychologische Durchdringung der <strong>Metamorphosen</strong> (so ist Orpheus<br />

beispielsweise <strong>zu</strong>allererst Liebender, dann Künstler <strong>und</strong> dann Philosoph) ermöglichte<br />

eine breite Rezeption in allen Epochen (mit anderen religiösen Vorstellungen <strong>und</strong><br />

politischen Einstellungen). So werden auch die Einzelsagen heute vorwiegend auf das<br />

Menschliche reduziert. Das Theologische Moment wird zwar verdrängt, aber nicht<br />

gänzlich aufgelöst (Verlagerung von der theologischen auf die anthropologische<br />

Ebene). Gleichsam spielt auch das politische Moment eine kleine Rolle (die<br />

Huldigungen des Augustus sind für diese Zeit äusserst üblich) – Ovid ist also kein<br />

Widerstandskämpfer.<br />

- Rezeption, Transformation der Mm.: Die Gr<strong>und</strong>züge der Handlung scheinen fest, der<br />

Künstler kann aber bspw. die psychologische Motivation anpassen<br />

- die säkularisierte Welt verschiebt die religiöse Ersatzfigur „Dichter Ovid“ <strong>zu</strong>r<br />

göttlichen Gestalt. Auch dies ist bereits in den Mm. angelegt.

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