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Gerda Henkel Stiftung, Jahresbericht 2005

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SIBILLA ERITHEA BABILONICA. PAPSTTUM<br />

UND PROPHETIE IM 13. JAHRHUNDERT STIPENDIAT Dr. Christian Jostmann, Bielefeld<br />

FÖRDERUNG Promotionsstipendium | Die <strong>Gerda</strong> <strong>Henkel</strong> <strong>Stiftung</strong> unterstützte das<br />

Dissertationsvorhaben durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums<br />

und die Übernahme von Reisekosten und stellte im Berichtsjahr einen<br />

Druckkostenzuschuss für die Veröffentlichung der Dissertation zur Verfügung.<br />

Abbildung der erythraeischen Sibylle aus der Handschrift<br />

Verona, Biblioteca Civica, Verona, 2845,<br />

die der Veroneser Humanist Felice Feliciano Mitte<br />

des 15. Jahrhunderts anfertigen ließ. Die Sibylle<br />

übergibt einem Griechen das Buch mit ihren Weissagungen.<br />

Apokalypsen und Prophezeiungen prägten die mittelalterliche Kultur und zirkulierten<br />

von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit in hoher Zahl. Besonders prominent<br />

waren die Sibyllen, die unter dem Rückgriff auf Überlieferungen aus der Antike die<br />

Weltgeschichte bis zu ihrem antizipierten Ende in prophetischer Form darstellten.<br />

Obwohl die Bedeutung dieser Texte für die alteuropäische Vorstellungswelt anerkannt<br />

ist, sind Anlass und Umstände ihrer Entstehung, ihre Text- und Rezeptionsgeschichte<br />

sowie der Sinn von Prophetie überhaupt bislang kaum erforscht.<br />

Dr. Christian Jostmann hat in seinem Dissertationsvorhaben die »Sibilla Erithea<br />

Babilonica« untersucht, einen mittelalterlichen Weissagungstext, der in mehreren<br />

Versionen seit dem 13. Jahrhundert überliefert ist und der den Aufstieg und Fall Konstantinopels<br />

sowie das Schicksal der Staufer beschreibt. Dabei hat sich Dr. Jostmann<br />

zunächst mit der modernen historischen Forschung zur Sibilla Erithea auseinandergesetzt<br />

und das bislang gültige Modell dekonstruiert, demzufolge die Schrift das<br />

Produkt einer marginalen, auf den Theologen Joachim von Fiore zurückgehenden<br />

ideologischen Strömung ist, innerhalb derer eine ältere Weissagung griechischer Provenienz<br />

für diskursive Zwecke überarbeitet wurde. Für die Herstellung einer soliden<br />

Textgrundlage wurden 72 Handschriften der Sibilla Erithea in europäischen Bibliotheken<br />

gesammelt, klassifiziert und mit der bisher gültigen kritischen Edition verglichen.<br />

Dr. Jostmann gelang es, einen erheblich verbesserten Text zu erstellen und<br />

neue Erkenntnisse zur Text- und Überlieferungsgeschichte zu gewinnen, die ältere<br />

Hypothesen in neuem Licht erscheinen lassen und eine kritische Auseinandersetzung<br />

mit den herkömmlichen Interpretationsgewohnheiten anregen. Neben der Rezeptionsgeschichte<br />

der Sibilla Erithea um die Mitte des 13. Jahrhunderts, deren Analyse<br />

Erkenntnisse über die Rezeptionsmodi von prophetischen Texten und tiefe Einblicke<br />

in die ältere Textgeschichte hervorbrachte, hat Dr. Jostmann auch ideengeschichtliche<br />

Fragestellungen in den Blick genommen. Auf der Grundlage eines textbasierten und<br />

sowohl Kontextualisierung als auch Intertextualität berücksichtigenden Ansatzes hat<br />

er das politisch-intellektuelle Feld rekonstruiert, in dem der Weissagungstext seine<br />

Funktion hatte. Im Verlauf seiner Untersuchung kristallisierte sich die päpstliche<br />

Kurie als Produktionsort der Sibilla Erithea heraus, da sie sich um den Erhalt des von<br />

ihr protegierten Lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel sorgte.<br />

Abschließend hat sich Dr. Jostmann mit sozial- und problemgeschichtlichen<br />

Fragen beschäftigt und den Text in soziale Praktiken des Redens über Zukunft sowie<br />

des Entscheidens eingebettet. Er konnte erstmals ein Panorama der päpstlichen Kurie<br />

des 12. und 13. Jahrhunderts als Ort des Umgangs mit Prophetie zeichnen, die Bedeutung<br />

prophetischer Texte für die päpstliche Kurie des Hoch- und Spätmittelalters<br />

nachweisen und damit auch einen Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Papsttums<br />

leisten. In einem Anhang zu seiner Studie sind neben dem Handschriftenkatalog zur<br />

Sibilla Erithea und den Beschreibungen der Handschriften auch Editionsvorschläge<br />

für die verschiedenen Rezensionen und Transkriptionen beziehungsweise Arbeitstexte<br />

für den Kommentar versammelt. Die Monographie ist im Februar 2006 im Verlag<br />

Hahnsche Buchhandlung in der Reihe »Schriften« der Monumenta Germaniae Historica<br />

erschienen:<br />

Christian Jostmann, Sibilla Erithea Babilonica. Papsttum und Prophetie im 13. Jahrhundert,<br />

Hannover 2006 (= Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 54)<br />

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