1 Titel2 - Geronto
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Nr. 04 Sommer 2009<br />
<strong>Geronto</strong>-News<br />
Die Online-Fachzeitschrift für Altenpflege<br />
Schwerpunkt: Sexualität im Alter<br />
Weiters:<br />
• Videospiele als Therapie bei alten Menschen<br />
• Der Expertenstandard Ernährungsmanagement<br />
• Was regionale KrankenhausmanagerInnen verdienen<br />
• Was eine Pflegedienstleitung in einem Altenheim tut<br />
• Was gute Altenarbeit braucht: Pflegende Männer<br />
• Was Pflegende in ihrer Freizeit lesen<br />
• Lehrgang Geriatrische Animation
Editorial<br />
Werte Leserinnen und Leser!<br />
Das zweitliebste Gesprächsthema von Pflegepersonen in der Geriatrie – gleich<br />
nach der Stuhlfrequenz der PatientInnen – ist zweifellos der Dienstplan. Das ist<br />
in der Redaktion der <strong>Geronto</strong>-News nicht anders (vielleicht mit Ausnahme des<br />
Themas Ausscheidungen). Der Blick auf unseren Dienstplan erfüllt uns aber mit<br />
Freude: Er zeigt Urlaub an! Bis September gehen wir in die Sommerpause.<br />
Sommerpause heißt bei uns natürlich arbeiten. Die Seminare im Herbst wollen<br />
vorbereitet werden (v. a. die Animationsausbildung, bei der übrigens noch einige<br />
Plätze frei sind – siehe Seite 25), ein wuchernder Garten soll versorgt werden,<br />
Hamburg und Berlin erwarten Besuche von uns und nebenbei müssen auch wir<br />
mal wieder eine Fortbildung absolvieren.<br />
Natürlich hoffen wir, dass Ihr Sommer ebenfalls einen Urlaub beinhaltet, der<br />
möglichst stressfrei und lustvoll abläuft. Unser Beitrag zum Thema „Lustvoll“<br />
könnte der, bereits im Mai versprochene, Schwerpunkt „Sexualität im Alter“ sein,<br />
den wir ihnen diesmal aber wirklich präsentieren und in dem wir uns auch Themen<br />
wie „Sex und Alter im Film“ oder „Homosexualität im Alter“ widmen.<br />
Dass Frauen die Männer für guten Sex nicht unbedingt brauchen, obwohl diese<br />
vielleicht ab und zu dafür recht praktisch sind (etwa für das Frühstück danach),<br />
dürfte ja hinlänglich bekannt sein, aber wie verhält sich das denn in der Arbeit?<br />
Manuela Steinmetz geht der Frage nach, ob die Altenpflege an sich Männer<br />
braucht – und wenn, wozu eigentlich?<br />
Ähnlich umstritten ist die Frage, wozu wir in der Pflege ManagerInnen brauchen.<br />
Der ursprünglich in „clinicum“ erschienene Artikel über die Gehälter der SpitalsmanagerInnen,<br />
den wir hier auszugsweise bringen, kann diese Frage zwar auch<br />
nicht beantworten, aber wenigstens jene, was diese Leute eigentlich verdienen.<br />
Manager ist aber auch Gerald Milcher, und zwar Pflegedienstleiter in einem steirischen<br />
Altenheim. Zwar „casht“ er bei weitem nicht das ab, was manche VorstandsdirektorInnen<br />
bekommen, dafür muss er aber auch jede Menge Knochenarbeit<br />
leisten. Was das genau ist, und warum er das tut, lesen Sie ebenfalls hier.<br />
Ansonsten haben wir unsere Sommerausgabe wieder mit interessanten News aus<br />
der gerontologischen Forschung vollgepackt. Und falls Ihnen der Lesestoff im<br />
Urlaub ausgehen sollte, haben wir mal in unserem Bekanntenkreis nachgefragt,<br />
was Pflegende eigentlich lesen, wenn sie keine Fachliteratur wälzen müssen.<br />
Im September jährt sich der Beginn des 2. Weltkrieges zum 70. mal. Welche<br />
Spätauswirkungen dieses kollektive Trauma von Vernichtung und Vertreibung bei<br />
der Kriegs- und Nachkriegsgeneration zeigt und wie diesen in der Altenpflege<br />
begegnet werden kann – wird uns dann in der nächsten Ausgabe beschäftigen.<br />
Bis dahin: Passt auf euch auf und lasst euch nichts gefallen!<br />
Euer Luksch<br />
Impressum: <strong>Geronto</strong>-News ist ein Produkt der Gruppe <strong>Geronto</strong>.at und erscheint monatlich. Die Zusendung<br />
erfolgt ungefragt und per Email. Wenn Sie das nicht möchten, dann bestellen Sie es einfach<br />
ab. Die Ausgaben erhalten Sie als Gratis- PDF- Downloads auch auf den Webseiten www.geronto.at,<br />
www.psych-pflege.at und www.frauenlebensraeume.at .<br />
Eigentümer, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich ist DGKP Christian Luksch,<br />
A-1140 Wien, E-Mail: office@geronto.at.<br />
2
Newsflash<br />
Neuer Test hilft Demenzrisiko abzuschätzen<br />
NEW YORK – Mit einem neuen Index zur<br />
Risikobeurteilung ist es gelungen, akkurat<br />
vorherzusagen, welche der älteren Menschen<br />
in der untersuchten Studienpopulation<br />
innerhalb der folgenden sechs Jahre an<br />
Demenz erkranken.<br />
"Dieser neue Risiko-Index könnte sich sowohl<br />
für die Forschung als auch für Menschen,<br />
die gefährdet sind an Demenz zu<br />
erkranken und deren Familien, als sehr bedeutsam<br />
erweisen", sagte die federführende<br />
Autorin der Studie, Dr. Deborah E. Barnes,<br />
in einem Statement.<br />
Der Index könne verwendet werden, um für<br />
Studien zu neuen Medikamenten und Präventionsmethoden<br />
Menschen zu identifizieren,<br />
die ein hohes Demenzrisiko haben. Das<br />
Tool könnte zudem Menschen identifizieren,<br />
die keine Anzeichen einer Demenz zeigen,<br />
aber engmaschig überwacht werden sollten,<br />
so dass sie so früh wie möglich mit der Therapie<br />
beginnen können. Dies wiederum<br />
könnte möglicherweise dazu beitragen, dass<br />
sie Denkvermögen, Gedächtnis und Lebensqualität<br />
länger aufrecht erhalten können.<br />
Barnes, von der University of California, und<br />
ihre KollegInnen entwickelten den Demenz-<br />
Risikoindex, indem sie Daten von 3375<br />
Menschen analysierten, die im Rahmen der<br />
Cardiovascular Health Cognition Study wegen<br />
Verdachts auf eine bevorstehende Demenzerkrankung<br />
beobachtet wurden. Insgesamt<br />
14 der TeilnehmerInnen erkrankten<br />
innerhalb von sechs Jahren an Demenz, wie<br />
es in dem Artikel heißt. Weitere Analysen<br />
erbrachten verschiedene Faktoren, die prädiktiv<br />
für Demenz waren.<br />
Die Risikofaktoren, die in den Risikoindex<br />
einflossen, waren: höheres Alter, schlechte<br />
Ergebnisse bei kognitiven Tests, niedriger<br />
BMI, eine Genmutation, die das Alzheimer-<br />
Risiko erhöht, Leukodystrophie oder ventrikuläre<br />
Vergrößerung auf dem MRT, erhöhte<br />
Intima-Media-Dicke der Karotis im Ultraschall,<br />
vorangegangene Bypassoperation,<br />
schlechte Leistungen bei Tests körperlicher<br />
Fähigkeiten und Alkoholkonsum.<br />
Quelle: Neurology online<br />
Videospiele als Therapie für alte<br />
Menschen getestet<br />
HOF/SAALE– Mit Tennis, Dart und Bowling<br />
auf Spielkonsolen wollen Wissenschaftler-<br />
Innen die Einsatzmöglichkeiten von Videospielen<br />
bei der Betreuung alter Menschen<br />
erkunden. Das gemeinsame Projekt der Diakonie<br />
und des Spieleherstellers Nintendo<br />
wird von der Psychiatrischen Universitätsklinik<br />
Erlangen begleitet. Dazu spielen 30 BewohnerInnen<br />
von drei Pflegeheimen im<br />
Raum Hof einmal in der Woche mit der<br />
neuartigen Videospielkonsole «Wii», teilte<br />
das Diakonische Werk am Freitag mit.<br />
Das besondere an der Konsole ist nach Angaben<br />
von Prof. Elmar Gräßel, dass beim<br />
Spielen der ganze Körper eingesetzt wird<br />
und nicht wie bislang nur Hände und Finger.<br />
«Die SeniorInnen werden dadurch<br />
nicht nur geistig, sondern auch körperlich<br />
gefordert und aktiviert», betonte Gräßel.<br />
Die langfristigen Folgen des regelmäßigen<br />
Spiels mit der «Wii»- Konsole wollen Diakonie,<br />
Nintendo und die Erlanger Forscher-<br />
Innen in einer Folgestudie untersuchen. «Es<br />
ist durchaus denkbar, dass das System<br />
nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch<br />
zur Förderung der Selbstständigkeit eingesetzt<br />
werden kann», erklärte Gräßel.<br />
Im ersten Schritt geht es um die Akzeptanz<br />
des neuen Mediums. «Wir müssen uns<br />
selbstverständlich darauf einstellen, dass<br />
alte Menschen zukünftig andere Erwartungen<br />
auch an das Freizeitprogramm eines<br />
Altenheims haben», sagte der Präsident des<br />
Diakonischen Werkes Bayern, L. Markert.<br />
Dazu könnten auch Videospiele gehören.<br />
Erste Ergebnisse der Studie will die Diakonie<br />
im Spätsommer vorstellen.<br />
Quelle: www.neuro-online.de<br />
3
Newsflash<br />
Neuer ExpertInnenstandard zum<br />
Ernährungsmanagement<br />
OSNABRÜCK - Das Deutsche Netzwerk für<br />
Qualitätsentwicklung in der Pflege hat den<br />
ExpertInnenstandard „Ernährungsmanagement<br />
zur Sicherstellung und Förderung der<br />
oralen Ernährung in der Pflege" als Sonderdruck<br />
veröffentlicht. Der Standard beschreibt<br />
den pflegerischen Beitrag zum Ernährungsmanagement<br />
und zielt darauf ab,<br />
eine bedürfnisorientierte und bedarfsgerechte<br />
orale Ernährung von kranken und<br />
pflegeabhängigen Menschen zu sichern und<br />
zu fördern.<br />
Bei etwa einem Drittel der in der stationären<br />
Altenhilfe und in der ambulanten Pflege<br />
betreuten Menschen liegt nach einem Bericht<br />
des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen<br />
aus dem Jahre 2007 eine defizitäre<br />
Ernährungssituation vor. Für die<br />
Betroffenen bedeute unzureichende Ernährung,<br />
eine massive Einschränkung der Gesundheit<br />
bis hin zu einer nachweislich erhöhten<br />
Morbidität und Mortalität.<br />
Der neue ExpertInnenstandard wurde von<br />
einer vierzehnköpfigen Arbeitsgruppe erarbeitet,<br />
auf der 7. Konsensus-Konferenz am<br />
8. Oktober 2008 vorgestellt und mit dem<br />
Fachpublikum erörtert. Die Ergebnisse dieser<br />
Diskussionen sind in die vorliegende<br />
Fassung des ExpertInnenstandards und in<br />
die Kommentierung der einzelnen Standardkriterien<br />
eingeflossen.<br />
Eine gedruckte Fassung dieses Standards<br />
kann zum Preis von 18,- € bestellt werden<br />
bei: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung<br />
in der Pflege (DNQP), Caprivistr.<br />
30a, 49076 Osnabrück, Tel.: 0049541-<br />
9692004, Fax: 0049541-9692971, Mail:<br />
dnqp@fh-osnabrueck.de<br />
Quelle: Altenpflege Mai 2009<br />
Diabetes mellitus Typ 2<br />
ist Schlaganfallrisiko Nummer 1<br />
ALBERTA - Das Risiko für eine Herzgefäßerkrankung<br />
ist bei DiabetikerInnen im Vergleich<br />
zur Allgemeinbevölkerung um das 2-<br />
bis 4-fache erhöht. Rund 80% aller Typ-2-<br />
DiabetikerInnen sterben an deren Folgen,<br />
nämlich einem Herzinfarkt oder einem<br />
Schlaganfall.<br />
Untersuchungen aus der Vergangenheit<br />
zeigen, dass 16 - 24% aller PatientInnen,<br />
die sich mit einem Schlaganfallereignis im<br />
Krankenhaus vorstellten, einen nicht erkannten<br />
Diabetes haben. Auch ist die Prognose<br />
nach einem Schlaganfall für DiabetikerInnen<br />
schlechter: die Krankenhausaufenthalte<br />
sind länger, die Sterblichkeit ist höher,<br />
es kommt häufiger zu bleibenden Behinderungen.<br />
Neue wissenschaftliche Ergebnisse hierzu<br />
kommen jetzt aus Kanada und den USA. Sie<br />
wurden in der Fachzeitschrift „Stroke“<br />
veröffentlicht. Bei mehr als 12.200 Typ-2-<br />
DiabetikerInnen wurde das Schlaganfall-<br />
Risiko in den ersten Jahren nach der Diabetes-Diagnose<br />
veröffentlicht.<br />
Das neurologische Team der Universität<br />
Alberta schloss alle PatientInnen eines Arztes<br />
in Saskatchewan ein, die dort erstmals<br />
ein Rezept für ein Diabetesmedikament erhalten<br />
hatten. Die PatientInnen waren<br />
durchschnittlich 64 Jahre alt.<br />
Während der fünf Folgejahre wurden sämtliche<br />
Fälle dokumentiert, die sich mit einem<br />
Schlaganfallereignis im Krankenhaus vorgestellt<br />
hatten. Insgesamt hatten 9,1% aller<br />
DiabetikerInnen in diesem Zeitraum einen<br />
Schlaganfall erlitten. Die altersstandardisierte<br />
Rate betrug in dieser Zeit 642 pro<br />
100.000 Personenjahre. Die Inzidenzrate<br />
der Allgemeinbevölkerung lag bei 313 pro<br />
100.000 Personenjahre.<br />
Mit anderen Worten: In den ersten Jahren<br />
der Erkrankung hatte sich die Häufigkeit<br />
eines Schlaganfalls um mehr als das Doppelte<br />
erhöht. Am stärksten betroffen waren<br />
die jüngeren Typ-2-DiabetikerInnen. In der<br />
Altersgruppe der 30-44jährigen lag die Häufigkeit<br />
um das 5,6-fache höher als bei<br />
gleichaltrigen Nicht-DiabetikerInnen.<br />
Quelle: www.dggeriatrie.de<br />
4
Das verdienen SpitalsmanagerInnen in Österreich<br />
Recht fund fGerechtigkeit fmüssen fnicht funbedingt fdas fGleiche fsein. fSo fhat feigentlich<br />
jede/r das Recht sich in einem Arbeitsvertrag bessere Bedingungen auszuhandeln,<br />
als Kollektivverträge und Besoldungsordnungen vorschreiben. Manchmal kann das<br />
aber zu eklatanten Ungerechtigkeiten führen, wie beispielsweise die Gehälter von<br />
manchen SpitzenmanagerInnen zeigen – auch jener im Gesundheitswesen.<br />
Steirische Streitpunkte<br />
Ob solche Überlegungen tatsächlich eine<br />
Rolle spielten, als im April vorigen Jahres<br />
nach heftigen Diskussionen im Grazer Landtag<br />
über die Gehaltsforderungen der regionalen<br />
Spitalsmanager der steirische Landeshauptmann<br />
Voves und sein Spitalslandesrat<br />
Hirt einen Schlussstrich zogen und<br />
die Bezüge des Vorstandschefs der Klinikholding<br />
KAGES mit dem Einkommen des<br />
Landeshauptmanns (16.320.- € pro Monat)<br />
nach oben begrenzten, oder ob es schlicht<br />
ein ökonomisches Kalkül war, entzieht sich<br />
unserer Kenntnis.<br />
Jedenfalls sollte ursprünglich der Direktor<br />
des Vorstands, DI Dr. Werner Leodolter, ein<br />
Jahresbruttoeinkommen von 288.476 Euro<br />
kassieren, seine Co-Vorstände etwas weniger:<br />
Ernst Fartek, MBA (Finanzchef), brutto<br />
249.550 und Univ.-Prof. Dr. Michael Höllwarth<br />
(Medizinvorstand) 262.164 Euro.<br />
Äußerst kritisch wurden in der Öffentlichkeit<br />
Begünstigungen wie Sonderurlaub, Sonderklassebehandlung<br />
und Rückkehrrechte aufgenommen.<br />
Der Dreiervorstand argumentierte,<br />
dass man sogar billiger komme als<br />
die Vorgänger. Die Verträge seien angemessen,<br />
die Lösung sauber. Die Verteidigung<br />
half jedoch nichts, die Deckelung kam<br />
und mit ihm der Abgang von Höllwarth. Ihm<br />
war die öffentliche Debatte zu viel geworden,<br />
er trat zurück, bevor es richtig losging.<br />
Kärntner Kalamitäten<br />
Ähnliche Probleme hatte der Kärntner Kurzzeit-Spitalschef<br />
Mandl. Auch er wollte mehr<br />
als die LandespolitikerInnen verdienen.<br />
Nach heftigen Debatten zogen die Verantwortlichen<br />
die Konsequenzen und beschränkten<br />
das Einkommen der regionalen<br />
SpitalsmanagerInnen mit dem Bezug eines<br />
Landesrats (12.000 Euro brutto monatlich).<br />
Einige Monate und viele Konflikte später<br />
warf der Grazer Professor für Wirtschaftspädagogik<br />
das Handtuch, die Geschäfte<br />
führen zwei Interimsvorstände.<br />
Law & Order<br />
5<br />
Der Streit geht freilich weiter: Mandl hat<br />
gegen die Kärntner Krankenanstalten Betriebsgesellschaft<br />
(KABEG) Klage eingebracht.<br />
Kernpunkt: Die Abberufung durch<br />
den Aufsichtsrat im September 2008 sei<br />
ungerechtfertigt gewesen, nun würden Ansprüche<br />
aus dem Dienstverhältnis geltend<br />
gemacht. „Mein Mandant hat so gehandelt,<br />
wie es seiner Sorgfaltspflicht entspricht“,<br />
betont sein Anwalt. Der Streitwert liege bei<br />
90.000 € „Kündigungsentschädigung“. Unterstützung<br />
aus dem BZÖ, zu dem Mandl<br />
ein Naheverhältnis nachgesagt wird, gäbe<br />
es allerdings nicht.<br />
Es brodelt überall<br />
Kärnten und die Steiermark sind die jüngsten<br />
Beispiele für Gehaltsdebatten im öffentlichen<br />
Bereich. Tatsächlich brodelt es auch<br />
in den anderen Bundesländern und nicht<br />
erst seit der aktuellen Wirtschaftskrise und<br />
der Debatte über Prämien und hohe Gehälter<br />
für SpitzenmanagerInnen, die ihre Unternehmen<br />
in die Krise führen.<br />
Tatsächlich gibt es Parallelen zur Diskussion<br />
um AUA-Chef Ötsch oder Post-Chef Wais:<br />
Auch die Spitäler sind auf öffentliche Zuschüsse<br />
angewiesen, auch dort steigt der<br />
Spardruck auf die Beschäftigten.
Nicht zuletzt deshalb wird auch in anderen<br />
Bundesländern kein Geheimnis mehr um die<br />
Gehälter der SpitalsmanagerInnen gemacht<br />
und nicht zuletzt deshalb werden sie ähnlich<br />
wie in der Steiermark und in Kärnten auch<br />
begrenzt.<br />
Die Jahresgehälter der ManagerInnen der<br />
Oberösterreichischen Gesundheits- und Spitals<br />
AG (Gespag) stehen aktuell bei rund<br />
175.000 Euro brutto, heißt es aus dem Unternehmen.<br />
Dazu käme ein Dienst-Pkw<br />
(max. 40.000 Euro Anschaffungspreis), jedoch<br />
keine weiteren Boni. Die Gespag beschäftige<br />
9.700 MitarbeiterInnen, betreibe<br />
zehn Spitäler und habe im Vorjahr 550 Millionen<br />
Euro umgesetzt, da seien diese Gehälter<br />
gerechtfertigt.<br />
Im Westen ist’s am Besten?<br />
Nicht ganz so transparent, aber dennoch<br />
klar ist die Regelung in Salzburg: Normalerweise<br />
sei es so, dass man in Salzburg<br />
nicht mehr als die Landeshauptfrau verdienen<br />
darf, heißt es aus der Pressestelle der<br />
Salzburger Landeskliniken (SALK) und weiter:<br />
„Bei uns liegt das Gehalt des Geschäftsführers<br />
deutlich darunter.“ Genaue Zahlen<br />
wolle man aber nicht nennen. Dafür wird<br />
sicherheitshalber eingeschränkt: „Generell<br />
ist es so, dass die Gehälter der im Krankenhausmanagement<br />
deutlich unter denen von<br />
anderen fBranchen fliegen, fwenn fman fMitarbeiterInnenzahl<br />
oder Budgetzahlen zur Vergleichbarkeit<br />
heranzieht.“ Zum Vergleich:<br />
Das Salär für die Salzburger Landeshauptfrau<br />
Gabi Burgstaller liegt bei knapp 16.000<br />
Euro brutto monatlich.<br />
Keine genauen Angaben gibt es auch in<br />
Vorarlberg. Dr. Gerald Fleisch, Direktor der<br />
dortigen Krankenhausbetriebsgesellschaft,<br />
will sein Gehalt, nicht nennen, räumt aber<br />
so viel ein: Er und sein Kollege Till Hornung,<br />
MBA hätten ein gleich hohes Gehalt, und<br />
das liege „etwas unter dem eines Landesrats<br />
in Vorarlberg“. Der wiederum verdient<br />
nach Aussagen des Leiters der Abteilung<br />
Regierungsdienste im Amt der Vorarlberger<br />
Landesregierung, Dr. Harald Schneider,<br />
derzeit genau 13.056 Euro brutto im Monat.<br />
Je weiter man allerdings nach Osten geht,<br />
umso geringer wird die Transparenz. Bereits<br />
in Tirol heißt es, dass man die Gehälter<br />
nicht kommentieren wolle.<br />
Die Kosten im Osten<br />
Auch in der Krankenanstaltengesellschaft<br />
des Burgenlands (Krages) sind die Einkommen<br />
ein streng gehütetes Geheimnis. „Wir<br />
geben dazu keine Auskunft“, heißt es im<br />
Unternehmen – immerhin zu 100% eine<br />
Gesellschaft im Eigentum des Landes und<br />
von SteuerzahlerInnen finanziert.<br />
Im Büro des für Krankenanstalten zuständigen<br />
Landesrats löst die Frage nach den Einkommen<br />
in der Landesgesellschaft bestenfalls<br />
Erstaunen aus. „Die Gehälter sind Privatangelegenheiten<br />
und werden nicht veröffentlicht“,<br />
sagt die Pressesprecherin des<br />
Gesundheitslandesrats. Freilich könnten die<br />
BurgenländerInnen sicher sein, „dass die<br />
Bezüge vernünftig gestaltet sind“.<br />
Konfrontiert damit, dass die Krankenanstalten<br />
kein Privatunternehmen, sondern im<br />
Eigentum des Landes und somit der SteuerzahlerInnen<br />
stehen, betont sie: „Wir haben<br />
noch keine amerikanische Verhältnisse. Gehaltspolitik<br />
ist bei uns geheim.“<br />
„Deckel drauf“ nach dem Vorbild des Burgenlands<br />
gilt offenbar auch für Niederösterreich:<br />
Mehrere Anfragen der Zeitschrift Clinicum<br />
zu den Bezügen der regionalen SpitalsmanagerInnen<br />
blieben in der NÖ Landeskliniken-Holding<br />
unbeantwortet.<br />
Wien ist anders?<br />
Etwas mehr Licht in Sachen Managergehalt<br />
gibt es in Wien. Zwar will man auch dort<br />
offiziell keine Zahlen nennen, dafür hat das<br />
KAV-Generaldirektor Dr. Wilhelm Marhold<br />
zuletzt in einem Untersuchungsausschuss<br />
des Gemeinderats selbst getan: Er verdiene<br />
das 2,2-Fache eines durchschnittlichen O-<br />
berarztes in seiner Dienst- und Altersklasse<br />
sagte Marhold. Abfertigungsansprüche und<br />
jährliche Anpassungen gebe es keine mehr.<br />
Hochgerechnet aus Kontrollamtsunterlagen<br />
und Oppositionsangaben dürften das etwa<br />
19.000 Euro brutto, monatlich sein.<br />
Das verdient im Schnitt auch eine diplomierte<br />
Gesundheits- und Krankenpflegeperson.<br />
Allerdings im Jahr. Netto. Ohne Dienstwagen.<br />
Ohne Sonderurlaub. Und ohne alle<br />
weiteren „Goodies“. Aber die trägt ja auch<br />
nicht soviel Verantwortung. Oder doch?<br />
Quelle: www.clinicum.at<br />
6
Management<br />
Was tut eigentlich eine Pflegedienstleitung den ganzen Tag?<br />
Was SpitzenmanagerInnen von Krankenhausverbänden verdienen, wissen wir jetzt,<br />
was sie dafür leisten müssen, nicht. Bei den ManagerInnen der unteren Führungsebene<br />
ist das etwas anders: Die bekommen ein vielfaches weniger. Was Sie dafür<br />
tun müssen, schildert Gerald Milcher, Pflegedienstleiter eines steirischen Altenheims.<br />
Im Jahr 1996 begann ich meine Karriere in<br />
einem Pflegeheim. Als Hilfskraft. Ich wechselte<br />
von einer Tätigkeit als Angestellter im<br />
Großhandel in die Welt der Pflege, die ich<br />
bis dahin doch noch etwas „idealisiert“<br />
wahrgenommen hatte.<br />
Bereits in den ersten Monaten erlebte ich<br />
viele Höhen und Tiefen im Pflegealltag. In<br />
dieser Zeit prägte mich auch die Hierarchie<br />
in einem zwar gut organisierten, aber doch<br />
etwas starren System. Vor allem das Agieren<br />
der dortigen Pflegedienstleitung verleitete<br />
mich zum Gedanken: „Das will ich einmal<br />
besser machen!“. Obwohl ich anmerken<br />
muss, dass meine Kritik zur damaligen Zeit<br />
sicher nicht in allen Punkten berechtigt war!<br />
Nach einem nicht alltäglichen Marsch durch<br />
die entsprechenden Ausbildungen (1999/<br />
2000 Pflegehelfer, 2000 – 2003 Ausbildung<br />
zum diplomierten psychiatrischen Gesundheits-<br />
und Krankenpfleger) arbeitete ich ein<br />
Jahr auf einer Aufnahmestation im Suchtbereich.<br />
2004 folgte mein Dienstantritt als<br />
Pflegedienstleitung in einem Pflegeheim mit<br />
dem Schwerpunkt Dementenbetreuung.<br />
Mein Beginn lässt sich am einfachsten mit<br />
den Worten „Nach Versuch und Irrtum“ beschreiben.<br />
Ich war der Meinung, ich könnte<br />
ein Pflegeheim ähnlich strukturieren wie<br />
einen Betrieb in der Privatwirtschaft: Frei<br />
nach dem Motto „Gute Pflege ist auch wirtschaftlich<br />
gut“ wollte ich das Haus in einzelne<br />
Arbeitsbereiche aufteilen und die anfallenden<br />
Aufgaben delegieren, stets darauf<br />
bedacht, die Hierarchie möglichst flach zu<br />
halten, klare Ziele zu benennen und die<br />
MitarbeiterInnen so viel wie möglich in die<br />
Entscheidungen mit einzubeziehen, egal ob<br />
DGKP oder PflegehelferIn. So weit die Theorie.<br />
Die Praxis sah dann etwas anders aus.<br />
Der erste Irrtum war: Ich wollte soviel wie<br />
möglich von allen BewohnerInnen wissen.<br />
Dies brachte mir zwar den Spitznamen<br />
„Der Heinz Prüller vom Pflegeheim“ ein (von<br />
einem Arzt verliehen), unterstützte mich in<br />
meinen Aufgaben aber nicht wirklich.<br />
Anfängerfehler und Anfängerglück<br />
Dadurch blieb zuviel Wissen ausschließlich<br />
in meiner Hand und meine MitarbeiterInnen<br />
kamen mit Problemen zu mir, weil sie nötige<br />
Informationen nicht hatten. Ich konnte<br />
zwar überall ein bisschen mitreden, musste<br />
aber mehr Zeit mit Kleinigkeiten verbringen<br />
als ich mir vorgestellt hatte.<br />
Ein paar weitere Beispiele: Die Dienstpläne<br />
wurden zunächst von mir erstellt, erst nach<br />
einigen Monaten konnte ich diese „Macht“<br />
abgeben. Medizinische Bedarfsartikel wurden<br />
nur über mich bestellt. Meine diplomierten<br />
MitarbeiterInnen kamen mit den Bestelllisten<br />
zu mir und ich organisierte die nötigen<br />
Spritzen, Verbandstoffe, Kanülen, Absaugkatheter<br />
und ähnliches. Veranstaltungen<br />
wurden von mir so gut wie im Alleingang<br />
organisiert und immer wieder übersah<br />
ich dabei beinahe wichtige Details.<br />
Es dauerte einige Zeit, bis ich bereit war,<br />
mein Verhalten zu ändern. Zum Glück habe<br />
ich eine sehr loyale Kollegin, die mir immer<br />
wieder nötige, wenn mitunter auch<br />
schmerzhafte, Rückmeldungen gab.<br />
Zusätzlich musste ich einige Ausbildungen<br />
nebenberuflich absolvieren. Ob Hygiene für<br />
Pflegeheime, das mittlere Management oder<br />
auch die Ausbildung zur Pflegedienstleitung,<br />
alles passierte innerhalb von nur vier Jahren.<br />
Dadurch war ich zwar viel außer Haus,<br />
musste aber umso mehr Zeit im Pflegeheim<br />
verbringen, um die verlorene Zeit wieder<br />
nachzuholen.<br />
7
Die Mühen der Ebene ...<br />
Das Pflegeheimgesetz gibt einige Aufgaben<br />
für die Leitung eines Pflegedienstes vor:<br />
Organisation der Pflege und medizinischen<br />
Betreuung, Führung und Kontrolle der Pflegedokumentation,<br />
Einhaltung und Schutz<br />
der Bewohnerrechte, Beschwerdemanagement,<br />
Organisation von Fortbildungen für<br />
MitarbeiterInnen, Überwachung und Kontrolle<br />
der Hygiene, der Arbeitszeitgesetze<br />
und des Datenschutzes, Ansuchen von Pflegestufenerhöhungen<br />
und einiges mehr.<br />
Durch die Spezialisierung unseres Heimes<br />
auf die Betreuung von Dementen, kommt<br />
noch hinzu, dass regelmäßig Fachvisiten mit<br />
der niedergelassenen Psychiaterin organisiert<br />
werden müssen, außerdem gibt es<br />
eine sehr enge Zusammenarbeit mit der<br />
Sigmund-Freud-Klinik in Graz.<br />
Sollte die ambulante Betreuung durch die<br />
Fachärztin nicht ausreichen, wird dies durch<br />
einen stationären Aufenthalt auf gerontopsychiatrischen<br />
Abteilungen unterstützt.<br />
Gleichzeitig aber bekommen wir aber auch<br />
viele Bewohner direkt aus der <strong>Geronto</strong>psychiatrie,<br />
die in unserem geschützten Wohnbereich<br />
untergebracht sind.<br />
Aufgrund dieser speziellen Erkrankungen ist<br />
eine sehr enge und ausführliche Angehörigenarbeit<br />
nötig. Dies beginnt allerdings bereits<br />
im Rahmen des Aufnahmegesprächs,<br />
das sehr selten unter einer Stunde dauert.<br />
Hier müssen schon im Vorfeld sehr viele<br />
Informationen gesammelt werden, damit<br />
der richtige Wohnbereich für die Aufnahme<br />
gefunden werden kann. Etwa ein Fünftel<br />
meiner Arbeitszeit verbringe ich mit der Angehörigenarbeit,<br />
das erscheint zwar sehr<br />
viel, aber dadurch können Probleme rascher<br />
erkannt bzw. verhindert werden.<br />
Damit das Pflegeheim auch nach außen<br />
präsentiert werden kann, sind einige Veranstaltungen<br />
im Jahr zu organisieren. Nicht<br />
nur die Weihnachts-, Oster- oder Muttertagsfeier<br />
sind wichtig. Auch die Teilnahme<br />
an öffentlichen Veranstaltungen, der Tag<br />
der offenen Tür, MitarbeiterInnenfeste und<br />
Informations-Abende gehören dazu. Hier<br />
wird gezeigt, dass ein modernes Pflegeheim<br />
mehr als ein „Verwahrungsort“ für ältere<br />
und pflegebedürftige Personen ist. Es muss<br />
durch und durch ein lebendiges Haus sein.<br />
... sind nie zu unterschätzen.<br />
Nicht zu unterschätzen ist die Zusammenarbeit<br />
mit dem Betreiber, in unserem Fall<br />
mit dem Geschäftsführer und dem Vorstand.<br />
Es ist unbedingt nötig, Anliegen der<br />
Pflegewelt in die Sprache der Wirtschaftswelt<br />
zu übersetzen. Ohne Unterstützung<br />
von dieser Seite sind die besten Ideen zum<br />
Scheitern verurteilt.<br />
Da bei uns die Leitung der Verwaltung nicht<br />
vor Ort passiert – ein Kollege vom benachbarten<br />
Pflegeheim ist verwaltungstechnisch<br />
für beide Heime zuständig – bleiben aus<br />
diesem Bereich auch einige Aufgaben für<br />
mich übrig. Ob ArbeitnehmerInnenschutz,<br />
Brandschutz, Budgetierung oder bauliche<br />
Angelegenheiten, stets heißt es, Einsatz zu<br />
zeigen. Spätestens hier wird jedem und jeder<br />
bewusst: eine normale 40-Stunden-<br />
Woche ist nur selten möglich.<br />
Aber gerade aufgrund dieser Aufgabenfülle<br />
schätze ich meine Arbeit, denn langweilig<br />
wird mir nie und eine „ruhige Kugel“ wollte<br />
ich sowieso nie schieben.<br />
Überlegen Sie es sich gut, ob Sie einen so<br />
verantwortungsvollen Job übernehmen wollen,<br />
Wenn Sie es allerdings tun, muss Ihnen<br />
bewusst sein, Sie brauchen Ihren ganzen<br />
Verstand, beinahe das ganze Herz und viel<br />
Humor, aber auch jede Menge Mut.<br />
Gerald Milcher, ein Pflegedienstleiter<br />
aus voller Überzeugung<br />
Anmerkung der Redaktion:<br />
Gerald Milcher sucht für sein Pflegeheim in<br />
Kapfenberg (Steiermark) noch MitarbeiterInnen<br />
– DGKP und PflegehelferInnen.<br />
Wer sich vorstellen kann, den Kerl als Chef<br />
zu haben (Wir z. B. könnten das sehr gut!)<br />
und einen Job sucht, in dem man eigene<br />
Ideen nicht nur einbringen kann, sondern<br />
auch die Gelegenheit bekommt, diese umzusetzen<br />
(und noch dazu zu ziemlich guten<br />
Bedingungen), der oder die sollte sich mit<br />
dem Mann in Verbindung setzen.<br />
Seine Telefonnummer: 03862/42020-5918,<br />
seine E-Mail: g.Milcher@shvbm.at, die Postadresse:<br />
8605 Kapfenberg, Grillparzerstr. 2.<br />
8
Schwerpunkt<br />
Alterssexualität – Was ist das eigentlich?<br />
Als Alterssexualität wird das Ausleben von Sexualität und das sexuelle Empfinden im<br />
höheren Lebensalter verstanden. Neben der gesellschaftlichen Tabuisierung dieses<br />
Themas, einem veränderten körperlichen Erscheinungsbild sowie einiger typischer<br />
Beeinträchtigungen der sexuellen Funktion, können auch demographische Faktoren<br />
und individuelle Lebensumstände eine Rolle in der Sexualität im Alter spielen.<br />
Alter wird überwiegend sozial definiert und<br />
individuell unterschiedlich wahrgenommen.<br />
Von einer dezidierten “Alterssexualität“ ist<br />
deshalb in der Regel bei Menschen erst ab<br />
einem deutlich höheren Alter als dem 60.<br />
Lebensjahr zu sprechen.<br />
Insgesamt nimmt die Häufigkeit der sexuellen<br />
Kontakte zwar kontinuierlich ab, während<br />
verstärkt Wert auf ein erfülltes befriedigendes<br />
Ausleben des gesamten Zusammenlebens<br />
gelegt wird, dies schließt jedoch<br />
nicht aus, dass Menschen in ihren sexuellen<br />
Präferenzen jenseits des 70. Lebensjahrs<br />
keine Veränderung wahrnehmen.<br />
Entgegen der, überwiegend von Jüngeren<br />
gehegten Vorstellung, dass mit dem Alter<br />
die Sexualität nachlässt und keine sexuellen<br />
Bedürfnisse mehr existieren, haben verschiedene<br />
statistische Untersuchungen ergeben,<br />
dass das Verlangen nach Sexualität,<br />
sowie das Befriedigen sexueller Wünsche<br />
bis in ein hohes Alter ausgelebt wird.<br />
In der Altersgruppe der 51- bis 60jährigen<br />
waren von der Gruppe der in einer Partnerschaft<br />
lebenden Männer noch 89% sexuell<br />
aktiv, die in Partnerschaften lebenden Frauen<br />
zu 85,6%. Die sexuelle Aktivität nimmt<br />
im Lauf der Jahre ab, in der Gruppe der<br />
über 80jährigen üben noch 30,8% der in<br />
einer Beziehung lebenden Männer ihre Sexualität<br />
aus, während 25% der Frauen innerhalb<br />
einer Beziehung sexuell aktiv sind.<br />
Maßgeblich unterscheidet sich hiervon die<br />
Aktivität der nicht (mehr) in einer Partnerschaft<br />
lebenden Menschen: Nur 55,3% der<br />
Männer und 25,3% der Frauen zwischen 51<br />
und 60 waren sexuell aktiv. Der Anteil der<br />
sexuell Aktiven sinkt im Lauf der Jahre auf<br />
7,1% der Männer und ist bei Frauen über<br />
80 nicht mehr nachweisbar. Amerikanische<br />
Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen,<br />
wobei die Frage ob der ältere Mensch in<br />
einer Beziehung lebt, ebenfalls zu signifikanten<br />
Unterschieden in der Häufigkeit sexueller<br />
Kontakte führt.<br />
Bei der Befragung gab etwa die Hälfte der<br />
sexuell aktiven Befragten an, mindestens<br />
unter einer störenden sexuellen Einschränkung<br />
zu leiden. Am häufigsten vertreten<br />
waren bei Frauen ein vermindertes sexuelles<br />
Verlangen (43%), eine trockene Scheide<br />
(39%) und die Unfähigkeit einen Orgasmus<br />
zu erreichen (34%). In der Gruppe der<br />
Männer wirkte sich die erektile Dysfunktion<br />
mit 37% am stärksten behindernd auf das<br />
Sexualleben aus, wobei 14% angaben ihre<br />
sexuelle Funktion mit Medikamenten oder<br />
durch andere Mittel zu unterstützen.<br />
Ein enger Zusammenhang ergibt sich auch<br />
zwischen der demographischen Entwicklung<br />
und der statistischen Häufigkeit sexueller<br />
Aktivität. Begründet wird dies vor allem dadurch,<br />
dass insbesondere ältere Frauen ihre<br />
Sexualität vorzugsweise in einer Partnerschaft<br />
ausleben. Aufgrund der höheren Lebenserwartung<br />
von Frauen und dem in vielen<br />
europäischen Ländern durch die Weltkriege<br />
entstandenen demographischen Einschnitt,<br />
ist der Prozentsatz der Witwen in<br />
diesen Altersgruppen erhöht. Diese suchen<br />
häufig nicht nach einer weiteren Partnerschaft<br />
und stellen ihre paarbezogene sexuellen<br />
Aktivitäten ein.<br />
9
Sexuelles Lustempfinden<br />
Mit zunehmendem Alter verändert sich die<br />
Rolle der Sexualität, die Fortpflanzungsfunktion<br />
verliert ihre Bedeutung, Sexualität ist<br />
nicht mehr auf Geschlechtsverkehr als zentralen<br />
Akt sexuellen Lustempfindens ausgerichtet.<br />
Erotik und Lust bleiben jedoch ein<br />
wichtiger Bestandteil des Lebens.<br />
Menschen, die durch Erziehung oder ihres<br />
individuellen Bedürfnisses als jüngere Menschen<br />
sexuell nicht sehr häufig oder ungern<br />
Sexualverkehr hatten, werden dies im Alter<br />
eher nicht verändern, während sexuell sehr<br />
aktive Menschen diese Aktivität bis ins hohe<br />
Alter hinein erhalten können.<br />
Zärtlichkeit, Bindung und Nähe werden für<br />
viele ältere Menschen wichtiger und teilweise<br />
verändern sich die bevorzugten Praktiken,<br />
meist als Folge einer Anpassung an<br />
eine geänderte körperliche Verfassung oder<br />
weil das Lustempfinden sich verändert, etwa<br />
durch eine empfindlichere Haut im Vaginalbereich<br />
oder eine notwendige direktere<br />
Stimulation bei erektilen Dysfunktionen.<br />
Basis einer erfüllten sexuellen Beziehung ist<br />
eine vertraute und intime Beziehung, in der<br />
körperliche Veränderungen und eventuelle<br />
Einschränkungen nicht als Behinderung verstanden<br />
wird, sondern als Option für eine<br />
neue, dem Alter und Erfahrungshorizont<br />
angepassten Möglichkeit des Ausdrucks von<br />
Zärtlichkeit und körperlicher wie emotionaler<br />
Nähe. Gesundes Selbstbewusstsein und<br />
die Fähigkeit, mit der eigenen, sich verändernden<br />
Ästhetik umzugehen hat ebenfalls<br />
eine wesentliche Bedeutung für einen<br />
schamfreien und entspannten Umgang mit<br />
der eigenen Sexualität.<br />
WissenschaftlerInnen stellten fest, daß auch<br />
das Erreichen sexueller Erfüllung über Masturbation<br />
im letzten Lebensdrittel für viele<br />
Menschen eine wichtige Rolle spielt: etwa<br />
die Hälfte aller Männer und ein Viertel aller<br />
Frauen gaben an, sich selbst zu befriedigen.<br />
Dabei wurde deutlich, dass sich die in festen<br />
Partnerschaften lebenden von allein<br />
lebenden Menschen nur wenig unterschieden,<br />
dies also in allenLebensformen als Teil<br />
der Sexualität empfunden wurde; In Partnerschaften<br />
masturbierten 52% der Männer<br />
und 25 % der Frauen sowie 55% der allein<br />
lebenden Männer und 23% der Frauen.<br />
Gesellschaftliche Tabuisierung<br />
Älteren Menschen wird in einer auf Jugend<br />
und ästhetischen Körperlichkeit ausgerichteten<br />
Gesellschaft, wie sie vor allem in den<br />
Industrienationen vorherrscht, häufig die<br />
Sexualität, das Verlagen und die Lust weitgehend<br />
zugunsten einer alterentsprechenden<br />
Asexualität abgesprochen.<br />
Vielfach entspricht das Bild der sexuell aktiven<br />
Frau nach den Wechseljahren nicht den<br />
Moralvorstellungen der Gesellschaft, während<br />
älteren, aktiven Männern durchaus<br />
eine rege Sexualität zugebilligt wird, die<br />
sich beispielsweise in der Zeugung von Kindern<br />
in einem hohen Alter niederschlägt.<br />
Diese Vorstellung ist insb. für verwitwete<br />
Frauen oft auch ein Teil ihrer eigenen durch<br />
die Erziehung geprägten Haltung zur Sexualität.<br />
Sie sind oft nicht in der Lage offen und<br />
mit sexueller Absicht eine neue Beziehung<br />
einzugehen oder möchten andere, z. B. die<br />
Kinder, nicht mit ihrer Sexualität bedrängen.<br />
Vorurteile und Gründe, die Frauen in ihrer<br />
Sexualität einschränken liegen z. B. in der<br />
Scheu, sexuelle Wünsche zu äußern oder<br />
den eigenen Körper nicht mehr als sexuell<br />
attraktiv oder gängigen Schönheitsidealen<br />
entsprechend zu empfinden. Eine Veränderung<br />
dieser gesellschaftlichen Stereotypen<br />
wird mit dem Nachrücken der in weitgehender<br />
sexueller Freizügigkeit aufgewachsenen<br />
Generationen erwartet.<br />
Das Bedürfnis nach Sex richtet sich in allen<br />
Altersgruppen nach individuellen Vorlieben<br />
und der persönlichen Neigung. Dabei verändert<br />
sich die Sexualität im Laufe des Lebens,<br />
möglicherweise hin zu einer eher auf<br />
Nähe und Zärtlichkeit ausgerichteten Form<br />
des sexuellen Kontakts, der nicht zwingend<br />
den Geschlechtsverkehr zum Inhalt hat.<br />
10
Alterstypische Beeinträchtigungen<br />
Körperliche Veränderungen, die mit dem<br />
Altern einhergehen, sind überwiegend hormonell<br />
bedingt, insbesondere der Abfall des<br />
Östrogenspiegels kann bei Frauen zu einer<br />
veränderten Libido, einer anderen Empfindsamkeit<br />
und Veränderung der Sekretmenge<br />
in der Vagina führen. Bei Männern kommt<br />
es zur Verminderung des Testosterons und<br />
einer Regulation der Hormonrezeptoren, die<br />
etwa 30% der 60-jährigen und 80% der<br />
über 80-jährigen Männer betrifft.<br />
Verändertes sexuelles Verlangen<br />
Neben klar zuordenbaren körperlichen Ursachen<br />
können auch verschiedene andere<br />
Gründe zu einer Verminderung des sexuellen<br />
Verlangens führen. Dazu gehören moralische<br />
Vorstellungen, Scham über das veränderte<br />
Körperbild, aber auch psychische<br />
Ursachen wie eine Altersdepression verändern<br />
die sexuelle Appetenz. Ein weiterer<br />
Aspekt können veränderte Lebensumstände<br />
darstellen, etwa der Umzug in ein Pflegeheim<br />
oder Krankheiten des/der PartnerIn.<br />
Erregungsstörungen<br />
Als Erregungsstörung werden Funktionseinschränkungen<br />
bezeichnet, die sich auf die<br />
weibliche Sexualität beziehen und sich oft<br />
schon nach den Wechseljahren in Form einer<br />
während der sexuellen Erregung trockeneren<br />
und engeren Scheide bemerkbar<br />
machen. Eine weitere Ursache können auch<br />
die Behandlung verschiedener Krebsarten<br />
darstellen, bei denen eine Bestrahlung des<br />
Bauchraumes zu ähnlichen Veränderungen<br />
führt. Dadurch kann der Geschlechtsverkehr<br />
unangenehm oder schmerzhaft empfunden<br />
werden. Das Verwenden von Gleitmitteln<br />
kann diese Störung weitgehend beheben.<br />
Erektionsstörungen<br />
Die wesentliche Funktionsstörung des Mannes<br />
bezieht sich auf die Erektion und wird<br />
auch als erektile Dysfunktion bezeichnet.<br />
Altersbedingt, aber auch durch Medikamente,<br />
Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck<br />
oder als Folge des Rauchens,<br />
kommt es zu einer Verengung der Blutgefäße<br />
im Penis, wodurch dieser nicht mehr die<br />
für eine stabile Erektion notwendige Blutmenge<br />
erhält. Neben weiteren Ursachen,<br />
wie beispielsweise Versagensängsten, können<br />
Tumore oder die Folgen einer in diesem<br />
Bereich stattgefundenen Operation sein.<br />
Behandelbar sind diese Störungen je nach<br />
ihrer Entstehung mit Medikamenten wie<br />
PDE-5-Hemmern oder Apomorphin, einer<br />
Schwellkörper-Auto-Injektionstherapie oder<br />
der urethralen Gabe von Prostaglandin.<br />
Schmerzen beim sexuellen Verkehr<br />
Neben den durch körperliche Erkrankungen<br />
bei bestimmten Bewegungen verursachten<br />
Schmerz, beispielsweise durch eine Hüftgelenksarthrose,<br />
können auch Operationen<br />
wie die Entfernung der Gebärmutter, Krebserkrankungen<br />
im Bereich des Enddarmes<br />
oder der Prostata oder bereits die Angst vor<br />
eintretenden Schmerzen die Sexualität stören.<br />
Diese Schmerzen sind bei Frauen in<br />
allen Lebensaltern als Dyspareunie bezeichnet<br />
und lassen sich je nach Ursache durch<br />
einen Stellungswechsel oder unter Umständen<br />
auch eine Schmerztherapie behandeln.<br />
Inkontinenz<br />
Mit zunehmenden Alter kann sowohl bei<br />
Männern als auch bei Frauen eine Harnund<br />
Stuhlinkontinenz auftreten. Diese stört<br />
zwar nicht direkt die sexuelle Funktion, ist<br />
aber für viele Menschen mit Peinlichkeit und<br />
Scham behaftet, weswegen sie auf sexuelle<br />
Kontakte verzichten. Ob eine Behandlung<br />
der zugrunde liegenden Ursache der Inkontinenz<br />
möglich ist, variiert.<br />
Nebenwirkungen von Medikamenten<br />
Mit zunehmendem Alter treten verschiedene<br />
Krankheiten auf, die eine medikamentöse<br />
Behandlung notwendig machen. Manche<br />
dieser Medikamente beeinflussen die sexuelle<br />
Empfindsamkeit oder Aktivität nachhaltig,<br />
etwa Psychopharmaka und blutdrucksenkende<br />
Medikamente.<br />
11
Sexualität im Pflegeumfeld<br />
Lange Zeit war und ist es auch heute noch<br />
üblich, dass in Pflegeheimen lebenden älteren<br />
Menschen das Ausleben einer normalen<br />
Sexualität abgesprochen oder durch restriktive<br />
Heimordnungen untersagt wird. So ist<br />
es in etlichen Altenheimen Usus, die gegenseitigen<br />
Besuche von Männern und Frauen<br />
auf ihren Zimmern zu untersagen und damit<br />
Situationen zu vermeiden, in der eine intime<br />
Beziehung gelebt werden kann.<br />
Häufig sind Pflegekräfte nicht entsprechend<br />
geschult um Fragen zur Sexualität oder e-<br />
ventueller Unterstützung durch Beschaffung<br />
von Hilfsmitteln zu begegnen; die eigene<br />
Moralvorstellung, eigene Probleme mit der<br />
Sexualität, eventuell Ekel und Unverständnis<br />
überlagern oft einen möglichen toleranten<br />
und offenen Umgang mit der Sexualität der<br />
PatientInnen oder BewohnerInnen.<br />
Weiterbildungen sollen ein neues Verständnis<br />
für die Alterssexualität schaffen, um den<br />
Umgang mit kritischen oder übergrifflichen<br />
Situationen zu üben, da dieser Aspekt nach<br />
Nähe und Intimität pflegerisch in den letzten<br />
Jahren vielfach anders gewichtet wird<br />
als in den vorangegangenen Jahrzehnten.<br />
Supervision und Begleitung notwendig<br />
Mit dem Transfer von theoretischen Wissen<br />
alleine ist allerdings noch keine Akzeptanz<br />
der Sexualität und alter pflegebedürftiger<br />
Menschen hergestellt, dies bedarf auf längere<br />
Frist auch einer Begleitung, durch kollegiale<br />
Fachberatung und Supervision.<br />
Insbesondere in der Pflege von hochgradig<br />
dementen Menschen können HelferInnen<br />
in Situationen auch sexueller Natur geraten,<br />
die sie überfordern und daher eine professionelle<br />
Reflexion in einem offenen und<br />
konstruktiven Klima brauchen.<br />
Hier sei letztlich auch nicht verschwiegen,<br />
das Pflegende – Männer genau so wie<br />
Frauen – durchaus auch Opfer von sexuellen<br />
Übergriffen alter Menschen sein können.<br />
Situationen die oft zutiefst verwirren und<br />
aufgearbeitet werden müssen.<br />
Ein konstruktiver Umgang mit der Sexualität<br />
alter Menschen schließt einen ebensolchen<br />
mit der Sexualität jener, die diese pflegen<br />
sollen mit ein. Auch darin zeigt sich die<br />
Wertschätzung, die eine Organisation ihren<br />
MitarbeiterInnen entgegenbringt.<br />
Quelle: de.wikipedia.org<br />
Die Fortbildung zum Thema in Ihrer Organisation:<br />
Inhouse-Seminar: Sexualität in der Altenpflege<br />
Ziel:<br />
Inhalte:<br />
Die – auf Wunsch ausschließlich weiblichen – SeminarteilnehmerInnen<br />
sollen sexuelle Bedürfnisse und Probleme alter Menschen sowie ihre<br />
eigenen Gefühle im Umgang mit diesen Thema wahrnehmen lernen<br />
und im pflegerischen Alltag gewährleisten können.<br />
Die Entwicklung der Sexualität im Alter Was ist „normal“, was<br />
nicht? Sexuelle Funktionsstörungen und Behandlungsmöglichkeiten<br />
Sexuelle Gewalt in der Biographie und ihre Auswirkungen im Alter<br />
Sexualität und Demenz Homosexualität im Altenheim – wirklich<br />
kein Problem? Die eigene Situation als Pflegende/r und Frau/ Mann<br />
DozentIn: DGKP Christian Luksch, Dozent für <strong>Geronto</strong>psychiatrische Pflege und/<br />
oder DGKS Manuela Steinmetz, diplomierte Erwachsenenbildnerin<br />
Methoden: Impulsreferate, Skripten, Storytelling, reflektierte Gruppenarbeiten<br />
und Fallbesprechungen aus der Praxis der TeilnehmerInnen<br />
Preis:<br />
Dauer:<br />
Kontakt:<br />
1200,- € für insgesamt 12 TeilnehmerInnen (inkl. USt.)<br />
16 Unterrichtseinheiten (2 Tage)<br />
office@geronto.at<br />
12
Schwerpunkt<br />
Sexualität in der Altenpflege – Tabu oder Normalität?<br />
Zu kaum einem anderen Thema herrscht zwischen MedizinerInnen, PsychologInnen<br />
und SoziologInnen ein ähnlicher Konsens wie in der Aussage, dass Sexualität im Alter<br />
– und hier ganz besonders in Altenpflegeorganisationen – ein Tabu ist. Jedoch: Was<br />
ist ein Tabu eigentlich? Was ist Sex? Was ist Alter? Und stimmt die Aussage wirklich?<br />
Definitionsversuche<br />
Unter Sexualität (vom lat. Sexus für Geschlecht)<br />
wird die körperliche Geschlechtlichkeit<br />
eines Menschen verstanden. Im biologischen<br />
Sinn bezeichnet der Begriff die<br />
Gegebenheiten von mindestens zwei fortpflanzungsfähigen<br />
Lebewesen der selben<br />
Art, im psychologischen Sinn werden damit<br />
alle Empfindungen, Äußerungen und Interaktionen<br />
von Menschen in bezug auf ihr<br />
Geschlecht bezeichnet, im soziologischen<br />
Sinn alle geschlechtlichen Verhaltensweisen<br />
von Menschen untereinander.<br />
Zunehmend mehr setzt sich in den Geistesund<br />
Verhaltenswissenschaften der angloamerikanische<br />
Begriff „Gender“ durch, der<br />
vor allem soziale Geschlechtsmerkmale und<br />
Geschlechterrollen umschreibt.<br />
Der Begriff Alter hingegen ist nicht ganz so<br />
einfach zu definieren, auch deswegen weil<br />
es unterschiedliche Altersbegriffe gibt: Das<br />
kalendarische Alter etwa bezeichnet die Anzahl<br />
von bestimmten, bereits gelebten,<br />
Zeiteinheiten und dient unter anderem als<br />
juristische Basis (z. B. zur Berechnung des<br />
Pensionsanspruches). Das biologische Alter<br />
bezieht sich auf anatomische, physiologische<br />
und funktionelle Gegebenheiten des<br />
Körpers und mit dem psychologischen Alter<br />
werden die Summe der Erfahrungen und<br />
erlernten Verhaltensweisen umschrieben.<br />
Schließlich gibt es dann noch die eher weniger<br />
scharf umschriebene Begriffe des sog.<br />
relativen Alters (in Bezug auf andere Altersgruppen)<br />
und des individuellen Alters (wie<br />
alt man sich fühlt), das aber wiederum von<br />
anderen Parametern, wie der körperlicher<br />
Gesundheit, dem affektiven Zustand, dem<br />
sozialem Umfeld etc. abhängig ist.<br />
Im allgemeinen Konsens bezeichnet der<br />
Begriff Alter die sogenannte 3. Lebensphase<br />
(nach Kindheit und Erwachsenenalter) und<br />
kann weiter in frühes (60 – 75) und hohes<br />
(75+) Alter unterteilt werden. Diese Unterteilungen<br />
sind jedoch willkürlich.<br />
Bezogen auf die Sexualität beginnt das Alter<br />
allerdings schon früher, nämlich um das 45.<br />
Lebensjahr, wenn der Körper beginnt, seine<br />
Reproduktionsfähigkeit einzustellen. Dies ist<br />
vor allem bei der Frau durch das Ende der<br />
Ovarienbildung sicht-, und nachweisbar,<br />
aber auch beim Mann, der zwar theoretisch<br />
weiter im Stand bleibt, Samen zu produzieren,<br />
in der Praxis aber häufiger scheitert als<br />
die Frau, was kulturell, psychologisch, oder<br />
auch physiologisch durch andere Noxen wie<br />
Lebensführung, Ernährungsweise oder Substanzmissbrauch<br />
begründet zu sein scheint.<br />
Die Einstellung der Reproduktionsfähigkeit<br />
heißt aber nicht zwangsläufig auch die Einstellung<br />
der sexuellen Appetenz. Diese folgt<br />
eigenen Gesetzen: Sie tritt solange auf, bis<br />
sie befriedigt wird, wobei die Art der Lustbefriedigung,<br />
offen, individuell unterschiedlich,<br />
aber prinzipiell auch variabel ist.<br />
Funktionelle Probleme die sich dabei auftun<br />
können, sind eher die geringeren, weil sie i.<br />
R. behandelbar sind. Das größere Problem<br />
sind die Erwartungen, die wir an uns und an<br />
unsere Mitwelt, aber auch jene, die andere<br />
an uns haben. Wir müssen ein bestimmtes<br />
Bild darstellen, um als vollwertige (normale)<br />
Mitglieder der (Leistungs-) Gesellschaft zu<br />
gelten. Sexuelle Aktivität scheint ein wichtiger<br />
Teil davon zu sein. Ist sie nicht (mehr)<br />
vorhanden, kann es sich bei unserer Diktion<br />
von Normalität nur mehr um einen Zustand<br />
handeln, der auch behandelt werden muss.<br />
13
Tabu, erklärt das Internetlexikon Wikipedia,<br />
„ist eine gesellschaftliche Verhaltensregel,<br />
die etwas streng verbietet. Charakteristisch<br />
ist, dass diese Verhaltensregel unausgesprochen<br />
bleibt und nur durch indirekte<br />
Thematisierung oder beredtes Schweigen in<br />
Geltung gesetzt wird; wodurch sie der Begründung<br />
und Kritik entzogen bleibt“ und<br />
zitiert in einem Aufwaschen auch Freud:<br />
„Tabuverbote entbehren jeder Begründung,<br />
sie sind unbekannter Herkunft; uns unverständlich,<br />
aber jenen selbstverständlich, die<br />
unter ihrer Herrschaft leben.“<br />
Wenn diese Definition auch nur annähernd<br />
stimmt, führt sich die eingangs erwähnte<br />
Aussage, dass Sexualität im Alter ein Tabu<br />
ist, bereits selbst ad absurdum. Wie sonst<br />
würde derart viel über genau dieses Thema<br />
publiziert: 5,3 Millionen Seiten zeigt Google<br />
nach Eingabe des Suchbegriffes „Sexualität<br />
im Alter“ und noch immer 95.400 Seiten<br />
zum Begriff „Sexualität im Altenheim“ allein<br />
im deutschsprachigen Internet an. Keine<br />
Rede also von einem „strengen Verbot“.<br />
Eher scheint es Tabu zu sein, von Sexualität<br />
im Alter jenseits aller Mutmaßungen über<br />
rüde Rammlereien (vulgo Penetrationen),<br />
zu sprechen. Man mag es sich einfach nicht<br />
vorstellen, dass ältere Menschen Sex haben<br />
(„Macht ihr es wirklich noch?“ fragte mich<br />
meine damals 13-jährige Tochter schon vor<br />
zwölf Jahren. Ich war da grad mal 36.)<br />
„Ja, wir machen es wirklich noch!“<br />
Das behaupten auch Herta (79) und Adolf<br />
(84), die sich vor zwei Jahren in einem Grazer<br />
Seniorenheim ineinander verliebten. „Es<br />
war wie mit 19“ sagt Herta, „Hummeln im<br />
Bauch und ein unheimliches Verlangen nach<br />
ihrem Körper“, ergänzt Adolf.<br />
Doch der Weg zum Sex war für die beiden<br />
nicht einfach: Viagra kam für den herzkranken<br />
Adolf nicht in Frage, Herta litt unter<br />
Schuldgefühlen. Schließlich halfen ein paar<br />
Gespräche mit der Hauspsychologin und ein<br />
Besuch in einem Erotikgeschäft, wo die beiden<br />
im Umgang mit einer Vakuumpumpe<br />
geschult wurden. Seither sei alles perfekt.<br />
Bis auf die Blicke, die den beiden ab und zu<br />
von anderen MitbewohnerInnen im Speisesaal<br />
zugeworfen würden. „Weil du immer so<br />
laut dabei bist!“ sagt Adolf. „Na weil du so<br />
gut bist!“ gibt Herta grinsend zurück.<br />
Manchmal kann man es sich aber auch nicht<br />
vorstellen, dass Sex zwangsläufig andere<br />
Formen annimmt, wenn physiologische oder<br />
psychologische Entwicklungen das Bekannte<br />
unmöglich oder uninteressant machen.<br />
Erich und Gertraud sitzen auf der Terrasse<br />
eines Geriatrischen Tageszentrums in Linz<br />
und genießen die erste warme Frühlingssonne.<br />
Der 68-jährige Residualschizophrene<br />
raucht die achte Smart seit zwei Stunden,<br />
nun will er ein neues Päckchen. Gertraud,<br />
81 und an Alzheimer erkrankt, ist an seiner<br />
Schulter eingeschlafen. Auf den Hinweis der<br />
Pflegeschülerin, wenn er Zigaretten wolle,<br />
dann müsse er sich die, wie üblich, bei seinem<br />
Bezugspfleger abholen, raunzt er: „Des<br />
geht net, do weck i jo die Gerti auf!“<br />
Ist das jetzt Sex? Wenn ja, warum dann das<br />
Gezeter um Erektion und Lubrikation? Wenn<br />
nein, was ist es dann? Platonische Liebe?<br />
Philemon und Baukis<br />
So stellen wir uns das vor: Philemon und<br />
Baukis, Händchen haltend am Bankerl vorm<br />
Haus in der milden Abendsonne, umgeben<br />
von zwitschernden Vogerln. Ein Schlafzimmerbild,<br />
wie der röhrende Hirsch am Bergsee.<br />
Die Realität sieht anders aus. Aber wird<br />
sie auch gesehen, zumindest von jenen, die<br />
sie uns erklären wollen?<br />
Hermine Bleiberger sieht in ihrer Arbeit über<br />
„Sexualität im Alter“, dass in Altenheimen<br />
eher nach „durchgeplanten Arbeitsabläufen<br />
gestrebt wird, als dass die Abläufe an reale<br />
Bedürfnisse der HeimbewohnerInnen angepasst<br />
werden und meint, es hänge „vom<br />
Personal ab, inwieweit es auf die Bedürfnisse<br />
der BewohnerInnen eingeht“.<br />
14
Stimmt. Und stimmt gleichzeitig auch nicht.<br />
Denn was nutzt beste Absicht und bestes<br />
Wissen, wenn ich als Pflegeperson in meinen<br />
Entscheidungen an das Okay von Heimund<br />
Pflegedienstleitung, von Angehörigen,<br />
Sachwalter- und Patientenanwaltschaft, bis<br />
hin zu Pfarrer, BürgermeisterIn und dem<br />
Vorstand des Ortsverschönerungsvereines<br />
gebunden bin?<br />
Oder wären das im folgenden Beschriebene<br />
auch bei Ihnen möglich?<br />
Männerkino<br />
Jeden zweiten Donnerstag im Monat ist auf<br />
der Station 4 eines Münchner Altenheims<br />
Herrenabend. Dann verhängt Pfleger Leo<br />
die Fenster mit blickdichten Decken, zwei<br />
Bewohner bringen eine Kiste Leichtbier und<br />
Aschenbecher. Danach wird Video geguckt.<br />
Aber nicht Hans Albers oder John Wayne<br />
sondern: „Liebesgrüße aus der Lederhose“,<br />
„Schulmädchenreport“ und „Die Wirtin von<br />
der Reeperbahn“. Softpornos der frühen<br />
Siebziger Jahre sind der Renner bei der<br />
Männergruppe der Station. Und sie werden<br />
nicht nur geduldet sondern sogar gefördert<br />
– bis hin zur Abteilungsführung.<br />
„Wir haben uns schon früh auf die Pflege<br />
von alten Menschen aus unteren sozialen<br />
Schichten spezialisiert“, erklärt die Leiterin<br />
der Einrichtung, „AlkoholikerInnen, ehemalige<br />
GefängnisinsassInnen, Prostituierte –<br />
wir sind nicht wählerisch.“ Da zählen offensichtlich<br />
ganz andere Normen, auch in der<br />
Frage nach den sexuellen Bedürfnissen.<br />
Das Männerkino gebe es seit einem Jahr<br />
berichtet die 43-jährige ehemalige Streetworkerin.<br />
Es wurde notwendig, nachdem es<br />
immer wieder zu Reibereien zwischen den<br />
Männern um mitgebrachte Pornoheftchen<br />
kam. Den Vorschlag brachte eine Pflegeschülerin<br />
ein und setzte ihn auch gleich um.<br />
Der Erfolg war enorm: „Es kam nicht nur zu<br />
keinen Konflikten zwischen den Männern<br />
mehr, sie zeigen nun auch eine höhere<br />
Compliance für andere Maßnahmen.“<br />
Zu den von manchen befürchteten Masturbationsorgien<br />
kam es nie. „Wenn sich jemand<br />
selbst befriedigen will, dann tut er es<br />
allein. Aufhalten kann man das ja ohnehin<br />
nicht“ meint Pfleger Leo und fügt hinzu:<br />
„Was ich nicht will, dass man mir tu, füg ich<br />
auch keinem andern zu!“<br />
Use it or loose it!<br />
Ganz so würde das auch Franz sehen. Der<br />
92-jährige, ehemalige Vertriebsleiter eines<br />
Wiener Verlages geht einmal pro Monat ins<br />
Bordell. Und das seit zwanzig Jahren und<br />
trotz Gehbehinderung. Doch das war nicht<br />
immer so: 44 Jahre war er mit Anna verheiratet<br />
und 44 Jahre war er treu. Dann starb<br />
Anna plötzlich. Franz fiel in ein fünf Jahre<br />
währendes schwarzes Loch aus Wut und<br />
Depression. Über eine Trauergruppe lernte<br />
er neue Bekannte kennen, einer davon<br />
nahm ihn eines Tages in eine Bar mit.<br />
„Und dann war die Lust wieder da“ berichtet<br />
Franz. Die hatte zwar noch jede Menge<br />
Kämpfe mit dem schlechten Gewissen auszustehen,<br />
siegte aber dann doch. „Die Mädels<br />
gaben mir meine Lebensfreude wieder<br />
zurück. Und sie halfen mir auch über Annas<br />
Tod hinweg zu kommen. Das ist verrückt,<br />
ich weiß, aber es ist so.“<br />
Seit 1988 besucht er regelmäßig Coras Club<br />
im zweiten Wiener Gemeindebezirk – ein<br />
Stammgast, dem auch schon mal Kredit<br />
gewährt wird. Nicht mal ein Oberschenkelhalsbruch<br />
vor einigen Jahren hielt ihn lange<br />
von seinen Besuchen auf.<br />
„Da kam der Chef persönlich hier an, um<br />
nachzusehen was los sei!“, erzählt er stolz,<br />
„und bot mir sogar Hausbesuche von seinen<br />
Damen an, was bei denen sonst streng verboten<br />
ist.“ Man einigte sich dann auf Nachmittagsbesuche<br />
im Etablissement zu denen<br />
ihn dann immer sein Heimhelfer bringt und<br />
wieder abholt.<br />
Auf die Frage wie er das schaffe – in seinem<br />
Alter, lacht er auf. „Wissen Sie“, sagt<br />
er und nimmt einen tiefen Zug von seiner<br />
Zigarette, „die Amerikaner haben da ein<br />
Sprichwort: Use it or loose it!“ Seine Kinder<br />
wissen bis heute von all dem nichts.<br />
15
„Dafür bezahlen Sie uns nicht!“<br />
Annemaries Kinder hingegen wissen alles,<br />
kennen alles, haben alles durchgemacht,<br />
was sie niemals für möglich gehalten hätten<br />
in ihrem bäuerlich-katholischen Milieu im<br />
Kärntner Unterland. Annemarie hat einen<br />
Morbus Pick, eine Demenzart, die vor allem<br />
das Frontalhirn betrifft und schon recht früh<br />
zu einer umfassenden – auch und gerade<br />
sexuellen – Enthemmung führt.<br />
„Es war wirklich schlimm“ berichtet Sabine,<br />
ihre 40-jährige Tochter, selbst Krankenpflegerin.<br />
„Manchmal lief sie splitternackt aus<br />
dem Haus, steckte sich Dinge in die Scheide<br />
und schrie sogar den Pfarrer an, er solle ihr<br />
endlich geben, was ihr der Vater immer nur<br />
genommen hat.“<br />
Hin und hergerissen zwischen Pflichtgefühl<br />
und Fachwissen entschied sich die Familie<br />
schließlich Annemarie in ein Heim zu geben.<br />
Die Symptomatik wurde dort nicht besser.<br />
„Wir erwarteten, dass sie wenigstens Medikamente<br />
gegen diese sexuelle Unruhe bekam,<br />
aber der Arzt meinte, er würde nicht<br />
dafür bezahlt, Dinge zu tun, die ohnehin<br />
nichts bringen würden.“<br />
Das verwirrte die ansonst kritische Krankenschwester<br />
dann doch sehr. Erst langsam<br />
begann sie zu verstehen, dass diese Symptome<br />
tatsächlich nur schwer und wenn,<br />
dann mit ganz anderen Mittel als den üblichen<br />
aus der Apotheke zu behandeln sind.<br />
„Wir achten da eher drauf, dass bei diesen<br />
PatientInnen die hygienischen Bedingungen<br />
passen“ erklärt die Kollegin von der Station,<br />
auf der Annemarie untergebracht ist. „Es<br />
hat wenig Sinn, der Frau jedes mal die<br />
Hand aus der Windel zu ziehen. Besser ist<br />
es da schon, wenn die Fingernägel kurz sind<br />
und die Haut gepflegt wird.“<br />
Interessiert sieht Annemarie zu, wie ihr die<br />
Pflegerin die Nägel manikürt. Dann greift sie<br />
der jungen Slowenin ohne Vorwarnung an<br />
die Brust. Die sieht die Alte liebevoll, aber<br />
bestimmt an. „Tu mich nicht zwicken, Frau<br />
Annemarie!“ sagt sie und lässt die Hand der<br />
Alten so lange dort, bis diese sie selbst<br />
wegnimmt und an ihre eigene Brüste führt.<br />
Ist das Sex? Die junge Pflegerin zuckt mit<br />
den Schultern, lächelt verlegen. „Ich weiß<br />
nicht. Ist das wichtig?“ Nein, ist es nicht.<br />
War nur so eine Frage.<br />
Ausnahme oder Regel?<br />
Der Universitätsdozent Eugen Plas beklagt<br />
in einem Artikel über Alterssexualität sowohl<br />
fehlende wissenschaftliche Daten als auch<br />
deren Akzeptanz durch die MitarbeiterInnen.<br />
Dazu berichtet er u. a. über ein Fortbildungsprojekt<br />
zum Thema, dass zwar das<br />
Wissen der MitarbeiterInnen signifikant verändern<br />
konnte, nicht aber deren „zurückhaltende<br />
Einstellung“ zur Alterssexualität.<br />
Nun entzieht es sich leider unserer Kenntnis<br />
in welcher Einrichtung, mit welchen Mitteln<br />
und mit welchen MitarbeiterInnen das dort<br />
zitierte Projekt ablief, aber dass vieles aus<br />
der Perspektive des Elfenbeinturms anders<br />
aussieht als außerhalb dieses, ist selbst uns<br />
klar. Und von der Kybernetik zweiter Ordnung,<br />
nachdem sich das Verhalten von Beobachteten<br />
verändert, sobald sie wissen,<br />
dass sie beobachtet werden (H. v. Foerster)<br />
haben wir auch schon gehört.<br />
Nichts desto trotz hat Dr. Plas aber auch<br />
recht. Trotz dass unser Lokalaugenschein<br />
„von unten“ weitaus besser ausfiel, als wir<br />
zunächst noch dachten, ist ein „normaler“<br />
Umgang mit der Sexualität alter Menschen<br />
in den Heimen eher die bestätigende Ausnahme,<br />
denn die wünschenswerte Regel.<br />
Alleine die Ursachen liegen nicht so sehr in<br />
einem Desinteresse oder Nicht-Wollen der<br />
Pflegepersonen, sondern sind eher in einem<br />
gesamtkulturellen Kontext zu sehen.<br />
Wenn pflegende MitarbeiterInnen nicht als<br />
sexuelle Wesen wahrgenommen werden –<br />
indem etwa von Mitarbeitern gesprochen<br />
wird, obwohl die Hauptarbeit von Frauen<br />
(und damit Mitarbeiterinnen) geleistet wird,<br />
dann ist das ebenso wenig ausschließlich<br />
deren Angelegenheit, wie Sexualität in der<br />
Altenpflege ausschließlich ein Tabu ist.<br />
16
Homosexualität im Alter<br />
Während sich langsam aber sicher die Erkenntnis breit macht, dass auch alte Menschen<br />
noch Sex haben, wird eine Variante davon – jene mit gleichgeschlechtlichen<br />
PartnerInnen - weiter verdrängt. Jedoch es gibt sie wirklich, die alten Schwulen. In<br />
Berlin soll jetzt ein eigenes Heim für diese Gruppe geschaffen werden.<br />
Die Sonne lacht vom leicht bewölkten Himmel,<br />
Spatzen hüpfen von Tisch zu Tisch, die<br />
Terrasse eines Schwulen-Cafés unweit vom<br />
Berliner Wittenbergplatz ist liebevoll gedeckt<br />
und der Kaffee duftet. Wohlbefinden<br />
macht sich breit. Ein älterer Mann betritt<br />
langsam die Terrasse. Seine Gehhilfe begleitet<br />
ihn zum Tisch in die Mitte der Terrasse.<br />
Schon ist die Bedienung da: „Na,<br />
Horst, Kaffee, wie immer?“<br />
Horst bestellt mit leiser, erschöpfter Stimme<br />
einen Kaffee und ein Glas Wasser. Alt, mit<br />
Gehhilfe ausgerüstet, schwach und kraftlos.<br />
Wie er sich im Moment fühlt? Warum hat er<br />
keine Begleitperson an seiner Seite? Gibt es<br />
eigentlich kein Seniorenheim für Schwule?<br />
Wie ist das, wenn man als Schwuler alt,<br />
klapprig und alleine ist und die Mitbewohner<br />
im Seniorenheim einen schief ansehen?<br />
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die<br />
Schwulenberatung Berlin. Sie leistet seit 26<br />
Jahren psychosoziale Beratung für homound<br />
bisexuelle Männer und Frauen und versteht<br />
sich als die Ansprechpartnerin für die<br />
schwule Community in Berlin, mit ca. 200 -<br />
250.000 Mitgliedern.<br />
Für die Gruppe der 40.000 älteren schwulen<br />
Männer und Frauen in Berlin besteht das<br />
Netzwerk "Anders Altern", das Personen in<br />
unterschiedlichen Lebenslagen unterstützt.<br />
Die Angebote reichen von Beratung, Gesprächgruppen,<br />
einen mobilen Besucherdienst<br />
bis hin zu Freizeitaktivitäten.<br />
Der 74-jährige Berliner Horst gehört zu dieser<br />
Zielgruppe: „Ich habe doch niemanden<br />
mehr, da komme ich eben hier ins Café um<br />
Kontakt mit Schwulen, wie ich es bin, zu<br />
haben. Wenn ich nicht aus dem Haus gehen<br />
kann, nutze ich den Besuchsdienst der<br />
Schwulenberatung“, sagt er mit zittriger<br />
Stimme. „Ich bin in Berlin geboren und habe<br />
in meinen 50 Jahren schwules Leben<br />
soviel Diskriminierung erlebt, da möchte ich<br />
jetzt ganz sicher nicht in ein herkömmliches<br />
Pflegeheim ziehen müssen“.<br />
Schwerpunkt<br />
In genau so einem herkömmlichen Altersheim<br />
in Berlin lebt Hans, ein ehemaliger<br />
Wirt zweier Bars in Berlin-Schöneberg. „Ich<br />
bin Hans, 1935 geboren. Was willst du wissen?“<br />
Er steht in seinem geräumigen Zimmer<br />
in einem Altersheim in Berlin-<br />
Wilmersdorf. Das ist wohl seine Art, das Eis<br />
zu brechen. Langsam geht er zu einem<br />
schmalen, alten Sessel, setzt sich und wartet<br />
auf Fragen. Es gibt viel, was man sich<br />
von ihm erzählen lassen kann.<br />
Wie war es, eine Schwulen-Kneipe zu<br />
betreiben, als Sex unter Männern noch mit<br />
Gefängnis bestraft wurde? Wie ist es für<br />
einen Kerl, der Sex und Suff liebte, wenn<br />
man ein Altersheim und einen Gehwagen<br />
braucht? Und wie kriegt er das hin: Weiterleben,<br />
obwohl vor zwei Jahren der Mann<br />
gestorben ist, mit dem er drei Jahrzehnte<br />
zusammen war?<br />
Es gehe ihm gut, hier im Heim, sagt Hans,<br />
es klingt fast überzeugend. „Ich habe mich<br />
arrangiert. Das musst du, wenn du nicht mit<br />
Schwulen zusammen leben kannst.“, sagt er<br />
und erzählt vom gemeinsamen Singen, Bingo-Abenden<br />
und Gymnastik mit den Heteros<br />
um ihn herum. Er mache alles mit, auch<br />
wenn sein Leben vor dem Altersheim anders<br />
aussah und er der einzige Schwule hier<br />
im Heim ist.<br />
17
Doch die Mehrzahl der älteren Schwulen<br />
kann sich nicht so arrangieren wie Hans<br />
und die Diskriminierungsängste sitzen ihnen<br />
noch heute im Nacken. Sie wünschen sich<br />
einen Ort, wo sie ohne Angst vor Diskriminierung<br />
altern können. Sie wünschen sich<br />
ein Wohnprojekt, das auf die besonderen<br />
Bedürfnisse homosexueller Senioren zugeschnitten<br />
ist.<br />
Im "Netzwerk Anders Altern" der Schwulenberatung<br />
Berlin ist Wohnen im Alter immer<br />
ein großes Thema. Viele ältere schwule<br />
Männer fürchten die Einsamkeit im Alter,<br />
wie andere ältere Menschen. Sie fürchten<br />
darüber hinaus, als einziger Homosexueller<br />
in einem herkömmlichen Pflegeheim zu landen,<br />
ausgegrenzt zu werden, weil dort<br />
schwule Lebensthemen keinen Platz haben.<br />
Die Regenbogenvilla in Berlin<br />
Um einen diskriminierungsfreien Lebensund<br />
Wohnraum für ältere und jüngere<br />
schwule Männer und Frauen, die auf den<br />
besonderen Schutz ihrer Lebensweisen angewiesen<br />
sind, zu schaffen, hat die Schwulenberatung<br />
Berlin mit interessierten, zukünftigen<br />
BewohnerInnen, das Model eines<br />
Lebensform und Generationen übergreifenden<br />
Wohnens im Kiez, ins Leben gerufen.<br />
Die Regenbogenvilla in Berlin - Charlottenburg,<br />
wird die Mehrzahl der Appartements<br />
an alleinstehende, schwule SeniorInnen<br />
vermieten.<br />
Sie bilden die Hauptzielgruppe dieses Mehrgenerationen-Hauses,<br />
welches homosexuellen<br />
SeniorInnen Mitte 2009 erstmals eine<br />
Alternative zu einem herkömmlichen Altersbzw.<br />
Pflegeheim bietet. Damit könnte der<br />
zentrale Wunsch älterer schwuler Männer<br />
und lesbischer Frauen, der Einsamkeit im<br />
Alter, durch gelebte Nachbarschaft mit jüngeren<br />
und älteren Menschen, entkommen,<br />
erfüllt werden. Das gemeinsame Wohnen<br />
könnte zu Wahlfamilien oder Freundeskreisen<br />
führen, die sich bei Problemen untereinander<br />
helfen.<br />
Quelle: www.m-ermisch.de<br />
Buchtipp:<br />
Michael Bochow: Ich bin doch<br />
schwul und will das immer bleiben<br />
Schwule Männer im 3. Lebensalter<br />
Einer ist Jahrgang 1925, hatte schon in der<br />
Jugend homo-sexuelle Kontakte und blickt<br />
zufrieden auf ein erfülltes Leben zurück.<br />
Einsam ist er auch im Alter nicht. Ein Anderer<br />
war lange verheiratet, entdeckt seine<br />
Homosexualität erst<br />
mit 60 und versteckt<br />
sie gegenüber seiner<br />
Familie. Wie soll er<br />
Kraft aus einer<br />
Gemeinschaft<br />
schöpfen, die ihn<br />
trägt?<br />
Ob Schwule Angst<br />
vorm Alter haben, ob<br />
sie im "dritten" Lebensalter<br />
einsam und<br />
versteckt leben, ob sie ein soziales Netz,<br />
Freunde und Kontakt zur "Szene" haben,<br />
hängt von vielen Bedingungen ab.<br />
Wovon und auf welche Weise sich ihre zu<br />
einem erheblichen Teil schwierige Situation<br />
verbessern ließe, hat der Berliner Soziologe<br />
Michael Bochow im Auftrag des Schwulen<br />
Forums Niedersachsen untersucht.<br />
33 schwule Männer, die 55 Jahre alt und<br />
älter sind, hat er für seine Studie interviewt.<br />
Die Ergebnisse werden in Form einzelner,<br />
gut lesbarer und oft auch anrührender Lebensgeschichten<br />
präsentiert und einer Analyse<br />
unterzogen.<br />
Um den Blick nicht zu verengen, hat Bochow<br />
zum Vergleich auch einige deutlich<br />
jüngere Männer nach ihrer Lebenssituation<br />
befragt.<br />
Am Ende formuliert er die Anforderungen,<br />
die sich daraus ergeben: an die Schwulen<br />
selbst und ihre Community, an die Sozialpolitik<br />
und an die ganze Gesellschaft.<br />
Dieser hervorragende Band zeigt die verschiedenen<br />
Aspekte schwulen Lebens von "älteren"<br />
Männern. ... Für mich ein sehr liebevolles Buch<br />
über Männer mit Geschichte(n). Unbedingt<br />
empfehlenswert.<br />
Mario Reinthaler in Xtra 10/2005<br />
18
Schwerpunkt<br />
Sexualität und Alter im Spielfilm<br />
Sex and Crime – das sind grundlegende Zutaten für einen Kino-Blockbuster. Was den<br />
Crime betrifft, sind ältere (v. a. männliche) Schauspieler noch ganz gut vertreten, wie<br />
man an Clint Eastwood (79) oder Morgan Freeman (72) sieht. Aber was ist mit Sex?<br />
Mit wenigen Ausnahmen – z. B. dem Kultfilm<br />
„Harold and Maude“ (1971) sowie<br />
einigen Autorenfilmen, wie „Angst essen<br />
Seele auf „ (1973) kam die Sexualität alter<br />
Menschen in Kinofilmen bis in die 1990er<br />
Jahre so gut wie gar nicht vor und wenn,<br />
dann nur in Form potenter reifer Herren, an<br />
deren Seite sich lasziv jüngere, aber meist<br />
auch gelangweilte Damen rekelten.<br />
Offensichtlich mussten da ein paar SchauspielerInnen<br />
und RegisseurInnen gehobeneren<br />
Niveaus selbst ins „gewisse Alter“<br />
kommen, damit die künstlerische Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema im Mainstreamkino<br />
überhaupt beginnen konnte, wie etwa<br />
Marlon Brando und Jack Nicholson.<br />
Einer der ersten kommerziell erfolgreicheren<br />
Streifen, der das Thema Sexualität im Alter<br />
zum Inhalt hatte und nicht nur nebenbei<br />
abhandelte, war Don Juan de Marco<br />
(1995). Marlon Brando spielt darin einen<br />
beruflich und privat ausgebrannten Psychiater,<br />
der kurz vor seiner Pensionierung einen<br />
jungen Wahnkranken, der sich für Don Juan<br />
hält (dargestellt vom rattenscharfen Johnny<br />
Depp), behandeln soll. Doch die Rollen ändern<br />
sich rasch und am Ende ist zwar nicht<br />
der junge Kranke von seinem Wahn, aber<br />
der ältere Arzt von seinem Burnout geheilt.<br />
Ein amüsantes und leichtes Stück über die<br />
Wichtigkeit der Romantik, das besonders<br />
älter werdenden Männern zu empfehlen ist<br />
– natürlich nur in weiblicher Begleitung!<br />
Besondere Beachtung zum Thema Sex im<br />
Alter verdienen vor allem Jack Nicholsons<br />
spätere Werke, die mit wenigen Ausnahmen<br />
immer besser zu werden scheinen. In Wolf<br />
(1994) mimt der damals 57-jährige einen<br />
ängstlich-angepassten Durchschnittsbürger,<br />
der sich nach einem Biss von einen Wolf,<br />
nicht nur in einen solchen, sondern zunehmend<br />
auch in jenes typische Mannsbild<br />
verwandelt, der er eigentlich immer schon<br />
sein wollte und auf den offensichtlich auch<br />
die typisch amerikanische Durchschnittsfrau<br />
(nur die?) steht. Ein Klischeestück zwar,<br />
aber wenigstens kein schlechtes.<br />
Mit „About Schmidt“ (2002) knüpft der<br />
Großmeister des Alltagswahnsinn nahtlos an<br />
seine mit dem Oskar prämierte Leistung als<br />
misanthroper Zwangsneurotiker in „Besser<br />
geht’s nicht“ (1997) an. Er spielt darin<br />
einen 67-jährigen Rentner, der seine Tochter<br />
von der Heirat mit einem Wasserbett-<br />
Verkäufer abhalten will und dabei gnadenlos<br />
in jedes (auch sexuelles) Fettnäpfchen<br />
tappt, das ihm gerade in den Weg kommt.<br />
Grandios etwa, wenn er über seine 43 Ehejahre<br />
resümiert: „Wer ist diese alte Frau in<br />
meinen Bett?“, einer Fremden in den Ausschnitt<br />
fällt oder vor dem sexuellen Appetit<br />
einer wunderbar fetten und splitternackten<br />
Kathy Bates Reißaus nimmt.<br />
Ein Jahr nach „About Schmidt“ erschien<br />
„Was das Herz begehrt“ (2003), in dem<br />
Nicholson nochmals zur Hochform aufläuft –<br />
als promiskuitiver 70-jähriger dessen bevorzugte<br />
Bettgenossinnen auch seine Enkeltöchter<br />
sein könnten. Doch als er sich eines<br />
Tages in die Mutter einer seiner Gespielinnen<br />
verliebt, erleidet er einen Herzinfarkt.<br />
Damit jedoch nicht genug: Auch sein Arzt<br />
(Keanu Reeves) verknallt sich in seine neue,<br />
nun aber gleichaltrige, Flamme.<br />
Zwar ist es köstlich, wie Nicholson den bis<br />
zur Schmerzgrenze kitschigen Reeves allein<br />
durch Nichtbeachtung an die Wand spielt,<br />
das eigentlich Interessante an der Story –<br />
die Situation der reifen Frau, die von zwei<br />
Männern – einem jungen und einem alten –<br />
gleichzeitig umworben wird, gerät dabei<br />
leider all zu sehr in den Hintergrund.<br />
19
Um die Thematik der Sexualität der reiferen<br />
Frau differenzierter auszuarbeiten, musste<br />
dann schon europäisches Kino, konkret das<br />
britische, helfen: 2003 entstand „Kalender<br />
Girls“ – die, auf einer wahren Begebenheit<br />
basierende Geschichte von zwölf Frauen<br />
zwischen 60 und 80, die sich, um ein Hospiz<br />
für Krebskranke vor dem Konkurs zu retten,<br />
entschließen, Aktfotos von sich machen zu<br />
lassen und als Pinup-Kalender zu verkaufen.<br />
Die Idee erweist sich – im Film wie in der<br />
Realität – als absoluter Verkaufsschlager<br />
und ehe es sich die biederen Countryladies<br />
versehen, finden sie sich im harten Business<br />
der Werbe- und Unterhaltungsbranche, was<br />
sie natürlich bis knapp an den Verlust von<br />
Verstand und Freundschaft bringt.<br />
Etwas härter geht die Tragikomödie „Irina<br />
Palm“ (2007) ans Thema Sex im Alter ran:<br />
Ex-Rocksängerin Marianne Faithfull spielt<br />
darin eine Pensionistin, die Geld für eine<br />
Operation ihres Enkels braucht und dazu als<br />
Hostess in einem Sex-Club anheuert, ohne<br />
recht zu wissen, was eine Hostess eigentlich<br />
so tut. Doch sie bekommt den Job und aufgrund<br />
ihrer „manuellen“ Fähigkeiten avanciert<br />
sie bald zum Star des Etablissements,<br />
was natürlich wiederum jede Menge familiärer<br />
Schwierigkeiten mit sich bringt.<br />
Eine gewagte Arbeit, mit viel Liebe und viel<br />
Respekt – auch für die SexarbeiterInnen im<br />
Milieu, bei der man merkt, dass nicht nur<br />
alle Mitwirkenden ihren Spaß daran hatten,<br />
sondern die auch die Lust älterer Frauen in<br />
ein angenehmes (Rot-) Licht rückt.<br />
Ein völlig anderes Thema behandelt das,<br />
von der erst 27-jährigen Kanadierin Sarah<br />
Polley inszenierte Drama „An ihrer Seite“<br />
(2006), nämlich Liebe und Sexualität in der<br />
Demenz. Julie Christie spielt die 65-jährige<br />
Fiona, die an Alzheimer erkrankt ist. Als sie<br />
sich im Winter im Wald verläuft, zwingt sie<br />
Grant, ihren Mann, sie in ein Pflegeheim zu<br />
bringen. Dort allerdings gibt es eine Bedingung:<br />
Kein Besuch in den ersten dreißig<br />
Tagen. Als Grant sie nach einem Monat zum<br />
ersten mal besucht, erkennt ihn Fiona nicht<br />
mehr wieder und stellt ihm statt dessen<br />
einen Mitbewohner als ihren Mann vor.<br />
Ein stiller und unheimlich zärtlicher Film<br />
über Liebe und Wahnsinn im Alter, der aber<br />
Unmengen von Taschentücher verbraucht!<br />
2008 kam schließlich der deutsche Streifen<br />
„Wolke 9“ in die Kinos. Der mehrfach ausgezeichnete<br />
Regisseur Andreas Dresen, erzählt<br />
darin die Liebesgeschichte zwischen<br />
der seit dreißig Jahren verheirateten, 60-<br />
jährigen Inge und dem 76-jährigen Karl.<br />
Befragt nach seiner Motivation, diesen Film<br />
zu drehen, sagte Dresen: „Es hat mich angeödet,<br />
dass die Gesellschaft immer älter<br />
wird, es aber nicht die dazugehörigen Bilder<br />
gibt – Liebe und Sex hören scheinbar ab<br />
einem bestimmten Alter auf zu existieren“.<br />
Dresen liefert diese Bilder dann auch, nicht<br />
zuletzt aufgrund der hervorragenden DarstellerInnen,<br />
in überaus glaubwürdiger Art.<br />
Besonders angenehm, dass diese ganz und<br />
gar nicht den üblichen Schönheitsnormen<br />
der Anti-Aging-Industrie entsprechen: Es<br />
wimmelt nur so vor Falten und Runzeln und<br />
entspricht so der tatsächlichen Realität.<br />
Leider bleibt aber auch ein leicht moralinsaurer<br />
Nachgeschmack: Der Ehemann stirbt<br />
am Schluss und es bleibt offen, ob er sich<br />
nicht doch aus Kummer um sein untreues<br />
Weib selbst getötet hat. Aber vielleicht ist<br />
gerade das ebenso realistisch.<br />
Da lob ich mir dann doch den eingangs erwähnten<br />
Film „Harold und Maude“: Da<br />
werden, ganz im Stil der 60er Jahre alle<br />
Konventionen und Verklemmtheiten über<br />
Bord geworfen, wenn die motorradfahrende<br />
80-jährige Maude den morbiden 20-jährigen<br />
Harold aus seiner Depression holt. Ohne<br />
einer einzigen Sexszene, knistert der Film<br />
von Anfang an vor Erotik und Lebensfreude<br />
– auch wenn Maude am Ende stirbt.<br />
Die Message des Films ist denkbar einfach<br />
und wichtig zugleich: Lebe jetzt, lebe gut<br />
und lebe mit allem was dazu gehört, auch<br />
mit deinem Körper – egal, wie alt du bist!<br />
DGKS Ayşe Büglüč, Wien<br />
20
Gender Care<br />
Männer in der Altenpflege<br />
Ist die Pflege ein Frauenberuf oder warum gibt es dort sowenig Männer? Braucht die<br />
Altenpflege eigentlich Männer? Und wenn ja: Welche Auswirkungen auf das Image<br />
des Pflegeberufes und auf die Gesellschaft hätte das?<br />
Zu Beginn dieses Artikels möchte ich Ihnen,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Kampagne<br />
aus Deutschland vorstellen, mit der<br />
sich die InitiatorInnen mehr männliche Bewerber<br />
für die Ausbildung zum Altenpfleger<br />
erhoffen:<br />
Finger weg von meiner Alten!<br />
Mit „Alte” meint der Junge nicht etwa seine<br />
Mutter oder gar seine Freundin, sondern die<br />
älteren Menschen, um die er sich in seinem<br />
Beruf kümmert. Er ist nämlich Altenpfleger.<br />
Und er ist stolz drauf – zu Recht!<br />
Blöde Sprüche wie „Altenpfleger? Das ist<br />
doch kein Beruf für echte Jungs!” hört man<br />
oft. Aber gerade in diesem Beruf sind Männer<br />
gefragt, wie sonst kaum wo!<br />
Die Initiatoren dieser Kampagne meinen<br />
weiters: „dass Jungs cool sind, wenn sie<br />
offen für Neues sind! Wenn sie sich trauen,<br />
im Beruf Verantwortung für andere Menschen<br />
zu übernehmen! Wenn die Arbeit für<br />
sie nicht nur ein Job, sondern Berufung ist!“<br />
Ob diese Initiative Erfolg hatte und es tatsächlich<br />
mehr Bewerber für den Altenpflegeberuf<br />
gibt, ist leider (noch) nicht bekannt.<br />
Trotz Bedarf kein Aufwärtstrend<br />
Wenn wir uns die Situation in Österreich<br />
ansehen, dann kann hier kein Aufwärtstrend<br />
bei den männlichen Krankenpflegefachkräften<br />
gesehen werden. Der Männeranteil<br />
in der Pflege in Niederösterreich etwa<br />
liegt derzeit in den LPPH bei 8% und bei<br />
den drei größten Trägern der mobilen Pflege<br />
bei 3%. Und nur 16% der SchülerInnen<br />
in den Krankenpflegeschulen sind männlich!<br />
Schlüsse auf zukünftige Beschäftigungsverhältnisse<br />
nach Geschlecht in der Altenpflege<br />
lassen sich jedoch daraus nicht ziehen: Wie<br />
die Studie Chancengleichheit in der Pflege<br />
2006 einmal mehr bestätigt, zieht es das<br />
männliche Pflegepersonal weiterhin zu einem<br />
großen Teil in die Akutbereiche und<br />
weniger in die Langzeitpflege.<br />
Unbestritten ist, dass in den Berufen in denen<br />
nach wie vor Personalmangel vorliegt –<br />
wie im pädagogischen und pflegerischen<br />
Bereich – MitarbeiterInnen gebraucht werden.<br />
Burschen haben in ihrer Berufswahl<br />
allerdings nach wie vor Angst sich für einen<br />
männer-untypischen Beruf zu entscheiden.<br />
Es ist für einen Mann riskant, für „unmännlich“<br />
oder „feminin“ gehalten zu werden,<br />
sowohl von anderen Männern als auch von<br />
Frauen. Wenn jemand unseren Vorstellungen,<br />
Gedanken und Meinungen – bewusst<br />
oder unbewusst – wie ein Mann oder eine<br />
Frau sein sollte, widerspricht, riskiert er<br />
nicht akzeptiert oder anerkannt zu werden.<br />
Ist Fürsorge weiblich?<br />
Fürsorge ist nicht etwas, was einfach durch<br />
einen Einführungskurs zu erlernen ist oder<br />
gar angeboren ist, sondern eine Fertigkeit,<br />
die man mit der Zeit und im praktischen<br />
Tun erwirbt. Frauen haben hier eine lange,<br />
historische gewachsene Erfahrung sowohl<br />
wenn es sich um Kinder, um Ältere als auch<br />
um Kranke handelt. Durch Generationen<br />
hinweg haben Frauen Fürsorge in einer sicheren<br />
und souveränen Weise gezeigt, und<br />
das kann es nun Männern erschweren, neben<br />
ihnen zu bestehen.<br />
21
Ist Fürsorge unmännlich?<br />
Die Tätigkeit der Fürsorge, Betreuung und<br />
Pflege wird männlichen Krankenpflegefachkräften<br />
von älteren Pflegeheim - BewohnerInnen<br />
aufgrund ihres bestehenden Männer-Rollenbildes<br />
nicht zugeschrieben und<br />
somit von ihnen auch nicht verlangt.<br />
PatientInnen räumen männlichen Pflegern<br />
somit oft eine Sonderstellung ein und vor<br />
allem Frauen freuen sich über Männer als<br />
Pfleger und bemühen sich um mehr Agilität.<br />
Andererseits lassen einige Patientinnen eine<br />
Intimpflege durch Pfleger nicht zu, da dies<br />
ihrem Schamgefühl widerspricht.<br />
Pfleger werden von ihren Kolleginnen einerseits<br />
zwar als gute Unterstützung erlebt,<br />
wenn es gilt, schwere PatientInnen zu heben<br />
oder technische Reparaturen vorzunehmen,<br />
allerdings wird auch ihr Sonderstatus<br />
im Team erkannt, aus dem sie (vermeintliche)<br />
Vorteile ziehen können.<br />
Vertauschte Rollen<br />
In unserer Gesellschaft variieren die Geschlechtsrollen<br />
immer häufiger. Wir können<br />
unsicher darüber werden, was eigentlich ein<br />
„typischer Mann“ oder eine „typische Frau“<br />
sind und Begriffe wie „unmännliche Männer“<br />
und „unweibliche Frauen“ werden<br />
schnell verwendet.<br />
Ist ein Mann immer noch ein Mann, wenn<br />
er Wäsche bügelt oder in Väterkarenz geht,<br />
Inkontinenz-Einlagen wechselt, selbst Haar-<br />
Gel verwendet und vegetarisch isst?<br />
Bist du schwul oder was?<br />
Forschungsergebnisse einer Studie zur Elementarpädagogik<br />
der Universität Innsbruck,<br />
im Jahr 2008 ergaben, dass ein nicht zu<br />
unterschätzendes Kriterium, sich gegen den<br />
Pflegeberuf zu unterscheiden der Umstand<br />
ist, dass in manchen (Sub-)Kulturen Männer,<br />
die in Pflege- und Betreuungsberufen<br />
tätig sind, nicht selten für homosexuell<br />
gehalten werden.<br />
Von wenigen wird dies so direkt gesagt,<br />
doch erzeugt dieses Vorurteil Unsicherheit<br />
bei vielen Männern und folglich befürchten<br />
manche schon für homosexuell gehalten zu<br />
werden, wenn sie sich nur für dieses Arbeitsfeld<br />
interessieren.<br />
Männerberufe und die Ernährerrolle<br />
Trotz umfangreicher Bemühungen treffen<br />
junge Männer noch immer auf ein geschlechtshierarchisch<br />
segmentiertes Ausbildungs-<br />
und Berufssystem innerhalb dessen<br />
nach wie vor die Männerberufe die „Ernährerrolle“<br />
implizieren. Berufe im Bereich<br />
Pflege, Erziehung und Fürsorgearbeit insgesamt<br />
spielen dabei keine Rolle.<br />
Eine Untersuchung des Bundesinstituts für<br />
Berufsbildung stellt fest, dass Berufsbezeichnungen<br />
an sich bereits die geschlechtsspezifische<br />
Berufswahl beeinflussen.<br />
Jungen nehmen ablehnende Haltungen<br />
ein, wenn Tätigkeiten im sozialen Sektor auf<br />
nachrangige Positionen schließen lassen.<br />
Aus dem, den Frauen zugeschriebenen, Da-<br />
Sein für Andere ergeben sich Kompetenzen<br />
und Fähigkeiten, die als quasi „natürliche“<br />
in so genannte Frauenberufe einfließen.<br />
Diese Form „verberuflichter Sorge-Arbeit“<br />
ist charakterisiert durch schlechte Bezahlung,<br />
niedrige Position, geringe Aufstiegsmöglichkeiten,<br />
unstrukturierte bzw. diffuse<br />
Anforderungen, vermischte Tätigkeiten und<br />
geringe gesellschaftliche Anerkennung.<br />
Männlichkeit und Alter<br />
Alle Begriffe um das Adjektiv „alt“ sind in<br />
unserer Gesellschaft stigmatisiert. Für (junge)<br />
Männer wird Alter gleichsam zur Negation<br />
von Männlichkeit. Denn die wichtigsten<br />
Männlichkeitsideale Kraft, Ausdauer, Fitness,<br />
Potenz verzeichnen die deutlichsten<br />
Alterseinbußen. Das Alter und der alte Mann<br />
sind der Inbegriff von Unmännlichkeit.<br />
Altern bedeutet Angst vor dem Verlust eines<br />
leistungsfähigen Körpers Erleben von Ohnmacht<br />
und Ausgeliefertseins. Altenarbeit<br />
heißt darum für junge wie alte Männer, sich<br />
permanent ihrer Identität als Mann zu vergewissern<br />
und sie zu stabilisieren.<br />
22
Männer in der Pflege<br />
Schon vor 20 Jahren wurde von Christiane<br />
Williams untersucht wie jeweils Männer und<br />
Frauen ihr Geschlecht in der spezifischen<br />
Situation Männer in Frauenberufen (Pflege)<br />
und Frauen in Männerberufen (Militär) herstellen<br />
und behaupten.<br />
Männer verfolgen im Frauenberuf Pflege<br />
eher die Strategie einer Verstärkung der<br />
Geschlechterdifferenz: Sie inszenieren ihre<br />
Berufstätigkeit als „männlich“, indem sie<br />
• vor allem solche Tätigkeitsbereiche wählen,<br />
die traditionell eher „männliche“<br />
Fähigkeiten zu erfordern scheinen.<br />
(physische Stärke, Technikorientierung)<br />
• sich wehren gegen den Verdacht als<br />
„weibisch“ oder „schwul“ eingeschätzt<br />
zu werden<br />
• sich eher an männlichen ärztlichen Kollegen<br />
statt an den informellen Gesprächen<br />
mit den Kolleginnen orientieren.<br />
In diesem Versuch sich in einem Frauenberuf<br />
zu identifizieren und tätig zu sein, werden<br />
sie unterstützt von PatientInnen, ÄrztInnen<br />
und ihren weiblichen Kolleginnen.<br />
Diese und andere teils unsichtbare Mechanismen<br />
führen dazu, dass Männer in Frauenberufen<br />
sich anstrengen müssen, wenn<br />
sie keine Karriere machen wollen.<br />
Ergebnisse aus dem Projekt „gendernow“ in<br />
Niederösterreich belegen, dass Männer in<br />
der Altenpflege insgesamt gern gesehen<br />
sind und generell ein Wunsch nach mehr<br />
gemischtgeschlechtlichen Teams besteht.<br />
Trotz beschriebener Vorbehalte und den<br />
Problemen männliche Bewerber zu rekrutieren,<br />
brauchen wir aus mehreren Gründen<br />
mehr Männer in der Altenpflege:<br />
1. Entwicklung des Arbeitsmarktes:<br />
Die Situation in der Altenpflege wird sich<br />
verschärfen. Die demografisch bedingte<br />
Zunahme Älterer und gleichzeitige Abnahme<br />
Jüngerer wird den Personalbedarf<br />
ohne eine deutliche Erhöhung des<br />
Männeranteils nicht abdecken lassen.<br />
2. Berufspolitische Anforderungen:<br />
Eine Aufwertung der Images der Altenpflege<br />
als (Haus-) Frauenberuf kann nur<br />
gelingen, wenn sie zu einem Beruf wird,<br />
der auch für Männer attraktiv ist.<br />
3. Geschlechtergerechtigkeit:<br />
Kinder- und Altenpflege sowie Haushaltstätigkeiten<br />
sind auch bei Berufstätigkeit<br />
beider Partner – nach wie vor a-<br />
symmetrisch verteilt.<br />
4. Männliche Identität:<br />
Das männliche Rollenverständnis ist<br />
vergleichsweise eng und schließt „weibliche“<br />
Anteile wie Fürsorge weitgehend<br />
aus. Pflege und Sorgearbeit können die<br />
männliche Identität erweitern und bereichern<br />
und dem Mann eine größere<br />
Ausdrucks-Vielfalt ermöglichen.<br />
5. Alte Männer brauchen junge Männer:<br />
Wie in der letzten Ausgabe der <strong>Geronto</strong>-<br />
News beschrieben, regredieren alte<br />
Männer in Frauenwelten, in denen ihre<br />
Bedürfnisse als Männer wenig berücksichtigt<br />
werden. Alte Männer brauchen<br />
junge Männer, die sie als Männer wahrnehmen<br />
und männlichen Interessen und<br />
Ausdrucksformen Raum verschaffen.<br />
Conclusio<br />
Zusammengefasst sei gesagt, dass mehr<br />
Männer in der Altenpflege ganz bestimmt<br />
Auswirkung auf das Image des Pflegeberufes<br />
hätte und langfristig auch auf das Männerbild<br />
in der Gesellschaft. Aber auch wir<br />
weiblichen Pflegefachkräfte können einiges<br />
tun um den Pflegeberuf aufzuwerten:<br />
Fühlen wir uns weniger durch innere<br />
und soziale Werte zur Pflege verpflichtet<br />
und praktizieren wir somit ein „gesünderes“<br />
Verhalten der Abgrenzung.<br />
Wahren wir einen größeren inneren Abstand,<br />
hören wir auf uns ständig für alles<br />
zuständig zu fühlen, setzen wir die<br />
Belastungsgrenzen früher und leisten<br />
wir seltener körperliche Schwerstpflege.<br />
Und denken wir öfters in Zahlen; sprechen<br />
wir klar und direkt unsere Anliegen<br />
aus und kümmern wir uns um mehr<br />
Public Relation in eigener Sache.<br />
Wie das umgesetzt werden kann, erfahren<br />
Sie in den <strong>Geronto</strong>-News nach der Sommerpause!<br />
Manuela Steinmetz, DGKS<br />
Dipl. Erwachsenenbildnerin<br />
Verwendete Literatur: (Bartjes & Hammer,<br />
Dr. med. Mabuse Nr. 155)<br />
23
Psychohygiene<br />
Nur keine Fachbücher – Was Pflegende im Urlaub lesen<br />
Der Urlaub kommt. Und mit ihm möglicherweise schlechtes Wetter. Egal – die Zeit ist<br />
reif, um das zu tun, was man sich schon lange vorgenommen hat, nämlich wieder<br />
mal ein gutes Buch zu lesen, das mit der Arbeit nichts zu tun hat. Aber welches? Wir<br />
haben nachgefragt, was bei Pflegeleuten auf der Leseliste für den Sommer steht.<br />
<strong>Geronto</strong>-News – Autorin und Erwachsenenbildnerin<br />
DGKS Manuela Steinmetz, liest<br />
in ihrer Freizeit am liebsten Anthologien von<br />
und über Frauen. Vor allem Reiseberichte<br />
von (alleinreisenden) Frauen haben es ihr<br />
angetan. Diese Vorliebe teilt sie im übrigen<br />
mit ihrer Schwester Sabine, Drogistin in<br />
der Anstaltsapotheke des Donauspitals und<br />
mit Tochter Bianca, Lehrling in einer großen<br />
Handelskette für Medizinprodukte.<br />
DGKS Karin Grössing, Kontinenz- und<br />
Stomaberaterin und Salesmanagerin eines<br />
Inkontinenzprodukteherstellers mag es lieber<br />
deftig: Sie hat gerade „Feuchtgebiete“<br />
von fCharlotte fRoche fund f„Bitterfotze“ fvon<br />
Maria Sveland, zwei höchst umstrittene<br />
Frauenromane, gelesen. fAls fUrlaubslektüre<br />
empfiehlt sie allerdings leichtere Kost: „Der<br />
Metzger muss nachsitzen“, ein Krimi von<br />
Thomas Raab und Österreichs schönste Liebesgeschichte<br />
der letzten zwanzig Jahre:<br />
„Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer.<br />
Ayşe Büglüč, DGKS an einer Geriatrischen<br />
Abteilung in Wien hat es zwar „nicht so mit<br />
türkischen Heimatromanen“ empfiehlt aber<br />
trotzdem „Glückseligkeit“ von Zülfü Livaneli,<br />
eine überaus spannende und dramatische<br />
Geschichte über einen jungen türkischen<br />
Soldaten, der seine 14jährige Cousine töten<br />
soll, weil diese vom Imam ihres Dorfes vergewaltigt<br />
wurde. Dazu muss er sie aber erst<br />
mal von Anatolien nach Istanbul bringen –<br />
eine Reise in eine völlig andere Welt.<br />
DSA Angelika Schmidt, Supervisorin und<br />
Dozentin an der AWO-Akademie Marktbreit,<br />
kommt nicht ganz ohne Fachliteratur aus<br />
und liest „Abschied von meinem Vater“ von<br />
Tilman Jens, in dem dieser die Demenzerkrankung<br />
seines Vaters, des bekannten<br />
Schriftstellers Walter Jens aufarbeitet.<br />
Valentina Heiser, <strong>Geronto</strong>psychiatrische<br />
Pflegefachkraft und Studentin der Pflegewissenschaften,<br />
die „fast nur mehr Studien“<br />
liest, freut sich auf Kristina Roys „Um hohen<br />
Preis“, eine philosophische Geschichte um<br />
Verrat und Vergebung aus der Slowakei.<br />
Und die Männer? DGKP Andreas Schnedl,<br />
Stationsleiter einer gerontopsychiatrischen<br />
Station am Otto-Wagner-Spital, empfiehlt<br />
Michael Köhlmeiers „Abendland“, ein unheimlich<br />
dichter Roman über Mathematik,<br />
Musik und Politik, sowie „Der lange Weg zur<br />
Freiheit“ von Nelson Mandela.<br />
Sein Chef, Oberpfleger Werner Osterc,<br />
liest gerade „Die neuen Herrscher der Welt“<br />
von Jean Ziegler und hofft, im Sommer endlich<br />
sein Weihnachtsgeschenk „Mann im<br />
Dunkel“ von Paul Auster lesen zu können.<br />
Gerald Milcher, Pflegedienstleiter des SHV<br />
Bruck, empfiehlt „Alzheimer und ich“ von<br />
Robert Taylor, kein Fachbuch, sondern der<br />
Bericht eines selbst Betroffen. Außerdem<br />
liegt derzeit ein Buch über Tormanntraining<br />
für Kinder auf seinem Nachtkästchen.<br />
GPF Daniel Ball, Wohnbereichsleiter in<br />
einer AWO-Einrichtung in Bayern kommt<br />
„endlich“ dazu, eine Biographie von Stefan<br />
Zweig zu lesen. Ansonsten mag auch er<br />
eher leichtere Kost, etwa „Die Mächte des<br />
Feuers“ von Markus Heitz.<br />
Das Faible für fantastische Literatur teilt<br />
sich Daniel Ball mit Michael Luksch, derzeit<br />
Zivildiener bei Jugend am Werk. Der<br />
empfiehlt generell alles von Terry Pratchett,<br />
ist aber auch der deutschen Klassik, etwa<br />
Gerhart Hauptmann nicht abgeneigt.<br />
Sein Vater Christian Luksch hingegen will<br />
im Sommer „ein oder zwei normale Bücher“<br />
lesen. „Die Brüder Humboldt“ von Manfred<br />
Geier etwa, die Neuübersetzung der „Ilias“<br />
von Raul Schrott oder „Traurige Tropen“<br />
von Claude Levi-Strauss.<br />
24
Fortbildung<br />
Fortbildung „Geriatrische Animation“ ab 7. September in Wien<br />
Kennen Sie das? Kaum sind alte Menschen in einem Pflegeheim, verschlechtert sich<br />
ihr psychischer Zustand rapid: Sie werden verwirrt, wahnhaft, aggressiv und sind zu<br />
keiner sinnvollen Aktivität mehr im Stande. Motivierungsversuche bringen nur selten<br />
etwas, der Verfall verläuft immer rascher, der Rückzug wird bald unumkehrbar.<br />
Bereits vor zehn Jahren wurde jedoch am<br />
Wiener Otto-Wagner-Spital ein Pflegekonzept<br />
entwickelt, das diesen Prozess der<br />
dementiellen Dekompensation nachhaltig<br />
und nachweisbar aufhalten kann: Geriatrische<br />
Animation – ein aktivierendes Pflegekonzept,<br />
speziell für verwirrte alte Menschen,<br />
das sowohl die Lebensqualität der<br />
betroffenen PatientInnen als auch die Arbeitsqualität<br />
der Pflegepersonen erhöht.<br />
Es baut auf den Erkenntnissen der sozialen<br />
<strong>Geronto</strong>psychiatrie sowie auf den Theorien<br />
von Erwin Böhm, Erich Grond, Naomi Feil<br />
u.a. <strong>Geronto</strong>logInnen auf und wurde speziell<br />
für eine rasche und kosteneffiziente<br />
Implementierung in stationäre und ambulante<br />
Betreuungsformen entwickelt.<br />
Neben einem umfassenden funktionellen<br />
und psychosozialen Assessment ist das<br />
Kernstück des Konzeptes der von DGKP<br />
Christian Luksch entwickelt „Dreierschritt“<br />
von Re-Orientierung, Re-Aktivierung und<br />
Re-Integration durch leicht zu erlernende<br />
niederschwellige Techniken der Physio-,<br />
Psycho- und Soziotherapie.<br />
Bereits in der zweijährigen Erforschungsphase<br />
konnten die positiven Wirkungen<br />
des Konzeptes nachgewiesen werden:<br />
23% weniger Behandlungskosten und<br />
32% weniger Psychopharmaka machen<br />
durchaus Sinn. Doch auch für die Pflegenden<br />
ist das Konzept von Vorteil, wie ein<br />
Folgeprojekt im GZ Liesing zeigt: Dort<br />
sank nach der Implementierung der Geriatrischen<br />
Animation die Krankenstandsrate<br />
vor allem der KollegInnen im Alter 50+<br />
rapide ab, während die Arbeitszufriedenheit<br />
massiv anstieg. 1999 erhielt das Konzept<br />
den Gesundheitspreis der Stadt Wien,<br />
2000 den begehrten Mediscus – Award.<br />
Neben den Wiener Geriatriezentren Liesing<br />
und Baumgartner Höhe haben mittlerweile<br />
mehr als 50 Pflegeheime in Kärnten und<br />
Südtirol, Niederösterreich, Steiermark und<br />
Vorarlberg sowie in Bayern dieses Konzept<br />
erfolgreich implementiert.<br />
Neben den laufenden Ausbildungen an der<br />
AWO-Akademie in Franken und dem BFI in<br />
Kärnten findet ab September dieses Jahres<br />
auch in Wien eine entsprechende, berufsbegleitende<br />
Ausbildung zur Geriatrischen<br />
Animationsfachkraft statt. Zielgruppe der<br />
insgesamt 100 Theorie- und 20 Praxisstunden<br />
dauernden Ausbildung sind neben<br />
diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen<br />
auch PflegehelferInnen<br />
und ausgebildete SeniorenanimateurInnen<br />
mit einer mindestens zweijährigen Berufserfahrung<br />
in der Altenpflege.<br />
Der Lehrgang besteht aus einem fünftägigen<br />
Grundkurs, drei Aufbaumodulen zu<br />
jeweils drei Tagen in Abständen von zwei<br />
Monaten sowie einer selbständig durchgeführten<br />
Fallstudie. Die Fortbildung (i.S. des<br />
§ 63 GuKG) schließt mit der Präsentation<br />
der Fallstudie sowie mit einem Zertifikat<br />
ab, das zur Ausführung der “Geriatrischen<br />
Animation nach Luksch” berechtigt.<br />
Start der Ausbildung ist der 7. September,<br />
Anmeldeschluss der 15. Juli 2009, der genaue<br />
Austragungsort wird bei Anmeldung<br />
bekannt gegeben. Die ReferentInnen sind<br />
DGKP Christian Luksch und DGKS Manuela<br />
Steinmetz. Die Kosten für den gesamten<br />
Kurs betragen 1200,- €, für Frauen ab 40+<br />
1080,- € (inkl. USt.)<br />
Mehr Information gibt es unter der E-Mail<br />
office@geronto.at oder unter den Tel. Nr.<br />
0699 1279 0778, bzw. 0699 1229 2995.<br />
25
Fortbildung<br />
Seminarreihe „Berufliche<br />
Selbständigkeit in der Pflege“<br />
Immer mehr Pflegepersonen erkennen die<br />
Grenzen des institutionellen Arbeitens und<br />
wollen sich selbständig machen – mit einem<br />
eigenem Pflegedienst, als BeraterInnen, als<br />
ReferentInnen, oder ähnliches. Aber wie<br />
wird man/frau selbständig? Was ist zu beachten?<br />
Welche Fallen und Stolpersteine<br />
drohen? Und wie überlebt frau im Dschungel<br />
der “freien” Marktwirtschaft?<br />
Als erster, von öffentlichen Stellen unabhängiger<br />
Anbieter von Fortbildungen, veranstaltet<br />
<strong>Geronto</strong>.at eine Seminarreihe zum<br />
Thema Selbständigkeit in der Pflege!<br />
Die gesamte Seminarreihe gliedert sich in<br />
sieben Seminare zu je 20 Unterrichtseinheiten<br />
in Abständen von vier Wochen. Die einzelnen<br />
Seminare können aber auf Anfrage<br />
auch einzeln gebucht werden.<br />
Die Seminare und ihre Inhalte:<br />
1. Von der Idee zum Businessplan<br />
2. Die Rechtslage der Selbständigen<br />
3. Finanzen, Steuern und Buchhaltung<br />
4. Kommunikation im Geschäftsleben<br />
5. Risiko- und Krisenmanagement<br />
6. Public Relation und Marketing<br />
7. Selbstpflege für Selbständige<br />
Die Teilnahmevoraussetzungen:<br />
• Abgeschlossene Berufsausbildung<br />
Die TrainerInnen:<br />
Manuela Steinmetz, DGKS und diplomierte<br />
Erwachsenenbildnerin, selbständig<br />
Christian Luksch, DPGKP, Dozent an der<br />
AWO-Akademie Mainfranken, selbständig<br />
Der Austragungsort:<br />
Wien (genauer Ort wird bei Anmeldung bekannt<br />
gegeben)<br />
Der Zeitraum:<br />
Jänner 2010 – Juni 2010 (genaue Zeit wird<br />
bei Anmeldung bekannt gegeben)<br />
Die Preise<br />
• Einzelseminar: 250,- € (inkl. USt.)<br />
• Gesamte Reihe: 1440,- € (inkl. USt.)<br />
• Gesamte Reihe für Frauen ab 40+:<br />
1200,- (inkl. USt.)<br />
Mehr Information unter:<br />
office@geronto.at<br />
Lehrgang „ Erwachsenenbildung<br />
in der Pflege“<br />
ErwachsenenbildnerInnen (TrainerInnen)<br />
sind speziell geschulte Personen, die für<br />
fachliche Fortbildungsmaßnahmen von im<br />
Beruf stehenden MitarbeiterInnen zuständig<br />
und befähigt sind. Im Gegensatz zu LehrerInnen<br />
arbeiten sie nicht im Rahmen von<br />
Grundausbildungen sondern vor allem im<br />
Bereich der Fort- und Weiterbildung.<br />
Als erstes österreichisches Bildungsinstitut<br />
bietet <strong>Geronto</strong>.at eine spezielle Ausbildung<br />
für Pflegende in diesem Bereich an, die<br />
auch den Anforderungen des Wiener AMS<br />
an TrainerInnen entspricht.<br />
Die berufsbegleitende Ausbildung gliedert<br />
sich in sieben Module zu je 20 Unterrichtseinheiten<br />
(zwei Tage) in Abständen von<br />
jeweils vier Wochen und schließt mit einer<br />
Prüfung sowie einem Zertifikat ab.<br />
Die Ausbildungsinhalte:<br />
1. Fortbildungs- und Seminargestaltung<br />
2. Kommunikation in Bildungsprozessen<br />
3. Methodik, Didaktik und Rhetorik<br />
4. Präsentations- & Moderationstechniken<br />
5. Teamarbeit und Gruppendynamik<br />
6. Krisen- und Konfliktmanagement<br />
7. Gender- & Diversitykompetenz<br />
Die Teilnahmevoraussetzungen:<br />
• Abgeschlossene Berufsausbildung<br />
• Mindestens 5 Jahre Praxiserfahrung<br />
• Frauen im Alter 40+ werden bevorzugt<br />
Die TrainerInnen:<br />
Manuela Steinmetz, DGKS und diplomierte<br />
Erwachsenenbildnerin<br />
Christian Luksch, DPGKP, Dozent an der<br />
AWO-Akademie Mainfranken<br />
Der Austragungsort:<br />
Wien (genauer Ort wird bei Anmeldung bekannt<br />
gegeben)<br />
Der Zeitraum:<br />
Jänner 2010 – Juni 2010 (genaue Zeit wird<br />
bei Anmeldung bekannt gegeben)<br />
Der Preis:<br />
• 1440,- (inkl. USt.)<br />
• 1200,- (inkl. USt.) für Frauen ab 40+<br />
Mehr Information unter:<br />
office@geronto.at<br />
26
Wortspende<br />
SR. Liliane Juchli<br />
zum Thema Sexualität in der Pflege:<br />
„Schon in der Genesis heißt es:<br />
Als Mann und Frau schuf er sie,<br />
nicht als Neutren, sondern als Geschlechtswesen!<br />
Geschlechtsneutralität ist keine Lösung,<br />
auch nicht geschlechtsneutrale Krankenpflege.<br />
Vielmehr müssen wir uns um eine "erotische Kultur"<br />
bemühen, in der auch die Zärtlichkeit ihren Platz hat.<br />
Zur Person:<br />
Liliane Juchli, geboren 1933 in Nussbaumen, Schweiz, ist Kranken- und Ordensschwester der<br />
Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz. Seit den 1970er Jahren setzt sich für eine<br />
Systematisierung, Strukturierung, Vertiefung und Aktualisierung des Wissens der Pflege ein<br />
und war maßgeblich an der Einführung der ATLs in Europa beteiligt. Ihr Lehrbuch „Pflege“<br />
erschien in sieben Auflagen und prägte zwanzig Jahre lang die europäische Pflegelandschaft.<br />
1997 erhielt sie als erste Frau das Ehrendoktorat der theologischen Fakultät an der Universität<br />
Freiburg, 1998 wurde sie für ihr Lebenswerk mit dem goldenen Ehrenring des österreichischen<br />
Krankenpflegeverbandes gewürdigt, 2006 erhielt sie den Preis der Züricher Tertianum-<br />
Stiftung für ihre Verdienste um die Menschenwürde.<br />
27
Kolumne<br />
Was ist der Mensch?<br />
Kiran Kumar, Ersatzteilhändler in Bangalore, Indien<br />
Kiran Kumar ist 30 Jahre alt und betreibt einen Laden für Ersatzteile der Motorradmarke<br />
Royal Enfield in Bangalore. Er hat vier Angestellte und weiß von jedem der<br />
insgesamt 5000 Teile auswendig, wo es in dem 25 Quadratmeter großen Raum zu<br />
finden ist und was es kostet. Kiran ist verheiratet und hat eine einjährige Tochter.<br />
Monatlicher Verdienst, Grundkosten<br />
und Altersvorsorge:<br />
Nach Abzug der Einkaufskosten, Gehälter,<br />
Miete und Steuern bleiben Kiran etwa 10%<br />
vom Umsatz als Gewinn. So kommt er auf<br />
rund 200 Euro monatlich. Davon bezahlt er<br />
für sich und seine Familie 25 Euro in eine<br />
Krankenversicherung und legt 50 Euro als<br />
Altersvorsorge zurück. Er lebt in einer Dreizimmerwohnung,<br />
die ihm gehört.<br />
Was sind Ihre größten Probleme, und<br />
wie gehen Sie damit um?<br />
„Oft gibt es bei einzelnen Teilen Lieferschwierigkeiten.<br />
Dann sind die Kunden<br />
frustriert, die Arbeit macht keinen Spaß,<br />
und der Umsatz sinkt.“<br />
Wo und wie oft machen Sie Urlaub?<br />
„Zwei- bis dreimal im Jahr mache ich den<br />
Laden an einem verlängerten Wochenende<br />
zu und fahre für vier Tage mit meiner<br />
Familie zu Freunden oder Verwandten.“<br />
Was bedeutet Ihnen Arbeit?<br />
„Ich mag meine Arbeit sehr, denn die Ersatzteile,<br />
die ich verkaufe, gehören zu einem<br />
ausgezeichneten Motorrad. Ich bin<br />
selbst begeisterter Enfield-Fahrer und liebe<br />
es, mich den ganzen Tag auf irgendeine<br />
Weise mit dem Motorrad zu beschäftigen.“<br />
Wie wichtig ist Ihnen Geld?<br />
„Es ist wichtiger, etwas zu tun, das einem<br />
Spaß macht, als viel Geld zu verdienen. Ich<br />
habe früher in der Computerbranche gearbeitet.<br />
Damals habe ich das Doppelte von<br />
dem bekommen, was ich heute verdiene.<br />
Aber ich verkaufe trotzdem lieber Motorradteile.“<br />
Was ist Ihr größter Wunsch?<br />
„Ich wünsche mir einen Sohn, dem ich später<br />
diesen Laden vererben kann.“<br />
Indien<br />
Einwohner:<br />
1,1 Milliarden<br />
Währung:<br />
65 Rupien = 1 Euro<br />
BIP pro Kopf:<br />
585 Euro<br />
(Österreich: 33.400 Euro)<br />
Human Development Index:<br />
Platz 128 von 177 Nationen<br />
(Österreich: Platz 15)<br />
Aktuelle Durchschnittskosten:<br />
1 Trinkwasser: 0,16 Euro<br />
1 Tasse Tee: 0,12 Euro<br />
1 vegetarisches Mittagessen: 0,55 Euro<br />
1 kleine Banane: 0,02 Euro<br />
15 Minuten Taxifahrt: 0,48 Euro<br />
Quelle: www.brandeins.de<br />
28