Roma, Sinti und Jenische in der Schweiz - La Prairie
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Diese „Identifikationshaft“, zu <strong>der</strong>en Verhängung ke<strong>in</strong>erlei Straftatbestand ausser<br />
demjenigen, „Zigeuner“ zu se<strong>in</strong>, vorliegen musste, dauerte m<strong>in</strong>destens drei Monate. Alle<br />
wurden fotografiert <strong>und</strong> registriert sowie mit dem „Zigeunerbuch“ des Münchner<br />
Zigeunerverfolgers Alfred Dillmann abgeglichen. Die Familienzusammenführung erfolgte<br />
erst an <strong>der</strong> Grenze, wo diese Gruppen von Unerwünschten bei Nacht <strong>und</strong> Nebel illegal, d.h.<br />
ohne gültige Reisepapiere, <strong>in</strong> die Nachbarstaaten ausgeschafft wurden, <strong>und</strong> zwar auch<br />
während des 1. Weltkriegs <strong>in</strong> kriegführende Staaten.<br />
Das E<strong>in</strong>reise- <strong>und</strong> Aufenthaltsverbot traf auch sesshafte <strong>Roma</strong>. 1911 mietete e<strong>in</strong>e Gruppe von<br />
Kal<strong>der</strong>as <strong>in</strong> Basel e<strong>in</strong> Wohnhaus mit Werkstatt <strong>und</strong> begann mit <strong>der</strong> Arbeit als<br />
Kupferschmiede. Sie wurden, nicht zuletzt auf Betreiben <strong>der</strong> ortsansässigen Kupferschmiede,<br />
bald polizeilich ausgewiesen <strong>und</strong> reisten nach Paris weiter, wo heute noch <strong>Roma</strong> ihres<br />
Namens leben.<br />
E<strong>in</strong>zelne <strong>der</strong> Internierten, die oft papierlos <strong>und</strong> vielfach staatenlos waren, beriefen sich<br />
vergeblich auf den Buchstaben des Heimatlosengesetzes, <strong>der</strong> ihre E<strong>in</strong>bürgerung <strong>in</strong> die<br />
<strong>Schweiz</strong> ermöglicht hätte. Das Heimatlosengesetz, das heute auch e<strong>in</strong>e simple Regulierung<br />
des Status <strong>der</strong> Papierlosen erlauben würde, wurde deshalb 1919 ausser Kraft gesetzt; im<br />
gleichen Jahr wurde die schweizerische Fremdenpolizei formell gegründet.<br />
E<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong><strong>der</strong> vor allem aus Familien von <strong>in</strong>ternierten <strong>und</strong> vertriebenen <strong>S<strong>in</strong>ti</strong>-Gruppen, die im<br />
<strong>La</strong>uf des Leupold-Verfahrens ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gerissen wurden, verblieben isoliert von Eltern <strong>und</strong><br />
Verwandten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>. E<strong>in</strong>es dieser K<strong>in</strong><strong>der</strong> wuchs <strong>in</strong> jenen Heimen auf, die später <strong>der</strong><br />
Pro-Juventute-Aktion „Hilfswerk für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>La</strong>ndstrasse“ gegen die <strong>Jenische</strong>n mit<br />
<strong>Schweiz</strong>er Bürgerrecht ebenfalls als Mittel <strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> Sesshaftmachung <strong>der</strong><br />
gewaltsam von ihren Eltern getrennten jenischen K<strong>in</strong><strong>der</strong> dienten. Der betreffende S<strong>in</strong>to wurde<br />
<strong>in</strong> den 1930er Jahren <strong>in</strong> Ausführung des Gutachten e<strong>in</strong>es an e<strong>in</strong>er schweizerischen<br />
psychiatrischen Kl<strong>in</strong>ik arbeitenden deutschen Psychiaters kastriert. Der Unglückliche blieb<br />
lebenslänglich <strong>in</strong> <strong>Schweiz</strong>er Anstalten <strong>in</strong>terniert, bis 1972.<br />
Abbildung aus dem Buch des Honorarprofessors an <strong>der</strong> Universität Bern,<br />
Stavros Zurukzoglu: „Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Basel 1938<br />
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