Sterbebegleitung und Sterbehilfe.pdf - Institut für Soziologie
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FAU Erlangen – Nürnberg 28.01.2008 & 04.02.2008<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Soziologie</strong><br />
WS 07/08<br />
HS Wandel von Krankheit <strong>und</strong> Tod in der Moderne<br />
Dozent: Michael von Engelhardt<br />
Sterbegeleitung <strong>und</strong> <strong>Sterbehilfe</strong><br />
1. Historischer Abriss des Euthanasiebegriffs<br />
1.1 Euthanasie bei den Urvölkern<br />
Bedeutung des Begriffs „Euthanasie“ hat sich im Laufe der Jahrh<strong>und</strong>erte verändert & hat<br />
heute eine andere Bedeutung als im Altertum<br />
tatsächlich aber gehört er zu den frühesten menschlichen Praktiken<br />
eine besondere Form des Umgangs mit Alten, Kranken oder Behinderten besteht<br />
beispielsweise im Aussetzen der Betroffenen<br />
1.2 Euthanasie im antiken Griechenland <strong>und</strong> Rom<br />
auch in der Antike hat man <strong>Sterbehilfe</strong> praktiziert (direkt & indirekt)<br />
Begründungen des Euthanasiebegriffs bei Platon (427 – 347 v. Chr.) & Aristoteles (384 –<br />
322 v. Chr.)<br />
Staatslehre verlangt, dass schwache Kinder an einen geheimen Ort ausgesetzt & kranke<br />
Menschen nicht mehr ärztlich behandelt werden<br />
Verhinderung der Weitergabe von schlechtem Erbgut<br />
Verkürzung menschlichen Leidens<br />
sowohl bei Platon als auch Aristoteles: Staat im Zentrum des Interesses<br />
Verherrlichung von Schönheit & Jugend entscheidend<br />
Wort „Euthanasie“ stammt aus dem Griechischen:<br />
„thanatos“ =Tod & „eu“ =sanft, gutmütig<br />
1. Nachweis der Verwendung des Begriffes in hellenistischer Zeit (300 v. Chr.):<br />
Euthanasie als würdige Bewältigung des Sterbens & als Wunsch nach einem leichten Tod<br />
ohne große Schmerzen & ohne einen verzweifelten Todeskampf<br />
1.3 Euthanasie bei Thomas Morus <strong>und</strong> Francis Bacon<br />
führt zur Entwicklung einer „ars moriendi“<br />
Stebezeremoniell<br />
1.4 Euthanasie im 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
<strong>für</strong> die Geschichte des Euthanasie Begriffs ist das 19. Jh. entscheidend<br />
Säkularisierung: heutige Bedeutung des Begriffs<br />
„Euthanasie“ = ärztliche <strong>Sterbehilfe</strong><br />
nach Gedanken von David Hume (1711 – 1776) & Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)<br />
positive Äußerungen über die Selbsttötung zu äußern<br />
Frage der Zeit: Wann kommen die ersten Vorschläge zur Tötung lebensuntauglicher<br />
Menschen auf? (Politische <strong>und</strong> medizinische Überlegungen)<br />
Bsp. Gerhard Hofmann: Kranke als Belastung <strong>für</strong> die Gesellschaft Selektionen<br />
Karl Binding & Alfred Hoche: Gnadentod von Schwachen & Kranken zur Vernichtung<br />
lebensunwerten Lebens<br />
1.5 Euthanasie im Nationalsozialismus<br />
Begriff Euthanasie im Nationalsozialismus:<br />
- 1 -
Bezeichnung der Unmenschlichkeit gegenüber Kranken <strong>und</strong> Leidenden<br />
Begriff Euthanasie nach Volker Eid:<br />
„Euthanasie bedeutet jetzt nicht mehr die Erleichterung des Sterbens, in welch<br />
kontroversem Sinn das bisher auch verstanden werden konnte, sondern Ausmerzung von<br />
„lebensunwürdigen“ Menschen […] kraft staatlicher Anordnung, ohne Frage nach<br />
Zustimmung oder Nicht-Zustimmung der Betroffenen oder ihrer Angehörigen.“<br />
2. <strong>Sterbebegleitung</strong><br />
Immer öfter der Wunsch nach dem Sterben in der vertrauten Umgebung.<br />
Notwendigkeit der <strong>Sterbebegleitung</strong><br />
<strong>Sterbebegleitung</strong> = Begleitung, Behandlung & Versorgung von Menschen am Lebensende<br />
Merkmale:<br />
o Professionelle Arbeit von Berufsgruppen im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
(z.B. Ärzte, Krankenpfleger, Psychologen, Sozialarbeiter, Seelsorger)<br />
o Engagement von Angehörigen, Fre<strong>und</strong>en, Laienhelfern & Selbsthilfeinitiativen<br />
Was bedeutet Begleiten?<br />
o Begleiten bedeutet nicht:“ Ich muss dir Anweisungen geben, ich muss dir Ratschläge<br />
erteilen, dir etwas ausreden oder einreden, etwas genau oder besser wissen.“<br />
o Begleiten bedeutet vielmehr: „Ich möchte an deiner Seite sein, dir nahe sein, da sein.<br />
Ich möchte mich mit meinem Gefühlen <strong>und</strong> Gedanken, mit meinen Gesten <strong>und</strong><br />
Worten auf dich einstellen.“<br />
Wichtige Voraussetzung <strong>für</strong> eine gute Begleitung:<br />
Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit.<br />
Elemente einer guten <strong>Sterbebegleitung</strong>: SOS-Modell (M. Sprecht-Tomann)<br />
S: Situationsabklärung (Fakten)<br />
o Fragenstellung:<br />
Wer ist der Mensch, der begleitet wird?<br />
Wie ist seine ges<strong>und</strong>heitliche <strong>und</strong> seelische Lage?<br />
Wie ist seine soziale Situation?<br />
Wer ist in die Betreuung noch einbezogen?<br />
Welche Bedürfnisse bestehen seitens der Angehörigen?<br />
Wer hat die Begleitung gewünscht?<br />
Wie oft, <strong>und</strong> wo <strong>und</strong> wann soll der Begleiter kommen?<br />
o Fragen bezüglich der Situation des Begleiters:<br />
Welche Motive habe ich, eine Begleitung zu übernehmen?<br />
Wer hat mich darum gebeten?<br />
Wie viel Zeit habe ich zur Verfügung?<br />
Was kann ich einbringen, welche Stärken habe ich?<br />
O: Orientierung am Sterbeprozess (Wissen)<br />
o Stationen des Sterbens: Ablehnung, Auflehnung, Verhandeln, Trauer, Annahme<br />
o Gestaltung der Terminalphase ist individuell & hängt von der persönlichen<br />
Lebensbiografie ab<br />
o Wichtige Faktoren<br />
Ideale, Wertvorstellungen & Leitbilder<br />
soziales & familiäres Umfeld<br />
Jenseitsvorstellung<br />
S: Sozialkompetenz (Fertigkeiten)<br />
o Annahme der eigenen Person<br />
o Aufmerksame Wahrnehmung & Bereitschaft, sich auf den Sterbenden einzustellen<br />
o Akzeptanz, Respekt & Wertschätzung<br />
- 2 -
o authentisches Verhalten des Begleiters<br />
o Empathie, Toleranz, Geduld<br />
o Wahrung des Verhältnisses von wertvoller Nähe & notwendiger Distanz<br />
o Gutes Zuhören<br />
Wichtig: Achtung der seelischen Gr<strong>und</strong>bedürfnisse des Strebenden<br />
Bedürfnis nach Annahme & Integration in die Gemeinschaft<br />
<strong>Sterbebegleitung</strong> als besondere Begegnung<br />
Grenze der Begegnung: Nicht-Mitgehen- Können des Helfers<br />
Keine Garantie des „zwiesprachlicher“ Strebebeistand durch berufliche Helfer oder<br />
Angehörigen<br />
Angehörige sind in ihrer eigenen Lebensthematik so stark betroffen, dass sie schnell<br />
sich selbst zum alleinigen Gegenstand der Hilfe machen.<br />
beruflichen Helfer (Pflegekräfte, Ärzte, Seelsorge uns Sozialarbeiter) haben häufig<br />
eine geradezu <strong>und</strong>ialogisch definierte Helferrolle, zumindest ohne:<br />
o Gegenseitigkeit: sie erhalten ihre Definition unabhängig vom Gegenüber durch<br />
Qualifikation, Stellung in der Hierarchie<br />
o Unmittelbarkeit: ihr Handeln ist oft an Mittel geb<strong>und</strong>en (Spritze, Medikamente,<br />
technische Hilfsmittel)<br />
o Ausschließlichkeit: Verfügbarkeit <strong>für</strong> alle Patienten<br />
o Verantwortung: ihre Antworten können nicht rückhaltlos den gestellten & nicht<br />
gestellten Fragen entsprechen.<br />
„Fre<strong>und</strong>“ statt „Helfer“<br />
Ein so genanter „Fre<strong>und</strong>schaftsvertrag „ (Beispiel bei OMEGA e. V)<br />
Verpflichtungen des „Fre<strong>und</strong>es“:<br />
o vollständige Verschwiegenheit<br />
o ständige Verfügbarkeit<br />
o Verzicht auf größere Reisen/Urlaub<br />
o Bestimmte Beistandleistungen<br />
o Kooperationsbereitschaft<br />
Durch einen solchen Vertrag kann nicht jede <strong>Sterbebegleitung</strong> geregelt werden!<br />
Vertrag als Anlass, die auf Gr<strong>und</strong> der Krankheit entstehenden Begegnungen zwischen<br />
Menschen anders zu überdenken.<br />
3. <strong>Sterbehilfe</strong><br />
3.1 Formen der <strong>Sterbehilfe</strong> <strong>und</strong> deutsche Rechtslage<br />
Aktive <strong>Sterbehilfe</strong> <strong>und</strong> Euthanasie<br />
o das absichtliche, aktive ärztliche Eingreifen zur Beschleunigung des Todeseintritts<br />
eines unheilbar Kranken/Sterbenden<br />
o kann, muss aber nicht auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten geschehen<br />
o geschieht zum Beispiel durch Verabreichung tödlicher Tabletten, Spritze oder Infusion<br />
o dt. Rechtslage: aktive <strong>Sterbehilfe</strong> in Deutschland strafbar<br />
§ 216 Strafgesetzbuch „Tötung auf Verlangen“<br />
§ 212 Strafgesetzbuch „Totschlag“<br />
Indirekte <strong>Sterbehilfe</strong><br />
o die ärztliche Verordnung zur Verabreichung von schmerzlindernden Medikamenten<br />
bei tödlich Kranken<br />
o Medikamente können als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenwirkung den Tod<br />
beschleunigen<br />
o Tod wird in Kauf genommen, ist aber nicht Ziel<br />
o dt. Rechtslage: indirekte <strong>Sterbehilfe</strong> in Deutschland nicht strafbar<br />
- 3 -
Passive <strong>Sterbehilfe</strong><br />
o absichtliche Unterlassung, Verzicht oder Abbruch einer lebensverlängernden<br />
Behandlung bei unheilbar Kranken, deren Tod bald zu erwarten ist<br />
o z.B. Abschalten eines Beatmungsgeräts, Nichtüberweisung auf eine Intensivstation<br />
o dt. Rechtslage: passive <strong>Sterbehilfe</strong> in Deutschland nicht strafbar, wenn<br />
der Patient keine Behandlung wünscht (Patientenverfügung/Willenserklärung)<br />
der Arzt aktiv wird & die Apparate abstellt<br />
juristisch nicht strafbar, da Arzt natürlichen Krankheitsverlauf zulässt & Tod<br />
nicht künstlich herbeiführt<br />
Ärztliche Beihilfe zum Suizid (assisted suicide)<br />
o Arzt besorgt Patienten tödliches Medikament, verabreicht es aber nicht selbst<br />
o Patient nimmt Medikament selbst ein<br />
o dt. Rechtslage: Beihilfe zum Suizid in Deutschland nicht strafbar,<br />
jedoch bei Ärzten berufunwürdiges Verhalten<br />
(Folge: Berufsständische Verfolgung)<br />
ABER: wird Patient anschließend z.B. bewusstlos, muss Helfer/Arzt<br />
lebensrettende Maßnahmen durchführen, wenn dies nicht geschieht,<br />
dann strafbar nach § 323 Strafgesetzbuch „Unterlassene Hilfeleistung“<br />
3.2 Einrichtungen<br />
3.2.1 DGHS (Deutsche Gesellschaft <strong>für</strong> humanes Sterben e.V.)<br />
Allgemeines<br />
o Gründung am 7. November 1980 aus dem Umfeld des B<strong>und</strong>es <strong>für</strong> Geistesfreiheit (bfg)<br />
heraus durch Hans Henning Atrott<br />
o setzt sich <strong>für</strong> ein Selbstbestimmungsrecht <strong>für</strong> Schwerkranke & Sterbende ein<br />
Ziele<br />
„Oberstes Ziel ist es, die Würde des Menschen im Leben <strong>und</strong> Sterben zu wahren.“<br />
o Verbesserung der Bedingungen <strong>für</strong> Sterbende<br />
o Sensibilisierung der Öffentlichkeit <strong>für</strong> die Problematik des humanen Sterbens<br />
o Bürgerrechtsbewegung <strong>und</strong> Patientenschutzorganisation zur Verwirklichung des<br />
Selbstbestimmungsrechts bis zur letzten Lebensminute<br />
o Forderung einer umfassenden gesetzlichen Regelung der <strong>Sterbebegleitung</strong> <strong>und</strong> -hilfe<br />
o Beseitigung der Missstände im öffentlichen <strong>und</strong> privaten Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
Arbeit<br />
o Vorsorge mit Hilfe von Patientenverfügungen & deren rechtsverbindliche<br />
Anerkennung<br />
o Forderung weitergehender legaler Möglichkeiten der <strong>Sterbehilfe</strong><br />
o Patientenschutzbrief zur lebenserhaltenden Therapie („Hilfe zum Leben im<br />
Sterbeprozess“)<br />
o Verhinderung von Missbrauch bei allen Formen von <strong>Sterbehilfe</strong><br />
3.2.2 DIGNITAS<br />
Allgemeines<br />
o Dignitas = lat. Würde<br />
o Schweizer Verein mit Sitz in Forch (Kanton Zürich), der sich <strong>für</strong> passive <strong>Sterbehilfe</strong><br />
einsetzt & Freitodbegleitungen anbietet<br />
o<br />
o<br />
Gründung am 17. Mai 1998 durch den Journalisten & Anwalt Ludwig A. Minelli<br />
Im September 2005 Gründung einer dem Schweizer Verein angeschlossenen<br />
deutschen Sektion mit Sitz in Hannover: „Dignitate“<br />
Ziele<br />
„Menschenwürdig leben – menschenwürdig sterben“<br />
- 4 -
o Sicherung eines menschenwürdigen Lebens & Sterbens der Mitglieder & Verbreitung<br />
dieser Werte möglichst auch an die gesamte Bevölkerung<br />
o Für Mitglieder Bereitstellung von individuellen Hilfeleistungen, wenn der Anspruch<br />
auf Beachtung ihrer Menschenwürde (Menschenrechte <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>freiheiten) im Leben<br />
<strong>und</strong>/oder im Sterben bedroht ist<br />
Arbeit<br />
o Stellt seinen Mitgliedern zwei Dienstleistungen zur Verfügung:<br />
Eine Patientenverfügung, mit der in der Schweiz verhindert werden kann, dass das<br />
Leben eines Mitgliedes durch unerwünschte medizinische Maßnahmen verlängert<br />
wird (u.a. Hilfe bei der Durchsetzung der Verfügung)<br />
Eine risikofreie & schmerzlose Methode <strong>für</strong> einen begleiteten Freitod in der<br />
Schweiz<br />
beide Dienstleistungen stehen Menschen aus allen Ländern der Welt offen!<br />
o Voraussetzungen <strong>für</strong> die In-Anspruchnahme des begleiteten Freitodes:<br />
Urteilsfähigkeit des Betroffenen<br />
Mitgliedschaft in DIGNITAS<br />
Eine zum Tode führende Krankheit <strong>und</strong>/oder eine unzumutbare Behinderung<br />
<strong>und</strong>/oder nicht beherrschbare Schmerzen<br />
o Einsatz von ausgebildeten & kompetenten Begleiterinnen <strong>und</strong> Begleitern<br />
3.3 Aktuelle Diskussion<br />
3.3.1 PRO<br />
Gewähren des im Gr<strong>und</strong>gesetz garantierten Rechtes auf Selbstbestimmung<br />
„In Würde sterben“ Befreiung von Leid & Schmerz<br />
Wahlmöglichkeit bringt ggf. ein Stück Lebensqualität zurück<br />
u.U. Bejahen des Weiterlebens & Vermeidung von Suizidversuchen<br />
Pro aktive <strong>Sterbehilfe</strong>: u.U. langsames passives Sterbenlassen mit unerträglichen<br />
Schmerzen verb<strong>und</strong>en ggf. inhumaner als eine „schnelle“ aktive <strong>Sterbehilfe</strong><br />
3.3.2 CONTRA<br />
„Unantastbarkeit“ bzw. „Heiligkeit“ des menschlichen Lebens<br />
o Leben ist gottgegeben allein Gott kommt die Herrschaft über Leben <strong>und</strong> Tod zu<br />
o Das Leben muss, wenn es ohnehin bereits erlischt, zwar nicht um jeden Preis<br />
verlängert werden, seine aktive Verkürzung durch Selbsttötung jedoch ist ein Verstoß<br />
gegen die göttliche Souveränität <strong>und</strong> somit unzulässig<br />
o v.a. jüdisch-christliche Tradition bzw. Kirchen<br />
Gefahr des Missbrauches<br />
Große Verunsicherung & Unwissenheit der Bevölkerung zum Thema <strong>Sterbehilfe</strong><br />
unzureichende Aufklärungsarbeit <strong>und</strong> Unkenntnis über Alternativen<br />
Vorhandene Alternative: Palliativmedizin <strong>Sterbehilfe</strong> unnötig<br />
Legalisierung der <strong>Sterbehilfe</strong> könne zu Druck auf Kranke & Schwache führen, von dieser<br />
Gebrauch zu machen, um ihre Mitwelt zu „entlasten“<br />
Frage der „Authentizität“ des Sterbeverlangens<br />
Viele Menschen sind der Meinung, dass – im Gegensatz zur aktiven <strong>Sterbehilfe</strong> – die<br />
indirekte <strong>und</strong> passive <strong>Sterbehilfe</strong> ethisch & rechtlich vertretbar sind<br />
3.4 Auswahl bekannter Fälle<br />
Emily Gilbert<br />
o 73-jährige US-Amerikanerin aus Fort Lauderdale (Florida), die ihren Ehemann<br />
Roswell Gilbert im März 1985 wegen eines unheilbaren Knochenleidens um<br />
<strong>Sterbehilfe</strong> bat<br />
- 5 -
o Ihr Mann gab ihr zunächst Schmerztabletten &erschoss seine Frau mit einer Pistole<br />
o Der 76-jährige Roswell Gilbert wurde von einem Gericht zu 25 Jahren Haft verurteilt<br />
Ramón Sampedro<br />
o Galizier, welcher seit August 1968 nach dem Sprung von einer Klippe in zu seichtes<br />
Wasser an einer Querschnittslähmung litt & jahrelang vergeblich vor spanischen<br />
Gerichten kämpfte, aus dem Leben scheiden zu dürfen<br />
o 1998: Nach 30 Jahren Querschnittslähmung wurde dem Spanier auf seinen Wunsch<br />
hin von einer Fre<strong>und</strong>in ein Glas Wasser mit Zyankali so in die Nähe seines M<strong>und</strong>es<br />
gestellt, dass er selbst mit einem Strohhalm daraus trinken konnte & daraufhin starb<br />
o Dies galt zum Zeitpunkt der Tat als Beihilfe zum Suizid & war strafbar<br />
Erst nach Ablauf der Verjährungsfrist gestand sie 2005 ihre Tat<br />
Terri Schiavo<br />
o US-Amerikanerin aus Saint Petersburg (Florida), welche1990 in ihrer Wohnung<br />
zusammenbrach <strong>und</strong> einen Herzstillstand erlitt<br />
enorme Gehirnschädigung infolge des Sauerstoffmangels Wachkoma<br />
o Terris Ehemann Michael klagte seit 1998 durch mehrere Instanzen die Einstellung der<br />
künstlichen Ernährung ein, Terris Eltern waren gegen dessen Pläne & versuchten die<br />
Vorm<strong>und</strong>schaft <strong>für</strong> Terri zurück zu erhalten, ohne Erfolg<br />
o Dem Antrag des Ehemanns wurde letztendlich im Februar 2005 statt gegeben, die<br />
künstliche Ernährung eingestellt woraufhin, Terri nach 15 Jahren im Wachkoma an<br />
Dehydrierung verstarb<br />
Piergiorgio Welby<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
Italiener, der seit seinem 18. Lebensjahr an Muskeldystrophie litt, befand sich 2006 im<br />
letzten Krankheitsstadium (fast vollständige Lähmung<br />
konnte nicht mehr sprechen & benötigte seit zehn Jahren ein Beatmungsgerät)<br />
September 2006: Wunsch an Zivilgericht in Rom <strong>und</strong> den italienischen<br />
Staatspräsidenten Napolitano, sterben zu dürfen Ablehnung des Antrags<br />
Tod am 20. Dezember 2006 mit Hilfe seines Arztes Mario Riccio, der Welby ein<br />
Betäubungsmittel verabreichte & das Beatmungsgerät abschaltete<br />
Der später erhobene Mordvorwurf gegen Mario Riccio wurde von einem Gericht in<br />
Rom abgewiesen<br />
Diane Pretty<br />
o Litt jahrelang an einer unheilbaren Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose<br />
(ALS) & klagte beim Europäischen Gerichtshof <strong>für</strong> Menschenrechte ein, dass ihr<br />
Mann sie ungestraft töten dürfe, um sie von ihrem Leiden zu befreien & sie vor einem<br />
qualvollen Tod zu bewahren Zurückweisung des Antrags<br />
o<br />
Diane Pretty schlief dennoch friedlich ein – sie wählte ein Hospiz als Ort ihres<br />
Sterbens<br />
4. Hospiz<br />
4.1 Begriffserklärung<br />
lateinisch „hospitium" = „Herberge“, "Gastfre<strong>und</strong>schaft"<br />
Hospitalität = Schutz, Erfrischung, Fürsorge & Beistand<br />
4.2 Hospizbewegung<br />
Ausgangspunkt der Hospizbewegung (1967): das St. Christopher´s Hospice (London)<br />
Hospizbewegung begann in Großbritannien<br />
schnelle Ausbreitung schneller Anschluss anderer Länder<br />
1974: Etablierung des ersten Hospital-Support-Teams im St. Louis Hospital in New York<br />
1975: Eröffnung des ersten Day-Care-Centre im St. Louis Hospice in Sheffield (GB) &<br />
- 6 -
der ersten Palliativstation am Royal Victoria Hospital in Kanada<br />
In GB wurde die Hospizidee kurz nach der Eröffnung zu einer Bewegung, in allen<br />
anderen Ländern dauerte es bis Ende der 80er, Anfang der 90er<br />
1988: Gründung der European Association for Palliative Care (EACP)<br />
1994: Gründung der Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> Palliativmedizin (DGP)<br />
4.3 Organisationsformen des Hospizkonzeptes<br />
Ambulantes Hospiz<br />
o Betreuung findet im Wohn- & Lebensbereich des Patienten statt<br />
o Versorgung erfolgt durch Fachkräfte & ehrenamtliche Helfer<br />
Tageshospize<br />
o Bindeglied zwischen ambulanten & stationären Hospizdiensten<br />
Stationäres Hospiz<br />
o Betreuung von Patienten mit inkurabler Krankheit, bei denen eine ambulante<br />
Versorgung nicht möglich & ein Krankenhausaufenthalt nicht notwendig ist<br />
o Betreuung erfolgt entsprechend der Bedürfnisse durch ein multidisziplinäres Team<br />
o Wichtigste Behandlung: Palliativmedizin<br />
4.4 Ziele der Hospizarbeit<br />
Professionelle Begleitung & liebevolle Zuwendung<br />
o Achtung der Würde des Menschen bis zu seinem Ableben<br />
Ermöglichung des Sterbens an dem Ort, wo der Mensch gelebt hat<br />
o Gefühl des Wohlbefindens<br />
o Integration des sozialen Umfeldes<br />
Zeit des Sterbens soll zu einer Zeit des Lebens werden, d.h. ein Leben mit eigenen<br />
Wünschen & Bedürfnissen, aber auch Ängsten<br />
o Beeinflussung der Gesellschaft<br />
o Sterben soll wieder als Teil des Lebens angesehen werden!<br />
5. Palliativmedizin<br />
5.1 Begriffserklärung<br />
Lateinisch „palliare“ = lindern<br />
Definition Palliativmedizin (in Anlehnung an die WHO):<br />
„Palliativmedizin als Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten<br />
<strong>und</strong> weit fortgeschrittenen Erkrankung <strong>und</strong> unbegrenzter Lebenserwartung, <strong>für</strong> die das<br />
Hauptziel der Begleitung die Lebensqualität ist.“<br />
5.2 Allgemeine Informationen<br />
1944: Gründung der Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> Palliativmedizin (DGP)<br />
Die Entwicklung der Palliativmedizin geht mit der Hospizbewegung einher<br />
Palliativmedizin = multidisziplinäre Arbeit<br />
Ärzte versch. Disziplinen, Krankenhauspersonal, weitere Berufsgruppen<br />
Was leistet Palliativmedizin?<br />
o Exzellente Schmerz- & Symptomkontrolle<br />
o Integration der psychischen, sozialen & seelsorgerischen Bedürfnisse der Patienten,<br />
der Angehörigen & des Behandlungsteams sowohl bei der Krankhit als auch beim<br />
Sterben & in der Zeit danach<br />
o Kompetenz in der Kommunikation & Ethik<br />
o Akzeptanz des Todes als Teil des Lebens; Lebensbejahung soll den Tod weder<br />
beschleunigen noch hinauszögern<br />
- 7 -
5.3 Organisationsformen der Palliativmedizin<br />
Ambulanter Dienst<br />
o Hausarzt & Gemeindeschwester<br />
Qualifikationen sind begrenzt<br />
o Hausbetreuungsdienste – ambulantes Hospiz<br />
Tageshospize<br />
Stationäres Hospiz<br />
Palliativstationen<br />
o stationärer Bereich neben dem Hospiz<br />
ins Krankenhaus integriert oder an eines angesiedelt<br />
o Palliativstation = 2. Generation der Hospizbewegung<br />
o Gründe <strong>für</strong> die Integration in Krankenhäuser:<br />
<br />
<br />
Die meisten Menschen sterben heutzutage in Krankenhäusern<br />
Terminalphase nichtmaligner Erkrankungen ist nur schwer vorauszusagen<br />
Aufnahme in Hospize erschwert<br />
o Vorteile einer Palliativstation:<br />
Kompetente Schmerztherapie & Symptomkontrolle, umfassende psychosoziale<br />
Unterstützung von Patient & Angehörigen<br />
o Vorteile gegenüber einem Hospiz:<br />
Diagnostische & therapeutische Möglichkeiten<br />
problemlose Einbindung versch. Disziplinen<br />
o Ziel der Tätigkeit: Unterstützung der Selbstständigkeit<br />
5.4 Aufgaben & Ziele<br />
Unterstützung des Patienten bei der Sicherung der bestmöglichen Lebensqualität <strong>für</strong> die<br />
ihm verbleibende Lebenszeit<br />
Optimale Behandlung bzw. Betreuung durch die Integration von Hausärzten, Sozial- &<br />
Krankenhausstationen in die Palliativeinrichtung<br />
Wichtig: Der Patient soll selbst entscheiden, ob er zu Hause oder in einer stationären<br />
Einrichtung betreut werden möchte<br />
Integration des Sterbens in das Leben<br />
5.5 Zukunft der Palliativmedizin in Deutschland<br />
Forderung: Integration der Palliativmedizin in das Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />
Gr<strong>und</strong>legendes Ziel der Palliativmedizin:<br />
Den Sterbenden die Möglichkeit zu geben, dort zu sterben wo sie gelebt haben<br />
Sterben muss wieder einen Platz im Leben gewinnen!<br />
Kritische Beurteilung der Lebensverlängerung um jeden Preis sowie der Vorenthaltung<br />
einer fachlichen <strong>und</strong> einfühlsamen Behandlung<br />
Medizin muss aufgr<strong>und</strong> ihres steigenden Bedarfes finanziell gefördert werden!!!<br />
Gefahr bei aktiver <strong>Sterbehilfe</strong>: Tötung von Menschen, die Unterstützung brauchen, um<br />
das Leben bis zum Ende zu ertragen<br />
Voraussetzung zum legitimen Nein zur aktiven <strong>Sterbehilfe</strong><br />
kompetente Betreuung ist heute längst nicht überall der Fall<br />
„Palliativmedizin ist eine eindeutige Absage an die aktive <strong>Sterbehilfe</strong>“<br />
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Literatur<br />
Internet:<br />
http://palliativpflege.twoday.net/stories/4122261 (19.01.08)<br />
http://www.dghs.de/ (20.01.08)<br />
http://www.dignitas.ch/ (20.01.08)<br />
http://www.drze.de/ (20.01.08)<br />
http://www.hospiz-weinsberg.de/sthi_versch_info.htm (13.01.08)<br />
http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/488/74414/ (13.01.08)<br />
Bücher:<br />
Feldmann, K.: Tod <strong>und</strong> Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick. VS Verlag <strong>für</strong><br />
Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2004.<br />
Huseboe, S.; Klaschik, E.: Palliativmedizin. Springer Verlag, Berlin <strong>und</strong> Heidelberg, 2003.<br />
Kazimierz Sekala (Hrsg.): Das Euthanasieproblem im licht der moraltheologischen Prinzipien – Euthanasie <strong>und</strong><br />
Palliativmedizin aus theologischer Perspektive, Ludwig Verlag, Kiel, 2007.<br />
Lilie, Ulrich, Zwierlein, Eduard: Handbuch Integrierte <strong>Sterbebegleitung</strong>, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,<br />
2004.<br />
Rest, F., Sterbebeistand, <strong>Sterbebegleitung</strong>, Strebegeleit. Handbuch <strong>für</strong> den stationären <strong>und</strong> ambulanten Bereich,<br />
5. Auf., Stuttgart 2006.<br />
Sa<strong>und</strong>ers, C.: Hospiz <strong>und</strong> Begleitung, Herder Verlag, Freiburg, 1993.<br />
Specht- Tomann, M./Tropper, D.: Bis zuletzt an deiner Seite: Begleitung <strong>und</strong> Pflege schwer kranker <strong>und</strong><br />
strebender Menschen, Stuttgart 2003.<br />
Stoddard, S.: Leben bis zuletzt, Piper Verlag, Zürich <strong>und</strong> München, 1989.<br />
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V.: Ein Lebensende in Würde - Ratgeber <strong>für</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> <strong>und</strong><br />
Trauerfall, 1.Auflage, Düsseldorf, 2005.<br />
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