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Bernd Pieda Arbeitspolitische Facette Nehmen wir den ... - GIB e.V.

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<strong>Bernd</strong> <strong>Pieda</strong><br />

<strong>Arbeitspolitische</strong> <strong>Facette</strong><br />

<strong>Nehmen</strong> <strong>wir</strong> <strong>den</strong> Begriff Kaleidoskop als Metapher<br />

zur Beschreibung der Arbeit als Teil des Lebens<br />

von Menschen mit Intelligenzminderung ernst, so<br />

lassen sich mindestens zwei Aspekte hervorheben.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es selbstverständlich,<br />

dass die folgen<strong>den</strong> Ausführungen nicht<br />

beanspruchen, eine abschließende Analyse<br />

des Arbeitsbegriffs zu leisten, sie sind selber nur<br />

<strong>Facette</strong>n des Begriffs.<br />

Zum einen kann Arbeit, wie die verschie<strong>den</strong>en<br />

Bilder eines Kaleidoskops, die unterschiedlichsten<br />

Formen annehmen – u. a. Berufstätigkeit,<br />

Lohnarbeit, Gartenarbeit, Hobby. Zum anderen<br />

brauchen diese Bilder einen Halt wiederum<br />

analog zu dem Halt, <strong>den</strong> das Kartonrohr eines<br />

Kaleidoskops <strong>den</strong> bunten Kristallen gibt.<br />

Arbeitspolitisch betrachtet ist dieser Rahmen<br />

unsere konkrete Gesellschaft, die das<br />

Spektrum oder das Drehpotential unseres<br />

Arbeitskaleidoskops bestimmt oder begrenzt.<br />

Meines Erachtens lassen sich auch hier zwei<br />

unterscheidbare Grenzbereiche ausmachen.<br />

Der eine Grenzbereich <strong>wir</strong>d durch die Form<br />

der Arbeit gekennzeichnet, die in unserer<br />

Gesellschaft vorherrscht. Das ist die kapitalistische<br />

Produktionsweise, die in unserer Gesellschaft<br />

mittlerweile so allumfassend ist, dass es kaum eine<br />

Nische gibt, in der sie nicht zur Wirkung kommt.<br />

Denken Sie in diesem Zusammenhang z. B.<br />

18


an die Landkommunenbewegung der Hippie-<br />

Ära in <strong>den</strong> USA, aber auch an Nachklänge der<br />

Stu<strong>den</strong>tenbewegung: Wer träumte seinerzeit<br />

nicht von einer Landparzelle in der Lüneburger<br />

Heide. Inhalt dieser Träume war in der Regel<br />

der Wunsch nach einer autarken Lebensform<br />

bis hin zur selbst produzierten Kleidung (z. B.<br />

die stricken<strong>den</strong> Männer auf Tagungen der<br />

Umweltbewegung). Wie sehr die damalige<br />

gesellschaftspolitische Situation arbeitspolitisch<br />

<strong>wir</strong>ksam war, kann auch für <strong>den</strong> Bereich der<br />

Behindertenhilfe aufgezeigt wer<strong>den</strong>. Beispielhaft<br />

in diesem Zusammenhang ist die Diskussion<br />

in <strong>den</strong> 1970er Jahren über adäquate Lebensund<br />

Wohnformen von und für Menschen<br />

mit Behinderungen. Dort kamen vor allem<br />

die traditionellen Großeinrichtungen „unter<br />

Beschuss“, wie Anstalten und Landeskliniken.<br />

Es war die Zeit der Adaption des<br />

Normalisierungsprinzips der Behindertenhilfe<br />

in Deutschland. Es gab aber auch engagierte<br />

Vertreter, die in <strong>den</strong> Lebensformen ihrer<br />

Großeinrichtung durchaus die Chance einer<br />

gesellschaftlichen Nische erblickten - und<br />

nicht nur für behinderte Menschen. Hier konnte<br />

ein Stück Utopie gelebt wer<strong>den</strong> im Vorgriff auf<br />

eine bessere Welt. In diesem Zusammenhang<br />

können beispielhaft die Neuerkeroder<br />

Diskussionstage angeführt wer<strong>den</strong>. Heute<br />

– 20 bis 30 Jahre später – haben sich unsere<br />

Produktionsverhältnisse so differenziert und<br />

verfestigt, begleitet vom Prozess der Globalisierung,<br />

dass Nischenutopien kaum mehr gedacht wer<strong>den</strong>.<br />

Das heißt in unserer Gesellschaft sind der Erwerb<br />

19


Aber letztlich bleibt es dabei: Wir gewinnen unsere<br />

gesellschaftliche Anerkennung durch „bezahlte“<br />

Arbeit und nicht durch Hobby, Bastelei etc. In<br />

der Deutzer Erklärung auf dem 3. Alternativen<br />

Werkstättentag in Köln im November 2006 wurde<br />

ganz aktuell gefordert: „Deshalb fordern <strong>wir</strong>, dass<br />

alle Menschen mit Behinderung, die in einer<br />

Werkstatt arbeiten, einen Lohn erhalten, mit dem<br />

sie ein selbstständiges Leben finanzieren können,<br />

ohne auf Sozialhilfe oder andere Zuwendungen<br />

angewiesen zu sein.“<br />

Neben dem Aspekt, dass das Kaleidoskop „Arbeit“<br />

einen Rahmen, eine Begrenzung braucht, muss es<br />

auch gehalten wer<strong>den</strong>, d. h., wenn das Kaleidoskop<br />

Arbeit als Teil des Lebens von Menschen mit<br />

Intelligenzminderung angesehen wer<strong>den</strong> soll,<br />

dann brauchen <strong>wir</strong> als diejenigen, die Menschen<br />

bei der Ver<strong>wir</strong>klichung dieses Anspruchs<br />

unterstützen wollen, eine grundsätzliche<br />

Orientierung. In diesem Zusammenhang ist<br />

meines Erachtens das Normalisierungsprinzip<br />

das Paradigma der Wahl. August Rüggeberg<br />

hat dies einmal als das fortschrittlichste<br />

Paradigma der professionellen Behindertenhilfe<br />

bezeichnet. Nach dem schwedischen Arzt und<br />

Normalisierungstheoretiker Karl Grunewald ist die<br />

Integration das Mittel der Wahl zur Umsetzung des<br />

Normalisierungsprinzips. Er unterscheidet 3 Arten<br />

der Integration, die physische, die funktionale<br />

und die soziale Integration.<br />

Im jetzt für die Behindertenhilfe relevanten<br />

Sozialgesetzbuch XII ist der Begriff Integration<br />

überwiegend durch <strong>den</strong> Begriff Teilhabe ersetzt.<br />

21


Mit Karl Grunewald können <strong>wir</strong> aber formulieren:<br />

Es ist normal, teilzuhaben.<br />

Betrachten <strong>wir</strong> aus dieser Perspektive<br />

durchschnittliche Wege der beruflichen<br />

Rehabilitation, so fällt sofort auf, dass nicht<br />

Normalisierung, sondern Institutionalisierung,<br />

und zwar in der Regel in Sonderinstitutionen, der<br />

Fall ist.<br />

Es ist also ersichtlich, dass für <strong>den</strong> Bereich der<br />

beruflichen Rehabilitation von Menschen mit<br />

Intelligenzminderung das Normalisierungsprinzip<br />

noch nicht umfassend umgesetzt ist. Ein Aspekt<br />

ist meines Erachtens hier allerdings wichtig: Der<br />

Bereich der beruflichen Rehabilitation wiederholt<br />

augenscheinlich, was der Bereich der sozialen<br />

Rehabilitation und dort das Wohnen behinderter<br />

Menschen vor ca. 20 bis 30 Jahren durchlaufen<br />

hat. Zunehmend entstehen hoffnungsvolle<br />

Initiativen und Modelle im Feld einer ambulanten<br />

beruflichen Rehabilitation. In ihnen entwickeln die<br />

betroffenen Menschen persönliche Kompetenzen<br />

und machen Fortschritte, die bislang vom<br />

professionellen Umfeld nicht erwartet wur<strong>den</strong>.<br />

Ähnliches berichtet Karl Grunewald von der<br />

konsequenten Deinstitutionalisierung im Bereich<br />

des Wohnens in Schwe<strong>den</strong>.<br />

Diese Fortschritte ermutigen und unterstützen<br />

die Forderung, Menschen mit Behinderung die<br />

Chance umfassend zu geben, sich selbst zu<br />

strukturieren und das in einer gesellschaftlich<br />

anerkannten Weise.<br />

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