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Roma, Sinti und Jenische in der Schweiz - La Prairie

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Es half Anton Re<strong>in</strong>hardt auch nichts, dass <strong>der</strong> B<strong>und</strong> <strong>in</strong>zwischen, nachdem er vorher viele<br />

jüdische Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> den Holocaust zurückgeschickt hatte, am 12. Juli 1944 (spät genug)<br />

beschloss, nunmehr sollten Flüchtl<strong>in</strong>ge, „die aus politischen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Gründen wirklich<br />

an Leib <strong>und</strong> Leben gefährdet s<strong>in</strong>d“, aufgenommen werden. Das galt für Anton Re<strong>in</strong>hardt<br />

nicht. Er wurde von <strong>Schweiz</strong>er Polizisten <strong>in</strong>s deutsch besetzte Elsass ausgeschafft, von Nazis<br />

aufgegriffen <strong>und</strong> <strong>in</strong>s Konzentrationslager Struthof/Schirmeck transportiert. E<strong>in</strong>ige Monate<br />

später konnte er nochmals fliehen. Doch kurz vor Kriegsende, am 31. März 1945, dem<br />

Ostersamstag, wurde Anton Re<strong>in</strong>hardt vom SS-Hauptsturmführer Karl Hauger <strong>in</strong> Bad<br />

Rippoldsau erschossen.<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Schicksal hatte Josef Freiwald, dem gegenüber die <strong>Schweiz</strong>er Behörden dieselbe<br />

unbarmherzige Haltung e<strong>in</strong>nahmen. Er war als Sohn e<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>tezza, die e<strong>in</strong>en <strong>Schweiz</strong>er<br />

<strong>Jenische</strong>n geheiratet hatte <strong>und</strong> sich von ihm wie<strong>der</strong> scheiden liess, 1918 im Wallis zur Welt<br />

gekommen. Josef Freiwald wurde im Register dieser Geme<strong>in</strong>de als <strong>Schweiz</strong>er geführt.<br />

Freiwald arbeitete später als Akrobat <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen Zirkusunternehmen sowie als Musiker<br />

<strong>in</strong> Holland <strong>und</strong> Belgien, wo mit e<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>tezza aus <strong>der</strong> Familie <strong>der</strong> Basily zusammen lebte <strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> hatte. Schon <strong>in</strong> den 1930er Jahren <strong>und</strong> letztmals 1943 versuchte Josef Freiwald über<br />

diverse Konsulate, e<strong>in</strong>en <strong>Schweiz</strong>er Pass zu erhalten. Dies verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te jedoch die<br />

schweizerische Polizeiabteilung unter <strong>der</strong> Leitung He<strong>in</strong>rich Rothm<strong>und</strong>s konsequent.<br />

Die Familie Freiwald-Basily wurde im Mai 1944 von den deutschen Besatzern <strong>in</strong>s<br />

holländische Westerbork verbracht, von wo die Sammeltransporte nach Auschwitz abg<strong>in</strong>gen.<br />

Konsule des mittlerweile nicht mehr faschistischen Italien sowie von Län<strong>der</strong>n wie Guatemala<br />

stellten vielen <strong>der</strong> Verfolgten Papiere ihres <strong>La</strong>ndes aus, die sie vor dem Abtransport nach<br />

Auschwitz retteten. Nicht so <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>er Konsul, obwohl Josef Freiwald ja im<br />

Geburtsregister als <strong>Schweiz</strong>er verzeichnet war. Josef Freiwald wurde auf den Transport<br />

geschickt, konnte jedoch während e<strong>in</strong>es Zughalts fliehen. Er schlug sich drei Monate lang<br />

durch, bis er erneut verhaftet <strong>und</strong> <strong>in</strong>s <strong>La</strong>ger Buchenwald gesperrt wurde. In den Haftbefehlen<br />

<strong>der</strong> Deutschen wurde er stets als „<strong>Schweiz</strong>er Zigeuner“ aufgeführt. Er überlebte <strong>La</strong>ger <strong>und</strong><br />

Krieg, blieb aber <strong>in</strong> Holland.<br />

Nicht nur auf untergeordneter Polizei-, Grenz- <strong>und</strong> Konsulatsebene arbeiteten <strong>Schweiz</strong>er<br />

Behörden <strong>der</strong> Gestapo <strong>und</strong> <strong>der</strong> SS <strong>in</strong> die Hand, mit tödlichen Folgen. Auch auf oberster<br />

Polizeiebene g<strong>in</strong>g diese Zusammenarbeit vor sich.<br />

Die IKPK (Internationale Krim<strong>in</strong>alpolizeiliche Kommission), wie die Interpol damals hiess,<br />

hatte ihren ersten Sitz <strong>in</strong> Wien. 1938, gleich nach dem deutschen E<strong>in</strong>marsch, wurde <strong>der</strong><br />

damalige Interpolpräsident Michael Skubl abgesetzt <strong>und</strong> durch den österreichischen Nazi Otto<br />

Ste<strong>in</strong>häusl ersetzt. Dies mit Zustimmung auch <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>er Delegierten <strong>in</strong> <strong>der</strong> IKPK.<br />

Ebenfalls mit Zustimmung <strong>der</strong> schweizerischen Delegierten, darunter He<strong>in</strong>rich Zangger,<br />

Professor für Gerichtsmediz<strong>in</strong> an <strong>der</strong> Universität Zürich <strong>und</strong> mehrfacher Ehrendoktor, wurde<br />

im Jahr 1940 die Interpol nach Berl<strong>in</strong> verlegt. Zum neuen Interpol-Präsidenten gewählt wurde<br />

Re<strong>in</strong>hard Heydrich, <strong>der</strong> zweithöchste SS-Mann nach He<strong>in</strong>rich Himmler <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

schlimmsten Verbrecher <strong>der</strong> Weltgeschichte, <strong>und</strong> zwar wie<strong>der</strong>um auch mit den <strong>Schweiz</strong>er<br />

Stimmen <strong>in</strong>klusive <strong>der</strong>jenigen Zanggers.<br />

Die Akten <strong>der</strong> Interpol, darunter auch ihr seit 1936 aufgebaute <strong>in</strong>ternationales<br />

Zigeunerregister, wurden ebenfalls nach Berl<strong>in</strong> transportiert <strong>und</strong> waren <strong>der</strong> SS beim Zugriff<br />

auf die <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>S<strong>in</strong>ti</strong> <strong>in</strong> ihrem Herrschaftsbereich von mör<strong>der</strong>ischem Nutzen.<br />

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