EPIKUR und die Geschichte der Philosophie ... - UK-Online
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Epochen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>EPIKUR</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
(ERÖFFNUNG DES <strong>EPIKUR</strong>-SEMINARS am 2. 4. 2012)<br />
ANTIKE (von 800 v. Chr. - 500 n. Chr.)<br />
MITTELALTER (500-1500),<br />
NEUZEIT<br />
EINORDNUNG <strong>EPIKUR</strong>S IN DIE GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE:<br />
- um 800 v. Chr. Homer, Ilias <strong>und</strong> Odyssee Mythos (= Wort, Rede, Sage, Erzählung)<br />
- um 700 v. Chr. Hesiod, Theogonie (Lehre von Entstehung <strong>und</strong> Abstammung <strong>der</strong><br />
Götter), „Werke <strong>und</strong> Tage“ (Erga), Textgattung: Lehrgedicht<br />
- Die GEBURT DER PHILOSOPHIE läßt sich kennzeichnen als das allmähliche Ü-<br />
berwinden, Verdrängen o<strong>der</strong> Ersetzen des Mythos durch eine an<strong>der</strong>e Denkform. Am<br />
Anfang stehen in <strong>die</strong>ser Entwicklung <strong>die</strong> „Weisen“ (sophoi) aus dem 6. <strong>und</strong> 5. Jh.<br />
v.Chr., <strong>die</strong> in <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> als „Vorsokratiker“ bezeichnet werden,<br />
von denen nur Fragmente erhalten sind. Wie zugänglich?<br />
H. Diels/W. Kranz (Hg.): Die Fragmente <strong>der</strong> Vorsokratiker, griech-dt., 3 Bde.,<br />
Berlin 9 1960. (abgek.: DK)<br />
Die Ursprünge <strong>der</strong> neuen, sich allmählich vom Mythos entfernenden Denkweise liegen<br />
in Kleinasien <strong>und</strong> Unteritalien: <strong>die</strong> ionische Handelsstadt Milet, Zentrum des wirtschaft-<br />
lichen <strong>und</strong> kulturellen Austausches in Großgriechenland, ist <strong>die</strong> Heimat von THALES,<br />
ANAXIMANDER <strong>und</strong> ANAXIMENES.<br />
1) THALES von Milet (um 625-545) ist <strong>der</strong> älteste <strong>der</strong> SIEBEN WEISEN (sophoi). Er soll<br />
viel gereist sein <strong>und</strong> so mathematische <strong>und</strong> astronomische Kenntnisse mitgebracht ha-<br />
ben; je<strong>der</strong> bedeutende Mann mußte weit herumgekommen sein, weil „Wissen“ hier<br />
noch mit <strong>der</strong> Fülle konkreter Lebenserfahrung zusammenhängt. Aristoteles sah in Tha-<br />
les den ersten „Physiker“ (i. S. von Natur-Philosoph, physikos), weil er nach einem<br />
Prinzip bzw. Gr<strong>und</strong>element aller Dinge gefragt habe. Diesen Urgr<strong>und</strong> o<strong>der</strong> Ursprung<br />
(arché) habe er im WASSER gesehen. Eine weitere bekannte These des Thales (neben<br />
dem „Satz des Thales“) war: „Alles ist voller Götter!“ Er symbolisiert den Anfang <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong>.
2<br />
2) ANAXIMANDER von Milet, <strong>der</strong> <strong>die</strong> Erde für den Mittelpunkt des Kosmos hielt, glaub-<br />
te, <strong>die</strong> Menschen hätten sich aus primitiveren Organismen entwickelt. Seine Schrift<br />
ÜBER DIE NATUR (peri physeos) ist <strong>die</strong> erste, uns bekannte griechische Prosaschrift.<br />
Das Denken wird nüchterner. Aus jener Schrift ist ein einziges Fragment überliefert, das<br />
als ältestes Zeugnis <strong>der</strong> europäischen <strong>Philosophie</strong> gilt: „Woraus aber <strong>die</strong> Dinge ihre Ent-<br />
stehung haben, dahin geht auch ihr Vergehen nach <strong>der</strong> Notwendigkeit. Denn sie zahlen<br />
einan<strong>der</strong> Strafe <strong>und</strong> Buße für ihre Ungerechtigkeit (vgl. später Politeia X) nach <strong>der</strong> Ord-<br />
nung <strong>der</strong> Zeit.“ Das Woraus (arche) <strong>der</strong> Dinge nannte er das APEIRON, das Grenzenlo-<br />
se <strong>und</strong> Unbestimmte/Unerfahrbare, aus dem alles Werden in unendlicher Bewegung<br />
entsteht.<br />
3) Für ANAXIMENES (um 585-525 v.Chr.) war <strong>die</strong>s Urprinzip <strong>die</strong> Luft, aus dem<br />
durch Verdünnung <strong>und</strong> Verdichtung, Erwärmung <strong>und</strong> Kälte <strong>der</strong> Kosmos entsteht<br />
<strong>und</strong> vergeht.<br />
4) PYTHAGORAS (um 530): seine Gestalt ist kaum greifbar; <strong>die</strong> Lehre wurde lange<br />
Zeit nur mündlich weitergegeben. Er erlangte als Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schule <strong>der</strong> Py-<br />
thagoreer eine große Bedeutung für das frühe griechische Denken, da sich hier eine<br />
neue, mathematisch-symbolische Weltdeutung herausbildete. Er initiierte in Kroton<br />
(Unteritalien) eine auf strengen Gr<strong>und</strong>sätzen beruhende Lebensgemeinschaft. Im<br />
Mittelpunkt <strong>der</strong> pythagoreischen Lehre steht das Weiterleben <strong>der</strong> Seele, für <strong>der</strong>en<br />
Heil eine bewußte, auf Mäßigung ausgerichtete Lebensweise notwendig schien. Auf<br />
<strong>die</strong> Pythagoreer hat offenbar <strong>die</strong> Orphik, eine Seelenwan<strong>der</strong>ungslehre aus Thrakien,<br />
beson<strong>der</strong>en Einfluß.<br />
Neu ist <strong>die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Mathematik, genauer: <strong>der</strong> Symbolik von Zahlen, in de-<br />
nen <strong>die</strong> nicht vor Augen liegende Wirklichkeit, <strong>die</strong> Wahrheit, entdeckt werden<br />
könnte. Man ging davon aus, daß <strong>die</strong> Sprache, in <strong>der</strong> <strong>die</strong> Götter miteinan<strong>der</strong> rede-<br />
ten, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Zahl war. Die neuen Wahrheiten ließen sich aus mathematischen<br />
Gr<strong>und</strong>sätzen ableiten. Die hl. Zahl 10 <strong>und</strong> ihre Proportionen gelten zugleich als ge-<br />
ordnetes Gr<strong>und</strong>verhältnis des gesamten Kosmos, <strong>der</strong> sich aus 5 Gegensatzpaaren<br />
aufbaut (Ungerades-Gerades, Männliches-Weibliches; Licht-Dunkel; Gutes-<br />
Schlechtes). Die Vorstellung <strong>der</strong> Sphärenharmonie, einer unhörbaren, durch <strong>die</strong><br />
Planetenbewegung verursachten harmonischen Musik des Alls, stammt von den Py-<br />
thagoreern. Die auf <strong>die</strong>se Ordnung gerichtete Betrachtung nennen sie „Theorie“<br />
(theoria von thea = Schau, <strong>und</strong> oran = sehen). Sie sehen im Kosmos Ähnlichkeiten<br />
bzw. Entsprechungen zu dem Verhältnis von Zahlen <strong>und</strong> leiten daraus eine Ord-<br />
nung des Ganzen her.
3<br />
5) XENOPHANES von Kolophon (Unteritalien; um 570): Einige Fragmente bezeugen<br />
eine radikale Kritik an <strong>der</strong> religiösen Vorstellungswelt seiner Zeit, an <strong>der</strong> Ver-<br />
menschlichung (Anthropomorphismus) <strong>der</strong> Götter bei Homer <strong>und</strong> Hesiod <strong>und</strong> im<br />
Volksglauben überhaupt. Damit lehnt er <strong>die</strong> wichtigste Voraussetzung des mytholo-<br />
gischen Denkens ab <strong>und</strong> entwickelt statt dessen einen offenbar schon weitgehend<br />
nichtanschaulichen Gottesbegriff: „ein einziger Gott, unter Göttern <strong>und</strong> Menschen<br />
<strong>der</strong> Größte, we<strong>der</strong> an Aussehen den Sterblichen ähnlich noch an Gedanken.“<br />
6) HERAKLIT VON EPHESUS (540-475) versteht <strong>die</strong> Welt als Einheit von Gegen-<br />
sätzen: „Kampf ist <strong>der</strong> Vater von allem: <strong>die</strong> einen macht er zu Göttern, <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en<br />
zu Menschen, <strong>die</strong> einen zu Sklaven, <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en zu Freien. Aus dem Welt- o<strong>der</strong><br />
Schicksalsprinzip des Kampfes <strong>und</strong> Gegensatzes aller Dinge entsteht eine Ordnung,<br />
ein Kosmos. Seine dynamische Weltsicht sucht Gegensätzlichkeit <strong>und</strong> Einheit alles<br />
Geschehens zu fassen. Das Dasein ist bewegt <strong>und</strong> ewigen Wechsel unterworfen<br />
(„PANTA RHEI“, alles fließt). Auch Heraklit kritisiert <strong>die</strong> anthropomorphe Got-<br />
tesvorstellung <strong>und</strong> stellt <strong>die</strong>ser – bahnbrechend -- <strong>die</strong> Idee einer göttlichen Weltver-<br />
nunft, des LOGOS, gegenüber, <strong>der</strong> hinter <strong>und</strong> in allem Geschehen ist. An an<strong>der</strong>en<br />
Stellen spricht er von einem göttlichen (Ur-) Feuer, das sich in alles verwandelt<br />
<strong>und</strong> doch mit allem identisch ist. Zur Wahrheit sagt er: „Die Wahrheit können wir<br />
nicht vergessen, weil sie nie untergeht. Und doch verbirgt sie sich.“<br />
7) Für PARMENIDES VON ELEA (um 540) stand das Problem des Werdens <strong>und</strong><br />
Vergehens bzw. des Ursprungs, des Seins im Mittelpunkt. In seiner neuartigen Lö-<br />
sung stellt er Gewohnheit <strong>und</strong> Vernunft gegenüber. Erstere urteilt nach <strong>der</strong> „ziello-<br />
sen“, immer wechselnden Erfahrung <strong>der</strong> Sinne; <strong>die</strong> Einsicht <strong>der</strong> Vernunft argumen-<br />
tiert logisch <strong>und</strong> gegen alle Erfahrung. Folgenreich problematisiert Parmenides das<br />
Verhältnis von Erfahrung <strong>und</strong> Denken gr<strong>und</strong>sätzlich, wobei er unter „Erfahrung“<br />
sowohl <strong>die</strong> unmittelbare Sinneswahrnehmung als auch „Meinung“ (doxa), d.h. hier:<br />
den Bestand <strong>der</strong> überlieferten Volksreligion, versteht. Die alltägliche Erfahrung des<br />
Werdens wird als trügerisch bezeichnet.<br />
Aus dem Gr<strong>und</strong>satz „Aus Nichts kann Nichts werden“ folgert Parmenides: Das<br />
Sein muß schon immer gewesen sein <strong>und</strong> auch immer Eines bzw. eine Einheit ge-<br />
wesen sein, sonst müßte wie<strong>der</strong> aus einem Vakuum Etwas o<strong>der</strong> ein Mehr hinzuge-<br />
kommen sein. Der Gedanke des Nichts selbst ist <strong>und</strong>enkbar <strong>und</strong> kann es nicht ge-<br />
ben. Immer denken wir notwendig „Etwas“, ein Sein. Sein <strong>und</strong> Denken sind also<br />
untrennbar. Dieses Sein ist ebenso notwendig, d.h. kann sich nie an<strong>der</strong>s verhalten,<br />
ist ungeworden, unteilbar, zeitlos, ewig. „Man muß notwendigerweise sagen <strong>und</strong><br />
denken, daß das Seiende ist.“ Dies ist für Parmenides das Eine. Dieser Seinsbegriff<br />
bildet <strong>die</strong> genaue Gegenposition zu Heraklit. ZENON (mit seinem Verfahren des<br />
indirekten Beweises) <strong>und</strong> MELISSOS haben Parmenides´ Lehre gegen Einwände<br />
verteidigt.
4<br />
8) Von EMPEDOKLES (um 490 in Akragas auf Sizilien), <strong>der</strong> um 450 wirkte, ist ein<br />
Fragment <strong>der</strong> Schrift Über <strong>die</strong> Natur erhalten. Bedeutsam wurde seine Lehre von<br />
den 4 Elementen, <strong>die</strong> er <strong>die</strong> „Wurzeln aller Dinge“ nannte. Alles Dasein sei durch<br />
Mischung <strong>und</strong> Trennung <strong>die</strong>ser Elemente <strong>und</strong> den Kampf von „Liebe“ <strong>und</strong> „Haß“<br />
entstanden <strong>und</strong> gehe in periodischen Zyklen wie<strong>der</strong> zugr<strong>und</strong>e. Auch hier findet sich<br />
<strong>die</strong> dynamische Polarität zweier Gr<strong>und</strong>kräfte als Basis <strong>der</strong> Ordnung des Kosmos.<br />
9) ANAXAGORAS von Klazomenai in Kleinasien (um 500-428); mit ihm vollzieht<br />
sich <strong>der</strong> ÜBERGANG DER PHILOSOPHIE von Kleinasien nach ATHEN, wo<br />
er 30 Jahre im Umfeld des Perikles lebte. Seine kritische Einstellung hat Athens<br />
geistiges Klima nachhaltig beeinflußt. Da Anaxagoras behauptete, <strong>die</strong> Sonne sei<br />
nichts als eine glühende Gesteinsmasse, wurde er <strong>der</strong> Asebie, <strong>der</strong> Leugnung <strong>der</strong><br />
Staatsgötter, angeklagt <strong>und</strong> 434 verbannt. Folgendes Fragment seiner Schrift Über<br />
<strong>die</strong> Natur ist erhalten:<br />
„Kein Ding entsteht o<strong>der</strong> vergeht, son<strong>der</strong>n es setzt sich aus vorhandenen<br />
Dingen zusammen o<strong>der</strong> löst sich in solche auf. Richtigerweise sollte man al-<br />
so statt Entstehen „Zusammensetzung“ <strong>und</strong> statt Vergehen „Auflösung“ sa-<br />
gen.“ (W. Nestle, Die Vorsokratiker, Wiesbaden 1956, 143).<br />
An<strong>der</strong>s als Empedokles <strong>und</strong> <strong>die</strong> ionischen Naturphilosophen nimmt er nicht eine<br />
bestimmte Zahl von Elementen an, son<strong>der</strong>n eine unendliche Vielfalt unendlich teil-<br />
barer Stoffe. ALLES IN ALLEM lautet daher ein Gr<strong>und</strong>satz.<br />
Bedeutsam wurde er durch seine Lehre vom GEIST (NOUS):<br />
„Der Geist ist etwas Unendliches <strong>und</strong> Selbstherrliches <strong>und</strong> ist mit keinem Ding vermischt“<br />
Geist bedeutet soviel wie „Denkkraft“. Anaxagoras begreift ihn als Urheber des<br />
Kosmos, <strong>der</strong> „von jeglichem Ding jegliche Erkenntnis besitzt“. Dieser ist aber nicht<br />
als Person, son<strong>der</strong>n unpersönlich, eher materiell gedacht. „Der Geist ist das feinste<br />
<strong>und</strong> reinste von allen Dingen“. Aristoteles lobt ihn als „nüchtern“ im Vergleich zu<br />
den „aufs Geratewohl redenden früheren Philosophen“(Aristoteles, Metaphysik I 3)<br />
<strong>und</strong> bezieht sich in <strong>der</strong> Nous-Konzeption ausdrücklich auf Anaxagoras‘ Theorie<br />
vom „unvermischten Geist.“
5<br />
10) LE<strong>UK</strong>IPP <strong>und</strong> DEMOKRIT von Ab<strong>der</strong>a (Thrakien) begründen <strong>die</strong> Lehre von den<br />
ATOMEN. Diese „ältere“ ATOMISTIK (im Unterschied zu Epikur <strong>und</strong> Lu-<br />
krez) versucht am konsequentesten, das Ganze des Kosmos mit nicht-<br />
mythologischen Begriffen zu fassen.<br />
Für DEMOKRIT (um 460-370) besteht <strong>die</strong> Welt aus zahllosen kleinsten, nicht<br />
weiter teilbaren Elementen, sogenannten Atomen (atomon = das Unteilbare), <strong>die</strong><br />
sich nur in Gestalt, Lage <strong>und</strong> Gruppierung unterscheiden. Sie werden als feste<br />
Seinspartikel angesehen. Ihnen steht als zweites notwendiges Gr<strong>und</strong>prinzip das<br />
LEERE gegenüber, das Vakuum, <strong>der</strong> leere Raum. Durch Druck <strong>und</strong> Stoß verbin-<br />
den sie sich zu Körpern <strong>und</strong> lösen sich wie<strong>der</strong> auf. So bilden sich „unzählige Wel-<br />
ten in den unendlichen Leeren aus zahllosen Atomen“.<br />
In Wirklichkeit wissen wir nichts. Denn alles, was wir wahrnehmen, ist nur<br />
„durch Gewohnheit wahr“. Verschiedene Gewohnheiten schaffen verschiedene<br />
Sinnwelten; doch <strong>die</strong> eigentliche Wahrheit <strong>und</strong> „in Wirklichkeit“ gibt es nur<br />
„Atome <strong>und</strong> das Leere“. Personen existieren nur „durch Übereinkunft“. Alle ge-<br />
wöhnlichen Gegenstände sind ausschließlich aus einfachen Atomen zusammenge-<br />
setzt. Da es keinen unmöglichen Regreß <strong>der</strong> Teile geben konnte, muß es absolut<br />
einfache Einheiten (Atome) geben, denen <strong>die</strong> Eigenschaften des aus ihnen Zusam-<br />
mengesetzten fehlen. Die Atomistik formuliert also erstmals ein durchgängig me-<br />
chanisches bzw. kausales Weltbild nach dem Gesetz von Ursache <strong>und</strong> Wirkung.<br />
Diese Lehre hat auch eine praktische Seite, da <strong>der</strong> Mensch als „Kosmos im Klei-<br />
nen“ (Mikrokosmos) aufgefaßt wird: Wie dessen Ordnung durch das richtige Ver-<br />
hältnis seiner Teile gewährleistet ist, so auch in <strong>der</strong> Lebensführung durch das „rech-<br />
te Maß“, <strong>die</strong> „rechte Mitte“, als Balance zwischen dem Streben nach Lust <strong>und</strong> Ver-<br />
meiden von Unlust als menschlichen Gr<strong>und</strong>verhaltensweisen. Ein so vernünftiger<br />
Mensch ist „weise“; vor Göttern <strong>und</strong> Dämonen braucht er sich nicht zu fürchten.<br />
11. Die SOPHISTEN (sophistas) waren ursprünglich k<strong>und</strong>ige Männer, <strong>die</strong> in einer Sa-<br />
che über beson<strong>der</strong>e Erfahrungen <strong>und</strong> Kenntnisse verfügten. Die Sophistik kann man<br />
charakterisieren durch eine Hinwendung zum Menschen. Die Sophisten waren ih-<br />
rem Selbstverständnis nach eine Art Wan<strong>der</strong>lehrer gegen Bezahlung in Sachen<br />
Weisheit. Sie traten vorwiegend in Großstädten auf. Dies ist <strong>der</strong> Anfang des<br />
Lehrberufs. In <strong>der</strong> Sophistik bedeutete <strong>Philosophie</strong> soviel wie rationale Weltauf-<br />
fassung, wissenschaftliche Betätigung überhaupt bzw. Bildung, <strong>die</strong> man gegen Be-<br />
zahlung erhalten kann.
6<br />
12) SOKRATES (um 470-399): Er ist hauptsächlich durch Platons Dialoge, durch den<br />
Bericht Xenophons <strong>und</strong> einige Stellen bei Aristoteles faßbar. Sokrates verkörpert<br />
einzigartig eine Einheit von <strong>Philosophie</strong> <strong>und</strong> Leben. Als Sohn eines Bildhauers <strong>und</strong><br />
einer Hebamme war zunächst selbst Bildhauer, dann bestand aber seine eigentliche<br />
Tätigkeit im Umgang mit seinen Mitbürgern, <strong>die</strong> er in ein Gespräch verwickelte. In<br />
<strong>die</strong>ser Fähigkeit, im Zwiegespräch durch geschicktes Fragen <strong>die</strong> Wahrheit gemein-<br />
sam zu suchen, besteht <strong>die</strong> sog. SOKRATISCHE METHODE; er selbst nannte sie<br />
auch HEBAMMENKUNST: durch Fragen dem Gesprächspartner gleichsam Ge-<br />
burtshilfe zu leisten beim Gebären einer Wahrheit, <strong>die</strong> in ihm steckt, <strong>der</strong>er er sich<br />
aber noch nicht (o<strong>der</strong> nur scheinbar) bewußt war. Denn Sokrates behauptet von sich<br />
keineswegs, <strong>die</strong> Wahrheit zu besitzen. Im Gegenteil liegt seine Weisheit gerade in<br />
dem „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ (Apol. 21c-d). In <strong>die</strong>sem Wissen um das eige-<br />
ne Nichtwissen besteht seine eigentümliche Überlegenheit. Sokrates, indem er nach<br />
dem Guten fragt, for<strong>der</strong>t den antiken Menschen zum Zweifel, zur Prüfung auf. Er<br />
vertraut auf seine eigene Vernunft, sein eigenes „Göttliches“ (daimonion), das er in<br />
sich fühlt, sein eigenes „Gewissen“. 399 wurde er wegen Atheismus <strong>und</strong> Verfüh-<br />
rung <strong>der</strong> Jugend angeklagt <strong>und</strong> für schuldig bef<strong>und</strong>en. Seine Verteidigungsrede sind<br />
in Platons Apologie <strong>und</strong> Phaidon dargestellt.<br />
Sokrates‘ Anliegen ist wesentlich auf <strong>die</strong> „Praxis“, das „richtige Leben“ ausgerich-<br />
tet, er ist also an „ethischen Fragen“ interessiert, aber nicht im Sinne einer philoso-<br />
phischen Fachdisziplin, son<strong>der</strong>n als lebendiges <strong>Philosophie</strong>ren über den Menschen.<br />
Sokrates beläßt es im Unterschied zu den Sophisten nicht bei <strong>der</strong> Einsicht in <strong>die</strong> Re-<br />
lativität verschiedener Ansichten, etwa über „gutes Handeln“. Sein Fragen geht wei-<br />
ter nach dem Wesen des Guten, <strong>der</strong> „Tapferkeit“, <strong>der</strong> „Tugend“ in ihren verschie-<br />
denen konkreten Äußerungsformen. Indem er <strong>die</strong> „Was-ist-Frage stellt, z.B. fragt:<br />
„Was ist das Fromme?“, indem er „den Begriff selbst sucht, durch welchen alles<br />
Fromme fromm ist“, hat er eine geschichtlich neue Abstraktionsebene des Denkens<br />
erreicht. Aristoteles sieht daher in seinem Versuch, „allgemeine Definitionen aufzu-<br />
stellen“, Sokrates‘ wesentliche Leistung.<br />
Er bekämpfte <strong>die</strong> Sophistik als Hauptgegner von Platons eigener philosophischen<br />
Position <strong>und</strong> entwickelte einen ganz neuen Begriff von <strong>Philosophie</strong> als ein STRE-<br />
BEN nach Weisheit als das höchste, wozu <strong>der</strong> Mensch überhaupt gelangen kann.<br />
Ohne sie kann es kein richtiges Erkennen <strong>und</strong> Handeln geben. Da nur <strong>die</strong> Philoso-<br />
phie einen Ausweg aus <strong>der</strong> Krise des Staates zeigen kann, müssen <strong>Philosophie</strong> <strong>und</strong><br />
Staatsherrschaft durch das Philosophen-Königtum zusammenfallen. <strong>Philosophie</strong> ist<br />
für Sokrates keine einseitige theoretische Tätigkeit, son<strong>der</strong>n ein den ganzen Men-<br />
schen umfassendes, sein ganzes Leben ergreifendes Streben nach Erkenntnis.
7<br />
Aus Sokrates´ Anhängerkreis haben sich zwei Schulen gebildet: <strong>die</strong> KYRENAIKER <strong>und</strong><br />
<strong>die</strong> KYNIKER. In beiden steht <strong>die</strong> richtige Lebensführung im Mittelpunkt, es ging jeweils<br />
um <strong>die</strong> inhaltliche Bestimmung des Guten, <strong>die</strong> aber völlig entgegengesetzt ausfiel.<br />
13) ARISTIPP von Kyrene ging das Gr<strong>und</strong>problem des Sokrates mit Mitteln <strong>der</strong> da-<br />
maligen Psychologie an: Wenn es im Menschen 2 Gr<strong>und</strong>empfindungen gibt, Lust<br />
<strong>und</strong> Unlust, besteht das „Richtig-Leben“ im Empfinden von Lust <strong>und</strong> Vermeiden<br />
von Unlust. „Ziel ist <strong>die</strong> einzelne Lust (hedone), Glück ist <strong>die</strong> Summe aller Lust-<br />
empfindungen“ (HEDONISMUS). Dieser wirkte in <strong>der</strong> Lehre <strong>EPIKUR</strong>s fort.<br />
14) Die KYNIKER (kynas = H<strong>und</strong>) machten als Bettlerphilosophen Bedürfnislosigkeit<br />
zu ihrem höchsten Prinzip <strong>und</strong> lebten in äußerst ärmlichen Umständen. So z.B. An-<br />
tisthenes o<strong>der</strong> Diogenes von Sinope, <strong>der</strong> als Zeitgenosse Alexan<strong>der</strong>s des Großen in<br />
einem Faß lebte. Diese individualistische, negativ gefaßte Freiheit wurde von <strong>der</strong><br />
Stoa weiterentwickelt.