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Aufsatz von<br />

Prof. Dr. Rolf Arnold:<br />

Der Eid des Sisyphos (S. 18-21)<br />

-Zeitung<br />

Rheinland-Pfalz<br />

3 / 09<br />

Streik-Fotos auf Titelseite und den Seiten 23-24:<br />

Benz / Hellinge / Huster / Küssner / Rausch / Behlich<br />

Lehrkräfte im Streik (S. 22-24)


EDITORIAL / INHALT<br />

PROBLEMFALL<br />

INTEGRATION<br />

Realitäten I<br />

Neulich im Hemshof, dem Ludwigshafener<br />

Kreuzberg: Die perfekt gestylte,<br />

reichlich flotte Joggerin bremst ihren Lauf<br />

abrupt, zieht die chice Sonnenbrille ab,<br />

reicht die Hand. Kurzes Zögern, dann<br />

freudiges Wiedererkennen. Das ist doch<br />

Dilek, die vor über zehn Jahren von der<br />

Hauptschule zu uns in die damals noch zweijährige Berufsfachschule<br />

kam. Ziemlich skeptisch seinerzeit, ob sie wohl die mittlere Reife packen<br />

werde. Und wie sie das und vieles anderes, was hinterher kam, gepackt<br />

hat! Alles hervorragend. Nach dem Vorpraktikum Erzieherausbildung<br />

auf der anderen Rheinseite, nebenbei Jobs als Haushaltshilfe, um Geld<br />

für privaten Deutschunterricht zu haben. Dann Berufspraktikum und<br />

nun aufgrund ihrer interkulturellen Kompetenz äußerst geschätzte<br />

Fachkraft in einer Kindertagesstätte mit einer Klientel aus zahlreichen<br />

Nationen. Nein, ans Heiraten denke sie noch nicht, erzählt sie. Sie<br />

wohne gerne bei ihren Eltern und überlege, ob sie sich beruflich weiterqualifizieren<br />

solle.<br />

Oder Gülbahar, Tochter einer allein erziehenden türkischen Mutter.<br />

Kam zwei Jahre nach Dilek in die BF. Im Hauptschulzeugnis fast nur<br />

Einsen, glänzende Noten dann auch in der BF für eine gleichermaßen<br />

strebsame wie soziale junge Frau. Und wie clevere Arbeitgeber halt so<br />

sind: Schon während ihres Praktikums in einem Krankenhaus wurde<br />

ihr ein Ausbildungsplatz angeboten. Auch die nicht einfache Ausbildung<br />

wurde exzellent absolviert, und nun ist Gülbahar als OP-Schwester in<br />

der Stationsleitung.<br />

Und, und, und. Die Reihe von Beispielen gelungener Integration ließe<br />

sich beliebig fortsetzen. Wobei betont werden muss: echte Beispiele - keine<br />

PR-Fiktionen für eine Multi-Kulti-Idylle - aus langjähriger Erfahrung<br />

als Lehrer, die durch viele weitere Fälle aus anderen Bezügen ergänzt<br />

werden könnten.<br />

AUS DEM INHALT <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz Nr. 3 / 09:<br />

Editorial / Gastkommentar Seiten 2 - 3<br />

Schulen Seiten 4 - 13<br />

Schulische Erfahrungen … Seiten 14 - 15<br />

Bildungspolitik Seiten 16 - 17<br />

Bildungswissenschaft: „Der Eid des Sisyphos“ Seiten 18 - 21<br />

Gewerkschaftspolitik<br />

Neuland Arbeitskampfmaßnahmen Seite 22<br />

Lehrkräfte im Warnstreik Seiten 23 - 24<br />

Hochschulen / Gesellschaft / Weiterbildung Seiten 25 - 26<br />

Generation 60+ / Brief an die Redaktion Seiten 27 - 28<br />

Tipps + Termine / Kreis + Region Seiten 29 - 31<br />

Schulgeist Seite 32<br />

Realitäten II<br />

Szenenwechsel. Wieder Berufsfachschule. Ein Jahr nach der verheerenden<br />

Brandkatastrophe, die Ludwigshafen nicht nur bundesweit negative<br />

Schlagzeilen einbrachte und das Zusammenleben der Kulturen in einer<br />

Industriestadt mit an die 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund<br />

auf den Prüfstand stellte. Diskutiert werden sollte im Sozialkundeunterricht,<br />

wie sich nach all den Verdächtigungen, Vermutungen und<br />

wechselseitigen Schuldzuweisungen das Verhältnis zwischen Deutschen<br />

und Türken heute darstellt. Schließlich gab es vielfältige Bemühungen,<br />

aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.<br />

Die Reaktionen in mehreren Klassen ganz unterschiedlich und doch<br />

einhellig ablehnend. Eiseskälte bei einer Gruppe: „Sie wollen uns das<br />

doch nicht ernsthaft zumuten?“, so eine Reaktion. Unverständnis auch<br />

für die Frage in einem Arbeitsauftrag, wie das Verhältnis der Kulturen<br />

verbessert werden könne. Da könne nichts verbessert werden und<br />

man wolle auch nichts verbessern. In einer anderen BF 1 fast schon<br />

tumultartige Zustände mit den bekannten gegenseitigen Vorwürfen zur<br />

Schuldfrage, in einer dritten demonstratives Desinteresse bar jeglicher<br />

Sensibilität für die Opfer. Eine Haltung übrigens, die nicht nur unter<br />

Jugendlichen weit verbreitet ist. Auch Diskussionen mit älteren Semestern<br />

zu diesem Thema bestätigen, was wir seit vielen Jahren wissen:<br />

Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind kein Phänomen nur am<br />

rechten Rand, sondern tief in der Mitte unserer Gesellschaft verwurzelt.<br />

Wobei nicht verschwiegen werden darf, dass sich auch ein umgekehrter<br />

Rassismus breit macht: „Scheißdeutsche“, „Ausländer an die Macht“<br />

und ähnliches ist immer häufiger auf Graffitis zu lesen.<br />

Nachdenklichkeit bei Gesprächen mit KollegInnen über den misslungenen<br />

Versuch, ein eigentlich so wichtiges Thema zum Unterrichtsgegenstand<br />

zu machen. Bestätigt wurde mal wieder eine erschreckende<br />

Erfahrung aus den vergangenen Jahren: So schön Beispiele wie die oben<br />

geschilderten auch sind, sie sind leider eher die Ausnahme als die Regel.<br />

Jenseits von schönfärberischen Sonntagsreden erleben wir vor Ort in<br />

brutaler Weise eine brisante Mischung aus Ausgrenzung und Selbstausgrenzung.<br />

„Mit denen“ wolle man nichts zu tun haben, meinen beispielsweise<br />

die Kopftuchträgerinnen in einer anderen BF , die ausschließlich<br />

in ihrer Muttersprache und untereinander kommunizieren.<br />

Fakt ist: Türkische Schüler geraten immer mehr ins Abseits - wie<br />

insgesamt Türken große Integrationsprobleme haben. So hat eine wissenschaftliche<br />

Studie der örtlichen Lokalzeitung ergeben, dass unter den<br />

Einwanderern in Ludwigshafen die Gruppe der Türken am abgeschottesten<br />

lebt. „So suchen sich 98 Prozent der Türken einen türkischen<br />

Ehepartner. Die türkischen Migranten haben zwar auch Deutsche im<br />

engeren Freundes- und Bekanntenkreis, aber im Vergleich zu Italienern,<br />

Griechen oder Ex-Jugoslawen haben die Türken am wenigsten deutsche<br />

Freunde. Mit der deutschen Sprache haben die Türken die meisten<br />

Probleme. Die Einwanderer aus Südosteuropa haben das niedrigste<br />

Bildungsniveau. Die Folge: Die Türken haben das niedrigste monatliche<br />

Haushaltsnettoeinkommen unter den Zuwanderern und damit auch die<br />

niedrigste Kaufkraft... Fast 20 Prozent der Befragten haben gar keinen<br />

Schulabschluss, 43 Prozent einen Hauptschulabschluss und ein Viertel<br />

die Mittlere Reife. Nur zehn Prozent haben das Abitur. Damit sind die<br />

Zugangsvoraussetzungen für Ausbildungsplätze und Jobs mit besserem<br />

Einkommen begrenzt“ (DIE RHEINPFALZ v. 3.2.09)<br />

Fazit des Sozialforschers Andreas Vlasic vom Medien Institut aus Ludwigshafen,<br />

das die Umfrage vornahm: „Es besteht die Gefahr, dass sich<br />

in der türkischen Gemeinschaft ein neues Proletariat bildet.“ Dagegen<br />

helfe nur Sprachförderung und Bildung. Dazu müsse es Schritte von<br />

beiden Seiten geben.<br />

Es muss an dieser Stelle nicht gebetsmühlenartig wiederholt werden,<br />

dass zur Verbesserung der schwierigen Lage viel mehr in Bildung<br />

investiert werden müsste. Und den PädagogInnen vor Ort bleibt nur:<br />

Frust wegstecken und sich an den positiven Erfahrungen aufbauen. So<br />

wie an den Beispiele oben. Unser Ziel bleibt: Die Ausnahmen müssen<br />

zur Regel werden.<br />

Günter Helfrich<br />

2 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


GASTKOMMENTAR<br />

BILDUNG BRAUCHT MEHR<br />

- Von Winfried Folz -<br />

Das Konjunkturpaket II bringt die Schulgebäude<br />

auf Vordermann, aber der Staat holt damit nur<br />

Versäumtes nach. Die Bildung braucht mehr als<br />

frischen Lack und neuen Putz. Wenn tatsächlich<br />

Geld „in die Bildung fließen“ soll, dann gibt es<br />

noch viele Baustellen.<br />

Wenn das Bundeskabinett am Dienstag das<br />

Konjunkturpaket II verabschiedet, dürfte wieder<br />

dieser Satz zu hören sein: Dass nun Millionen „in<br />

die Bildung fließen“. Wenn es doch so wäre! Der<br />

Satz klingt so, als könnte das Konjunkturpaket die<br />

Bildungskrise Deutschlands beheben, weil nun<br />

genug Geld vorhanden sei für kleinere Klassen,<br />

für mehr Sozialarbeiter, individuelle Förderung<br />

oder schlichtweg für ausreichend Personal, das den<br />

Unterrichtsausfall stoppen kann. Indes: All dies<br />

vermag das Konjunkturpaket II nicht zu leisten. Es ist kein<br />

Programm gegen den Bildungsnotstand, auch wenn es die<br />

Politik unterschwellig so darzustellen versucht.<br />

Das Konjunkturpaket II hat die Aufgabe, den privaten<br />

Konsum anzukurbeln und der vermutlich bald um Aufträge<br />

ringenden Bauwirtschaft über die Runden zu helfen.<br />

Dabei sollen Arbeitsplätze erhalten, bestenfalls neue Jobs<br />

geschaffen werden. Das sind richtige Ziele. Streiten kann<br />

man darüber, ob die Maßnahmen tatsächlich der Konjunktur<br />

Beine machen werden, es wäre zu hoffen.<br />

Dass die Bildungseinrichtungen - also Kinderkrippen,<br />

Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten - von<br />

der Konjunkturhilfe profitieren, liegt in dem Umstand<br />

begründet, dass sie zu den Objekten zählen, für die die<br />

öffentliche Hand Aufträge an die Wirtschaft vergeben<br />

kann. Es wird saniert und renoviert, das ist gut, keine<br />

Frage. Man darf die Wirkung aber nicht überschätzen.<br />

Sanitärtrakte werden hergerichtet, Schulkantinen entstehen,<br />

effiziente Heizungen werden eingebaut und Fenster<br />

abgedichtet. In einem Berliner Gymnasium freuen sich<br />

die Schüler beispielsweise darauf, an kalten Wintertagen<br />

nicht mehr im Mantel im Unterricht sitzen zu müssen.<br />

Und in der Pfalz freuen sich manche Schulleiter, wenn<br />

die Eltern beim Tag der offenen Tür nicht mehr auf<br />

dem Absatz kehrt machen, sobald sie die Schultoiletten<br />

gesehen haben.<br />

Wenn alles getan ist, sehen Kindertagesstätten und<br />

Schulen so aus, wie sie aussehen sollen. Es sind Gebäude,<br />

in denen Bildung sich entfalten und eine Lernkultur<br />

gedeihen kann. Nur: Das ist die schlichte Voraussetzung<br />

für Bildung, das ist keine außergewöhnliche Leistung<br />

des Staates. Es ist seine Pflicht, Räume zu schaffen, in<br />

denen Kinder möglichst gerne lernen und Lernerfolge<br />

erleben können.<br />

Dank des Konjunkturpakets II kann der Staat seiner<br />

Pflicht nun nachkommen. Die Regierungen in Bund<br />

und Ländern sind überzeugt, sie müssten dafür gelobt<br />

werden. Doch das wäre zu viel des Guten. Es wird nun<br />

lange Versäumtes nachgeholt. Zur Ehrenrettung mancher<br />

Schulträger-Kommune, muss ergänzt werden, dass nicht<br />

überall beklagenswerte Zustände herrschen.<br />

Doch selbst der schönste Schulbau kann nicht verhindern,<br />

dass Lehrer überfordert sind, weil ihnen ständig<br />

mehr abverlangt wird, insbesondere Erziehungsarbeit, die<br />

früher von den Eltern geleistet wurde. Dazu müsste der<br />

Staat mehr Sozialarbeiter einstellen. Der sanierte Hausaufgabenraum<br />

wird nicht verhindern, dass Schüler mit<br />

Migrationshintergrund weiterhin besondere Förderung<br />

benötigen. Dazu müsste der Staat mehr Lehrer einstellen.<br />

Der Ausbau von Einrichtungen zur Kleinkinderbetreuung<br />

wird nicht verhindern, dass es bei der Versorgung mit<br />

Fachkräften zu Engpässen kommen wird. Dazu müsste<br />

der Staat mehr Ausbildungskapazitäten schaffen und für<br />

angemessene Gehälter sorgen. Wenn Geld „in Bildung<br />

fließen“ soll, dann gibt es noch viele Baustellen. Die<br />

Politik kennt sie alle, sie wurden auf dem Bildungsgipfel<br />

im Oktober besprochen - weitgehend folgenlos.<br />

Aus: DIE RHEINPFALZ, 24. Januar 2009<br />

Unser Autor ist Bildungsexperte der Rheinpfalz und deren<br />

Korrespondent in Berlin.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

3


SCHULEN<br />

SCHULHÄUSER VERKOMMEN ZUNEHMEND<br />

<strong>GEW</strong>-Landesvorsitzender Hammer: „Es ist allerhöchste Zeit zum Handeln“<br />

„Für die Renovierung von Schulen und Hochschulen<br />

besteht in Rheinland-Pfalz allergrößter Nachholbedarf“,<br />

sagte der <strong>GEW</strong>-Vorsitzende Klaus-Peter Hammer<br />

Ende Januar vor der Presse. Unterstützt wurde er von<br />

Alexander Lang, Mitglied des Landesvorstandes der<br />

LandesschülerInnenvertretung Rheinland-Pfalz. Sowohl<br />

<strong>GEW</strong> als auch LSV begrüßten, dass im Rahmen des<br />

Konjunkturpaketes II Bundesmittel für die Renovierung<br />

von Schulen und Hochschulen bereit gestellt werden.<br />

Schulfotos:<br />

Lucas Schmitt<br />

Hammer bezog sich bei seiner Aussage auf die Ergebnisse<br />

einer Umfrage der <strong>GEW</strong>, an der sich 224 Schulpersonalräte<br />

beteiligt hatten. „Das Ergebnis der Umfrage ist<br />

erschreckend“, so der <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende, „da es eindeutig<br />

belegt, dass an den meisten Schulhäusern dringend<br />

notwendige Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen<br />

seit Jahren aufgeschoben bzw. nur mit großer Zeitverzögerung<br />

durchgeführt werden.“<br />

LandesschülerInnenvertreter Lang beschrieb auch den<br />

offenkundigen Unmut bei den rheinland-pfälzischen<br />

Schülerinnen und Schülern. „Auf unsere Frage hin haben<br />

sich einige Schülerinnen und Schüler gemeldet, die die<br />

Mängel an ihrer Schule durchaus für gesundheitsschädlich<br />

halten. Uns wurden Fotos zugesandt, die nasse Wände,<br />

bröckelnden Putz und überfüllte Müllcontainer zeigen.“<br />

Lang gab den Bericht eines Schülers wieder, dessen Schulleitung<br />

aufgrund von Geldmangel äußerst kreativ bei der<br />

Raumnutzung agiert: „Mittlerweile haben einige ihre<br />

Mathe-Stunden in der Küche, viele Klassen müssen in<br />

den Biologie- oder Physik/Chemiesaal ausweichen, auf der<br />

Toilette der männlichen Lehrkräfte stehen die Mofas der<br />

Mofa AG, auf dem Schulhof stehen 2 Container, in die 3<br />

Klassen gehen müssen. Wir hatten z. B. in den Containern<br />

die letzten Wochen kein Wasser, weil es eingefroren war.<br />

Durch unsere Aula wurde eine dünne Wand gezogen,<br />

damit dort 2 Klassen unterrichtet werden können und<br />

ein SV-Zimmer, einen Kunstraum oder einen Musikraum<br />

gibt es natürlich auch nicht.“<br />

Die Zahlen belegen nach Einschätzung der <strong>GEW</strong>, dass es<br />

innerhalb der öffentlichen Schulträger in Rheinland-Pfalz<br />

(Gemeinden, Städte, Landkreise) eine „Zweiklassengesellschaft“<br />

gibt. Nur noch etwa 30 % der Schulhäuser<br />

würden nach Angaben der Personalräte regelmäßig und<br />

kontinuierlich instand gehalten. Bei 39 % der Gebäude<br />

würden selbst bekannte gravierende Mängel nur nach<br />

mehrmaliger Reklamation Zeit verzögert behoben, bei<br />

16 % erfolge die Behebung zum Teil erst nach Jahren<br />

oder überhaupt nicht. „Unsere Kolleginnen und Kollegen<br />

werden dadurch in ihrer Arbeit teilweise massiv beeinträchtigt<br />

(so die Antwort von 68 % der Befragten), sogar<br />

gesundheitliche und sicherheitsrelevante Risiken (so 26 %<br />

der Befragten) müssen hingenommen werden“, monierte<br />

Hammer. Schimmel, Feuchtigkeit, undichte Fenster,<br />

verschlissene Fußböden, fehlender Sonnenschutz seien<br />

die in der Umfrage meistgenannten Mängel.<br />

Als weiteres Problem erweise sich nach Aussage der befragten<br />

Personalräte die Gebäudereinigung. Die Vergabe<br />

der Reinigungsaufträge von ehemals eigenem Personal<br />

an Fremdfirmen habe zu einer gravierenden Verschlechterung<br />

der Reinigungsqualität geführt. „Das Firmenpersonal<br />

hat zu wenig Zeit“ sei eine immer wiederkehrende<br />

Kritik in der Umfrage, „da der billigste Anbieter den<br />

Zuschlag erhält“. Zurzeit, so die <strong>GEW</strong>, werden ca. 58 %<br />

der Schulen mit steigender Tendenz durch Fremdfirmen<br />

gereinigt. Für die Reinigung von Türgriffen, Fenstern,<br />

Regalen gebe es so gut wie keine Zeit mehr. Klassensäle<br />

würden überwiegend nicht mehr täglich feucht gereinigt,<br />

mehr als 60 % sogar nur einmal pro Woche bzw. einmal<br />

pro Monat.<br />

Abhilfe schaffen häufig Schülerinnen und Schüler, die<br />

klassenweise zum so genannten „Hofdienst“ angehalten<br />

werden. „Viele verbringen ihre Pausen mit dem Aufsammeln<br />

von Müll. Bei anderen fällt dafür sogar kurzzeitig der<br />

Unterricht aus“, so SchülerInnenvertreter Lang weiter.<br />

Die Mängel in der Reinigung werden zu 46 % als gravierend<br />

und zu 17 % sogar als gesundheitsschädlich<br />

beurteilt. Sporthallen und Toiletten werden immer wieder<br />

4 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


SCHULEN<br />

als große Problembereiche genannt, genauso wie fehlende<br />

Hausmeister bzw. die Tatsache, dass ein Hausmeister neuerdings<br />

für mehrere Schulen zuständig ist. „Frustrierend,<br />

armselig, unwürdig und beschämend“ bezeichnen die<br />

Befragten immer wieder den Zustand der Schulen.<br />

Die Ursache der Gesamtproblematik liegt nach Einschätzung<br />

der <strong>GEW</strong> nur zum Teil an der Bereitschaft der<br />

Schulträger. „Wir haben allerdings genügend Beispiele,<br />

aus denen hervorgeht, dass mit relativ geringem Aufwand<br />

Abhilfe geschaffen werden könnte. In diesen Fällen muss<br />

die Kommunikation verbessert, müssen Mängelmeldungen<br />

ernst genommen werden“, forderte der Vorsitzende<br />

der Bildungsgewerkschaft. Das größere Problem sei die in<br />

vielen Fällen belegte Finanznot der Kommunen, die mit<br />

den Mitteln aus dem Konjunkturpaket II vordringlich<br />

unterstützt werden müsse, so die Forderung des <strong>GEW</strong>-<br />

Landesvorsitzenden.<br />

„Es ist allerhöchste Zeit zum Handeln“, sagte Hammer<br />

und verwies darauf, dass mittlerweile auch der Städte- und<br />

Gemeindebund, der in der Vergangenheit im Verständnis<br />

seiner Rolle eher als Bremser und weniger als Beschleuniger<br />

aufgetreten ist, das Problem erkannt hat. Die Aussage<br />

seines Vorsitzenden Gerd Landsberg, dass ein bundesweiter<br />

Sanierungsbedarf bestehe, der sich auf 73 Mrd. Euro<br />

erstrecke, belegt die Brisanz der Problematik. Somit ist<br />

das von der Bundesregierung bereitgestellte Geld für die<br />

Sanierung von Schulen aus dem Konjunkturpaket II von<br />

670 Millionen Euro je Bundesland richtig, aber nicht<br />

mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.<br />

„Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte brauchen gute<br />

Rahmenbedingungen, auch was die Gebäude und die<br />

Gebäudeausstattung betrifft. Jede weitere Zurückhaltung<br />

wäre völlig unakzeptabel“, betonte Hammer.<br />

Investitionsprogramm ‚Energetische Schulbausanierung‘<br />

zusätzlich zum Konjunkturpaket II für die Schulen des<br />

Landes aufzulegen. Dabei müssten ökologische und Energiemaßstäbe<br />

angelegt werden. So könnte die regionale<br />

Wirtschaft in der aktuellen Krise gestärkt und die kommunalen<br />

Schulträger finanziell entlastet werden“.<br />

„Die Zeiten müssen vorbei sein, in denen eine Sanierung<br />

von den Genehmigungsbehörden oft mit dem Hinweis<br />

auf Überschuldung der Kreise blockiert wurde, und das,<br />

obwohl sich die Investitionen über kurze Zeit rechnen<br />

würden. Die Sanierung der Schulen nützt allen: den<br />

SchülerInnen und LehrerInnen, die in einer viel besseren<br />

Atmosphäre miteinander umgehen können; den klammen<br />

Gemeinden, denen geringere Energiekosten anfallen,<br />

und dem Klima und der Umwelt, die mit weniger CO2<br />

belastet werden. Hier kann nur gewonnen werden. Die<br />

Landesregierung darf diese Chance nicht weiter verstreichen<br />

lassen“, so Köbler.<br />

pms<br />

Grüne fordern energetische<br />

Schulbausanierung<br />

„Die vorgestellte Mängelliste der <strong>GEW</strong> zeige eine erschreckend<br />

hässliche Realität. Damit wird der Landesregierung<br />

der Spiegel vorgehalten. Jetzt hilft kein Schönreden mehr,<br />

jetzt muss gehandelt werden!“ Mit diesen Worten reagierte<br />

Daniel Köbler, Landesvorstandssprecher von BÜNDNIS<br />

90/DIE GRÜNEN, auf die <strong>GEW</strong>-Untersuchung.<br />

Seine Partei fordere deshalb die Landesregierung auf,<br />

schnellstens ein umfassendes und zukunftsgewandtes<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

5


SCHULEN<br />

ZAUBERWORT „INDIVIDUELLE FÖRDERUNG“<br />

Finanzielle Investitionen in das Bildungssystem erforderlich<br />

- Von Helmut Reichelt -<br />

„Rund 234.000 Jungen und Mädchen mussten nach Angaben<br />

des Statistischen Bundesamtes im Schuljahr 2006/2007 eine<br />

Klasse wiederholen, eine Quote von 2,7 %“ (Zit. „Erziehung<br />

und Wissenschaft“, 7-8/2008, S. 26). Diesem für das Schulsystem<br />

untragbaren Zustand wollen die Länder unbedingt<br />

abhelfen. So hat beispielsweise das Land Rheinland-Pfalz<br />

beispielsweise die Schulen per Schulgesetz (§ 10 Absatz 1)<br />

zur individuellen Förderung verpflichtet. Und das ist gut so!<br />

Permanente Leistungsüberforderung<br />

ist eine seelische<br />

Tortur.<br />

Foto: Schwarz<br />

Dies trägt den Forderungen der <strong>GEW</strong> Rechnung. Klaus-<br />

Peter Hammer, <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzender in Rheinland-<br />

Pfalz, konstatiert: „Der von der Bundesregierung der<br />

Öffentlichkeit vorgestellte Bildungsbericht unterstreicht<br />

die Forderung der <strong>GEW</strong> nach längerem gemeinsamen<br />

Lernen, nach Ausbau der individuellen Förderung und<br />

dem Bemühen, so genannten Risikokindern zu einem<br />

qualifizierten Schulabschluss zu verhelfen“. (<strong>GEW</strong>-Zeitung<br />

Rheinland-Pfalz, 7-8/2008, S. 15). In diesem Zusammenhang<br />

forderte K.-P. Hammer eine „dringende Verbesserung<br />

bei den Rahmenbedingungen im Bildungsbereich“<br />

(S. 15). Dies tut auch der <strong>GEW</strong>-Bundesvorsitzende,<br />

Ulrich Thöne, in seinem Artikel zum Bildungsbericht<br />

2008 von Bund und Ländern in „Erziehung und Wissenschaft“,<br />

7-8/2008, S. 22 - 24: „Seit Jahren bescheinigt<br />

die OECD Deutschland im internationalen Vergleich<br />

unterdurchschnittliche Bildungsausgaben.“(Zitat aus<br />

dem Kommentar-Kasten, S. 24: „Sparschwein Bildung -<br />

Bildungsausgaben sinken weiter“).<br />

Gegen eine individuelle Förderung kann eigentlich niemand<br />

ernsthaft sein. Sie ist das zwingende Muss eines<br />

verantwortungsbewussten Unterrichts. Nur so sind die<br />

oben beschriebenen Missstände wirksam zu beseitigen.<br />

Bei einer individuellen Förderung, die allerdings Geld<br />

kostet, sieht die Realität schon ganz anders aus. Dies<br />

soll am Beispiel der Grundschule in Rheinland-Pfalz<br />

aufgezeigt werden, für die seit dem 10.10.2008 eine neue<br />

Grundschulordnung rechtswirksam ist.<br />

Absatz 3 des § 28 der neuen Grundschulordnung (Fördermaßnahmen<br />

für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten<br />

und Lernstörungen) sieht neben der vorrangigen<br />

individuellen Förderung im Klassenunterricht<br />

auch die zusätzliche Förderung mit Doppelbesetzungen<br />

wie die Förderung in Kleingruppen vor. Dies wäre ein<br />

bahnbrechender Fortschritt, und unsere Bildungsadministration<br />

könnte sich vor den jubelnden Ovationen<br />

schulpolitisch Begeisterter kaum noch retten, wenn, ja<br />

wenn da nicht in Absatz 3 ein lapidarer haushaltstechnischer<br />

Zusatz stünde, nämlich „nach Maßgabe der zur<br />

Verfügung stehenden Lehrerwochenstunden“. Und was<br />

das heißt, wissen wir doch alle!<br />

Diese erhebliche Einschränkung für den personellen<br />

Bereich durch Haushaltsvorbehalt hat erfahrungsgemäß<br />

zur Folge, dass leider zusätzlich ausgewiesene Stunden<br />

für eine Klasse in der gängigen Praxis zumindest bei<br />

kurzfristigen Vertretungsnotwendigkeiten wie Krankheit,<br />

Fortbildung o.ä. zur Abdeckung des Pflichtunterrichts<br />

herangezogen werden. Diese Förderstunden werden somit<br />

zur beliebigen Reserve für den Vertretungsplan und verfehlen<br />

ihren eigentlichen Sinn. Die Verlässlichkeit einer<br />

kontinuierlichen Förderung ist damit nicht mehr gegeben.<br />

An dieser Stelle soll jedoch nicht so weit gegangen<br />

werden, dem Bildungsministerium zu unterstellen, dass<br />

es die „vorrangig klasseninternen Differenzierungsmaßnahmen“<br />

- pädagogisch verpackt - bewusst dazu benutzt,<br />

um Lehrerwochenstunden für zusätzliche notwendige<br />

kostenintensive Fördermaßnahmen einzusparen und sie<br />

so den Kindern vorzuenthalten.<br />

Verschärft wird die Situation noch durch die prinzipielle<br />

Einschulung aller Kinder in die Gruppe der Gleichaltrigen<br />

bis auf wenige Ausnahmen (§ 13 (1) der neuen Grundschulordnung:<br />

Zurückstellung vom Schulbesuch nur aus<br />

gesundheitlichen Gründen) und durch die grundsätzliche<br />

Forderung nach einem heterogenen Unterricht, der u.a.<br />

das Schulfähigmachen bei Entwicklungsrückständen<br />

immer jünger werdender Kinder als selbstverständliche<br />

Aufgabe des Erstunterrichts begreift. Ohne die notwendigen<br />

zusätzlichen verbindlichen personellen Aufstockungen<br />

werden Lehrerinnen und Lehrer mit ihren nicht<br />

zu bewältigenden Problemen allein gelassen nach dem<br />

Motto „Jeder weiß, dass es nicht geht, aber jeder tut so,<br />

als ob es geht“. Damit stößt die individuelle Förderung<br />

an ihre Grenzen, vor allem dann, wenn sich die Klassenfrequenzen<br />

insbesondere in den großen Grundschulen<br />

6 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


SCHULEN<br />

am oberen Limit der Klassenmesszahlen befinden, wenn<br />

dazu noch ausgeprägte Teilleistungsschwächen vorliegen<br />

und wenn sich neben den kognitiven Verzögerungen auch<br />

zunehmende Verhaltensprobleme einstellen.<br />

Ganz besonders negativ wird sich unter solchen Bedingungen<br />

der Wegfall von § 6 der bisherigen Grundschulordnung<br />

(Zurücktreten vom Anfangsunterricht) auf die<br />

betroffenen Kinder auswirken. Auch wenn sich im Verlauf<br />

der Klassenstufe 1 herausstellen sollte, dass „ein Schüler<br />

auch bei individueller oder bei zusätzlicher sonderpädagogischer<br />

Förderung nicht mit Erfolg am Unterricht<br />

teilnehmen kann“ (Wortlaut § 6 alt), muss dieser jetzt in<br />

seiner andauernden misserfolgsorientierten Notsituation<br />

im ersten Schuljahr verbleiben. Er wird dort also schlichtweg<br />

verwahrt! Anders kann man das nicht nennen. Erst<br />

nach einem Jahr, also nach dem automatischen Vorrücken<br />

in das 2. Schuljahr, ist ein freiwilliges Zurücktreten nach<br />

§ 27 Grundschulordnung (neu) möglich. Dieser neue<br />

Ansatz ist unter den noch herrschenden bildungs- und<br />

haushaltspolitischen Gegebenheiten pädagogisch absolut<br />

nicht akzeptabel. Hier besteht dringender Änderungsbedarf!<br />

Permanente Leistungsüberforderung ist eine seelische<br />

Tortur nicht nur für das Kind, sondern auch für sein<br />

gesamtes Umfeld! Wie kann ein Kind unter solch äußerst<br />

ungünstigen Startbedingungen ein positives Verhältnis zur<br />

Schule und zum Lernen entwickeln? Allein der Gedanke,<br />

dass sich ein solches Kind nach der neuen Grundschulordnung<br />

nun zwölf Monate lang quälen muss, sprengt<br />

jegliches Vorstellungsvermögen! Der Kommentar einer<br />

Mutter eines total überforderten Kindes zu der Zeit von<br />

„nur“ drei Monaten zwischen Einschulung und Zeitpunkt<br />

des freiwilligen Zurücktretens vom Anfangsunterricht in<br />

den Schulkindergarten: „Es war die Hölle!“.<br />

Ohne ernst gemeinte Anstrengungen zur Verbesserung<br />

der schulischen Situation nicht nur durch verbale, sondern<br />

konkret finanzielle Investitionen in das Bildungssystem<br />

bleiben noch so gute Ansätze, wie sie die neue<br />

Grundschulordnung, vor allem individuelle Förderung,<br />

vorsieht, nicht einlösbar. „Der Widerspruch zwischen<br />

Sonntagsreden und Alltagshandeln“ (Ulrich Thöne,<br />

„Erziehung und Wissenschaft“, 7-8/2008, S. 24) sollte<br />

endlich aufgehoben werden!<br />

Zudem ist es besser, insbesondere in die Schuleingangsphase<br />

(letzte Kindergartenjahre und die zwei ersten<br />

Schuljahre der Grundschule), und das müsste eigentlich<br />

jeder/jedem einleuchten, verstärkt Haushaltsmittel zu<br />

investieren (Doppelbesetzung u.a.), als später wesentlich<br />

kostenaufwändigere berufliche Qualifizierungs- und<br />

Rehabilitationsmaßnahmen von schulisch gescheiterten<br />

Jugendlichen zu finanzieren bis hin zu sozialen und beruflichen<br />

Integrationsanstrengungen im und nach dem<br />

Strafvollzug.<br />

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05.12.2008 12:25:22 Uhr<br />

7


SCHULEN<br />

VERA - SYSTEMATISCHE FEHLURTEILE<br />

In der gegenwärtigen Konstruktion nicht nur wertlos, sondern schädlich<br />

- Von Horst Bartnitzky -<br />

Die Vergleichsarbeiten VERA sollen Rückmeldungen über<br />

den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler, der Klassen<br />

und Schulen geben. Die Analyse der Testaufgaben der<br />

vergangenen Jahre für Deutsch und Mathematik zeigt aber,<br />

dass sie dieses Ziel alljährlich verfehlen. Ich will exemplarisch<br />

an einem Beispiel zeigen, wie VERA systematisch Fehlurteile<br />

erzeugt.<br />

Richtige Lösungen müssen als falsch<br />

bewertet werden<br />

Das Beispiel stammt aus VERA Deutsch Klasse 3 vom<br />

Mai 2008. Diesmal traten zu den Leseaufgaben einige<br />

Aufgaben zum Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch<br />

untersuchen“.<br />

Den abgedruckten Ausschnitt fand ich in Lauras Testbogen.<br />

Laura kannte wohl nicht das hier geforderte Wort<br />

kämpferisch. Sie hat es deshalb neu gebildet: kämpferlich.<br />

Einwandfrei ist dies eine Adjektiv-Bildung, wenn auch<br />

nicht in der standardsprachlichen Form. Der Korrekturanweisung<br />

entsprechend, musste die Lehrerin die<br />

Lösung von Laura als falsch werten. Ebenso bei anderen<br />

Kindern: Niklas bildete kämpflich, Alexander kämpfrig,<br />

Josias kämpfig. Allesamt kluge, wenn auch ungewöhnliche<br />

Adjektivbildungen, die eines klar erkennen lassen:<br />

die Kinder verfügen gegen Ende der Klasse 3 über einen<br />

Adjektivbegriff. Und genau dies war ja wohl ein Aspekt<br />

für diese Aufgabe.<br />

Dennoch: das Antwortmuster in der Anweisung ließ als<br />

richtig nur das eine Wort zu: kämpferisch. Alle anderen<br />

Lösungen, so adjektiv-gemäß sie auch gebildet waren,<br />

mussten als falsch bewertet werden.<br />

Dass die Kinder hier zu Eigenschöpfungen griffen, deutet<br />

darauf hin, dass ein Wort gefordert wurde, das Kinder im<br />

aktiven Wortschatz eher selten besitzen. Es fragt sich im<br />

Übrigen, warum gerade martialisches Wortmaterial für<br />

den Test herhalten musste.<br />

Neben dem Adjektivbegriff geht es um den Begriff der<br />

Wortfamilie. In den Testheften der Drittklässler fand ich<br />

zum Beispiel zum Nomen Schlaf das Verb verschlafen<br />

und ausschlafen, zum Verb feiern das Nomen Feiertag<br />

und anderes mehr. Dies sind legitime Wörter der jeweils<br />

geforderten Wortfamilie. Die Kinder hatten also mit ihren<br />

Lösungen bewiesen, dass sie aus zwei vorgegebenen<br />

Wörtern richtig auf die Wortfamilie schließen und dafür<br />

wortartengerecht ein weiteres Wort angeben konnten.<br />

Aber auch diese im Sinne des Wortfelds richtigen Wörter<br />

mussten als falsch bewertet werden, weil das Antwortmuster<br />

immer nur ein einziges Lösungswort vorsah.<br />

Inhaltliche Grundlage der VERA-Aufgaben, so die politische<br />

Vorgabe, sollen die Bildungsstandards, hier zum<br />

Fach Deutsch für den Primarbereich vom 15.10.2004<br />

sein. Dort ist als Standard unter 3.4 Sprache und Sprachgebrauch<br />

untersuchen formuliert: „Wörter strukturieren<br />

und Möglichkeiten der Wortbildung kennen“. Die<br />

Kinder haben bei ihren Adjektivlösungen genau dies<br />

nachgewiesen:<br />

Sie bildeten Adjektive zur Wortfamilie, indem sie den<br />

entsprechenden Wortstamm kampf und geeignete Adjektiv-Suffixe<br />

wie -lich und -ig verwendeten. Aus der<br />

Liste der in den Bildungsstandards vorgesehenen Begriffe<br />

wurden hier die Wortfamilie sowie die Wortarten Nomen,<br />

Verb und Adjektiv angewendet. In allen referierten Fällen<br />

entsprachen die Antworten diesen Begriffen. Die Kinder<br />

hatten also die durchaus anspruchsvollen Ziele der Bildungsstandards<br />

gegen Ende von Klasse 3 erreicht. Ihre<br />

Antworten mussten aber, der VERA-Anleitung gemäß,<br />

als falsch bewertet werden. Wie kommt ein solcher Unfug<br />

zustande?<br />

Die testmetrischen Restriktionen<br />

Die Antwort liegt in der Testkonstruktion. Sicher, es gibt<br />

eine große Gruppe pädagogischer Fachleute, die sich<br />

Aufgaben ausdenken. Auf diese Gruppe verweisen das<br />

VERA-Team und die Politik immer, wenn Kritik an den<br />

Aufgaben laut wird. Nur: Die Aufgaben dieser Gruppe<br />

sind nicht die Testaufgaben. Die nämlich unterliegen den<br />

Maßgaben der Testmetrik. Diese Maßgaben sind vor allem<br />

von zwei Prinzipien bestimmt:<br />

1. Die Auswertung muss eindeutig sein, sie darf also keinen<br />

Interpretationsspielraum lassen.<br />

2. Die Lösungen der Kinder müssen deutlich trennen<br />

zwischen erfolgreichen und weniger oder gar nicht erfolgreichen<br />

Schülern.<br />

Zu 1.: Die Maßgabe der absoluten Eindeutigkeit ist der<br />

VERA-Konstruktion geschuldet: VERA ist ein Massentest,<br />

der Jahr für Jahr durchgeführt und ausgewertet werden<br />

muss, der von testmetrischen Laien, nämlich den Lehrerinnen<br />

und Lehrern auszuwerten ist. Deshalb muss alles<br />

in die schlichte Alternative richtig oder falsch einzuordnen<br />

und so in das Auswertungsformular einzutragen sein. Ein<br />

Resultat dieser Maßgabe ist in der o.a. Aufgabe, dass für<br />

jede Lücke nur ein einziges Wort als richtig akzeptiert wird.<br />

Alle abweichenden Lösungen sind als falsch zu bewerten<br />

- unabhängig davon, ob sie ebenfalls richtig sind und ob<br />

8 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


SCHULEN<br />

sie den Bildungsstandards entsprechen. Deshalb werden<br />

Aufgaben der pädagogischen Fachleute ausgeschieden,<br />

die diesem Anspruch nicht gerecht werden. Die ausgewählten<br />

testtauglichen Aufgaben werden so gemodelt,<br />

dass sie dem schlichten binären Auswertungsschema<br />

entsprechen. Damit kommen auch Aufgaben von höherer<br />

didaktischer Qualität bei VERA nicht zum Zuge, also z.B.<br />

offene Aufgabenstellungen, individuelle Lösungswege,<br />

produktive Aufgaben.<br />

Zu 2.: Die ins Auge gefassten Aufgaben werden vorgetestet.<br />

Werden sie von den meisten richtig gelöst, dann<br />

ist das zwar ein erfreuliches Zeichen für gelungene<br />

Lernprozesse. Sie werden aber ausgeschieden, weil die<br />

Ergebnisse zu wenig in Erfolg und Versagen gespreizt<br />

sind. Damit erklärt sich auch, warum Teilleistungen<br />

bei VERA als Fehlleistungen gelten. Wenn Kinder<br />

Verben unterstreichen sollen und von sechs möglichen<br />

fünf richtig unterstrichen haben, dann gilt die Lösung<br />

als ebenso falsch, als wenn gar keines oder willkürliche<br />

Wörter unterstrichen wurden. Auch führt der Zwang zur<br />

Spreizung für viele Kinder zum Überforderungscharakter<br />

der Tests. Angesichts der Fülle an Texten und Aufgaben<br />

und der knappen Bearbeitungszeit resignieren Ängstliche<br />

wie langsam Arbeitende vorzeitig, ohne ihre tatsächliche<br />

Leistungsfähigkeit zeigen zu können. Feinere Diagnosen<br />

gerade im kritischen Bereich sind damit nicht möglich.<br />

Entsprechend lassen die Auswertungen keine Rückschlüsse<br />

auf die individuellen Entwicklungsstände und<br />

auf mögliche Fördermaßnahmen zu.<br />

Wertlos und schädlich<br />

Den VERA-Aufgaben, wie sie sich in den Testheften darstellen,<br />

fehlt mithin ein entscheidender Qualitätsmaßstab,<br />

der für Tests eigentlich selbstverständlich ist: die Validität.<br />

VERA misst eben nicht das, was es zu messen vorgibt,<br />

nämlich inwieweit die Bildungsstandards erreicht sind,<br />

sondern das, was mit der simplen Testmetrik messbar<br />

ist und was die vorgeblichen Leistungsstände genügend<br />

spreizt. Damit werden die VERA-Aufgaben und ihre<br />

Auswertung weder den Bildungstandards gerecht noch<br />

den tatsächlichen Leistungen der Kinder und Schulen.<br />

Sie sind mithin wertlos.<br />

Wenn es nur dies wäre, dann müsste man das fehlinvestierte<br />

Geld und die fehlinvestierte Arbeit an den Schulen<br />

beklagen. Tatsächlich aber erzeugen die Auswertungsvorschriften<br />

permanentes Unrecht, indem enge Lösungsmuster<br />

die Lehrkräfte dazu zwingen sollen, richtige Antworten,<br />

die nicht ins Schema passen, als falsch zu bewerten.<br />

Deshalb ist VERA in der gegenwärtigen Konstruktion<br />

nicht nur wertlos, sondern schädlich.<br />

Das Projekt VERA ist politisch gewollt, und die Ergebnisse<br />

führen in verschiedenen Bundesländern zu<br />

weitreichenden Konsequenzen, wie schulaufsichtliche<br />

Maßnahmen bei schwachen Ergebnissen, Ranking und<br />

öffentliche Auslobung vorgeblich erfolgreicher Klassen,<br />

möglicher Einbezug in Zensurengebung und Übergangsentscheidungen.<br />

Dadurch werden Nebenwirkungen wie<br />

„teaching to the test“ (Fit für VERA) und Unehrlichkeit<br />

im Umgang mit dem Test befördert und schädigen<br />

nachhaltig die Unterrichtskultur. Konstruktionsbedingte<br />

massive Fehlurteile über Schüler- und Schulleistungen<br />

werden billigend in Kauf genommen, um politische<br />

Aktivität darzustellen. „Schaden abzuwenden“ ist eine<br />

Aufgabe der politisch Verantwortlichen. Hier wird das<br />

Gegenteil getan.<br />

Alternativen<br />

Selbstverständlich braucht qualitative Schulentwicklung<br />

eine interne Evaluation, die den anspruchsvollen didaktischen<br />

Aufgaben entspricht. Hierzu hat der Grundschulverband<br />

mit dem Leitbegriff: „Pädagogische Leistungskultur‘“<br />

für alle Fächer umfangreiche Materialien<br />

vorgelegt (www.grundschulverband.de, siehe dort unter<br />

Veröffentlichungen, Mitgliederbände 118, 121, 123).<br />

Selbstverständlich braucht eine qualitative Schulentwicklung<br />

neben der internen auch externe Evaluation. Sie muss<br />

aber dem didaktischen Qualitätsanspruch entsprechen,<br />

um zur internen Evaluation den Außenblick zu ergänzen.<br />

Mit jährlichen flächendeckenden Tests ist diese Qualität<br />

offenbar nicht zu erreichen. Hierzu gibt es inzwischen<br />

andere Beispiele, siehe etwa die Initiative Blick über den<br />

Zaun (www.blickueberdenzaun.de).<br />

Selbstverständlich braucht eine qualitative Schulentwicklung<br />

auch ein „systemmonitoring“ für Politik und<br />

Verwaltung, also eine Bestandsaufnahme über die Unterrichtsqualität<br />

der Schulen und dabei auch das Aufspüren<br />

von Schulen, die besondere Unterstützung brauchen.<br />

Dazu aber sind Evaluationen in Stichproben und in Zeittakten<br />

von vier, fünf Jahren hinreichend. Das eingesparte<br />

Geld kann den Schulen zu Gute kommen, die besonders<br />

unterstützt werden müssen.<br />

Anmerkung<br />

Eine ausführliche Aufgabenanalyse des Deutsch- und des Mathematiktests<br />

2008 für Klasse 3 sowie zahlreiche Lehrerkommentare finden sich in: Grundschule<br />

aktuell Heft 103 Sept. 2008: Kinder vermessen? VERA 2008<br />

(www.grundschulverband.de, siehe dort unter Veröffentlichungen, Mitgliederzeitschrift)<br />

VERA erzeugt systematisch<br />

Fehlurteile.<br />

Foto: Schwarz<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

9


SCHULEN<br />

IM AUSGETÜFTELTEN LEHRPLAN REGIERT ALLEIN DER KOPF<br />

Pauken reicht nicht. Beispiele für soziales Lernen im Gymnasium<br />

Wenn in der nächsten Zeit junge Frauen und Männer an<br />

den Gymnasien ihr Abiturzeugnis feierlich überreicht bekommen,<br />

dann gibt es unter ihnen auch jene, die nicht zu<br />

den Besten ihres Jahrgangs zählen und dennoch eine Belobigung<br />

verdienen.<br />

Unser Autor<br />

Dr. Paul Schwarz<br />

Zum Beispiel Judith. Bis zur 12. Klasse<br />

Schülersprecherin einer Mädchenschule,<br />

versuchte sie nach eigenen Worten, immer<br />

„in Erfahrung zu bringen, was die Mitschülerinnen<br />

bedrückte“. Sie vermittelte<br />

innerhalb der Schülervertretung in Konfliktfällen,<br />

organisierte Feten und Konzerte<br />

für die Schulgemeinde und trug dazu bei,<br />

dass am Kiosk Biobrötchen statt „Süßkram“<br />

gekauft werden konnten. Sie setzte eine<br />

Mülltrennaktion an der Schule durch und<br />

engagierte sich sehr zeitaufwändig für eine<br />

Afrika-Hilfe. Die Motivation für soviel<br />

gutes Tun zog sie aus der Teamarbeit und<br />

aus dem Gefühl, sich einmischen zu müssen,<br />

wenn irgendetwas meine Missgunst<br />

erregte“. Sie bemängelt, dass das heutige<br />

Gymnasium zu sehr zum Einzelkämpfer<br />

erziehe und zu wenig zum Miteinander,<br />

„obwohl man später im Beruf meistens in einer Gruppe<br />

arbeitet.“ Am Ende der 12,5 Jahre, so meint sie, solle ein<br />

junger Mensch die Schule verlassen, der selbstbewusst sei<br />

und wisse, was er wolle, der gelernt habe, Verantwortung<br />

zu übernehmen.<br />

Unter Bildung versteht Judith denn auch weniger das<br />

angehäufte Kopfwissen („das braucht man natürlich, auch<br />

wenn es sehr schnell wieder vergessen wird“) als vielmehr<br />

die kritische Reflektion, das wache Bewusstsein für Welt<br />

und Mensch „um uns herum“. „Pauken und nur gute<br />

Noten schreiben, reicht nicht.“ Kritikerziehung in der<br />

Schule? Für Judith weitgehend Fehlanzeige, „vielleicht<br />

in Sozialkunde“.<br />

„Das meiste hätte ich auch alleine lernen<br />

können“<br />

Die Haare länger als Judith, rötlich und zu einem Pferdeschwanz<br />

zusammengebunden, ist Peter auf den ersten<br />

Blick ein mehr trockener Typ. Sein soziales Einsatzgebiet<br />

waren die Aufenthaltsräume der Oberstufe. Wochenlang<br />

hat er sie aufgeräumt, geputzt und mit Kameraden renoviert.<br />

Das Geld dafür trieb Peter selbst auf. Wie Judith<br />

war er ebenfalls Schülersprecher, zuletzt ohne Amt. „Ich<br />

hätte schulisch besser sein können“, gibt er zu, „aber mir<br />

hat die gemeinsame Arbeit und Aufgabe einfach Spaß gemacht.“<br />

Die Schule, stellt Peter fest, werde ausschließlich<br />

als Lehr- und Belehrungsanstalt, aber nicht als Raum für<br />

soziale und emotionale Erfahrungen begriffen. „Die soziale<br />

Zusammenarbeit wird mehr unterdrückt als gefördert“,<br />

wirft er dem heutigen Schulsystem vor.<br />

Wenn Schule und Erziehung nicht so sehr verwaltet würden,<br />

denkt er laut, wäre vieles denkbar, Schulhöfe könnte<br />

man freundlicher gestalten, Bänke aufstellen, Bäume und<br />

Pflanzen in die zumeist trostlosen Betonlandschaften<br />

bringen. Dies, so zeigt sich Peter überzeugt, brächte mehr<br />

für die Lernatmosphäre und die Schulgemeinschaft als<br />

sturer Unterricht.<br />

Peter ist skeptisch gegenüber der bloßen Stoffpaukerei<br />

und der Notenjagd, die oft nur den egoistischen Individualismus<br />

fördere. Das meiste, so stellt er heute fest, was er<br />

in der Schule gelernt habe, hätte er auch allein lernen können.<br />

„60 Prozent“, schränkt er dann ein. Angesprochen<br />

auf die steigende Gewaltbereitschaft vieler junger Leute<br />

in den Schulen, sieht er einen engen Zusammenhang mit<br />

der schulischen Erziehung. „Man muss den Kindern und<br />

Jugendlichen eine Aufgabe geben, sie anerkennen und sie<br />

selbstverantwortlich in einer Gruppe handeln lassen.“<br />

Die Pädagogik fehlt in der Schule<br />

Maurice war Klassensprecher, Schulsprecher, Orchesterund<br />

Chormitglied, Schauspieler in der Theater-AG,<br />

gewählter „Abgeordneter“ im neuen Schülerparlament,<br />

Juso-Aktivist. „Ich mache gern und viel, bin gern mit<br />

Menschen zusammen und möchte mit anderen etwas<br />

gestalten und aufbauen“, so Maurice. Auch er kritisiert,<br />

dass das soziale Lernen in der Schule zu kurz komme und<br />

das „reine Lernen“ vorherrsche. „Ich bin keiner, der gegen<br />

Lehrer wettert“, versichert er, „aber die Pädagogik fehlt<br />

in der Schule“. Gefragt sei der pflegeleichte, angepasste<br />

Schüler. Wer Probleme habe und welche mache, bliebe<br />

außen vor. Was man für das spätere Leben brauche, lerne<br />

man in der Schule kaum: Demokratie als Lebensform,<br />

Teamgeist, Partnerschaft, Gemeinsinn. Schule und Leben<br />

seien zweierlei, jedenfalls im Bewusstsein der meisten<br />

Schüler und wohl auch Lehrkräfte. Man müsse lernen,<br />

was die Schule verlange. Ob man das Gelernte später<br />

brauche, ob es einem persönlich etwas gebe, stehe auf<br />

einem anderen Blatt.<br />

Die Lehrkräfte, lobt der junge Mann, seien in der Regel<br />

gut ausgebildet und hätten eine Menge im Kopf, aber<br />

Schüler für etwas zu begeistern oder das rationale Wissen<br />

in der Persönlichkeit zu verankern, das gelinge nur<br />

in Ausnahmen. „Verantwortliches Handeln kann nicht<br />

durch bloße Wissensvermittlung und verbale Appelle<br />

in die Jugendlichen hineingetragen werden. Was wir<br />

brauchen“, betont er, „sind weder Duckmäuser noch<br />

Ellenbogentypen“.<br />

Die Lehrer hüten sich vor<br />

politischen Äußerungen<br />

Ein Multitalent ist auch Daniel: Sportass im Volleyball,<br />

Klassensprecher, Umweltschützer in einer schulischen<br />

10 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


SCHULEN<br />

Öko-AG, Beleuchter, Bühnenbauer und Schauspieler in<br />

der Schultheatergruppe. Er spielt Klavier, Gitarre und<br />

E-Bass.<br />

Daniel beklagt, dass außer im Geschichtsunterricht das<br />

„Dritte Reich“ in seiner Schulzeit kaum vorgekommen<br />

sei. Auch Übergriffe Rechtsradikaler auf Ausländer seien<br />

für viele LehrerInnen erstaunlicherweise kein Thema<br />

gewesen. „Die meisten Lehrer hüten sich vor politischen<br />

Äußerungen.“ Sie zögen ihren Stoff durch, alles andere<br />

interessiere sie offensichtlich nicht .“Vielleicht haben<br />

sie auch Angst?“, gibt Daniel zu bedenken. Vor Eltern,<br />

Direktor und Schulaufsicht?<br />

Er bedauert das fehlende Engagement der meisten<br />

MitschülerInnen in der Schule. Sie seien nicht bereit,<br />

sich für irgendetwas einzusetzen, weil es Zeit kostet<br />

und die „privaten Interessen einschränkt“. Selbst die<br />

tägliche Zeitungslektüre sei vielen schon zu aufwändig.<br />

Allerdings würden die Jugendlichen in der Schule auch<br />

kaum angeleitet, Verantwortung zu übernehmen und<br />

handelnd etwas in eigener Regie unternehmen zu dürfen,<br />

„überall mischen sich die Lehrerinnen und Lehrer ein“.<br />

Zum wirklichen Einsatz für den anderen, auch für den<br />

Schwächeren, dazu „verführe“ das Gymnasium nicht. Die<br />

soziale Kälte nehme deshalb zu. Schule und Unterricht<br />

müssten dazu erziehen, nicht nur an das eigene Interesse<br />

zu denken, sondern auch mal zurückzustecken, müsse<br />

dazu erziehen, Rücksicht zu nehmen, Toleranz einzuüben<br />

und solidarisch zu handeln.<br />

Paul Schwarz<br />

ENJA RIEGELS SCHULTRAUM<br />

Vor einigen Jahren machte die Helene-Lange-Schule in<br />

Wiesbaden - eine Integrierte Gesamtschule mit den Klassen<br />

5 bis 10 - Furore. Irgendwann hat man Enja Riegel am<br />

Helene-Lange-Gymnasium eingesetzt. Die Lehrer erschienen<br />

in Schwarz, weil ihnen die neue Schulleiterin nicht gefiel.<br />

Zwei Jahre brauchte sie, bis sie ein Wunschkollegium hatte,<br />

nachdem sie immer wieder einzelne Lehrer gefragt hatte:<br />

„Können Sie sich nicht vorstellen, einmal an einer anderen<br />

Schule zu unterrichten?“ Als sie Konsens im Kollegium hatte,<br />

hat sie aus dem Gymnasium eine Gesamtschule gemacht, hat<br />

sie die großen Theaterprojekte eingeführt, die Partnerschaft<br />

mit einer Schule im Himalaya ausgebaut, das fachfremde<br />

Unterrichten der Lehrer begünstigt und „die kleine Schule<br />

in der großen Schule“ geschaffen: Sieben Lehrkräfte unterrichten<br />

sechs Jahre lang nur in den vier Parallelklassen,<br />

bauen ihren Stundenplan selbst, haben ein eigenes Klassenzimmer.<br />

Vor fünf Jahren wurde Enja Riegel pensioniert;<br />

bei ihrer Abschlussrede bekam sie einen Herzinfarkt. Nach<br />

Krankenhaus und Reha-Klinik und dem Schreiben ihres<br />

Bestsellers „Schule kann gelingen“ hat sie eine Privatschule<br />

gegründet, mit der sie sich ihren Traum von einer optimalen<br />

Schule erfüllen will. Jetzt hat diese private Gesamtschule mit<br />

dem Namen Campus Klaventhal mit den ersten Schülern<br />

begonnen, und zwar in dem wunderbaren Gelände der<br />

ehemaligen Garten- und Landschaftsakademie Hessens. „In<br />

jeder guten Schulgründung liegt ein Stück Utopie“ sagt Enja<br />

Riegel, und sie hat ihre pädagogische Insel mit dem Motto<br />

versehen: „Kinder brauchen Regeln, Rituale, Gemeinschaft<br />

und Erwachsene, die wissen, dass Kinder Kinder sind und<br />

Erwachsene Erwachsene.“ Begonnen hat sie mit einem<br />

Montessori-Kindergarten und zwei fünften Klassen. Die<br />

Schüler wirken selbst am Bau ihrer Schule mit, so wie es<br />

die Schüler der Evangelischen Gemeinschaftsgesamtschule<br />

in Gelsenkirchen vorgemacht haben. Das Herz der Schule<br />

wird das Theater sein, als Ort, an dem jungen Menschen<br />

vor allem Selbstbewusstsein lernen, denn von Enja Riegel<br />

stammt ja der Satz „Wer viel Theater spielt, wird gut in<br />

Mathematik“. Die Eltern ihrer Schüler müssen je nach<br />

Einkommen 200 bis 850 Euro pro Monat zahlen, weil wir<br />

noch keine niederländischen Verhältnisse haben, mit denen<br />

die Privatschulen komplett vom Staat finanziert werden. Für<br />

Deutschland gilt leider noch: „Um wirtschaftlich zu sein,<br />

muss eine Privatschule ungerecht sein“. Die Kinder können<br />

von 7.30 Uhr bis 18 Uhr in der Schule sein, weil sie meist<br />

beruflich sehr belastete Eltern haben. Im Moment gibt es<br />

in Deutschland zwei Arten von Privatschulen, nämlich<br />

solche, die auf hohe Leistungen erpicht sind, und solche, die<br />

Kindern eine glückliche Kindheit bieten wollen. In beiden<br />

Fällen entscheiden jedoch nicht die Kinder über das gewählte<br />

Schulprofil, sondern die Eltern. Enja Riegel will beides; sie<br />

will mit ihrem Schultraum beweisen, dass es möglich ist,<br />

eine gute Kindheit mit einer hohen Leistungsfähigkeit zu<br />

verbinden.<br />

Prof. Dr. Peter Struck<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

11


SCHULEN<br />

WARUM METHODENLERNEN WICHTIG IST ...<br />

Aus dem „Klagelied“ einer Lehrerin im Rahmen einer Stufenkonferenz 7/8<br />

ReferendarInnen stehen vor vielen<br />

Herausforderungen: selbstständig<br />

unterrichten, Elterngespräche führen,<br />

sich mit Kollegen auseinander-<br />

„Wahrscheinlich kennt Ihr die folgenden Unterrichtssituationen<br />

und Verhaltensweisen nur zur Genüge:<br />

setzen. Ein selbstbewusstes Auftreten<br />

Du willst in einer siebten Klasse Gruppenarbeit durchführen<br />

und investierst erst einmal 10 Minuten, um den<br />

und gute kommunikative Fähigkeiten<br />

helfen dabei.<br />

Schülerinnen und Schülern die wichtigsten Grundregeln<br />

(c) Jupiter Images<br />

der Gruppenarbeit klarzumachen. Die meisten tun so, als<br />

ob sie das noch nie gehört hätten.<br />

Dann geht‘s los. Doch als du nach 10 Minuten durch<br />

die Klasse gehst, arbeiten in jeder Gruppe maximal zwei<br />

Schüler. Auf Nachfrage erklären die „Nichtstuer“: Der<br />

Gruppenleiter und der Gruppensprecher hätten die Lesearbeit<br />

übernommen, das sei eben Arbeitsteilung. Nachher<br />

trage man das Wichtigste dann gemeinsam zusammen.<br />

Du atmest erst einmal tief durch.<br />

Da ein Teil der Schüler weder den Text noch den Arbeitsauftrag<br />

richtig gelesen hat und sich daher erst einmal vieles<br />

im Kreis dreht, leiden Arbeitstempo und Arbeitserfolg.<br />

Da auch Arbeitsweisen wie Markieren, nachschlagen<br />

und Notizen machen im Argen liegen, geht zusätzlich<br />

Zeit verloren. Du wirst also voraussichtlich drei statt der<br />

ursprünglich geplanten zwei Stunden für die Gruppenarbeitsphase<br />

brauchen. Und selbst dann ist noch nicht<br />

sicher, dass alle etwas kapiert haben.<br />

Deine Stirn legt sich in Falten!<br />

Als es nach zwei Stunden darum geht, wer die auf Folie<br />

dargestellten Arbeitsergebnisse vorträgt, bricht in den<br />

Gruppen erst einmal der übliche Disput los. Jeder ist bestrebt,<br />

dem anderen die Verantwortung zuzuschieben.<br />

‚Ich mach‘s nicht, mach du‘s - Wieso ich? Ich hab‘ letztes<br />

mal schon! - Ich kann aber deine Schrift nicht lesen<br />

usw. usw.‘<br />

Du merkst, wie dir die Galle zunehmend hochsteigt,<br />

denn die Zeit läuft davon und du wirst wohl noch mehr<br />

Zeit brauchen, wenn das so weitergeht. Die Arbeitsvermeidungsstrategien<br />

der Schüler sind langsam peinlich<br />

und werfen beim besten Willen kein gutes Licht auf die<br />

Schule und ihre Lehrer.<br />

Der Ärger ist dir deutlich anzumerken<br />

Als dann die Präsentation anläuft, wird deine Stimmung<br />

auch nicht besser. Die Folie der ersten Gruppe ist so klein<br />

beschrieben, dass schon in der zweiten Sitzreihe keiner<br />

mehr etwas lesen kann. Die Folie ist viel zu voll gepackt.<br />

Selbst der Gruppensprecher hat Schwierigkeiten und<br />

muss während der Präsentation immer wieder umständlich<br />

auf seine Aufzeichnungen zurückgreifen.<br />

Du fragst dich verzweifelt: Warum nur ist das<br />

alles so schwierig?<br />

Als du dann am Ende der Stunde die Hefte einsammelst<br />

und zu Hause zum Zwecke der Notenfindung durchsiehst,<br />

erreicht deine Laune endgültig den Tiefpunkt. Nur<br />

zu oft stellst du fest: Keine Überschriften, kein Datum,<br />

miserable Platzaufteilung, ungenügende Visualisierung,<br />

Tabellen windschief, Tintenkleckse auf dem Blatt, Fehler<br />

einfach durchgekritzelt usw.<br />

Und spätestens jetzt wird dir klar: Wenn sich<br />

die Methodenkompetenz der Schülerinnen und<br />

Schüler nicht schnellstens verbessert, bleiben<br />

viele unserer Lernangebote ein eher hohles Unterfangen.“<br />

Eine pfälzische Realschullehrerin /<br />

Aufgezeichnet von Paul Schwarz<br />

12 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


SCHULEN<br />

<strong>GEW</strong> BEGRÜSST MEHR AUSBILDUNGS-<br />

PLÄTZE FÜR ANGEHENDE GYMNASIAL-<br />

LEHRKRÄFTE<br />

Die <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz begrüßt die Ausweitung der<br />

Ausbildungskapazitäten für angehende Gymnasiallehrkräfte.<br />

„Endlich hat das Bildungsministerium die Brisanz der<br />

Lehrkräfteversorgung an den Gymnasien und Gesamtschulen<br />

erkannt. Durch die Einrichtung zusätzlicher Seminarstandorte<br />

kann der bevorstehende Lehrkräftemangel<br />

deutlich verringert werden“, meint der Vorsitzende<br />

der Bildungsgewerkschaft Klaus-Peter Hammer und sieht<br />

darin längjährige Forderungen der <strong>GEW</strong> erfüllt.<br />

Hammer: „Der Lehrkräftemangel an Gymnasien und<br />

Gesamtschulen ist zurzeit sehr beträchtlich. Abordnungen<br />

aus dem Bereich anderer Schularten und versteckter<br />

Unterrichtsausfall haben dazu beigetragen, die Situation<br />

an Gymnasien etwas zu entschärfen. Die erweiterten<br />

Ausbildungskapazitäten sind zu begrüßen, es können<br />

nun deutlich mehr Lehramtsstudierende das Referendariat<br />

direkt nach ihrem Studium beginnen, ohne lästige<br />

Wartezeiten in Kauf zu nehmen.“<br />

pm<br />

GRÜNE: IRREFÜHRUNG UND DESINFORMATION ZUR REALSCHULE PLUS<br />

„Die Landesregierung hat offenbar kein pädagogisches<br />

Konzept, mit dem sie die Aufteilung in Haupt- und Realschulklassen<br />

bei den neu einzurichtenden Realschulen plus<br />

begründen kann. Weder in der Begründung zum Entwurf<br />

der Schulgesetznovelle noch auf den Informationsseiten sind<br />

pädagogische Gründe dafür auffindbar. Im Gegenteil: Die<br />

Informationsseite im Internet zu pädagogischen Fragen rund<br />

um die Schulreform ist bis heute leer! Das ist ein Armutszeugnis<br />

und Offenbarungseid zugleich und zeigt erneut,<br />

welche Mogelpackung die Realschule plus in Wirklichkeit<br />

ist!“, erklärte Daniel Köbler, Landesvorstandssprecher von<br />

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz vor der<br />

Presse.<br />

Weitere Kritik üben die rheinland-pfälzischen GRÜNEN an<br />

der problematischen Informationspolitik des Bildungsministeriums<br />

in einem Kernbereich der Schulreform, der Errichtung<br />

von Realschulen plus in kooperativer und integrativer<br />

Form. Hier werfen DIE GRÜNEN der Landesregierung<br />

Irreführung und Desinformation vor.<br />

Den Informationsseiten der Landesregierung zufolge lernen<br />

in integrativen Realschulen alle SchülerInnen gemeinsam im<br />

Klassenverband. Leider widerspreche das gerade erst beschlos-<br />

sene Schulgesetz dieser Darstellung. Dort ist vorgesehen, dass<br />

die SchülerInnen auch an vermeintlich ‚integrativen‘ Schulen<br />

in Haupt- und Realschulklassen aufgeteilt werden können.<br />

Das Schulgesetz ermöglicht integrativen Realschulen, ab der<br />

7. Klassenstufe in Hauptfächern A- und B-Kurse einzurichten.<br />

Ab der 8. Klassenstufe können die SchülerInnen dann<br />

in separate Haupt- und Realschulklassen aufgeteilt werden.<br />

Im kooperativen Schultyp müssen die SchülerInnen ab der<br />

7. Klassenstufe in Haupt- und Realschulklassen getrennt<br />

werden.<br />

„Damit wird auch im integrativen Schultyp eine Selektion<br />

ermöglicht. Dieses Programm ‚integrativ‘ zu nennen ist<br />

ein dreister Etikettenschwindel. Schulen, die so vorgehen,<br />

unterscheiden sich damit kaum vom ‚kooperativen‘ Typ der<br />

Realschule plus. Regierung und Landtagsmehrheit haben<br />

alle erdenklichen Möglichkeiten geschaffen, um ein längeres<br />

gemeinsames Lernen in den neuen Realschulen zu verhindern.<br />

Vollends absurd wird diese Regelung angesichts der<br />

SPD-Position in ihrem Grundsatzprogramm, indem sie eine<br />

gemeinsame Schule bis zur zehnten Klasse fordert“, kritisierte<br />

Gunther Heinisch, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft<br />

Bildung, Hochschule und Weiterbildung.<br />

pm<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

13


SCHULISCHE ERFAHRUNGEN BEKANNTER RHEINLAND-PFÄLZERINNEN<br />

„ICH BIN VOLLER RESPEKT VOR DER LEISTUNG VON LEHRKRÄFTEN!“<br />

Im Gespräch: Dr. Eva Lohse, Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen<br />

Über die Parteigrenzen hinweg hat sich die Ludwigshafener<br />

Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse (CDU) in ihrer ersten<br />

Amtsperiode viel Respekt, Anerkennung und Sympathie erworben.<br />

<strong>GEW</strong>-Redakteur Günter Helfrich interviewte Dr.<br />

Eva Lohse Ende vergangenen Jahres in ihrem Amtszimmer<br />

im 15. Stock des Rathauses der Chemiestadt am Rhein.<br />

Frau Dr. Lohse, die <strong>GEW</strong> definiert sich als Bildungsgewerkschaft,<br />

organisiert also Beschäftigte<br />

aus allen Bereichen des Bildungswesens von den<br />

Kitas bis zu den Hochschulen. Deshalb bezieht sich<br />

auch unsere erste Frage auf Ihre Kindergartenzeit.<br />

Welche Erinnerungen haben Sie daran?<br />

Ich war damals gar nicht im Kindergarten.<br />

Das lag daran, dass es zu dieser Zeit nicht die<br />

Kindergartendichte gab, die wir heute haben.<br />

Aber das hat der frühkindlichen Lernphase mit<br />

anderen Kindern überhaupt keinen Abbruch<br />

getan. Bei uns hat sich nämlich alles auf der<br />

Straße abgespielt. In unserem kleinen Neubaugebiet<br />

waren ganz viele Kinder, die in der<br />

gleichen Situation waren wie ich. Daraus haben<br />

sich schöne Jugendfreundschaften entwickelt,<br />

die teilweise bis heute halten.<br />

Wenn über Ihre Biografie geschrieben wird, ist immer<br />

von Ihrem durch Politik geprägten Elternhaus die Rede.<br />

Bildung hat da doch sicherlich eine große Rolle gespielt?<br />

Unser Elternhaus war ein Elternhaus, in dem wir sehr<br />

gut behütet aufgewachsen sind. Wir waren drei Mädchen<br />

daheim; es war ein Haus, in dem sehr viel gesprochen<br />

wurde, in dem auch diskutiert und argumentiert wurde,<br />

in dem uns eher spielerisch Bildung näher gebracht wurde.<br />

Es gab aber nie ein bewusst orientiertes Bildungsklima.<br />

Wir sind durch die Art des familiären Umgangs, durch die<br />

vielen Gespräche am Tisch automatisch in einem guten<br />

Umfeld groß geworden.<br />

Die Grundschule wurde in den letzten Jahren grundlegend<br />

modernisiert. Wie war das anno 1962, als die kleine Eva in<br />

die Schule kam. Gab es da noch „stramm sitzen“, „Hände<br />

auf den Tisch“, „in die Ecke stellen“ oder gar Stockhiebe?<br />

An die Grundschulzeit erinnere ich mich noch ganz<br />

genau. Ich bin später eingeschult worden, weil ich so<br />

klein und zart war. Bei der Einschulung war ich dann<br />

schon vergleichsweise reif und sehr offen für das, was in<br />

der Grundschule auf mich zukam. Sie haben das richtig<br />

beschrieben: „Hände auf den Tisch“ hieß „Hände im<br />

Ställchen“, also die Arme verschränkt und die Hände<br />

unter die Achseln. Ich erinnere mich auch noch - das hat<br />

mich damals sehr beeindruckt und auch beschäftigt -, als<br />

damals ein Junge wirklich mit dem Stock auf die Finger<br />

geschlagen bekam. Und ich habe mir immer vorgestellt,<br />

wie es gewesen wäre, wenn ich betroffen gewesen wäre.<br />

Die Grundschulzeit war geprägt von zwei Lehrerpersönlichkeiten:<br />

von einer älteren Lehrerin, die sehr engagiert<br />

war und die ich sehr mochte, und von einer jungen, die<br />

voller Enthusiasmus und aufgeschlossen fürs Neue war.<br />

Deswegen habe ich insgesamt meine Grundschulzeit in<br />

ganz guter Erinnerung.<br />

Wir als <strong>GEW</strong> sind der Meinung, dass die Kinder nach der<br />

Grundschule viel zu früh getrennt werden. Wie lief das bei<br />

Ihnen mit dem Übergang aufs Gymnasium? Haben Sie<br />

beispielsweise den Kontakt zu Freundinnen / Freunden aus<br />

der Grundschulzeit dadurch verloren?<br />

Der Übergang ins Gymnasium ging eigentlich ziemlich<br />

leicht. Wir waren damals in einem Kurzschuljahr und<br />

sind mit relativ vielen Kindern ins Gymnasium: fast ein<br />

Drittel der Klasse ist gewechselt. Dadurch war das mit<br />

den Freundinnen eigentlich problemlos. Mit denjenigen,<br />

die nicht mit uns aufs Gymnasium gegangen sind, ist<br />

der Kontakt nicht abgebrochen, weil wir noch andere<br />

Kreise hatten, wo wir uns immer wieder getroffen haben.<br />

Das war entweder im Sportverein oder im kirchlichen<br />

Bereich.<br />

Was ganz Nettes ist mir unlängst auf dem Markt passiert:<br />

Da hat aus einem Fischverkaufsladen einer gerufen:<br />

„Kennst du mich noch aus der Grundschule?“ Oh Gott,<br />

der Erich Schäfer, ich kannte ihn auch noch sofort, weil<br />

er sich äußerlich kaum verändert hatte. Wir haben uns<br />

dann unserer gegenseitigen Sympathie versichert.<br />

Wo lagen auf dem Gymnasium Ihre besonderen Stärken,<br />

vielleicht auch Schwächen? Oder haben Sie gar manche<br />

Dinge richtig gehasst wie ich Geräteturnen im Sport und<br />

noch mehr Vorsingen in Musik?<br />

Gehasst habe ich eigentlich wirklich nichts. Wenn<br />

ich etwas weniger gern getan hätte, dann sicher nicht<br />

Geräteturnen im Sport, aber Vorsingen in Musik, das<br />

wäre mir sehr schwer gefallen. Ich hatte Stärken in der<br />

Schule, das waren einmal die neuen Sprachen und dann<br />

die Mathematik. Das waren wirklich Stärken, das hat<br />

mir auch am meisten Freude gemacht. So war ich auch<br />

ein Vierteljahr zum Austausch in Frankreich. Da mein<br />

Vater als Chemiker in der BASF arbeitete, war für ihn<br />

ganz wichtig, dass wir vor allem Englisch gut können und<br />

eben nicht alte Sprachen im Vordergrund stehen sollten,<br />

sondern die neuen Sprachen. Das hat mir als Kind auch<br />

eingeleuchtet.<br />

Gab es Sie prägende Lehrerpersönlichkeiten aus der Gymnasialzeit?<br />

In einer unserer letzten Ausgaben haben wir Ihren<br />

Stadtratskollegen Prof. Dr. Günter Dhom (SPD) in dieser<br />

Reihe interviewt. Er erinnerte sich an manche Lehrkräfte<br />

14 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


SCHULISCHE ERFAHRUNGEN BEKANNTER RHEINLAND-PFÄLZERINNEN<br />

bis hin zu ihn damals beeindruckenden Zitaten.<br />

Mit Zitaten kann ich jetzt nicht mehr dienen, aber es gab<br />

in der Tat beeindruckende Lehrerpersönlichkeiten. Die<br />

erste, an die ich mich erinnere, war unser Deutschlehrer,<br />

der später auch Schulleiter am Theodor-Heuss-Gymnasium<br />

wurde. Zu Herrn Herr Baumann hat sich in der sechsten<br />

Klasse ein ganz sympathisches Verhältnis entwickelt.<br />

Ich war noch so jung, und er hat mir sehr geholfen in<br />

meinem Amt als Klassensprecherin. Daraus hat sich dann<br />

ein ganz spezielles Verhältnis entwickelt. Was wir beide<br />

nie gedacht hätten: Ich habe ihn als Oberbürgermeisterin<br />

in den Ruhestand verabschiedet.<br />

Es gab noch andere Persönlichkeiten, an die ich mich<br />

gerne erinnere: Wir hatten eine sehr beeindruckende<br />

Geschichtslehrerin in der Oberstufe und einen Mathematiklehrer,<br />

den ich sehr mochte und mit dem ich heute<br />

noch in engem Kontakt bin.<br />

„Hände im<br />

Ställchen“ hieß<br />

es, als Eva Lohse<br />

in die Grundschule<br />

ging.<br />

Foto: privat<br />

Lebensläufe erfolgreicher CDU-Menschen lesen sich immer<br />

sehr glatt. Gab es mal eine rebellische Schülerin Eva M. mit<br />

null Bock auf die Penne?<br />

Ich hatte das Glück, relativ leicht durch die Schule zu<br />

kommen. Natürlich gab es in der Pubertät auch mal<br />

Durchhänger. Aber insgesamt habe ich viel Spaß daran<br />

gehabt, in die Schule zu gehen, zu diskutieren, Albträume<br />

wie bei manchen Menschen, das Abitur nochmal machen<br />

zu müssen, kenne ich nicht. Es war für mich eine sehr gute<br />

Zeit. Ich habe auch nie Konflikte mit Lehrern ausgetragen,<br />

an die ich mich sehr negativ erinnern würde.<br />

Wie kam es zur Wahl Ihres Studienfaches Jura? Schon mit der<br />

Überlegung, dass Juristen in besonderem Maße für politische<br />

Karrieren prädestiniert sind? Und welche Fächer hätten Sie<br />

noch interessiert?<br />

Zu dem Zeitpunkt, als ich mich entschieden habe, Jura<br />

zu studieren, hatte ich in keiner Weise eine politische<br />

Karriere im Sinn. Dass Politik jemals für mich Inhalt<br />

meiner Arbeit sein könnte, hat sich erst spät ergeben. Erst<br />

nachdem ich schon im Beruf stand, meine beiden Kinder<br />

geboren waren, kam ich zur Politik. Ich bin eigentlich ein<br />

Späteinsteiger in der Politik, was ich übrigens für sehr<br />

gut erachte, weil ich das Leben ohne Politik sehr lange<br />

gelebt habe. Ich habe bei der Studienwahl zwischen einem<br />

naturwissenschaftlichen Fach und Jura geschwankt und<br />

mich dann im Rahmen des Fachs sehr schnell und sehr<br />

eindeutig für das öffentliche Recht interessiert.<br />

Sie waren vor Ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin Dozentin<br />

an der Fachhochschule des Bundes in Mannheim, also quasi<br />

eine Kollegin von uns. Was hat Sie am Lehren gereizt?<br />

Das Lehren hat mir wirklich große Freude bereitet. Es war<br />

mir persönlich immer ein Anliegen, mit den Studenten<br />

gemeinsam Themen zu erarbeiten, und dann habe ich<br />

mich auch wirklich am Erfolg der Arbeit gefreut. Wir<br />

hatten sehr interessante Lehrveranstaltungen, ich habe<br />

meine Lieblingsdisziplinen lehren können, nämlich öffentliches<br />

Recht, Verfassungsrecht, Grundrecht, einfach<br />

Rechtsgebiete, in denen man auch kontrovers diskutieren<br />

kann. Ich finde, es ist auch eine wirklich absolut wichtige<br />

Aufgabe, dass man mit Engagement Lehrender ist. Was ich<br />

aus dieser Zeit noch weiß, das sind die Herausforderungen,<br />

mit denen Lehrende zu kämpfen haben. Und das ist<br />

an der Fachhochschule nochmal deutlich abgeschwächt zu<br />

dem, was Kollegen in den allgemeinbildenden und berufsbildenden<br />

Schulen jeden Tag zu leisten haben. Deswegen<br />

bin ich voller Respekt vor der Leistung der Lehrer.<br />

Es gibt immer unterschiedliche Perspektiven, wenn auf die<br />

Schule geblickt wird. Wie haben Sie diese uns doch alle so<br />

prägende Institution als Mutter gesehen?<br />

Im Grunde hat sich ein bisschen das wiederholt, was ich<br />

erlebt hatte in der Schule. Meine Töchter sind auch - Gott<br />

sei Dank - relativ problemlos durch die Schule gegangen<br />

und ich habe sie auch in dieser Zeit begleitet. Ich war<br />

auf jedem Elternabend, ich war im Freundeskreis und<br />

Förderkreis der jeweiligen Schule, d.h. unsere Familie<br />

hat immer Anteil genommen am schulischen Leben. Das<br />

wünsche ich mir auch für unsere Schüler in Ludwigshafen,<br />

dass die Eltern viel mehr Anteil nehmen an dem, was im<br />

Schulleben passiert.<br />

Abschließende Frage: Was macht für Sie eine gute Lehrkraft<br />

aus?<br />

Einmal muss es ein Mensch sein, der die Kinder liebt,<br />

dann muss es jemand sein, der Leidenschaft für sein<br />

Fach entwickelt und auch Vorbild und Respektsperson<br />

ist. Ein guter Lehrer ist meiner Meinung nach offen für<br />

Diskussionen und Gespräche im Unterricht, geht auf<br />

die Schüler ein und passt sich flexibel unterschiedlichen<br />

Lerntempi an.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

15


BILDUNGSPOLITIK<br />

INKLUSION: EINE VERPFLICHTUNG ZUM SYSTEMWECHSEL<br />

Deutsche Schulverhältnisse auf dem Prüfstand des Völkerrechts<br />

In der deutschen Öffentlichkeit ist der Begriff Inklusion<br />

noch weitgehend unbekannt und selbst in pädagogischen<br />

Kreisen herrscht erstaunlich viel Unsicherheit darüber, was<br />

eigentlich damit gemeint ist. Von Inklusion ist meistens im<br />

Zusammenhang mit der Integration von Behinderten die<br />

Rede. Die Schrägstrich-Bezeichnung „Integration/Inklusion“<br />

ist so verbreitet, dass der falsche Rückschluss gezogen<br />

werden könnte und tatsächlich auch gezogen wird, Inklusion<br />

sei mehr oder weniger dasselbe wie Integration und bezöge<br />

sich ausschließlich auf die Belange von Menschen mit<br />

Behinderungen.<br />

Integration = Inklusion?<br />

Die Integration unterscheidet zwischen Kindern mit und<br />

ohne „sonderpädagogischem Förderbedarf“. Die Inklusion<br />

geht von der Besonderheit und den individuellen<br />

Bedürfnissen eines jeden Kindes aus. Während die integrative<br />

Pädagogik die Eingliederung der „aussortierten“<br />

Kinder mit Behinderungen anstrebt, erhebt die inklusive<br />

Pädagogik den Anspruch, eine Antwort auf die komplette<br />

Vielfalt aller Kinder zu sein.<br />

Sie tritt ein für das Recht aller Schüler und Schülerinnen,<br />

unabhängig von ihren Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen<br />

sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen<br />

Herkunft miteinander und voneinander in „einer Schule<br />

für alle“ zu lernen. Kein Kind soll ausgesondert werden,<br />

weil es den Anforderungen der Schule nicht entsprechen<br />

kann. Im Gegensatz zur Integration will die Inklusion<br />

nicht die Kinder den Bedingungen der Schule anpassen,<br />

sondern die Rahmenbedingungen an den Bedürfnissen<br />

und Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler ausrichten.<br />

Während in anderen Ländern die Inklusion längst auf der<br />

Agenda staatlicher Bildungspolitik steht und inklusive Bildung<br />

international als pädagogischer Auftrag von Schulen<br />

verstanden wird (s. UNESCO-Weltministerkonferenz in<br />

Genf), hat die deutsche Bildungspolitik maßgeblich für<br />

Unwissenheit gesorgt und sich selbst unwissend gestellt.<br />

Inklusion - Auftrag der UNESCO<br />

Spätestens nach der Erklärung von Salamanca, die auf der<br />

UNESCO-Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse:<br />

Zugang und Qualität“ 1994 unter Beteiligung<br />

der Bundesregierung abgegeben wurde, hätte die deutsche<br />

Politik zumindest den Forderungsgehalt der Erklärung<br />

verbreiten und eine Debatte über die pädagogischen,<br />

bildungs- und gesellschaftspolitischen Implikationen<br />

des Inklusionskonzeptes initiieren müssen. In dem von<br />

der Bundesrepublik mit unterzeichneten UNESCO-<br />

Dokument wurden alle Regierungen aufgefordert, ihre<br />

Schulsysteme so zu verbessern, dass Bildung für alle in<br />

inklusiven Schulen verwirklicht wird, die niemanden<br />

ausschließen, sondern alle einbeziehen, und mit einer<br />

Pädagogik für besondere Bedürfnisse sowohl Kindern mit<br />

Behinderungen als auch allen anderen in Anerkennung<br />

ihrer Verschiedenheit gerecht werden.<br />

In dem ebenfalls beschlossenen „Aktionsrahmen“ wurden<br />

der menschenrechtsbasierte Ansatz und die gesellschaftspolitische<br />

Zielsetzung der „Pädagogik für besondere<br />

Bedürfnisse“ eindeutig benannt. Sie „ geht davon aus, dass<br />

menschliche Unterschiede normal sind, daß das Lernen<br />

daher an das Kind angepasst werden muss und sich nicht<br />

umgekehrt das Kind nach vorbestimmten Annahmen<br />

über das Tempo und die Art des Lernprozesses richten<br />

soll. Eine kindzentrierte Pädagogik ist für alle Kinder<br />

und in der Folge für die gesamte Gesellschaft von Nutzen.<br />

Erfahrungen haben gezeigt, dass sie Drop-Out- und Wiederholungsraten,<br />

die ein wesentlicher Bestandteil vieler<br />

Schulsysteme sind, deutlich reduzieren kann und dass<br />

gleichzeitig ein höherer Leistungsdurchschnitt gesichert<br />

wird (...). Darüber hinaus sind kindgerechte Schulen der<br />

Übungsbereich für eine Gesellschaft, die sich am Menschen<br />

orientiert und sowohl die Unterschiede als auch<br />

die Würde aller Menschen respektiert.“<br />

In der deutschen Übersetzung des Dokuments durch<br />

die österreichische UNESCO-Kommission wurde der<br />

für den Gemeinsamen Unterricht von Kindern mit<br />

und ohne Behinderungen im deutschsprachigen Raum<br />

gebräuchliche Begriff „Integration“ als Entsprechung<br />

für den englischen Begriff „inclusion“ verwendet. Diese<br />

problematische Übersetzung ist allerdings keine hinreichende<br />

Erklärung dafür, dass bis heute die Philosophie<br />

der Inklusion in Deutschland bildungspolitisch ignoriert<br />

wird. Schließlich ließ nachfolgend die UNESCO in zahlreichen<br />

Zusatzveröffentlichungen nichts unversucht, um<br />

deutlich zu machen, dass mit dem Inklusionskonzept die<br />

Überwindung der in alten Strukturen und Mentalitäten<br />

verhafteten Integrationspraxis gemeint ist. Am besten<br />

wird dies auf den Punkt gebracht in der Feststellung:<br />

„Looking at education through an inclusive lens implies<br />

a shift from seeing the child as a problem to seeing the<br />

education system as a problem“ (UNESCO 2006).<br />

Konnte die UNESCO-Erklärung noch als ein unverbindliches<br />

Dokument angesehen werden, verpflichteten sich<br />

Bund und Länder mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention<br />

im gleichen Jahr völkerrechtlich darauf,<br />

die Würde des Kindes und seine Subjektstellung in das<br />

Zentrum ihrer Politik zu rücken. Doch im Widerspruch<br />

dazu geht das Schulsystem bis heute mit seinen tiefgreifenden<br />

Selektionsmechanismen von den Interessen der<br />

Institutionen aus und verstößt damit fortgesetzt gegen den<br />

völkerrechtlichen Anspruch, vom Kind aus zu denken.<br />

Deutsche Schulverhältnisse<br />

Im angeblich begabungs- und leistungsgerechten System<br />

müssen sich Kinder und Jugendliche den bestehenden<br />

16 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


BILDUNGSPOLITIK<br />

Schularten anpassen und dort jeweils ihre rechtmäßige<br />

Zugehörigkeit durch Erfüllung normativer Leistungsanforderungen<br />

unter Beweis stellen. Kinder mit Lernschwierigkeiten<br />

und Behinderungen werden durch ein Feststellungsverfahren<br />

zu Kindern mit „sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf“ deklariert und nach Förderschwerpunkten<br />

kategorisiert. Ihre Integration in das Regelschulsystem<br />

ist im Schulrecht der Bundesländer unterschiedlich<br />

verankert. In einigen Bundesländern hat die Integration<br />

in die Regelschule sogar Vorrang vor der Sonderschule.<br />

In der Umsetzung ist Integration jedoch immer noch<br />

die Ausnahme, um die Eltern vor Ort meistens noch<br />

kämpfen müssen.<br />

Die in diesem Feld engagierten Schulen und Pädagogen<br />

werden wenig unterstützt und eher entmutigt. Betroffenen<br />

Eltern und Kindern werden ständig fast unüberwindbare<br />

Barrieren in den Weg gestellt. Integration hängt<br />

ab von der Bereitschaft der Länder, die finanziellen und<br />

personellen Ressourcen bereitzustellen. Sie ist in der Regel<br />

angewiesen auf die Zustimmung der Schulaufsicht, der<br />

Schulträger und der Schulen. Lernzieldifferente Integration<br />

stößt nach der Grundschule auf die Grenzen des selektiven<br />

weiterführenden Schulsystems. Wegen der zumeist<br />

kümmerlichen Ausstattung orientieren sich zunehmend<br />

auch Grundschulen an dem Grad der Behinderung und<br />

nehmen nur die „leichteren Fälle“ auf. Die getrennte<br />

Ausbildung der Lehrer/innen und fehlende Fortbildungsangebote<br />

zementieren die defizitäre Situation.<br />

Gegen den internationalen Trend werden in Deutschland<br />

laut KMK-Statistik 84,3 % der Schüler/innen mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf im Erhebungsjahr<br />

2006 getrennt unterrichtet. Während andere Länder<br />

Schülerinnen und Schüler mit Lernproblemen gemeinsam<br />

unterrichten, ist der Ausschluss aus dem Regelschulsystem<br />

für diese Gruppe in Deutschland so gut wie sicher. Fast<br />

90 % dieser Schüler/innen gehören zur untersten sozialen<br />

Schicht. Unsere Schulstrukturen sorgen also perfekt dafür,<br />

dass die sozial randständigen Milieus von vornherein<br />

ausgegrenzt werden. Deutschland ist Spitzenreiter in der<br />

sozialen Exklusion von Kindern mit Behinderungen und<br />

sozialer Benachteiligung.<br />

Im Übrigen belegt die KMK-Statistik, dass die Gesamtzahl<br />

der integrierten Schüler/innen mit Behinderungen<br />

bundesweit nur langsam angestiegen ist. Zudem ist problematisch,<br />

dass mit Ausnahme von Schleswig-Holstein<br />

trotz der sinkenden Schülerzahl im Regelschulsystem die<br />

Zahl der Schüler und Schülerinnen an Sonderschulen<br />

nicht gesunken, sondern angestiegen ist. Außerdem<br />

sorgt das föderale System dafür, dass die Segregationsbzw.<br />

Integrationsquoten höchst unterschiedlich sind.<br />

Das Sonderschulrisiko für Kinder mit Förderbedarf ist<br />

in Bremen, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein<br />

ungleich geringer als z.B. in den gelobten deutschen<br />

„PISA-Ländern“ Sachsen, Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg.<br />

(...)<br />

Neue Perspektiven mit der<br />

UN-Behindertenrechtskonvention<br />

In der UN-Konvention über die Rechte von Menschen<br />

mit Behinderungen, die am 13. Dezember 2006 von der<br />

UN-Vollversammlung beschlossen wurde, ist das Recht<br />

auf Bildung für Menschen mit Behinderungen in Artikel<br />

24 im englischen Original eindeutig definiert. Danach<br />

sind die Vertragsstaaten völkerrechtlich verpflichtet,<br />

das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderungen<br />

ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der<br />

Chancengleichheit in einem inklusiven Bildungssystem<br />

zu gewährleisten.<br />

Das Ratifizierungsdilemma für die Bundesregierung lag<br />

darin, die Zustimmung der KMK und der Bundesländer<br />

zu Artikel 24 zu bekommen. Dass die „eine Schule für<br />

alle“ trotz nachgewiesener Bildungsungerechtigkeit und<br />

miserabler Leistungsergebnisse des selektiven Schulsystems<br />

nicht das gemeinsame Ziel der 16 Kultusminister in<br />

der KMK ist, ist hinlänglich bekannt. Das federführende<br />

Bundesministerium für Arbeit und Soziales musste also<br />

zu einem Übersetzungstrick greifen, um den Forderungsgehalt<br />

der Konvention zu verwässern. So wurde<br />

aus „inclusion“ im englischen Original in der deutschen<br />

Übersetzung einfach „Integration“. Der Integrationsbegriff<br />

sollte die Konvention anschlussfähig erscheinen<br />

lassen an die deutschen Schulverhältnisse.<br />

In dem Vertragsgesetz der Bundesregierung zur Ratifizierung<br />

der UN-Konvention über die Rechte von Menschen<br />

mit Behinderungen, das zum 1. Januar 2009 in Kraft tritt,<br />

werden die bildungspolitischen Zielkonflikte mit Artikel<br />

24 völlig verwischt durch die Behauptung, es gäbe schon<br />

„vielfältige Übereinstimmungen“ zwischen den deutschen<br />

Schulverhältnissen und dem Menschenrecht auf Bildung<br />

der Vereinten Nationen. Politisch wird der irreführende<br />

Eindruck erweckt, als ginge es lediglich darum, die Integration<br />

von Behinderten in das bestehende Regelschulsystem<br />

zu optimieren. Die grundsätzliche Unvereinbarkeit<br />

unseres ausgrenzenden und aussondernden Regel- und<br />

Sonderschulsystems mit dem Anspruch der Konvention<br />

auf vollständige Inklusion oder Einbeziehung und wirksame<br />

Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wird<br />

schlichtweg geleugnet.<br />

Trotz aller Tricks der Politik: Völkerrechtlich gilt uneingeschränkt<br />

der englische Wortlaut der UN-Konvention.<br />

Behindertenverbände wie die Lebenshilfe und Elterninitiativen<br />

in der BAG Gemeinsam Leben - Gemeinsam<br />

Lernen fordern jetzt die vollständige Umsetzung der<br />

UN-Konvention ein. Sie können sich der Unterstützung<br />

all derer sicher sein, die „eine Schule für alle“ wollen.<br />

2009 ist die Chance, ein wirksames zivilgesellschaftliches<br />

Bündnis pro Inklusion zu schließen.<br />

Dr. Brigitte Schumann<br />

ifenici@aol.com<br />

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Zeitschrift PÄDAGOGIK,<br />

Heft 2/2009, S. 51-53. Wir danken der Redaktion für die Abdruckgenehmigung.<br />

Kontakt: 040/454595<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

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BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />

DER EID DES SISYPHOS -<br />

Anregungen einer Systemischen Pädagogik 1)<br />

- Von Rolf Arnold -<br />

1) Vorabdruck aus:<br />

Arnold / Arnold-<br />

Haecky 2009.<br />

„Und die Pädagogiker,<br />

die unentwegt den Felsblock der pädagogischen Mittel<br />

auf den Gipfel des Idealbergs wälzten,<br />

erschienen lächerlich und unnütz:<br />

sisyphische Überhebung, von boshaften Göttern<br />

mit Mühsal und Erfolglosigkeit bestraft“<br />

(Bernfeld 1967, S. 39).<br />

Lehrer üben einen schwierigen Beruf aus. Sie sind professionell<br />

für die Begleitung und Förderung individueller<br />

Reifungs- und Entwicklungsprozesse zuständig, deren<br />

Bedingungen sie nicht zu beherrschen vermögen. Und<br />

selbst, wenn es ihnen erfolgreich gelingt, im Einzelfall<br />

diese Prozesse positiv zu gestalten und die erzielten Erfolge<br />

auch glaubwürdig auf das eigene pädagogische Handeln<br />

zurückführen zu können, so vermögen sie doch nicht<br />

wirklich an die „soziale Grenze der Erziehung“ (Bernfeld<br />

1967, S.123) heranzureichen. Siegfried Bernfeld legt<br />

in seinem bekannten Buch „Sisyphos oder die Grenzen<br />

der Erziehung“ schonungslos diese Unsicherheit des<br />

pädagogischen Bemühens offen, dessen Wirkungen<br />

sämtlich nur ein relatives Gewicht im Zusammenklang<br />

innerer und äußerer Logiken zu erreichen vermögen,<br />

wobei Bernfeld desillusioniert feststellt: „Es will mir<br />

wenig plausibel erscheinen, dass der Wille der Erzieher<br />

die Schranken durchbrechen will, welche die sozialen<br />

Grenzen darstellen“ (ebd., S. 128) - eine Bemerkung, die<br />

gerade angesichts der fortdauernden sozialen Selektivität<br />

des Bildungswesens, wie sie uns durch die internationalen<br />

Schulvergleichstests (vgl. Prenzel/ Baumert 2008)<br />

drastisch vor Augen geführt wird, in nahezu skandalöser<br />

Weise nach wie vor zutreffend ist. Die Statistik markiert<br />

eine schier unüberwindbar erscheinende „soziale Grenze<br />

der Erziehung“ und scheint auch heute noch - über 80<br />

Jahre nach der Bernfeldschen Erziehungskritik - „wenig<br />

Hoffnung für den edlen, jungen Leser, der seinen Teil<br />

hinzu tun will, die Statistik auf den Kopf zustellen, (zu<br />

bieten)“ (Bernfeld 1967, S. 129). Doch gibt es nicht<br />

allein diese makrosoziale Begrenzung der pädagogischen<br />

Wirksamkeit, auch die unmittelbaren Lehr-Lernprozesse<br />

bleiben häufig Suchbewegungen „zwischen Vergewisserung<br />

und Ungewissheit“ (Dewe 1999) - eine ebenfalls<br />

unvermeidbare Wirksamkeitsbegrenzung, wie uns nicht<br />

nur die neuere Hirnforschung zeigt.<br />

Die Bernfeldsche Messlatte ist zu hoch und auch<br />

falsch. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Bernfelds<br />

Defaitismus seine Wurzeln in sich selbst trägt. Es ist die<br />

überdehnte Wirkungshoffnung, an welcher man den<br />

Erfolg des Lehrerhandelns misst und deshalb stets hinter<br />

den Erwartungen zurückbleiben muss. Dadurch kann<br />

man den Lehrerinnen und Lehrern - oder gar sich selbst<br />

- aber auch immer und immer wieder eine Erfolglosigkeit<br />

bescheinigen, mit der man vielleicht auch unbewusst den<br />

eigenen „subjektiven Motivationen der Abneigung gegen<br />

den Lehrerberuf“ (Adorno 1980, S.80) Ausdruck verleiht.<br />

Sei es, wie es will: Das Handeln von Lehrerinnen und<br />

Lehrern ist in einen anderen Wirkungshorizont gestellt,<br />

der sich einer systemischen Sicht der Dinge erschließt und<br />

die Verantwortung für das eigene Denken, Fühlen und<br />

Handeln der an der pädagogischen Interaktion beteiligten<br />

Akteure in den Vordergrund stellt. Damit können Lehrerinnen<br />

und Lehrer zwar keine Gesellschaft verändern<br />

oder Lernerfolge garantieren, sie können aber ihr eigenes<br />

Tun bewusster und wirksamer auf die Suchbewegungen,<br />

Selbstartikulationen und Veränderungsmöglichkeiten ihres<br />

Gegenübers einstellen. Ihr Gesellschaftsbezug ist dabei<br />

allenfalls ein vermittelter: Indem sie „Menschen stärken“<br />

(von Hentig) erweitern sie deren biographische Optionen,<br />

diese können dann gesellschaftlich verantwortlich und<br />

solidarisch handeln, müssen dies aber nicht. Lehrerinnen<br />

und Lehrer sind für dieses Können, nicht für das Müssen<br />

verantwortlich, und selbst dieses Können, können sie nur<br />

ermöglichen, nicht erzwingen.<br />

Damit ist die Messlatte, aber auch der systemische Kern<br />

eines professionellen Lehrerhandelns grob markiert: Lehrerinnen<br />

und Lehrer können nur dort Wirkungen entfalten,<br />

wo ihr Tun im Anderen Resonanz zu erzielen vermag.<br />

Das vorliegende Buch lotet detailliert die Möglichkeiten<br />

aus, die sich den Lehrerinnen und Lehrern bieten, um ihre<br />

systemische Resonanzfähigkeit zu erhöhen. Grundlegend<br />

für diese Fähigkeiten ist eine spezifische Haltung sich<br />

selbst und seinen pädagogischen Aufgaben gegenüber,<br />

wie sie in dem Eid des Sisyphos verdichtet zum Ausdruck<br />

kommt. Eide zu schwören, ist ein Merkmal professionellen<br />

Handelns, wobei diese Eide innerlich geschworen<br />

werden: Man verpflichtet sich bewusst auf einen „Code<br />

of ethics“. Bekannt geworden ist in der Pädagogik „Der<br />

Eid des Sokrates“ von Hartmut von Hentig. Damit hat<br />

Hartmut von Hentig die praktische Pädagogik auf den<br />

ersten Systemiker des Abendlandes eingeschworen, ohne<br />

diesen Aspekt vielleicht bewusst betonen zu wollen. Die<br />

Sokratische Selbstbildung steht für die innere Bewegung<br />

der „selbsteinschließenden Reflexion“ (Varela), durch die<br />

der Beobachter sich der letztlich banalen Standpunkthaftigkeit<br />

der Resultate seiner Beobachtungen bewusst<br />

wird und dadurch erst in die Lage kommt, den Kampf<br />

um die Wirklichkeit aufzugeben, andere Wirklichkeiten<br />

zu tolerieren und so neue Wirklichkeiten entstehen zu<br />

lassen. Sokrates versuchte jeden, mit dem er sich auf den<br />

Straßen und Plätzen Athens unterhielt, davon zu überzeugen,<br />

dass er nicht „für irgendetwas von dem Seinigen<br />

eher sorge bis er für sich selbst gesorgt habe, auf welche<br />

Weise er so gut und vernünftig wie möglich werde, noch<br />

auch für die Angelegenheit der Polis eher als für die Polis<br />

selbst“, wie er in der Apologie berichtet (zit. n. Kniest<br />

2003, S.70). Diese Verpflichtung des Gegenübers auf sich<br />

selbst ist pädagogisch grundlegend, aber auch bedrohend<br />

für alle die, die Gewissheiten verordnen und zu vermitteln<br />

trachten. Sokrates musste diese Gefährlichkeit seiner Rede<br />

mit dem Leben bezahlen, ein Scheitern seiner Sicht war<br />

18 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />

nicht vorgesehen. Zumindest am Ende seines Lebens wusste er,<br />

dass er es besser (als seine Ankläger) wusste, und mit diesem Wissen<br />

beendete er sein Leben letztlich selbst, wie Xenophon berichtet (vgl.<br />

ebd., S.169). Was immer auch die Gründe für dieses konsequente<br />

oder gar rigorose Verhalten gewesen sein mochten, am Ende gab es<br />

für Sokrates selbst wohl nur noch eine Option für ein erfolgreiches<br />

Handeln.<br />

Anders Sisyphos: Sein Leben ist nicht bloß die Wiederkehr des<br />

immer Selben, sondern auch ein Beleg für den „Mut zur Hartnäckigkeit,<br />

zum Einsatz, auch wenn kein Erfolg in Sicht ist“ (Kast<br />

2004, S.87). Sisyphos geht mit der Erfolglosigkeit um, vor der<br />

Sokrates letztlich kapitulierte. Diese Haltung setzt Wissen, Kompetenzen<br />

und die Bereitschaft zur Selbstreflexivität voraus. Alle drei<br />

Voraussetzungen sind eng miteinander verbunden, denn man muss<br />

etwas darüber wissen, wie Systeme entstehen und nach welchen<br />

inneren Mechanismen sie sich entwickeln, damit man sich von<br />

den linear-mechanistischen Vorstellungen, die unser Denken und<br />

Handeln im Alltag bestimmen, allmählich lösen und mit einem<br />

beobachtenden Blick auf die eigene Art, Dinge wahrzunehmen,<br />

schauen kann. Dabei mutet einem die neuere Systemtheorie einige<br />

Ernüchterungen zu, indem sie uns eine wunderbare Lektion in<br />

Bescheidenheit erteilt. Auf ihrer Basis kann eine Haltung wachsen,<br />

die uns ganzheitlicher, achtsamer, in unseren Stellungnahmen<br />

selbstkritischer und in unseren Aktionen „dosierter“ und damit<br />

auch systemisch nachhaltiger werden lässt. Diese Haltung ist der<br />

Kern jeglicher systemischen Professionalität bei der Initiierung und<br />

Begleitung von Veränderungsprozessen.<br />

Die systemischen Konzepte beruhen auf erkenntnis- und wahrnehmungstheoretischem,<br />

neuerdings auch hirnphysiologischem<br />

Wissen um die Konstruktivität sowie Selbstbezüglichkeit dessen,<br />

was wir sehen: Wenn wir unsere Umwelt betrachten, blicken wir<br />

durch die Brille unserer Erfahrungen, die uns sehend, aber auch<br />

blind macht, denn jede Wahrnehmung ist perspektivisch und selektiv.<br />

Wir sehen nur, was wir entweder schon kennen und deshalb<br />

auch einordnen können oder was für uns in irgendeiner Weise von<br />

Bedeutung ist. Alles andere blenden wir aus. Und da jeder von uns<br />

durch seine eigene Brille der Erfahrungen schaut, sieht jeder die<br />

ihn umgegebende Wirklichkeit in einer jeweils spezifischen Weise.<br />

Eine objektive Wahrnehmung ist demnach eine Illusion, denn jeder<br />

Beobachter bzw. jedes beobachtende System greift jeweils auf einen<br />

mehr oder weniger vertrauten Satz von Bedeutungen zurück, mit<br />

deren Hilfe die eigenen Gewissheiten nach Möglichkeit beibehalten<br />

und fortgeschrieben werden können. Auf diese Weise kann das<br />

System fortbestehen, selbst wenn es sich - in Maßen - wandelt,<br />

denn das Neue bleibt so notwendig an das Bisherige angeschlossen<br />

(eine Einsicht, die sich auch und gerade bei den neueren Versuchen<br />

um Schul- und Unterrichtsentwicklung nachdrücklich bestätigt).<br />

Evolution und Wandel sind deshalb nur schrittweise und nie traditionsabschneidend<br />

möglich.<br />

Menschen handeln, wie ihnen die Erfahrungen gewachsen sind,<br />

wobei es - wie wir aus der Säuglings- und Hirnforschung wissen<br />

- die frühesten und frühen Erfahrungen sind, die uns mit den Wahrnehmungs-<br />

und Schlussfolgerungstendenzen ausgestattet haben,<br />

über die wir spontan - ohne zeitraubend zu reflektieren - verfügen.<br />

Je druckvoller die Situation ist, der wir uns gegenüber sehen oder<br />

gegenüber zu sehen glauben, desto tiefer sind die Denk- und Fühlprogramme,<br />

die sich in unsere Reaktionen einmischen und desto<br />

entschiedener können unsere Reaktionen ausfallen. Diese Entschiedenheit<br />

ist es, die uns den Weg in die Selbstreflexion verstellt. Immer<br />

und immer wieder drohen wir in das Vertraute zurückzufallen und<br />

uns die Welt so zu konstruieren, wie wir sie bereits kennen.<br />

Systemische Kompetenzen<br />

Erst wenn die skizzierten systemischen Erkenntnisse ihren sichtbar<br />

gelebten Ausdruck in ganz bestimmten pädagogischen Fähigkeiten<br />

finden, kann sich eine Lernkultur entwickeln, in welcher der<br />

Suchbewegung der Lernenden wirklich Raum gegeben wird und in<br />

der die Erfahrungen der Lernenden als konstitutive Ressourcen im<br />

Lernprozess zur Geltung kommen können. Systemische Kompetenz<br />

befähigt Pädagoginnen und Pädagogen zu einer solchen Veränderung<br />

der Lernkultur. Grundlage ist dabei die Kompetenz, Prozesse vom<br />

Anderen her zu gestalten. Es ist seine Art und Weise, sich Wissen<br />

und Fähigkeiten anzueignen, die zur Geltung kommen soll, und<br />

es sind seine Kompetenzen, die sich transformieren müssen, damit<br />

Veränderung im Sinne einer gestaltenden Anpassung an das Neue<br />

gelingen kann. Die traditionelle Rolle von Lehrenden muss deshalb<br />

im Rahmen einer systemischen Lernkultur neu entwickelt werden.<br />

Lehren ist nicht mehr Instruktion im Sinne einer Übermittlung von<br />

Inhalten und Strukturen, sondern wird als Initiierung und Begleitung<br />

von autonomen Veränderungsprozessen verstanden.<br />

Systemische Haltung<br />

Die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern liegt darin, ihre Schülerinnen<br />

und Schüler in ihrer Entwicklung und ihrem Lernen zu<br />

fördern und zu unterstützen. Dies gelingt ihnen jedoch nicht, wenn<br />

sie die Interaktion gemäß eigener verborgener Bedürfnisse rekonstellieren.<br />

Vielmehr sollten sie in der Lage sein, ohne Angst und mit<br />

innerer Kraft auf die Lesarten ihrer Schülerinnen und Schüler zu<br />

lauschen und immer wieder neue Versuche zu unternehmen, mit<br />

diesen in einen konstruktiven Dialog einzutreten, sie zu beraten<br />

und zu begleiten. Dem Fragen kommt dabei eine grundlegende<br />

Bedeutung zu. Es war Sokrates, der die Kunst des Fragens kultivierte<br />

und in seiner Pädagogik der Irritation praktizierte.<br />

Ein sondierendes pädagogisches Handeln, das sich darum bemüht,<br />

den Maßgaben und Möglichkeiten des Lernenden Rechnung zu<br />

tragen, bedingt eine Gelassenheit desjenigen, der für die Initiierung<br />

und Begleitung solcher Suchprozesse zuständig ist. Pädagogische<br />

Gelassenheit ist die Fähigkeit, eigene Dominanz- oder Steuerungsansprüche<br />

zurückzunehmen und im Gegenüber das Vertrauen in die<br />

Literatur:<br />

Arnold, R./Arnold-Haecky, B.: Der Eid des Sisyphos. Eine Einführung<br />

in die Systemische Pädagogik. Balmannsweiler 2009.<br />

Adorno, Th.W.: Tabus über den Lehrerberuf (1965). In: ders.: Stichworte.<br />

Kritische Modelle 2. 5. Auflage. Frankfurt 1980, S.68-84.<br />

Bernfeld, S.: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung (1925). Frankfurt<br />

1967.<br />

Camus, A.: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde.<br />

Hamburg 1970.<br />

Dewe, B.: Lernen zwischen Vergewisserung und Ungewissheit. Opladen<br />

1999.<br />

Kniest, C.: Sokrates zur Einführung. Hamburg 2003.<br />

Prenzel, M./ Baumert, J.: Vertiefende Analysen zu PISA 2006. Sonderheft<br />

10/2008 der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Fankfurt<br />

2008<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

19


BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />

eigenen Kräfte zu stärken. Durch behutsame - teils (hinter)fragende,<br />

teils „störende“ - Impulse können Prozesse der Aneignung und der<br />

selbstverantwortlichen Lernprozessgestaltung entstehen. Dafür ist<br />

auf Seiten des Pädagogen eine innere Sicherheit nötig, die nicht<br />

eine eigene Linie in den Lernprozessen des Gegenübers zu realisieren<br />

braucht. Gleichwohl ist eine eigene Linie wichtig, nur ist diese<br />

paradoxerweise durch das Vorhaben definiert, stets der Linie des<br />

aneignenden Systems gerecht zu werden: Es geht um die Stärkung<br />

der Potentiale der Lernenden, nicht um die Durchsetzung von<br />

Vorgaben. Die Ressourcen der Lernenden, Suchenden und Sich-<br />

Entwickelnden sind dafür die eigentlichen Bezugspunkte für das<br />

pädagogische Handeln.<br />

Pädagogisch Gelassene nehmen sich selbst in der eigenen Zuständigkeit<br />

ernst, aber nicht wichtig. Sie wissen um die Fallstricke der<br />

pädagogischen Grundparadoxien, andere zu selbstbestimmtem<br />

Handeln führen zu wollen, und schließen das eigene Scheitern nicht<br />

aus. Sie möchten keine Wirkungen erzielen, aber die Wirksamkeit<br />

der Aneignungen des Gegenübers optimieren. Auch wenn sie immer<br />

und immer wieder bei diesen Versuchen in eigene Ungeduld und<br />

Entschiedenheit abgleiten - mit den bekannten kontraproduktiven<br />

Effekten, denn mehr Steuerung angesichts der bisherigen Unwirksamkeit<br />

der Steuerungsversuche führt stets nur zu mehr Unwirksamkeit<br />

-, so begegnen pädagogisch Gelassene diesen Rückfällen<br />

in die eigene Steuerungsillusion doch mit Selbstkritik, aber auch<br />

mit augenzwinkernder Belustigung. Gerade dadurch, dass sie sich<br />

den Lernenden als reflektierende, immer auch mal wieder in ihren<br />

Bemühungen zurückfallende Menschen zeigen, verbreiten sie bei<br />

denen, für die sie sich zuständig fühlen, Leichtigkeit und Vertrauen.<br />

Beides sind wichtige Voraussetzungen, damit sich Lernende verändern<br />

können, denn unter Druck schließt sich die Lernbewegung<br />

in ihren bekannten Mustern ein und nur in einem vertrauensvollleichten<br />

sowie experimentellen Lernklima öffnen sich die Muster<br />

auch für ein tiefenwirksames Lernen.<br />

Die in ihren wesentlichen Elementen skizzierte Haltung eines systemischen<br />

Pädagogen oder einer systemischen Pädagogin lässt sich in<br />

der Form eines „Code of Ethics“ beschreiben, der die grundlegenden<br />

systemisch-ethischen Elemente beschreibt, denen ein professionelles<br />

Handeln in pädagogischen Kontexten verpflichtet ist:<br />

Der Eid des Sisyphos<br />

Als Pädagoge bin ich in erster Linie der Entfaltung der<br />

inneren Kräfte und Möglichkeiten meiner Schülerinnen<br />

und Schüler verpflichtet. Meine Aufgabe ist es, ihre Kompetenzen<br />

so zu fördern und zu entwickeln, dass sie mit<br />

den Situationen, Fragen und Problemen, die das Leben<br />

für sie bereit hält, konstruktiv und erfolgreich umgehen<br />

können. Ich klage nicht über die „Schwierigkeiten“, die<br />

sie mir dabei machen, sondern weiß, dass ich für die<br />

systemisch intelligente Lösung solcher Schwierigkeiten<br />

zuständig bin.<br />

Deshalb verpflichte ich mich, mein pädagogisches Handeln<br />

gemäß folgender Einsichten zu gestalten:<br />

* Ich habe erkannt, dass ich allein dafür verantwortlich<br />

bin, ob ich den schulischen Rahmen sinnvoll nutze oder in<br />

einer lähmenden Unwirksamkeit erstarre. Deshalb werde<br />

ich aufhören, über die Einengungen zu lamentieren, und<br />

ich werde versuchen, neue Wege zu gehen, auch wenn<br />

ich bisher Angst vor ihnen hatte oder sie für unmöglich<br />

hielt. Da ich weiß, dass im Außen nur sein darf, was im<br />

Inneren bereits existiert, werde ich mich verstärkt um<br />

die Überwindung dieser inneren Bilder, die mich und<br />

andere festlegen, kümmern und mich bemühen, meine<br />

didaktische und erzieherische Phantasie zu entfalten.<br />

(Selbstveränderungs-Credo)<br />

* Ich höre auf, inhaltliche Vorgaben nur zu erledigen,<br />

sondern bemühe mich darum, meinen Schülerinnen<br />

und Schülern eine wirkliche Aneignung von Wissen,<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten zu ermöglichen. (Ermöglichungsdidaktisches<br />

Credo)<br />

* Ich habe erkannt, dass ich als Lehrer/in nur erzieherisch<br />

wirksam sein kann, wenn ich mit den Schülerinnen und<br />

Schülern wirklich in Beziehung trete und die eigenen<br />

Bilder, mit denen ich sie identifiziere, auflöse und loslasse.<br />

Erziehung geschieht durch Beziehung und nur durch<br />

Beziehung. (Erzieherisches Credo)<br />

Ich schwöre deshalb,<br />

* die mir anvertrauten Menschen als Fremde zu respektieren<br />

und ihnen in dem Bewusstsein zu begegnen, dass<br />

meine Beobachtung von ihnen nur das zu erkennen vermag,<br />

was meine Beobachtung zu erkennen vermag,<br />

* sie niemals zu kränken oder zu entmutigen, sondern<br />

einzig und allein (auch und gerade bei den von mir als<br />

„schwierig“ empfundenen Kindern und Jugendlichen)<br />

nach Wegen zu suchen, auf denen sie ihre Selbstwirksamkeit<br />

erfahren und spüren können,<br />

* die Verständigung mit den mir anvertrauten Menschen<br />

zu suchen und dafür zu sorgen, dass sie sich mit den<br />

gesellschaftlichen Erwartungen (von Lehrplan und Curriculum)<br />

auseinander setzen und ihr Eigenes gestalten<br />

können,<br />

* den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild für Fehlertoleranz,<br />

Menschlichkeit, wertschätzenden Umgang<br />

und Solidarität zu sein und ihnen durch meine gelebte<br />

Zuwendung zu zeigen, dass jeder Mensch über spezifische<br />

Potenziale verfügt, die es zu entdecken und zu entfalten<br />

gilt,<br />

* mich in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und<br />

Kollegen um die Beschreitung neuer didaktischer und<br />

erzieherischer Wege zu bemühen und die professionelle<br />

Selbstreflexion im Team zu stärken, damit unsere Schule<br />

zu einem Ort der Kompetenzentwicklung und der<br />

menschlichen Reifung werden kann.<br />

20 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


BILDUNGSWISSENSCHAFT<br />

ÜBUNG: „DU SOLLST DIR (K)EIN BILDNIS MACHEN!“<br />

Wählen Sie eine „schwierige“ Unterrichts- oder Erziehungssituation<br />

aus Ihrer Praxis aus und bearbeiten Sie<br />

diese mit Hilfe der folgenden Schritte. Im Mittelpunkt<br />

steht der Versuch einer neuen Achtsamkeit gegenüber<br />

den eigenen Wirklichkeitskonstruktionen, Überzeugungen<br />

und Deutungen. Nur indem Sie diese Achtsamkeit<br />

zulassen, wird frisches Denken möglich. Dazu sind vier<br />

Schritte wesentlich:<br />

1. Schritt:<br />

Die Analyse der sachlichen Differenzen<br />

Schwierige Situationen mit anderen Menschen - Kollegen,<br />

Eltern, Schülerinnen - treten immer dann auf, wenn<br />

mindestens zwei gegensätzliche Interessen, Meinungen<br />

oder Bedürfnisse aufeinander prallen. Nun sind aber<br />

Differenzen die natürlichste Sache der Welt: Jeder nimmt<br />

durch seinen Wahrnehmungsfilter in erster Linie jene<br />

Informationen auf, die er für die Gestaltung der täglichen<br />

Lebenssituation braucht. Gleichzeitig selektiert er auch<br />

so, dass er seine Einstellungen und Verhaltensweisen<br />

bestätigt findet, denn das vermittelt ihm Sicherheit. Auf<br />

diese Weise wird eine Sicht der Welt geschaffen, die aber<br />

immer eine subjektive Konstruktion der Wirklichkeit<br />

ist, denn welche Informationen wie verarbeitet werden,<br />

hängt von den persönlichen Erfahrungen, Interessen und<br />

Fähigkeiten des Einzelnen ab. Um dafür Verständnis zu<br />

entwickeln, gilt es, sich dieser Subjektivität der Wahrnehmung<br />

bewusst zu werden.<br />

Leitfragen:<br />

* Wie habe ich diese Situation wahrgenommen? Was<br />

genau ist aus meiner Sicht vorgefallen?<br />

* Wie könnten die anderen Beteiligten die Situation<br />

erlebt haben?<br />

* Was könnte ein unbeteiligter Dritter in dieser Situation<br />

beobachtet haben?<br />

2. Schritt:<br />

Das Erkennen der eigenen Befindlichkeit<br />

Jeder Mensch hat grundlegende Bedürfnisse: Wenn wir<br />

das, was wir brauchen, bekommen, fühlen wir uns gut,<br />

zufrieden und glücklich, und wenn nicht, eben schlecht,<br />

enttäuscht oder gar wütend. Doch oft wissen wir nicht<br />

einmal genau, was wir eigentlich wollen, und erst die<br />

Heftigkeit unserer Reaktionen zeigt uns, dass wir offenbar<br />

Bedürfnisse haben, die wir nicht erfüllt sehen. Deshalb<br />

müssen wir uns ganz konkret mit unseren - zum Teil<br />

verborgenen - Wünschen und Erwartungen auseinander<br />

setzen.<br />

* Wie reagiere ich, wenn man mir die Erfüllung dieses<br />

Bedürfnisses verweigert?<br />

* Welche Gefühle werden in mir ausgelöst (Wut, Enttäuschung,<br />

Angst etc.)?<br />

3. Schritt: Das neue Aufsuchen<br />

vertrauter Kommunikationskontexte<br />

Das Vertraute kann sich uns ganz anders darstellen,<br />

wenn wir in anderer Weise darauf blicken. Festgefahrene<br />

und erstarrte Kommunikationskontexte werden<br />

nur aufgebrochen, wenn wir unsere bisherige Sicht der<br />

Dinge auflösen und mit einem neuen Blick in vertraute<br />

Situationen zurückkehren. Dann werden diese neu für<br />

uns, auch wenn wir deren erste Wirklichkeit (z.B. Raum,<br />

Akteure) nicht verändert haben.<br />

Leitfragen:<br />

* Welche Aspekte meiner Situationswahrnehmung und<br />

-deutung sind möglicherweise dadurch festgelegt, dass<br />

ich ähnliche Situationen schon (mehrmals) erlebt habe<br />

und für mich zu einer klaren Definition und Bewertung<br />

solcher Kontexte gelangt bin?<br />

* Übernehme ich für diese Festlegung wirklich die<br />

Verantwortung?<br />

* Zeige ich Toleranz gegenüber anderen - mir „falsch“<br />

erscheinenden - Erklärungen?<br />

4. Schritt: Der Mut zu neuen Brillen<br />

Nur wenn es gelingt, neue Wege zu gehen, können<br />

festgefahrene Schwierigkeiten in der Interaktion mit<br />

Kolleginnen, Eltern und Schülern gelöst werden. Dazu<br />

müssen wir lernen, alte Probleme aus neuen Blickwinkeln<br />

zu betrachten und uns von der Vergangenheit zu<br />

befreien. Aussagen wie „Das haben wir schon immer<br />

so gemacht!“ oder „In meinem Unterricht funktioniert<br />

das nicht!“ dienen vor allem einem Zweck: Alles soll so<br />

bleiben, wie es ist.<br />

Leitfragen:<br />

* Welche - auch kaum vorstellbaren - neuen Erklärungen<br />

könnte es für das Verhalten meines Gegenübers geben?<br />

* Welche Bedürfnisse könnten hinter der Handlungsweise<br />

meines Gegenübers liegen?<br />

* Wie würden sich diese Erklärungen auf meine Reaktion<br />

in der Situation auswirken?<br />

* Was hindert mich daran, auch andere als die mir bekannten<br />

Erklärungen zuzulassen?<br />

Leitfragen:<br />

* Welches Bedürfnis habe ich in dieser Situation verletzt<br />

gesehen?<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

21


<strong>GEW</strong>ERKSCHAFTSPOLITIK<br />

NEULAND ARBEITSKAMPFMASSNAHMEN<br />

Tarifbeschäftigte der Länder zeigen Durchsetzungswillen<br />

Bereits im Januar fanden zwei Gesprächsrunden zu den Tarifverhandlungen<br />

für die Beschäftigten der Länder statt. Sie<br />

blieben bisher ergebnislos. Die Arbeitgeberseite, die Tarifgemeinschaft<br />

der Länder (TdL), legte noch nicht einmal ein<br />

Verhandlungsangebot vor. Im Vorfeld der dritten Verhandlungsrunde<br />

in Potsdam riefen deshalb <strong>GEW</strong>, ver.di, GdP und<br />

BAU ihre Mitglieder bundesweit an verschiedenen Terminen<br />

zu Warnstreiks auf (Siehe den folgenden Artikel).<br />

Zur Vorbereitung des Warnstreiks in RLP rief der <strong>GEW</strong><br />

Kreis Ludwigshafen/Speyer seine angestellten Lehrkräfte<br />

am 02.02. zu einem Info-Abend ins Heinrich-Pesch-<br />

Haus. Udo Küssner, Geschäftsführer der <strong>GEW</strong> RLP, Peter<br />

Blase-Geiger, Gewerkschaftssekretär, und Hans-Adolf<br />

Schäfer zuständig für Besoldungs- und Beamtenrecht im<br />

Landesvorstand waren die sachkundigen Berater für dieses<br />

im Schulbereich bisher eher seltene Vorhaben.<br />

Das äußerst mäßige Ergebnis der Tarifrunde 2008 und die<br />

vielen ungeklärten rechtlichen Sachverhalte, die durch den<br />

Wegfall des BAT entstanden sind, haben den Unmut der<br />

angestellten KollegInnen an den Schulen wachsen lassen.<br />

Sichtbar wurde dies an der großen Zahl der TeilnehmerInnen,<br />

die sich über die Durchführungs- und Teilnahmemöglichkeit<br />

einer solchen Arbeitskampfmaßnahme<br />

informieren lassen wollten.<br />

Lehrkräfte und ErzieherInnen im Landesdienst wollen es<br />

nicht länger hinnehmen, dass ihre Einkommen seit 2008<br />

um 5 bis 6% geringer sind als die der KollegInnen, die in<br />

den Kommunen die gleiche Arbeit leisten. Dafür, dass<br />

sich die Einkommensschere nicht weiter öffnet, müssen<br />

die Landesbeschäftigten künftig selbst sorgen, denn es<br />

gibt keine Müllmänner und keine Beschäftigten der<br />

städtischen Verkehrsbetriebe mehr in ihrem Tarifbereich,<br />

die das bisher regelten. Die Zeiten des „guten alten BAT“<br />

sind endgültig vorbei. Das wissen auch die Länderfinanzminister<br />

und verlassen sich auf die vermeintliche<br />

„Streikunfähigkeit“ der 700.000 Tarifbeschäftigten der<br />

Länder. Die 200.000 angestellten Lehrkräfte darunter<br />

müssen nun Farbe bekennen, denn ohne Warnstreiks der<br />

LehrerInnen geht im Tarifbereich der Länder gar nichts<br />

mehr. Das Beispiel des Personals der Uni-Kliniken in<br />

Baden-Württemberg sollte Mut machen: Warnstreiks an<br />

nur drei Tagen im Januar, und schon lag ein akzeptables<br />

Lohnangebot auf dem Verhandlungstisch. Vielleicht hat<br />

der Warnstreik der angestellten Lehrkräfte Niedersachsens<br />

Anfang Februar, der 80 Prozent Ausfall des von ihnen<br />

zu erteilenden Unterrichts zur Folge hatte, den gleichen<br />

Effekt. Nur wenn der Druck durch Warnstreiks in der<br />

Öffentlichkeit stark genug ist, revidieren Hardliner wie<br />

der niedersächsische Finanzminister Möllring, Vorsitzender<br />

der Arbeitgeber in der TdL, ihre arrogante Haltung<br />

und legen verhandelbare Angebote vor.<br />

In dieser Tarifrunde geht es aber nicht nur um 8% oder<br />

mindestens 200 Euro mehr Geld, sondern auch um die<br />

inhaltliche Ausgestaltung der Tarifverträge wird gestritten.<br />

Die Einstufung der Lehrkräfte (z.B. volle Anerkennung<br />

des Referendariats als Zeit der beruflichen Erfahrung),<br />

die Merkmale der anerkennungsfähigen Zeiten und die<br />

Tarifierung der Eingruppierungsrichtlinien stehen auf<br />

der Tagesordnung der <strong>GEW</strong>-Vertreter in den Tarifverhandlungen.<br />

Bislang sieht der Verhandlungsführer der<br />

Arbeitgeber, Herr Möllring, für die TdL dazu keinen<br />

besonderen Verhandlungsbedarf. Kein Wunder, beruht<br />

doch die Eingruppierung bisher auf einseitigen Arbeitgeberrichtlinien,<br />

den so genannten TdL-Richtlinien.<br />

In dieser Tarifrunde geht es aber auch um eine angemessene<br />

Besoldungserhöhung für die BeamtInnen. 2008 wurde<br />

die Lohnrunde nicht auf die BeamtInnen in RLP übertragen.<br />

Eine lächerliche Besoldungserhöhung von einem<br />

Prozent für die aktiven und 0,5%(!) für die RuhestandsbeamtInnen<br />

gestand der Landtag seinen Staatsdienern zu.<br />

Für 2009 hat die Landesregierung ihren BeamtInnen eine<br />

Übertragung des Ergebnisses der Tarifrunde versprochen.<br />

Also gilt für die BeamtInnen: Zahlreiche Beteiligung an<br />

den Protestveranstaltungen der Tarifbeschäftigten, um den<br />

öffentlichen Druck auf die Arbeitgeber so zu erhöhen,<br />

dass auch für sie die verdiente kräftige Gehaltserhöhung<br />

herausspringt.<br />

UK<br />

22 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


<strong>GEW</strong>ERKSCHAFTSPOLITIK<br />

LEHRKRÄFTE IM WARNSTREIK<br />

Gute Beteiligung auch bei Beamtendemonstration<br />

Mehr als 2.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Landes<br />

Rheinland-Pfalz haben sich am 12. Februar an einem ganztägigen<br />

Warnstreik beteiligt. Die Gewerkschaften des Öffentlichen<br />

Dienstes ver.di, GdP und <strong>GEW</strong> hatten zu Arbeitsniederlegungen<br />

aufgerufen, um in den Tarifverhandlungen mit den Ländern Druck<br />

zu machen. Auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Pädagogische<br />

Fachkräfte aus den Schulen des Landes beteiligten sich am Streik,<br />

teilweise musste deshalb Unterricht ausfallen. Die Beamtinnen und<br />

Beamten untermauerten ihre Forderung nach zeit- und inhaltsgleicher<br />

Übernahme eines Tarifergebnisses für ihre Berufsgruppe,<br />

in dem sie sich am selben Tag zahlreich an einer Demonstration<br />

durch die Mainzer Innenstadt mit abschließender Kundgebung<br />

vor dem Landtag beteiligten.<br />

Die <strong>GEW</strong> hatte die Beschäftigten im Vorfeld des Streiktages landesweit<br />

auf mehreren Veranstaltungen über die Ziele der Tarifrunde<br />

informiert und zur Teilnahme an Warnstreik und Demonstration<br />

mobilisiert. Der Erfolg konnte sich sehen lassen: Aus allen Regionen<br />

des Landes beteiligten sich einige Hundert Kolleginnen und<br />

Kollegen am Streik, manchmal als Mitglied einer Gruppe von bis zu<br />

20 Beschäftigten einer Dienststelle, teilweise aber auch als einziger<br />

Teilnehmer einer Schule. Alle Streikenden versammelten sich am<br />

Vormittag in einem zentralen Streiklokal, das die Gewerkschaften<br />

im Kulturzentrum (KUZ) in Mainz eingerichtet hatten. Dort trugen<br />

sich die Gewerkschaftsmitglieder in Streiklisten ein, um sich<br />

im Falle von Lohnabzug durch den Arbeitgeber ein Streikgeld zu<br />

sichern. Die Gewerkschaften hatten zudem ein kleines Programm<br />

sowie reichlich Verpflegung für die Streikenden organisiert.<br />

Um 13.30 Uhr startete eine Demonstration durch die Mainzer<br />

Innenstadt, an der sich dann auch zahlreiche Beamtinnen und<br />

Beamte beteiligten. Diese hatten sich zu diesem Zeitpunkt, soweit<br />

es der Arbeitsplatz erlaubte, frei genommen oder waren, wie etwa<br />

Kolleginnen und Kollegen der <strong>GEW</strong>, im Anschluss an ihre Arbeit<br />

in den Schulen nach Mainz gekommen.<br />

Am Ende konnte die <strong>GEW</strong> als Mitveranstalter zufrieden sein.<br />

Immerhin hatte sich ein nennenswerter Teil der Beschäftigten<br />

in Schulen und Hochschulen an Warnstreik, Demonstration<br />

und Kundgebung beteiligt. Von einigen Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmern war zu hören, dass sie auch in Zukunft gemeinsame<br />

Aktivitäten von Tarifbeschäftigten und Beamtinnen und Beamten<br />

sowie deren Organisationen wünschen.<br />

Bernd Huster<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

23


<strong>GEW</strong>ERKSCHAFTSPOLITIK<br />

24 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


HOCHSCHULEN / GESELLSCHAFT<br />

<strong>GEW</strong>: STUDIENGÄNGE NICHT DEM BOLOGNA-PROZESS OPFERN!<br />

Die <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz wendet sich entschieden gegen die<br />

Pläne der Universität Koblenz-Landau, den Lehramtsstudiengang<br />

Sozialkunde am Standort Koblenz zu schließen. „Sozialkunde<br />

gehört aus der Sicht der Bildungsgewerkschaft zu den wichtigen<br />

Schulfächern, in denen sich der allgemeine Bildungsauftrag der<br />

Schule verwirklicht. Demokratische Erziehung findet besonders in<br />

diesem Fach statt. Sie ist bedeutende Grundlage für die Entwicklung<br />

von Kindern und Jugendlichen zu mündigen Bürgern, so wie es<br />

auch das Schulgesetz verlangt,“ meint der <strong>GEW</strong> Landesvorsitzende<br />

Klaus-Peter Hammer.<br />

Mit der Schließung dieses Studienganges am Standort Koblenz der<br />

Universität Koblenz-Landau werden die Kombinationsmöglichkeiten<br />

für Lehramtsfächer deutlich verringert. „Damit sinkt die Aufnahmezahl<br />

für Erstsemester in Koblenz, was keinesfalls im Interesse des<br />

Landes sein kann, da der Bedarf an Lehrkräften in den kommenden<br />

Jahren kontinuierlich zunehmen wird“, kritisiert Hammer.<br />

Die in Koblenz bisher gegebene Möglichkeit, dass auch angehende<br />

Grundschullehrkräfte eine Basiskompetenz im Fach Sozialkunde<br />

erwerben können und damit fachlich befähigt werden, „Politische<br />

Bildung von Anfang an“ in der Grundschule zu vermitteln, sollte<br />

keinesfalls aufgegeben werden. „Die an unseren Schulen zunehmenden<br />

soziokulturellen Probleme können nicht durch Sprachförderung<br />

allein aufgefangen werden,“ erläutert der Landesvorsitzende, „hierfür<br />

braucht es politische Kompetenzen, die maßgeblich durch das Fach<br />

Sozialkunde vermittelt werden können“.<br />

Durch die Streichung des Studiengangs Sozialkunde würde insbesondere<br />

aber auch die neue Kooperation zwischen der FH-Koblenz<br />

und der Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz, in der<br />

Ausbildung von Berufschullehrerinnen und -lehrern von Beginn an<br />

erschwert, da das Fach Sozialkunde ein häufig gewähltes Zweitfach<br />

in der Berufsschullehrerausbildung ist.<br />

Aus Sicht der <strong>GEW</strong> bewirkt der Aufnahmestopp für Sozialkunde<br />

durch die zu erwartende Abwanderung von Studierenden und die<br />

Verarmung des Fächerspektrums vor allem eine Schwächung des<br />

Standortes der Universität Koblenz-Landau, Abteilung Koblenz. Es<br />

bleibe fraglich, ob damit eine Stärkung des hoch ausgelasteten Standortes<br />

Landau überhaupt erfolgen kann, so dass mit der Schließung<br />

in Koblenz die Gefahr entsteht, dass künftig insgesamt noch weniger<br />

Studierende im Fach Sozialkunde ausgebildet werden als bisher.<br />

Auch dürfe der „Bologna-Prozess“ mit der Reform der Studiengänge<br />

nicht dazu führen, dass zwei bildungspolitisch wichtige<br />

Studiengänge, der Lehramtsstudiengang Sozialkunde und der geplante<br />

Studiengang „Bachelor-Master Pädagogik“, gegeneinander<br />

ausgespielt werden. „Lehrkapazität in den Bildungswissenschaften<br />

durch Einstellung des etablierten und im Fächerkanon notwendigen<br />

Lehramtsfaches Sozialkunde zu gewinnen, sei der falsche Weg“<br />

moniert Klaus-Peter Hammer.<br />

Da eine Fortführung des Studienganges Sozialkunde ohne zusätzlichen<br />

Kostenaufwand möglich wäre, appelliert die <strong>GEW</strong> an die<br />

Verantwortlichen in Hochschule und Politik, die Entscheidung<br />

zum Aufnahmestopp ab dem WS 2009/10 zu revidieren und den<br />

Studiengang weiterhin anzubieten.<br />

pm<br />

Sozialstudien beim Sport: FANKULTUR<br />

Begeisterung für Sport - ob aktiv oder passiv - verbindet<br />

ganz unterschiedliche Menschen: Sozialer Status, Bildung,<br />

Alter, Herkunft, Geschlecht etc. spielen keine Rolle, wenn<br />

es darum geht, seinen Verein anzufeuern. Das ist gut so,<br />

solange Fans keine Fanatiker sind.<br />

Bei den Eulen in Friesenheim trifft man zum Glück viele<br />

Fans und keine Fanatiker - jedenfalls haben wir noch keine<br />

getroffen. Auch die Anhänger der gegnerischen Mannschaften,<br />

die manchmal von weit angereist kommen und<br />

ihre Teams mit allerlei akustischem Gerät unterstützen,<br />

sind meistens ausgesprochen sympathisch und<br />

friedlich. Natürlich wird beiderseits immer wieder<br />

lautstark reklamiert; besonders gerne Zeitspiel, wobei<br />

dabei gut studiert werden kann, in welchem Maße<br />

die Schiris beeinflussbar sind.<br />

Bei den Fans der TSG gibt es zwei Fraktionen: Auf<br />

der einen Seite der Außenlinie sitzen die eher Etablierten,<br />

auf der anderen, wo auch das Geschehen auf den Spielerbänken<br />

hautnah verfolgt werden kann, diejenigen, die<br />

richtig Leidenschaft zeigen. Bei den „Etablierten“ sind<br />

die lokalen Promis zu finden: Bürgermeister, Abgeordnete<br />

und auch Vertreter aus dem Wirtschaftsleben, vor<br />

und nach dem Match in der Regel auch im VIP-Raum<br />

anzutreffen. Angesichts des in diesem Jahr anstehenden<br />

Wahlmarathons darf damit gerechnet werden, dass sich die<br />

Promi-Dichte aus dem politischen Leben in der Eberthalle<br />

beträchtlich erhöhen wird.<br />

Die Leidenschaft zeigt sich schon am Outfit. Wer<br />

irgendwie zum inneren Zirkel gehört, trägt den TSG-<br />

Trainingsanzug oder mindest ein Kleidungsstück mit<br />

Vereinsemblem oder Schriftzug des Hauptsponsors.<br />

Wie auch in den Fußballstadien selbstverständlich, sind<br />

die Fans mit Trikots, Schals, Mützen und Fahnen in den<br />

TSG-Fahnen ausstaffiert.<br />

Da Hallenhandball ein Sport voller Emotionen ist,<br />

spielt die Geräuschkulisse zum Ansporn der eigenen<br />

Sieben eine große Rolle. Zwar gibt es einige Trommler<br />

des TSG-Fanclubs, die den Anfeuerungsrhythmus<br />

bei eigenen Angriffen vorgeben, aber nicht immer<br />

stellt sich die eher sterile Eberthalle als Teufelskessel<br />

dar. Deshalb kam das Management auf die gute<br />

Idee, jeden Zuschauer am Halleneingang mit Utensilien<br />

auszustatten, mit denen sich zwecks Unterstützung der<br />

Eulen richtig schön lärmen ließ.<br />

Beim ersten Heimspiel nach der Winterpause hat sich das<br />

ausgezeichnet bewährt. Obwohl der Zuschauerzuspruch<br />

eher enttäuschend war, peitschten die TSG-Fans ihre<br />

Jungs trotz eines fast schon aussichtlosen Rückstandes<br />

zu einem letztlich sicheren Sieg nach vorne.<br />

Günter Helfrich<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

25


WEITERBILDUNG<br />

ARBEITNEHMERSTATUS FÜR LEHRKRÄFTE IN INTEGRATIONSKURSEN<br />

Welche Bedeutung misst der Staat eigentlich der Integration zu?<br />

Obwohl Lehrkräfte in Integrationskursen eigentlich ArbeitnehmerInnen<br />

sind, arbeiten sie überwiegend als freie Dozenten auf<br />

der Basis von Honorarverträgen. Die engmaschigen Vorgaben,<br />

denen diese Lehrkräfte unterliegen, sprechen für den Arbeitnehmerstatus.<br />

Daher riet Karl Otte, Fachanwalt für Arbeitsrecht,<br />

auf der Herbstakademie der <strong>GEW</strong> Bund dazu, Ansprüche in Form<br />

von Musterverfahren einzuklagen. Laut Karl Otte mache es Sinn,<br />

in geeigneten Fällen den Status arbeitsgerichtlich klären zu lassen.<br />

Es ist eine sehr fragwürdige Entwicklung, dass mit der<br />

Einführung der Integrationskurse 2005 ein Abbau von<br />

Festanstellungen einherging. Während es in den Deutschkursen<br />

des Arbeitsamtes und in den Garantiefonds-Kursen<br />

vor 2005 noch viele reguläre Arbeitsplätze gab, konnten<br />

die Träger durch die Unterfinanzierung der Integrationskurse<br />

2005 ihren Lehrkräften nur noch Honorarverträge<br />

bieten. Rechtlich gesehen ist dies ein Widerspruch, denn<br />

einerseits gibt es nun seitdem ein Bündel von Vorschriften,<br />

Aufgaben, Pflichten und Kontrollfunktionen, nach<br />

denen sich die Lehrkräfte richten müssen, andererseits<br />

wurden und werden durch diese Unterfinanzierung<br />

seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge<br />

(BAMF) Festanstellungen verhindert.<br />

Ein Umsteuern erfolgte auch nicht, als in dem Eva-<br />

Test bestanden ✔<br />

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luationsbericht von Ramboll-Management 2007 auf<br />

den Abbau von Festanstellungen hingewiesen wurde.<br />

Auch in dem neuen Konzept für das Trägerzulassungsverfahren<br />

des BAMF vom August 2008 ist von einem<br />

Arbeitnehmerstatus keine Rede. Dagegen hält man das<br />

unglaubliche Honorar von 15 Euro (!) für ausreichend<br />

und den Lehrkräften werden darüber hinaus noch weitere<br />

Aufgaben auferlegt.<br />

Die Mitarbeiter des BAMF wissen sicher, dass die Lehrtätigkeit<br />

in Integrationskursen mit dem Unterricht an<br />

allgemein bildenden Schulen vergleichbar ist und so der<br />

Status der Freiberuflichkeit nicht diesen Anforderungen<br />

entspricht. Lehrkräfte in Integrationskursen arbeiten im<br />

staatlichen Auftrag, sie müssen Qualifikationen in Form<br />

von Hochschulabschlüssen und / oder Zusatzqualifikationen<br />

vorweisen. Sie müssen sich nach den verpflichtenden<br />

Vorgaben des BAMF richten: Vorgeschrieben<br />

sind Curricula, Unterrichtskonzepte, der Modulaufbau,<br />

der Stundenumfang, Lehrwerke und Prüfungen. Die<br />

Teilnehmenden müssen sehr gezielt und sorgfältig auf<br />

bestimmte Sprachprüfungen (A2 bzw. B1) sowie auf<br />

die Orientierungskursprüfung vorbereitet werden. Die<br />

Lehrkräfte müssen Aufgaben wie die Kontrolle der Anwesenden<br />

und die Beratung der Lernenden übernehmen.<br />

Ohne zusätzliche Bezahlung wird ihnen zugemutet, an<br />

Besprechungen teilzunehmen und Stundenpläne,<br />

Evaluationsbögen und Portfolios<br />

zu erstellen. Letztlich ist es vor allem ihrem<br />

Einsatz zu verdanken, wenn das Ziel der<br />

Integration erreicht wird.<br />

Zu den Vorschriften des BAMF kommen<br />

noch die Weisungen der Träger. Lehrkräfte<br />

in Integrationskursen sind in die Organisation<br />

der Träger eingebunden, sie müssen<br />

sich nach einem vorgegebenen Stundenplan,<br />

Unterrichts- und Besprechungszeiten und<br />

verschiedenen Unterrichtsorten richten.<br />

Es besteht also eine hohe Chance, den Arbeitnehmerstatus<br />

gerichtlich durchzusetzen,<br />

denn Lehrkräften in vergleichbaren Hauptschulabschlusslehrgängen<br />

der Weiterbildung<br />

wird vom BAG regelmäßig der Arbeitnehmerstatus<br />

zuerkannt. Es wäre gut, wenn sich<br />

eine Lehrkraft - in Abwägung des Risikos,<br />

das Beschäftigungsverhältnis bei diesem<br />

Träger zu verlieren - bereit finden würde,<br />

eine solche Klage zu führen.<br />

Zum Schluss muss gefragt werden, warum<br />

dieser Klageweg überhaupt notwendig ist.<br />

Wieso leistet es sich der Staat, Lehrkräfte,<br />

die sich an herausgehobener Position für die<br />

gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Integration<br />

einsetzen, in einem rechtlich fragwürdigen<br />

und prekären Beschäftigungsverhältnis<br />

arbeiten zu lassen. Welche Bedeutung misst<br />

der Staat der Integration zu?<br />

Inge Müller<br />

26 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


GENERATION 60+ / BRIEF AN DIE REDAKTION<br />

DIE <strong>GEW</strong> GRATULIERT …<br />

im April 2009<br />

zum 70. Geburtstag<br />

Herrn Jürgen Bergmann<br />

06.04.1939<br />

Freih.-v.-Stein-Str. 18 · 55232 Alzey<br />

Herrn Wolfgang Dommach<br />

18.04.1939<br />

Richard-Wagner-Str. 44 · 67304 Eisenberg<br />

zum 75. Geburtstag<br />

Frau Ilse Ruth Lehmann<br />

10.04.1934<br />

Am Brunnenstübchen 5 · 55237 Flonheim<br />

Herrn Willi Schmidt<br />

16.04.1934<br />

Hauptstr 41 ·66484 Althornbach<br />

Frau Marianne Back<br />

17.04.1934<br />

Wilhelm-Furtwängler-Str. 21 · 68259 Mannheim<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Frau Tosca Poppe<br />

10.04.1929<br />

Nahbollenbacher Str 78 · 55743 Idar-Oberstein<br />

zum 85. Geburtstag<br />

Herrn Hans Weis<br />

30.04.1924<br />

Albrecht-Duerer-Ring 16 · 67227 Frankenthal<br />

zum 86. Geburtstag<br />

Herrn Emil Bernhard<br />

04.04.1923<br />

In den Buchen 13 · 66957 Ruppertsweiler<br />

Frau Ruth Mueller<br />

04.04.1923<br />

Anilinstr 5 · 67454 Haßloch<br />

zum 87. Geburtstag<br />

Frau Ingeborg Hoffmann<br />

13.04.1922<br />

Maximilianstr. 4 · 76829 Landau<br />

Herrn Erich Volandt<br />

23.04.1922<br />

Josef-Haydn-Str. 4 / bei M. Reinhard · 68165 Mannheim<br />

Frau Selma Panitz<br />

30.04.1922<br />

Klosterstr. 29 · 66953 Pirmasens<br />

zum 90. Geburtstag<br />

Frau Henni Henneicke<br />

21.04.1919<br />

Baumschulenweg 6 · 66538 Neunkirchen<br />

zum 93. Geburtstag<br />

Frau Anna Mueller<br />

05.04.1916<br />

Philipp-Mayer-Str. 11a/Seniorenzentrum · 67304 Eisenberg<br />

zum 94. Geburtstag<br />

Herrn Friedrich Hoffmann<br />

03.04.1915<br />

Fruchtmarkstr. 26 · 66482 Zweibrücken<br />

Der Landesvorstand<br />

Brief an die Redaktion<br />

GEGEN DEN DOKUMENTATIONSBÜROKRATISMUS<br />

Betr.: Neue Grundschulordnung<br />

Da bekomme ich heute die neue <strong>GEW</strong>-Zeitung und stürze<br />

mich darauf, weil ich denke, wenn der VBE nun eine Blitzumfrage<br />

startet zum Thema „Neue Grundschulordnung“,<br />

so wird die <strong>GEW</strong> sich doch sicher nicht lumpen lassen und<br />

das Thema, insbesondere nach den Erfahrungen, die die<br />

Kolleginnen und Kollegen nun zum ersten Mal mit den<br />

protokollierten Schüler-Eltern-Lehrer-Gesprächen und<br />

den Zeugnissen der neuen Art gemacht haben, ebenfalls<br />

aufgreifen. Das Einzige, was ich jedoch zu diesem Thema<br />

entdecken konnte, war Jörg Pfeiffers Bericht von der<br />

vorweihnachtlichen Fortbildungsveranstaltung des Kreises<br />

Worms-Alzey-Frankenthal.<br />

Zwar ahnt man in diesem Bericht zwischen den Zeilen<br />

durchaus auch einige kritische Töne, aber insgesamt scheint<br />

es doch eher vorweihnachtlich friedlich zugegangen zu sein.<br />

Und wie sich das gehört: Ein Weihnachtsgeschenk war auch<br />

dabei - ein Kreativbaukasten, bestehend aus einer 60(!)<br />

-seitigen Broschüre samt interaktiver CD. Wie schön!! Und<br />

dann dazu noch sämtliche Zeugnisformulare in Form einer<br />

Word-Datei! Einfach toll!! Da sehnt man sich das Zeugnis-<br />

Schreiben der neuen Art ja regelrecht herbei.<br />

Nun aber Quatsch beiseite! Gestattet mir bitte die Frage: Ist<br />

ein solcher Kreativbaukasten mit allem Drum und Dran<br />

wirklich das richtige Signal an unsere Bildungspolitiker?<br />

Zweifellos sehe auch ich in der neuen Grundschulordnung<br />

wesentliche Verbesserungen. Aber was uns da mit den Zeugnissen<br />

aufs Auge gedrückt wird, ist für meinen Geschmack<br />

unerträglich und macht das Fass der Mehrbelastungen endgültig<br />

voll. Und mit dieser Meinung stehe ich weiß Gott nicht<br />

allein. Es ist ein Trugschluss zu meinen, mit einem Schwall<br />

an Wörtern gewinne das Zeugnis an pädagogischer Aussa-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

27


TIPPS + TERMINE<br />

gekraft und Wirkung. Auch wenn das Zeugnis eine Aussage<br />

über Arbeitsverhalten, Sozialverhalten und Leistungsstand<br />

einer Schülerin/eines Schülers über einen Zeitraum von<br />

etwa einem halben Jahr treffen soll, so bleibt es dennoch<br />

eine punktuelle Aussage. Insofern sind Maßnahmen, Hilfen,<br />

Erläuterungen, Ermutigungen, Angebote, Gespräche in den<br />

ganz konkreten Lern- und Arbeitssituationen pädagogisch<br />

wesentlich wirkungsvoller. Und überdies sollte man sich<br />

von der irrigen Annahme lösen, nur das zeige Wirkung und<br />

Nachhaltigkeit, was schriftlich fixiert und dokumentiert ist.<br />

Ein Zuviel an Dokumentation kann auch zu Lähmungen<br />

im unterrichtlichen Alltag führen. Dies wurde auf der o.e.<br />

Fortbildungsveranstaltung wohl durchaus richtig gesehen,<br />

wenn man feststellte, dass „die Grundschullehrkräfte mehr<br />

und mehr zu ‚Buchhaltern mit pädagogischem Hintergrund‘<br />

mutieren“ - degenerieren wäre m.E. das treffendere Verb.<br />

Ich meine, in der Bildungspolitik wird es Zeit für einen<br />

grundsätzlichen Paradigmenwechsel.<br />

• Weg von den überzogenen Instrumentarien der Dokumentation,<br />

die, wie mir scheint, in erster Linie geeignet sind,<br />

unsere Arbeit zu kontrollieren und uns zu gängeln, hin zu<br />

mehr Vertrauen in unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten, die<br />

wir tagtäglich an vorderster Front pädagogisch einsetzen<br />

müssen.<br />

• Akzeptanz der Lehrerschaft als das eigentliche pädagogische<br />

Expertenpotenzial. Wir müssen von den Bildungspolitikern<br />

Vertrauen erfahren, dass wir willens und fähig sind, Unterricht<br />

und Schule bestmöglich zu gestalten sowie Schülerinnen<br />

und Schüler zu fördern, zu fordern und zu beurteilen. Dieses<br />

Vertrauen und diese Freiheit benötigen wir Lehrerinnen und<br />

Lehrer dringend. Schule braucht Vertrauen und Freiheit, um<br />

gelingen zu können!<br />

Liebe Leute von der <strong>GEW</strong>, lasst uns also laut werden gegen<br />

alles, was uns von unserer eigentlichen Aufgabe abbringt, lasst<br />

uns laut werden gegen den übertriebenen und unsinnigen<br />

Dokumentationsbürokratismus! Es muss sich da grundsätzlich<br />

etwas ändern, damit die aktuellen und zukünftigen<br />

LehrerInnengenerationen mit Freude und Motivation ihren<br />

Beruf ausüben können zum Wohl der Schülerinnen und<br />

Schüler.<br />

Herbert Stangier, 57537 Wissen<br />

BÜCHERTIPPS VON ANTJE FRIES<br />

Spannendes Alltagsrechnen<br />

Textaufgaben für jeden Tag für das 3. und 4. Schuljahr<br />

bietet das gleichnamige Buch der Edition MoPäd: Gegliedert<br />

in 36 Wochen gibt es jede Woche einen anderen<br />

Themenschwerpunkt. Mal geht‘s um Musik, mal um<br />

Katzen, das Kochen, Geld, Temperaturen, Fernsehen oder<br />

das Rechnen mit einer Pizza.<br />

Für jeden Tag findet man eine Sachaufgabe im Zahlenraum<br />

bis 1000 mit ein oder zwei Lösungsschritten,<br />

freitags wird‘s dann umfangreicher: Da können auch<br />

mal Schaubilder und Tabellen dabei sein. Für besonders<br />

Pfiffige werden auch speziell gekennzeichnete Aufgaben<br />

angeboten. Die Lösungen stehen natürlich allesamt auch<br />

im Buch, und wer einen Überblick sucht, was mathematisch<br />

gesehen wann an die Reihe kommt, findet diesen<br />

gleich zu Anfang des Buches.<br />

D. und S. Wurst: Textaufgaben für jeden Tag. Buxtehunde<br />

2008. 116 Seiten, 18,90 Euro. ISBN 978-3-<br />

8344-0344-5<br />

Lesekompetenz<br />

Wir wissen‘s spätestens seit PISA: Die Lesekompetenz<br />

der deutschen Schüler könnte einen Schubser vertragen.<br />

In Frank Müllers neuem Buch „Lesetraining“ geht es für<br />

die Klassen 3 bis 6 um sinnentnehmendes Lesen und wie<br />

es mit Motivation trainiert werden kann. Kopiervorlagen<br />

zur Wort-Bild-Zuordnungen in Deutsch und Mathematik<br />

eröffnen die 46-teilige Materialsammlung, weiter geht<br />

es mit Text-Bild-Vergleichen, Wort-Text Zuordnungen<br />

und Textpuzzles. Buchstaben-Sudokus, Überschriften,<br />

Reihenfolgen und Texte mit Fehlern sind genauso im<br />

Angebot wie die Entwicklung von Fragen zum Textinhalt,<br />

Stolperwörter, Steckbriefe, Zeitungsmeldungen,<br />

das Arbeiten mit Visualisierungen, Mathe-Rätsel und<br />

vieles mehr.<br />

Frank Müller: Lesetraining. Weinheim 2009. 96 Seiten,<br />

19,95 Euro. ISBN 978-3-407-62620-2<br />

Energie in der Schule<br />

Was man oft aus allen möglichen Quellen und nur mühsam<br />

zusammenträgt, bringt Jens Eggert nun als Sammlung<br />

von Unterrichtsmaterial heraus: Fossile und erneuerbare<br />

Energien werden vorgestellt: Erdöl, Erdgas, Kohle, Sonne,<br />

Wind und Wasser finden sich im Buch, und selbst<br />

Biomasse und Geothermie kommen an die Reihe. Einen<br />

Exkurs gibt‘s zur Atomkraft, wie sie entsteht und welche<br />

Vor- und Nachteile diese Sorte Strom hat. Ein großes<br />

Kapitel ist dem Energiesparen gewidmet, und auch Tests<br />

zu fast allen Bereichen sowie Fragekarten zu verschiedenen<br />

Themen legt der Autor vor.<br />

Jens Eggert. Fossile und erneuerbare Energien. Ressourcen<br />

- Umwelt - Technik. Buxtehude 2008. 72 Seiten, 19,90<br />

Euro. ISBN 978-3-8344-3481-4<br />

Klassenfahrten nach Berlin<br />

(incl. Transfer, Unterkunft, Programmgestaltung nach Absprache).<br />

Broschüre anfordern bei:<br />

Berliner Informations- und Studienservice e.V. (BISS e.V.)<br />

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www.berlin-mit-biss.de · Email: kontakt@berlin-mit-biss.de<br />

28 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


TIPPS + TERMINE<br />

DAS „PFINGSTTREFFEN SCHWULER LEHRER“ GEHT IN DIE 4. DEKADE<br />

„Einige Eltern meiner Klasse haben meinem Schulleiter geschrieben,<br />

dass sie nicht mehr möchten, dass ich die Schüler damit konfrontiere,<br />

dass ich mit einem Mann zusammen lebe“, heißt es Ende des<br />

letzten Schuljahres aufgeregt im E-mail von Ralf P.* und Nico S.*<br />

schrieb während der Sommerferien: „Ich habe nun den Entschluss<br />

gefasst auf Lehramt zu studieren .... Jedoch wollte ich nun einmal<br />

nachfragen, wie es so ist als Lehrer zu arbeiten, wenn man schwul<br />

ist! Wie wird das angenommen und kann es Probleme geben?“ Andi<br />

L.* meint nur wenig später: „Ich bin regelrecht hin- und hergerissen<br />

zwischen der Entscheidung: Offenes Outing - Völliges Schweigen<br />

über die Privatsphäre.“<br />

Fragen, wie sie sich schon viele einmal stellen mussten, die beim<br />

„Pfingsttreffen Schwuler Lehrer“ dabei sind. Diese Institution der<br />

schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung wird 30 Jahre alt! In<br />

der Akademie Waldschlösschen bei Göttingen treffen sich schwule<br />

Lehrer, Referendare und Lehramtsstudenten auch diesmal wieder<br />

zu einem Fortbildungswochenende zum Thema „Homosexualität<br />

und Schule“ wie jedes Jahr seit 1979.<br />

Dort setzen sich die Teilnehmer mit der Situation von schwulen Kollegen,<br />

lesbischen Schülerinnen und schwulen Schülern auseinander.<br />

Aber auch der Erfahrungsaustausch der ungefähr 80 Teilnehmer ist<br />

ein immer wiederkehrender fester Bestandteil, bei dem jeder in angenehm<br />

entspannter Atmosphäre über seine Situation an der Schule<br />

berichten kann. Für viele ist gerade dieser Gedankenaustausch eines<br />

der spannendsten und wichtigsten Angebote, denn noch immer hat<br />

nicht jeder Kollege eine schwule Gewerkschaftsgruppe in seiner<br />

Nähe, bei der er einen regelmäßigen Austausch findet. Darüber<br />

hinaus vermitteln Experten aus dem Bildungsbereich aktuelle Inhalte<br />

aus den Bereichen Sexualerziehung, politische Bildung und<br />

Rechtsentwicklung.<br />

Die Organisatoren können mit Stolz auf das zurückblicken, was in<br />

all den Jahren erreicht wurde. „Anfangs hatte ich Zweifel, dass dies<br />

das richtige Studium sei. Nun nicht mehr. Ich liebe diesen Beruf.<br />

Einen gewissen Teil habe ich Euch zu verdanken. Vielen Dank!“<br />

Briefe wie dieser von Jens N.* belegen das. Aber die in letzter Zeit<br />

zunehmende Hassgewalt gegen Homosexuelle und die verstärkte,<br />

religiös motivierte Einflussnahme gegen die Gleichstellung der<br />

Fotos: Schwule Lehrer im Gespräch mit Klaus Wowereit (lks.) und beim<br />

Christopher-Street-Day (rechts).<br />

LSBTI-Menschen** in Schule und Gesellschaft verdeutlicht die<br />

Notwendigkeit die Aktivitäten unvermindert weiter zu führen.<br />

Genauso, wie auch die AG schwule Lehrer der Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft (<strong>GEW</strong>) Berlin, die gerade im Dezember<br />

2008 ebenfalls ihr 30. Jubiläum beging, immer noch in<br />

ausschließlich ehrenamtlichem Engagement gegen Diskriminierung<br />

und menschenverachtende Ideologien und für einen respektvollen<br />

Umgang miteinander kämpft. Viele Lehrer der Gruppe sind offen<br />

schwul. Damit und mit ihrem öffentlichen Engagement haben<br />

sie eine enorm wichtige Aufgabe übernommen: Sie zeigen in der<br />

Schule den Schülerinnen und Schülern, dass auch Homosexuelle<br />

jede Berufsperspektive haben und ein wertvoller Teil der Gesellschaft<br />

sind. Zur Verwirklichung dieser Ziele, ist die Gruppe seit 1979<br />

jedes Jahr bei CSD-Paraden sichtbar, verhandelt mit den politisch<br />

Verantwortlichen im Bereich Bildung - zuletzt mit Bildungssenator<br />

Zöllner - beteiligt sich an Veröffentlichungen, diskutiert ihre<br />

Forderungen auf Fachtagungen und Podiumsdiskussionen und<br />

kommuniziert sie in Printmedien, Radio- und Fernsehinterviews.<br />

Dadurch gelang unter anderem die Mitgestaltung von Lehrplänen<br />

oder des Medienangebots der Lehrerinstitute und besonders hervorzuheben:<br />

die Öffnung der Schulen für Aufklärungsprojekte. Aber<br />

auch bei der Gewerkschaftsführung der <strong>GEW</strong> und anderer DGB-<br />

Gewerkschaften wurde erreicht, dass Antidiskriminierungspolitik<br />

ganz selbstverständlicher Bestandteil ihrer Arbeit geworden ist. Seit<br />

nunmehr 30 Jahren organisiert die Berliner schwule Lehrergruppe<br />

gemeinsam mit der Akademie Waldschlösschen das Pfingsttreffen.<br />

Ralf P. und Andi L. werden dieses Jahr zum ersten Mal dabei sein.<br />

Ganz sicher werden sie Antworten auf Ihre Fragen finden. Und<br />

manch einem gefiel es beim ersten Mal so gut, dass er in 30 Jahren<br />

dreißig Mal dabei war.<br />

pm<br />

Anmeldung und Anfragen<br />

für das diesjährige Treffen vom 29.5. - 1.6.2009 an:<br />

Akademie Waldschlösschen<br />

37130 Reinhausen<br />

Tel.: (05592) 92 77-0 · Fax: /05592) 92 77-77<br />

info@waldschloesschen.org · www.waldschloesschen.org<br />

* Name geändert<br />

** LSBTI heißt: lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder intersexuell<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

29


TIPPS + TERMINE<br />

Weiterbildungsstudium Europäische Migration:<br />

VERANSTALTUNGEN 2009<br />

Macht Migration die Seele krank? Migration und seelische<br />

Gesundheit (T1)<br />

03./04.03.2009; 10.00 - 17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 23.02.2009 · Seminarnummer: 20090088<br />

Leitung: Schahnaz Fathi, Diplom- Psychologin, Verhaltenstherapeutin,<br />

Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />

Zielgruppe: Fachkräfte in Gesundheitswesen und soziale Dienste, im<br />

Migrationbereich Tätige, Lehrkräfte<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: Az 91 ST1 02 28<br />

Erziehung im interkulturellen Kontext (T3)<br />

19./20.03.2009, 10.00 -17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 26.02.2009 · Seminarnummer: 20090090<br />

Leitung: Dr. Stefanie Kirchhart, Diplom-Pädagogin, Kinder- und<br />

Jugendlichen-Psychotherapeutin und Christine Ellrich, Diplom-Pädagogin,<br />

MädchenHaus Mainz FEMMA e.V.<br />

Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, Lehrkräfte, Erzieher/innen,<br />

Mitarbeiter/innen der Aus- und Weiterbildung, in der Migrationsarbeit<br />

Tätige sowie Studierende<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: 91 ST1 02 29<br />

Der Islam in Europa als Herausforderung (T4)<br />

26./27.03.2009, 10.00 -17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 05.03.2009 · Seminarnummer: 20090089<br />

Leitung: Dr. Jörn Thielmann, Islamwissenschaftler und Leiter des<br />

Erlanger Zentrums Islam und Recht in Europa (EZIRE) an der Friedrich-Alexander-Universität<br />

Erlangen-Nürnberg<br />

Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, Lehrkräfte, Erzieher/innen,<br />

Mitarbeiter/innen der Aus- und Weiterbildung, in der Migrationsarbeit<br />

Tätige sowie Studierende<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: 91 ST1 02 30<br />

Entwicklung interkultureller Kompetenzen: Einführung<br />

(T5)<br />

11./12.05.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 20.04.2009 · Seminarnummer: 20090092<br />

Leitung: Peimaneh Nemazi-Lofink, Diplom-Pädagogin, Institut zur<br />

Förderung von Bildung und Integration (INBI)<br />

Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, Lehrkräfte, Erzieher/innen,<br />

Mitarbeiter/innen der Aus- und Weiterbildung, in der Migrationsarbeit<br />

Tätige sowie Studierende<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: 91 ST1 02 31<br />

Gewalt gegen Frauen im interkulturellen Kontext (T1)<br />

22./23.06.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 01.06.2009 · Seminarnummer: 20090093<br />

Leitung: Schahnaz Fathi, Diplom- Psychologin, Verhaltenstherapeutin,<br />

Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />

Zielgruppe: Fachkräfte der sozialen Dienste, im Migrationsbereich<br />

Tätige, Lehrkräfte<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: 91 ST1 02 32<br />

Grenzüberschreitende Fallarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe<br />

(T2)<br />

28./29.09.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 07.09.2009<br />

Seminarnummer: 20090094<br />

Leitung: Britta Sievers, M.A., Diplomsozialarbeiterin (FH), Institut<br />

für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ISM)<br />

Zielgruppe: Mitarbeiter/innen von Jugendämtern und freien Trägern,<br />

wie z.B. Familien- und Erziehungsberatungsstellen oder Migrationsberatungsstellen,<br />

Fachkräfte der sozialen Dienste, im Migrationsbereich<br />

Tätige<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: 92 ST1 03 01<br />

Diversity in sozialen Organisationen (T4)<br />

05./06.10.2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 14.09.2009 · Seminarnummer: 20090095<br />

Leitung: Christiane Böhm, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Mediatorin,<br />

Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />

Zielgruppe: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus sozialen Betrieben,<br />

Wohlfahrtsverbänden und Verwaltungen insbesondere in Leitungspositionen,<br />

Mitglieder von Ausländerbeiräten und Migrantenorganisationen<br />

sowie Lehrkräfte<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: 92 ST1 03 02<br />

Gebt dem Konflikt eine Chance! - Interkulturelles Konfliktmanagement<br />

(T5)<br />

24./25.11. 2009, 10.00 - 17.30 Uhr<br />

Anmeldeschluss: 03.11.2009 · Seminarnummer: 20090091<br />

Leitung: Christiane Böhm, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Mediatorin,<br />

Centrum für Migration und Bildung e.V.<br />

Zielgruppe: In der Migrationsarbeit Tätige, Mitarbeitende aus Behörden,<br />

Ausbilder/innen, Lehrkräfte, Migrantinnen und Migranten aus<br />

allen Arbeitsfeldern<br />

Ort: Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

IFB-Nr.: 92 ST1 03 03<br />

Beratung und Anmeldung: Johannes Gutenberg - Universität<br />

Mainz<br />

Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung, 55099 Mainz, Tel.:<br />

06131/ 3922901 bzw. 3926241, Fax: 06131/ 3924714<br />

e-mail: zww@verwaltung.uni-mainz.de<br />

http://www.zww.uni-mainz.de (Anmeldung über Seminarshop<br />

online möglich)<br />

Zu allen Veranstaltungen wird im Vorfeld eine ausführliche Programmbeschreibung<br />

im Internet unter www.zww.uni-mainz.de<br />

(Weiterführende Studienangebote/Kontaktstudien/Europäische<br />

Migration/Detailbeschreibung) abrufbar sein.<br />

30 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009


TIPPS + TERMINE / KREIS UND REGION<br />

GLOBALES LERNEN IM TASCHENFORMAT<br />

Sie sind griffbereit, handlich und voller Ideen:<br />

Unsere neuen Bildung-Bags. Hier finden Sie in der<br />

handlichen Tasche alles, was Sie für ein Lernen mit<br />

allen Sinnen brauchen: Unterrichtsmaterialien, Medien-DVD,<br />

Bilder, Spiele, Rohstoffmaterialien u. a. m.<br />

Die handlungsorientierten Materialien eröffnen viele<br />

Lerngelegenheiten für den Unterricht, für Projekttage,<br />

den Ganztag oder die Jugendarbeit.<br />

Bildungs-Bag Schokoexpedition. Klassen 3 - 6.<br />

Preis: 94,00 Euro.<br />

Die Kinder/Schüler gehen auf »Schoko-Expedition«<br />

und reisen nach Ghana. Sie lernen Naki kennen, die von<br />

ihrem Alltag, vom traditionellen und vom modernen<br />

Leben erzählt. Die Kinder erhalten bunte, spannende<br />

Einblicke in die globalisierte Produktion am Beispiel von<br />

Kakao und Schokolade und in Fragen von Produktion<br />

und gerechterem, fairen Handel - und werden selbst zu<br />

Chocolatiers.<br />

Bildungs-Bag GhanAfrika. Klassen 6 - 8.<br />

Preis: 94,00 Euro<br />

Ob mit Trickfilmen, Kente-Druckstoffen und Glasperlen<br />

aus Ghana, mit Seilen oder einer neuartigen, großformatigen<br />

Ghana-Karte, ob mit einem Mystery-Aktionsspiel<br />

oder beeindruckenden Portraits, Rollenspielen und<br />

Szenarien - mit diesen neuen Methoden und Medien<br />

selbstregulativer und kooperativer Lernformen erleben<br />

Jugendliche politische Bildung und Globales Lernen<br />

hautnah. Schwerpunkt des praxiserprobten Materialienpaketes<br />

sind handlungsaktivierende Medien inkl. DVD)<br />

und moderne Methoden-Arrangements rund um „Globalisierung“<br />

und „nachhaltige Entwicklung“. Andere „Blicke<br />

auf Afrika jenseits von Krisen und Katastrophen“ werden<br />

am Beispielland Ghana vorurteilsbewusst eingeübt. Die<br />

Tasche „GhanAfrika“ bietet einen attraktiven Blickfang,<br />

macht Lust auf mehr und kann ganz leicht an weitere<br />

Gruppen weiter gereicht werden.<br />

Bildungs-Bag KlimaKids. Klassen 3 - 6.<br />

Preis: 94,00 Euro.<br />

Der Klima-Kids-Bag umfasst Materialien und Medien<br />

(Broschüre, Arbeitsblätter, DVD, Spielmaterialien,<br />

Fotos etc.) zu den Themenbereichen Klimawandel,<br />

klimabewusste Mobilität, Nutzung von Biosprit, Ressourcenschonung<br />

u.m.m. Altersgerechte Info- und<br />

Aktivierungsmaterialien lenken z.B. die Aufmerksamkeit<br />

auf Tuvalu im Pazifischen Ozean, das durch den<br />

Anstieg des Meeresspiegels existentiell gefährdet ist. Mit<br />

Experimenten und kleinen Forschungs-Werkstätten<br />

werden die Kinder zu Experten in Fragen Klima-Herausforderungen.<br />

Die Klima-Kids entdecken auch, dass<br />

sie in ihrem Lebensumfeld zu positiven Veränderungen<br />

beitragen können.<br />

Bezug: Welthaus Bielefeld e.V., August-Bebel Str. 62,<br />

33602 Bielefeld, www.welthaus.de/publikationen-shop,<br />

Tel. 0521-98648-0<br />

Impressum <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz<br />

(118. Jahrgang)<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />

Mainz, Tel.: 0 61 31 28988-0, Fax: 0 61 31 28988-80, E-mail: gew@gew-rlp.de<br />

Redaktion: Günter Helfrich (verantw.), Dr. Paul Schwarz (Stellvertr./Bildungspolitik), Ursel Karch<br />

(Gewerkschaftspolitik), Dr. Gerlinde Schwarz (Reportagen), Karin Helfrich (Redaktionsmanagement)<br />

Redaktionsanschrift: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz, Postfach 22 02 23, 67023 Ludwigshafen, Tel./<br />

Fax: 06 21 564995, e-mail: guenter.helfrich@gew-rlp.de<br />

Verlag und Anzeigen, Satz und Druck: Verlag Pfälzische Post GmbH, Winzinger Str. 30, 67433 Neustadt<br />

a.d.W., Tel.: 063 21 8 03 77; Fax: 0 63 21 8 62 17; e-mail: vpp.nw@t-online.de<br />

Manuskripte und Beiträge: Die in den einzelnen Beiträgen wiedergegebenen Gedanken entsprechen<br />

nicht in jedem Falle der Ansicht des <strong>GEW</strong>-Vorstandes oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte oder zugemailte Daten wird keine Gewähr übernommen.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten; für Nichtmitglieder jährlich Euro 18,-- incl. Porto +<br />

MWSt. (Bestellungen nur beim Herausgeber.) Kündigung 3 Monate vor Ablauf des Kalenderjahres. Im<br />

anderen Falle erfolgt stillschweigend Verlängerung um ein weiteres Jahr.<br />

Anzeigenpreisliste Nr. 14 beim Verlag erhältlich. Redaktionsschluss: jeweils der 1. des Vormonats.<br />

Bezirk Koblenz<br />

<strong>GEW</strong>- KandidatInnen stellen<br />

sich vor<br />

Im Anschluss an die Vortragsveranstaltung mit Prof. Peter<br />

Struck am 17. März 2009 an der Universität Koblenz<br />

„Die 15 Gebote des Lernens“ bieten die <strong>GEW</strong>- KandidatInnen<br />

für die Stufenvertretungen ab 18.00 Uhr eine<br />

Sprechstunde an. PersonalvertreterInnen nahezu aller<br />

Schularten stehen für Fragen oder für ein konstruktives<br />

Gespräch zur Verfügung.<br />

rk<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009<br />

31


SCHULGEIST<br />

FRAUEN UND TECHNIK<br />

Ich brauche mich nur zu den Knöpfen eines DVD-Players<br />

oder Beamers hinunterzubeugen, schon ertönt eine Stimme<br />

aus der Klasse: „Frauen und Technik!!!“ Mit so einem<br />

leicht abfälligen Ton. „Ist der Stecker drin?“, fragt Niko<br />

aus dem Hintergrund. Gleich steht ein anderer Knabe<br />

neben mir und nimmt mir die Fernbedienung aus der<br />

Hand. Blitzschnell hat er den Videokanal am Fernseher<br />

verstellt, und kein Mensch findet ihn je wieder. Der Knabe<br />

drückt sinnlos an sämtlichen Tasten herum, und ich<br />

denke resigniert: „Das hätte ich auch gekonnt....“ Schade,<br />

da werden wir den Film über amerikanisches Schulelend<br />

heute nicht sehen.<br />

Ja, als Frau bin ich technisch einfach minderbegabt. Es ist<br />

genetisch vorbestimmt, dass ich nicht mal einen simplen<br />

Kassettenrecorder bedienen kann. Jeder Wackelkontakt,<br />

jedes defekte Gerät ist meine Schuld. Mit meinen unfähigen<br />

Fingern ruiniere ich in Windeseile die Technik.<br />

Habe keine Ahnung und glaube dennoch, einen CD-<br />

Player bedienen zu können: Kein Ton ist zu hören. Sofort<br />

drängen mich drei Schüler beiseite und bemächtigen sich<br />

des Geräts. Eine CD abzuspielen, ist eigentlich eine banale<br />

Amtshandlung und wird selbst von Frauen hin und<br />

wieder bewältigt. Allerdings haben wir in der Schule acht<br />

verschiedene Gerätetypen, und manchmal muss man erst<br />

nachsehen, wie sie bedient werden. Meine männlichen<br />

Schüler nicht. Die drehen sofort an allen Knöpfen rum<br />

und stellen nach einer geraumen Weile fest, dass die CD<br />

defekt ist. Glücklicherweise habe ich die nicht gebrannt,<br />

sondern Kevin.<br />

Im Computerraum halte ich mich auch zurück. In allen<br />

Zeitungen steht ja, dass Jugendliche ihre Lehrkräfte und<br />

Eltern technisch längst überholt haben. Bescheiden gehe<br />

ich durch die Reihen und sehe zu, wie gewandt meine<br />

lieben Kleinen recherchieren und schreiben. Wir brauchen<br />

die Texte für die Schulzeitung. Also frage ich ständig<br />

nach: „Hast du deinen Text zwischengespeichert?“ Denn<br />

Schulcomputer stürzen gern mal ab. Meine Schüler nicken<br />

gequält. Die Frau hat mit Mühe den Computerraum in<br />

Betrieb gesetzt, und jetzt will sie auch noch Anleitungen<br />

geben. (Dass man die Computer nicht in Gang setzen<br />

kann, wenn der Kollege davor den entsprechenden<br />

Schlüssel zu gut versteckt hat, halten die Schüler für eine<br />

Ausrede.)<br />

Ich verteile meine Sticks und Disketten, damit kein Schülertext<br />

in den virtuellen Weiten verschwindet. Souverän<br />

klicken die lieben Kleinen auf dem Bildschirm herum,<br />

ich sammle meine Speichermedien wieder ein und stelle<br />

daheim fest, dass auf der Hälfte gar nichts drauf ist. Anderntags<br />

sind die Schüler empört. Natürlich könnten sie<br />

Texte abspeichern. Da hätte ich wohl wieder was falsch<br />

gemacht. Ich bin betreten. Frauen und Technik. Ich weiß.<br />

In der nächsten Stunde sehe ich trotzdem mal genau zu,<br />

wie Sven speichert. Er klickt das entsprechende Icon<br />

einfach an. Er schließt die Datei. Fertig. „Wo ist denn<br />

nun dein Text?“, frage ich. Sven zuckt die Schultern. Das<br />

weiß er leider auch nicht. Irgendwo im Computer halt.<br />

Genauso wenig weiß er, wie man Texte auf einem Stick<br />

speichert. Ich zeige es ihm dezent. „Männer und Technik“<br />

verkneife ich mir. Auch das triumphierende Grinsen<br />

unterdrücke ich.<br />

In Erdkunde sollen die Schüler einzelne Sachgebiete zu<br />

Japan vorbereiten. Dennis bedauert es sehr, aber er hat<br />

über Alltag und Wohnen in Japan leider nichts gefunden.<br />

Zwei Stunden lang hätte er im Internet gesucht! Der<br />

Arme. Soviel Zeit sollte er ja gar nicht investieren. Die<br />

misstrauische Lehrerin („Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />

besser“) sucht daheim in ihrem Computer und findet<br />

über 100.000 Links und schon beim dritten brauchbare<br />

Informationen. Es ist überhaupt erstaunlich, wie oft Schülercomputer<br />

bei Hausaufgaben und Referaten abstürzen,<br />

nicht funktionieren und Internetzugänge defekt sind. Mir<br />

passiert das einmal im Jahr, manchen Schülern wöchentlich....<br />

„Frauen und Technik“ lässt sich noch wunderbar<br />

um das Thema Autofahren ergänzen. Wir kommen im<br />

Unterricht auf das Thema „Frauenparkplätze“, und meine<br />

Knaben sind der festen Meinung, dass das extra große<br />

Plätze in Parkhäusern sind, weil Frauen doch nicht einparken<br />

könnten... Schade, dass die Mädchen oft dieselben<br />

Vorurteile haben und nur so selten widersprechen.<br />

Gabriele Frydrych<br />

32 Beilage zur E&W: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2009

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