Runge_Verlorenes_Wissen - NABU Dahmeland
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Ve r l o r e n e s W i s s e n<br />
S T E P H A N R U N G E<br />
Arthur Neumann<br />
Foto: privat<br />
Im Jahrebuch 2007 veröffentlichten<br />
Hans Sonnenberg und ich den Artikel<br />
«Die Botanik im <strong>Dahmeland</strong>», in dem<br />
die Geschichte der floristischen Erforschung<br />
des <strong>Dahmeland</strong>es und des Naturparkbereichs<br />
Dahme-Heideseen dargestellt<br />
ist. Nach Erscheinen des<br />
Jahrebuches sprach uns der Storkower<br />
Naturschützer Martin Graef auf diesen<br />
Artikel an und erzählte uns eine spannende<br />
Geschichte. In Storkow gab es<br />
ein Ehepaar, welches über Jahrzehnte<br />
die Umgebung von Storkow floristisch<br />
untersucht und seine Funde sorgfältig<br />
in einer Artkartei aufgelistet hatte. Diese<br />
Artkartei ging auf unglaublicheWeise<br />
verloren.<br />
Mein Interesse war geweckt. Ich ließ<br />
mir von Herrn Graef die Telefonnummer<br />
von Erika Neumann geben, die inzwischen<br />
in Schweden wohnt und<br />
nahm Kontakt zu ihr auf. Bei ihrem Besuch<br />
in Deutschland im Juni 2007 erzählte<br />
sie mir die Hintergründe und<br />
Details der Artkartei:<br />
Arthur Neumann, der spätere Ehemann<br />
von Erika Neumann, kam 1957<br />
als Biologielehrer (Oberstufe und Abitur)<br />
nach Storkow, ein Jahr später bereits<br />
Erika Neumann als Unterstufenlehrerin.<br />
Arthur Neumann wurde gleich<br />
im August 1957 als Leiter der Station<br />
Junger Techniker und Naturforscher in<br />
Storkow eingesetzt und leitete die Station<br />
bis 1970. Sein großes Interesse für<br />
die Natur ließ ihn von Anfang an Erkundungen<br />
in die nähere und weitere<br />
Umgebung unternehmen, wo insbesondere<br />
die Pflanzenwelt sein Interesse<br />
fand. Die Pflanzenfunde trug er in ein<br />
kleines Notizbüchlein ein. Zu Hause<br />
wurden diese Angaben gleich in eine<br />
Artkartei übertragen. Bei seinen botanischen<br />
Streifzügen wurde Arthur Neumann<br />
häufig von Frau Obermedizinalrat<br />
Dr. Erika May (Chefärztin des Storkower<br />
Landambulatoriums) begleitet.<br />
Ging es um ornithologische Fragen,<br />
war Martin Graef ab und zu Begleiter.<br />
Natürlich war auch Erika Neumann oft<br />
auf den Streifzügen dabei.<br />
1970 wechselte Arthur Neumann in<br />
die SED-Kreisleitung des Kreises Beeskow<br />
in die Abteilung Kultur und Gesundheitswesen<br />
und blieb dort bis zu<br />
seinem Tod 1990. Beruflich hatte er in<br />
dieser Zeit mit Biologie und Natur<br />
nichts mehr zu tun. Um so mehr widmete<br />
er sich in seiner Freizeit der Kultur,<br />
Heimatgeschichte und Natur. So<br />
baute er maßgeblich die Storkower<br />
Ortsgruppe des Kulturbundes der DDR<br />
auf, organisierte monatliche Busfahrten<br />
für die Kulturbundgruppe in die verschiedensten<br />
Regionen der DDR, leitete<br />
Radtouren in die Storkower Umgebung,<br />
regte Kulturveranstaltungen an<br />
und hielt selbst Lichtbildervorträge<br />
über die Natur der Storkower Umgebung.<br />
Nachdem im Dezember 1978 die<br />
Burg Storkow abgebrannt war und mit
ihr auch das Heimatzimmer, setzte sich<br />
unter anderem die Kulturbundgruppe<br />
dafür ein, eine neue Heimatstube einzurichten.<br />
Ziel war es einerseits, Geschichtliches<br />
und Heimatkundliches<br />
über die Stadt zusammenzutragen und<br />
auszustellen, andererseits die Kulturbundarbeit<br />
zu dokumentieren. Die Heimatstube<br />
wurde am 16. September<br />
1984 eröffnet und gab in drei Themenbereichen<br />
einen Abriss der Geologie<br />
und Natur um Storkow, der Besiedlungsgeschichte<br />
sowie der damaligen<br />
Jetztzeit mit Informationen zu Betrieben<br />
und Menschen der Region. Die<br />
Heimatstube wurde zum Stützpunkt<br />
der Kulturbundgruppe und so fanden<br />
in den folgenden Jahren viele kulturelle<br />
Veranstaltungen und Lichtbildervorträge<br />
statt. Hier befand sich auch die inzwischen<br />
sehr umfangreiche Artkartei.<br />
Von fast jeder Pflanzenart existierten<br />
auch diverse Diabelege, insbesondere<br />
von den gut zu fotografierenden Arten.<br />
Im Frühjahr 1990 erkrankte Arthur<br />
Neumann schwer, musste mehrfach für<br />
längere Zeit ins Krankenhaus und verstarb<br />
im Dezember 1990.<br />
Im gleichen Jahr, ein Jahr nach der<br />
politischen Wende in der DDR, wurden<br />
die Räumlichkeiten der Heimatstube,<br />
die sich in einem Privathaus befanden,<br />
gekündigt. Die Initiatoren der Heimatstube<br />
wurden aufgefordert, die Heimatstube<br />
zu räumen. Neumanns, denen die<br />
Heimatstube sehr am Herzen lag, konnten<br />
dieser Aufforderung aufgrund der<br />
schweren Erkrankung des Mannes nicht<br />
nachkommen. So wurden Einrichtung,<br />
Exponate und Unterlagen der Heimatstube<br />
von Mitarbeitern der Stadt Storkow<br />
ausgelagert und auf dem Dachboden<br />
der zukünftigen Stadtverwaltung in<br />
der Thälmannstraße/Ecke Altstadt zusammen<br />
mit anderen Akten gelagert.<br />
Eine Registratur erfolgte nicht.<br />
Als der Dachboden für weitere Verwaltungsräume<br />
ausgebaut wurde, entsorgte<br />
man alles dort Lagernde komplett<br />
auf den Müll, auch die Bestände<br />
der «Heimatstube». Keiner hatte die<br />
Unterlagen und Exponate durchgesehen.<br />
Mit dabei war auch die Kartei von<br />
Arthur Neumann mit den Pflanzenfunden<br />
aus dem Altkreis – ein großer Verlust.<br />
Selbst die Humboldt-Universität<br />
zu Berlin fragte Mitte der 90er Jahre bei<br />
Frau Neumann nach dem Verbleib der<br />
Artkartei. Erika Neumann sind nur<br />
noch wenige Erinnerungen an den Inhalt<br />
und Umfang der Kartei geblieben:<br />
Braunroter Sitter<br />
Foto:W. Klaeber<br />
Steifblättriges<br />
Knabenkraut<br />
Foto:A.Neumann
Ihr Mann hatte sich vor allem um<br />
die Salzstellen in den Luch- und Marstallwiesen<br />
gekümmert. Insbesondere<br />
bei Orchideenvorkommen (in der Umgebung<br />
kamen Sumpf-Knabenkraut,<br />
Breitblättriges und Steifblättriges Knabenkraut<br />
vor), erfolgten jährlich Absprachen<br />
mit der LPG Philadelphia zu<br />
den Mahdterminen. Sie selbst erinnert<br />
sich noch gern an die Exkursionen zum<br />
Moor am Weg zum Wolfswinkel und vor<br />
allem zum Moor am Kleinen Milasee<br />
mit seinen interessanten Sonnentau-<br />
Vorkommen.<br />
Herr Graef kennt noch einige Besonderheiten<br />
der Datei und weiß noch<br />
eine Begebenheit über die akkurate Arbeitsweise<br />
von Arthur Neumann zu berichten:<br />
Beim Radfahren war Herr Graef eines<br />
Tages in einem Waldstück auf einige<br />
Orchideen gestoßen, die in der Nähe<br />
eines Grabens standen. Da er selbst<br />
Pflanzenarten nicht so genau kannte,<br />
teilte er diesen Fund Arthur Neumann<br />
mit. Bereits 3 Tage später erhielt Herr<br />
Graef von diesem die Mitteilung, dass<br />
der Fundort Arthur Neumann bislang<br />
unbekannt war und er zusammen mit<br />
seiner Frau auf ca. 400m 2 ungefähr 100<br />
Exemplare der Strandvanille (Braunroter<br />
Sitter, Epipactis atrorubens) gezählt<br />
hatte.<br />
Auch kannte Arthur Neumann alle<br />
Seen und kleineren Gewässer im Kreis<br />
Beeskow und hatte demzufolge sicher<br />
eine große Anzahl an Fundorten von<br />
seltenen Wasserpflanzen in seiner Kartei.<br />
Der besondere Wert der Kartei lag<br />
aber darin, dass Arthur Neumann seltenere<br />
Pflanzenarten über mindestens<br />
drei Jahrezehnte jährlich an ihren Standorten<br />
ausgezählt und notiert hatte und<br />
damit genaue Aussagen über deren<br />
Bestandsentwicklung und -schwankungen<br />
geben konnte. Er dürfte wahrscheinlich<br />
die vorkommenden Orchideenarten<br />
und deren Standorte alle<br />
gekannt haben. Mit der Zerstörung der<br />
Kartei sind auch diese Besonderheiten,<br />
einschließlich der jährlichen Zählung,<br />
und die Kenntnisse über die vielen<br />
Standorte wohl für immer verloren gegangen.