ThyssenKrupp magazin - Umwelt - ThyssenKrupp Elevator (CENE)
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forum_gespräch<br />
16<br />
Der Klimawandel war die gesellschaftliche Debatte des<br />
Jahres 2007. Wie bewerten Sie die Art und Weise, wie<br />
diese Debatte in der Öffentlichkeit geführt wurde und<br />
wird? Halten Sie es für problematisch, dass die komplexen<br />
Forschungsergebnisse zum Klimawandel in den Medien<br />
oft wenig differenziert dargestellt werden?<br />
Mojib Latif: Das ist in einer Mediengesellschaft einfach so.<br />
Ganz egal, um welches Thema es geht, es gibt immer das<br />
komplette Spektrum an Meinungen. An einem Tag lesen Sie,<br />
der Klimawandel sei das größte Problem aller Zeiten, am<br />
nächsten, dass alles natürlichen Ursprungs sei und wir uns<br />
keine Sorgen machen müssten. Das verwirrt und verunsichert.<br />
Deshalb ist es wichtig, dass es Foren gibt, in denen<br />
diese Dinge deutlich dargestellt werden, damit die Menschen<br />
das Problem wirklich verstehen. Schließlich würde auch niemand<br />
verstehen, warum ein Auto fährt, wenn Sie jedes Detail,<br />
jede Schraube erklären – und dann vielleicht auch noch<br />
falsch. Sie müssen sich auf die wesentlichen Teile konzentrieren:<br />
den Motor, die Reifen, die Karosserie. Bei wissenschaftlichen<br />
Modellen ist das ähnlich. Wenn es um die Diskussion der<br />
Güte der Modelle geht, wird jeder Kratzer zum Anlass genommen<br />
zu sagen, das Auto könne doch gar nicht fahren, weil es<br />
einen Kratzer hat. Sicher ist kein Modell perfekt, aber für die<br />
Prognose der großräumigen, langfristigen Klimaentwicklung<br />
ist das völlig irrelevant.<br />
Die Debatte über den Klimawandel und der Nobelpreis für<br />
die Klimaschützer haben das Bewusstsein der Menschen<br />
für diese Problematik gestärkt. Aber bringt das auch wirklich<br />
etwas?<br />
Eine Bewusstseinsänderung führt nicht notwendigerweise zu<br />
einer Verhaltensänderung. Im Prinzip versagen hier alle<br />
Ebenen: die Weltpolitik, die Wirtschaft und jeder Einzelne. Im<br />
Moment versucht jeder, sich in einem guten Licht darzustellen,<br />
indem er sich des Themas annimmt. Ich nenne das gefühlten<br />
Klimaschutz. So hat man subjektiv immer den Eindruck, dass<br />
wir Deutschen die großen Vorbilder sind. Anhand der Zahlen<br />
lässt sich das aber nicht belegen. Ein Beispiel: Beim Ausstoß<br />
an CO2 ist ein Deutscher mit ungefähr 11 Tonnen pro Kopf und<br />
Jahr dabei, ein Chinese mit 3,5 Tonnen und ein Inder<br />
mit 1 Tonne – ein US-Amerikaner zugegebenermaßen mit<br />
20 Tonnen. Die jüngst von Bundeskanzlerin Merkel geforderte<br />
„carbon justice“ fordern wir schon lange. Wenn alle Menschen<br />
das gleiche Recht haben sollen, CO2 auszustoßen und wir eine<br />
einigermaßen weiche Landung hinlegen wollen, müssen wir<br />
uns irgendwo treffen, vielleicht bei 2 Tonnen pro Kopf – was<br />
einer Reduktion um den Faktor 5 gegenüber dem derzeitigen<br />
Wert von gut 10 Tonnen entspräche.<br />
Was entgegnen Sie denen, die darauf hinweisen, Klimawandel<br />
habe es in der Geschichte der Erde und auch der<br />
Menschheit immer wieder gegeben, mit den positivsten<br />
Auswirkungen für Mensch und Tier in warmen Phasen?<br />
Das stimmt natürlich bis zu einem gewissen Grad. Es gibt aber<br />
zwei große Unterschiede zur Vergangenheit. Der erste ist die<br />
Geschwindigkeit der Veränderung. Von der letzten Eiszeit bis<br />
heute hat sich die Temperatur im globalen Mittel um etwa 4 bis<br />
5 Grad verändert – über 20.000 Jahre hinweg. Wir reden jetzt<br />
über 4 bis 5 Grad in 100 Jahren, also eine gigantisch andere<br />
Dimension. Wenn die Änderung so schnell erfolgt, können<br />
sich die Ökosysteme nicht mehr so gut anpassen. Der zweite<br />
Unterschied ist das absolute Niveau der Veränderung.<br />
Während der letzten großen Warmzeit vor 125.000 Jahren war<br />
es durchschnittlich ungefähr ein halbes Grad wärmer als<br />
heute. Damals lag die Temperatur ungefähr bei 16 Grad. Jetzt<br />
reden wir vom Szenario einer Erdmitteltemperatur von<br />
20 Grad, also noch mal 4 Grad über dieser sehr starken Warmphase.<br />
Damit wäre nicht nur die Geschwindigkeit, sondern<br />
auch das absolute Niveau der Temperatur einmalig. Klar ging<br />
es uns gut in Warmphasen – einer der Gründe, warum wir<br />
Menschen uns in den vergangenen Jahrtausenden so wunderbar<br />
entwickeln konnten, ist die Tatsache, dass es warm<br />
war und das Klima praktisch nicht geschwankt hat. In den<br />
100.000 Jahren zuvor fuhr das Klima auf niedrigem Niveau<br />
Der Klimaexperte<br />
warnt vor der<br />
trügerischen Sicherheit<br />
des „gefühlten<br />
Klimaschutzes“.<br />
TK Magazin | 1 | 2008 | Januar