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Roma, Sinti und Jenische in der Schweiz - La Prairie

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Vom B<strong>und</strong>, von reichen Gönnern <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Legaten sowie von Kantonen <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den<br />

f<strong>in</strong>anziell unterstützt, machte sich Siegfried durch Umfragen bei Behörden <strong>und</strong> Polizei ans<br />

systematische Aufspüren jenischer K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die er sowohl aus sesshaften wie aus fahrenden<br />

Familien raubte. Der Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Eltern wurde durch <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong><br />

Arbeitsanstalten <strong>und</strong> psychiatrische Kl<strong>in</strong>iken gebrochen, falls die Drohung mit solchen<br />

Massnahmen nicht wirkte. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wurden vere<strong>in</strong>zelt, oft unter geän<strong>der</strong>tem Namen, zu<br />

nicht-jenischen Pflegefamilien verbracht <strong>und</strong> gelegentlich adoptiert, meist jedoch als billige<br />

Arbeitskräfte von e<strong>in</strong>em Platz zum an<strong>der</strong>en geschoben.<br />

Wer se<strong>in</strong>e Eltern o<strong>der</strong> Geschwister suchte <strong>und</strong> floh, kam <strong>in</strong> härteste Anstalten wie Bellechasse<br />

o<strong>der</strong> Knutwil. <strong>Jenische</strong> Mädchen wurden oft <strong>in</strong> Anstalten des „Guten Hirten“ verbracht,<br />

e<strong>in</strong>ige davon <strong>in</strong>s Ausland, <strong>in</strong> die Anstalt dieses Namens <strong>in</strong> Strassburg. Misshandlungen, auch<br />

sexueller Missbrauch <strong>der</strong> wehrlosen Mündel waren an <strong>der</strong> Tagesordnung, gerichtsnotorisch<br />

verübt auch durch den Nachfolger Siegfrieds bei <strong>der</strong> Pro Juventute.<br />

Oberstes Ziel war die Zerstörung <strong>der</strong> jenischen Bevölkerungsgruppe als solche o<strong>der</strong>, wie es<br />

die Pro Juventute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Jubiläumsschrift formulierte: „Pro Juventute entvölkert die<br />

<strong>La</strong>ndstrasse“. Gemäss UNO-Konvention gegen Völkermord von 1948 s<strong>in</strong>d systematische<br />

K<strong>in</strong>dswegnahmen aus e<strong>in</strong>er Gruppe e<strong>in</strong> Tatbestand des Völkermords. Ebenso Bestrebungen<br />

zur Geburtenverm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Gruppe. Letzteres erreichte Siegfried durch<br />

vielfach lebenslängliche Internierungen, durch Eheverh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> auch durch<br />

Zwangssterilisationen. Solche E<strong>in</strong>griffe wurden <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Ärzten <strong>und</strong> Behörden<br />

an manchen <strong>der</strong> als K<strong>in</strong><strong>der</strong> vom „Hilfswerk“ ihren Eltern Weggenommenen vorgenommen.<br />

Das „Hilfswerk“ wurde erst nach e<strong>in</strong>er gut recherchierten Artikelserie des engagierten<br />

Journalisten Hans Caprez <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitschrift „Beobachter“ 1973 offiziell aufgelöst.<br />

Vorm<strong>und</strong>schaftliche Massnahmen <strong>und</strong> auch Unfruchtbarmachungen an dessen vormaligen<br />

Mündeln wurden jedoch auch nach 1973 noch weiter betrieben.<br />

Beim E<strong>in</strong>fangen <strong>der</strong> jenischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die oft flohen, teilweise auch <strong>in</strong>s Ausland, agierten die<br />

Polizeikorps <strong>der</strong> ganzen <strong>Schweiz</strong> nach den Anweisungen Siegfrieds, wie wenn die „Pro<br />

Juventute“ e<strong>in</strong>e Amtsstelle gewesen wäre.<br />

Die Theorie zum Vorgehen des „Hilfswerks“ <strong>und</strong> die nötigen mediz<strong>in</strong>ischen Gutachten zur<br />

Entmündigung, Anstalts<strong>in</strong>ternierung o<strong>der</strong> Zwangssterilisation lieferten zahlreiche<br />

schweizerische Psychiater. Sie folgten damit e<strong>in</strong>em schweizerischen Pionier <strong>der</strong> sogenannten<br />

„Rassenhygiene“, dem Graubündner Psychiater Josef Jörger (1860-1937). Dieser hatte schon<br />

1905 behauptet, die <strong>Jenische</strong>n seien grösstenteils „erblich m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertig“. E<strong>in</strong>e jenische<br />

Familie bezeichnete er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en erbbiologischen Stammbaumforschungen als „Familie Zero“,<br />

Familie Null.<br />

Dr. Josef Jörger (1860-1937)<br />

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