So ist die Lieb'.indd - Mörike-Gesellschaft
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<strong>Mörike</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> e.V.<br />
»<br />
Reiner Wild<br />
<strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Lieb’!<br />
<strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Lieb’!«<br />
Eduard <strong>Mörike</strong>s Liebeslyrik
Vorwort<br />
<strong>Mörike</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> hos ediscit et hos arto stipata theatro spectat<br />
Roma potens; habet hos numeratque poetas ad nostrum tempus<br />
Livi scriptoris ab aevo.<br />
Interdum volgus rectum videt, est ubi peccat. Si veteres ita miratur<br />
laudatque poetas, ut nihil anteferat, nihil illis comparet, errat.<br />
Si quaedam nimis antique, si peraque dure dicere credit eos, ignave<br />
multa fatetur, et sapit et mecum facit et Iova iudicat aequo.<br />
Non equidem insector delendave carmina Livi esse reor, memini<br />
quae plagosum mihi parvo Orbilium dictare; sed emendata videri<br />
pulchraque et exactis minimum d<strong>ist</strong>antia miror. Inter Annos centum<br />
qui decidit, inter perfectos veteresque referri debet an inter<br />
vilis atque novos? Excludat iurgia finis, „Est vetus atque probus,<br />
centum qui perficit annos.“ Quid, qui deperiit minor uno mense<br />
vel anno, inter quos referendus erit? Veteresne poetas, an quos et<br />
praesens et postera respuat aetas?<br />
„Iste quidem veteres inter ponetur honeste, qui vel mense brevi<br />
vel toto est iunior anno.“ Utor permisso, caudaeque pilos ut equinae<br />
paulatim vello unum, demo etiam unum, dum cadat elusus<br />
ratione ruentis acervi, qui redit in fastos et virtutem aestimat<br />
annis miraturque nihil nisi quod Libitina sacravit.<br />
Ennius et sapines et fortis et alter Homerus, ut critici dicunt, leviter<br />
curare videtur, quo promissa.<br />
Der folgende Vortrag wurde am 8. September 2005 anlässlich der<br />
Mitgliederversammlung der <strong>Mörike</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> in Ludwigsburg gehalten;<br />
dabei las Sabine Scharberth <strong>die</strong> Gedichte. In der graphischen Gestaltung<br />
von Stefanie Röger und Jörg Röttenbacher <strong>ist</strong> das Miteinander<br />
von Gedicht und Kommentar im Vortrag bewahrt; ebenso wurde weitgehend<br />
<strong>die</strong> mündliche Redeweise beibehalten. Die Gedichte werden<br />
nach folgender Ausgabe zitiert: Eduard <strong>Mörike</strong>: Werke und Briefe.<br />
H<strong>ist</strong>orisch-kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag des Min<strong>ist</strong>eriums für<br />
Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit<br />
mit der Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. hg. v. Hans-Henrik<br />
Krummacher, Herbert Meyer u. Bernhard Zeller. Stuttgart 1967ff.<br />
(HKA). Bd. 1,1: Gedichte. Ausgabe von 1867. Erster Teil: Text. Hg. v.<br />
Hans-Henrik Krummacher. 2003.<br />
3<br />
Si meliora <strong>die</strong>s, ut vina, poemata reddit, scire velim, chartis pretium<br />
quotus arroget annus. scriptor abhinc annos centum qui<br />
decidit, inter perfectos veteresque referri debet an inter vilis atque<br />
novos? Excludat iurgia finis, „Est vetus atque probus, centum qui<br />
perficit annos.“ Quid, qui deperiit minor uno mense vel anno,<br />
inter quos referendus erit? Veteresne.<br />
„Iste quidem veteres inter ponetur honeste, qui vel mense brevi<br />
vel toto est iunior anno.“ Utor permisso, caudaeque pilos ut equinae<br />
paulatim vello unum.<br />
<strong>Mörike</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>
Nimmersatte Liebe<br />
<strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Lieb’! <strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Lieb’!<br />
Mit Küssen nicht zu stillen:<br />
Wer <strong>ist</strong> der Thor und will ein Sieb<br />
Mit eitel Wasser füllen?<br />
Und schöpfst du an <strong>die</strong> tausend Jahr’,<br />
Und küssest ewig, ewig gar,<br />
Du thust ihr nie zu Willen.<br />
Die Lieb’, <strong>die</strong> Lieb’ hat alle Stund<br />
Neu wunderlich Gelüsten;<br />
Wir bissen uns <strong>die</strong> Lippen wund,<br />
Da wir uns heute küßten.<br />
Das Mädchen hielt in guter Ruh’,<br />
Wie’s Lämmlein unterm Messer;<br />
Ihr Auge bat: nur immer zu,<br />
Je weher, desto besser!<br />
<strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Lieb’, und war auch so,<br />
Wie lang es Liebe gibt,<br />
Und anders war Herr Salomo,<br />
Der Weise, nicht verliebt.<br />
Mit der Anfangszeile <strong>die</strong>ses Gedichts <strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Lieb’! so <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />
Lieb’!, das dem Vortrag den Titel gegeben hat, möchte ich Sie einstimmen<br />
auf das Thema „<strong>Mörike</strong>s Liebeslyrik“. Denn das Gedicht<br />
gibt nicht nur einen passenden und schönen Titel für unser Vorhaben,<br />
was durchaus ein Hauptgrund war, mit ihm zu beginnen,<br />
es erlaubt zudem einen ersten Einblick in <strong>Mörike</strong>s Liebeslyrik. Es<br />
vermittelt bereits einen Eindruck des liedhaften lyrischen Tons,<br />
der uns wieder begegnen wird, ebenso des erotischen Spiels, das<br />
zu <strong>Mörike</strong>s Liebeslyrik gehört – immerhin sind sogar leicht masoch<strong>ist</strong>ische<br />
Töne zu hören: „Je weher, desto besser!“; es zeigt weiter<br />
das scherzhafte Spiel, den Witz, den <strong>Mörike</strong> mit seiner Liebeslyrik<br />
und mit uns, seinen Leserinnen und Lesern treibt, wenn<br />
überraschend vom König Salomo <strong>die</strong> Rede <strong>ist</strong> (der, wie noch zu<br />
bemerken <strong>ist</strong>, zudem der König <strong>ist</strong>, bei dem in chr<strong>ist</strong>lichen Tradition<br />
problemlos von seinem Harem gesprochen werden kann).<br />
Dies und noch das eine oder andere mehr wird im Folgenden zur<br />
Sprache kommen. Vorweg sollen allerdings einige einführende<br />
Bemerkungen stehen, zu <strong>Mörike</strong>s Lyrik, zur Liebeslyrik überhaupt<br />
und zu seiner – <strong>Mörike</strong>s – Liebeslyrik.<br />
Eduard <strong>Mörike</strong> sei, so schrieb Gottfried Keller, ein „famoser<br />
Poet“: „es <strong>ist</strong> gerade, wie wenn er der <strong>So</strong>hn des Horaz und einer<br />
feinen Schwäbin wäre“. Keller benennt damit sehr genau <strong>die</strong><br />
Spannung, <strong>die</strong> <strong>Mörike</strong>s Werk bestimmt. Die regionale Gebundenheit<br />
<strong>Mörike</strong>s, also <strong>die</strong> Mutterschaft einer feinen Schwäbin, <strong>ist</strong><br />
unübersehbar; es <strong>ist</strong> fraglos, dass sein Werk regionale Bezüge aufwe<strong>ist</strong>.<br />
Der Kontrapunkt, den Keller mit der Behauptung der Vaterschaft<br />
des Horaz setzt, gilt freilich ebenso. Dabei <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Nähe<br />
zu Horaz keineswegs nur in der Übernahme antiker Formen zu<br />
sehen, <strong>die</strong> <strong>Mörike</strong> vor allem seit den vierziger Jahren vielfach verwendet<br />
hat; vielmehr <strong>ist</strong> seine <strong>So</strong>hnschaft in der Verbindung von<br />
literarischer Me<strong>ist</strong>erschaft und poetischem Bewusstsein und in<br />
der Vieltönigkeit des lyrischen Sprechens zu erkennen. Von seinen<br />
ersten Gedichten an beherrscht <strong>Mörike</strong> <strong>die</strong> lyrischen Sprechweisen<br />
und weiß virtuos mit ihnen umzugehen, seine Formkunst<br />
4 5
zeigt sich im sicheren Umgang mit Metrum und Rhythmus, verbunden<br />
mit einer bemerkenswerten Musikalität der Sprache; es<br />
kommt nicht von ungefähr, dass gerade seine Gedichte immer<br />
wieder zur Vertonung herausgefordert haben. Kennzeichnend <strong>ist</strong><br />
vor allem <strong>die</strong> Spannung zwischen scheinbarer Schlichtheit und<br />
art<strong>ist</strong>ischer Verfügung über <strong>die</strong> poetischen Mittel. <strong>Mörike</strong> <strong>ist</strong> ein<br />
Me<strong>ist</strong>er der Einfachheit. In einfachen wie in komplexen Formen<br />
erreicht er eine unmittelbar einleuchtende Selbstverständlichkeit<br />
des Sprechens, <strong>die</strong> mitunter als naiv erscheint, jedoch das Produkt<br />
künstlerischer Arbeit <strong>ist</strong>. Gleichermaßen verfügt bereits der<br />
der junge <strong>Mörike</strong> über eine bemerkenswerte Vielfalt der lyrischen<br />
Formen, Genres und Sprechweisen. Später kommen dann noch<br />
antike Maße und Formen hinzu. Und gerade auch seine Liebeslyrik<br />
bestätigt <strong>die</strong>se Einschätzung.<br />
Liebeslyrik, Liebesgedichte – mit Sicherheit kann gelten, dass<br />
Liebesgedichte wohl mit Abstand <strong>die</strong> bei weitem größte Gruppe<br />
von Gedichten bildet, in der hohen Literatur wie in der sozusagen<br />
alltäglich-lebenspraktischen Verwendung, der – sozusagen –<br />
‚zweckgebundenen‘ Verfertigung von Gedichten. Dies <strong>ist</strong> ja auch<br />
nicht weiter erstaunlich, wenn bedacht wird, welche – in vielerlei<br />
Hinsicht lebens- und überlebensnotwendige – Bedeutung das<br />
Phänomen hat, das dabei in Rede steht. In der literaturwissenschaftlichen<br />
Forschung gibt es <strong>die</strong> These, dass <strong>die</strong> großen Zyklen<br />
der Liebeslyrik – wie etwa Petrarcas Canzoniere, Shakespeares<br />
<strong>So</strong>nette, Goethes West-östlicher Divan mit dem Buch Suleika oder<br />
seine Römischen Elegien – zu verstehen sind als ‚Durchspielen‘ der<br />
Möglichkeiten, über Liebe lyrisch zu sprechen (oder auch als<br />
Durchspielen der Möglichkeiten von Liebe). <strong>Mörike</strong> hat keinen<br />
solchen großen Zyklus geschrieben; bei ihm gibt es allenfalls kleinere<br />
Zyklen wie <strong>die</strong> Peregrina-Gedichte oder <strong>die</strong> <strong>So</strong>nette. In ihrer<br />
Gesamtheit jedoch, vor allem in ihrer bemerkenswerten Vielfalt<br />
aber entspricht seine Liebeslyrik durchaus <strong>die</strong>sen Zyklen und le<strong>ist</strong>et<br />
wie <strong>die</strong>se ein solches ‚Durchspielen‘ von Möglichkeiten. Dies<br />
soll an einer Reihe von Beispielen, <strong>die</strong> repräsentativ für seine Liebeslyrik<br />
sind, gezeigt werden. Zuvor <strong>ist</strong> es freilich nötig, in einigen<br />
wenigen Vorbemerkungen darzulegen, was hier nicht oder bestenfalls<br />
am Rande zur Sprache kommen wird. Nicht näher behandelt<br />
wird <strong>die</strong> formale Vielfalt; ein summarischer Hinweis darauf, was<br />
in <strong>Mörike</strong>s Liebeslyrik alles vorhanden <strong>ist</strong> und im Folgenden auch<br />
vorkommen wird, muss hier genügen: Da gibt es Lieder, insbesondere<br />
in Volksliedstrophen, das <strong>So</strong>nett, <strong>die</strong> Stanze, freie Rhythmen<br />
und antike Formen; <strong>die</strong> Stillagen oder Tönen reichen vom<br />
einfachen Volkston über <strong>die</strong> scherzhaft-ironische Rede hin zur<br />
gehobenen Sprache mit ausgewählter Metaphorik; es gibt erzählende<br />
Gedichte, monologische Aussprachen des lyrischen Sprechers<br />
oder Rollengedichte. Nicht näher behandelt werden kann<br />
weiter <strong>die</strong> hohe literaturh<strong>ist</strong>orische Bewusstheit, mit der <strong>Mörike</strong><br />
sich an überkommene Möglichkeiten liebeslyrischen Sprechens<br />
anschließt und <strong>die</strong>se Möglichkeiten innovativ fortführt, ob er<br />
sich nun an Goethe und der Romantik orientiert, auf <strong>die</strong> Anakreontik<br />
zurückgreift oder auf <strong>die</strong> Antike. Es wird schließlich auch<br />
weitgehend darauf verzichtet, über einen auch bei <strong>Mörike</strong>, zumindest<br />
in Teilen seiner Liebeslyrik, möglichen Zugang zu seiner<br />
Dichtung, nämlich den biographischen, zu sprechen. Gegenüber<br />
solchen Fragestellung <strong>ist</strong> das Vorhaben hier durchaus bescheidener:<br />
Es soll, selbstverständlich einigermaßen geordnet und exemplarisch,<br />
<strong>die</strong> Vielfalt <strong>Mörike</strong>scher Liebeslyrik vorgeführt werden,<br />
wobei vor allem auch <strong>Mörike</strong>s Gedichte selbst für sich sprechen<br />
sollen. Und um ein wenig Ordnung in <strong>die</strong>se Vielfalt zu bringen,<br />
kann eine kleine Überlegung hilfreich sein: Es scheint, nicht nur<br />
in der Dichtung, sondern, wenn Sie so wollen, auch aus der<br />
Lebenserfahrung, sinnvoll zu sein, zu unterscheiden zwischen erfüllter<br />
Liebe und unerfüllter Liebe, zwischen Liebesglück und<br />
Liebesleid oder (um es noch einmal anders zu sagen) zwischen<br />
glückender Liebe und scheiternder Liebe. Davor freilich, bevor<br />
überhaupt darüber entschieden wird, ob <strong>die</strong> Liebe ihre Erfüllung<br />
findet oder nicht, ob sie glückt oder scheitert, gibt es ein Phänomen,<br />
das offenbar notwendig zur Liebe und – mehr noch, so<br />
scheint es – zur Liebeslyrik gehört: <strong>die</strong> Erwartung. Und damit nun<br />
– endlich – zu <strong>Mörike</strong> selbst.<br />
6 7
Sehnsucht<br />
In In <strong>die</strong>ser Winterfrühe<br />
Wie <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> mir doch zu zu Muth!<br />
Und stolzen Siegeswagen<br />
Das Das Glücksgefühl der der Liebe<br />
hat hat den den Sprecher völlig in in Stürzt’ ich ich mich brausend nach,<br />
Besitz genommen:<br />
Die Harfe wird zerschlagen,<br />
„trunken“ <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> sein Herz,<br />
„was aus aus mir mir singet,<br />
Die nur von Liebe sprach.<br />
Ist Ist nur nur der der Liebe Glück!“<br />
O Morgenroth, ich ich glühe<br />
Von deinem Jugendblut.<br />
–– Wie? schwärmst du du so so vermessen,<br />
Geradezu jubilatorisch<br />
singt hier der der Sprecher sein<br />
Glücksgefühl hinaus in in <strong>die</strong> <strong>die</strong> Es Es glüht der alte Felsen,<br />
Welt. Deutlich <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> in in <strong>die</strong>sem<br />
Gedicht in in Liedform der der Und Wald und Burg zumal,<br />
Ton Ton des des jungen Goethe zu zu<br />
hören, insbesondere in in Berauschte Nebel wälzen<br />
der der Verknüpfung von von Natur<br />
und Ich: Ich: Er, Er, der der Sprecher,<br />
Sich jäh jäh hinab das Thal.<br />
glüht vom Jugendblut der der<br />
Morgenröte.<br />
Mit thatenfroher Eile<br />
Erhebt sich Ge<strong>ist</strong> und Sinn,<br />
Und flügelt goldne Pfeile<br />
Durch alle Ferne hin.<br />
Auf Zinnen möcht’ ich ich springen,<br />
In In alter Fürsten Schloß,<br />
Möcht’ hohe Lieder singen,<br />
Mich schwingen auf das Roß!<br />
Von seinem Glück erfüllt<br />
muss er er sich erst erst vergewissern,<br />
dass er er allein <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> – –<br />
als als genüge <strong>die</strong> <strong>die</strong> Erwartung<br />
schon statt der der Erfüllung.<br />
Am Am Ende freilich steht<br />
durchaus der der Wunsch, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Geliebte möge hier sein,<br />
und also <strong>die</strong> <strong>die</strong> Einsicht, dass<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Erwartung allein bei bei<br />
allem Glücksgefühl nicht<br />
genügen kann:<br />
Herz, hast du du nicht bedacht,<br />
Hast du du mit Eins vergessen,<br />
Was dich so so trunken macht?<br />
Ach, wohl! was aus mir singet,<br />
Ist Istnur der Liebe Glück!<br />
Die wirren Töne schlinget<br />
Sie Sie sanft in in sich zurück.<br />
Was hilft, was hilft mein Sehnen?<br />
Geliebte, wärst du du hier!<br />
In In tausend Freudethränen<br />
Verging’ <strong>die</strong> <strong>die</strong> Erde mir.<br />
Ein Ein Erwartungsgedicht – – wenn ich ich <strong>die</strong>sen Begriff einmal prägen<br />
darf – – <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> auch das das folgende:<br />
88 99
Der Gärtner<br />
<strong>Mörike</strong> nutzt für für <strong>die</strong>ses Rollengedicht eine seit seit dem 18. 18. Jahrhundert<br />
für für Liebeslieder oft oft gebrauchte Liedform; zugleich greift er er den den alten<br />
Topos der der Unerreichbarkeit<br />
der der Geliebten auf, auf, <strong>die</strong> <strong>die</strong> hier<br />
Auf ihrem Leibrößlein,<br />
sozial oder besser gesagt:<br />
ständisch begründet <strong>ist</strong>: <strong>ist</strong>: <strong>So</strong> <strong>So</strong>weiß wie der Schnee,<br />
Denn wie wie sollen ein ein Gärtner<br />
und eine Prinzessin zu-<br />
zu-<br />
Die schönste Prinzessin<br />
sammen kommen können?<br />
Gerade aber <strong>die</strong>se Uner-<br />
Reit’t durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Allee.<br />
reichbarkeit erhöht für für den den<br />
ner<br />
Gärtner <strong>die</strong> <strong>die</strong> Attraktivität der der Prinzessin und verstärkt <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Sehnsucht, den den Wunsch, das das Begehren.<br />
Versuchung<br />
<strong>Mörike</strong> war war in in seiner Liebeslyrik ein ein großer Erotiker; er er selbst<br />
schreibt in in dem Gedicht Lose Waare:<br />
„denn will will ich ich was Nützliches schreiben, / / Gleich wird ein ein<br />
Liebesbrief, gleich ein ein Erotikon draus.“<br />
Zwei weitere Beispiele mögen <strong>die</strong>s belegen.<br />
Und <strong>Mörike</strong> transponiert<br />
<strong>die</strong>se Sehnsucht in in eine – –<br />
versteckte – – erotische, ja ja<br />
sexuelle Phantasie, <strong>die</strong> <strong>die</strong> aufzudecken<br />
dem Leser überlassen<br />
bleibt.<br />
Sie Sie <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> in in der der letzten Strophe<br />
gestaltet. Wie <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> der der<br />
Wunsch des des Gärtners zu zu<br />
lesen? Worauf <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> das das durch<br />
Großschreibung hervorgehobene<br />
„Eine“ zu zu beziehen?<br />
Der Weg, den das Rößlein<br />
Hintanzet so so hold,<br />
Der Sand, den ich ich streute,<br />
Er Er blinket wie Gold.<br />
Wenn sie sie in in silberner Schale mit Wein uns würzet <strong>die</strong> <strong>die</strong> Erdbeer’n,<br />
Dicht mit Zucker noch erst streuet <strong>die</strong> <strong>die</strong> Kinder des Walds:<br />
O wie schmacht’ ich ich hinauf zu zu den duftigern Lippen, wie dürstet<br />
Die Die erotische Erwartung wird hier in in der der Gestimmtheit des des<br />
Auf Auf <strong>die</strong> <strong>die</strong> Feder, auf auf <strong>die</strong> <strong>die</strong> Blume?<br />
Sprechers ausge-<br />
Und wenn es, es, wie wie syntak-<br />
Du Du rosenfarbs Hütlein,<br />
sprochen und<br />
Nach des gebogenen Arms schimmernder Weiße mein Mund!<br />
tisch ja ja möglich, auf auf <strong>die</strong> <strong>die</strong> Blume<br />
vor vor allem in in den den<br />
bezogen wird – – welche<br />
Blume, welche „Eine“, einzi-<br />
me<br />
Wohl auf und wohl ab, ab,<br />
Verben benannt: ‚schmachten’, ‚dürsten nach’. Sie Sie wird gleichfalls<br />
sichtbar in in der der angesprochenen Körperlichkeit: im im weißen Arm, der der<br />
ge geBlume soll soll <strong>die</strong> <strong>die</strong> Prinzessin<br />
O wirf eine Feder<br />
nach dem Wunsch des des<br />
als als Versprechen erscheint, und im im Spiel mit mit der der im im Übrigen ja ja<br />
durchaus traditionellen Verbindung von von Mund und Erdbeeren, von von<br />
Gärtners hergeben für für das,<br />
was was er er zu zu geben hat?<br />
Verstohlen herab!<br />
Kuss und Süße (des Zuckers).<br />
Vor Vor allem gehört, wie wie im im Gedicht zuvor, zur zur Erfahrung des des Gedichts<br />
Die Die Möglichkeiten der der Auslegung<br />
und des des Verstehens<br />
sind klar; dass sie sie Möglichkeit<br />
bleiben, dass sich <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
keit<br />
Rede also nicht festlegt, <strong>ist</strong> <strong>ist</strong><br />
ein ein Merkmal erotischer<br />
Lyrik, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ja ja von von der der Erwar-<br />
Und willst du du dagegen<br />
Eine Blüthe von mir,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Möglichkeit des des Lesers und der der Leserin, bei bei den den Erdbeeren und<br />
ihrer Süße an an Weiteres zu zu denken. Dies gerade <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> kennzeichnend<br />
für für erotische Lyrik: Sie Sie eröffnet Möglichkeiten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> sie sie zugleich verhüllt.<br />
Bemerkenswert <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> hier nicht zuletzt das das antike Versmaß; das das Ge-<br />
Ge-<br />
verdicht<br />
<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> in in D<strong>ist</strong>ichen, der der Abfolge von von Hexameter und Pentameter,<br />
tung, vom Versprechen, von von Nimm tausend für für Eine,<br />
der der Möglichkeit lebt.<br />
geschrieben. Die Die antike Form, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ja ja von von vornherein <strong>die</strong> <strong>die</strong> Artifizialität<br />
des des lyrischen Sprechens, also das das literarische Spiel und damit<br />
tät<br />
Nimm alle dafür!<br />
D<strong>ist</strong>anz signalisiert, ermöglicht <strong>die</strong> <strong>die</strong> Darstellung einer heiteren,<br />
erotischen Sinnlichkeit.<br />
10 10 11<br />
11
Weihgeschenk<br />
Liebesvorzeichen<br />
Ich stand am Morgen jüngst im im Garten<br />
Von kunstfertigen Händen geschält, drei Äpfelchen, zierlich,<br />
Vor dem Granatbaum sinnend still;<br />
Mir war, als müßt’ ich gleich erwarten,<br />
Hängend an an Einem Zweig, den noch ein Blättchen umgrünt;<br />
Weiß wie das Wachs ihr Fleisch, von lieblicher Röthe durchschimmert;<br />
Dicht an an einander geschmiegt, bärgen <strong>die</strong> nackten sich gern.<br />
Schämet euch nicht, ihr Schwestern! euch hat ein Mädchen entkleidet,<br />
Und den Chariten fromm bringet ein Sänger euch dar.<br />
Dafür <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> auch das das Gedicht Weihgeschenk ein ein schönes und<br />
gekonntes Beispiel, in in dem Nacktheit und das das Spiel von Attraktion<br />
und Scham auf auf eine durchaus raffinierte und doch zugleich<br />
selbstverständlich erscheinende Weise in in ein ein reines Naturbild gefasst<br />
<strong>ist</strong>.<br />
ge-<br />
<strong>ist</strong>.<br />
Ob er er <strong>die</strong> Knospe sprengen will.<br />
Zunächst wird auch hier, in in den ersten Strophen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Erwartung, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Sehnsucht ausgesprochen; mit dem „Granatbaum“, dem Baum der der<br />
Aphrodite, wird freilich bereits am am Beginn, wenngleich in in <strong>die</strong>ser<br />
Anspielung versteckt, gesagt,<br />
worum es es geht. Das Natur-<br />
Sie aber schien es es nicht zu zu wissen,<br />
bild wird damit gleichsam<br />
durchsichtig für für das das Thema<br />
Wie mächtig ihr <strong>die</strong> Fülle schwoll,<br />
der der Liebe.<br />
Und daß sie sie in in den Feuerküssen<br />
Des goldnen Tages brennen soll.<br />
Er Er spricht dann von ihr, von seiner Erwartung, auch von seinen<br />
Zweifeln und Hemmungen<br />
Und dort am Rasen lag Jorinde;<br />
Wie schnell bin ich zum Gruß bereit,<br />
Indeß sie sie sich nur erst geschwinde<br />
Den Schlummer aus den Augen streut!<br />
Ich hatte vom Vorfeld der Erwartung gesprochen; man mag es es<br />
auch Vorspiel nennen. Aus solcher Erwartung, aus der Sehnsucht<br />
wird –– wiederum im im Leben wie in in der Dichtung –– <strong>die</strong> <strong>die</strong> Erfüllung:<br />
Die beiden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> sehnsüchtig auf einander warten oder sich<br />
erotisch attrahieren, finden zu zu einander. Und auch <strong>die</strong>s, <strong>die</strong> <strong>die</strong> erste<br />
Begegnung hat <strong>Mörike</strong> ins ins Gedicht gefasst.<br />
Dann leuchtet <strong>die</strong>ser Augen Schwärze<br />
Mich an an in in lieb und guter Ruh,<br />
Sie hört dem Muthwill meiner Scherze<br />
Mit kindischem Verwundern zu.<br />
12 12 13 13
Dazwischen dacht’ ich wohl im Stillen:<br />
Was hast du vor? sie <strong>ist</strong> ein Kind!<br />
Die Lippen, <strong>die</strong> von Reife quillen,<br />
Wie blöde noch und fromm gesinnt!<br />
Fürwahr, sie schien es es nicht zu wissen,<br />
Wie mächtig ihr <strong>die</strong> Fülle schwoll,<br />
Und daß sie in in den Feuerküssen<br />
Dort geht sie schon im Morgenstrahl;<br />
Und bald, o Wunder über Wunder!<br />
Wir küßten uns zum erstenmal.<br />
Beachtung ver<strong>die</strong>nt, wie hier der Naturvorgang des Aufblühens mit<br />
der Begegnung der beiden Liebenden verbunden wird. Natur wird<br />
zum Spiegel der menschlichen Vorgänge;<br />
sie sie –– <strong>die</strong> Natur –– beglaubigt<br />
<strong>die</strong> Liebe und gibt ihr <strong>die</strong><br />
Nun trieb der Baum wohl Blüth’ auf Blüthe<br />
Legitimation. In In der letzten<br />
Strophe sind Liebe und Na-<br />
Frisch in in <strong>die</strong> blaue Luft hinaus,<br />
tur aufs engste verbunden:<br />
Und noch, seitdem er er lang verglühte,<br />
Ging uns das Küssen nimmer aus.<br />
Des kecksten Knaben brennen soll.<br />
Dann aber wird aus dem Anschauen und dem Betrachten in in der<br />
Inszenierung einer Wiederbegegnung das erste Rendezvous. Dabei<br />
wird zugleich <strong>die</strong> Natur zum Zeichen des Kommenden:<br />
Still überlegt’ ich auf und nieder,<br />
Was nun folgen muss, wenn <strong>die</strong> beiden zusammen gefunden<br />
haben, liegt auf der Hand; wir können es es bei <strong>Mörike</strong> nachlesen.<br />
Und ging so meiner Wege fort;<br />
Doch fand der nächste Morgen wieder<br />
Mich zeitig bei dem Bäumchen dort.<br />
Mein! wer hat ihm in in wenig Stunden<br />
Ein solches Wunder angethan?<br />
Die Flammenkrone aufgebunden?<br />
Begegnung<br />
Hier wird in in scheinbarer Naivität eine durchaus pikante Geschichte<br />
erzählt. Dabei spielt <strong>Mörike</strong> mit der Mehr- und Vieldeutigkeit der<br />
Motive „Sturm“ und „Wind“.<br />
In In der ersten Strophe <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> Was doch heut Nacht ein Sturm gewesen,<br />
damit, so so scheint es es jedenfalls<br />
beim ersten Lesen,<br />
Bis erst der Morgen sich geregt!<br />
allein ein Naturvorgang<br />
gemeint.<br />
Wie hat der ungebetne Besen<br />
Kamin und Gassen ausgefegt!<br />
Und was sagt mir <strong>die</strong>ß Zeichen an?<br />
Und so so kommt es es zum ersten Kuss:<br />
Ich eile rasch den Gang hinunter,<br />
Da kommt ein Mädchen schon <strong>die</strong> Straßen,<br />
Das halb verschüchtert um sich sieht;<br />
14 14 15 15
Wie Rosen, <strong>die</strong> der Wind zerblasen,<br />
Die „Rosen“ freilich, „<strong>die</strong><br />
der Wind zerblasen“, werden<br />
<strong>So</strong> <strong>So</strong> unstet ihr Gesichtchen glüht.<br />
zum Bild für für ihr ihr morgendliches<br />
Glühen nach der Liebesnacht.<br />
Erstes Liebeslied eines Mädchens<br />
Was im Netze? Schau einmal!<br />
Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,<br />
Er Er will ihr voll Entzücken nahn:<br />
Wie sehn sich freudig und verlegen<br />
Die ungewohnten Schelme an!<br />
Und deren Ereignisse werden dann doch deutlich ausgesprochen,<br />
wenn vom „Sturm“ <strong>die</strong> <strong>die</strong> Rede <strong>ist</strong>, der ihre Zöpfe „in Unordnung<br />
gebracht“.<br />
Er Er scheint zu zu fragen, ob ob das Liebchen<br />
Die Zöpfe schon zurecht gemacht,<br />
Die heute Nacht im offnen Stübchen<br />
Überaus gelungen<br />
Ein Sturm in in Unordnung gebracht.<br />
<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> in in <strong>die</strong>sem Gedicht aber<br />
vor allem, dass das Liebesglück, das <strong>die</strong> <strong>die</strong> beiden genossen haben,<br />
zwar offenbar ein Verbotenes <strong>ist</strong>, jedenfalls eines, was <strong>die</strong> <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />
der „Gassen“ zu zu meiden hat, dass <strong>die</strong>ses Liebesglück<br />
aber in in keiner Weise moralisch<br />
oder gar moralisierend<br />
Der Bursche träumt noch von den Küssen,<br />
in in Frage gestellt wird. Im Im<br />
Gegenteil: Es Es erscheint als als Die ihm das süße Kind getauscht,<br />
selbstverständlich und damit<br />
als als richtig und gut; das Ziel-<br />
Er Er steht, von Anmuth hingerissen,<br />
wort des Gedichts heißt<br />
„Anmuth“. Und <strong>Mörike</strong> ver-<br />
Derweil sie um <strong>die</strong> Ecke rauscht.<br />
stärkt <strong>die</strong>se Selbstverständlichkeit,<br />
in in dem er er für für das Gedicht eine in in seiner Zeit sehr beliebte,<br />
allgemein vertraute Liedstrophe wählt.<br />
Auf eine ganz andere Weise gestaltet das nächste Gedicht <strong>die</strong><br />
Erfahrung erfüllter Liebe, ein Rollengedicht, in in dem, wie der Titel<br />
sagt, ein Mädchen spricht:<br />
Aber ich bin bange;<br />
Greif’ ich einen süßen Aal?<br />
Greif’ ich eine Schlange?<br />
Die Konnotationen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> hier hörbar werden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> möglichen Bedeutungen<br />
von Aal und Schlange und des Vorgangs, von dem das<br />
Mädchen offenbar in in konkreter Unmittelbarkeit des Erlebens<br />
spricht, sind deutlich genug;<br />
sie sie müssen nicht ausgeführt<br />
Lieb’ <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> blinde<br />
werden (was im im Übrigen<br />
dem Gedicht auch wider-<br />
Fischerin;<br />
spräche!).<br />
Sagt dem Kinde,<br />
Wo greift’s hin?<br />
Schon schnellt mir’s in in Händen!<br />
Ach Jammer! o o Lust!<br />
Mit Schmiegen und Wenden<br />
Bemerkenswert <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> freilich,<br />
auf welch dezente Weise in in Mir schlüpft’s an <strong>die</strong> Brust.<br />
<strong>die</strong>sem Gedicht<br />
–– denn es es wird nichts direkt benannt –Sexualität zur Sprache<br />
gebracht wird –– denn es es <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> zugleich alles gesagt<br />
Es Es beißt sich, o o Wunder!<br />
Mir keck durch <strong>die</strong> Haut,<br />
Schießt ’s ’sHerze hinunter!<br />
O Liebe, mir graut!<br />
16 16 17 17
Was thun, was beginnen?<br />
Das schaurige Ding,<br />
Es schnalzet da drinnen,<br />
Es legt sich im Ring.<br />
Gift muß ich haben!<br />
Hier schleicht es es herum,<br />
Einigermaßen delikat <strong>ist</strong> <strong>ist</strong><br />
hingegen der Entstehungszu-<br />
Tut wonniglich graben<br />
sammenhang des Gedichts.<br />
<strong>Mörike</strong> schrieb es es zur Hoch-<br />
Und bringt mich noch um!<br />
zeit seines Freundes, des<br />
Kompon<strong>ist</strong>en Ernst Friedrich Kauffmann;<br />
in in seinem Begleitbrief vom 7. 7. Juli 1828 heißt es es dazu:<br />
„Sez es es in in Musik, gib Ihr am BrautMorgen [also nach der Hochzeitsnacht,<br />
<strong>die</strong> ja ja in in jenen Zeiten durchaus ein besondere Nacht der<br />
Liebenden war] einen Kuß und frag Sie, wenn sie’s nun absingt, ob ob<br />
das Lied nicht, auf ein Haar, alle <strong>die</strong> Seeligkeit ausdruckt, <strong>die</strong> Sie in in<br />
den ersten Tagen Eurer Liebe empfunden.“<br />
Einen Gegenpol, einen deutlichen Kontrast zum Ersten Liebeslied<br />
eines Mädchens, bildet das nächste Gedicht, in in dem es es freilich<br />
auch um Liebesglück und um erfüllte Liebe geht<br />
Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt<br />
Statt von den Zöpfen, <strong>die</strong><br />
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,<br />
der Liebessturm in in Unordnung<br />
gebracht, wie in in Be-<br />
Daß nun in in dir, zu ewiger Genüge,<br />
gegnung <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> hier vom „Lichtgesang“<br />
der Geliebten <strong>die</strong><br />
Mein kühnster Wunsch, mein einz’ger, sich erfüllt?<br />
Rede, dem der Liebende<br />
‚lauscht‘, also in in sich gekehrt<br />
zuhört, unbeweglich, ohne<br />
körperliche Regung.<br />
Dass <strong>die</strong>se Geliebte das<br />
Erste Liebeslied singt, <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> undenkbar<br />
–– jedenfalls für<br />
den Sprecher des Gedichts,<br />
den Liebenden, der hier<br />
seine Geliebte wahrlich in in<br />
den Himmel hebt.<br />
Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,<br />
Ich höre aus der Gottheit nächt’ger Ferne<br />
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.<br />
Betäubt kehr’ ich den Blick nach Oben hin,<br />
Die Wahl der Form des<br />
<strong>So</strong>netts zeigt <strong>Mörike</strong>s hohes<br />
Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne;<br />
poetisches Bewusstsein.<br />
Er Er schließt an an Petrarca und<br />
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.<br />
den Petrarkismus an, nicht<br />
zuletzt in in Nachfolge der<br />
Romantik; obgleich kaum explizit petrark<strong>ist</strong>ische Merkmale zu zu<br />
verzeichnen sind, wird dennoch in in der Überhöhung der Geliebten,<br />
<strong>die</strong> sie sie ja ja durchaus in in den Bereich des Unerreichbaren rückt, auf<br />
<strong>die</strong>se Tradition Bezug genommen.<br />
An <strong>die</strong> Geliebte<br />
Von Sexualität wird in in <strong>die</strong>sem<br />
<strong>So</strong>nett nicht gesprochen;<br />
vielmehr wird <strong>die</strong> Geliebte<br />
in in himmlische Höhen ge-<br />
Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,<br />
hoben und verklärt. In In <strong>die</strong>ser<br />
durchaus religiös grun<strong>die</strong>r-<br />
Mich stumm an deinem heil’gen Wert vergnüge,<br />
ten Überhöhung wird sie sie<br />
freilich zugleich jeglicher<br />
Dann hör’ ich recht <strong>die</strong> leisen Athemzüge<br />
Körperlichkeit entkleidet.<br />
Des Engels, welcher sich in in dir verhüllt.<br />
Bisher war von Liebesglück und erfüllter Liebe <strong>die</strong> Rede. Doch<br />
<strong>Mörike</strong> kennt in in seiner Liebeslyrik auch <strong>die</strong> andere Seite: das<br />
Liebesleid, <strong>die</strong> unerfüllte, <strong>die</strong> scheiternde Liebe. Dafür hat er er eine<br />
mehrfach in in seinen Gedichten wiederkehrende und variierte<br />
Metapher geprägt: <strong>die</strong> der unbehausten, der heimatlosen Liebe.<br />
Zwei Strophen aus zwei verschiedenen Gedichten, aus dem Lied<br />
vom Winde und aus Im Frühling, seien als Beispiel zitiert:<br />
18 18 19 19
Was thun, was beginnen?<br />
Das schaurige Ding,<br />
Es schnalzet da drinnen,<br />
Es legt sich im Ring.<br />
Gift muß ich haben!<br />
Hier schleicht es herum,<br />
Einigermaßen delikat <strong>ist</strong><br />
hingegen der Entstehungszu-<br />
Tut wonniglich graben<br />
sammenhang des Gedichts.<br />
<strong>Mörike</strong> schrieb es zur Hoch-<br />
Und bringt mich noch um!<br />
zeit seines Freundes, des<br />
Kompon<strong>ist</strong>en Ernst Friedrich Kauffmann;<br />
in seinem Begleitbrief vom 7. Juli 1828 heißt es dazu:<br />
„Sez es in Musik, gib Ihr am BrautMorgen [also nach der Hochzeitsnacht,<br />
<strong>die</strong> ja in jenen Zeiten durchaus ein besondere Nacht der<br />
Liebenden war] einen Kuß und frag Sie, wenn sie’s nun absingt, ob<br />
das Lied nicht, auf ein Haar, alle <strong>die</strong> Seeligkeit ausdruckt, <strong>die</strong> Sie in<br />
den ersten Tagen Eurer Liebe empfunden.“<br />
Einen Gegenpol, einen deutlichen Kontrast zum Ersten Liebeslied<br />
eines Mädchens, bildet das nächste Gedicht, in dem es freilich<br />
auch um Liebesglück und um erfüllte Liebe geht<br />
Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt<br />
Statt von den Zöpfen, <strong>die</strong><br />
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,<br />
der Liebessturm in Unordnung<br />
gebracht, wie in Be-<br />
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,<br />
gegnung <strong>ist</strong> hier vom „Lichtgesang“<br />
der Geliebten <strong>die</strong><br />
Mein kühnster Wunsch, mein einz’ger, sich erfüllt?<br />
Rede, dem der Liebende<br />
‚lauscht‘, also in sich gekehrt<br />
zuhört, unbeweglich, ohne<br />
körperliche Regung.<br />
Dass <strong>die</strong>se Geliebte das<br />
Erste Liebeslied singt, <strong>ist</strong> undenkbar<br />
– jedenfalls für<br />
den Sprecher des Gedichts,<br />
den Liebenden, der hier<br />
seine Geliebte wahrlich in<br />
den Himmel hebt.<br />
Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,<br />
Ich höre aus der Gottheit nächt’ger Ferne<br />
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.<br />
Betäubt kehr’ ich den Blick nach Oben hin,<br />
Die Wahl der Form des<br />
<strong>So</strong>netts zeigt <strong>Mörike</strong>s hohes<br />
Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne;<br />
poetisches Bewusstsein.<br />
Er schließt an Petrarca und<br />
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.<br />
den Petrarkismus an, nicht<br />
zuletzt in Nachfolge der<br />
Romantik; obgleich kaum explizit petrark<strong>ist</strong>ische Merkmale zu<br />
verzeichnen sind, wird dennoch in der Überhöhung der Geliebten,<br />
<strong>die</strong> sie ja durchaus in den Bereich des Unerreichbaren rückt, auf<br />
<strong>die</strong>se Tradition Bezug genommen.<br />
An <strong>die</strong> Geliebte<br />
Von Sexualität wird in <strong>die</strong>sem<br />
<strong>So</strong>nett nicht gesprochen;<br />
vielmehr wird <strong>die</strong> Geliebte<br />
in himmlische Höhen ge-<br />
Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,<br />
hoben und verklärt. In <strong>die</strong>ser<br />
durchaus religiös grun<strong>die</strong>r-<br />
Mich stumm an deinem heil’gen Wert vergnüge,<br />
ten Überhöhung wird sie<br />
freilich zugleich jeglicher<br />
Dann hör’ ich recht <strong>die</strong> leisen Athemzüge<br />
Körperlichkeit entkleidet.<br />
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.<br />
Bisher war von Liebesglück und erfüllter Liebe <strong>die</strong> Rede. Doch<br />
<strong>Mörike</strong> kennt in seiner Liebeslyrik auch <strong>die</strong> andere Seite: das<br />
Liebesleid, <strong>die</strong> unerfüllte, <strong>die</strong> scheiternde Liebe. Dafür hat er eine<br />
mehrfach in seinen Gedichten wiederkehrende und variierte<br />
Metapher geprägt: <strong>die</strong> der unbehausten, der heimatlosen Liebe.<br />
Zwei Strophen aus zwei verschiedenen Gedichten, aus dem Lied<br />
vom Winde und aus Im Frühling, seien als Beispiel zitiert:<br />
18 19
Sagt, wo wo der Liebe Heimath <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong>,<br />
Ihr Ihr Anfang, ihr ihr Ende?<br />
»Wer’s nennen könnte!<br />
Schelmisches Kind,<br />
Lieb’ <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> wie Wind,<br />
Rasch und lebendig,<br />
Ruhet nie,<br />
Früh im im Wagen<br />
Auch hier <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbindung von von Natur und Liebe zu zu finden; Natur<br />
erscheint, in in der der Tradition Goethes und der der Romantik, als als Spiegel<br />
der der Gestimmtheit des des<br />
Sprechers. Und schon in in der der Es Es graut vom Morgenreif<br />
ersten Zeile wird im im Naturbild<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Ambivalenz ausge-<br />
In In Dämmerung das Feld,<br />
sprochen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> dann das das Ge-<br />
Gebildicht<br />
durchzieht: „Es „Es graut“.<br />
Da Da schon ein ein blasser Streif<br />
Es Es wird grau infolge der der<br />
Dämmerung und weil der der Den fernen Ost erhellt;<br />
Tag Tag beginnt, zugleich aber<br />
graut es es dem Sprecher.<br />
Ewig <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> sie,<br />
Aber nicht immer beständig.<br />
Man sieht im im Lichte bald<br />
Den Morgenstern vergehn,<br />
Bezeichnend <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> Frageform im im Lied vom Winde. Denn es es<br />
bleibt bei bei der der Frage, wo wo<strong>die</strong> <strong>die</strong> Liebe zu zu Hause sei; sei; es es gibt darauf keine<br />
Antwort, denn auch <strong>die</strong>, <strong>die</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong> im im Gedicht Im Im Frühling gegeben<br />
wird, <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> eine negative: „Doch du du und <strong>die</strong> <strong>die</strong> Lüfte, ihr ihr habt kein<br />
Haus.“<br />
Ach, sag’ mir, all-einzige Liebe,<br />
Wo du du bleibst, daß ich ich bei bei dir dir bliebe!<br />
Doch du du und <strong>die</strong> <strong>die</strong> Lüfte, ihr ihr habt kein Haus.<br />
Ein Ein erstes Beispiel für für <strong>die</strong>se Thematik <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> ein ein Abschieds- und<br />
Trennungsgedicht, zudem – – <strong>die</strong>s sei sei sogleich vermerkt – – eines von<br />
<strong>Mörike</strong>s Me<strong>ist</strong>erstücken:<br />
Und doch am am Fichtenwald<br />
Den vollen Mond noch stehn:<br />
Auffällig und zugleich<br />
me<strong>ist</strong>erhaft gestaltet <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> in in<br />
<strong>die</strong>sem Gedicht <strong>die</strong> <strong>die</strong> Gegenläufigkeit<br />
von von Naturbild<br />
<strong>So</strong> <strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> mein scheuer Blick,<br />
und Gestimmtheit. Der Der<br />
Morgen, der der Tagesanbruch,<br />
Den schon <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ferne drängt,<br />
der der Aufgang der der <strong>So</strong>nne,<br />
worin der der Naturvorgang im im Noch in in das Schmerzensglück<br />
Gedicht kulminiert:<br />
„Die <strong>So</strong>nne kommt“– <strong>die</strong>s <strong>die</strong>s Der Abschiedsnacht versenkt.<br />
sind Aufbruchszeichen,<br />
Zeichen froher Stimmung.<br />
Doch hier geht es es um um Abschied<br />
und Trennung. Dies<br />
wird nicht zuletzt in in der der<br />
Ab-<br />
Düsternis des des Gedichts<br />
Dein blaues Auge steht<br />
deutlich – –„ein dunkler See“,<br />
„Purpurschwärze“–, <strong>die</strong> <strong>die</strong> sich<br />
Ein dunkler See vor mir,<br />
gegenläufig zum Vorgang<br />
der der Morgendämmerung und<br />
Dein Kuß, dein Hauch umweht,<br />
der der Aufhellung durchsetzt.<br />
Dein Flüstern mich noch hier.<br />
20 20 21 21
An deinem Hals begräbt<br />
Sich weinend mein Gesicht,<br />
Und Purpurschwärze webt<br />
Mir vor dem Auge dicht.<br />
Im Schlussbild der letzten Strophe kommen <strong>die</strong>se Bewegungen<br />
gleichsam zusammen: Dem Aufgang der <strong>So</strong>nne folgt der Schauer,<br />
<strong>die</strong> aufgehende <strong>So</strong>nne selbst<br />
wird zum Trennungszeichen.<br />
Die <strong>So</strong>nne kommt; – sie scheucht<br />
Bemerkenswert <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> auch <strong>die</strong><br />
Kühnheit der sprachlichen<br />
Den Traum hinweg im Nu,<br />
Wendungen, <strong>die</strong> <strong>Mörike</strong> findet:<br />
„Dein blaues Auge<br />
Und von den Bergen streicht<br />
steht ⁄ Ein ⁄ dunkler See vor<br />
mir“: „Und Purpurschwärze<br />
Ein Schauer auf mich zu.<br />
webt ⁄ Mir ⁄ vor dem Auge<br />
dicht“.<br />
<strong>So</strong> <strong>So</strong> <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> Früh im im Wagen ein großartiges, nur schwer überbietbares<br />
Abschiedsgedicht.<br />
Abschied und Trennung –– mit <strong>die</strong>sen Begriffen lässt sich überleiten<br />
zu zu den nächsten Gedichten, zu zu <strong>Mörike</strong>s Peregrina-Zyklus,<br />
einem Ensemble aus fünf Gedichten, das durchaus als ein Zentrum<br />
seiner Liebeslyrik, ja ja seiner Lyrik überhaupt verstanden werden<br />
kann. Hinter <strong>die</strong>sem Zyklus steht –– <strong>die</strong>s <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> allseits bekannt ––<br />
eine biographische Erfahrung <strong>Mörike</strong>s. Sie sei hier kurz skizziert.<br />
Im Frühjahr 1823, als <strong>Mörike</strong> während der Semesterferien zu zu<br />
Hause <strong>ist</strong>, verliebt er er sich in in eine außergewöhnlich schöne, in in Erscheinung<br />
und Verhalten etwas ungewöhnliche junge Frau; sie ––<br />
ihr Name <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> Maria Meyer –– erwidert seine Liebe. <strong>So</strong>ziale Stellung<br />
und Herkunft des Mädchens sind freilich etwas anrüchig; sie war<br />
eines Tages aus der Fremde aufgetaucht und be<strong>die</strong>nt nun in in einer<br />
Gastwirtschaft. Und so so versucht <strong>die</strong> Familie <strong>Mörike</strong>s, <strong>die</strong> Liebenden<br />
auseinander zu zu bringen; für den künftigen Pfarrer war eine<br />
solche Liebe sicher auch wenig angemessen. Und <strong>Mörike</strong> gibt,<br />
wenn auch unter Schmerzen, nach; er er verlässt Maria Meyer, obgleich<br />
er er sie noch immer liebt, und kehrt an <strong>die</strong> Universität zurück.<br />
Damit <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Geschichte allerdings noch nicht zu zu Ende. Im<br />
<strong>So</strong>mmer 1824 kommt Maria Meyer nach Tübingen, wo <strong>Mörike</strong><br />
stu<strong>die</strong>rt, und bittet ihn um eine Unterredung. <strong>Mörike</strong> jedoch hält<br />
sich an das Versprechen, das er er der Familie gegeben hat, und weigert<br />
sich, mit Maria zu zu reden (und wenn es, was immerhin möglich<br />
scheint, doch zu zu einem Treffen kam, so so war es, jedenfalls für<br />
Maria Meyer, vergeblich).<br />
In In <strong>die</strong>ser Situation schreibt <strong>Mörike</strong> das zeitlich erste Gedicht des<br />
späteren Peregrina-Zyklus, <strong>die</strong> erste Fassung des dritten Gedichts<br />
im Ensemble Ein Irrsal kam. Gleichfalls in in <strong>die</strong>ser Zeit <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> vermutlich<br />
das zweite Gedicht des Ensembles, das Hochzeitsgedicht Aufgeschmückt<br />
<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> der der Freudensaal entstanden; <strong>die</strong> weiteren Gedichte<br />
hat <strong>Mörike</strong> später geschrieben. Sein ganzes Leben hindurch<br />
hat sich <strong>Mörike</strong> mit <strong>die</strong>sem Zyklus beschäftigt. Er Er hat ihn immer<br />
wieder verändert, <strong>die</strong> Reihenfolge der Gedichte umgestellt, mal<br />
auch ein Gedicht herausgenommen, es es dann aber später wieder<br />
eingefügt; dabei hat er er zudem <strong>die</strong> einzelnen Gedichte teilweise erheblich<br />
geändert. Die letzten Änderungen nahm er er für <strong>die</strong> vierte<br />
Ausgabe seiner Gedichte vor, <strong>die</strong> 1867 erschien, mehr als vierzig<br />
Jahre nach der Liebesgeschichte mit Maria Meyer (in <strong>die</strong>ser letzten<br />
Fassung werden auch hier <strong>die</strong> Gedichte präsentiert).<br />
<strong>Mörike</strong> folgt, wie an der Entstehung des zeitlich ersten Gedichts<br />
deutlich wird, dem Modell der Liebeslyrik Goethes; er er nützt <strong>die</strong>se<br />
Möglichkeit, eine bedrängende Liebeserfahrung lyrisch auszusprechen<br />
und zu zu bearbeiten. In In <strong>die</strong>sem Sinn können <strong>die</strong> Peregrina-<br />
Gedichte als Erlebnis-Dichtung, als dichterische Bewältigung<br />
einer persönlichen Erfahrung, verstanden werden (und sind auch<br />
immer wieder so so verstanden worden). Nicht zuletzt <strong>die</strong> lebenslange<br />
Arbeit an dem Zyklus verwe<strong>ist</strong> darauf, dass <strong>die</strong> Begegnung<br />
mit Maria Meyer für <strong>Mörike</strong> eine traumatische Erfahrung war,<br />
<strong>die</strong> ihn immer wieder zur erneuten lyrischen Bearbeitung herausforderte<br />
–– möglicherweise gerade deshalb, weil er er sich zu zu anderer<br />
Aussprache zeitlebens nicht in in der Lage sah; zwanzig Jahre nach<br />
der Erfahrung spricht er er in in einem Brief an Wilhelm Hartlaub<br />
vom 20. März 1843 von seiner „Nolimetangere-Vergangenheit“.<br />
Der Zyklus erzählt, in in seiner letzten Fassung, eine Liebesgeschichte;<br />
<strong>die</strong> fünf Gedichte lassen sich als Stationen einer Liebesgete;<br />
22 23
schichte verstehen, in in denen teilweise wiederkehrt, was bereits<br />
bisher in in <strong>Mörike</strong>s Liebeslyrik zu zu beobachten war. Diese Stationen<br />
sollen hier zunächst kurz benannt werden, um danach <strong>die</strong> Gedichte<br />
selbst sprechen zu zu lassen, worauf einige kommentierende<br />
Bemerkungen folgen werden.<br />
Im ersten Gedicht sind der Moment der Begegnung der Liebenden<br />
und zugleich <strong>die</strong> ambivalente Verlockung festgehalten, <strong>die</strong><br />
der Liebende im Blick der Geliebten erfährt, wenn in in der ersten<br />
Zeile vom „Spiegel <strong>die</strong>ser treuen, braunen Augen“ gesprochen<br />
wird, es es in in der letzten Zeile aber heißt: „Reichst lächelnd mir den<br />
Tod im Kelch der Sünden!“ Das zweite Gedicht erzählt, als zeremoniellen<br />
Akt und als ebenso leidenschaftliche wie zärtliche Vereinigung<br />
der Liebenden, <strong>die</strong> Hochzeit, freilich in in eigentümlichen,<br />
wiederum sehr ambivalenten Bildern, wenn etwa vom einem<br />
„Gartengezelte“ <strong>die</strong> Rede <strong>ist</strong> mit Säulen aus Schlangen: „Säulengleich<br />
steigen, gepaart, ⁄ ⁄ Grün-umranket, eherne Schlangen, ⁄ ⁄<br />
Zwölf, mit verschlungenen Hälsen“. Aber immerhin schließt das<br />
Gedicht mit dem Einzug des Paars in in das „Haus“. Das dritte,<br />
gleichfalls erzählende Gedicht bringt gewissermaßen den Gegengesang<br />
zum zweiten Gedicht. Es Es berichtet von Betrug und von<br />
Verstoßung; er er heißt „das schlanke, ⁄ ⁄ Zauberhafte Mädchen ⁄ ⁄ Ferne<br />
gehen von mir“. Und es es berichtet weiter von Schuld und<br />
Schmerz des Liebenden und von der imaginierten, traumhaften<br />
Wiederkehr der Geliebten: „Wie? wenn ich eines Tags auf meiner<br />
Schwelle“. Auch das vierte Gedicht präsentiert eine Traumvision,<br />
<strong>die</strong> erneut eigentümlich zwiespältig erscheint: – „lautes Schluchzen“<br />
einerseits, „Hand in in Hand“ andererseits – und <strong>die</strong> mit dem<br />
imaginierten Zusammensein der beiden Liebenden endet, einem<br />
Zusammensein allerdings, das aus dem Haus herausführt:<br />
„Und Hand in in Hand verließen wir das Haus“. Das Abschlussgedicht<br />
schließlich setzt mit einer allgemeinen, geradezu sentenziösen<br />
Aussage ein und zeigt dann Wiederkehr und endgültigen Abschied<br />
der Geliebten: „Sie kehrt sich ab, und kehrt mir nie<br />
zurück“.<br />
Peregrina<br />
II<br />
Der Spiegel <strong>die</strong>ser treuen, braunen Augen<br />
Ist wie von innerm Gold ein Wiederschein;<br />
Tief aus dem Busen scheint er’s anzusaugen,<br />
Dort mag solch Gold in heil’gem Gram gedeihn.<br />
In <strong>die</strong>se Nacht des Blickes mich zu tauchen,<br />
Unwissend Kind, du selber lädst mich ein –<br />
Willst, ich soll kecklich mich und dich entzünden,<br />
Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden!<br />
II II<br />
Aufgeschmückt <strong>ist</strong> der Freudensaal.<br />
Lichterhell, bunt, in laulicher <strong>So</strong>mmernacht<br />
Stehet das offene Gartengezelte.<br />
Säulengleich steigen, gepaart,<br />
Grün-umranket, eherne Schlangen,<br />
Zwölf, mit verschlungenen Hälsen,<br />
Tragend und stützend das<br />
Leicht gegitterte Dach.<br />
Aber <strong>die</strong> Braut noch wartet verborgen<br />
In dem Kämmerlein ihres Hauses.<br />
Endlich bewegt sich der Zug der Hochzeit,<br />
24 25
Fackeln tragend,<br />
Flöten und Saiten umsonst.<br />
Feierlich stumm.<br />
Und in in der Mitte,<br />
Mich an an der rechten Hand,<br />
Schwarz gekleidet, geht einfach <strong>die</strong> Braut;<br />
Schöngefaltet ein Scharlachtuch<br />
Liegt um den zierlichen Kopf geschlagen.<br />
Lächelnd geht sie sie dahin; das Mahl schon duftet.<br />
Ermüdet lag, zu zu bald für mein Verlangen,<br />
Das leichte, liebe Haupt auf meinem Schooß.<br />
Spielender Weise mein Aug’ auf ihres drückend<br />
Fühlt’ ich ein Weilchen <strong>die</strong> langen Wimpern,<br />
Bis der Schlaf sie sie stellte,<br />
Wie Schmetterlingsgefieder auf und niedergehn.<br />
Später im im Lärmen des Fests<br />
Stahlen wir seitwärts uns Beide<br />
Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd,<br />
Wo im im Gebüsche <strong>die</strong> Rosen brannten,<br />
Eh’ das Frührot schien,<br />
Eh’ das Lämpchen erlosch im im Brautgemache,<br />
Weckt’ ich <strong>die</strong> Schläferin,<br />
Führte das seltsame Kind in in mein Haus ein.<br />
Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte,<br />
Wo <strong>die</strong> Weymouthsfichte mit schwarzem Haar<br />
Den Spiegel des Teiches halb verhängt.<br />
III III<br />
Ein Irrsal kam in in <strong>die</strong> Mondscheingärten<br />
Einer einst heiligen Liebe.<br />
Auf seidnem Rasen dort, ach, Herz am Herzen,<br />
Wie verschlangen, erstickten meine Küsse den<br />
scheueren Kuß!<br />
Indeß der Springquell, untheilnehmend<br />
An überschwänglicher Liebe Geflüster,<br />
Sich ewig des eigenen Plätscherns freute;<br />
Uns aber neckten von fern und lockten<br />
Freundliche Stimmen,<br />
Schaudernd entdeckt’ ich verjährten Betrug.<br />
Und mit weinendem Blick, doch grausam,<br />
Hieß ich das schlanke,<br />
Zauberhafte Mädchen<br />
Ferne gehen von mir.<br />
Ach, ihre hohe Stirn<br />
War gesenkt, denn sie sie liebte mich;<br />
Aber sie sie zog mit Schweigen<br />
26 26 27 27
Fort in in <strong>die</strong> <strong>die</strong> graue<br />
Welt hinaus.<br />
Wo ich mein selbst vergaß in in Lärm und Scherzen,<br />
Tratst du, o o Bildniß mitleid-schöner Qual;<br />
Es Es war dein Ge<strong>ist</strong>, er er setzte sich an’s Mahl,<br />
Krank seitdem,<br />
Wund <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> und wehe mein Herz.<br />
Nimmer wird es es genesen!<br />
Fremd saßen wir mit stumm verhalt’nen Schmerzen;<br />
Zuletzt brach ich in in lautes Schluchzen aus,<br />
Und Hand in in Hand verließen wir das Haus.<br />
Als ginge, luftgesponnen, ein Zauberfaden<br />
Von ihr ihr zu zu mir, ein ängstig Band,<br />
<strong>So</strong> <strong>So</strong> zieht es, es, zieht mich schmachtend ihr ihr nach!<br />
–– Wie? wenn ich eines Tags auf meiner Schwelle<br />
Sie Sie sitzen fände, wie einst, im im Morgen-Zwielicht,<br />
VV<br />
Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,<br />
Geht endlich arm, zerrüttet, unbeschuht;<br />
Dieß edle Haupt hat nicht mehr, wo wo es es ruht,<br />
Mit Thränen netzet sie sie der Füße Wunden.<br />
Das Wanderbündel neben ihr,<br />
Und ihr ihr Auge, treuherzig zu zu mir aufschauend,<br />
Sagte, da da bin ich wieder<br />
Hergekommen aus weiter Welt!<br />
Ach, Peregrinen hab’ ich so so gefunden!<br />
Schön war ihr ihr Wahnsinn, ihrer Wange Gluth,<br />
Noch scherzend in in der Frühlingsstürme Wuth,<br />
Und wilde Kränze in in das Haar gewunden.<br />
IV IV<br />
Warum, Geliebte, denk’ ich dein<br />
Auf einmal nun mit tausend Thränen,<br />
Und kann gar nicht zufrieden sein,<br />
War’s möglich, solche Schönheit zu zu verlassen?<br />
–– <strong>So</strong> <strong>So</strong> kehrt nur reizender das alte Glück!<br />
O komm, in in <strong>die</strong>se Arme dich zu zu fassen!<br />
Und will <strong>die</strong> <strong>die</strong> Brust in in alle Weite dehnen?<br />
Doch weh! o o weh! was soll mir <strong>die</strong>ser Blick?<br />
Ach, gestern in in den hellen Kindersaal,<br />
Bei’m Flimmer zierlich aufgesteckter Kerzen,<br />
Sie Sie küßt mich zwischen Lieben noch und Hassen,<br />
Sie Sie kehrt sich ab, ab, und kehrt mir nie zurück.<br />
28 28 29 29
Das zentrale Thema der Peregrina-Gedichte heißt Liebe und<br />
Schuld. Dabei <strong>ist</strong> Liebe ein umfassendes Phänomen. Sie <strong>ist</strong> höchste<br />
Leidenschaft und sexuelles Begehren, was <strong>Mörike</strong> vor allem in<br />
Aufgeschmückt <strong>ist</strong> der Freudensaal, in der dritten Strophe, in erstaunliche<br />
Naturbilder gefasst hat: „Wo im Gebüsche <strong>die</strong> Rosen<br />
brannten, ⁄ Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte“. Diese Liebe <strong>ist</strong><br />
aber ebenso sanfteste Zärtlichkeit. <strong>Mörike</strong> lässt <strong>die</strong>s in einer<br />
Geste der Liebenden sprachliche Wirklichkeit werden, <strong>die</strong> in solcher<br />
leisen und zugleich konkreten Zartheit auszusprechen vielleicht<br />
keinem anderen deutschen Lyriker zu Gebote steht:<br />
Spielender Weise mein Aug’ auf ihres drückend<br />
Fühlt’ ich ein Weilchen <strong>die</strong> langen Wimpern,<br />
Bis der Schlaf sie stellte,<br />
Wie Schmetterlingsgefieder auf und niedergehn.<br />
Und <strong>die</strong>se Liebe <strong>ist</strong> weiterhin gleichermaßen höchst individuelle<br />
Erfahrung und gesellschaftlicher Sachverhalt mit „Hochzeit“ und<br />
„Haus“. Zugleich jedoch <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Erfahrung <strong>die</strong>ser Liebe für den<br />
Liebenden und Sprecher der Gedichte ‚Sünde‘. Bereits im Eingangsgedicht<br />
wird in der Entgegensetzung der „treuen, braunen<br />
Augen“ mit dem „Kelch der Sünden“ <strong>die</strong>ser Zwiespalt ausgesprochen.<br />
An <strong>die</strong>ser Ambivalenz scheitert <strong>die</strong> Liebe; so <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Initiation<br />
in <strong>die</strong> Liebe, <strong>die</strong> der Sprecher im Hochzeitsgedicht erfährt,<br />
zugleich eine Initiation in deren Unmöglichkeit. Diese Unmöglichkeit<br />
aber hat einen genauen Grund: den „Liebesverrat“ (Peter<br />
von Matt), Verrat und Schuld der Geliebten, <strong>die</strong> offenbar einen<br />
„Betrug“ begangen hat, über den freilich nicht Näheres gesagt<br />
wird, weitaus mehr aber Verrat und Schuld des Liebenden, des<br />
männlichen Sprechers der Gedichte, der in der Bewährung seiner<br />
Liebe versagt, Peregrina verstößt, sie so in <strong>die</strong> Fremde und in den<br />
Wahnsinn treibt, damit aber seine Liebe verliert. Denn von der<br />
Verstoßung der Geliebten geht eine strenge Kausalkette aus;<br />
Schuldgefühl und Sehnsucht des Liebenden, der Wahnsinn der<br />
verstoßenen Geliebten, der endgültige Abschied und also <strong>die</strong><br />
unaufhebbare Erfahrung der Unmöglichkeit solcher Liebe folgen<br />
mit unerbittlicher Konsequenz. Hier wird ein Verhängnis von<br />
Liebe und Schuld gestaltet, in dem freilich <strong>die</strong> Geschlechterrollen<br />
eindeutig verteilt sind: Die Frau <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Verstoßene, der Mann der<br />
Täter. Und mehr noch: Auch der Sprecher der Gedichte <strong>ist</strong> ein<br />
Mann. Peregrina, <strong>die</strong> Geliebte, bleibt stumm, ihr Ausdruck sind<br />
allein Blick und Gebärde; <strong>die</strong> Sprache gehört dem Liebenden. Die<br />
Frau <strong>ist</strong> Opfer, ihre Opferung freilich erscheint zugleich als unaufhebbare,<br />
nicht zu bewältigende Schuld des Mannes.<br />
Zum Peregrina-Zyklus ließe sich zweifellos noch manches sagen;<br />
und es <strong>ist</strong> in der Forschung auch viel dazu gesagt worden, zuletzt<br />
noch Wichtiges im vergangenen <strong>Mörike</strong>-Jahr. bilden Diese Gedichte<br />
sind in biographischer wie in poetologischer Hinsicht Kern<br />
und Zentrum von <strong>Mörike</strong>s Werk. Das kann hier freilich nicht<br />
ausgeführt werden; im gegebenen Zusammenhang sind <strong>die</strong>se<br />
Gedichte vor allem ein Beispiel für <strong>die</strong> Gestaltung des Komplexes<br />
von Liebe und Schuld in <strong>Mörike</strong>s Liebeslyrik – oder, in anderen<br />
Worten: für <strong>die</strong> Gestaltung der dämonischen, zerstörerischen<br />
Macht von Eros und Sexualität.<br />
Ein zentrales Moment in <strong>die</strong>sem Komplex <strong>ist</strong> <strong>die</strong> schuldhafte<br />
Trennung, <strong>die</strong>, aus der Perspektive Peregrinas, als Verlassenwerden<br />
erfahren wird. <strong>Mörike</strong> hat <strong>die</strong>se Erfahrung mehrfach in Rollengedichten<br />
mit Sprecherinnen lyrisch gestaltet. Zwei Beispiele<br />
mögen <strong>die</strong>s zeigen, <strong>die</strong> durchaus für sich selbst sprechen und so<br />
auch unkommentiert bleiben sollen.<br />
Das verlassene Mägdlein<br />
Früh, wann <strong>die</strong> Hähne krähn,<br />
Eh’ <strong>die</strong> Sternlein verschwinden,<br />
Muß ich am Herde stehn,<br />
Muß Feuer zünden.<br />
30 31
Schön <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> der Flammen Schein,<br />
Es Es springen <strong>die</strong> Funken;<br />
Ich schaue so so drein,<br />
In In Leid versunken.<br />
Blieben treu,<br />
<strong>So</strong>llte mir nicht bangen.<br />
Um <strong>die</strong> Ernte wohlgemuth,<br />
Wohlgemuth<br />
Schnitterinnen singen.<br />
Aber, ach! mir kranken Blut,<br />
Plötzlich, da da kommt es es mir,<br />
Treuloser Knabe,<br />
Mir kranken Blut<br />
Will nichts mehr gelingen.<br />
Daß ich <strong>die</strong> Nacht von dir<br />
Geträumet habe.<br />
Schleiche so so durch’s Wiesenthal,<br />
<strong>So</strong> <strong>So</strong> durch’s Thal,<br />
Thräne auf Thräne dann<br />
Stürzet hernieder;<br />
<strong>So</strong> <strong>So</strong> kommt der Tag heran –<br />
O ging’ er er wieder!<br />
Als im im Traum verloren,<br />
Nach dem Berg, da da tausendmal,<br />
Tausendmal<br />
Er Er mir Treu’ geschworen.<br />
Oben auf des Hügels Rand,<br />
Agnes<br />
Abgewandt,<br />
Wein ich bei der Linde;<br />
Rosenzeit! wie schnell vorbei,<br />
Schnell vorbei<br />
B<strong>ist</strong> du du doch gegangen!<br />
An dem Hut mein Rosenband,<br />
Von seiner Hand,<br />
Spielet in in dem Winde.<br />
Wär’ mein Lieb nur blieben treu,<br />
32 32 33 33
Diesen beiden Gedichte verweisen in in der Unterschiedlichkeit, mit<br />
der in in ihnen das Thema des Verlassenseins gestaltet <strong>ist</strong>, noch einmal<br />
auf <strong>die</strong> Vielfalt, <strong>die</strong> Vielstimmigkeit der Liebeslyrik <strong>Mörike</strong>s.<br />
Es Es ließe sich, wenn Sie <strong>die</strong> Fassung in in ein Bild gestatten, ein Dreieck<br />
denken, an an dessen Ecken jeweils spezifische Varianten stehen:<br />
<strong>die</strong> dämonische Gewalt von Eros und Sexualität, erfahren als als<br />
Schuld an an einem Eck, an an einem zweiten <strong>die</strong> Liebe als als harmonische<br />
Erfüllung, das Liebesglück also, und schließlich am dritten<br />
Eck das erotische, heiter-sinnliche Spiel. Die Seitenlinien des Dreiecks<br />
markieren <strong>die</strong> Spannung, in in denen <strong>die</strong>se Möglichkeiten zueinander<br />
stehen. Und <strong>Mörike</strong>s Liebesgedichte lassen sich in in ihrer<br />
Variation auf der Fläche <strong>die</strong>ses Dreiecks anordnen, je je nach der<br />
Mischung der Möglichkeiten, <strong>die</strong> sie sie bieten, und nach dem Maß<br />
der Zuordnung zu zu einem der Eckpunkte. Zu Zu fragen wäre aber<br />
dann, ob ob es es –– kontrastiv zur Vielfalt und in in fruchtbarer Spannung<br />
mit ihr –– ein Zentrum <strong>die</strong>ser Liebeslyrik, einen Schwerpunkt gewissermaßen<br />
<strong>die</strong>ses Dreiecks gibt, der möglicherweise verdeckt <strong>ist</strong> <strong>ist</strong><br />
und daher erst noch konstruiert werden muss.<br />
Ein solcher Schwerpunkt lässt sich durchaus konstruieren; einige<br />
Hinweis dazu sollen <strong>die</strong> Überlegungen abschließen. Grundlage<br />
dafür <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>Mörike</strong>s Gedicht Erinnerung. An An C.N., wobei, nunmehr<br />
in in umgekehrter Reihenfolge, jetzt zuerst einige Anmerkungen zu zu<br />
<strong>die</strong>sem Gedicht folgen, um dann –– zum Abschluss –– noch einmal<br />
<strong>Mörike</strong> zur Wort kommen zu zu lassen.<br />
Erinnerung <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> ein erzählendes Gedicht; in in einer vertraut alltäglich<br />
anmutenden, freilich leicht überhöhten Sprache erzählt es es<br />
von einer Kindheitsliebe. In In anrührender Weise wird das Beisammensein<br />
der Liebenden unter einem Regenschirm vorgestellt.<br />
Dabei spricht allerdings allein der Liebende; er er erinnert sich und<br />
äußert seine Empfindungen, und es es bleibt offen, ob ob er, er, wenn er er<br />
von der Geliebten spricht oder ‚wir‘ sagt, tatsächlich auch ihre<br />
Gefühle wiedergibt oder ihr etwas zuspricht. Von ihrer Liebe zueinander<br />
können beide freilich nicht sprechen; das „Röschen“,<br />
übliches Zeichen der Liebe immerhin, kann sie sie ihm nur „im<br />
Gehen“ und „schnelle“ geben, und er er kann es es nur heimlich küssen.<br />
Zugleich jedoch erzählt das Gedicht von Abschied und Trennung.<br />
In In den beiden nahezu identischen Rahmenstrophen wird<br />
<strong>die</strong>s unmissverständlich und nachdrücklich ausgesprochen:<br />
„Dieses war zum letztenmale“. Der Gedankenstrich, mit dem <strong>die</strong><br />
vorletzte Strophe endet, markiert den Moment des Abschieds und<br />
der Trennung, der, als als er er in in der Gegenwart des Gedichts erinnert<br />
wird, zugleich das Verstummen des Sprechers bewirkt. Schmerzlich<br />
<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> <strong>die</strong>se Trennung vor allem deshalb, weil <strong>die</strong>ses letzte Mal<br />
offensichtlich auch das erste Mal war. Erinnert wird <strong>die</strong> Situation,<br />
in in der sich <strong>die</strong> Liebenden ihrer Liebe bewusst werden, wobei<br />
gerade <strong>die</strong> erwachende sinnliche Erfahrung der Liebe ––„Arm in in<br />
Arme“, „das Herz schlug zu zu gewaltig, ⁄ Beide ⁄ merkten wir es“ –– mit<br />
dem Verlust <strong>die</strong>ser Liebe zusammengeht. Die Zeit vor der Trennung,<br />
damit aber auch vor der Erfahrung solcher Liebe, wird als als<br />
Kindheit imaginiert; mit der weiter zurückreichenden Erinnerung<br />
an an <strong>die</strong> „ersten Jugendspiele“ wird <strong>die</strong>se Vorstellung noch verstärkt.<br />
Das Gedicht gestaltet also <strong>die</strong> Erfahrung einer offenbar<br />
unausweichlichen Trennung. Die erinnerte Kindheit erscheint als als<br />
der Ort, an an dem <strong>die</strong>se Trennung noch nicht gegeben war. Trennung<br />
und Abschied aber sind mit der Erfahrung von Sinnlichkeit<br />
und Körperlichkeit verknüpft; sie sie folgen auf <strong>die</strong> Erfahrung sexuellen<br />
Begehrens.<br />
Dem Gedicht liegt eine Struktur zu zu Grunde, <strong>die</strong> eine Grundfigur<br />
der Lyrik <strong>Mörike</strong>s überhaupt <strong>ist</strong>: <strong>die</strong> der Erinnerung. Viele seiner<br />
Gedichte, gerade auch seiner Liebesgedichte, sind in in der Situation<br />
des Erinnerns gesprochen; es es wird ein Zustand des Ungetrenntseins<br />
erinnert, den es es einstmals gegeben hat oder der als als vordem<br />
gegeben imaginiert wird. Die hier gegebenen Beispiele zeigen <strong>die</strong>s<br />
durchaus. Erinnerung antwortet also auf <strong>die</strong> Erfahrung von Trennung<br />
und Verlust; das Erinnern geschieht in in einer als als traumatisch<br />
erfahrenen Situation der Trennung –– so so in in Peregrina, in in<br />
Agnes, in in Das verlassene Mägdlein –, –, der <strong>die</strong> Imagination des vorangegangenen<br />
Status der Ungetrenntheit entgegengesetzt wird:<br />
Die Trennung wird phantasmatisch aufgehoben; das Getrennte<br />
erscheint, in in der Situation des Gedichts, wieder vereint und versöhnt.<br />
Diese Figur der Erinnerung <strong>ist</strong>, so so meine ich, das Zentrum<br />
der Lyrik <strong>Mörike</strong>s, ja ja seines ganzen Werks, was auszuführen freilich<br />
mindestens eines weiteren Vortrags bedürfte. Stattdessen<br />
aber soll nun noch einmal <strong>Mörike</strong> selbst für sich sprechen:<br />
34 34 35 35
Erinnerung<br />
An An C.N.<br />
Blicktest, und <strong>die</strong> <strong>die</strong> blonden Locken<br />
Um den hellen Nacken fielen.<br />
»Jetzt <strong>ist</strong> <strong>ist</strong> wohl ein ein Regenbogen<br />
Jenes war zum letztenmale,<br />
Daß ich ich mit dir dir ging, o o Clärchen!<br />
Ja, Ja, das war das letztemal,<br />
Hinter uns am am Himmel«, sagt’ ich,<br />
»Und <strong>die</strong> <strong>die</strong> Wachtel dort im im Fenster,<br />
Deucht mir, schlägt noch eins so so froh!«<br />
Daß wir uns wie Kinder freuten.<br />
Und im im Weitergehen dacht’ ich ich<br />
Als Als wir eines Tages eilig<br />
Durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> breiten, sonnenhellen,<br />
Regnerischen Straßen, unter<br />
Einem Schirm geborgen, liefen;<br />
Beide heimlich eingeschlossen<br />
Wie in in einem Feeenstübchen,<br />
Endlich einmal Arm in in Arme!<br />
Unsrer ersten Jugendspiele,<br />
Dachte an an dein heimathliches<br />
Dorf und seine tausend Freuden.<br />
–– »Weißt du du auch noch«, frug ich ich dich,<br />
»Nachbar Büttnerme<strong>ist</strong>ers Höfchen,<br />
Wo<strong>die</strong> <strong>die</strong> großen Kufen lagen,<br />
Drin wir <strong>So</strong>nntags nach Mittag uns<br />
Immer häuslich niederließen,<br />
Wenig wagten wir zu zu reden,<br />
Denn das Herz schlug zu zu gewaltig,<br />
Beide merkten wir es es schweigend,<br />
Und ein ein Jedes schob im im Stillen<br />
Des Gesichtes glüh’nde Röthe<br />
Auf den Widerschein des Schirmes.<br />
Ach, ein ein Engel warst du du da!<br />
Wie du du auf den Boden immer<br />
Plauderten, Geschichten lasen,<br />
Während drüben in in der Kirche<br />
Kinderlehre war –– (ich höre<br />
Heute noch den Ton der Orgel<br />
Durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Stille ringsumher):<br />
Sage, lesen wir nicht einmal<br />
Wieder wie zu zu jenen Zeiten<br />
–– Just nicht in in der Kufe, mein’ ich ich ––<br />
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Den beliebten ,Robinson‘?«<br />
Und du lächeltest und bogest<br />
Mit mir um <strong>die</strong> letzte Ecke.<br />
Und ich bat dich um ein Röschen,<br />
Das du an der Brust getragen,<br />
Und mit scheuen Augen schnelle<br />
Reichtest du mir’s hin im Gehen:<br />
Zitternd hob ich’s an <strong>die</strong> Lippen,<br />
Küßt’ es brünstig zwei- und dreimal;<br />
Niemand konnte dessen spotten,<br />
Keine Seele hat’s gesehen,<br />
Und du selber sahst es nicht.<br />
An dem fremden Haus, wohin<br />
Ich dich zu begleiten hatte,<br />
Standen wir nun, weißt, ich drückte<br />
Dir <strong>die</strong> Hand und –<br />
Dieses war zum letztenmale,<br />
Daß ich mit dir ging, o Clärchen!<br />
Ja, das war das letztemal,<br />
Daß wir uns wie Kinder freuten.<br />
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