Vortrag Frau Möllers - Deutsches Rotes Kreuz
Vortrag Frau Möllers - Deutsches Rotes Kreuz
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Dipl. Päd. Christa <strong>Möllers</strong> Juni 2013<br />
Offene Arbeit – ein Konzept entfaltet sich<br />
Die sichtbaren und die unsichtbaren Seiten der Offenen Arbeit<br />
Manuskript für den <strong>Vortrag</strong> auf der Fachtagung:<br />
„Der Weg zur offenen Arbeit“<br />
Einblicke in eine offene Pädagogik der Achtsamkeit<br />
Kiel, 4.Juni 2013<br />
Beispiele und Erläuterungen, die während des <strong>Vortrag</strong>s eingefügt wurden, sind nicht<br />
nachträglich eingearbeitet worden.<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Kitapraxis,<br />
ich bedanke mich dafür, dass ich heute, an Ihrem Fachtag einleitend Impulse zu einer Offenen<br />
Pädagogik geben darf. Ich hoffe, dass das anregende Konzept Ihres Fachtages neue<br />
Bewegung in das Denken über Offene Arbeit bringen kann.<br />
In der Verschränkung von offenem Denken und praktischer Erprobung entfaltet sich<br />
das Konzept der OA weiter – und dazu braucht es Achtsamkeit - diese These steht über<br />
meinem Referat.<br />
Zunächst jedoch noch kurz einiges zu meiner Person und zum Aufbau der Impulse:<br />
Ich engagiere ich mich seit über 20 Jahren in der Kitapädagogik, zunächst in Hamburg als<br />
Fachberaterin bei der Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten und seit 1997 in Berlin.<br />
Hier arbeite ich freiberuflich als Praxisberaterin und Fortbildnerin.<br />
Ich habe in diesem Zeitraum von über 20 Jahren viele Kindergärten und Kitas auf dem Weg<br />
in die Öffnung begleitet.<br />
In Berlin habe ich zusammen mit <strong>Frau</strong> Dr. Gerlinde Lill vor 12 Jahren das Netzwerk Offene<br />
Arbeit Berlin gegründet (NOA Berlin). Das Netzwerk versteht sich als Verbund von<br />
Praktikerinnen, die sich in sich in der Weiterentwicklung ihrer Kitas gegenseitig stärken und<br />
für die Verbreitung der Offenen Arbeit einsetzen wollen. (1)<br />
Wir haben im letzten Jahr das vierte, bundesweite Fachgespräch veranstaltet, zu dem wir<br />
jeweils Kolleginnen aus anderen Netzwerken und Arbeitskreisen für Offene Arbeit einladen.<br />
Soweit zu mir – nun zu meinem Vorhaben heute:<br />
Ich möchte den weiten Themenkreis der OA in mehreren Schritten mit Ihnen gemeinsam<br />
durchdenken. Der Überblick über mein Impulsreferat liegt Ihnen schriftlich vor.<br />
Ich beginne mit einer Sequenz zum Begriff „Offene Arbeit“.<br />
Dann raschele ich ein wenig in den Blättern der Geschichte der Frühpädagogik, um die<br />
Offene Arbeit zu verorten.<br />
Ein großer Arbeitsschritt stellt den Zusammenhang her zwischen den Zielen der Offenen<br />
Arbeit und einer entsprechenden Organisationsentwicklung.<br />
Ein Gedankenstrang, der sich durchzieht, ist die Suche nach der Freiheit in der Offenen<br />
Arbeit.<br />
1
Ich stelle vier Suchbewegungen vor: Die Freiheit im Spiel, die Freiwilligkeit von<br />
Beziehungen, die Freizügigkeit drinnen und draußen und die Freiheit des Kindes, Nein zu<br />
sagen.<br />
Und am Ende noch einmal die Frage: Was hat das alles mit Achtsamkeit zu tun?<br />
In jedem Impuls werde ich zunächst zentrale Gedanken entfalten und auf die jeweiligen<br />
kontroversen Punkte in den Diskussionen innerhalb der Vertreterinnen der Offenen Arbeit<br />
eingehen.<br />
Danach möchte ich Sie einladen, in kleinen Gruppen die vorgestellten Gedanken und Fragen<br />
für sich zu vertiefen und dabei auch auf Ihre eigene berufliche Entwicklung, auf ihren<br />
persönlichen Weg in die Offene Arbeit zu schauen. Vielleicht nehmen Sie auch einzelne<br />
Fragen mit in Ihr Team, um mit den Kolleginnen den gemeinsamen Weg nachzuzeichnen.<br />
Impuls I: Einleitende Klärung eines Arbeitsbegriffs<br />
Offen, was verstehe ich darunter?<br />
Ich beginne mit einem symbolischen Turmbau, der eine der Problematiken des Begriffs<br />
Offene Arbeit veranschaulichen kann.<br />
Lange Zeit wurde Offene Arbeit als Gegenbegriff zur gruppenbezogenen Arbeit verstanden.<br />
Aus der Sicht der Gruppenerzieherin klang ihr Blick auf die Gruppenarbeit folgendermaßen:<br />
„Meine Gruppe, mein Raum, meine Zeit mit den Kindern, mein Material, meine Eltern“.<br />
Aufeinander gesetzt bilden diese Merkmale einen festen Turm (mit hoher Klebekraft) und so<br />
wie beim Leuchtturm hat die Gruppenerzieherin (als Spitze dieses Turms) dann auch das<br />
Geschehen „im Überblick“.<br />
Ein Umstürzen des „Turmes“, um jedes Merkmal für sich auf seine pädagogische Relevanz zu<br />
befragen, schien lange Zeit nicht denkbar und anscheinend geschah genau dies bei der<br />
Offenen Arbeit: Jahrzehntelange Gewissheiten der Kitapädagogik wurden in Frage gestellt.<br />
Wenn man die einzelnen Elemente des Turmes für sich betrachtet, klingen hier schon die<br />
ersten Grundgedanken der Offenen Arbeit an:<br />
Welche unterschiedlichen Gruppen- und Gemeinschaftserfahrungen, welche Freizügigkeit<br />
zwischen und in Spielräumen, welche Wahlmöglichkeiten (in Bezug auf Spielpartner und<br />
Erwachsene, Materialien und Zeit) gewinnt ein Kind in offeneren Strukturen? Und was<br />
gewinnen die Erwachsenen, die nicht mehr in Vergleich und Konkurrenz nebeneinander in<br />
ihren Gruppen arbeiten, sondern miteinander?<br />
Von den Zweiflerinnen an der Offenen Arbeit wurde eher ein Bild von Unordnung,<br />
Unübersichtlichkeit, ständig offenen Türen und herumrennenden Kindern gezeichnet. Das<br />
Bild des umgestürzten Turmes verdeutlicht diese Sichtweise.<br />
Sie verstärkte sich dadurch, dass häufig als Gegensatz zur Offenen Arbeit „geschlossene<br />
Arbeit“ mitgedacht wurde. Entsprechend emotional waren die wechselseitigen<br />
Unterstellungen. Sie schwingen manchmal auch heute noch mit, wenn Umschreibungen und<br />
Hilfskonstruktionen bemüht werden, um anzuzeigen, dass ein Team zwar nicht offen arbeitet,<br />
aber bitte doch keineswegs „geschlossen“: halboffen, teiloffen, stunden- und tageweise<br />
offen….mit und ohne Stammgruppen …<br />
Solange die Botschaft von OFFEN reduziert wird auf die Absage an die oben genannten<br />
Strukturmerkmale von gruppenbezogener Arbeit, kommen wir aus der Gegenüberstellung<br />
nicht heraus.<br />
2
Deshalb möchte ich hier für eine inhaltliche Füllung der Bezeichnung „Offene Arbeit“<br />
plädieren und gleichzeitig dafür, den „Markennamen“, der sich inzwischen etabliert hat,<br />
beizubehalten.<br />
Zur Begriffsbildung „Offene Arbeit“:<br />
Sie wurde parallel zum „Offenen Unterricht“ gebildet, der in den frühen 80iger Jahren<br />
bereits in vielen Grundschulen praktiziert wurde. Die Vorstellung, dass Kinder und Eltern aus<br />
einem offenen Kindergarten weiter gehen würden in eine offene Grundschule, war nicht nur<br />
Zukunftsmusik und findet heute verstärkt statt. Die neuen Modelle einer offenen<br />
Eingangsstufe oder einem jahrgangsübergreifendem Lernen fußen auf den Prinzipien des<br />
Offenen Unterrichts.<br />
Die Bezeichnung Offene Arbeit enthielt aber auch von Beginn an ein Programm: Offene<br />
Arbeit ist offen für alle Kinder! Damit gehörte die Forderung nach Integration zentral zur<br />
Offenen Arbeit: Flexibilisierung von Strukturen, Differenzierung und Individualisierung<br />
wurden erprobt.<br />
Das Begriffspaar „Offene Arbeit“ erklärt sich nicht von selbst, das zeigt sich auch in<br />
Gesprächen mit Eltern und pädagogischen Laien immer wieder.<br />
„Offene Arbeit“ enthält gleich zwei wenig bildhafte Bezeichnungen: offen und Arbeit.<br />
Der Begriff „Arbeit“ ist vielschichtig aufgeladen und weckt, neben positiven auch negative<br />
Assoziationen (Acht-Stunden-Tag, Tarifvertrag, burn-out ..) Er ist eindeutig<br />
erwachsenenzentriert und wenig inspirierend in Bezug auf das Miteinander in einer offenen<br />
Kita.<br />
So wurden und werden immer wieder Umschreibungen gesucht oder neue Bezeichnungen<br />
kreiert, die das Wort „Arbeit“ umgehen: der offene Kindergarten, die offene<br />
Kindertageseinrichtung, das offene Haus, das offene Konzept, die offene Pädagogik.<br />
Am entschiedensten hat Gerd Regel eine neue Umschreibung versucht: er entfaltete die<br />
Vorstellung von den sichtbaren und unsichtbaren Seiten der Offenen Arbeit im Sinne von<br />
Öffnung und Offenheit und spricht in seinem gleichnamigen Buch von einer „offenen<br />
Pädagogik der Achtsamkeit“. (2)<br />
So klingt es ja auch im Titel Ihrer Fachtagung heute auf.<br />
Es geht nicht mehr nur um eine Kennzeichnung der äußeren Strukturen in einer Kita, sondern<br />
um einen veränderten Blick auf den Kern der Offenen Arbeit.<br />
Im Mittelpunkt eines offenen Hauses stehen nicht mehr die vorausplanenden und gestaltenden<br />
Erwachsenen. Im Zentrum steht das aktive, sich selbst bildende Kind in seiner Autonomie in<br />
einer gleichwürdigen Beziehung zu den Erwachsenen als Entwicklungsbegleiter(innen).<br />
Ausgehend vom Kern der Offenen Arbeit, der veränderten Beziehung zwischen Erwachsenen<br />
und Kindern, können dann die Fragen der praktischen Gestaltung eines offenen Hauses<br />
durchdacht werden.<br />
Die Unterscheidung zwischen einem Kern oder den leitenden Prinzipien, an denen Offene<br />
Arbeit sich orientiert, und einer vielfältigen, bunten Außenseite, die den jeweiligen<br />
Besonderheiten eines Hauses entspricht, war für unseren Austausch im NOA sehr klärend. Es<br />
geht nicht mehr darum, den Grad der Offenheit an standardisierten Auffassungen von<br />
Raumgestaltung oder Tagesablauf zu messen.<br />
Fragen wie: „Ihr habt keinen Bewegungs- oder Rollenspielraum? Kein Kinderrestaurant?<br />
Keinen regelmäßigen Morgenkreis? Wie verteilen sich die Kinder auf die Angebote – oder<br />
etwa: wie verteilt Ihr die Kinder auf die Angebote?“ erübrigen sich.<br />
3
Im Kern geht es um wenige leitende Prinzipien, die als geistiger Hintergrund immer<br />
mitgedacht werden, wenn praktische Lösungen für das Zusammenleben und –lernen im Alltag<br />
entschieden werden müssen. Ich werde den Kern der Offenen Arbeit in den folgenden<br />
Impulsen zunehmend erläutern.<br />
Hier seien nur erste Schlaglichter gesetzt:<br />
Es geht um das Wohlbefinden aller Kinder, um die möglichst große Erweiterung der inneren<br />
und äußeren Spielräume von Kindern und um Respekt vor der Autonomie jedes Kindes.<br />
Dies lässt sich fokussieren auf den Begriff der Freiheit, Freiheit als konkreter Freiraum und<br />
als geistiger Spielraum für Entwicklungen. Das gilt für Kinder und Erwachsene.<br />
Diese Kerngedanken zum Leben zu bringen, liegt in der Verantwortung der erwachsenen<br />
Pädagogen, deshalb bezeichnet Gerd Regel sie als „Akteure oder Selbstgestalter der eigenen<br />
Pädagogik“. (3) Die Erzieher(innen) entwickeln daraus die Außenseite, die sichtbare Seite<br />
ihrer Offenen Arbeit im Blick auf die Besonderheiten der Kinder, ihrer Eltern und der<br />
praktischen Gegebenheiten des Hauses. Dazu gehören auch die besonderen Kompetenzen, die<br />
im Team zusammenkommen und die gemeinsame Nutzung aller Ressourcen. Die<br />
Pädagoginnen schaffen Entwicklungsbedingungen für die ihnen anvertrauten Kinder. Es geht<br />
darum, die Kita als einen Lebens- und Lernort für Kinder mit den Kindern zu gestalten, damit<br />
aus einem Haus für Kinder ein Haus der Kinder wird.<br />
Jedes Haus zeigt dann ein eigenes, buntes Profil, das sich aber jeweils orientiert an dem Kern<br />
der Offenen Arbeit – und darin liegt die Gemeinsamkeit!<br />
Foto: Offene Arbeit hat die Nische verlassen<br />
Gesprächsimpulse:<br />
Erinnern Sie sich bitte an Ihre erste konkrete Begegnung mit Offener Arbeit –<br />
wann, wo, erste Eindrücke, Ideen, Gefühle, Fragen, Zweifel?<br />
Und: „es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck“ –<br />
wie gestalten Sie heute den ersten Eindruck von Ihrem offenen<br />
Kindergarten für Kinder, Eltern, Gäste …?<br />
Welche Formulierungen, Beispiele, Begründungen verwenden Sie, wenn Sie z.B.<br />
Eltern die Offene Arbeit in Ihrer Kita erläutern wollen?<br />
(Oder, wenn Sie erläutern wollen, warum sie in Ihrem<br />
Kindergarten, Ihrer Kita nicht nach dem offenen Konzept arbeiten)<br />
Wie füllen Sie den Begriff „OFFEN“?<br />
Impuls II:<br />
Offene Arbeit ist nicht vom Himmel gefallen<br />
Zur Entstehungsgeschichte der Offenen Arbeit und aktuelle Trends<br />
Ich beginne mit einer kleinen Geschichte aus meiner Kindheit:<br />
Ich besuchte als Kind in den frühen 50iger Jahren in Rheine, einer Stadt in Westfalen, einen<br />
katholischen Kindergarten, meine Erzieherin hieß Tante Hedwig. Tante Hedwig regelte viel<br />
im Verlaufe eines Tages, aber eine ihrer morgendlichen Aktionen sehnte ich herbei und<br />
fürchtete ich zugleich:<br />
Wir Kinder mussten uns in dem großen Raum an leeren (runden, roten) Tischen auf die Stühle<br />
setzen. Tante Hedwig, natürlich mit weißer Schürze bekleidet, schritt zu den geschlossenen<br />
Spielschränken an der Wand und zog Schubläden heraus und stellte jeweils eine auf einen<br />
Tisch. Das war der Moment der großen Lotterie!!! In jeder Schublade war anderes<br />
Spielmaterial. War in der Schublade eines der heißbegehrten Spielutensilien war die nächste<br />
4
Stunde gerettet oder auch nicht …. Die von mir ersehnte Schublade mit der Korkplatte, den<br />
bunten Holztäfelchen in vielen Formen, den kleinen Nägeln und dem Hämmerchen fand sich<br />
in meiner Erinnerung nahezu nie auf „unserem“ Tisch ein. Tauschen war nicht erlaubt.<br />
Seitdem kenne ich die Untiefen des pädagogischen (Un)Wortes Beschäftigung und weiß,<br />
welche Freiheit im Wort Freies Spiel steckt. Die berühmten 5 W´s des freien Spiels, die die<br />
Offene Arbeit in ihren Anfängen deutlich postulierte, hätten mir als kleinem Mädchen den<br />
Horizont der Selbstbestimmung geöffnet: Jedes Kind kann für sich entscheiden,<br />
was es mit wem, wie lange, wo und auf welche Weise spielen möchte.<br />
Es lohnt sich, auf die Suche nach solchen Geschichten im Sinne von Schlüsselsituationen in<br />
der eigenen Biographie zu gehen: Wo habe ich mich als Kind eingeengt gefühlt, seit wann<br />
kenne ich die Sehnsucht nach mehr Offenheit? Ihre Geschichten werden natürlich „moderner“<br />
sein als meine Kindergartengeschichte aus alter Zeit. Aber es geht immer wieder um die<br />
Bestimmungsmacht der Erwachsenen über das Spielen und Lernen von Kindern.<br />
Macht macht unachtsam.<br />
Die Freiheiten des Spielens wurden in der Kindergartenpädagogik der Nachkriegszeit in der<br />
alten BRD ebenso wie in der sog. sozialistischen Erziehung in der damaligen DDR nur in sehr<br />
kleinen Münzen ausgezahlt. Heute schauen wir mit achtsameren Augen und mit einem<br />
anderen Verständnis auf das freie Spielen der Kinder. Ein Prüfstein für Offenheit ist die<br />
Frage, wie viel Raum und Zeit Kinder für ihr freies, Wirklichkeit und Fantasie verknüpfendes<br />
Spiel haben. Es wird nicht als Zeitpuffer zwischen andere Arbeitsformen geschoben.<br />
Eine entspannte Atmosphäre, in der sich Kreativität entfalten kann, entsteht, wenn Kinder und<br />
Erwachsene jeden Tag unverplante Zeit vor sich haben.<br />
Unverplante Zeit einplanen, das klingt paradox, aber es dient der Muße und Achtsamkeit im<br />
Kitaalltag. Diese Idee wird in mehreren NOA-Kitas umgesetzt.<br />
Sie kennen alle die Eigendynamik der Planungen der Erwachsenen: Vom Morgenkreis über<br />
Angebote, regelmäßige Zusammenkünfte auf den „Bildungsinseln“, Sprachfördergruppen und<br />
„eingekauften Kursen“ von außen … und abends die Klage, zu nichts gekommen zu sein.<br />
Dabei bleibt für die Kinder oft wenig Zeit, ihre Spielideen zu entwickeln, alles dafür<br />
vorzubereiten, sie auszuleben im eigenen Tempo und nachklingen zu lassen, geschweige<br />
denn, satt vom Spielen noch ein wenig zu träumen oder sich treiben zu lassen…anderen<br />
Kindern beim Spielen zuzuschauen und neue Spielideen in sich wachsen zu lassen…kindliche<br />
Achtsamkeit nach innen….<br />
Wie viel wissen wir eigentlich darüber, wie sich Spielfähigkeit entfaltet?<br />
Die Offene Arbeit postulierte von Anfang an das Recht der Kinder auf ungestörtes Spiel:<br />
Erwachsene schützen das ungestörte Spielen der Kinder an vielen Orten drinnen und draußen,<br />
gestalten mit den Kindern Rückzugsorte, nicht nur zum Ausruhen, auch zum Spielen.<br />
Die Erwachsenen begleiten die Aktionen der Kinder mit Wachheit und Resonanz,<br />
keineswegs nur bei gezielten Beobachtungen. Achtsam gegenüber dem freien Spiel können<br />
Erwachsene mit den Kindern überlegen, welche Unterstützung sie evt. benötigen.<br />
Die Nähe der Erwachsenen beim freien Spielen der Kinder war lange Zeit in der Praxis der<br />
Offenen Arbeit umstritten. Zunächst wurde die sog. Freispielzeit als vollständig<br />
erwachsenenfreie Phase im Kitaalltag postuliert, später – ich nehme an mit dem Auftreten der<br />
Altersmischung und der kleineren Kinder (und der Bildungspläne) kam das Thema der<br />
„Spielbegleitung“ auf, noch später das der Beobachtung. Ich finde, dass das freie, ungestörte,<br />
(auch unbeobachtete) Spielen der Kinder regelmäßig in Teamrunden bedacht werden sollte:<br />
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Erwachsene sind achtsame „Hüter“ eines kreativen Spielgeistes! Wo sonst können Kinder<br />
ihre schöpferischen Kräfte ohne thematische Vorgaben und Begrenzungen der Erwachsenen<br />
entfalten?<br />
Oder, in den Worten von Maria Montessori:<br />
„Die Freiheit ist dann erlangt, wenn das Kind sich seinen inneren Gesetzen nach,<br />
den Bedürfnissen seiner Entwicklung entsprechend, entfalten kann.<br />
Das Kind ist frei, wenn es von der erdrückenden Energie des Erwachsenen<br />
unabhängig geworden ist.“<br />
Nach diesem Exkurs zum freien Spiel noch einige Anmerkungen zur Entstehungsgeschichte<br />
der Offenen Arbeit:<br />
Das Stichwort Montessori ist schon gefallen. Sie hat, im Kontext mit anderen<br />
Reformpädagogen, entschieden darauf hingewiesen, dass Kinder „Baumeister ihrer eigenen<br />
Entwicklung“ sind. Solche befreienden Ideen der Reformpädagogen konnten sich, ebenso<br />
wie ihre Gedanken zur Selbsttätigkeit der Kinder und deren Wunsch nach Selbstwirksamkeit<br />
nicht durchsetzen, sondern wurden durch den Ungeist des Faschismus nahezu vollständig aus<br />
der Kindergartenpädagogik verbannt.<br />
In der alten BRD und in der DDR wurde nach dem 2. Weltkrieg die alte, stark<br />
erwachsenenzentrierte Kindergartenpädagogik restauriert. In der DDR verfestigte sie sich und<br />
fand ihren, auch ideologischen Ausdruck in dem „Programm für die Bildungs- und<br />
Erziehungsarbeit im Kindergarten“, das Kinder und Erzieherinnen stark begrenzte.<br />
Gruppenstrukturen und Altershomogenität wurden überhaupt nicht in Frage gestellt.<br />
In der alten Bundesrepublik dagegen drängten Pädagogen in den späten 60iger Jahren auf<br />
neue Lösungen.<br />
Es lohnt sich, in die Gemengelage der Entstehungszeit von Offener Arbeit genauer hinein zu<br />
leuchten.<br />
Ich beleuchte im Folgenden die Wurzeln der Offenen Arbeit, um deutlich machen, wie nah<br />
manche pädagogischen Konzepte in ihrer Entstehung beieinander lagen – und sich auch heute<br />
noch gut ergänzen und bereichern können. Zwischen den unterschiedlichen kindzentrierten<br />
Ansätzen geht es nicht um Konkurrenz, sondern um wechselseitige Perspektiverweiterungen.<br />
.<br />
Hier nur einige (in der Kürze auch subjektiv gefärbte) Anmerkungen:<br />
In anderen, nicht nur europäischen Ländern, gab es bereits in den 50iger Jahren interessante<br />
Entwicklungen, die das aktive, sich selbst bildende Kind in den Mittelpunkt stellten und die<br />
nach neuen pädagogischen Arbeitsansätzen suchten. Die Freinetpädagogik in Frankreich (und<br />
Kanada), die Reggiopädagogik in Italien, Montessorihäuser in den Niederlanden (und Indien),<br />
Paolo Freire in Südamerika mit seinem kämpferischen Begriff der Schlüsselsituationen und<br />
Ivan Illich in Mexiko, mit seiner grundsätzlichen Kritik an Institutionen, sie alle wurden in<br />
Deutschland rezipiert – an den westdeutschen Universitäten und Fachhochschulen bewegte<br />
sich das Denken. Die Studentenbewegung trug viel dazu bei.<br />
Auch die gesellschaftliche Realität der späten 60iger Jahre in der alten BRD weist große<br />
Unterschiede zu der der Nachkriegszeit auf: Familien- und Wohnsituationen werden<br />
vielfältiger, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird für die <strong>Frau</strong>en zum Thema, die<br />
Geburtenrate sinkt, die Städte verändern sich im Sinne einer „vorbereiteten Umgebung für<br />
Autos und nicht für Kinder“…<br />
Die neuen Blicke auf Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers bestimmen auch die innovativen<br />
Suchbewegungen in der Kitapädagogik.<br />
„Mehr Demokratie wagen“ war das Schlagwort von Willi Brandt.<br />
6
Ab den 70iger Jahren entsteht der Situationsansatz im Anschluss an Paolo Freire, die<br />
Integration von behinderten Kindern wird Programm, die aufkommenden neurobiologischen<br />
Forschungen (Kinder lernen in Bewegung) führen zur Psychomotorik – die Kitaszene bewegt<br />
sich mit. Öffnung nach außen und innen wird zum Programm!<br />
Es geht um Individualisierung und differenziertes Arbeiten: Die Kita und ihre Räume als<br />
anregungsreiche Umgebung für Kinder kommen in den Blick, die ersten Fotobände nehmen<br />
den Slogan der Reggiopädagogik „vom Raum als dritten Erzieher“ auf. Projektarbeit mit<br />
Kindern wird zum großen Thema und auch zur großen Herausforderung an die Erzieherinnen.<br />
Natürlich ist dies keine einheitliche programmatische Entwicklung. Sie ist abhängig von den<br />
Menschen in der Praxis, die bereit sind, sich zu öffnen, um z.B in Modellprojekten wie dem<br />
des Deutschen Jugendinstituts zum Situationsansatz mitzuarbeiten.<br />
In der Dynamik dieser Jahre in der bundesrepublikanischen Kitapädagogik lässt sich auch die<br />
Entstehung der Offenen Arbeit verorten.<br />
Es waren Praktikerinnen, die sich auf den Weg machten.<br />
In den Kitas und Horten in den Großstädten begann eine Umorientierung auf offenere<br />
Arbeitsformen, aber auch die Kolleginnen aus zum Teil kleinen Halbtagskindergärten auf<br />
dem Lande suchten nach neuen Lösungen. Sie waren unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation<br />
und dem engen Korsett des Tagesablaufs. Auf der Suche nach mehr Freiheit für die Kinder<br />
und sich selbst öffneten sie die Gruppenräume und gestalteten sie zu unterschiedlichen<br />
Spielräumen.<br />
Der alte Begriff damals war „Funktionsräume“. Heute, mit größerer Offenheit gegenüber<br />
einer variableren Raumgestaltung, sprechen wir lieber von Aktivitätsbereichen,<br />
Erlebniszonen, Spielorten und auch die Kinder benennen die Räume jeweils neu.<br />
Eine bindende Vorschrift, welche Räume es denn nun in einem offenen Kindergarten von<br />
Erwachsenen zu gestalten gäbe, widerspricht der Offenheit des Ansatzes, nämlich achtsam<br />
den Spuren der Kinder zu folgen und mit ihnen gemeinsam jeweils passende Lösungen zu<br />
suchen.<br />
Diese ersten großen Veränderungen in der Raumstruktur einer Kita hatten Folgen in Hinblick<br />
auf die Planung des Tages und insbesondere auf die neue Rolle der Erwachsenen, die nicht<br />
mehr als „Einzelkämpferinnen im pädagogischen Zehnkampf“ auftraten, sondern sich im<br />
Team zusammenfinden mussten. Fragen der Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten<br />
wurden neu geklärt. Das Rollenbild der Fachfrau faszinierte zunächst; inzwischen ist deutlich,<br />
dass es nicht die übergreifenden Kompetenzen einer Pädagogin zurückdrängen darf.<br />
Viele Sicherheitsnetze wurden anfänglich gezogen, Listen und Pläne entworfen, Rituale wie<br />
Stammgruppentreffen, Morgenkreisgong etc. wurden erfunden.<br />
Es ist spannend, diese Kindergärten der „ersten Stunde“ heute zu besuchen und mit ihnen auf<br />
ihre Entwicklungsschritte zurückzuschauen. Mit steigendem Vertrauen in die Kinder und in<br />
die tragende Kraft einer anregungsreichen Umgebung wuchs auch das Selbstbewusstsein der<br />
Teams. Sicherheitsnetze konnten geöffnet werden.<br />
Rückblickend lässt sich diese Bewegung zu Recht als eine Basisbewegung kennzeichnen –<br />
Praxis entwickelt sich weiter!<br />
Unterstützt von Fachberatung, Fortbildung und Wissenschaft werden seit 1984<br />
Arbeitsmaterialien und Praxisberichte herausgegeben. Inzwischen ist die Literaturliste zur<br />
Offenen Arbeit durchaus umfangreich. Die Fachdiskussion lebt auf Tagungen und<br />
Kongressen, die Kolleginnen treffen sich in Arbeitskreisen und Netzwerken.<br />
7
Allerdings gab und gibt es meines Wissens viel mehr offene Häuser in den alten<br />
Bundesländern und auch die Vernetzung der Offenen Kitas ist dort stärker.<br />
Ich hoffe, dass eine Auswirkung dieses Fachtages sein kann, dass auch hier, in Schleswig-<br />
Holstein, sich offene Kitas zu einem Netzwerk zusammenschließen – um sich gegenseitig zu<br />
unterstützen und um die Öffentlichkeitsarbeit voranzubringen.<br />
Egal, ob es um die Initialzündung zur Öffnung geht oder um den Austausch zu Alltagsfragen,<br />
immer spielt die Hospitation vor Ort eine große Rolle. Kolleginnen eines Hauses erläutern<br />
anderen Kolleginnen die eigene Alltagsarbeit und die dahinter liegenden konzeptionellen<br />
Begründungen. Kollegiale Beratung und kollegialer Austausch prägen für mich bis heute die<br />
Offenheit in der Entwicklung der Offenen Arbeit und garantieren, dass sich im Konzept einer<br />
Offenen Pädagogik die Vielfalt der offenen Kitas wieder finden kann.<br />
In den letzten Jahren zeichnen sich neue Entwicklungen ab:<br />
Die Empfehlung zur Öffnung tritt von außen an die Kitas heran.<br />
So wird in der Überarbeitung des Bayrischen Bildungs- und Erziehungsplans die Offene<br />
Arbeit als die beste Arbeitsform gekennzeichnet, um das Bildungkonzept umzusetzen. Auch<br />
das überarbeitete Bildungsprogramm von Sachsen-Anhalt geht von Offener Arbeit aus.<br />
Immer mehr Träger entscheiden (aus sehr unterschiedlichen Gründen) auf der oberen<br />
Führungsebene, dass Offenes Arbeiten in den Kitas gewünscht wird.<br />
Im Netzwerk Offene Arbeit Berlin haben wir Kitas, die sich in einem langen<br />
Teamfindungsprozess zur Offenen Kita entwickelt haben und ebenso Häuser, denen dieses<br />
Konzept höchst „unoffen“ verordnet wurde und deren Teams aber für sich diese Entscheidung<br />
noch einmal erarbeitet haben.<br />
Die übergeordnete Frage: Kitaentwicklung von unten oder von oben – kann nicht pauschal<br />
beantwortet werden, auch wenn Offene Arbeit aus einer Basisbewegung von Praktikerinnen<br />
entstanden ist. Die Frage lautet viel mehr: welche Chancen und Schwierigkeiten bieten die<br />
unterschiedlichen Zugänge und welche Entwicklungsaufgaben stellen sich jeweils einem<br />
Team, aber auch dem Träger?<br />
Foto:<br />
Rascheln in den Blättern der Geschichte<br />
Gesprächsimpulse:<br />
Jede(r) von Ihnen hat andere Ausgangspunkte für die eigene Auseinandersetzung mit der<br />
Offenen Arbeit - ab wann und in welchen Kontexten ist Öffnung für Sie zum Thema<br />
geworden?<br />
Zu welchem Zeitpunkt sind Sie praktisch in die Erprobung der Offenen Arbeit eingestiegen?<br />
Wie frei oder verordnet war Ihre Entscheidung?<br />
Und: Jede Kollegin, jeder Kollege trägt Verantwortung für die eigene fachliche<br />
Weiterbildung – welche praktischen Erfahrungen und fachlichen Impulse waren für Sie auf<br />
dem Weg der Offenen Arbeit „beflügelnd“?<br />
8
Impuls III:<br />
In der Verschränkung von offenem Denken und praktischer Erprobung<br />
entfaltet sich das Konzept der Offenen Arbeit weiter -<br />
die räumlichen und organisatorischen Strukturen wachsen mit<br />
Ich beginne mit einem Gedicht des chinesischen Philosophen Lao-tse:<br />
Das Wesentliche bleibt unsichtbar<br />
Der Reifen eines Rades wird gehalten von den Speichen,<br />
aber das Leere zwischen ihnen ist das Sinnvolle beim Gebrauch.<br />
Aus nassem Ton formt man Gefäße,<br />
aber das Leere in ihnen ermöglicht das Füllen der Krüge.<br />
Aus Holz zimmert man Türen und Fenster,<br />
aber das Leere in ihnen macht das Haus bewohnbar.<br />
So ist das Sichtbare zwar von Nutzen,<br />
doch das Wesentliche bleibt unsichtbar.<br />
Diese Verknüpfung von Innen und Außen, vom Sichtbaren und Unsichtbaren umschreibt für<br />
mich die Verbindung zwischen dem Kern der Offenen Arbeit und der vielfältigen Außenseite.<br />
Durch Achtsamkeit wird sie sichtbar.<br />
Die Institution nach innen und außen zu öffnen, heißt für mich, sich für eine offene Kindheit<br />
einzusetzen, für eine Kindheit, in der Kindern das Recht zugestanden wird, im alltäglichen<br />
Tun die eigenen Lernwege zu gehen und ihnen dafür eine offene Lernumgebung zu bieten.<br />
Dazu brauchen sie dringend andere Kinder, mit denen sie die Lust am Lernen teilen können<br />
und mit denen sie gemeinsam ihr Weltwissen „kokonstruieren“ können.<br />
Wir Erwachsenen haben hier die Verantwortung, die Kita als einen offenen Lernraum zu<br />
gestalten, in dem Kinder angeregt und begleitet, vielfältig unterstützt, aber nicht in ihren<br />
Lernbemühungen eingeengt oder in Schablonen gepresst werden. Es gilt, unser pädagogisches<br />
Tun achtsam zu reflektieren. (4)<br />
Im NOA Berlin haben wir intensiv daran gearbeitet, den Begriff der Freiheit, der im Kern der<br />
Offenen Arbeit mitschwingt, zu präzisieren. Es gilt, diesen großen Begriff auch in den kleinen<br />
alltägliche Gegebenheiten einer Kita aufzusuchen. „Das Große im Kleinen finden“ – das ist<br />
das Forschungsvorhaben der NOA-Kolleginnen für das neue Jahr.<br />
Über die Freiheit des Spiels habe ich schon gesprochen.<br />
Uns geht es auch um die Freiheit in der Beziehungsgestaltung.<br />
Wie hoch wird der Wert von freiwilligen Beziehungen eingeschätzt – zwischen Kindern und<br />
zwischen Kindern und Erwachsenen?<br />
In den Kitas wird viel dafür getan, dass Kinder sich wohl fühlen, Sicherheit und Geborgenheit<br />
erfahren können. Dass ein Kind sich zugehörig fühlt, ist von der „Eingewöhnung“ an im Blick<br />
der Erwachsenen.<br />
Aber es geht um mehr: Es geht um die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und<br />
Selbstbestimmung von Anfang an.<br />
Haben Kinder – über ihre Entscheidungen beim freien Spiel für ihre Spielpartner hinaus – die<br />
Möglichkeit, frei zu entscheiden, zu welchen kleinen Gruppen sie gehören, an welchen<br />
Aktionen sie sich beteiligen, welche kurzfristigen und länger andauernden Beziehungen sie<br />
knüpfen wollen – und zwar zu Kindern und zu unterschiedlichen Erwachsenen?<br />
9
Sind Angebote, die die Erzieherinnen den Kindern vorstellen, im Wortsinne Angebote,<br />
d.h. sind sie auch nicht anzunehmen? Oder gibt es nur die freie Wahl zwischen mehreren<br />
Angeboten?<br />
Wie frei ist übrigens der Lernweg innerhalb eines Angebotes, eines Lernpakets? Wie viel<br />
Gestaltungsfreiheit haben hier die Kinder, ihre eigenen Denkwege zu gehen und ihren<br />
individuellen Ausdruck zu finden.<br />
Diese Offenheit ist für mich ein Privileg der frühen Kindheit.<br />
Solche Fragen waren und sind zwischen den Kolleginnen in der Praxis oft strittig.<br />
Ich kenne viele Offene Kitas, die sich für die Wahlpflicht zwischen den Angeboten einsetzen.<br />
Ebenso kenne ich Kolleginnen, die sich entschieden haben, vorrangig ihr Angebot in einer<br />
anregend gestalteten Lernumgebung und in sich als Personen, als zugewandte, neugierige,<br />
kundige Lernbegleiterinnen zu sehen. Es werden keine „Angebote“ im alten Sinne mehr<br />
abgesprochen und angekündigt. Es gibt für kleine freiwillige Gruppen Erkundungs-,<br />
Forschungs- und Aktionsprojekte. Von der kurzen „Ideenarbeit“ (5) bis zum großen<br />
Werkstattvorhaben ist alles möglich.<br />
Die Erwachsenen folgen achtsam den Spuren der Kinder, sie folgen den Spuren einzelner<br />
Kinder. Dabei können sie erstaunliche Bildungsprozesse entdecken und miterleben, wie<br />
kindliche Kompetenzen sich entfalten.<br />
Die Erzieherinnen können - auch mit dem analytischen Blick auf Bildungsbereiche -<br />
nachzeichnen, welche Schritte ein Kind gegangen ist und welche Unterstützung von<br />
Erwachsenen hilfreich war. Die Perspektive „vom Kind aus “ eröffnet überraschende<br />
Handlungsstrategien.<br />
Die Perspektive, von Sachstrukturen, Fachdisziplinen her zu denken, führt leicht zu einer<br />
„Versäulung“ und nicht zu bereichernden Querverbindungen. Diese Gefahr sehe ich z. B. im<br />
Berliner Bildungsprogramm mit seinen sieben Bildungsbereichen, die teilweise getrennt<br />
„abgearbeitet“ werden oder sich sogar räumlich in den sog. Bildungsinseln abbilden.<br />
Ebenso fragwürdig (im Wortsinne) sind die Verpflichtungen zu den diversen Kreisen, die sich<br />
in der Offenen Arbeit ritualisiert haben.<br />
Für welche Zwecke ist ein Morgenkreis gut geeignet – und braucht es dafür eine Teilnahme<br />
aller Kinder?<br />
Das gleiche gilt für die Einrichtung von festen Stammgruppen (wer hat diesen Begriff nur<br />
erfunden?)<br />
Ich unterscheide zwischen einer Bezugsgruppe, d.h. einer Anzahl von Kindern und Eltern, die<br />
von einer Erzieherin, als Bezugserzieherin durch die Kitazeit begleitet wird und der festen<br />
Etablierung von Stammgruppen, die sich im Kitaalltag verbindlich zusammenfinden müssen.<br />
Stammgruppen galten einmal als Strukturmerkmal von Offener Arbeit, die Praxis zeigt<br />
inzwischen viele Varianten.<br />
Kleine und große, regelmäßig wiederkehrende Gemeinschaftserfahrungen sind für Kinder und<br />
Erwachsene wichtig.<br />
Sich freiwillig zusammenfindende Kreise zum Singen und Tanzen, Erzählen und Vorlesen,<br />
Erkunden und Philosophieren werden von Erzieherinnen initiiert. Hier können Kinder<br />
Schätzen aus unserer Kulturgeschichte und der anderer Länder begegnen. Kinder und<br />
Erwachsene erleben den Reiz von Zusammengehörigkeit durch ein gemeinsames Interesse<br />
und Lust am gemeinsamen Tun.<br />
Auch kleine Gruppen, die von Kindern initiiert werden, brauchen die Achtung und<br />
gelegentlich auch die Unterstützung von Erwachsenen: es gilt, den Kindern die Bearbeitung<br />
ihrer Fragen und Vorhaben nicht aus der Hand zu nehmen. Als Erwachsener offen zu sein für<br />
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die Themen der Kinder ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist – anbetracht von<br />
ausgearbeiteten Bildungsplänen und formulierten Erwartungen von manchen Eltern und<br />
Schulen – bedeutend schwieriger: Wie bestärken wir Kinder in ihrem Drang, den eigenen<br />
Weg zu gehen, der eigenen Kraft zu vertrauen und wie unterstützen wir sie bei der Suche nach<br />
mitdenkenden „Kokonstrukteuren“? Und wie bringen wir uns mit unseren Ideen, Anregungen<br />
und möglicher Unterstützung ins Spiel, ohne uns ungefragt einzumischen?<br />
Die dahinter liegende Frage lautet: Wann schreiben wir Beziehungen fest und was tun wir<br />
dafür, dass Kinder stark werden in der freiwilligen Aufnahme und Beendigung von<br />
Beziehungen? Welche Auswirkungen hat das auf die soziale Kompetenz der Kinder?<br />
Auch hier liegt Forschungsbedarf.<br />
Eine weitere Dimension von Freiheit ist die Ebene der Freizügigkeit, der freien Wahl des<br />
Aufenthaltsortes im offenen Haus, auf der offenen Etage, der freien Wahl zwischen drinnen<br />
und draußen.<br />
Gerade der letzte Punkt ist oft ein Indikator dafür, wie stark wir Erwachsenen in die Freiheit<br />
des Spielens und Lernens eingreifen.<br />
Die Mehrzahl der Angebote findet häufig in Räumen statt – welche Botschaft geben wir<br />
damit: Die wichtigen Lernprozesse sind drinnen? Draußen ist eher Spiel, Bewegung und (aus<br />
Elternsicht formuliert) „frische Luft“?<br />
Gerd Regel schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass alle Funktionsbereiche, die es drinnen<br />
gibt, in einer – natürlich veränderten Weise – auch draußen gestaltet werden sollten. Und<br />
selbstverständlich sollte es auch Kolleginnen geben, die im Sinne von Fachfrauen sich für das<br />
Entdeckungsland Außengelände engagieren!<br />
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass die Antwort auf viele alltägliche Fragen der Offenen<br />
Arbeit wie die der Tagesstruktur, der Raumgestaltung und Materialauswahl, der<br />
Arbeitsformen, die Erwachsene den Kindern vorschlagen, der Vorschriften, die sie in ihrer<br />
erwachsenen Verantwortung für die Sicherheit der Kinder benennen, nicht standardisiert<br />
gegeben werden können.<br />
Jede dieser Fragen muss im Rückbezug auf den Kern der Offenen Arbeit bedacht werden. Die<br />
Leistung eines Teams in der Offenen Arbeit liegt für mich darin, sich immer wieder auf<br />
diesen Kern zu verständigen. Im Hin und Her zwischen Handeln und Reflektion schärft sich<br />
der Blick darauf, worum es im Interesse der Kinder geht und an welchen Stellen die<br />
verantwortungsvolle Sicht der Erwachsenen und die institutionellen Grenzen Kompromisse<br />
fordern.<br />
Ein Weg, dieses besprechbar zu machen, liegt in der Arbeitsweise der Handlungsforschung,<br />
seit den Anfängen immer wieder in der Offenen Arbeit propagiert und erprobt.<br />
Schwierigkeiten, Probleme, die Kolleginnen sehen, Unklarheiten, Widersprüche, auf die<br />
Kinder durch ihr Tun hinweisen, Leerstellen in der Verständigung mit Eltern werden Thema<br />
in den Beratungen.<br />
Die so genannten „Praxisprobleme“ hören nie auf und ihre immer neue Identifizierung spricht<br />
für die Achtsamkeit der Kolleginnen. Die produktive Bearbeitung von Praxisproblemen stärkt<br />
den Teamgeist und macht die Kolleginnen in ihren Argumentationen sicherer.<br />
Ich wünsche mir, dass eine solche offene Haltung im Denken und Erproben in den Kitas<br />
wachsen kann.<br />
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Foto: Konzeptbaustelle<br />
Gesprächsimpulse:<br />
Stimmt es, dass es vielen Kolleginnen draußen (im Garten, auf dem Außengelände, im Wald)<br />
leichter fällt, die Autonomie der Kinder in der Gestaltung ihres Spielens und Lernens zu<br />
respektieren als drinnen?<br />
Fällt draußen auch die gemeinsame Übernahme von Verantwortung leichter?<br />
Und: Warum ist es dennoch immer wieder schwierig, die Gleichwertigkeit von Spielen und<br />
Lernen drinnen und draußen alltäglich zu verankern (Prinzip der freien Wahl drinnen oder<br />
draußen)?<br />
Impuls IV:<br />
Offene Arbeit – ein Entwicklungsweg auf der Suche nach<br />
Synergie und Leichtigkeit<br />
Ein Team braucht Freiheit und Achtsamkeit, um ausgehend vom Kern<br />
der Offenen Arbeit das Leben in der Kita zu gestalten<br />
Sie werden heute Nachmittag in den Workshops an einzelnen, konkreten Themen aus der<br />
Praxis der offenen Kitas hören, wie viel Dynamik sich in den Teams während der<br />
Öffnungsprozesse entwickeln kann und wie hilfreich Achtsamkeit auf diesem Wege ist.<br />
In meinen Fortbildungen bearbeite ich mit den Kolleginnen ihren Weg in die Offene Arbeit.<br />
Sie erstellen für sich eine sog. Teambiographie, in der sie sowohl den eigenen, persönlichen<br />
Weg und den Weg des Teams nachzeichnen. Dabei können die einzelnen großen Schritte,<br />
aber auch die überwundenen Stolpersteine noch einmal gewürdigt und neuen Kolleginnen<br />
vorgestellt werden, aber es können auch Brüche und scheinbarer Stillstand identifiziert und<br />
bearbeitbar gemacht werden.<br />
Ich bin oft ganz beglückt, wenn ich in offenen Kitas oder auf Fortbildungen Kolleginnen<br />
treffe, die mit Erstaunen und letztlich tiefer Zufriedenheit auf ihre Turbulenzen und<br />
Entwicklungsschritte zurückschauen. Häufig höre ich Sätze wie „Wir wollen nie mehr zurück,<br />
wir haben gelernt, uns aufeinander zu verlassen und uns gegenseitig den Rücken freizuhalten.<br />
Das Miteinander im Team und mit den Kindern ist viel leichter geworden. Ich habe gelernt zu<br />
vertrauen, den Kindern und meinen Kolleginnen – und mir wird vertraut - das stärkt!“<br />
Diese Aussagen decken sich mit meinen Wahrnehmungen in den offenen Häusern:<br />
Ich erlebe Kinder, die vertieft spielen oder anscheinend genau wissen, was sie gerade<br />
„vorhaben“, ich erlebe Kolleginnen in konzentrierter Aktion mit einzelnen Kindern oder einer<br />
kleinen Kindergruppe und sehe Kolleginnen, die achtsam für ein entspanntes Klima sorgen, in<br />
dem sie auf Fluren, in den Räumen und draußen auf dem Außengelände präsent sind, als sog.<br />
Feuerwehr und sich als Ansprechpartnerinnen für die Belange von Kindern und Eltern<br />
bereithalten.<br />
Ich sehe an den Dokumentationen, mit wie viel Zuwendung und Phantasie die Kolleginnen<br />
die Aktionen der Kinder wahrnehmen und reflektieren. Ich erlebe, wie Kinder und<br />
Erwachsene sich gegenseitig anstecken und „in Schwung bringen“ – Synergie!<br />
Ein wesentliches Merkmal von Offener Arbeit ist die Offenheit nach vorne, die Bereitschaft<br />
der Kolleginnen, mit den Kindern und für die Kinder Neues zu erproben. Die neuseeländische<br />
Pädagogin Wendy Lee spricht in diesem Zusammenhang von einer offenen, lebendigen<br />
„Lerngemeinschaft“, die zwischen allen beteiligten Erwachsenen und den Kindern entstehen<br />
kann. (6)<br />
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Allerdings kenne ich auch andere Situationen, in denen Unsicherheit, Unruhe,<br />
Unkonzentriertheit und Hektik bei Kindern und Erwachsenen zu spüren sind, alles Zeichen<br />
für Unachtsamkeit. Wenn diese Situationen sich häufen und ein entspanntes Lernklima für die<br />
Kinder verhindern und die Kreativität im Team ersticken, dann ist es an der Zeit, sich Zeit zu<br />
nehmen, um nach den Ursachen zu forschen.<br />
Oft ist der Zusammenhang zwischen dem Kern der Offenen Arbeit und der konkreten<br />
Alltagsarbeit verloren gegangen. Fragen, die sich aufdrängen, aber oft verdrängt werden, sind:<br />
„Warum machen wir das so, warum ändern wir das nicht, worauf kommt es uns an?“<br />
Anfänglich gespannte Sicherheitsnetze haben sich verselbständigt, Routinen und Rituale<br />
scheinen unveränderbar. Häufig wird dann das Einhalten von Absprachen eingeklagt, ohne<br />
dass die Absprachen noch einmal auf ihren Bezug zum Kern der Offenen Arbeit befragt<br />
werden. Spannungen und Auseinandersetzungen fordern alle Beteiligten dazu auf, sich um<br />
Verständigung zu bemühen, damit die Leichtigkeit des Arbeitens wieder einziehen kann.<br />
Auch hier ist Achtsamkeit im Umgang miteinander gefragt, aber auch Vertrauen in offene<br />
Prozesse.<br />
Offene Prozesse verlaufen nicht gradlinig, sondern Umwege, Fehler und scheinbarer<br />
Stillstand gehören dazu. Die Suche nach einer für den Augenblick passenden Lösung ist daher<br />
kein „Zurückgehen“, sondern eine achtsame Arbeit am Prozess.<br />
Wir Erwachsenen haben oft nicht genügend Erfahrung in Teamarbeit und auch nicht<br />
genügend Vertrauen in die eigenen Entwicklungskräfte und in der Folge auch nicht genügend<br />
Vertrauen in Lernfreude und Selbstbildungskräfte der Kinder.<br />
Es für uns als Erwachsene manchmal schwierig zu erleben, dass die Kinder in einem offenen<br />
Haus Erfahrungen machen können, die uns selbst als Kind in der Regel verschlossen waren.<br />
Die größten Schritte gehen bei Öffnungsprozessen immer die Erwachsenen – die Kinder<br />
erfüllen die Spielräume mit Leben. Dabei geht es zunächst um die ganz konkreten Räume und<br />
ihre Offenheit drinnen und draußen. Aber es geht auch um die inneren Spielräume, die wir<br />
Kindern zugestehen:<br />
Das Recht auf Selbstbestimmung ist hier zentral: das Nein eines Kindes wird mit Respekt<br />
angenommen, insbesondere in allen Fragen der körperlichen Integrität. Die Gestaltung von<br />
Essens- und Schlafenssituationen sind Prüfsteine dafür.<br />
Aber es geht auch darum, das JA des Kindes zu verstärken – wahrzunehmen, was ein Kind<br />
sich wünscht und ihm bei der Verwirklichung zur Seite zu stehen!<br />
Mit zunehmendem Alter treten dann kleine und größere Prozesse von Mitbestimmung und<br />
Mitwirkung hinzu. Kinder können in einem offenen Haus - von Anfang an - erleben, dass ihre<br />
Signale beachtet werden, dass sie gefragt werden, dass ihre Sicht der Dinge wichtig ist, dass<br />
ihre Vorlieben und Besonderheiten respektiert werden und dass Aushandeln und sich<br />
Verständigen ein höchst spannender Prozess sein kann. Offene Arbeit ist ohne Partizipation<br />
nicht denkbar. So kann eine offene Kita vom Haus für Kinder zu einem Haus der Kinder<br />
werden.<br />
Zum Schluss noch einige Gedanken zum Thema ACHTSAMKEIT in der Offenen Arbeit.<br />
Achtsamkeit ist ein hoch aufgeladener Begriff mit vielen unterschiedlichen Facetten und auch<br />
unterschiedlichen geistig-spirituellen Wurzeln.<br />
Worum geht es: Im Zentrum des Begriffes steht die Hinwendung auf den Augenblick, auf die<br />
Gegenwärtigkeit, auf den gerade stattfinden Moment, auf die Präsenz im Hier und Jetzt.<br />
Dies führt zu Innehalten, Stillwerden, Aufmerksamkeit, Wahrnehmen, was ist - ohne gleich<br />
zu bewerten und aktiv zu werden.<br />
In der freien Konzentration auf den Moment, auf den Atem liegt die Kraft der Achtsamkeit.<br />
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In diesem Sinne arbeiten auch Kolleginnen in der Offenen Arbeit mit der Kraft der<br />
Achtsamkeit. Achtsamkeit gehört in den Kern der Offenen Arbeit, sie ist wie eine Lupe bei<br />
dem aufmerksamen Blick auf das Wohlbefinden der Kinder. Sie gehört also eher in den<br />
Bereich der unsichtbaren Seiten von Offener Arbeit.<br />
Gelebte Achtsamkeit ist aber auch in den sichtbaren Seiten aufzuspüren: in ganz konkreten,<br />
alltäglichen Kleinigkeiten im Tagesablauf, in der Raumgestaltung und Materialauswahl, in<br />
den Ritualen und Routinen, in der Zuwendung zu Kindern, Kolleginnen und Eltern.<br />
Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus einer Kita des Netzwerks Offene Arbeit Berlin vorstellen.<br />
Kolleginnen aus dem Nest haben über ihren Kitaalltag mit den kleinen Kindern reflektiert, sie<br />
wünschten sich mehr unverplante Zeit, Entspannung, Frieden, Zuwendung zu jedem einzelnen<br />
Kind und seinen Eltern. Gleichzeitig wollten sie für sich eine Leitschnur des Handelns<br />
entwickeln, die sie auch Eltern gegenüber erläutern können. Ziel war, den Baustein<br />
„Achtsamkeit“ für die hauseigene Konzeption auszuarbeiten.<br />
Ich übernehme weitgehend die Gedanken der Kolleginnen. Für die Darstellung wähle ich -<br />
eher spielerisch - das Bild der „Blume der Achtsamkeit“. Jedes Blütenblatt steht für eine<br />
besondere Qualität von Achtsamkeit. Im Zentrum, im sog. Korb der Blüte, steht Achtsamkeit,<br />
aber sie entfaltet sich immer neu in jedem einzelnen, in der Beziehung zwischen den<br />
einzelnen Menschen, in der Beziehung zur Umgebung.<br />
Zu jedem Aspekt von Achtsamkeit füge ich eine kurze Konkretisierung an.<br />
Innehalten<br />
den Augenblick mit dem Kind genießen - der gegenwärtige Moment ist der einzige<br />
AUGENBLICK, wo wir ganz lebendig sind<br />
Tiefes Wahrnehmen<br />
dasein mit allen Sinnen, freischwebende Aufmerksamkeit üben<br />
Feinfühlig sein<br />
gerade kleine Kinder brauchen den Schutz ihrer Eigenwelt und sollten nicht unnötig gestört<br />
werden<br />
Behutsam sein<br />
friedvolle Stille ermöglichen, die den Kindern eigene Achtsamkeit nicht stören<br />
Ein Nein des Kindes respektieren, sein Ja verstärken<br />
z.B. beim JA - den Wunsch des Kindes nach Wiederholungen erfüllen, den Schlusspunkt<br />
einer Aktion setzt - wenn möglich - das Kind selbst<br />
Raum und Zeit geben<br />
Erwachsene halten sich zurück, so weit wie möglich Selbstbestimmung und<br />
Selbstwirksamkeit eines Kindes achten – auch wenn die Spielorte oder das kindliche Tempo<br />
uns manchmal herausfordern (z.B. eine Treppe erklimmen)<br />
Resonanz anstreben<br />
sich von einem Kind berühren lassen, bereit sein zum Mitschwingen, gerade auch im<br />
Mitfreuen über große und kleine Entdeckungen und Errungenschaften, aber auch kindliche<br />
Trauer, Wut und Ängste mitfühlen, nicht klein machen und nicht wegwischen<br />
Beachten<br />
die Einmaligkeit jedes Kindes sehen<br />
Verstehen wollen<br />
die Signale eines Kindes wahrnehmen und darauf vertrauen, dass ein Kind uns zeigt, was es<br />
braucht, sich um Verstehen, Entschlüsseln, Deuten bemühen, aber: die Deutungshoheit bleibt<br />
beim Kind<br />
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Ich habe in meiner Aufzählung der verschiedenen Aspekte der Achtsamkeit nur auf einige<br />
Konkretisierungen hingewiesen. Mit der Lupe der Achtsamkeit können Praxisbeispiele<br />
durchsucht werden und dabei können die verschiedenen Facetten von Achtsamkeit in kleinen<br />
und kleinsten alltäglichen Situationen aufgespürt werden:<br />
Worin zeigt sich Achtsamkeit? Was möchte ich auch selbst so erfahren? Was fällt mir leicht?<br />
Wo möchte ich mich weiterentwickeln?<br />
Dabei lässt sich noch eine erstaunliche Entdeckung machen:<br />
Die einzelnen Kolleginnen leben in unterschiedlicher Akzentuierung einzelne Aspekte von<br />
Achtsamkeit und jede hat auch hier Stärken und blinde Flecken, die ins Licht geholt werden<br />
können. Erst das macht ein Team bunt und leuchtend!<br />
Vielleicht haben Sie einmal Lust, diese Betrachtungsweise auf sich anzuwenden. Welche<br />
Facetten hat Achtsamkeit für mich, was lebe ich schon, was möchte ich weiterentwickeln?<br />
Das Bild von der Blume der Achtsamkeit lässt sich weiter ausspinnen, so kann man nach den<br />
Nährstoffen für das Wachstum der Blume fragen: Wie übt sich Achtsamkeit?<br />
Auch hier gibt es viele unterschiedliche Wege:<br />
Manche werden in der Natur still, manche beim Kunstgenuß, andere brauchen die körperliche<br />
Erfahrung von Ruhe wie beim Tai-Chi oder Yoga, wieder andere suchen die Stille in der<br />
Meditation.<br />
Ein relativ neues Angebot zielt auf Stressreduktion durch Achtsamkeit, die sog. MBSR Kurse<br />
(Mindfulness-Based Stress Reduction).<br />
Grundsätzlich aber gilt: erst wenn ich mich mir selbst achtsam zuwende, auf mich selbst<br />
achte, kann ich dies auch weitergeben.<br />
Und: Wie lernt man achtsam sein? Indem ich achtsam behandelt werde. Jede, jeder von uns,<br />
nicht nur ein Kind, braucht diese Erfahrung.<br />
Daher ist es für die Weiterentwicklung der Kitalandschaft zentral, darauf zu achten, dass<br />
Druck und Leistungsvergleiche nicht die Kolleginnen in der Kita daran hindern, sich Zeit für<br />
die Entfaltung eines achtsamen Klima zu nehmen. Dies ist eine Aufgabe von Trägern und<br />
frühkindlicher Bildungspolitik.<br />
Gerd Regel fordert Träger, Leitungen und die Teams selbst auf, sich vor immer neuen<br />
Anforderungen zu schützen:„ Die Beschränkung auf das Wesentliche ist ohne Alternative“ (7)<br />
Der Schatz der frühen Kindheit ist nicht durch Beschleunigung zu gewinnen - sondern durch<br />
Achtsamkeit.<br />
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für Ihre Weiterentwicklung persönlich und im Team<br />
Offenheit und Zeit.<br />
Foto: Mond- Traum-Zimmer<br />
Gesprächsimpulse:<br />
Wie sieht der Rückblick auf Ihren Entwicklungsweg in der Offenen Arbeit aus, für sie<br />
persönlich oder für die Kita (Team, Eltern, Träger…)? Was haben Sie gewonnen?<br />
Was wünschen Sie sich für Ihre persönliche Weiterentwicklung, damit Offenheit und<br />
Achtsamkeit erprobt werden können?<br />
Und: Würde Ihnen die Offene Kita fehlen?<br />
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Literatur<br />
1) Gerlinde Lill: Was Sie schon immer über Offene Arbeit wissen wollten …<br />
Fragen und Antworten<br />
Betrifft KINDER Extra, Weimar, Berlin 2012, verlag das netz<br />
Gerlinde Lill: Einblicke in Offene Arbeit<br />
Betrifft KINDER extra, Verlag das Netz, Weimar, Berlin 2006<br />
2) Gerhard Regel: Plädoyer für eine offene Pädagogik der Achtsamkeit. Zur Zukunft des<br />
Offenen Kindergartens<br />
Scheenefeld 2008<br />
3) Gerhard Regel, Uwe Santjer, (Hrsg.):<br />
Offener Kindergarten konkret in seiner Weiterentwicklung. Aus der Praxis für die<br />
Praxis, 20 Jahre später<br />
Berlin 2011, S. 47<br />
4) Gerhard Regel: Freiheit und Verantwortung. Grundlegende Entwicklungsaufgaben des<br />
Kindes im Offenen Ansatz<br />
in: kindergarten heute, 1/ 2013<br />
5) Die Anliegen der Kinder ernst nehmen – Von Projekten zu „Ideenarbeiten“<br />
in: Henneberg, R., Klein, L. u. Vogt, H.: Freinetpädagogik in der Kita.<br />
Selbstbestimmtes Lernen im Alltag<br />
Seelze-Velber 2008, S. 169 ff<br />
6) Wendy Lee: Leiten mit Herz und Seele<br />
durch Wunder, Werte, Wohlbefinden, Weiterentwicklung.<br />
Deutsche Übersetzung: Isolde Kock und Annika Philipp (unter Mitarbeit von Sybille<br />
Haas)<br />
Resources Articles ELP,php, 2010<br />
7) Gerhard Regel, Uwe Santjer, (Hrsg.):<br />
Offener Kindergarten konkret in seiner Weiterentwicklung. Aus der Praxis für die<br />
Praxis, 20 Jahre später<br />
Berlin 2011, S. 297<br />
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