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Aufsatz von<br />
Prof. Dr. Rolf Arnold:<br />
Der Eid des Sisyphos (S. 18-21)<br />
-Zeitung<br />
Rheinland-Pfalz<br />
3 / 09<br />
Streik-Fotos auf Titelseite und den Seiten 23-24:<br />
Benz / Hellinge / Huster / Küssner / Rausch / Behlich<br />
Lehrkräfte im Streik (S. 22-24)
EDITORIAL / INHALT<br />
PROBLEMFALL<br />
INTEGRATION<br />
Realitäten I<br />
Neulich im Hemshof, dem Ludwigshafener<br />
Kreuzberg: Die perfekt gestylte,<br />
reichlich flotte Joggerin bremst ihren Lauf<br />
abrupt, zieht die chice Sonnenbrille ab,<br />
reicht die Hand. Kurzes Zögern, dann<br />
freudiges Wiedererkennen. Das ist doch<br />
Dilek, die vor über zehn Jahren von der<br />
Hauptschule zu uns in die damals noch zweijährige Berufsfachschule<br />
kam. Ziemlich skeptisch seinerzeit, ob sie wohl die mittlere Reife packen<br />
werde. Und wie sie das und vieles anderes, was hinterher kam, gepackt<br />
hat! Alles hervorragend. Nach dem Vorpraktikum Erzieherausbildung<br />
auf der anderen Rheinseite, nebenbei Jobs als Haushaltshilfe, um Geld<br />
für privaten Deutschunterricht zu haben. Dann Berufspraktikum und<br />
nun aufgrund ihrer interkulturellen Kompetenz äußerst geschätzte<br />
Fachkraft in einer Kindertagesstätte mit einer Klientel aus zahlreichen<br />
Nationen. Nein, ans Heiraten denke sie noch nicht, erzählt sie. Sie<br />
wohne gerne bei ihren Eltern und überlege, ob sie sich beruflich weiterqualifizieren<br />
solle.<br />
Oder Gülbahar, Tochter einer allein erziehenden türkischen Mutter.<br />
Kam zwei Jahre nach Dilek in die BF. Im Hauptschulzeugnis fast nur<br />
Einsen, glänzende Noten dann auch in der BF für eine gleichermaßen<br />
strebsame wie soziale junge Frau. Und wie clevere Arbeitgeber halt so<br />
sind: Schon während ihres Praktikums in einem Krankenhaus wurde<br />
ihr ein Ausbildungsplatz angeboten. Auch die nicht einfache Ausbildung<br />
wurde exzellent absolviert, und nun ist Gülbahar als OP-Schwester in<br />
der Stationsleitung.<br />
Und, und, und. Die Reihe von Beispielen gelungener Integration ließe<br />
sich beliebig fortsetzen. Wobei betont werden muss: echte Beispiele - keine<br />
PR-Fiktionen für eine Multi-Kulti-Idylle - aus langjähriger Erfahrung<br />
als Lehrer, die durch viele weitere Fälle aus anderen Bezügen ergänzt<br />
werden könnten.<br />
AUS DEM INHALT <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz Nr. 3 / 09:<br />
Editorial / Gastkommentar Seiten 2 - 3<br />
Schulen Seiten 4 - 13<br />
Schulische Erfahrungen … Seiten 14 - 15<br />
Bildungspolitik Seiten 16 - 17<br />
Bildungswissenschaft: „Der Eid des Sisyphos“ Seiten 18 - 21<br />
Gewerkschaftspolitik<br />
Neuland Arbeitskampfmaßnahmen Seite 22<br />
Lehrkräfte im Warnstreik Seiten 23 - 24<br />
Hochschulen / Gesellschaft / Weiterbildung Seiten 25 - 26<br />
Generation 60+ / Brief an die Redaktion Seiten 27 - 28<br />
Tipps + Termine / Kreis + Region Seiten 29 - 31<br />
Schulgeist Seite 32<br />
Realitäten II<br />
Szenenwechsel. Wieder Berufsfachschule. Ein Jahr nach der verheerenden<br />
Brandkatastrophe, die Ludwigshafen nicht nur bundesweit negative<br />
Schlagzeilen einbrachte und das Zusammenleben der Kulturen in einer<br />
Industriestadt mit an die 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund<br />
auf den Prüfstand stellte. Diskutiert werden sollte im Sozialkundeunterricht,<br />
wie sich nach all den Verdächtigungen, Vermutungen und<br />
wechselseitigen Schuldzuweisungen das Verhältnis zwischen Deutschen<br />
und Türken heute darstellt. Schließlich gab es vielfältige Bemühungen,<br />
aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.<br />
Die Reaktionen in mehreren Klassen ganz unterschiedlich und doch<br />
einhellig ablehnend. Eiseskälte bei einer Gruppe: „Sie wollen uns das<br />
doch nicht ernsthaft zumuten?“, so eine Reaktion. Unverständnis auch<br />
für die Frage in einem Arbeitsauftrag, wie das Verhältnis der Kulturen<br />
verbessert werden könne. Da könne nichts verbessert werden und<br />
man wolle auch nichts verbessern. In einer anderen BF 1 fast schon<br />
tumultartige Zustände mit den bekannten gegenseitigen Vorwürfen zur<br />
Schuldfrage, in einer dritten demonstratives Desinteresse bar jeglicher<br />
Sensibilität für die Opfer. Eine Haltung übrigens, die nicht nur unter<br />
Jugendlichen weit verbreitet ist. Auch Diskussionen mit älteren Semestern<br />
zu diesem Thema bestätigen, was wir seit vielen Jahren wissen:<br />
Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind kein Phänomen nur am<br />
rechten Rand, sondern tief in der Mitte unserer Gesellschaft verwurzelt.<br />
Wobei nicht verschwiegen werden darf, dass sich auch ein umgekehrter<br />
Rassismus breit macht: „Scheißdeutsche“, „Ausländer an die Macht“<br />
und ähnliches ist immer häufiger auf Graffitis zu lesen.<br />
Nachdenklichkeit bei Gesprächen mit KollegInnen über den misslungenen<br />
Versuch, ein eigentlich so wichtiges Thema zum Unterrichtsgegenstand<br />
zu machen. Bestätigt wurde mal wieder eine erschreckende<br />
Erfahrung aus den vergangenen Jahren: So schön Beispiele wie die oben<br />
geschilderten auch sind, sie sind leider eher die Ausnahme als die Regel.<br />
Jenseits von schönfärberischen Sonntagsreden erleben wir vor Ort in<br />
brutaler Weise eine brisante Mischung aus Ausgrenzung und Selbstausgrenzung.<br />
„Mit denen“ wolle man nichts zu tun haben, meinen beispielsweise<br />
die Kopftuchträgerinnen in einer anderen BF , die ausschließlich<br />
in ihrer Muttersprache und untereinander kommunizieren.<br />
Fakt ist: Türkische Schüler geraten immer mehr ins Abseits - wie<br />
insgesamt Türken große Integrationsprobleme haben. So hat eine wissenschaftliche<br />
Studie der örtlichen Lokalzeitung ergeben, dass unter den<br />
Einwanderern in Ludwigshafen die Gruppe der Türken am abgeschottesten<br />
lebt. „So suchen sich 98 Prozent der Türken einen türkischen<br />
Ehepartner. Die türkischen Migranten haben zwar auch Deutsche im<br />
engeren Freundes- und Bekanntenkreis, aber im Vergleich zu Italienern,<br />
Griechen oder Ex-Jugoslawen haben die Türken am wenigsten deutsche<br />
Freunde. Mit der deutschen Sprache haben die Türken die meisten<br />
Probleme. Die Einwanderer aus Südosteuropa haben das niedrigste<br />
Bildungsniveau. Die Folge: Die Türken haben das niedrigste monatliche<br />
Haushaltsnettoeinkommen unter den Zuwanderern und damit auch die<br />
niedrigste Kaufkraft... Fast 20 Prozent der Befragten haben gar keinen<br />
Schulabschluss, 43 Prozent einen Hauptschulabschluss und ein Viertel<br />
die Mittlere Reife. Nur zehn Prozent haben das Abitur. Damit sind die<br />
Zugangsvoraussetzungen für Ausbildungsplätze und Jobs mit besserem<br />
Einkommen begrenzt“ (DIE RHEINPFALZ v. 3.2.09)<br />
Fazit des Sozialforschers Andreas Vlasic vom Medien Institut aus Ludwigshafen,<br />
das die Umfrage vornahm: „Es besteht die Gefahr, dass sich<br />
in der türkischen Gemeinschaft ein neues Proletariat bildet.“ Dagegen<br />
helfe nur Sprachförderung und Bildung. Dazu müsse es Schritte von<br />
beiden Seiten geben.<br />
Es muss an dieser Stelle nicht gebetsmühlenartig wiederholt werden,<br />
dass zur Verbesserung der schwierigen Lage viel mehr in Bildung<br />
investiert werden müsste. Und den PädagogInnen vor Ort bleibt nur:<br />
Frust wegstecken und sich an den positiven Erfahrungen aufbauen. So<br />
wie an den Beispiele oben. Unser Ziel bleibt: Die Ausnahmen müssen<br />
zur Regel werden.<br />
Günter Helfrich<br />
2 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
GASTKOMMENTAR<br />
BILDUNG BRAUCHT MEHR<br />
- Von Winfried Folz -<br />
Das Konjunkturpaket II bringt die Schulgebäude<br />
auf Vordermann, aber der Staat holt damit nur<br />
Versäumtes nach. Die Bildung braucht mehr als<br />
frischen Lack und neuen Putz. Wenn tatsächlich<br />
Geld „in die Bildung fließen“ soll, dann gibt es<br />
noch viele Baustellen.<br />
Wenn das Bundeskabinett am Dienstag das<br />
Konjunkturpaket II verabschiedet, dürfte wieder<br />
dieser Satz zu hören sein: Dass nun Millionen „in<br />
die Bildung fließen“. Wenn es doch so wäre! Der<br />
Satz klingt so, als könnte das Konjunkturpaket die<br />
Bildungskrise Deutschlands beheben, weil nun<br />
genug Geld vorhanden sei für kleinere Klassen,<br />
für mehr Sozialarbeiter, individuelle Förderung<br />
oder schlichtweg für ausreichend Personal, das den<br />
Unterrichtsausfall stoppen kann. Indes: All dies<br />
vermag das Konjunkturpaket II nicht zu leisten. Es ist kein<br />
Programm gegen den Bildungsnotstand, auch wenn es die<br />
Politik unterschwellig so darzustellen versucht.<br />
Das Konjunkturpaket II hat die Aufgabe, den privaten<br />
Konsum anzukurbeln und der vermutlich bald um Aufträge<br />
ringenden Bauwirtschaft über die Runden zu helfen.<br />
Dabei sollen Arbeitsplätze erhalten, bestenfalls neue Jobs<br />
geschaffen werden. Das sind richtige Ziele. Streiten kann<br />
man darüber, ob die Maßnahmen tatsächlich der Konjunktur<br />
Beine machen werden, es wäre zu hoffen.<br />
Dass die Bildungseinrichtungen - also Kinderkrippen,<br />
Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten - von<br />
der Konjunkturhilfe profitieren, liegt in dem Umstand<br />
begründet, dass sie zu den Objekten zählen, für die die<br />
öffentliche Hand Aufträge an die Wirtschaft vergeben<br />
kann. Es wird saniert und renoviert, das ist gut, keine<br />
Frage. Man darf die Wirkung aber nicht überschätzen.<br />
Sanitärtrakte werden hergerichtet, Schulkantinen entstehen,<br />
effiziente Heizungen werden eingebaut und Fenster<br />
abgedichtet. In einem Berliner Gymnasium freuen sich<br />
die Schüler beispielsweise darauf, an kalten Wintertagen<br />
nicht mehr im Mantel im Unterricht sitzen zu müssen.<br />
Und in der Pfalz freuen sich manche Schulleiter, wenn<br />
die Eltern beim Tag der offenen Tür nicht mehr auf<br />
dem Absatz kehrt machen, sobald sie die Schultoiletten<br />
gesehen haben.<br />
Wenn alles getan ist, sehen Kindertagesstätten und<br />
Schulen so aus, wie sie aussehen sollen. Es sind Gebäude,<br />
in denen Bildung sich entfalten und eine Lernkultur<br />
gedeihen kann. Nur: Das ist die schlichte Voraussetzung<br />
für Bildung, das ist keine außergewöhnliche Leistung<br />
des Staates. Es ist seine Pflicht, Räume zu schaffen, in<br />
denen Kinder möglichst gerne lernen und Lernerfolge<br />
erleben können.<br />
Dank des Konjunkturpakets II kann der Staat seiner<br />
Pflicht nun nachkommen. Die Regierungen in Bund<br />
und Ländern sind überzeugt, sie müssten dafür gelobt<br />
werden. Doch das wäre zu viel des Guten. Es wird nun<br />
lange Versäumtes nachgeholt. Zur Ehrenrettung mancher<br />
Schulträger-Kommune, muss ergänzt werden, dass nicht<br />
überall beklagenswerte Zustände herrschen.<br />
Doch selbst der schönste Schulbau kann nicht verhindern,<br />
dass Lehrer überfordert sind, weil ihnen ständig<br />
mehr abverlangt wird, insbesondere Erziehungsarbeit, die<br />
früher von den Eltern geleistet wurde. Dazu müsste der<br />
Staat mehr Sozialarbeiter einstellen. Der sanierte Hausaufgabenraum<br />
wird nicht verhindern, dass Schüler mit<br />
Migrationshintergrund weiterhin besondere Förderung<br />
benötigen. Dazu müsste der Staat mehr Lehrer einstellen.<br />
Der Ausbau von Einrichtungen zur Kleinkinderbetreuung<br />
wird nicht verhindern, dass es bei der Versorgung mit<br />
Fachkräften zu Engpässen kommen wird. Dazu müsste<br />
der Staat mehr Ausbildungskapazitäten schaffen und für<br />
angemessene Gehälter sorgen. Wenn Geld „in Bildung<br />
fließen“ soll, dann gibt es noch viele Baustellen. Die<br />
Politik kennt sie alle, sie wurden auf dem Bildungsgipfel<br />
im Oktober besprochen - weitgehend folgenlos.<br />
Aus: DIE RHEINPFALZ, 24. Januar 2009<br />
Unser Autor ist Bildungsexperte der Rheinpfalz und deren<br />
Korrespondent in Berlin.<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
3
SCHULEN<br />
SCHULHÄUSER VERKOMMEN ZUNEHMEND<br />
<strong>GEW</strong>-Landesvorsitzender Hammer: „Es ist allerhöchste Zeit zum Handeln“<br />
„Für die Renovierung von Schulen und Hochschulen<br />
besteht in Rheinland-Pfalz allergrößter Nachholbedarf“,<br />
sagte der <strong>GEW</strong>-Vorsitzende Klaus-Peter Hammer<br />
Ende Januar vor der Presse. Unterstützt wurde er von<br />
Alexander Lang, Mitglied des Landesvorstandes der<br />
LandesschülerInnenvertretung Rheinland-Pfalz. Sowohl<br />
<strong>GEW</strong> als auch LSV begrüßten, dass im Rahmen des<br />
Konjunkturpaketes II Bundesmittel für die Renovierung<br />
von Schulen und Hochschulen bereit gestellt werden.<br />
Schulfotos:<br />
Lucas Schmitt<br />
Hammer bezog sich bei seiner Aussage auf die Ergebnisse<br />
einer Umfrage der <strong>GEW</strong>, an der sich 224 Schulpersonalräte<br />
beteiligt hatten. „Das Ergebnis der Umfrage ist<br />
erschreckend“, so der <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende, „da es eindeutig<br />
belegt, dass an den meisten Schulhäusern dringend<br />
notwendige Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen<br />
seit Jahren aufgeschoben bzw. nur mit großer Zeitverzögerung<br />
durchgeführt werden.“<br />
LandesschülerInnenvertreter Lang beschrieb auch den<br />
offenkundigen Unmut bei den rheinland-pfälzischen<br />
Schülerinnen und Schülern. „Auf unsere Frage hin haben<br />
sich einige Schülerinnen und Schüler gemeldet, die die<br />
Mängel an ihrer Schule durchaus für gesundheitsschädlich<br />
halten. Uns wurden Fotos zugesandt, die nasse Wände,<br />
bröckelnden Putz und überfüllte Müllcontainer zeigen.“<br />
Lang gab den Bericht eines Schülers wieder, dessen Schulleitung<br />
aufgrund von Geldmangel äußerst kreativ bei der<br />
Raumnutzung agiert: „Mittlerweile haben einige ihre<br />
Mathe-Stunden in der Küche, viele Klassen müssen in<br />
den Biologie- oder Physik/Chemiesaal ausweichen, auf der<br />
Toilette der männlichen Lehrkräfte stehen die Mofas der<br />
Mofa AG, auf dem Schulhof stehen 2 Container, in die 3<br />
Klassen gehen müssen. Wir hatten z. B. in den Containern<br />
die letzten Wochen kein Wasser, weil es eingefroren war.<br />
Durch unsere Aula wurde eine dünne Wand gezogen,<br />
damit dort 2 Klassen unterrichtet werden können und<br />
ein SV-Zimmer, einen Kunstraum oder einen Musikraum<br />
gibt es natürlich auch nicht.“<br />
Die Zahlen belegen nach Einschätzung der <strong>GEW</strong>, dass es<br />
innerhalb der öffentlichen Schulträger in Rheinland-Pfalz<br />
(Gemeinden, Städte, Landkreise) eine „Zweiklassengesellschaft“<br />
gibt. Nur noch etwa 30 % der Schulhäuser<br />
würden nach Angaben der Personalräte regelmäßig und<br />
kontinuierlich instand gehalten. Bei 39 % der Gebäude<br />
würden selbst bekannte gravierende Mängel nur nach<br />
mehrmaliger Reklamation Zeit verzögert behoben, bei<br />
16 % erfolge die Behebung zum Teil erst nach Jahren<br />
oder überhaupt nicht. „Unsere Kolleginnen und Kollegen<br />
werden dadurch in ihrer Arbeit teilweise massiv beeinträchtigt<br />
(so die Antwort von 68 % der Befragten), sogar<br />
gesundheitliche und sicherheitsrelevante Risiken (so 26 %<br />
der Befragten) müssen hingenommen werden“, monierte<br />
Hammer. Schimmel, Feuchtigkeit, undichte Fenster,<br />
verschlissene Fußböden, fehlender Sonnenschutz seien<br />
die in der Umfrage meistgenannten Mängel.<br />
Als weiteres Problem erweise sich nach Aussage der befragten<br />
Personalräte die Gebäudereinigung. Die Vergabe<br />
der Reinigungsaufträge von ehemals eigenem Personal<br />
an Fremdfirmen habe zu einer gravierenden Verschlechterung<br />
der Reinigungsqualität geführt. „Das Firmenpersonal<br />
hat zu wenig Zeit“ sei eine immer wiederkehrende<br />
Kritik in der Umfrage, „da der billigste Anbieter den<br />
Zuschlag erhält“. Zurzeit, so die <strong>GEW</strong>, werden ca. 58 %<br />
der Schulen mit steigender Tendenz durch Fremdfirmen<br />
gereinigt. Für die Reinigung von Türgriffen, Fenstern,<br />
Regalen gebe es so gut wie keine Zeit mehr. Klassensäle<br />
würden überwiegend nicht mehr täglich feucht gereinigt,<br />
mehr als 60 % sogar nur einmal pro Woche bzw. einmal<br />
pro Monat.<br />
Abhilfe schaffen häufig Schülerinnen und Schüler, die<br />
klassenweise zum so genannten „Hofdienst“ angehalten<br />
werden. „Viele verbringen ihre Pausen mit dem Aufsammeln<br />
von Müll. Bei anderen fällt dafür sogar kurzzeitig der<br />
Unterricht aus“, so SchülerInnenvertreter Lang weiter.<br />
Die Mängel in der Reinigung werden zu 46 % als gravierend<br />
und zu 17 % sogar als gesundheitsschädlich<br />
beurteilt. Sporthallen und Toiletten werden immer wieder<br />
4 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
SCHULEN<br />
als große Problembereiche genannt, genauso wie fehlende<br />
Hausmeister bzw. die Tatsache, dass ein Hausmeister neuerdings<br />
für mehrere Schulen zuständig ist. „Frustrierend,<br />
armselig, unwürdig und beschämend“ bezeichnen die<br />
Befragten immer wieder den Zustand der Schulen.<br />
Die Ursache der Gesamtproblematik liegt nach Einschätzung<br />
der <strong>GEW</strong> nur zum Teil an der Bereitschaft der<br />
Schulträger. „Wir haben allerdings genügend Beispiele,<br />
aus denen hervorgeht, dass mit relativ geringem Aufwand<br />
Abhilfe geschaffen werden könnte. In diesen Fällen muss<br />
die Kommunikation verbessert, müssen Mängelmeldungen<br />
ernst genommen werden“, forderte der Vorsitzende<br />
der Bildungsgewerkschaft. Das größere Problem sei die in<br />
vielen Fällen belegte Finanznot der Kommunen, die mit<br />
den Mitteln aus dem Konjunkturpaket II vordringlich<br />
unterstützt werden müsse, so die Forderung des <strong>GEW</strong>-<br />
Landesvorsitzenden.<br />
„Es ist allerhöchste Zeit zum Handeln“, sagte Hammer<br />
und verwies darauf, dass mittlerweile auch der Städte- und<br />
Gemeindebund, der in der Vergangenheit im Verständnis<br />
seiner Rolle eher als Bremser und weniger als Beschleuniger<br />
aufgetreten ist, das Problem erkannt hat. Die Aussage<br />
seines Vorsitzenden Gerd Landsberg, dass ein bundesweiter<br />
Sanierungsbedarf bestehe, der sich auf 73 Mrd. Euro<br />
erstrecke, belegt die Brisanz der Problematik. Somit ist<br />
das von der Bundesregierung bereitgestellte Geld für die<br />
Sanierung von Schulen aus dem Konjunkturpaket II von<br />
670 Millionen Euro je Bundesland richtig, aber nicht<br />
mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.<br />
„Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte brauchen gute<br />
Rahmenbedingungen, auch was die Gebäude und die<br />
Gebäudeausstattung betrifft. Jede weitere Zurückhaltung<br />
wäre völlig unakzeptabel“, betonte Hammer.<br />
Investitionsprogramm ‚Energetische Schulbausanierung‘<br />
zusätzlich zum Konjunkturpaket II für die Schulen des<br />
Landes aufzulegen. Dabei müssten ökologische und Energiemaßstäbe<br />
angelegt werden. So könnte die regionale<br />
Wirtschaft in der aktuellen Krise gestärkt und die kommunalen<br />
Schulträger finanziell entlastet werden“.<br />
„Die Zeiten müssen vorbei sein, in denen eine Sanierung<br />
von den Genehmigungsbehörden oft mit dem Hinweis<br />
auf Überschuldung der Kreise blockiert wurde, und das,<br />
obwohl sich die Investitionen über kurze Zeit rechnen<br />
würden. Die Sanierung der Schulen nützt allen: den<br />
SchülerInnen und LehrerInnen, die in einer viel besseren<br />
Atmosphäre miteinander umgehen können; den klammen<br />
Gemeinden, denen geringere Energiekosten anfallen,<br />
und dem Klima und der Umwelt, die mit weniger CO2<br />
belastet werden. Hier kann nur gewonnen werden. Die<br />
Landesregierung darf diese Chance nicht weiter verstreichen<br />
lassen“, so Köbler.<br />
pms<br />
Grüne fordern energetische<br />
Schulbausanierung<br />
„Die vorgestellte Mängelliste der <strong>GEW</strong> zeige eine erschreckend<br />
hässliche Realität. Damit wird der Landesregierung<br />
der Spiegel vorgehalten. Jetzt hilft kein Schönreden mehr,<br />
jetzt muss gehandelt werden!“ Mit diesen Worten reagierte<br />
Daniel Köbler, Landesvorstandssprecher von BÜNDNIS<br />
90/DIE GRÜNEN, auf die <strong>GEW</strong>-Untersuchung.<br />
Seine Partei fordere deshalb die Landesregierung auf,<br />
schnellstens ein umfassendes und zukunftsgewandtes<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
5
SCHULEN<br />
ZAUBERWORT „INDIVIDUELLE FÖRDERUNG“<br />
Finanzielle Investitionen in das Bildungssystem erforderlich<br />
- Von Helmut Reichelt -<br />
„Rund 234.000 Jungen und Mädchen mussten nach Angaben<br />
des Statistischen Bundesamtes im Schuljahr 2006/2007 eine<br />
Klasse wiederholen, eine Quote von 2,7 %“ (Zit. „Erziehung<br />
und Wissenschaft“, 7-8/2008, S. 26). Diesem für das Schulsystem<br />
untragbaren Zustand wollen die Länder unbedingt<br />
abhelfen. So hat beispielsweise das Land Rheinland-Pfalz<br />
beispielsweise die Schulen per Schulgesetz (§ 10 Absatz 1)<br />
zur individuellen Förderung verpflichtet. Und das ist gut so!<br />
Permanente Leistungsüberforderung<br />
ist eine seelische<br />
Tortur.<br />
Foto: Schwarz<br />
Dies trägt den Forderungen der <strong>GEW</strong> Rechnung. Klaus-<br />
Peter Hammer, <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzender in Rheinland-<br />
Pfalz, konstatiert: „Der von der Bundesregierung der<br />
Öffentlichkeit vorgestellte Bildungsbericht unterstreicht<br />
die Forderung der <strong>GEW</strong> nach längerem gemeinsamen<br />
Lernen, nach Ausbau der individuellen Förderung und<br />
dem Bemühen, so genannten Risikokindern zu einem<br />
qualifizierten Schulabschluss zu verhelfen“. (<strong>GEW</strong>-Zeitung<br />
Rheinland-Pfalz, 7-8/2008, S. 15). In diesem Zusammenhang<br />
forderte K.-P. Hammer eine „dringende Verbesserung<br />
bei den Rahmenbedingungen im Bildungsbereich“<br />
(S. 15). Dies tut auch der <strong>GEW</strong>-Bundesvorsitzende,<br />
Ulrich Thöne, in seinem Artikel zum Bildungsbericht<br />
2008 von Bund und Ländern in „Erziehung und Wissenschaft“,<br />
7-8/2008, S. 22 - 24: „Seit Jahren bescheinigt<br />
die OECD Deutschland im internationalen Vergleich<br />
unterdurchschnittliche Bildungsausgaben.“(Zitat aus<br />
dem Kommentar-Kasten, S. 24: „Sparschwein Bildung -<br />
Bildungsausgaben sinken weiter“).<br />
Gegen eine individuelle Förderung kann eigentlich niemand<br />
ernsthaft sein. Sie ist das zwingende Muss eines<br />
verantwortungsbewussten Unterrichts. Nur so sind die<br />
oben beschriebenen Missstände wirksam zu beseitigen.<br />
Bei einer individuellen Förderung, die allerdings Geld<br />
kostet, sieht die Realität schon ganz anders aus. Dies<br />
soll am Beispiel der Grundschule in Rheinland-Pfalz<br />
aufgezeigt werden, für die seit dem 10.10.2008 eine neue<br />
Grundschulordnung rechtswirksam ist.<br />
Absatz 3 des § 28 der neuen Grundschulordnung (Fördermaßnahmen<br />
für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten<br />
und Lernstörungen) sieht neben der vorrangigen<br />
individuellen Förderung im Klassenunterricht<br />
auch die zusätzliche Förderung mit Doppelbesetzungen<br />
wie die Förderung in Kleingruppen vor. Dies wäre ein<br />
bahnbrechender Fortschritt, und unsere Bildungsadministration<br />
könnte sich vor den jubelnden Ovationen<br />
schulpolitisch Begeisterter kaum noch retten, wenn, ja<br />
wenn da nicht in Absatz 3 ein lapidarer haushaltstechnischer<br />
Zusatz stünde, nämlich „nach Maßgabe der zur<br />
Verfügung stehenden Lehrerwochenstunden“. Und was<br />
das heißt, wissen wir doch alle!<br />
Diese erhebliche Einschränkung für den personellen<br />
Bereich durch Haushaltsvorbehalt hat erfahrungsgemäß<br />
zur Folge, dass leider zusätzlich ausgewiesene Stunden<br />
für eine Klasse in der gängigen Praxis zumindest bei<br />
kurzfristigen Vertretungsnotwendigkeiten wie Krankheit,<br />
Fortbildung o.ä. zur Abdeckung des Pflichtunterrichts<br />
herangezogen werden. Diese Förderstunden werden somit<br />
zur beliebigen Reserve für den Vertretungsplan und verfehlen<br />
ihren eigentlichen Sinn. Die Verlässlichkeit einer<br />
kontinuierlichen Förderung ist damit nicht mehr gegeben.<br />
An dieser Stelle soll jedoch nicht so weit gegangen<br />
werden, dem Bildungsministerium zu unterstellen, dass<br />
es die „vorrangig klasseninternen Differenzierungsmaßnahmen“<br />
- pädagogisch verpackt - bewusst dazu benutzt,<br />
um Lehrerwochenstunden für zusätzliche notwendige<br />
kostenintensive Fördermaßnahmen einzusparen und sie<br />
so den Kindern vorzuenthalten.<br />
Verschärft wird die Situation noch durch die prinzipielle<br />
Einschulung aller Kinder in die Gruppe der Gleichaltrigen<br />
bis auf wenige Ausnahmen (§ 13 (1) der neuen Grundschulordnung:<br />
Zurückstellung vom Schulbesuch nur aus<br />
gesundheitlichen Gründen) und durch die grundsätzliche<br />
Forderung nach einem heterogenen Unterricht, der u.a.<br />
das Schulfähigmachen bei Entwicklungsrückständen<br />
immer jünger werdender Kinder als selbstverständliche<br />
Aufgabe des Erstunterrichts begreift. Ohne die notwendigen<br />
zusätzlichen verbindlichen personellen Aufstockungen<br />
werden Lehrerinnen und Lehrer mit ihren nicht<br />
zu bewältigenden Problemen allein gelassen nach dem<br />
Motto „Jeder weiß, dass es nicht geht, aber jeder tut so,<br />
als ob es geht“. Damit stößt die individuelle Förderung<br />
an ihre Grenzen, vor allem dann, wenn sich die Klassenfrequenzen<br />
insbesondere in den großen Grundschulen<br />
6 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
SCHULEN<br />
am oberen Limit der Klassenmesszahlen befinden, wenn<br />
dazu noch ausgeprägte Teilleistungsschwächen vorliegen<br />
und wenn sich neben den kognitiven Verzögerungen auch<br />
zunehmende Verhaltensprobleme einstellen.<br />
Ganz besonders negativ wird sich unter solchen Bedingungen<br />
der Wegfall von § 6 der bisherigen Grundschulordnung<br />
(Zurücktreten vom Anfangsunterricht) auf die<br />
betroffenen Kinder auswirken. Auch wenn sich im Verlauf<br />
der Klassenstufe 1 herausstellen sollte, dass „ein Schüler<br />
auch bei individueller oder bei zusätzlicher sonderpädagogischer<br />
Förderung nicht mit Erfolg am Unterricht<br />
teilnehmen kann“ (Wortlaut § 6 alt), muss dieser jetzt in<br />
seiner andauernden misserfolgsorientierten Notsituation<br />
im ersten Schuljahr verbleiben. Er wird dort also schlichtweg<br />
verwahrt! Anders kann man das nicht nennen. Erst<br />
nach einem Jahr, also nach dem automatischen Vorrücken<br />
in das 2. Schuljahr, ist ein freiwilliges Zurücktreten nach<br />
§ 27 Grundschulordnung (neu) möglich. Dieser neue<br />
Ansatz ist unter den noch herrschenden bildungs- und<br />
haushaltspolitischen Gegebenheiten pädagogisch absolut<br />
nicht akzeptabel. Hier besteht dringender Änderungsbedarf!<br />
Permanente Leistungsüberforderung ist eine seelische<br />
Tortur nicht nur für das Kind, sondern auch für sein<br />
gesamtes Umfeld! Wie kann ein Kind unter solch äußerst<br />
ungünstigen Startbedingungen ein positives Verhältnis zur<br />
Schule und zum Lernen entwickeln? Allein der Gedanke,<br />
dass sich ein solches Kind nach der neuen Grundschulordnung<br />
nun zwölf Monate lang quälen muss, sprengt<br />
jegliches Vorstellungsvermögen! Der Kommentar einer<br />
Mutter eines total überforderten Kindes zu der Zeit von<br />
„nur“ drei Monaten zwischen Einschulung und Zeitpunkt<br />
des freiwilligen Zurücktretens vom Anfangsunterricht in<br />
den Schulkindergarten: „Es war die Hölle!“.<br />
Ohne ernst gemeinte Anstrengungen zur Verbesserung<br />
der schulischen Situation nicht nur durch verbale, sondern<br />
konkret finanzielle Investitionen in das Bildungssystem<br />
bleiben noch so gute Ansätze, wie sie die neue<br />
Grundschulordnung, vor allem individuelle Förderung,<br />
vorsieht, nicht einlösbar. „Der Widerspruch zwischen<br />
Sonntagsreden und Alltagshandeln“ (Ulrich Thöne,<br />
„Erziehung und Wissenschaft“, 7-8/2008, S. 24) sollte<br />
endlich aufgehoben werden!<br />
Zudem ist es besser, insbesondere in die Schuleingangsphase<br />
(letzte Kindergartenjahre und die zwei ersten<br />
Schuljahre der Grundschule), und das müsste eigentlich<br />
jeder/jedem einleuchten, verstärkt Haushaltsmittel zu<br />
investieren (Doppelbesetzung u.a.), als später wesentlich<br />
kostenaufwändigere berufliche Qualifizierungs- und<br />
Rehabilitationsmaßnahmen von schulisch gescheiterten<br />
Jugendlichen zu finanzieren bis hin zu sozialen und beruflichen<br />
Integrationsanstrengungen im und nach dem<br />
Strafvollzug.<br />
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<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
05.12.2008 12:25:22 Uhr<br />
7
SCHULEN<br />
VERA - SYSTEMATISCHE FEHLURTEILE<br />
In der gegenwärtigen Konstruktion nicht nur wertlos, sondern schädlich<br />
- Von Horst Bartnitzky -<br />
Die Vergleichsarbeiten VERA sollen Rückmeldungen über<br />
den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler, der Klassen<br />
und Schulen geben. Die Analyse der Testaufgaben der<br />
vergangenen Jahre für Deutsch und Mathematik zeigt aber,<br />
dass sie dieses Ziel alljährlich verfehlen. Ich will exemplarisch<br />
an einem Beispiel zeigen, wie VERA systematisch Fehlurteile<br />
erzeugt.<br />
Richtige Lösungen müssen als falsch<br />
bewertet werden<br />
Das Beispiel stammt aus VERA Deutsch Klasse 3 vom<br />
Mai 2008. Diesmal traten zu den Leseaufgaben einige<br />
Aufgaben zum Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch<br />
untersuchen“.<br />
Den abgedruckten Ausschnitt fand ich in Lauras Testbogen.<br />
Laura kannte wohl nicht das hier geforderte Wort<br />
kämpferisch. Sie hat es deshalb neu gebildet: kämpferlich.<br />
Einwandfrei ist dies eine Adjektiv-Bildung, wenn auch<br />
nicht in der standardsprachlichen Form. Der Korrekturanweisung<br />
entsprechend, musste die Lehrerin die<br />
Lösung von Laura als falsch werten. Ebenso bei anderen<br />
Kindern: Niklas bildete kämpflich, Alexander kämpfrig,<br />
Josias kämpfig. Allesamt kluge, wenn auch ungewöhnliche<br />
Adjektivbildungen, die eines klar erkennen lassen:<br />
die Kinder verfügen gegen Ende der Klasse 3 über einen<br />
Adjektivbegriff. Und genau dies war ja wohl ein Aspekt<br />
für diese Aufgabe.<br />
Dennoch: das Antwortmuster in der Anweisung ließ als<br />
richtig nur das eine Wort zu: kämpferisch. Alle anderen<br />
Lösungen, so adjektiv-gemäß sie auch gebildet waren,<br />
mussten als falsch bewertet werden.<br />
Dass die Kinder hier zu Eigenschöpfungen griffen, deutet<br />
darauf hin, dass ein Wort gefordert wurde, das Kinder im<br />
aktiven Wortschatz eher selten besitzen. Es fragt sich im<br />
Übrigen, warum gerade martialisches Wortmaterial für<br />
den Test herhalten musste.<br />
Neben dem Adjektivbegriff geht es um den Begriff der<br />
Wortfamilie. In den Testheften der Drittklässler fand ich<br />
zum Beispiel zum Nomen Schlaf das Verb verschlafen<br />
und ausschlafen, zum Verb feiern das Nomen Feiertag<br />
und anderes mehr. Dies sind legitime Wörter der jeweils<br />
geforderten Wortfamilie. Die Kinder hatten also mit ihren<br />
Lösungen bewiesen, dass sie aus zwei vorgegebenen<br />
Wörtern richtig auf die Wortfamilie schließen und dafür<br />
wortartengerecht ein weiteres Wort angeben konnten.<br />
Aber auch diese im Sinne des Wortfelds richtigen Wörter<br />
mussten als falsch bewertet werden, weil das Antwortmuster<br />
immer nur ein einziges Lösungswort vorsah.<br />
Inhaltliche Grundlage der VERA-Aufgaben, so die politische<br />
Vorgabe, sollen die Bildungsstandards, hier zum<br />
Fach Deutsch für den Primarbereich vom 15.10.2004<br />
sein. Dort ist als Standard unter 3.4 Sprache und Sprachgebrauch<br />
untersuchen formuliert: „Wörter strukturieren<br />
und Möglichkeiten der Wortbildung kennen“. Die<br />
Kinder haben bei ihren Adjektivlösungen genau dies<br />
nachgewiesen:<br />
Sie bildeten Adjektive zur Wortfamilie, indem sie den<br />
entsprechenden Wortstamm kampf und geeignete Adjektiv-Suffixe<br />
wie -lich und -ig verwendeten. Aus der<br />
Liste der in den Bildungsstandards vorgesehenen Begriffe<br />
wurden hier die Wortfamilie sowie die Wortarten Nomen,<br />
Verb und Adjektiv angewendet. In allen referierten Fällen<br />
entsprachen die Antworten diesen Begriffen. Die Kinder<br />
hatten also die durchaus anspruchsvollen Ziele der Bildungsstandards<br />
gegen Ende von Klasse 3 erreicht. Ihre<br />
Antworten mussten aber, der VERA-Anleitung gemäß,<br />
als falsch bewertet werden. Wie kommt ein solcher Unfug<br />
zustande?<br />
Die testmetrischen Restriktionen<br />
Die Antwort liegt in der Testkonstruktion. Sicher, es gibt<br />
eine große Gruppe pädagogischer Fachleute, die sich<br />
Aufgaben ausdenken. Auf diese Gruppe verweisen das<br />
VERA-Team und die Politik immer, wenn Kritik an den<br />
Aufgaben laut wird. Nur: Die Aufgaben dieser Gruppe<br />
sind nicht die Testaufgaben. Die nämlich unterliegen den<br />
Maßgaben der Testmetrik. Diese Maßgaben sind vor allem<br />
von zwei Prinzipien bestimmt:<br />
1. Die Auswertung muss eindeutig sein, sie darf also keinen<br />
Interpretationsspielraum lassen.<br />
2. Die Lösungen der Kinder müssen deutlich trennen<br />
zwischen erfolgreichen und weniger oder gar nicht erfolgreichen<br />
Schülern.<br />
Zu 1.: Die Maßgabe der absoluten Eindeutigkeit ist der<br />
VERA-Konstruktion geschuldet: VERA ist ein Massentest,<br />
der Jahr für Jahr durchgeführt und ausgewertet werden<br />
muss, der von testmetrischen Laien, nämlich den Lehrerinnen<br />
und Lehrern auszuwerten ist. Deshalb muss alles<br />
in die schlichte Alternative richtig oder falsch einzuordnen<br />
und so in das Auswertungsformular einzutragen sein. Ein<br />
Resultat dieser Maßgabe ist in der o.a. Aufgabe, dass für<br />
jede Lücke nur ein einziges Wort als richtig akzeptiert wird.<br />
Alle abweichenden Lösungen sind als falsch zu bewerten<br />
- unabhängig davon, ob sie ebenfalls richtig sind und ob<br />
8 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
SCHULEN<br />
sie den Bildungsstandards entsprechen. Deshalb werden<br />
Aufgaben der pädagogischen Fachleute ausgeschieden,<br />
die diesem Anspruch nicht gerecht werden. Die ausgewählten<br />
testtauglichen Aufgaben werden so gemodelt,<br />
dass sie dem schlichten binären Auswertungsschema<br />
entsprechen. Damit kommen auch Aufgaben von höherer<br />
didaktischer Qualität bei VERA nicht zum Zuge, also z.B.<br />
offene Aufgabenstellungen, individuelle Lösungswege,<br />
produktive Aufgaben.<br />
Zu 2.: Die ins Auge gefassten Aufgaben werden vorgetestet.<br />
Werden sie von den meisten richtig gelöst, dann<br />
ist das zwar ein erfreuliches Zeichen für gelungene<br />
Lernprozesse. Sie werden aber ausgeschieden, weil die<br />
Ergebnisse zu wenig in Erfolg und Versagen gespreizt<br />
sind. Damit erklärt sich auch, warum Teilleistungen<br />
bei VERA als Fehlleistungen gelten. Wenn Kinder<br />
Verben unterstreichen sollen und von sechs möglichen<br />
fünf richtig unterstrichen haben, dann gilt die Lösung<br />
als ebenso falsch, als wenn gar keines oder willkürliche<br />
Wörter unterstrichen wurden. Auch führt der Zwang zur<br />
Spreizung für viele Kinder zum Überforderungscharakter<br />
der Tests. Angesichts der Fülle an Texten und Aufgaben<br />
und der knappen Bearbeitungszeit resignieren Ängstliche<br />
wie langsam Arbeitende vorzeitig, ohne ihre tatsächliche<br />
Leistungsfähigkeit zeigen zu können. Feinere Diagnosen<br />
gerade im kritischen Bereich sind damit nicht möglich.<br />
Entsprechend lassen die Auswertungen keine Rückschlüsse<br />
auf die individuellen Entwicklungsstände und<br />
auf mögliche Fördermaßnahmen zu.<br />
Wertlos und schädlich<br />
Den VERA-Aufgaben, wie sie sich in den Testheften darstellen,<br />
fehlt mithin ein entscheidender Qualitätsmaßstab,<br />
der für Tests eigentlich selbstverständlich ist: die Validität.<br />
VERA misst eben nicht das, was es zu messen vorgibt,<br />
nämlich inwieweit die Bildungsstandards erreicht sind,<br />
sondern das, was mit der simplen Testmetrik messbar<br />
ist und was die vorgeblichen Leistungsstände genügend<br />
spreizt. Damit werden die VERA-Aufgaben und ihre<br />
Auswertung weder den Bildungstandards gerecht noch<br />
den tatsächlichen Leistungen der Kinder und Schulen.<br />
Sie sind mithin wertlos.<br />
Wenn es nur dies wäre, dann müsste man das fehlinvestierte<br />
Geld und die fehlinvestierte Arbeit an den Schulen<br />
beklagen. Tatsächlich aber erzeugen die Auswertungsvorschriften<br />
permanentes Unrecht, indem enge Lösungsmuster<br />
die Lehrkräfte dazu zwingen sollen, richtige Antworten,<br />
die nicht ins Schema passen, als falsch zu bewerten.<br />
Deshalb ist VERA in der gegenwärtigen Konstruktion<br />
nicht nur wertlos, sondern schädlich.<br />
Das Projekt VERA ist politisch gewollt, und die Ergebnisse<br />
führen in verschiedenen Bundesländern zu<br />
weitreichenden Konsequenzen, wie schulaufsichtliche<br />
Maßnahmen bei schwachen Ergebnissen, Ranking und<br />
öffentliche Auslobung vorgeblich erfolgreicher Klassen,<br />
möglicher Einbezug in Zensurengebung und Übergangsentscheidungen.<br />
Dadurch werden Nebenwirkungen wie<br />
„teaching to the test“ (Fit für VERA) und Unehrlichkeit<br />
im Umgang mit dem Test befördert und schädigen<br />
nachhaltig die Unterrichtskultur. Konstruktionsbedingte<br />
massive Fehlurteile über Schüler- und Schulleistungen<br />
werden billigend in Kauf genommen, um politische<br />
Aktivität darzustellen. „Schaden abzuwenden“ ist eine<br />
Aufgabe der politisch Verantwortlichen. Hier wird das<br />
Gegenteil getan.<br />
Alternativen<br />
Selbstverständlich braucht qualitative Schulentwicklung<br />
eine interne Evaluation, die den anspruchsvollen didaktischen<br />
Aufgaben entspricht. Hierzu hat der Grundschulverband<br />
mit dem Leitbegriff: „Pädagogische Leistungskultur‘“<br />
für alle Fächer umfangreiche Materialien<br />
vorgelegt (www.grundschulverband.de, siehe dort unter<br />
Veröffentlichungen, Mitgliederbände 118, 121, 123).<br />
Selbstverständlich braucht eine qualitative Schulentwicklung<br />
neben der internen auch externe Evaluation. Sie muss<br />
aber dem didaktischen Qualitätsanspruch entsprechen,<br />
um zur internen Evaluation den Außenblick zu ergänzen.<br />
Mit jährlichen flächendeckenden Tests ist diese Qualität<br />
offenbar nicht zu erreichen. Hierzu gibt es inzwischen<br />
andere Beispiele, siehe etwa die Initiative Blick über den<br />
Zaun (www.blickueberdenzaun.de).<br />
Selbstverständlich braucht eine qualitative Schulentwicklung<br />
auch ein „systemmonitoring“ für Politik und<br />
Verwaltung, also eine Bestandsaufnahme über die Unterrichtsqualität<br />
der Schulen und dabei auch das Aufspüren<br />
von Schulen, die besondere Unterstützung brauchen.<br />
Dazu aber sind Evaluationen in Stichproben und in Zeittakten<br />
von vier, fünf Jahren hinreichend. Das eingesparte<br />
Geld kann den Schulen zu Gute kommen, die besonders<br />
unterstützt werden müssen.<br />
Anmerkung<br />
Eine ausführliche Aufgabenanalyse des Deutsch- und des Mathematiktests<br />
2008 für Klasse 3 sowie zahlreiche Lehrerkommentare finden sich in: Grundschule<br />
aktuell Heft 103 Sept. 2008: Kinder vermessen? VERA 2008<br />
(www.grundschulverband.de, siehe dort unter Veröffentlichungen, Mitgliederzeitschrift)<br />
VERA erzeugt systematisch<br />
Fehlurteile.<br />
Foto: Schwarz<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
9
SCHULEN<br />
IM AUSGETÜFTELTEN LEHRPLAN REGIERT ALLEIN DER KOPF<br />
Pauken reicht nicht. Beispiele für soziales Lernen im Gymnasium<br />
Wenn in der nächsten Zeit junge Frauen und Männer an<br />
den Gymnasien ihr Abiturzeugnis feierlich überreicht bekommen,<br />
dann gibt es unter ihnen auch jene, die nicht zu<br />
den Besten ihres Jahrgangs zählen und dennoch eine Belobigung<br />
verdienen.<br />
Unser Autor<br />
Dr. Paul Schwarz<br />
Zum Beispiel Judith. Bis zur 12. Klasse<br />
Schülersprecherin einer Mädchenschule,<br />
versuchte sie nach eigenen Worten, immer<br />
„in Erfahrung zu bringen, was die Mitschülerinnen<br />
bedrückte“. Sie vermittelte<br />
innerhalb der Schülervertretung in Konfliktfällen,<br />
organisierte Feten und Konzerte<br />
für die Schulgemeinde und trug dazu bei,<br />
dass am Kiosk Biobrötchen statt „Süßkram“<br />
gekauft werden konnten. Sie setzte eine<br />
Mülltrennaktion an der Schule durch und<br />
engagierte sich sehr zeitaufwändig für eine<br />
Afrika-Hilfe. Die Motivation für soviel<br />
gutes Tun zog sie aus der Teamarbeit und<br />
aus dem Gefühl, sich einmischen zu müssen,<br />
wenn irgendetwas meine Missgunst<br />
erregte“. Sie bemängelt, dass das heutige<br />
Gymnasium zu sehr zum Einzelkämpfer<br />
erziehe und zu wenig zum Miteinander,<br />
„obwohl man später im Beruf meistens in einer Gruppe<br />
arbeitet.“ Am Ende der 12,5 Jahre, so meint sie, solle ein<br />
junger Mensch die Schule verlassen, der selbstbewusst sei<br />
und wisse, was er wolle, der gelernt habe, Verantwortung<br />
zu übernehmen.<br />
Unter Bildung versteht Judith denn auch weniger das<br />
angehäufte Kopfwissen („das braucht man natürlich, auch<br />
wenn es sehr schnell wieder vergessen wird“) als vielmehr<br />
die kritische Reflektion, das wache Bewusstsein für Welt<br />
und Mensch „um uns herum“. „Pauken und nur gute<br />
Noten schreiben, reicht nicht.“ Kritikerziehung in der<br />
Schule? Für Judith weitgehend Fehlanzeige, „vielleicht<br />
in Sozialkunde“.<br />
„Das meiste hätte ich auch alleine lernen<br />
können“<br />
Die Haare länger als Judith, rötlich und zu einem Pferdeschwanz<br />
zusammengebunden, ist Peter auf den ersten<br />
Blick ein mehr trockener Typ. Sein soziales Einsatzgebiet<br />
waren die Aufenthaltsräume der Oberstufe. Wochenlang<br />
hat er sie aufgeräumt, geputzt und mit Kameraden renoviert.<br />
Das Geld dafür trieb Peter selbst auf. Wie Judith<br />
war er ebenfalls Schülersprecher, zuletzt ohne Amt. „Ich<br />
hätte schulisch besser sein können“, gibt er zu, „aber mir<br />
hat die gemeinsame Arbeit und Aufgabe einfach Spaß gemacht.“<br />
Die Schule, stellt Peter fest, werde ausschließlich<br />
als Lehr- und Belehrungsanstalt, aber nicht als Raum für<br />
soziale und emotionale Erfahrungen begriffen. „Die soziale<br />
Zusammenarbeit wird mehr unterdrückt als gefördert“,<br />
wirft er dem heutigen Schulsystem vor.<br />
Wenn Schule und Erziehung nicht so sehr verwaltet würden,<br />
denkt er laut, wäre vieles denkbar, Schulhöfe könnte<br />
man freundlicher gestalten, Bänke aufstellen, Bäume und<br />
Pflanzen in die zumeist trostlosen Betonlandschaften<br />
bringen. Dies, so zeigt sich Peter überzeugt, brächte mehr<br />
für die Lernatmosphäre und die Schulgemeinschaft als<br />
sturer Unterricht.<br />
Peter ist skeptisch gegenüber der bloßen Stoffpaukerei<br />
und der Notenjagd, die oft nur den egoistischen Individualismus<br />
fördere. Das meiste, so stellt er heute fest, was er<br />
in der Schule gelernt habe, hätte er auch allein lernen können.<br />
„60 Prozent“, schränkt er dann ein. Angesprochen<br />
auf die steigende Gewaltbereitschaft vieler junger Leute<br />
in den Schulen, sieht er einen engen Zusammenhang mit<br />
der schulischen Erziehung. „Man muss den Kindern und<br />
Jugendlichen eine Aufgabe geben, sie anerkennen und sie<br />
selbstverantwortlich in einer Gruppe handeln lassen.“<br />
Die Pädagogik fehlt in der Schule<br />
Maurice war Klassensprecher, Schulsprecher, Orchesterund<br />
Chormitglied, Schauspieler in der Theater-AG,<br />
gewählter „Abgeordneter“ im neuen Schülerparlament,<br />
Juso-Aktivist. „Ich mache gern und viel, bin gern mit<br />
Menschen zusammen und möchte mit anderen etwas<br />
gestalten und aufbauen“, so Maurice. Auch er kritisiert,<br />
dass das soziale Lernen in der Schule zu kurz komme und<br />
das „reine Lernen“ vorherrsche. „Ich bin keiner, der gegen<br />
Lehrer wettert“, versichert er, „aber die Pädagogik fehlt<br />
in der Schule“. Gefragt sei der pflegeleichte, angepasste<br />
Schüler. Wer Probleme habe und welche mache, bliebe<br />
außen vor. Was man für das spätere Leben brauche, lerne<br />
man in der Schule kaum: Demokratie als Lebensform,<br />
Teamgeist, Partnerschaft, Gemeinsinn. Schule und Leben<br />
seien zweierlei, jedenfalls im Bewusstsein der meisten<br />
Schüler und wohl auch Lehrkräfte. Man müsse lernen,<br />
was die Schule verlange. Ob man das Gelernte später<br />
brauche, ob es einem persönlich etwas gebe, stehe auf<br />
einem anderen Blatt.<br />
Die Lehrkräfte, lobt der junge Mann, seien in der Regel<br />
gut ausgebildet und hätten eine Menge im Kopf, aber<br />
Schüler für etwas zu begeistern oder das rationale Wissen<br />
in der Persönlichkeit zu verankern, das gelinge nur<br />
in Ausnahmen. „Verantwortliches Handeln kann nicht<br />
durch bloße Wissensvermittlung und verbale Appelle<br />
in die Jugendlichen hineingetragen werden. Was wir<br />
brauchen“, betont er, „sind weder Duckmäuser noch<br />
Ellenbogentypen“.<br />
Die Lehrer hüten sich vor<br />
politischen Äußerungen<br />
Ein Multitalent ist auch Daniel: Sportass im Volleyball,<br />
Klassensprecher, Umweltschützer in einer schulischen<br />
10 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
SCHULEN<br />
Öko-AG, Beleuchter, Bühnenbauer und Schauspieler in<br />
der Schultheatergruppe. Er spielt Klavier, Gitarre und<br />
E-Bass.<br />
Daniel beklagt, dass außer im Geschichtsunterricht das<br />
„Dritte Reich“ in seiner Schulzeit kaum vorgekommen<br />
sei. Auch Übergriffe Rechtsradikaler auf Ausländer seien<br />
für viele LehrerInnen erstaunlicherweise kein Thema<br />
gewesen. „Die meisten Lehrer hüten sich vor politischen<br />
Äußerungen.“ Sie zögen ihren Stoff durch, alles andere<br />
interessiere sie offensichtlich nicht .“Vielleicht haben<br />
sie auch Angst?“, gibt Daniel zu bedenken. Vor Eltern,<br />
Direktor und Schulaufsicht?<br />
Er bedauert das fehlende Engagement der meisten<br />
MitschülerInnen in der Schule. Sie seien nicht bereit,<br />
sich für irgendetwas einzusetzen, weil es Zeit kostet<br />
und die „privaten Interessen einschränkt“. Selbst die<br />
tägliche Zeitungslektüre sei vielen schon zu aufwändig.<br />
Allerdings würden die Jugendlichen in der Schule auch<br />
kaum angeleitet, Verantwortung zu übernehmen und<br />
handelnd etwas in eigener Regie unternehmen zu dürfen,<br />
„überall mischen sich die Lehrerinnen und Lehrer ein“.<br />
Zum wirklichen Einsatz für den anderen, auch für den<br />
Schwächeren, dazu „verführe“ das Gymnasium nicht. Die<br />
soziale Kälte nehme deshalb zu. Schule und Unterricht<br />
müssten dazu erziehen, nicht nur an das eigene Interesse<br />
zu denken, sondern auch mal zurückzustecken, müsse<br />
dazu erziehen, Rücksicht zu nehmen, Toleranz einzuüben<br />
und solidarisch zu handeln.<br />
Paul Schwarz<br />
ENJA RIEGELS SCHULTRAUM<br />
Vor einigen Jahren machte die Helene-Lange-Schule in<br />
Wiesbaden - eine Integrierte Gesamtschule mit den Klassen<br />
5 bis 10 - Furore. Irgendwann hat man Enja Riegel am<br />
Helene-Lange-Gymnasium eingesetzt. Die Lehrer erschienen<br />
in Schwarz, weil ihnen die neue Schulleiterin nicht gefiel.<br />
Zwei Jahre brauchte sie, bis sie ein Wunschkollegium hatte,<br />
nachdem sie immer wieder einzelne Lehrer gefragt hatte:<br />
„Können Sie sich nicht vorstellen, einmal an einer anderen<br />
Schule zu unterrichten?“ Als sie Konsens im Kollegium hatte,<br />
hat sie aus dem Gymnasium eine Gesamtschule gemacht, hat<br />
sie die großen Theaterprojekte eingeführt, die Partnerschaft<br />
mit einer Schule im Himalaya ausgebaut, das fachfremde<br />
Unterrichten der Lehrer begünstigt und „die kleine Schule<br />
in der großen Schule“ geschaffen: Sieben Lehrkräfte unterrichten<br />
sechs Jahre lang nur in den vier Parallelklassen,<br />
bauen ihren Stundenplan selbst, haben ein eigenes Klassenzimmer.<br />
Vor fünf Jahren wurde Enja Riegel pensioniert;<br />
bei ihrer Abschlussrede bekam sie einen Herzinfarkt. Nach<br />
Krankenhaus und Reha-Klinik und dem Schreiben ihres<br />
Bestsellers „Schule kann gelingen“ hat sie eine Privatschule<br />
gegründet, mit der sie sich ihren Traum von einer optimalen<br />
Schule erfüllen will. Jetzt hat diese private Gesamtschule mit<br />
dem Namen Campus Klaventhal mit den ersten Schülern<br />
begonnen, und zwar in dem wunderbaren Gelände der<br />
ehemaligen Garten- und Landschaftsakademie Hessens. „In<br />
jeder guten Schulgründung liegt ein Stück Utopie“ sagt Enja<br />
Riegel, und sie hat ihre pädagogische Insel mit dem Motto<br />
versehen: „Kinder brauchen Regeln, Rituale, Gemeinschaft<br />
und Erwachsene, die wissen, dass Kinder Kinder sind und<br />
Erwachsene Erwachsene.“ Begonnen hat sie mit einem<br />
Montessori-Kindergarten und zwei fünften Klassen. Die<br />
Schüler wirken selbst am Bau ihrer Schule mit, so wie es<br />
die Schüler der Evangelischen Gemeinschaftsgesamtschule<br />
in Gelsenkirchen vorgemacht haben. Das Herz der Schule<br />
wird das Theater sein, als Ort, an dem jungen Menschen<br />
vor allem Selbstbewusstsein lernen, denn von Enja Riegel<br />
stammt ja der Satz „Wer viel Theater spielt, wird gut in<br />
Mathematik“. Die Eltern ihrer Schüler müssen je nach<br />
Einkommen 200 bis 850 Euro pro Monat zahlen, weil wir<br />
noch keine niederländischen Verhältnisse haben, mit denen<br />
die Privatschulen komplett vom Staat finanziert werden. Für<br />
Deutschland gilt leider noch: „Um wirtschaftlich zu sein,<br />
muss eine Privatschule ungerecht sein“. Die Kinder können<br />
von 7.30 Uhr bis 18 Uhr in der Schule sein, weil sie meist<br />
beruflich sehr belastete Eltern haben. Im Moment gibt es<br />
in Deutschland zwei Arten von Privatschulen, nämlich<br />
solche, die auf hohe Leistungen erpicht sind, und solche, die<br />
Kindern eine glückliche Kindheit bieten wollen. In beiden<br />
Fällen entscheiden jedoch nicht die Kinder über das gewählte<br />
Schulprofil, sondern die Eltern. Enja Riegel will beides; sie<br />
will mit ihrem Schultraum beweisen, dass es möglich ist,<br />
eine gute Kindheit mit einer hohen Leistungsfähigkeit zu<br />
verbinden.<br />
Prof. Dr. Peter Struck<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
11
SCHULEN<br />
WARUM METHODENLERNEN WICHTIG IST ...<br />
Aus dem „Klagelied“ einer Lehrerin im Rahmen einer Stufenkonferenz 7/8<br />
ReferendarInnen stehen vor vielen<br />
Herausforderungen: selbstständig<br />
unterrichten, Elterngespräche führen,<br />
sich mit Kollegen auseinander-<br />
„Wahrscheinlich kennt Ihr die folgenden Unterrichtssituationen<br />
und Verhaltensweisen nur zur Genüge:<br />
setzen. Ein selbstbewusstes Auftreten<br />
Du willst in einer siebten Klasse Gruppenarbeit durchführen<br />
und investierst erst einmal 10 Minuten, um den<br />
und gute kommunikative Fähigkeiten<br />
helfen dabei.<br />
Schülerinnen und Schülern die wichtigsten Grundregeln<br />
(c) Jupiter Images<br />
der Gruppenarbeit klarzumachen. Die meisten tun so, als<br />
ob sie das noch nie gehört hätten.<br />
Dann geht‘s los. Doch als du nach 10 Minuten durch<br />
die Klasse gehst, arbeiten in jeder Gruppe maximal zwei<br />
Schüler. Auf Nachfrage erklären die „Nichtstuer“: Der<br />
Gruppenleiter und der Gruppensprecher hätten die Lesearbeit<br />
übernommen, das sei eben Arbeitsteilung. Nachher<br />
trage man das Wichtigste dann gemeinsam zusammen.<br />
Du atmest erst einmal tief durch.<br />
Da ein Teil der Schüler weder den Text noch den Arbeitsauftrag<br />
richtig gelesen hat und sich daher erst einmal vieles<br />
im Kreis dreht, leiden Arbeitstempo und Arbeitserfolg.<br />
Da auch Arbeitsweisen wie Markieren, nachschlagen<br />
und Notizen machen im Argen liegen, geht zusätzlich<br />
Zeit verloren. Du wirst also voraussichtlich drei statt der<br />
ursprünglich geplanten zwei Stunden für die Gruppenarbeitsphase<br />
brauchen. Und selbst dann ist noch nicht<br />
sicher, dass alle etwas kapiert haben.<br />
Deine Stirn legt sich in Falten!<br />
Als es nach zwei Stunden darum geht, wer die auf Folie<br />
dargestellten Arbeitsergebnisse vorträgt, bricht in den<br />
Gruppen erst einmal der übliche Disput los. Jeder ist bestrebt,<br />
dem anderen die Verantwortung zuzuschieben.<br />
‚Ich mach‘s nicht, mach du‘s - Wieso ich? Ich hab‘ letztes<br />
mal schon! - Ich kann aber deine Schrift nicht lesen<br />
usw. usw.‘<br />
Du merkst, wie dir die Galle zunehmend hochsteigt,<br />
denn die Zeit läuft davon und du wirst wohl noch mehr<br />
Zeit brauchen, wenn das so weitergeht. Die Arbeitsvermeidungsstrategien<br />
der Schüler sind langsam peinlich<br />
und werfen beim besten Willen kein gutes Licht auf die<br />
Schule und ihre Lehrer.<br />
Der Ärger ist dir deutlich anzumerken<br />
Als dann die Präsentation anläuft, wird deine Stimmung<br />
auch nicht besser. Die Folie der ersten Gruppe ist so klein<br />
beschrieben, dass schon in der zweiten Sitzreihe keiner<br />
mehr etwas lesen kann. Die Folie ist viel zu voll gepackt.<br />
Selbst der Gruppensprecher hat Schwierigkeiten und<br />
muss während der Präsentation immer wieder umständlich<br />
auf seine Aufzeichnungen zurückgreifen.<br />
Du fragst dich verzweifelt: Warum nur ist das<br />
alles so schwierig?<br />
Als du dann am Ende der Stunde die Hefte einsammelst<br />
und zu Hause zum Zwecke der Notenfindung durchsiehst,<br />
erreicht deine Laune endgültig den Tiefpunkt. Nur<br />
zu oft stellst du fest: Keine Überschriften, kein Datum,<br />
miserable Platzaufteilung, ungenügende Visualisierung,<br />
Tabellen windschief, Tintenkleckse auf dem Blatt, Fehler<br />
einfach durchgekritzelt usw.<br />
Und spätestens jetzt wird dir klar: Wenn sich<br />
die Methodenkompetenz der Schülerinnen und<br />
Schüler nicht schnellstens verbessert, bleiben<br />
viele unserer Lernangebote ein eher hohles Unterfangen.“<br />
Eine pfälzische Realschullehrerin /<br />
Aufgezeichnet von Paul Schwarz<br />
12 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
SCHULEN<br />
<strong>GEW</strong> BEGRÜSST MEHR AUSBILDUNGS-<br />
PLÄTZE FÜR ANGEHENDE GYMNASIAL-<br />
LEHRKRÄFTE<br />
Die <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz begrüßt die Ausweitung der<br />
Ausbildungskapazitäten für angehende Gymnasiallehrkräfte.<br />
„Endlich hat das Bildungsministerium die Brisanz der<br />
Lehrkräfteversorgung an den Gymnasien und Gesamtschulen<br />
erkannt. Durch die Einrichtung zusätzlicher Seminarstandorte<br />
kann der bevorstehende Lehrkräftemangel<br />
deutlich verringert werden“, meint der Vorsitzende<br />
der Bildungsgewerkschaft Klaus-Peter Hammer und sieht<br />
darin längjährige Forderungen der <strong>GEW</strong> erfüllt.<br />
Hammer: „Der Lehrkräftemangel an Gymnasien und<br />
Gesamtschulen ist zurzeit sehr beträchtlich. Abordnungen<br />
aus dem Bereich anderer Schularten und versteckter<br />
Unterrichtsausfall haben dazu beigetragen, die Situation<br />
an Gymnasien etwas zu entschärfen. Die erweiterten<br />
Ausbildungskapazitäten sind zu begrüßen, es können<br />
nun deutlich mehr Lehramtsstudierende das Referendariat<br />
direkt nach ihrem Studium beginnen, ohne lästige<br />
Wartezeiten in Kauf zu nehmen.“<br />
pm<br />
GRÜNE: IRREFÜHRUNG UND DESINFORMATION ZUR REALSCHULE PLUS<br />
„Die Landesregierung hat offenbar kein pädagogisches<br />
Konzept, mit dem sie die Aufteilung in Haupt- und Realschulklassen<br />
bei den neu einzurichtenden Realschulen plus<br />
begründen kann. Weder in der Begründung zum Entwurf<br />
der Schulgesetznovelle noch auf den Informationsseiten sind<br />
pädagogische Gründe dafür auffindbar. Im Gegenteil: Die<br />
Informationsseite im Internet zu pädagogischen Fragen rund<br />
um die Schulreform ist bis heute leer! Das ist ein Armutszeugnis<br />
und Offenbarungseid zugleich und zeigt erneut,<br />
welche Mogelpackung die Realschule plus in Wirklichkeit<br />
ist!“, erklärte Daniel Köbler, Landesvorstandssprecher von<br />
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz vor der<br />
Presse.<br />
Weitere Kritik üben die rheinland-pfälzischen GRÜNEN an<br />
der problematischen Informationspolitik des Bildungsministeriums<br />
in einem Kernbereich der Schulreform, der Errichtung<br />
von Realschulen plus in kooperativer und integrativer<br />
Form. Hier werfen DIE GRÜNEN der Landesregierung<br />
Irreführung und Desinformation vor.<br />
Den Informationsseiten der Landesregierung zufolge lernen<br />
in integrativen Realschulen alle SchülerInnen gemeinsam im<br />
Klassenverband. Leider widerspreche das gerade erst beschlos-<br />
sene Schulgesetz dieser Darstellung. Dort ist vorgesehen, dass<br />
die SchülerInnen auch an vermeintlich ‚integrativen‘ Schulen<br />
in Haupt- und Realschulklassen aufgeteilt werden können.<br />
Das Schulgesetz ermöglicht integrativen Realschulen, ab der<br />
7. Klassenstufe in Hauptfächern A- und B-Kurse einzurichten.<br />
Ab der 8. Klassenstufe können die SchülerInnen dann<br />
in separate Haupt- und Realschulklassen aufgeteilt werden.<br />
Im kooperativen Schultyp müssen die SchülerInnen ab der<br />
7. Klassenstufe in Haupt- und Realschulklassen getrennt<br />
werden.<br />
„Damit wird auch im integrativen Schultyp eine Selektion<br />
ermöglicht. Dieses Programm ‚integrativ‘ zu nennen ist<br />
ein dreister Etikettenschwindel. Schulen, die so vorgehen,<br />
unterscheiden sich damit kaum vom ‚kooperativen‘ Typ der<br />
Realschule plus. Regierung und Landtagsmehrheit haben<br />
alle erdenklichen Möglichkeiten geschaffen, um ein längeres<br />
gemeinsames Lernen in den neuen Realschulen zu verhindern.<br />
Vollends absurd wird diese Regelung angesichts der<br />
SPD-Position in ihrem Grundsatzprogramm, indem sie eine<br />
gemeinsame Schule bis zur zehnten Klasse fordert“, kritisierte<br />
Gunther Heinisch, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft<br />
Bildung, Hochschule und Weiterbildung.<br />
pm<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
13
SCHULISCHE ERFAHRUNGEN BEKANNTER RHEINLAND-PFÄLZERINNEN<br />
„ICH BIN VOLLER RESPEKT VOR DER LEISTUNG VON LEHRKRÄFTEN!“<br />
Im Gespräch: Dr. Eva Lohse, Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen<br />
Über die Parteigrenzen hinweg hat sich die Ludwigshafener<br />
Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse (CDU) in ihrer ersten<br />
Amtsperiode viel Respekt, Anerkennung und Sympathie erworben.<br />
<strong>GEW</strong>-Redakteur Günter Helfrich interviewte Dr.<br />
Eva Lohse Ende vergangenen Jahres in ihrem Amtszimmer<br />
im 15. Stock des Rathauses der Chemiestadt am Rhein.<br />
Frau Dr. Lohse, die <strong>GEW</strong> definiert sich als Bildungsgewerkschaft,<br />
organisiert also Beschäftigte<br />
aus allen Bereichen des Bildungswesens von den<br />
Kitas bis zu den Hochschulen. Deshalb bezieht sich<br />
auch unsere erste Frage auf Ihre Kindergartenzeit.<br />
Welche Erinnerungen haben Sie daran?<br />
Ich war damals gar nicht im Kindergarten.<br />
Das lag daran, dass es zu dieser Zeit nicht die<br />
Kindergartendichte gab, die wir heute haben.<br />
Aber das hat der frühkindlichen Lernphase mit<br />
anderen Kindern überhaupt keinen Abbruch<br />
getan. Bei uns hat sich nämlich alles auf der<br />
Straße abgespielt. In unserem kleinen Neubaugebiet<br />
waren ganz viele Kinder, die in der<br />
gleichen Situation waren wie ich. Daraus haben<br />
sich schöne Jugendfreundschaften entwickelt,<br />
die teilweise bis heute halten.<br />
Wenn über Ihre Biografie geschrieben wird, ist immer<br />
von Ihrem durch Politik geprägten Elternhaus die Rede.<br />
Bildung hat da doch sicherlich eine große Rolle gespielt?<br />
Unser Elternhaus war ein Elternhaus, in dem wir sehr<br />
gut behütet aufgewachsen sind. Wir waren drei Mädchen<br />
daheim; es war ein Haus, in dem sehr viel gesprochen<br />
wurde, in dem auch diskutiert und argumentiert wurde,<br />
in dem uns eher spielerisch Bildung näher gebracht wurde.<br />
Es gab aber nie ein bewusst orientiertes Bildungsklima.<br />
Wir sind durch die Art des familiären Umgangs, durch die<br />
vielen Gespräche am Tisch automatisch in einem guten<br />
Umfeld groß geworden.<br />
Die Grundschule wurde in den letzten Jahren grundlegend<br />
modernisiert. Wie war das anno 1962, als die kleine Eva in<br />
die Schule kam. Gab es da noch „stramm sitzen“, „Hände<br />
auf den Tisch“, „in die Ecke stellen“ oder gar Stockhiebe?<br />
An die Grundschulzeit erinnere ich mich noch ganz<br />
genau. Ich bin später eingeschult worden, weil ich so<br />
klein und zart war. Bei der Einschulung war ich dann<br />
schon vergleichsweise reif und sehr offen für das, was in<br />
der Grundschule auf mich zukam. Sie haben das richtig<br />
beschrieben: „Hände auf den Tisch“ hieß „Hände im<br />
Ställchen“, also die Arme verschränkt und die Hände<br />
unter die Achseln. Ich erinnere mich auch noch - das hat<br />
mich damals sehr beeindruckt und auch beschäftigt -, als<br />
damals ein Junge wirklich mit dem Stock auf die Finger<br />
geschlagen bekam. Und ich habe mir immer vorgestellt,<br />
wie es gewesen wäre, wenn ich betroffen gewesen wäre.<br />
Die Grundschulzeit war geprägt von zwei Lehrerpersönlichkeiten:<br />
von einer älteren Lehrerin, die sehr engagiert<br />
war und die ich sehr mochte, und von einer jungen, die<br />
voller Enthusiasmus und aufgeschlossen fürs Neue war.<br />
Deswegen habe ich insgesamt meine Grundschulzeit in<br />
ganz guter Erinnerung.<br />
Wir als <strong>GEW</strong> sind der Meinung, dass die Kinder nach der<br />
Grundschule viel zu früh getrennt werden. Wie lief das bei<br />
Ihnen mit dem Übergang aufs Gymnasium? Haben Sie<br />
beispielsweise den Kontakt zu Freundinnen / Freunden aus<br />
der Grundschulzeit dadurch verloren?<br />
Der Übergang ins Gymnasium ging eigentlich ziemlich<br />
leicht. Wir waren damals in einem Kurzschuljahr und<br />
sind mit relativ vielen Kindern ins Gymnasium: fast ein<br />
Drittel der Klasse ist gewechselt. Dadurch war das mit<br />
den Freundinnen eigentlich problemlos. Mit denjenigen,<br />
die nicht mit uns aufs Gymnasium gegangen sind, ist<br />
der Kontakt nicht abgebrochen, weil wir noch andere<br />
Kreise hatten, wo wir uns immer wieder getroffen haben.<br />
Das war entweder im Sportverein oder im kirchlichen<br />
Bereich.<br />
Was ganz Nettes ist mir unlängst auf dem Markt passiert:<br />
Da hat aus einem Fischverkaufsladen einer gerufen:<br />
„Kennst du mich noch aus der Grundschule?“ Oh Gott,<br />
der Erich Schäfer, ich kannte ihn auch noch sofort, weil<br />
er sich äußerlich kaum verändert hatte. Wir haben uns<br />
dann unserer gegenseitigen Sympathie versichert.<br />
Wo lagen auf dem Gymnasium Ihre besonderen Stärken,<br />
vielleicht auch Schwächen? Oder haben Sie gar manche<br />
Dinge richtig gehasst wie ich Geräteturnen im Sport und<br />
noch mehr Vorsingen in Musik?<br />
Gehasst habe ich eigentlich wirklich nichts. Wenn<br />
ich etwas weniger gern getan hätte, dann sicher nicht<br />
Geräteturnen im Sport, aber Vorsingen in Musik, das<br />
wäre mir sehr schwer gefallen. Ich hatte Stärken in der<br />
Schule, das waren einmal die neuen Sprachen und dann<br />
die Mathematik. Das waren wirklich Stärken, das hat<br />
mir auch am meisten Freude gemacht. So war ich auch<br />
ein Vierteljahr zum Austausch in Frankreich. Da mein<br />
Vater als Chemiker in der BASF arbeitete, war für ihn<br />
ganz wichtig, dass wir vor allem Englisch gut können und<br />
eben nicht alte Sprachen im Vordergrund stehen sollten,<br />
sondern die neuen Sprachen. Das hat mir als Kind auch<br />
eingeleuchtet.<br />
Gab es Sie prägende Lehrerpersönlichkeiten aus der Gymnasialzeit?<br />
In einer unserer letzten Ausgaben haben wir Ihren<br />
Stadtratskollegen Prof. Dr. Günter Dhom (SPD) in dieser<br />
Reihe interviewt. Er erinnerte sich an manche Lehrkräfte<br />
14 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
SCHULISCHE ERFAHRUNGEN BEKANNTER RHEINLAND-PFÄLZERINNEN<br />
bis hin zu ihn damals beeindruckenden Zitaten.<br />
Mit Zitaten kann ich jetzt nicht mehr dienen, aber es gab<br />
in der Tat beeindruckende Lehrerpersönlichkeiten. Die<br />
erste, an die ich mich erinnere, war unser Deutschlehrer,<br />
der später auch Schulleiter am Theodor-Heuss-Gymnasium<br />
wurde. Zu Herrn Herr Baumann hat sich in der sechsten<br />
Klasse ein ganz sympathisches Verhältnis entwickelt.<br />
Ich war noch so jung, und er hat mir sehr geholfen in<br />
meinem Amt als Klassensprecherin. Daraus hat sich dann<br />
ein ganz spezielles Verhältnis entwickelt. Was wir beide<br />
nie gedacht hätten: Ich habe ihn als Oberbürgermeisterin<br />
in den Ruhestand verabschiedet.<br />
Es gab noch andere Persönlichkeiten, an die ich mich<br />
gerne erinnere: Wir hatten eine sehr beeindruckende<br />
Geschichtslehrerin in der Oberstufe und einen Mathematiklehrer,<br />
den ich sehr mochte und mit dem ich heute<br />
noch in engem Kontakt bin.<br />
„Hände im<br />
Ställchen“ hieß<br />
es, als Eva Lohse<br />
in die Grundschule<br />
ging.<br />
Foto: privat<br />
Lebensläufe erfolgreicher CDU-Menschen lesen sich immer<br />
sehr glatt. Gab es mal eine rebellische Schülerin Eva M. mit<br />
null Bock auf die Penne?<br />
Ich hatte das Glück, relativ leicht durch die Schule zu<br />
kommen. Natürlich gab es in der Pubertät auch mal<br />
Durchhänger. Aber insgesamt habe ich viel Spaß daran<br />
gehabt, in die Schule zu gehen, zu diskutieren, Albträume<br />
wie bei manchen Menschen, das Abitur nochmal machen<br />
zu müssen, kenne ich nicht. Es war für mich eine sehr gute<br />
Zeit. Ich habe auch nie Konflikte mit Lehrern ausgetragen,<br />
an die ich mich sehr negativ erinnern würde.<br />
Wie kam es zur Wahl Ihres Studienfaches Jura? Schon mit der<br />
Überlegung, dass Juristen in besonderem Maße für politische<br />
Karrieren prädestiniert sind? Und welche Fächer hätten Sie<br />
noch interessiert?<br />
Zu dem Zeitpunkt, als ich mich entschieden habe, Jura<br />
zu studieren, hatte ich in keiner Weise eine politische<br />
Karriere im Sinn. Dass Politik jemals für mich Inhalt<br />
meiner Arbeit sein könnte, hat sich erst spät ergeben. Erst<br />
nachdem ich schon im Beruf stand, meine beiden Kinder<br />
geboren waren, kam ich zur Politik. Ich bin eigentlich ein<br />
Späteinsteiger in der Politik, was ich übrigens für sehr<br />
gut erachte, weil ich das Leben ohne Politik sehr lange<br />
gelebt habe. Ich habe bei der Studienwahl zwischen einem<br />
naturwissenschaftlichen Fach und Jura geschwankt und<br />
mich dann im Rahmen des Fachs sehr schnell und sehr<br />
eindeutig für das öffentliche Recht interessiert.<br />
Sie waren vor Ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin Dozentin<br />
an der Fachhochschule des Bundes in Mannheim, also quasi<br />
eine Kollegin von uns. Was hat Sie am Lehren gereizt?<br />
Das Lehren hat mir wirklich große Freude bereitet. Es war<br />
mir persönlich immer ein Anliegen, mit den Studenten<br />
gemeinsam Themen zu erarbeiten, und dann habe ich<br />
mich auch wirklich am Erfolg der Arbeit gefreut. Wir<br />
hatten sehr interessante Lehrveranstaltungen, ich habe<br />
meine Lieblingsdisziplinen lehren können, nämlich öffentliches<br />
Recht, Verfassungsrecht, Grundrecht, einfach<br />
Rechtsgebiete, in denen man auch kontrovers diskutieren<br />
kann. Ich finde, es ist auch eine wirklich absolut wichtige<br />
Aufgabe, dass man mit Engagement Lehrender ist. Was ich<br />
aus dieser Zeit noch weiß, das sind die Herausforderungen,<br />
mit denen Lehrende zu kämpfen haben. Und das ist<br />
an der Fachhochschule nochmal deutlich abgeschwächt zu<br />
dem, was Kollegen in den allgemeinbildenden und berufsbildenden<br />
Schulen jeden Tag zu leisten haben. Deswegen<br />
bin ich voller Respekt vor der Leistung der Lehrer.<br />
Es gibt immer unterschiedliche Perspektiven, wenn auf die<br />
Schule geblickt wird. Wie haben Sie diese uns doch alle so<br />
prägende Institution als Mutter gesehen?<br />
Im Grunde hat sich ein bisschen das wiederholt, was ich<br />
erlebt hatte in der Schule. Meine Töchter sind auch - Gott<br />
sei Dank - relativ problemlos durch die Schule gegangen<br />
und ich habe sie auch in dieser Zeit begleitet. Ich war<br />
auf jedem Elternabend, ich war im Freundeskreis und<br />
Förderkreis der jeweiligen Schule, d.h. unsere Familie<br />
hat immer Anteil genommen am schulischen Leben. Das<br />
wünsche ich mir auch für unsere Schüler in Ludwigshafen,<br />
dass die Eltern viel mehr Anteil nehmen an dem, was im<br />
Schulleben passiert.<br />
Abschließende Frage: Was macht für Sie eine gute Lehrkraft<br />
aus?<br />
Einmal muss es ein Mensch sein, der die Kinder liebt,<br />
dann muss es jemand sein, der Leidenschaft für sein<br />
Fach entwickelt und auch Vorbild und Respektsperson<br />
ist. Ein guter Lehrer ist meiner Meinung nach offen für<br />
Diskussionen und Gespräche im Unterricht, geht auf<br />
die Schüler ein und passt sich flexibel unterschiedlichen<br />
Lerntempi an.<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
15
BILDUNGSPOLITIK<br />
INKLUSION: EINE VERPFLICHTUNG ZUM SYSTEMWECHSEL<br />
Deutsche Schulverhältnisse auf dem Prüfstand des Völkerrechts<br />
In der deutschen Öffentlichkeit ist der Begriff Inklusion<br />
noch weitgehend unbekannt und selbst in pädagogischen<br />
Kreisen herrscht erstaunlich viel Unsicherheit darüber, was<br />
eigentlich damit gemeint ist. Von Inklusion ist meistens im<br />
Zusammenhang mit der Integration von Behinderten die<br />
Rede. Die Schrägstrich-Bezeichnung „Integration/Inklusion“<br />
ist so verbreitet, dass der falsche Rückschluss gezogen<br />
werden könnte und tatsächlich auch gezogen wird, Inklusion<br />
sei mehr oder weniger dasselbe wie Integration und bezöge<br />
sich ausschließlich auf die Belange von Menschen mit<br />
Behinderungen.<br />
Integration = Inklusion?<br />
Die Integration unterscheidet zwischen Kindern mit und<br />
ohne „sonderpädagogischem Förderbedarf“. Die Inklusion<br />
geht von der Besonderheit und den individuellen<br />
Bedürfnissen eines jeden Kindes aus. Während die integrative<br />
Pädagogik die Eingliederung der „aussortierten“<br />
Kinder mit Behinderungen anstrebt, erhebt die inklusive<br />
Pädagogik den Anspruch, eine Antwort auf die komplette<br />
Vielfalt aller Kinder zu sein.<br />
Sie tritt ein für das Recht aller Schüler und Schülerinnen,<br />
unabhängig von ihren Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen<br />
sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen<br />
Herkunft miteinander und voneinander in „einer Schule<br />
für alle“ zu lernen. Kein Kind soll ausgesondert werden,<br />
weil es den Anforderungen der Schule nicht entsprechen<br />
kann. Im Gegensatz zur Integration will die Inklusion<br />
nicht die Kinder den Bedingungen der Schule anpassen,<br />
sondern die Rahmenbedingungen an den Bedürfnissen<br />
und Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler ausrichten.<br />
Während in anderen Ländern die Inklusion längst auf der<br />
Agenda staatlicher Bildungspolitik steht und inklusive Bildung<br />
international als pädagogischer Auftrag von Schulen<br />
verstanden wird (s. UNESCO-Weltministerkonferenz in<br />
Genf), hat die deutsche Bildungspolitik maßgeblich für<br />
Unwissenheit gesorgt und sich selbst unwissend gestellt.<br />
Inklusion - Auftrag der UNESCO<br />
Spätestens nach der Erklärung von Salamanca, die auf der<br />
UNESCO-Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse:<br />
Zugang und Qualität“ 1994 unter Beteiligung<br />
der Bundesregierung abgegeben wurde, hätte die deutsche<br />
Politik zumindest den Forderungsgehalt der Erklärung<br />
verbreiten und eine Debatte über die pädagogischen,<br />
bildungs- und gesellschaftspolitischen Implikationen<br />
des Inklusionskonzeptes initiieren müssen. In dem von<br />
der Bundesrepublik mit unterzeichneten UNESCO-<br />
Dokument wurden alle Regierungen aufgefordert, ihre<br />
Schulsysteme so zu verbessern, dass Bildung für alle in<br />
inklusiven Schulen verwirklicht wird, die niemanden<br />
ausschließen, sondern alle einbeziehen, und mit einer<br />
Pädagogik für besondere Bedürfnisse sowohl Kindern mit<br />
Behinderungen als auch allen anderen in Anerkennung<br />
ihrer Verschiedenheit gerecht werden.<br />
In dem ebenfalls beschlossenen „Aktionsrahmen“ wurden<br />
der menschenrechtsbasierte Ansatz und die gesellschaftspolitische<br />
Zielsetzung der „Pädagogik für besondere<br />
Bedürfnisse“ eindeutig benannt. Sie „ geht davon aus, dass<br />
menschliche Unterschiede normal sind, daß das Lernen<br />
daher an das Kind angepasst werden muss und sich nicht<br />
umgekehrt das Kind nach vorbestimmten Annahmen<br />
über das Tempo und die Art des Lernprozesses richten<br />
soll. Eine kindzentrierte Pädagogik ist für alle Kinder<br />
und in der Folge für die gesamte Gesellschaft von Nutzen.<br />
Erfahrungen haben gezeigt, dass sie Drop-Out- und Wiederholungsraten,<br />
die ein wesentlicher Bestandteil vieler<br />
Schulsysteme sind, deutlich reduzieren kann und dass<br />
gleichzeitig ein höherer Leistungsdurchschnitt gesichert<br />
wird (...). Darüber hinaus sind kindgerechte Schulen der<br />
Übungsbereich für eine Gesellschaft, die sich am Menschen<br />
orientiert und sowohl die Unterschiede als auch<br />
die Würde aller Menschen respektiert.“<br />
In der deutschen Übersetzung des Dokuments durch<br />
die österreichische UNESCO-Kommission wurde der<br />
für den Gemeinsamen Unterricht von Kindern mit<br />
und ohne Behinderungen im deutschsprachigen Raum<br />
gebräuchliche Begriff „Integration“ als Entsprechung<br />
für den englischen Begriff „inclusion“ verwendet. Diese<br />
problematische Übersetzung ist allerdings keine hinreichende<br />
Erklärung dafür, dass bis heute die Philosophie<br />
der Inklusion in Deutschland bildungspolitisch ignoriert<br />
wird. Schließlich ließ nachfolgend die UNESCO in zahlreichen<br />
Zusatzveröffentlichungen nichts unversucht, um<br />
deutlich zu machen, dass mit dem Inklusionskonzept die<br />
Überwindung der in alten Strukturen und Mentalitäten<br />
verhafteten Integrationspraxis gemeint ist. Am besten<br />
wird dies auf den Punkt gebracht in der Feststellung:<br />
„Looking at education through an inclusive lens implies<br />
a shift from seeing the child as a problem to seeing the<br />
education system as a problem“ (UNESCO 2006).<br />
Konnte die UNESCO-Erklärung noch als ein unverbindliches<br />
Dokument angesehen werden, verpflichteten sich<br />
Bund und Länder mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention<br />
im gleichen Jahr völkerrechtlich darauf,<br />
die Würde des Kindes und seine Subjektstellung in das<br />
Zentrum ihrer Politik zu rücken. Doch im Widerspruch<br />
dazu geht das Schulsystem bis heute mit seinen tiefgreifenden<br />
Selektionsmechanismen von den Interessen der<br />
Institutionen aus und verstößt damit fortgesetzt gegen den<br />
völkerrechtlichen Anspruch, vom Kind aus zu denken.<br />
Deutsche Schulverhältnisse<br />
Im angeblich begabungs- und leistungsgerechten System<br />
müssen sich Kinder und Jugendliche den bestehenden<br />
16 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
BILDUNGSPOLITIK<br />
Schularten anpassen und dort jeweils ihre rechtmäßige<br />
Zugehörigkeit durch Erfüllung normativer Leistungsanforderungen<br />
unter Beweis stellen. Kinder mit Lernschwierigkeiten<br />
und Behinderungen werden durch ein Feststellungsverfahren<br />
zu Kindern mit „sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf“ deklariert und nach Förderschwerpunkten<br />
kategorisiert. Ihre Integration in das Regelschulsystem<br />
ist im Schulrecht der Bundesländer unterschiedlich<br />
verankert. In einigen Bundesländern hat die Integration<br />
in die Regelschule sogar Vorrang vor der Sonderschule.<br />
In der Umsetzung ist Integration jedoch immer noch<br />
die Ausnahme, um die Eltern vor Ort meistens noch<br />
kämpfen müssen.<br />
Die in diesem Feld engagierten Schulen und Pädagogen<br />
werden wenig unterstützt und eher entmutigt. Betroffenen<br />
Eltern und Kindern werden ständig fast unüberwindbare<br />
Barrieren in den Weg gestellt. Integration hängt<br />
ab von der Bereitschaft der Länder, die finanziellen und<br />
personellen Ressourcen bereitzustellen. Sie ist in der Regel<br />
angewiesen auf die Zustimmung der Schulaufsicht, der<br />
Schulträger und der Schulen. Lernzieldifferente Integration<br />
stößt nach der Grundschule auf die Grenzen des selektiven<br />
weiterführenden Schulsystems. Wegen der zumeist<br />
kümmerlichen Ausstattung orientieren sich zunehmend<br />
auch Grundschulen an dem Grad der Behinderung und<br />
nehmen nur die „leichteren Fälle“ auf. Die getrennte<br />
Ausbildung der Lehrer/innen und fehlende Fortbildungsangebote<br />
zementieren die defizitäre Situation.<br />
Gegen den internationalen Trend werden in Deutschland<br />
laut KMK-Statistik 84,3 % der Schüler/innen mit<br />
sonderpädagogischem Förderbedarf im Erhebungsjahr<br />
2006 getrennt unterrichtet. Während andere Länder<br />
Schülerinnen und Schüler mit Lernproblemen gemeinsam<br />
unterrichten, ist der Ausschluss aus dem Regelschulsystem<br />
für diese Gruppe in Deutschland so gut wie sicher. Fast<br />
90 % dieser Schüler/innen gehören zur untersten sozialen<br />
Schicht. Unsere Schulstrukturen sorgen also perfekt dafür,<br />
dass die sozial randständigen Milieus von vornherein<br />
ausgegrenzt werden. Deutschland ist Spitzenreiter in der<br />
sozialen Exklusion von Kindern mit Behinderungen und<br />
sozialer Benachteiligung.<br />
Im Übrigen belegt die KMK-Statistik, dass die Gesamtzahl<br />
der integrierten Schüler/innen mit Behinderungen<br />
bundesweit nur langsam angestiegen ist. Zudem ist problematisch,<br />
dass mit Ausnahme von Schleswig-Holstein<br />
trotz der sinkenden Schülerzahl im Regelschulsystem die<br />
Zahl der Schüler und Schülerinnen an Sonderschulen<br />
nicht gesunken, sondern angestiegen ist. Außerdem<br />
sorgt das föderale System dafür, dass die Segregationsbzw.<br />
Integrationsquoten höchst unterschiedlich sind.<br />
Das Sonderschulrisiko für Kinder mit Förderbedarf ist<br />
in Bremen, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein<br />
ungleich geringer als z.B. in den gelobten deutschen<br />
„PISA-Ländern“ Sachsen, Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg.<br />
(...)<br />
Neue Perspektiven mit der<br />
UN-Behindertenrechtskonvention<br />
In der UN-Konvention über die Rechte von Menschen<br />
mit Behinderungen, die am 13. Dezember 2006 von der<br />
UN-Vollversammlung beschlossen wurde, ist das Recht<br />
auf Bildung für Menschen mit Behinderungen in Artikel<br />
24 im englischen Original eindeutig definiert. Danach<br />
sind die Vertragsstaaten völkerrechtlich verpflichtet,<br />
das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderungen<br />
ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der<br />
Chancengleichheit in einem inklusiven Bildungssystem<br />
zu gewährleisten.<br />
Das Ratifizierungsdilemma für die Bundesregierung lag<br />
darin, die Zustimmung der KMK und der Bundesländer<br />
zu Artikel 24 zu bekommen. Dass die „eine Schule für<br />
alle“ trotz nachgewiesener Bildungsungerechtigkeit und<br />
miserabler Leistungsergebnisse des selektiven Schulsystems<br />
nicht das gemeinsame Ziel der 16 Kultusminister in<br />
der KMK ist, ist hinlänglich bekannt. Das federführende<br />
Bundesministerium für Arbeit und Soziales musste also<br />
zu einem Übersetzungstrick greifen, um den Forderungsgehalt<br />
der Konvention zu verwässern. So wurde<br />
aus „inclusion“ im englischen Original in der deutschen<br />
Übersetzung einfach „Integration“. Der Integrationsbegriff<br />
sollte die Konvention anschlussfähig erscheinen<br />
lassen an die deutschen Schulverhältnisse.<br />
In dem Vertragsgesetz der Bundesregierung zur Ratifizierung<br />
der UN-Konvention über die Rechte von Menschen<br />
mit Behinderungen, das zum 1. Januar 2009 in Kraft tritt,<br />
werden die bildungspolitischen Zielkonflikte mit Artikel<br />
24 völlig verwischt durch die Behauptung, es gäbe schon<br />
„vielfältige Übereinstimmungen“ zwischen den deutschen<br />
Schulverhältnissen und dem Menschenrecht auf Bildung<br />
der Vereinten Nationen. Politisch wird der irreführende<br />
Eindruck erweckt, als ginge es lediglich darum, die Integration<br />
von Behinderten in das bestehende Regelschulsystem<br />
zu optimieren. Die grundsätzliche Unvereinbarkeit<br />
unseres ausgrenzenden und aussondernden Regel- und<br />
Sonderschulsystems mit dem Anspruch der Konvention<br />
auf vollständige Inklusion oder Einbeziehung und wirksame<br />
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wird<br />
schlichtweg geleugnet.<br />
Trotz aller Tricks der Politik: Völkerrechtlich gilt uneingeschränkt<br />
der englische Wortlaut der UN-Konvention.<br />
Behindertenverbände wie die Lebenshilfe und Elterninitiativen<br />
in der BAG Gemeinsam Leben - Gemeinsam<br />
Lernen fordern jetzt die vollständige Umsetzung der<br />
UN-Konvention ein. Sie können sich der Unterstützung<br />
all derer sicher sein, die „eine Schule für alle“ wollen.<br />
2009 ist die Chance, ein wirksames zivilgesellschaftliches<br />
Bündnis pro Inklusion zu schließen.<br />
Dr. Brigitte Schumann<br />
ifenici@aol.com<br />
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Zeitschrift PÄDAGOGIK,<br />
Heft 2/2009, S. 51-53. Wir danken der Redaktion für die Abdruckgenehmigung.<br />
Kontakt: 040/454595<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
17
BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />
DER EID DES SISYPHOS -<br />
Anregungen einer Systemischen Pädagogik 1)<br />
- Von Rolf Arnold -<br />
1) Vorabdruck aus:<br />
Arnold / Arnold-<br />
Haecky 2009.<br />
„Und die Pädagogiker,<br />
die unentwegt den Felsblock der pädagogischen Mittel<br />
auf den Gipfel des Idealbergs wälzten,<br />
erschienen lächerlich und unnütz:<br />
sisyphische Überhebung, von boshaften Göttern<br />
mit Mühsal und Erfolglosigkeit bestraft“<br />
(Bernfeld 1967, S. 39).<br />
Lehrer üben einen schwierigen Beruf aus. Sie sind professionell<br />
für die Begleitung und Förderung individueller<br />
Reifungs- und Entwicklungsprozesse zuständig, deren<br />
Bedingungen sie nicht zu beherrschen vermögen. Und<br />
selbst, wenn es ihnen erfolgreich gelingt, im Einzelfall<br />
diese Prozesse positiv zu gestalten und die erzielten Erfolge<br />
auch glaubwürdig auf das eigene pädagogische Handeln<br />
zurückführen zu können, so vermögen sie doch nicht<br />
wirklich an die „soziale Grenze der Erziehung“ (Bernfeld<br />
1967, S.123) heranzureichen. Siegfried Bernfeld legt<br />
in seinem bekannten Buch „Sisyphos oder die Grenzen<br />
der Erziehung“ schonungslos diese Unsicherheit des<br />
pädagogischen Bemühens offen, dessen Wirkungen<br />
sämtlich nur ein relatives Gewicht im Zusammenklang<br />
innerer und äußerer Logiken zu erreichen vermögen,<br />
wobei Bernfeld desillusioniert feststellt: „Es will mir<br />
wenig plausibel erscheinen, dass der Wille der Erzieher<br />
die Schranken durchbrechen will, welche die sozialen<br />
Grenzen darstellen“ (ebd., S. 128) - eine Bemerkung, die<br />
gerade angesichts der fortdauernden sozialen Selektivität<br />
des Bildungswesens, wie sie uns durch die internationalen<br />
Schulvergleichstests (vgl. Prenzel/ Baumert 2008)<br />
drastisch vor Augen geführt wird, in nahezu skandalöser<br />
Weise nach wie vor zutreffend ist. Die Statistik markiert<br />
eine schier unüberwindbar erscheinende „soziale Grenze<br />
der Erziehung“ und scheint auch heute noch - über 80<br />
Jahre nach der Bernfeldschen Erziehungskritik - „wenig<br />
Hoffnung für den edlen, jungen Leser, der seinen Teil<br />
hinzu tun will, die Statistik auf den Kopf zustellen, (zu<br />
bieten)“ (Bernfeld 1967, S. 129). Doch gibt es nicht<br />
allein diese makrosoziale Begrenzung der pädagogischen<br />
Wirksamkeit, auch die unmittelbaren Lehr-Lernprozesse<br />
bleiben häufig Suchbewegungen „zwischen Vergewisserung<br />
und Ungewissheit“ (Dewe 1999) - eine ebenfalls<br />
unvermeidbare Wirksamkeitsbegrenzung, wie uns nicht<br />
nur die neuere Hirnforschung zeigt.<br />
Die Bernfeldsche Messlatte ist zu hoch und auch<br />
falsch. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Bernfelds<br />
Defaitismus seine Wurzeln in sich selbst trägt. Es ist die<br />
überdehnte Wirkungshoffnung, an welcher man den<br />
Erfolg des Lehrerhandelns misst und deshalb stets hinter<br />
den Erwartungen zurückbleiben muss. Dadurch kann<br />
man den Lehrerinnen und Lehrern - oder gar sich selbst<br />
- aber auch immer und immer wieder eine Erfolglosigkeit<br />
bescheinigen, mit der man vielleicht auch unbewusst den<br />
eigenen „subjektiven Motivationen der Abneigung gegen<br />
den Lehrerberuf“ (Adorno 1980, S.80) Ausdruck verleiht.<br />
Sei es, wie es will: Das Handeln von Lehrerinnen und<br />
Lehrern ist in einen anderen Wirkungshorizont gestellt,<br />
der sich einer systemischen Sicht der Dinge erschließt und<br />
die Verantwortung für das eigene Denken, Fühlen und<br />
Handeln der an der pädagogischen Interaktion beteiligten<br />
Akteure in den Vordergrund stellt. Damit können Lehrerinnen<br />
und Lehrer zwar keine Gesellschaft verändern<br />
oder Lernerfolge garantieren, sie können aber ihr eigenes<br />
Tun bewusster und wirksamer auf die Suchbewegungen,<br />
Selbstartikulationen und Veränderungsmöglichkeiten ihres<br />
Gegenübers einstellen. Ihr Gesellschaftsbezug ist dabei<br />
allenfalls ein vermittelter: Indem sie „Menschen stärken“<br />
(von Hentig) erweitern sie deren biographische Optionen,<br />
diese können dann gesellschaftlich verantwortlich und<br />
solidarisch handeln, müssen dies aber nicht. Lehrerinnen<br />
und Lehrer sind für dieses Können, nicht für das Müssen<br />
verantwortlich, und selbst dieses Können, können sie nur<br />
ermöglichen, nicht erzwingen.<br />
Damit ist die Messlatte, aber auch der systemische Kern<br />
eines professionellen Lehrerhandelns grob markiert: Lehrerinnen<br />
und Lehrer können nur dort Wirkungen entfalten,<br />
wo ihr Tun im Anderen Resonanz zu erzielen vermag.<br />
Das vorliegende Buch lotet detailliert die Möglichkeiten<br />
aus, die sich den Lehrerinnen und Lehrern bieten, um ihre<br />
systemische Resonanzfähigkeit zu erhöhen. Grundlegend<br />
für diese Fähigkeiten ist eine spezifische Haltung sich<br />
selbst und seinen pädagogischen Aufgaben gegenüber,<br />
wie sie in dem Eid des Sisyphos verdichtet zum Ausdruck<br />
kommt. Eide zu schwören, ist ein Merkmal professionellen<br />
Handelns, wobei diese Eide innerlich geschworen<br />
werden: Man verpflichtet sich bewusst auf einen „Code<br />
of ethics“. Bekannt geworden ist in der Pädagogik „Der<br />
Eid des Sokrates“ von Hartmut von Hentig. Damit hat<br />
Hartmut von Hentig die praktische Pädagogik auf den<br />
ersten Systemiker des Abendlandes eingeschworen, ohne<br />
diesen Aspekt vielleicht bewusst betonen zu wollen. Die<br />
Sokratische Selbstbildung steht für die innere Bewegung<br />
der „selbsteinschließenden Reflexion“ (Varela), durch die<br />
der Beobachter sich der letztlich banalen Standpunkthaftigkeit<br />
der Resultate seiner Beobachtungen bewusst<br />
wird und dadurch erst in die Lage kommt, den Kampf<br />
um die Wirklichkeit aufzugeben, andere Wirklichkeiten<br />
zu tolerieren und so neue Wirklichkeiten entstehen zu<br />
lassen. Sokrates versuchte jeden, mit dem er sich auf den<br />
Straßen und Plätzen Athens unterhielt, davon zu überzeugen,<br />
dass er nicht „für irgendetwas von dem Seinigen<br />
eher sorge bis er für sich selbst gesorgt habe, auf welche<br />
Weise er so gut und vernünftig wie möglich werde, noch<br />
auch für die Angelegenheit der Polis eher als für die Polis<br />
selbst“, wie er in der Apologie berichtet (zit. n. Kniest<br />
2003, S.70). Diese Verpflichtung des Gegenübers auf sich<br />
selbst ist pädagogisch grundlegend, aber auch bedrohend<br />
für alle die, die Gewissheiten verordnen und zu vermitteln<br />
trachten. Sokrates musste diese Gefährlichkeit seiner Rede<br />
mit dem Leben bezahlen, ein Scheitern seiner Sicht war<br />
18 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />
nicht vorgesehen. Zumindest am Ende seines Lebens wusste er,<br />
dass er es besser (als seine Ankläger) wusste, und mit diesem Wissen<br />
beendete er sein Leben letztlich selbst, wie Xenophon berichtet (vgl.<br />
ebd., S.169). Was immer auch die Gründe für dieses konsequente<br />
oder gar rigorose Verhalten gewesen sein mochten, am Ende gab es<br />
für Sokrates selbst wohl nur noch eine Option für ein erfolgreiches<br />
Handeln.<br />
Anders Sisyphos: Sein Leben ist nicht bloß die Wiederkehr des<br />
immer Selben, sondern auch ein Beleg für den „Mut zur Hartnäckigkeit,<br />
zum Einsatz, auch wenn kein Erfolg in Sicht ist“ (Kast<br />
2004, S.87). Sisyphos geht mit der Erfolglosigkeit um, vor der<br />
Sokrates letztlich kapitulierte. Diese Haltung setzt Wissen, Kompetenzen<br />
und die Bereitschaft zur Selbstreflexivität voraus. Alle drei<br />
Voraussetzungen sind eng miteinander verbunden, denn man muss<br />
etwas darüber wissen, wie Systeme entstehen und nach welchen<br />
inneren Mechanismen sie sich entwickeln, damit man sich von<br />
den linear-mechanistischen Vorstellungen, die unser Denken und<br />
Handeln im Alltag bestimmen, allmählich lösen und mit einem<br />
beobachtenden Blick auf die eigene Art, Dinge wahrzunehmen,<br />
schauen kann. Dabei mutet einem die neuere Systemtheorie einige<br />
Ernüchterungen zu, indem sie uns eine wunderbare Lektion in<br />
Bescheidenheit erteilt. Auf ihrer Basis kann eine Haltung wachsen,<br />
die uns ganzheitlicher, achtsamer, in unseren Stellungnahmen<br />
selbstkritischer und in unseren Aktionen „dosierter“ und damit<br />
auch systemisch nachhaltiger werden lässt. Diese Haltung ist der<br />
Kern jeglicher systemischen Professionalität bei der Initiierung und<br />
Begleitung von Veränderungsprozessen.<br />
Die systemischen Konzepte beruhen auf erkenntnis- und wahrnehmungstheoretischem,<br />
neuerdings auch hirnphysiologischem<br />
Wissen um die Konstruktivität sowie Selbstbezüglichkeit dessen,<br />
was wir sehen: Wenn wir unsere Umwelt betrachten, blicken wir<br />
durch die Brille unserer Erfahrungen, die uns sehend, aber auch<br />
blind macht, denn jede Wahrnehmung ist perspektivisch und selektiv.<br />
Wir sehen nur, was wir entweder schon kennen und deshalb<br />
auch einordnen können oder was für uns in irgendeiner Weise von<br />
Bedeutung ist. Alles andere blenden wir aus. Und da jeder von uns<br />
durch seine eigene Brille der Erfahrungen schaut, sieht jeder die<br />
ihn umgegebende Wirklichkeit in einer jeweils spezifischen Weise.<br />
Eine objektive Wahrnehmung ist demnach eine Illusion, denn jeder<br />
Beobachter bzw. jedes beobachtende System greift jeweils auf einen<br />
mehr oder weniger vertrauten Satz von Bedeutungen zurück, mit<br />
deren Hilfe die eigenen Gewissheiten nach Möglichkeit beibehalten<br />
und fortgeschrieben werden können. Auf diese Weise kann das<br />
System fortbestehen, selbst wenn es sich - in Maßen - wandelt,<br />
denn das Neue bleibt so notwendig an das Bisherige angeschlossen<br />
(eine Einsicht, die sich auch und gerade bei den neueren Versuchen<br />
um Schul- und Unterrichtsentwicklung nachdrücklich bestätigt).<br />
Evolution und Wandel sind deshalb nur schrittweise und nie traditionsabschneidend<br />
möglich.<br />
Menschen handeln, wie ihnen die Erfahrungen gewachsen sind,<br />
wobei es - wie wir aus der Säuglings- und Hirnforschung wissen<br />
- die frühesten und frühen Erfahrungen sind, die uns mit den Wahrnehmungs-<br />
und Schlussfolgerungstendenzen ausgestattet haben,<br />
über die wir spontan - ohne zeitraubend zu reflektieren - verfügen.<br />
Je druckvoller die Situation ist, der wir uns gegenüber sehen oder<br />
gegenüber zu sehen glauben, desto tiefer sind die Denk- und Fühlprogramme,<br />
die sich in unsere Reaktionen einmischen und desto<br />
entschiedener können unsere Reaktionen ausfallen. Diese Entschiedenheit<br />
ist es, die uns den Weg in die Selbstreflexion verstellt. Immer<br />
und immer wieder drohen wir in das Vertraute zurückzufallen und<br />
uns die Welt so zu konstruieren, wie wir sie bereits kennen.<br />
Systemische Kompetenzen<br />
Erst wenn die skizzierten systemischen Erkenntnisse ihren sichtbar<br />
gelebten Ausdruck in ganz bestimmten pädagogischen Fähigkeiten<br />
finden, kann sich eine Lernkultur entwickeln, in welcher der<br />
Suchbewegung der Lernenden wirklich Raum gegeben wird und in<br />
der die Erfahrungen der Lernenden als konstitutive Ressourcen im<br />
Lernprozess zur Geltung kommen können. Systemische Kompetenz<br />
befähigt Pädagoginnen und Pädagogen zu einer solchen Veränderung<br />
der Lernkultur. Grundlage ist dabei die Kompetenz, Prozesse vom<br />
Anderen her zu gestalten. Es ist seine Art und Weise, sich Wissen<br />
und Fähigkeiten anzueignen, die zur Geltung kommen soll, und<br />
es sind seine Kompetenzen, die sich transformieren müssen, damit<br />
Veränderung im Sinne einer gestaltenden Anpassung an das Neue<br />
gelingen kann. Die traditionelle Rolle von Lehrenden muss deshalb<br />
im Rahmen einer systemischen Lernkultur neu entwickelt werden.<br />
Lehren ist nicht mehr Instruktion im Sinne einer Übermittlung von<br />
Inhalten und Strukturen, sondern wird als Initiierung und Begleitung<br />
von autonomen Veränderungsprozessen verstanden.<br />
Systemische Haltung<br />
Die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern liegt darin, ihre Schülerinnen<br />
und Schüler in ihrer Entwicklung und ihrem Lernen zu<br />
fördern und zu unterstützen. Dies gelingt ihnen jedoch nicht, wenn<br />
sie die Interaktion gemäß eigener verborgener Bedürfnisse rekonstellieren.<br />
Vielmehr sollten sie in der Lage sein, ohne Angst und mit<br />
innerer Kraft auf die Lesarten ihrer Schülerinnen und Schüler zu<br />
lauschen und immer wieder neue Versuche zu unternehmen, mit<br />
diesen in einen konstruktiven Dialog einzutreten, sie zu beraten<br />
und zu begleiten. Dem Fragen kommt dabei eine grundlegende<br />
Bedeutung zu. Es war Sokrates, der die Kunst des Fragens kultivierte<br />
und in seiner Pädagogik der Irritation praktizierte.<br />
Ein sondierendes pädagogisches Handeln, das sich darum bemüht,<br />
den Maßgaben und Möglichkeiten des Lernenden Rechnung zu<br />
tragen, bedingt eine Gelassenheit desjenigen, der für die Initiierung<br />
und Begleitung solcher Suchprozesse zuständig ist. Pädagogische<br />
Gelassenheit ist die Fähigkeit, eigene Dominanz- oder Steuerungsansprüche<br />
zurückzunehmen und im Gegenüber das Vertrauen in die<br />
Literatur:<br />
Arnold, R./Arnold-Haecky, B.: Der Eid des Sisyphos. Eine Einführung<br />
in die Systemische Pädagogik. Balmannsweiler 2009.<br />
Adorno, Th.W.: Tabus über den Lehrerberuf (1965). In: ders.: Stichworte.<br />
Kritische Modelle 2. 5. Auflage. Frankfurt 1980, S.68-84.<br />
Bernfeld, S.: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung (1925). Frankfurt<br />
1967.<br />
Camus, A.: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde.<br />
Hamburg 1970.<br />
Dewe, B.: Lernen zwischen Vergewisserung und Ungewissheit. Opladen<br />
1999.<br />
Kniest, C.: Sokrates zur Einführung. Hamburg 2003.<br />
Prenzel, M./ Baumert, J.: Vertiefende Analysen zu PISA 2006. Sonderheft<br />
10/2008 der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Fankfurt<br />
2008<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
19
BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />
eigenen Kräfte zu stärken. Durch behutsame - teils (hinter)fragende,<br />
teils „störende“ - Impulse können Prozesse der Aneignung und der<br />
selbstverantwortlichen Lernprozessgestaltung entstehen. Dafür ist<br />
auf Seiten des Pädagogen eine innere Sicherheit nötig, die nicht<br />
eine eigene Linie in den Lernprozessen des Gegenübers zu realisieren<br />
braucht. Gleichwohl ist eine eigene Linie wichtig, nur ist diese<br />
paradoxerweise durch das Vorhaben definiert, stets der Linie des<br />
aneignenden Systems gerecht zu werden: Es geht um die Stärkung<br />
der Potentiale der Lernenden, nicht um die Durchsetzung von<br />
Vorgaben. Die Ressourcen der Lernenden, Suchenden und Sich-<br />
Entwickelnden sind dafür die eigentlichen Bezugspunkte für das<br />
pädagogische Handeln.<br />
Pädagogisch Gelassene nehmen sich selbst in der eigenen Zuständigkeit<br />
ernst, aber nicht wichtig. Sie wissen um die Fallstricke der<br />
pädagogischen Grundparadoxien, andere zu selbstbestimmtem<br />
Handeln führen zu wollen, und schließen das eigene Scheitern nicht<br />
aus. Sie möchten keine Wirkungen erzielen, aber die Wirksamkeit<br />
der Aneignungen des Gegenübers optimieren. Auch wenn sie immer<br />
und immer wieder bei diesen Versuchen in eigene Ungeduld und<br />
Entschiedenheit abgleiten - mit den bekannten kontraproduktiven<br />
Effekten, denn mehr Steuerung angesichts der bisherigen Unwirksamkeit<br />
der Steuerungsversuche führt stets nur zu mehr Unwirksamkeit<br />
-, so begegnen pädagogisch Gelassene diesen Rückfällen<br />
in die eigene Steuerungsillusion doch mit Selbstkritik, aber auch<br />
mit augenzwinkernder Belustigung. Gerade dadurch, dass sie sich<br />
den Lernenden als reflektierende, immer auch mal wieder in ihren<br />
Bemühungen zurückfallende Menschen zeigen, verbreiten sie bei<br />
denen, für die sie sich zuständig fühlen, Leichtigkeit und Vertrauen.<br />
Beides sind wichtige Voraussetzungen, damit sich Lernende verändern<br />
können, denn unter Druck schließt sich die Lernbewegung<br />
in ihren bekannten Mustern ein und nur in einem vertrauensvollleichten<br />
sowie experimentellen Lernklima öffnen sich die Muster<br />
auch für ein tiefenwirksames Lernen.<br />
Die in ihren wesentlichen Elementen skizzierte Haltung eines systemischen<br />
Pädagogen oder einer systemischen Pädagogin lässt sich in<br />
der Form eines „Code of Ethics“ beschreiben, der die grundlegenden<br />
systemisch-ethischen Elemente beschreibt, denen ein professionelles<br />
Handeln in pädagogischen Kontexten verpflichtet ist:<br />
Der Eid des Sisyphos<br />
Als Pädagoge bin ich in erster Linie der Entfaltung der<br />
inneren Kräfte und Möglichkeiten meiner Schülerinnen<br />
und Schüler verpflichtet. Meine Aufgabe ist es, ihre Kompetenzen<br />
so zu fördern und zu entwickeln, dass sie mit<br />
den Situationen, Fragen und Problemen, die das Leben<br />
für sie bereit hält, konstruktiv und erfolgreich umgehen<br />
können. Ich klage nicht über die „Schwierigkeiten“, die<br />
sie mir dabei machen, sondern weiß, dass ich für die<br />
systemisch intelligente Lösung solcher Schwierigkeiten<br />
zuständig bin.<br />
Deshalb verpflichte ich mich, mein pädagogisches Handeln<br />
gemäß folgender Einsichten zu gestalten:<br />
* Ich habe erkannt, dass ich allein dafür verantwortlich<br />
bin, ob ich den schulischen Rahmen sinnvoll nutze oder in<br />
einer lähmenden Unwirksamkeit erstarre. Deshalb werde<br />
ich aufhören, über die Einengungen zu lamentieren, und<br />
ich werde versuchen, neue Wege zu gehen, auch wenn<br />
ich bisher Angst vor ihnen hatte oder sie für unmöglich<br />
hielt. Da ich weiß, dass im Außen nur sein darf, was im<br />
Inneren bereits existiert, werde ich mich verstärkt um<br />
die Überwindung dieser inneren Bilder, die mich und<br />
andere festlegen, kümmern und mich bemühen, meine<br />
didaktische und erzieherische Phantasie zu entfalten.<br />
(Selbstveränderungs-Credo)<br />
* Ich höre auf, inhaltliche Vorgaben nur zu erledigen,<br />
sondern bemühe mich darum, meinen Schülerinnen<br />
und Schülern eine wirkliche Aneignung von Wissen,<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten zu ermöglichen. (Ermöglichungsdidaktisches<br />
Credo)<br />
* Ich habe erkannt, dass ich als Lehrer/in nur erzieherisch<br />
wirksam sein kann, wenn ich mit den Schülerinnen und<br />
Schülern wirklich in Beziehung trete und die eigenen<br />
Bilder, mit denen ich sie identifiziere, auflöse und loslasse.<br />
Erziehung geschieht durch Beziehung und nur durch<br />
Beziehung. (Erzieherisches Credo)<br />
Ich schwöre deshalb,<br />
* die mir anvertrauten Menschen als Fremde zu respektieren<br />
und ihnen in dem Bewusstsein zu begegnen, dass<br />
meine Beobachtung von ihnen nur das zu erkennen vermag,<br />
was meine Beobachtung zu erkennen vermag,<br />
* sie niemals zu kränken oder zu entmutigen, sondern<br />
einzig und allein (auch und gerade bei den von mir als<br />
„schwierig“ empfundenen Kindern und Jugendlichen)<br />
nach Wegen zu suchen, auf denen sie ihre Selbstwirksamkeit<br />
erfahren und spüren können,<br />
* die Verständigung mit den mir anvertrauten Menschen<br />
zu suchen und dafür zu sorgen, dass sie sich mit den<br />
gesellschaftlichen Erwartungen (von Lehrplan und Curriculum)<br />
auseinander setzen und ihr Eigenes gestalten<br />
können,<br />
* den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild für Fehlertoleranz,<br />
Menschlichkeit, wertschätzenden Umgang<br />
und Solidarität zu sein und ihnen durch meine gelebte<br />
Zuwendung zu zeigen, dass jeder Mensch über spezifische<br />
Potenziale verfügt, die es zu entdecken und zu entfalten<br />
gilt,<br />
* mich in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und<br />
Kollegen um die Beschreitung neuer didaktischer und<br />
erzieherischer Wege zu bemühen und die professionelle<br />
Selbstreflexion im Team zu stärken, damit unsere Schule<br />
zu einem Ort der Kompetenzentwicklung und der<br />
menschlichen Reifung werden kann.<br />
20 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />
ÜBUNG: „DU SOLLST DIR (K)EIN BILDNIS MACHEN!“<br />
Wählen Sie eine „schwierige“ Unterrichts- oder Erziehungssituation<br />
aus Ihrer Praxis aus und bearbeiten Sie<br />
diese mit Hilfe der folgenden Schritte. Im Mittelpunkt<br />
steht der Versuch einer neuen Achtsamkeit gegenüber<br />
den eigenen Wirklichkeitskonstruktionen, Überzeugungen<br />
und Deutungen. Nur indem Sie diese Achtsamkeit<br />
zulassen, wird frisches Denken möglich. Dazu sind vier<br />
Schritte wesentlich:<br />
1. Schritt:<br />
Die Analyse der sachlichen Differenzen<br />
Schwierige Situationen mit anderen Menschen - Kollegen,<br />
Eltern, Schülerinnen - treten immer dann auf, wenn<br />
mindestens zwei gegensätzliche Interessen, Meinungen<br />
oder Bedürfnisse aufeinander prallen. Nun sind aber<br />
Differenzen die natürlichste Sache der Welt: Jeder nimmt<br />
durch seinen Wahrnehmungsfilter in erster Linie jene<br />
Informationen auf, die er für die Gestaltung der täglichen<br />
Lebenssituation braucht. Gleichzeitig selektiert er auch<br />
so, dass er seine Einstellungen und Verhaltensweisen<br />
bestätigt findet, denn das vermittelt ihm Sicherheit. Auf<br />
diese Weise wird eine Sicht der Welt geschaffen, die aber<br />
immer eine subjektive Konstruktion der Wirklichkeit<br />
ist, denn welche Informationen wie verarbeitet werden,<br />
hängt von den persönlichen Erfahrungen, Interessen und<br />
Fähigkeiten des Einzelnen ab. Um dafür Verständnis zu<br />
entwickeln, gilt es, sich dieser Subjektivität der Wahrnehmung<br />
bewusst zu werden.<br />
Leitfragen:<br />
* Wie habe ich diese Situation wahrgenommen? Was<br />
genau ist aus meiner Sicht vorgefallen?<br />
* Wie könnten die anderen Beteiligten die Situation<br />
erlebt haben?<br />
* Was könnte ein unbeteiligter Dritter in dieser Situation<br />
beobachtet haben?<br />
2. Schritt:<br />
Das Erkennen der eigenen Befindlichkeit<br />
Jeder Mensch hat grundlegende Bedürfnisse: Wenn wir<br />
das, was wir brauchen, bekommen, fühlen wir uns gut,<br />
zufrieden und glücklich, und wenn nicht, eben schlecht,<br />
enttäuscht oder gar wütend. Doch oft wissen wir nicht<br />
einmal genau, was wir eigentlich wollen, und erst die<br />
Heftigkeit unserer Reaktionen zeigt uns, dass wir offenbar<br />
Bedürfnisse haben, die wir nicht erfüllt sehen. Deshalb<br />
müssen wir uns ganz konkret mit unseren - zum Teil<br />
verborgenen - Wünschen und Erwartungen auseinander<br />
setzen.<br />
* Wie reagiere ich, wenn man mir die Erfüllung dieses<br />
Bedürfnisses verweigert?<br />
* Welche Gefühle werden in mir ausgelöst (Wut, Enttäuschung,<br />
Angst etc.)?<br />
3. Schritt: Das neue Aufsuchen<br />
vertrauter Kommunikationskontexte<br />
Das Vertraute kann sich uns ganz anders darstellen,<br />
wenn wir in anderer Weise darauf blicken. Festgefahrene<br />
und erstarrte Kommunikationskontexte werden<br />
nur aufgebrochen, wenn wir unsere bisherige Sicht der<br />
Dinge auflösen und mit einem neuen Blick in vertraute<br />
Situationen zurückkehren. Dann werden diese neu für<br />
uns, auch wenn wir deren erste Wirklichkeit (z.B. Raum,<br />
Akteure) nicht verändert haben.<br />
Leitfragen:<br />
* Welche Aspekte meiner Situationswahrnehmung und<br />
-deutung sind möglicherweise dadurch festgelegt, dass<br />
ich ähnliche Situationen schon (mehrmals) erlebt habe<br />
und für mich zu einer klaren Definition und Bewertung<br />
solcher Kontexte gelangt bin?<br />
* Übernehme ich für diese Festlegung wirklich die<br />
Verantwortung?<br />
* Zeige ich Toleranz gegenüber anderen - mir „falsch“<br />
erscheinenden - Erklärungen?<br />
4. Schritt: Der Mut zu neuen Brillen<br />
Nur wenn es gelingt, neue Wege zu gehen, können<br />
festgefahrene Schwierigkeiten in der Interaktion mit<br />
Kolleginnen, Eltern und Schülern gelöst werden. Dazu<br />
müssen wir lernen, alte Probleme aus neuen Blickwinkeln<br />
zu betrachten und uns von der Vergangenheit zu<br />
befreien. Aussagen wie „Das haben wir schon immer<br />
so gemacht!“ oder „In meinem Unterricht funktioniert<br />
das nicht!“ dienen vor allem einem Zweck: Alles soll so<br />
bleiben, wie es ist.<br />
Leitfragen:<br />
* Welche - auch kaum vorstellbaren - neuen Erklärungen<br />
könnte es für das Verhalten meines Gegenübers geben?<br />
* Welche Bedürfnisse könnten hinter der Handlungsweise<br />
meines Gegenübers liegen?<br />
* Wie würden sich diese Erklärungen auf meine Reaktion<br />
in der Situation auswirken?<br />
* Was hindert mich daran, auch andere als die mir bekannten<br />
Erklärungen zuzulassen?<br />
Leitfragen:<br />
* Welches Bedürfnis habe ich in dieser Situation verletzt<br />
gesehen?<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
21
<strong>GEW</strong>ERKSCHAFTSPOLITIK<br />
NEULAND ARBEITSKAMPFMASSNAHMEN<br />
Tarifbeschäftigte der Länder zeigen Durchsetzungswillen<br />
Bereits im Januar fanden zwei Gesprächsrunden zu den Tarifverhandlungen<br />
für die Beschäftigten der Länder statt. Sie<br />
blieben bisher ergebnislos. Die Arbeitgeberseite, die Tarifgemeinschaft<br />
der Länder (TdL), legte noch nicht einmal ein<br />
Verhandlungsangebot vor. Im Vorfeld der dritten Verhandlungsrunde<br />
in Potsdam riefen deshalb <strong>GEW</strong>, ver.di, GdP und<br />
BAU ihre Mitglieder bundesweit an verschiedenen Terminen<br />
zu Warnstreiks auf (Siehe den folgenden Artikel).<br />
Zur Vorbereitung des Warnstreiks in RLP rief der <strong>GEW</strong><br />
Kreis Ludwigshafen/Speyer seine angestellten Lehrkräfte<br />
am 02.02. zu einem Info-Abend ins Heinrich-Pesch-<br />
Haus. Udo Küssner, Geschäftsführer der <strong>GEW</strong> RLP, Peter<br />
Blase-Geiger, Gewerkschaftssekretär, und Hans-Adolf<br />
Schäfer zuständig für Besoldungs- und Beamtenrecht im<br />
Landesvorstand waren die sachkundigen Berater für dieses<br />
im Schulbereich bisher eher seltene Vorhaben.<br />
Das äußerst mäßige Ergebnis der Tarifrunde 2008 und die<br />
vielen ungeklärten rechtlichen Sachverhalte, die durch den<br />
Wegfall des BAT entstanden sind, haben den Unmut der<br />
angestellten KollegInnen an den Schulen wachsen lassen.<br />
Sichtbar wurde dies an der großen Zahl der TeilnehmerInnen,<br />
die sich über die Durchführungs- und Teilnahmemöglichkeit<br />
einer solchen Arbeitskampfmaßnahme<br />
informieren lassen wollten.<br />
Lehrkräfte und ErzieherInnen im Landesdienst wollen es<br />
nicht länger hinnehmen, dass ihre Einkommen seit 2008<br />
um 5 bis 6% geringer sind als die der KollegInnen, die in<br />
den Kommunen die gleiche Arbeit leisten. Dafür, dass<br />
sich die Einkommensschere nicht weiter öffnet, müssen<br />
die Landesbeschäftigten künftig selbst sorgen, denn es<br />
gibt keine Müllmänner und keine Beschäftigten der<br />
städtischen Verkehrsbetriebe mehr in ihrem Tarifbereich,<br />
die das bisher regelten. Die Zeiten des „guten alten BAT“<br />
sind endgültig vorbei. Das wissen auch die Länderfinanzminister<br />
und verlassen sich auf die vermeintliche<br />
„Streikunfähigkeit“ der 700.000 Tarifbeschäftigten der<br />
Länder. Die 200.000 angestellten Lehrkräfte darunter<br />
müssen nun Farbe bekennen, denn ohne Warnstreiks der<br />
LehrerInnen geht im Tarifbereich der Länder gar nichts<br />
mehr. Das Beispiel des Personals der Uni-Kliniken in<br />
Baden-Württemberg sollte Mut machen: Warnstreiks an<br />
nur drei Tagen im Januar, und schon lag ein akzeptables<br />
Lohnangebot auf dem Verhandlungstisch. Vielleicht hat<br />
der Warnstreik der angestellten Lehrkräfte Niedersachsens<br />
Anfang Februar, der 80 Prozent Ausfall des von ihnen<br />
zu erteilenden Unterrichts zur Folge hatte, den gleichen<br />
Effekt. Nur wenn der Druck durch Warnstreiks in der<br />
Öffentlichkeit stark genug ist, revidieren Hardliner wie<br />
der niedersächsische Finanzminister Möllring, Vorsitzender<br />
der Arbeitgeber in der TdL, ihre arrogante Haltung<br />
und legen verhandelbare Angebote vor.<br />
In dieser Tarifrunde geht es aber nicht nur um 8% oder<br />
mindestens 200 Euro mehr Geld, sondern auch um die<br />
inhaltliche Ausgestaltung der Tarifverträge wird gestritten.<br />
Die Einstufung der Lehrkräfte (z.B. volle Anerkennung<br />
des Referendariats als Zeit der beruflichen Erfahrung),<br />
die Merkmale der anerkennungsfähigen Zeiten und die<br />
Tarifierung der Eingruppierungsrichtlinien stehen auf<br />
der Tagesordnung der <strong>GEW</strong>-Vertreter in den Tarifverhandlungen.<br />
Bislang sieht der Verhandlungsführer der<br />
Arbeitgeber, Herr Möllring, für die TdL dazu keinen<br />
besonderen Verhandlungsbedarf. Kein Wunder, beruht<br />
doch die Eingruppierung bisher auf einseitigen Arbeitgeberrichtlinien,<br />
den so genannten TdL-Richtlinien.<br />
In dieser Tarifrunde geht es aber auch um eine angemessene<br />
Besoldungserhöhung für die BeamtInnen. 2008 wurde<br />
die Lohnrunde nicht auf die BeamtInnen in RLP übertragen.<br />
Eine lächerliche Besoldungserhöhung von einem<br />
Prozent für die aktiven und 0,5%(!) für die RuhestandsbeamtInnen<br />
gestand der Landtag seinen Staatsdienern zu.<br />
Für 2009 hat die Landesregierung ihren BeamtInnen eine<br />
Übertragung des Ergebnisses der Tarifrunde versprochen.<br />
Also gilt für die BeamtInnen: Zahlreiche Beteiligung an<br />
den Protestveranstaltungen der Tarifbeschäftigten, um den<br />
öffentlichen Druck auf die Arbeitgeber so zu erhöhen,<br />
dass auch für sie die verdiente kräftige Gehaltserhöhung<br />
herausspringt.<br />
UK<br />
22 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
<strong>GEW</strong>ERKSCHAFTSPOLITIK<br />
LEHRKRÄFTE IM WARNSTREIK<br />
Gute Beteiligung auch bei Beamtendemonstration<br />
Mehr als 2.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Landes<br />
Rheinland-Pfalz haben sich am 12. Februar an einem ganztägigen<br />
Warnstreik beteiligt. Die Gewerkschaften des Öffentlichen<br />
Dienstes ver.di, GdP und <strong>GEW</strong> hatten zu Arbeitsniederlegungen<br />
aufgerufen, um in den Tarifverhandlungen mit den Ländern Druck<br />
zu machen. Auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Pädagogische<br />
Fachkräfte aus den Schulen des Landes beteiligten sich am Streik,<br />
teilweise musste deshalb Unterricht ausfallen. Die Beamtinnen und<br />
Beamten untermauerten ihre Forderung nach zeit- und inhaltsgleicher<br />
Übernahme eines Tarifergebnisses für ihre Berufsgruppe,<br />
in dem sie sich am selben Tag zahlreich an einer Demonstration<br />
durch die Mainzer Innenstadt mit abschließender Kundgebung<br />
vor dem Landtag beteiligten.<br />
Die <strong>GEW</strong> hatte die Beschäftigten im Vorfeld des Streiktages landesweit<br />
auf mehreren Veranstaltungen über die Ziele der Tarifrunde<br />
informiert und zur Teilnahme an Warnstreik und Demonstration<br />
mobilisiert. Der Erfolg konnte sich sehen lassen: Aus allen Regionen<br />
des Landes beteiligten sich einige Hundert Kolleginnen und<br />
Kollegen am Streik, manchmal als Mitglied einer Gruppe von bis zu<br />
20 Beschäftigten einer Dienststelle, teilweise aber auch als einziger<br />
Teilnehmer einer Schule. Alle Streikenden versammelten sich am<br />
Vormittag in einem zentralen Streiklokal, das die Gewerkschaften<br />
im Kulturzentrum (KUZ) in Mainz eingerichtet hatten. Dort trugen<br />
sich die Gewerkschaftsmitglieder in Streiklisten ein, um sich<br />
im Falle von Lohnabzug durch den Arbeitgeber ein Streikgeld zu<br />
sichern. Die Gewerkschaften hatten zudem ein kleines Programm<br />
sowie reichlich Verpflegung für die Streikenden organisiert.<br />
Um 13.30 Uhr startete eine Demonstration durch die Mainzer<br />
Innenstadt, an der sich dann auch zahlreiche Beamtinnen und<br />
Beamte beteiligten. Diese hatten sich zu diesem Zeitpunkt, soweit<br />
es der Arbeitsplatz erlaubte, frei genommen oder waren, wie etwa<br />
Kolleginnen und Kollegen der <strong>GEW</strong>, im Anschluss an ihre Arbeit<br />
in den Schulen nach Mainz gekommen.<br />
Am Ende konnte die <strong>GEW</strong> als Mitveranstalter zufrieden sein.<br />
Immerhin hatte sich ein nennenswerter Teil der Beschäftigten<br />
in Schulen und Hochschulen an Warnstreik, Demonstration<br />
und Kundgebung beteiligt. Von einigen Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmern war zu hören, dass sie auch in Zukunft gemeinsame<br />
Aktivitäten von Tarifbeschäftigten und Beamtinnen und Beamten<br />
sowie deren Organisationen wünschen.<br />
Bernd Huster<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
23
<strong>GEW</strong>ERKSCHAFTSPOLITIK<br />
24 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
HOCHSCHULEN / GESELLSCHAFT<br />
<strong>GEW</strong>: STUDIENGÄNGE NICHT DEM BOLOGNA-PROZESS OPFERN!<br />
Die <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz wendet sich entschieden gegen die<br />
Pläne der Universität Koblenz-Landau, den Lehramtsstudiengang<br />
Sozialkunde am Standort Koblenz zu schließen. „Sozialkunde<br />
gehört aus der Sicht der Bildungsgewerkschaft zu den wichtigen<br />
Schulfächern, in denen sich der allgemeine Bildungsauftrag der<br />
Schule verwirklicht. Demokratische Erziehung findet besonders in<br />
diesem Fach statt. Sie ist bedeutende Grundlage für die Entwicklung<br />
von Kindern und Jugendlichen zu mündigen Bürgern, so wie es<br />
auch das Schulgesetz verlangt,“ meint der <strong>GEW</strong> Landesvorsitzende<br />
Klaus-Peter Hammer.<br />
Mit der Schließung dieses Studienganges am Standort Koblenz der<br />
Universität Koblenz-Landau werden die Kombinationsmöglichkeiten<br />
für Lehramtsfächer deutlich verringert. „Damit sinkt die Aufnahmezahl<br />
für Erstsemester in Koblenz, was keinesfalls im Interesse des<br />
Landes sein kann, da der Bedarf an Lehrkräften in den kommenden<br />
Jahren kontinuierlich zunehmen wird“, kritisiert Hammer.<br />
Die in Koblenz bisher gegebene Möglichkeit, dass auch angehende<br />
Grundschullehrkräfte eine Basiskompetenz im Fach Sozialkunde<br />
erwerben können und damit fachlich befähigt werden, „Politische<br />
Bildung von Anfang an“ in der Grundschule zu vermitteln, sollte<br />
keinesfalls aufgegeben werden. „Die an unseren Schulen zunehmenden<br />
soziokulturellen Probleme können nicht durch Sprachförderung<br />
allein aufgefangen werden,“ erläutert der Landesvorsitzende, „hierfür<br />
braucht es politische Kompetenzen, die maßgeblich durch das Fach<br />
Sozialkunde vermittelt werden können“.<br />
Durch die Streichung des Studiengangs Sozialkunde würde insbesondere<br />
aber auch die neue Kooperation zwischen der FH-Koblenz<br />
und der Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz, in der<br />
Ausbildung von Berufschullehrerinnen und -lehrern von Beginn an<br />
erschwert, da das Fach Sozialkunde ein häufig gewähltes Zweitfach<br />
in der Berufsschullehrerausbildung ist.<br />
Aus Sicht der <strong>GEW</strong> bewirkt der Aufnahmestopp für Sozialkunde<br />
durch die zu erwartende Abwanderung von Studierenden und die<br />
Verarmung des Fächerspektrums vor allem eine Schwächung des<br />
Standortes der Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz. Es<br />
bleibe fraglich, ob damit eine Stärkung des hoch ausgelasteten Standortes<br />
Landau überhaupt erfolgen kann, so dass mit der Schließung<br />
in Koblenz die Gefahr entsteht, dass künftig insgesamt noch weniger<br />
Studierende im Fach Sozialkunde ausgebildet werden als bisher.<br />
Auch dürfe der „Bologna-Prozess“ mit der Reform der Studiengänge<br />
nicht dazu führen, dass zwei bildungspolitisch wichtige<br />
Studiengänge, der Lehramtsstudiengang Sozialkunde und der geplante<br />
Studiengang „Bachelor-Master Pädagogik“, gegeneinander<br />
ausgespielt werden. „Lehrkapazität in den Bildungswissenschaften<br />
durch Einstellung des etablierten und im Fächerkanon notwendigen<br />
Lehramtsfaches Sozialkunde zu gewinnen, sei der falsche Weg“<br />
moniert Klaus-Peter Hammer.<br />
Da eine Fortführung des Studienganges Sozialkunde ohne zusätzlichen<br />
Kostenaufwand möglich wäre, appelliert die <strong>GEW</strong> an die<br />
Verantwortlichen in Hochschule und Politik, die Entscheidung<br />
zum Aufnahmestopp ab dem WS 2009/10 zu revidieren und den<br />
Studiengang weiterhin anzubieten.<br />
pm<br />
Sozialstudien beim Sport: FANKULTUR<br />
Begeisterung für Sport - ob aktiv oder passiv - verbindet<br />
ganz unterschiedliche Menschen: Sozialer Status, Bildung,<br />
Alter, Herkunft, Geschlecht etc. spielen keine Rolle, wenn<br />
es darum geht, seinen Verein anzufeuern. Das ist gut so,<br />
solange Fans keine Fanatiker sind.<br />
Bei den Eulen in Friesenheim trifft man zum Glück viele<br />
Fans und keine Fanatiker - jedenfalls haben wir noch keine<br />
getroffen. Auch die Anhänger der gegnerischen Mannschaften,<br />
die manchmal von weit angereist kommen und<br />
ihre Teams mit allerlei akustischem Gerät unterstützen,<br />
sind meistens ausgesprochen sympathisch und<br />
friedlich. Natürlich wird beiderseits immer wieder<br />
lautstark reklamiert; besonders gerne Zeitspiel, wobei<br />
dabei gut studiert werden kann, in welchem Maße<br />
die Schiris beeinflussbar sind.<br />
Bei den Fans der TSG gibt es zwei Fraktionen: Auf<br />
der einen Seite der Außenlinie sitzen die eher Etablierten,<br />
auf der anderen, wo auch das Geschehen auf den Spielerbänken<br />
hautnah verfolgt werden kann, diejenigen, die<br />
richtig Leidenschaft zeigen. Bei den „Etablierten“ sind<br />
die lokalen Promis zu finden: Bürgermeister, Abgeordnete<br />
und auch Vertreter aus dem Wirtschaftsleben, vor<br />
und nach dem Match in der Regel auch im VIP-Raum<br />
anzutreffen. Angesichts des in diesem Jahr anstehenden<br />
Wahlmarathons darf damit gerechnet werden, dass sich die<br />
Promi-Dichte aus dem politischen Leben in der Eberthalle<br />
beträchtlich erhöhen wird.<br />
Die Leidenschaft zeigt sich schon am Outfit. Wer<br />
irgendwie zum inneren Zirkel gehört, trägt den TSG-<br />
Trainingsanzug oder mindest ein Kleidungsstück mit<br />
Vereinsemblem oder Schriftzug des Hauptsponsors.<br />
Wie auch in den Fußballstadien selbstverständlich, sind<br />
die Fans mit Trikots, Schals, Mützen und Fahnen in den<br />
TSG-Fahnen ausstaffiert.<br />
Da Hallenhandball ein Sport voller Emotionen ist,<br />
spielt die Geräuschkulisse zum Ansporn der eigenen<br />
Sieben eine große Rolle. Zwar gibt es einige Trommler<br />
des TSG-Fanclubs, die den Anfeuerungsrhythmus<br />
bei eigenen Angriffen vorgeben, aber nicht immer<br />
stellt sich die eher sterile Eberthalle als Teufelskessel<br />
dar. Deshalb kam das Management auf die gute<br />
Idee, jeden Zuschauer am Halleneingang mit Utensilien<br />
auszustatten, mit denen sich zwecks Unterstützung der<br />
Eulen richtig schön lärmen ließ.<br />
Beim ersten Heimspiel nach der Winterpause hat sich das<br />
ausgezeichnet bewährt. Obwohl der Zuschauerzuspruch<br />
eher enttäuschend war, peitschten die TSG-Fans ihre<br />
Jungs trotz eines fast schon aussichtlosen Rückstandes<br />
zu einem letztlich sicheren Sieg nach vorne.<br />
Günter Helfrich<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
25
WEITERBILDUNG<br />
ARBEITNEHMERSTATUS FÜR LEHRKRÄFTE IN INTEGRATIONSKURSEN<br />
Welche Bedeutung misst der Staat eigentlich der Integration zu?<br />
Obwohl Lehrkräfte in Integrationskursen eigentlich ArbeitnehmerInnen<br />
sind, arbeiten sie überwiegend als freie Dozenten auf<br />
der Basis von Honorarverträgen. Die engmaschigen Vorgaben,<br />
denen diese Lehrkräfte unterliegen, sprechen für den Arbeitnehmerstatus.<br />
Daher riet Karl Otte, Fachanwalt für Arbeitsrecht,<br />
auf der Herbstakademie der <strong>GEW</strong> Bund dazu, Ansprüche in Form<br />
von Musterverfahren einzuklagen. Laut Karl Otte mache es Sinn,<br />
in geeigneten Fällen den Status arbeitsgerichtlich klären zu lassen.<br />
Es ist eine sehr fragwürdige Entwicklung, dass mit der<br />
Einführung der Integrationskurse 2005 ein Abbau von<br />
Festanstellungen einherging. Während es in den Deutschkursen<br />
des Arbeitsamtes und in den Garantiefonds-Kursen<br />
vor 2005 noch viele reguläre Arbeitsplätze gab, konnten<br />
die Träger durch die Unterfinanzierung der Integrationskurse<br />
2005 ihren Lehrkräften nur noch Honorarverträge<br />
bieten. Rechtlich gesehen ist dies ein Widerspruch, denn<br />
einerseits gibt es nun seitdem ein Bündel von Vorschriften,<br />
Aufgaben, Pflichten und Kontrollfunktionen, nach<br />
denen sich die Lehrkräfte richten müssen, andererseits<br />
wurden und werden durch diese Unterfinanzierung<br />
seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge<br />
(BAMF) Festanstellungen verhindert.<br />
Ein Umsteuern erfolgte auch nicht, als in dem Eva-<br />
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luationsbericht von Ramboll-Management 2007 auf<br />
den Abbau von Festanstellungen hingewiesen wurde.<br />
Auch in dem neuen Konzept für das Trägerzulassungsverfahren<br />
des BAMF vom August 2008 ist von einem<br />
Arbeitnehmerstatus keine Rede. Dagegen hält man das<br />
unglaubliche Honorar von 15 Euro (!) für ausreichend<br />
und den Lehrkräften werden darüber hinaus noch weitere<br />
Aufgaben auferlegt.<br />
Die Mitarbeiter des BAMF wissen sicher, dass die Lehrtätigkeit<br />
in Integrationskursen mit dem Unterricht an<br />
allgemein bildenden Schulen vergleichbar ist und so der<br />
Status der Freiberuflichkeit nicht diesen Anforderungen<br />
entspricht. Lehrkräfte in Integrationskursen arbeiten im<br />
staatlichen Auftrag, sie müssen Qualifikationen in Form<br />
von Hochschulabschlüssen und / oder Zusatzqualifikationen<br />
vorweisen. Sie müssen sich nach den verpflichtenden<br />
Vorgaben des BAMF richten: Vorgeschrieben<br />
sind Curricula, Unterrichtskonzepte, der Modulaufbau,<br />
der Stundenumfang, Lehrwerke und Prüfungen. Die<br />
Teilnehmenden müssen sehr gezielt und sorgfältig auf<br />
bestimmte Sprachprüfungen (A2 bzw. B1) sowie auf<br />
die Orientierungskursprüfung vorbereitet werden. Die<br />
Lehrkräfte müssen Aufgaben wie die Kontrolle der Anwesenden<br />
und die Beratung der Lernenden übernehmen.<br />
Ohne zusätzliche Bezahlung wird ihnen zugemutet, an<br />
Besprechungen teilzunehmen und Stundenpläne,<br />
Evaluationsbögen und Portfolios<br />
zu erstellen. Letztlich ist es vor allem ihrem<br />
Einsatz zu verdanken, wenn das Ziel der<br />
Integration erreicht wird.<br />
Zu den Vorschriften des BAMF kommen<br />
noch die Weisungen der Träger. Lehrkräfte<br />
in Integrationskursen sind in die Organisation<br />
der Träger eingebunden, sie müssen<br />
sich nach einem vorgegebenen Stundenplan,<br />
Unterrichts- und Besprechungszeiten und<br />
verschiedenen Unterrichtsorten richten.<br />
Es besteht also eine hohe Chance, den Arbeitnehmerstatus<br />
gerichtlich durchzusetzen,<br />
denn Lehrkräften in vergleichbaren Hauptschulabschlusslehrgängen<br />
der Weiterbildung<br />
wird vom BAG regelmäßig der Arbeitnehmerstatus<br />
zuerkannt. Es wäre gut, wenn sich<br />
eine Lehrkraft - in Abwägung des Risikos,<br />
das Beschäftigungsverhältnis bei diesem<br />
Träger zu verlieren - bereit finden würde,<br />
eine solche Klage zu führen.<br />
Zum Schluss muss gefragt werden, warum<br />
dieser Klageweg überhaupt notwendig ist.<br />
Wieso leistet es sich der Staat, Lehrkräfte,<br />
die sich an herausgehobener Position für die<br />
gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Integration<br />
einsetzen, in einem rechtlich fragwürdigen<br />
und prekären Beschäftigungsverhältnis<br />
arbeiten zu lassen. Welche Bedeutung misst<br />
der Staat der Integration zu?<br />
Inge Müller<br />
26 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
GENERATION 60+ / BRIEF AN DIE REDAKTION<br />
DIE <strong>GEW</strong> GRATULIERT …<br />
im April 2009<br />
zum 70. Geburtstag<br />
Herrn Jürgen Bergmann<br />
06.04.1939<br />
Freih.-v.-Stein-Str. 18 · 55232 Alzey<br />
Herrn Wolfgang Dommach<br />
18.04.1939<br />
Richard-Wagner-Str. 44 · 67304 Eisenberg<br />
zum 75. Geburtstag<br />
Frau Ilse Ruth Lehmann<br />
10.04.1934<br />
Am Brunnenstübchen 5 · 55237 Flonheim<br />
Herrn Willi Schmidt<br />
16.04.1934<br />
Hauptstr 41 ·66484 Althornbach<br />
Frau Marianne Back<br />
17.04.1934<br />
Wilhelm-Furtwängler-Str. 21 · 68259 Mannheim<br />
zum 80. Geburtstag<br />
Frau Tosca Poppe<br />
10.04.1929<br />
Nahbollenbacher Str 78 · 55743 Idar-Oberstein<br />
zum 85. Geburtstag<br />
Herrn Hans Weis<br />
30.04.1924<br />
Albrecht-Duerer-Ring 16 · 67227 Frankenthal<br />
zum 86. Geburtstag<br />
Herrn Emil Bernhard<br />
04.04.1923<br />
In den Buchen 13 · 66957 Ruppertsweiler<br />
Frau Ruth Mueller<br />
04.04.1923<br />
Anilinstr 5 · 67454 Haßloch<br />
zum 87. Geburtstag<br />
Frau Ingeborg Hoffmann<br />
13.04.1922<br />
Maximilianstr. 4 · 76829 Landau<br />
Herrn Erich Volandt<br />
23.04.1922<br />
Josef-Haydn-Str. 4 / bei M. Reinhard · 68165 Mannheim<br />
Frau Selma Panitz<br />
30.04.1922<br />
Klosterstr. 29 · 66953 Pirmasens<br />
zum 90. Geburtstag<br />
Frau Henni Henneicke<br />
21.04.1919<br />
Baumschulenweg 6 · 66538 Neunkirchen<br />
zum 93. Geburtstag<br />
Frau Anna Mueller<br />
05.04.1916<br />
Philipp-Mayer-Str. 11a/Seniorenzentrum · 67304 Eisenberg<br />
zum 94. Geburtstag<br />
Herrn Friedrich Hoffmann<br />
03.04.1915<br />
Fruchtmarkstr. 26 · 66482 Zweibrücken<br />
Der Landesvorstand<br />
Brief an die Redaktion<br />
GEGEN DEN DOKUMENTATIONSBÜROKRATISMUS<br />
Betr.: Neue Grundschulordnung<br />
Da bekomme ich heute die neue <strong>GEW</strong>-Zeitung und stürze<br />
mich darauf, weil ich denke, wenn der VBE nun eine Blitzumfrage<br />
startet zum Thema „Neue Grundschulordnung“,<br />
so wird die <strong>GEW</strong> sich doch sicher nicht lumpen lassen und<br />
das Thema, insbesondere nach den Erfahrungen, die die<br />
Kolleginnen und Kollegen nun zum ersten Mal mit den<br />
protokollierten Schüler-Eltern-Lehrer-Gesprächen und<br />
den Zeugnissen der neuen Art gemacht haben, ebenfalls<br />
aufgreifen. Das Einzige, was ich jedoch zu diesem Thema<br />
entdecken konnte, war Jörg Pfeiffers Bericht von der<br />
vorweihnachtlichen Fortbildungsveranstaltung des Kreises<br />
Worms-Alzey-Frankenthal.<br />
Zwar ahnt man in diesem Bericht zwischen den Zeilen<br />
durchaus auch einige kritische Töne, aber insgesamt scheint<br />
es doch eher vorweihnachtlich friedlich zugegangen zu sein.<br />
Und wie sich das gehört: Ein Weihnachtsgeschenk war auch<br />
dabei - ein Kreativbaukasten, bestehend aus einer 60(!)<br />
-seitigen Broschüre samt interaktiver CD. Wie schön!! Und<br />
dann dazu noch sämtliche Zeugnisformulare in Form einer<br />
Word-Datei! Einfach toll!! Da sehnt man sich das Zeugnis-<br />
Schreiben der neuen Art ja regelrecht herbei.<br />
Nun aber Quatsch beiseite! Gestattet mir bitte die Frage: Ist<br />
ein solcher Kreativbaukasten mit allem Drum und Dran<br />
wirklich das richtige Signal an unsere Bildungspolitiker?<br />
Zweifellos sehe auch ich in der neuen Grundschulordnung<br />
wesentliche Verbesserungen. Aber was uns da mit den Zeugnissen<br />
aufs Auge gedrückt wird, ist für meinen Geschmack<br />
unerträglich und macht das Fass der Mehrbelastungen endgültig<br />
voll. Und mit dieser Meinung stehe ich weiß Gott nicht<br />
allein. Es ist ein Trugschluss zu meinen, mit einem Schwall<br />
an Wörtern gewinne das Zeugnis an pädagogischer Aussa-<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
27
TIPPS + TERMINE<br />
gekraft und Wirkung. Auch wenn das Zeugnis eine Aussage<br />
über Arbeitsverhalten, Sozialverhalten und Leistungsstand<br />
einer Schülerin/eines Schülers über einen Zeitraum von<br />
etwa einem halben Jahr treffen soll, so bleibt es dennoch<br />
eine punktuelle Aussage. Insofern sind Maßnahmen, Hilfen,<br />
Erläuterungen, Ermutigungen, Angebote, Gespräche in den<br />
ganz konkreten Lern- und Arbeitssituationen pädagogisch<br />
wesentlich wirkungsvoller. Und überdies sollte man sich<br />
von der irrigen Annahme lösen, nur das zeige Wirkung und<br />
Nachhaltigkeit, was schriftlich fixiert und dokumentiert ist.<br />
Ein Zuviel an Dokumentation kann auch zu Lähmungen<br />
im unterrichtlichen Alltag führen. Dies wurde auf der o.e.<br />
Fortbildungsveranstaltung wohl durchaus richtig gesehen,<br />
wenn man feststellte, dass „die Grundschullehrkräfte mehr<br />
und mehr zu ‚Buchhaltern mit pädagogischem Hintergrund‘<br />
mutieren“ - degenerieren wäre m.E. das treffendere Verb.<br />
Ich meine, in der Bildungspolitik wird es Zeit für einen<br />
grundsätzlichen Paradigmenwechsel.<br />
• Weg von den überzogenen Instrumentarien der Dokumentation,<br />
die, wie mir scheint, in erster Linie geeignet sind,<br />
unsere Arbeit zu kontrollieren und uns zu gängeln, hin zu<br />
mehr Vertrauen in unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten, die<br />
wir tagtäglich an vorderster Front pädagogisch einsetzen<br />
müssen.<br />
• Akzeptanz der Lehrerschaft als das eigentliche pädagogische<br />
Expertenpotenzial. Wir müssen von den Bildungspolitikern<br />
Vertrauen erfahren, dass wir willens und fähig sind, Unterricht<br />
und Schule bestmöglich zu gestalten sowie Schülerinnen<br />
und Schüler zu fördern, zu fordern und zu beurteilen. Dieses<br />
Vertrauen und diese Freiheit benötigen wir Lehrerinnen und<br />
Lehrer dringend. Schule braucht Vertrauen und Freiheit, um<br />
gelingen zu können!<br />
Liebe Leute von der <strong>GEW</strong>, lasst uns also laut werden gegen<br />
alles, was uns von unserer eigentlichen Aufgabe abbringt, lasst<br />
uns laut werden gegen den übertriebenen und unsinnigen<br />
Dokumentationsbürokratismus! Es muss sich da grundsätzlich<br />
etwas ändern, damit die aktuellen und zukünftigen<br />
LehrerInnengenerationen mit Freude und Motivation ihren<br />
Beruf ausüben können zum Wohl der Schülerinnen und<br />
Schüler.<br />
Herbert Stangier, 57537 Wissen<br />
BÜCHERTIPPS VON ANTJE FRIES<br />
Spannendes Alltagsrechnen<br />
Textaufgaben für jeden Tag für das 3. und 4. Schuljahr<br />
bietet das gleichnamige Buch der Edition MoPäd: Gegliedert<br />
in 36 Wochen gibt es jede Woche einen anderen<br />
Themenschwerpunkt. Mal geht‘s um Musik, mal um<br />
Katzen, das Kochen, Geld, Temperaturen, Fernsehen oder<br />
das Rechnen mit einer Pizza.<br />
Für jeden Tag findet man eine Sachaufgabe im Zahlenraum<br />
bis 1000 mit ein oder zwei Lösungsschritten,<br />
freitags wird‘s dann umfangreicher: Da können auch<br />
mal Schaubilder und Tabellen dabei sein. Für besonders<br />
Pfiffige werden auch speziell gekennzeichnete Aufgaben<br />
angeboten. Die Lösungen stehen natürlich allesamt auch<br />
im Buch, und wer einen Überblick sucht, was mathematisch<br />
gesehen wann an die Reihe kommt, findet diesen<br />
gleich zu Anfang des Buches.<br />
D. und S. Wurst: Textaufgaben für jeden Tag. Buxtehunde<br />
2008. 116 Seiten, 18,90 Euro. ISBN 978-3-<br />
8344-0344-5<br />
Lesekompetenz<br />
Wir wissen‘s spätestens seit PISA: Die Lesekompetenz<br />
der deutschen Schüler könnte einen Schubser vertragen.<br />
In Frank Müllers neuem Buch „Lesetraining“ geht es für<br />
die Klassen 3 bis 6 um sinnentnehmendes Lesen und wie<br />
es mit Motivation trainiert werden kann. Kopiervorlagen<br />
zur Wort-Bild-Zuordnungen in Deutsch und Mathematik<br />
eröffnen die 46-teilige Materialsammlung, weiter geht<br />
es mit Text-Bild-Vergleichen, Wort-Text Zuordnungen<br />
und Textpuzzles. Buchstaben-Sudokus, Überschriften,<br />
Reihenfolgen und Texte mit Fehlern sind genauso im<br />
Angebot wie die Entwicklung von Fragen zum Textinhalt,<br />
Stolperwörter, Steckbriefe, Zeitungsmeldungen,<br />
das Arbeiten mit Visualisierungen, Mathe-Rätsel und<br />
vieles mehr.<br />
Frank Müller: Lesetraining. Weinheim 2009. 96 Seiten,<br />
19,95 Euro. ISBN 978-3-407-62620-2<br />
Energie in der Schule<br />
Was man oft aus allen möglichen Quellen und nur mühsam<br />
zusammenträgt, bringt Jens Eggert nun als Sammlung<br />
von Unterrichtsmaterial heraus: Fossile und erneuerbare<br />
Energien werden vorgestellt: Erdöl, Erdgas, Kohle, Sonne,<br />
Wind und Wasser finden sich im Buch, und selbst<br />
Biomasse und Geothermie kommen an die Reihe. Einen<br />
Exkurs gibt‘s zur Atomkraft, wie sie entsteht und welche<br />
Vor- und Nachteile diese Sorte Strom hat. Ein großes<br />
Kapitel ist dem Energiesparen gewidmet, und auch Tests<br />
zu fast allen Bereichen sowie Fragekarten zu verschiedenen<br />
Themen legt der Autor vor.<br />
Jens Eggert. Fossile und erneuerbare Energien. Ressourcen<br />
- Umwelt - Technik. Buxtehude 2008. 72 Seiten, 19,90<br />
Euro. ISBN 978-3-8344-3481-4<br />
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28 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
TIPPS + TERMINE<br />
DAS „PFINGSTTREFFEN SCHWULER LEHRER“ GEHT IN DIE 4. DEKADE<br />
„Einige Eltern meiner Klasse haben meinem Schulleiter geschrieben,<br />
dass sie nicht mehr möchten, dass ich die Schüler damit konfrontiere,<br />
dass ich mit einem Mann zusammen lebe“, heißt es Ende des<br />
letzten Schuljahres aufgeregt im E-mail von Ralf P.* und Nico S.*<br />
schrieb während der Sommerferien: „Ich habe nun den Entschluss<br />
gefasst auf Lehramt zu studieren .... Jedoch wollte ich nun einmal<br />
nachfragen, wie es so ist als Lehrer zu arbeiten, wenn man schwul<br />
ist! Wie wird das angenommen und kann es Probleme geben?“ Andi<br />
L.* meint nur wenig später: „Ich bin regelrecht hin- und hergerissen<br />
zwischen der Entscheidung: Offenes Outing - Völliges Schweigen<br />
über die Privatsphäre.“<br />
Fragen, wie sie sich schon viele einmal stellen mussten, die beim<br />
„Pfingsttreffen Schwuler Lehrer“ dabei sind. Diese Institution der<br />
schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung wird 30 Jahre alt! In<br />
der Akademie Waldschlösschen bei Göttingen treffen sich schwule<br />
Lehrer, Referendare und Lehramtsstudenten auch diesmal wieder<br />
zu einem Fortbildungswochenende zum Thema „Homosexualität<br />
und Schule“ wie jedes Jahr seit 1979.<br />
Dort setzen sich die Teilnehmer mit der Situation von schwulen Kollegen,<br />
lesbischen Schülerinnen und schwulen Schülern auseinander.<br />
Aber auch der Erfahrungsaustausch der ungefähr 80 Teilnehmer ist<br />
ein immer wiederkehrender fester Bestandteil, bei dem jeder in angenehm<br />
entspannter Atmosphäre über seine Situation an der Schule<br />
berichten kann. Für viele ist gerade dieser Gedankenaustausch eines<br />
der spannendsten und wichtigsten Angebote, denn noch immer hat<br />
nicht jeder Kollege eine schwule Gewerkschaftsgruppe in seiner<br />
Nähe, bei der er einen regelmäßigen Austausch findet. Darüber<br />
hinaus vermitteln Experten aus dem Bildungsbereich aktuelle Inhalte<br />
aus den Bereichen Sexualerziehung, politische Bildung und<br />
Rechtsentwicklung.<br />
Die Organisatoren können mit Stolz auf das zurückblicken, was in<br />
all den Jahren erreicht wurde. „Anfangs hatte ich Zweifel, dass dies<br />
das richtige Studium sei. Nun nicht mehr. Ich liebe diesen Beruf.<br />
Einen gewissen Teil habe ich Euch zu verdanken. Vielen Dank!“<br />
Briefe wie dieser von Jens N.* belegen das. Aber die in letzter Zeit<br />
zunehmende Hassgewalt gegen Homosexuelle und die verstärkte,<br />
religiös motivierte Einflussnahme gegen die Gleichstellung der<br />
Fotos: Schwule Lehrer im Gespräch mit Klaus Wowereit (lks.) und beim<br />
Christopher-Street-Day (rechts).<br />
LSBTI-Menschen** in Schule und Gesellschaft verdeutlicht die<br />
Notwendigkeit die Aktivitäten unvermindert weiter zu führen.<br />
Genauso, wie auch die AG schwule Lehrer der Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft (<strong>GEW</strong>) Berlin, die gerade im Dezember<br />
2008 ebenfalls ihr 30. Jubiläum beging, immer noch in<br />
ausschließlich ehrenamtlichem Engagement gegen Diskriminierung<br />
und menschenverachtende Ideologien und für einen respektvollen<br />
Umgang miteinander kämpft. Viele Lehrer der Gruppe sind offen<br />
schwul. Damit und mit ihrem öffentlichen Engagement haben<br />
sie eine enorm wichtige Aufgabe übernommen: Sie zeigen in der<br />
Schule den Schülerinnen und Schülern, dass auch Homosexuelle<br />
jede Berufsperspektive haben und ein wertvoller Teil der Gesellschaft<br />
sind. Zur Verwirklichung dieser Ziele, ist die Gruppe seit 1979<br />
jedes Jahr bei CSD-Paraden sichtbar, verhandelt mit den politisch<br />
Verantwortlichen im Bereich Bildung - zuletzt mit Bildungssenator<br />
Zöllner - beteiligt sich an Veröffentlichungen, diskutiert ihre<br />
Forderungen auf Fachtagungen und Podiumsdiskussionen und<br />
kommuniziert sie in Printmedien, Radio- und Fernsehinterviews.<br />
Dadurch gelang unter anderem die Mitgestaltung von Lehrplänen<br />
oder des Medienangebots der Lehrerinstitute und besonders hervorzuheben:<br />
die Öffnung der Schulen für Aufklärungsprojekte. Aber<br />
auch bei der Gewerkschaftsführung der <strong>GEW</strong> und anderer DGB-<br />
Gewerkschaften wurde erreicht, dass Antidiskriminierungspolitik<br />
ganz selbstverständlicher Bestandteil ihrer Arbeit geworden ist. Seit<br />
nunmehr 30 Jahren organisiert die Berliner schwule Lehrergruppe<br />
gemeinsam mit der Akademie Waldschlösschen das Pfingsttreffen.<br />
Ralf P. und Andi L. werden dieses Jahr zum ersten Mal dabei sein.<br />
Ganz sicher werden sie Antworten auf Ihre Fragen finden. Und<br />
manch einem gefiel es beim ersten Mal so gut, dass er in 30 Jahren<br />
dreißig Mal dabei war.<br />
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Anmeldung und Anfragen<br />
für das diesjährige Treffen vom 29.5. - 1.6.2009 an:<br />
Akademie Waldschlösschen<br />
37130 Reinhausen<br />
Tel.: (05592) 92 77-0 · Fax: /05592) 92 77-77<br />
info@waldschloesschen.org · www.waldschloesschen.org<br />
* Name geändert<br />
** LSBTI heißt: lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder intersexuell<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
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Leitung: Schahnaz Fathi, Diplom- Psychologin, Verhaltenstherapeutin,<br />
Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />
Zielgruppe: Fachkräfte in Gesundheitswesen und soziale Dienste, im<br />
Migrationbereich Tätige, Lehrkräfte<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: Az 91 ST1 02 28<br />
Erziehung im interkulturellen Kontext (T3)<br />
19./20.03.2009, 10.00 -17.30 Uhr<br />
Anmeldeschluss: 26.02.2009 · Seminarnummer: 20090090<br />
Leitung: Dr. Stefanie Kirchhart, Diplom-Pädagogin, Kinder- und<br />
Jugendlichen-Psychotherapeutin und Christine Ellrich, Diplom-Pädagogin,<br />
MädchenHaus Mainz FEMMA e.V.<br />
Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, Lehrkräfte, Erzieher/innen,<br />
Mitarbeiter/innen der Aus- und Weiterbildung, in der Migrationsarbeit<br />
Tätige sowie Studierende<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: 91 ST1 02 29<br />
Der Islam in Europa als Herausforderung (T4)<br />
26./27.03.2009, 10.00 -17.30 Uhr<br />
Anmeldeschluss: 05.03.2009 · Seminarnummer: 20090089<br />
Leitung: Dr. Jörn Thielmann, Islamwissenschaftler und Leiter des<br />
Erlanger Zentrums Islam und Recht in Europa (EZIRE) an der Friedrich-Alexander-Universität<br />
Erlangen-Nürnberg<br />
Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, Lehrkräfte, Erzieher/innen,<br />
Mitarbeiter/innen der Aus- und Weiterbildung, in der Migrationsarbeit<br />
Tätige sowie Studierende<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: 91 ST1 02 30<br />
Entwicklung interkultureller Kompetenzen: Einführung<br />
(T5)<br />
11./12.05.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />
Anmeldeschluss: 20.04.2009 · Seminarnummer: 20090092<br />
Leitung: Peimaneh Nemazi-Lofink, Diplom-Pädagogin, Institut zur<br />
Förderung von Bildung und Integration (INBI)<br />
Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, Lehrkräfte, Erzieher/innen,<br />
Mitarbeiter/innen der Aus- und Weiterbildung, in der Migrationsarbeit<br />
Tätige sowie Studierende<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: 91 ST1 02 31<br />
Gewalt gegen Frauen im interkulturellen Kontext (T1)<br />
22./23.06.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />
Anmeldeschluss: 01.06.2009 · Seminarnummer: 20090093<br />
Leitung: Schahnaz Fathi, Diplom- Psychologin, Verhaltenstherapeutin,<br />
Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />
Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, im Migrationsbereich<br />
Tätige, Lehrkräfte<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: 91 ST1 02 32<br />
Grenzüberschreitende Fallarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe<br />
(T2)<br />
28./29.09.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />
Anmeldeschluss: 07.09.2009<br />
Seminarnummer: 20090094<br />
Leitung: Britta Sievers, M.A., Diplomsozialarbeiterin (FH), Institut<br />
für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ISM)<br />
Zielgruppe: Mitarbeiter/innen von Jugendämtern und freien Trägern,<br />
wie z.B. Familien- und Erziehungsberatungsstellen oder Migrationsberatungsstellen,<br />
Fachkräfte der sozialen Dienste, im Migrationsbereich<br />
Tätige<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: 92 ST1 03 01<br />
Diversity in sozialen Organisationen (T4)<br />
05./06.10.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />
Anmeldeschluss: 14.09.2009 · Seminarnummer: 20090095<br />
Leitung: Christiane Böhm, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Mediatorin,<br />
Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />
Zielgruppe: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus sozialen Betrieben,<br />
Wohlfahrtsverbänden und Verwaltungen insbesondere in Leitungspositionen,<br />
Mitglieder von Ausländerbeiräten und Migrantenorganisationen<br />
sowie Lehrkräfte<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: 92 ST1 03 02<br />
Gebt dem Konflikt eine Chance! - Interkulturelles Konfliktmanagement<br />
(T5)<br />
24./25.11. 2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />
Anmeldeschluss: 03.11.2009 · Seminarnummer: 20090091<br />
Leitung: Christiane Böhm, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Mediatorin,<br />
Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />
Zielgruppe: In der Migrationsarbeit Tätige, Mitarbeitende aus Behörden,<br />
Ausbilder/innen, Lehrkräfte, Migrantinnen und Migranten aus<br />
allen Arbeitsfeldern<br />
Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
IFB-Nr.: 92 ST1 03 03<br />
Beratung und Anmeldung: Johannes Gutenberg - Universität<br />
Mainz<br />
Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung, 55099 Mainz, Tel.:<br />
06131/ 3922901 bzw. 3926241, Fax: 06131/ 3924714<br />
e-mail: zww@verwaltung.uni-mainz.de<br />
http://www.zww.uni-mainz.de (Anmeldung über Seminarshop<br />
online möglich)<br />
Zu allen Veranstaltungen wird im Vorfeld eine ausführliche Programmbeschreibung<br />
im Internet unter www.zww.uni-mainz.de<br />
(Weiterführende Studienangebote/Kontaktstudien/Europäische<br />
Migration/Detailbeschreibung) abrufbar sein.<br />
30 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009
TIPPS + TERMINE / KREIS UND REGION<br />
GLOBALES LERNEN IM TASCHENFORMAT<br />
Sie sind griffbereit, handlich und voller Ideen:<br />
Unsere neuen Bildung-Bags. Hier finden Sie in der<br />
handlichen Tasche alles, was Sie für ein Lernen mit<br />
allen Sinnen brauchen: Unterrichtsmaterialien, Medien-DVD,<br />
Bilder, Spiele, Rohstoffmaterialien u. a. m.<br />
Die handlungsorientierten Materialien eröffnen viele<br />
Lerngelegenheiten für den Unterricht, für Projekttage,<br />
den Ganztag oder die Jugendarbeit.<br />
Bildungs-Bag Schokoexpedition. Klassen 3 - 6.<br />
Preis: 94,00 Euro.<br />
Die Kinder/Schüler gehen auf »Schoko-Expedition«<br />
und reisen nach Ghana. Sie lernen Naki kennen, die von<br />
ihrem Alltag, vom traditionellen und vom modernen<br />
Leben erzählt. Die Kinder erhalten bunte, spannende<br />
Einblicke in die globalisierte Produktion am Beispiel von<br />
Kakao und Schokolade und in Fragen von Produktion<br />
und gerechterem, fairen Handel - und werden selbst zu<br />
Chocolatiers.<br />
Bildungs-Bag GhanAfrika. Klassen 6 - 8.<br />
Preis: 94,00 Euro<br />
Ob mit Trickfilmen, Kente-Druckstoffen und Glasperlen<br />
aus Ghana, mit Seilen oder einer neuartigen, großformatigen<br />
Ghana-Karte, ob mit einem Mystery-Aktionsspiel<br />
oder beeindruckenden Portraits, Rollenspielen und<br />
Szenarien - mit diesen neuen Methoden und Medien<br />
selbstregulativer und kooperativer Lernformen erleben<br />
Jugendliche politische Bildung und Globales Lernen<br />
hautnah. Schwerpunkt des praxiserprobten Materialienpaketes<br />
sind handlungsaktivierende Medien inkl. DVD)<br />
und moderne Methoden-Arrangements rund um „Globalisierung“<br />
und „nachhaltige Entwicklung“. Andere „Blicke<br />
auf Afrika jenseits von Krisen und Katastrophen“ werden<br />
am Beispielland Ghana vorurteilsbewusst eingeübt. Die<br />
Tasche „GhanAfrika“ bietet einen attraktiven Blickfang,<br />
macht Lust auf mehr und kann ganz leicht an weitere<br />
Gruppen weiter gereicht werden.<br />
Bildungs-Bag KlimaKids. Klassen 3 - 6.<br />
Preis: 94,00 Euro.<br />
Der Klima-Kids-Bag umfasst Materialien und Medien<br />
(Broschüre, Arbeitsblätter, DVD, Spielmaterialien,<br />
Fotos etc.) zu den Themenbereichen Klimawandel,<br />
klimabewusste Mobilität, Nutzung von Biosprit, Ressourcenschonung<br />
u.m.m. Altersgerechte Info- und<br />
Aktivierungsmaterialien lenken z.B. die Aufmerksamkeit<br />
auf Tuvalu im Pazifischen Ozean, das durch den<br />
Anstieg des Meeresspiegels existentiell gefährdet ist. Mit<br />
Experimenten und kleinen Forschungs-Werkstätten<br />
werden die Kinder zu Experten in Fragen Klima-Herausforderungen.<br />
Die Klima-Kids entdecken auch, dass<br />
sie in ihrem Lebensumfeld zu positiven Veränderungen<br />
beitragen können.<br />
Bezug: Welthaus Bielefeld e.V., August-Bebel Str. 62,<br />
33602 Bielefeld, www.welthaus.de/publikationen-shop,<br />
Tel. 0521-98648-0<br />
Impressum <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz<br />
(118. Jahrgang)<br />
Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />
Mainz, Tel.: 0 61 31 28988-0, Fax: 0 61 31 28988-80, E-mail: gew@gew-rlp.de<br />
Redaktion: Günter Helfrich (verantw.), Dr. Paul Schwarz (Stellvertr./Bildungspolitik), Ursel Karch<br />
(Gewerkschaftspolitik), Dr. Gerlinde Schwarz (Reportagen), Karin Helfrich (Redaktionsmanagement)<br />
Redaktionsanschrift: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz, Postfach 22 02 23, 67023 Ludwigshafen, Tel./<br />
Fax: 06 21 564995, e-mail: guenter.helfrich@gew-rlp.de<br />
Verlag und Anzeigen, Satz und Druck: Verlag Pfälzische Post GmbH, Winzinger Str. 30, 67433 Neustadt<br />
a.d.W., Tel.: 063 21 8 03 77; Fax: 0 63 21 8 62 17; e-mail: vpp.nw@t-online.de<br />
Manuskripte und Beiträge: Die in den einzelnen Beiträgen wiedergegebenen Gedanken entsprechen<br />
nicht in jedem Falle der Ansicht des <strong>GEW</strong>-Vorstandes oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte oder zugemailte Daten wird keine Gewähr übernommen.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten; für Nichtmitglieder jährlich Euro 18,-- incl. Porto +<br />
MWSt. (Bestellungen nur beim Herausgeber.) Kündigung 3 Monate vor Ablauf des Kalenderjahres. Im<br />
anderen Falle erfolgt stillschweigend Verlängerung um ein weiteres Jahr.<br />
Anzeigenpreisliste Nr. 14 beim Verlag erhältlich. Redaktionsschluss: jeweils der 1. des Vormonats.<br />
Bezirk Koblenz<br />
<strong>GEW</strong>- KandidatInnen stellen<br />
sich vor<br />
Im Anschluss an die Vortragsveranstaltung mit Prof. Peter<br />
Struck am 17. März 2009 an der Universität Koblenz<br />
„Die 15 Gebote des Lernens“ bieten die <strong>GEW</strong>- KandidatInnen<br />
für die Stufenvertretungen ab 18.00 Uhr eine<br />
Sprechstunde an. PersonalvertreterInnen nahezu aller<br />
Schularten stehen für Fragen oder für ein konstruktives<br />
Gespräch zur Verfügung.<br />
rk<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />
31
SCHULGEIST<br />
FRAUEN UND TECHNIK<br />
Ich brauche mich nur zu den Knöpfen eines DVD-Players<br />
oder Beamers hinunterzubeugen, schon ertönt eine Stimme<br />
aus der Klasse: „Frauen und Technik!!!“ Mit so einem<br />
leicht abfälligen Ton. „Ist der Stecker drin?“, fragt Niko<br />
aus dem Hintergrund. Gleich steht ein anderer Knabe<br />
neben mir und nimmt mir die Fernbedienung aus der<br />
Hand. Blitzschnell hat er den Videokanal am Fernseher<br />
verstellt, und kein Mensch findet ihn je wieder. Der Knabe<br />
drückt sinnlos an sämtlichen Tasten herum, und ich<br />
denke resigniert: „Das hätte ich auch gekonnt....“ Schade,<br />
da werden wir den Film über amerikanisches Schulelend<br />
heute nicht sehen.<br />
Ja, als Frau bin ich technisch einfach minderbegabt. Es ist<br />
genetisch vorbestimmt, dass ich nicht mal einen simplen<br />
Kassettenrecorder bedienen kann. Jeder Wackelkontakt,<br />
jedes defekte Gerät ist meine Schuld. Mit meinen unfähigen<br />
Fingern ruiniere ich in Windeseile die Technik.<br />
Habe keine Ahnung und glaube dennoch, einen CD-<br />
Player bedienen zu können: Kein Ton ist zu hören. Sofort<br />
drängen mich drei Schüler beiseite und bemächtigen sich<br />
des Geräts. Eine CD abzuspielen, ist eigentlich eine banale<br />
Amtshandlung und wird selbst von Frauen hin und<br />
wieder bewältigt. Allerdings haben wir in der Schule acht<br />
verschiedene Gerätetypen, und manchmal muss man erst<br />
nachsehen, wie sie bedient werden. Meine männlichen<br />
Schüler nicht. Die drehen sofort an allen Knöpfen rum<br />
und stellen nach einer geraumen Weile fest, dass die CD<br />
defekt ist. Glücklicherweise habe ich die nicht gebrannt,<br />
sondern Kevin.<br />
Im Computerraum halte ich mich auch zurück. In allen<br />
Zeitungen steht ja, dass Jugendliche ihre Lehrkräfte und<br />
Eltern technisch längst überholt haben. Bescheiden gehe<br />
ich durch die Reihen und sehe zu, wie gewandt meine<br />
lieben Kleinen recherchieren und schreiben. Wir brauchen<br />
die Texte für die Schulzeitung. Also frage ich ständig<br />
nach: „Hast du deinen Text zwischengespeichert?“ Denn<br />
Schulcomputer stürzen gern mal ab. Meine Schüler nicken<br />
gequält. Die Frau hat mit Mühe den Computerraum in<br />
Betrieb gesetzt, und jetzt will sie auch noch Anleitungen<br />
geben. (Dass man die Computer nicht in Gang setzen<br />
kann, wenn der Kollege davor den entsprechenden<br />
Schlüssel zu gut versteckt hat, halten die Schüler für eine<br />
Ausrede.)<br />
Ich verteile meine Sticks und Disketten, damit kein Schülertext<br />
in den virtuellen Weiten verschwindet. Souverän<br />
klicken die lieben Kleinen auf dem Bildschirm herum,<br />
ich sammle meine Speichermedien wieder ein und stelle<br />
daheim fest, dass auf der Hälfte gar nichts drauf ist. Anderntags<br />
sind die Schüler empört. Natürlich könnten sie<br />
Texte abspeichern. Da hätte ich wohl wieder was falsch<br />
gemacht. Ich bin betreten. Frauen und Technik. Ich weiß.<br />
In der nächsten Stunde sehe ich trotzdem mal genau zu,<br />
wie Sven speichert. Er klickt das entsprechende Icon<br />
einfach an. Er schließt die Datei. Fertig. „Wo ist denn<br />
nun dein Text?“, frage ich. Sven zuckt die Schultern. Das<br />
weiß er leider auch nicht. Irgendwo im Computer halt.<br />
Genauso wenig weiß er, wie man Texte auf einem Stick<br />
speichert. Ich zeige es ihm dezent. „Männer und Technik“<br />
verkneife ich mir. Auch das triumphierende Grinsen<br />
unterdrücke ich.<br />
In Erdkunde sollen die Schüler einzelne Sachgebiete zu<br />
Japan vorbereiten. Dennis bedauert es sehr, aber er hat<br />
über Alltag und Wohnen in Japan leider nichts gefunden.<br />
Zwei Stunden lang hätte er im Internet gesucht! Der<br />
Arme. Soviel Zeit sollte er ja gar nicht investieren. Die<br />
misstrauische Lehrerin („Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />
besser“) sucht daheim in ihrem Computer und findet<br />
über 100.000 Links und schon beim dritten brauchbare<br />
Informationen. Es ist überhaupt erstaunlich, wie oft Schülercomputer<br />
bei Hausaufgaben und Referaten abstürzen,<br />
nicht funktionieren und Internetzugänge defekt sind. Mir<br />
passiert das einmal im Jahr, manchen Schülern wöchentlich....<br />
„Frauen und Technik“ lässt sich noch wunderbar<br />
um das Thema Autofahren ergänzen. Wir kommen im<br />
Unterricht auf das Thema „Frauenparkplätze“, und meine<br />
Knaben sind der festen Meinung, dass das extra große<br />
Plätze in Parkhäusern sind, weil Frauen doch nicht einparken<br />
könnten... Schade, dass die Mädchen oft dieselben<br />
Vorurteile haben und nur so selten widersprechen.<br />
Gabriele Frydrych<br />
32 Beilage zur E&W: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009