was sie weiter sagen sollte, sie habe nicht gewusst, was sie denken und fühlen sollte, weil <strong>in</strong> ihrem Solarplexus e<strong>in</strong>e riesige Leere aufgetreten sei, die sich mit Mitleid für diesen Simeon füllte, der ihr gegenübersaß und we<strong>in</strong>te, diese Leere habe sie dazu gebracht, ihn zu umarmen und ihm zu sagen, ja, wenn me<strong>in</strong>e Zeit gekommen ist, e<strong>in</strong>e Ehefrau zu werden, dann werde ich Ihre Ehefrau werden, Ihre, und nicht die e<strong>in</strong>es anderen, aber jetzt ist es noch zu früh für mich, e<strong>in</strong>e Ehefrau zu werden, noch b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, Sie haben es doch selbst gesagt, ich muss noch älter werden, bis ich reif für e<strong>in</strong>e Ehe b<strong>in</strong>, und gleichzeitig sei es so dumm gewesen, diesen Uns<strong>in</strong>n zu reden, genau das habe wie e<strong>in</strong> Film gewirkt, wie e<strong>in</strong> geschmackloser amerikanischer Film, aber nicht wie die Wahrheit, sicherlich ist dieser Simeon sehr krank, habe sie sich gedacht, sich plötzlich umgedreht und das Büro verlassen, Jura verstummte so plötzlich wie sie dieser Geschichte freien Lauf gelassen hatte, sie hatte sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Atemzug erzählt, so als hätte sie gleichzeitig alle D<strong>in</strong>ge erzählt, oder zum<strong>in</strong>dest kam es mir so vor, dieser Simeon und das Glas Wasser, mit Eis oder ohne Eis, mit Zitrone, das Büro, die Anzeige, die sie im h<strong>in</strong>tersten W<strong>in</strong>kel der Universität gefunden hatte, die Kakteen und Schl<strong>in</strong>gpflanzen im Büro neben der amerikanischen Botschaft, alles hatte sich <strong>in</strong> mir irgendwie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s verwandelt. Vielleicht eher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Klumpen. Irgende<strong>in</strong> Klumpen, ja. Aber das wusste ich noch nicht. Jura wartete den Effekt, den ihre Erzählung auf mich haben würde, ab. Ich hatte mir e<strong>in</strong>e Zigarette angezündet, ich rauchte, ich schwieg, ich starrte das leere Display me<strong>in</strong>es Mobiltelefons an. E<strong>in</strong>e halbe Stunde später habe Simeon sie angerufen und gebeten, ihm zu verzeihen. Was soll ich Ihnen verzeihen, habe Jura gefragt. Me<strong>in</strong> ungeheuerliches Benehmen. Ich war nicht Herr me<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>ne. Und ich b<strong>in</strong> es immer noch nicht. Aber die Frage bleibt bestehen, Jura, die Frage bleibt bestehen. Sie können mir e<strong>in</strong>zig dann antworten, wenn Sie bereit s<strong>in</strong>d, mir positiv darauf zu antworten. Nur dann können Sie kommen und mir antworten. Wenn Sie glauben, mir negativ antworten zu müssen, dann antworten Sie mir besser gar nicht, wie dem auch sei, ke<strong>in</strong>e Art von negativer Antwort wird akzeptiert werden, und die Frage, ob Sie me<strong>in</strong>e Frau werden wollen, wird weiterbestehen. Jawohl, diese Frage wird bis zu dem Moment weiterbestehen, <strong>in</strong> dem Sie me<strong>in</strong>e Frau werden. Diese Frage wird erst dann zu existieren aufhören, wenn Sie als me<strong>in</strong>e Ehefrau e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Leben mit mir beg<strong>in</strong>nen. Ihr Treffen mit der älteren Dame, bei der Sie sich beworben haben, ist morgen früh um zehn. Ihre potentielle Arbeitgeber<strong>in</strong> wohnt im selben Haus wie die Anwaltskanzlei, nur im dritten und letzten Stock. Ich bitte Sie, pünktlich zu se<strong>in</strong>. Adriana hasst Verspätungen. Adriana? habe Jura verwundert wiederholt. Heißt so die ältere Dame? Adriana? Ja, sie heißt Adriana, habe Simeon entgegnet, und es sei jene pe<strong>in</strong>liche Stille e<strong>in</strong>getreten, <strong>in</strong> der sich der Raum vor lauter Anwesenheit aufheizt, die Worte aber abwesend s<strong>in</strong>d. Hallo, Jura, haben Sie gehört? habe Simeon gefragt, und Jura sei es so vorgekommen, als würde se<strong>in</strong>e Stimme erneut zerbrechen, als würde man ihn erneut wie von sehr weit her hören. Ja, ja, ich höre Sie, habe sie geantwortet, und wieder habe sie das Bedürfnis gehabt, ihm etwas Schönes und Warmes zu sagen, etwas, was ihn stärker machen würde, das se<strong>in</strong>en Zusammenbruch <strong>in</strong> jenem Ledersessel abwenden würde, das untröstliche E<strong>in</strong>schenken von Whisky, etwas, das das Fallen se<strong>in</strong>es silbrigen Haares <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gesicht abwenden würde, das das langsame Reiben der Schläfen abwenden würde, das das Unglück aus se<strong>in</strong>em Leben tilgen würde. Aber Jura habe nicht gewusst, was sie sagen sollte, sie habe überhaupt ke<strong>in</strong>e Vorstellung davon gehabt, was sie zu diesem völlig und vollkommen unbekannten Mann hätte sagen können. Ich habe e<strong>in</strong>e Familie, e<strong>in</strong>e Frau und zwei Söhne, wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> Ihrem Alter. Me<strong>in</strong>e Frau ist Alkoholiker<strong>in</strong>, unsere Ehe ist seit langem e<strong>in</strong>e Katastrophe, ich habe zufällige Affären mit Sekretär<strong>in</strong>nen aus dem Büro, unsere Söhne studieren im Ausland und vermeiden es, zu uns nach Hause zurückzukommen. Spätestens <strong>in</strong> drei Monaten werde ich geschieden se<strong>in</strong>. Ich werde auf Sie warten. Ich will mich um Sie kümmern, Sie beschützen. Nichts anderes kann ich tun. Ich werde warten. Und dann habe er e<strong>in</strong>fach aufgelegt. Und Jura habe nicht weitergehen können. Sie sei mitten auf dem Boulevard gestanden und habe nicht weitergehen können. So traf ich im Laufe von zwei Tagen durch e<strong>in</strong>e ganz zufällige Annonce die zwei wichtigsten Menschen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben, Teodor. Was willst du damit sagen? (die Trockenheit im Hals, natürlich!) Welche zwei wichtigsten Menschen <strong>in</strong> de<strong>in</strong>em Leben? Simeon und Adriana, die du überhaupt nicht kennst, me<strong>in</strong> Gott, Teodor! Das Le- Teodora Dimova Seite 12
en ist so seltsam! Schrecklich viele D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d passiert – ich darf nur nichts übereilen, um dir alles <strong>in</strong> Ruhe erzählen zu können. Sieh mich nicht so fe<strong>in</strong>dselig an, ich bitte dich. Wenn du mich so fe<strong>in</strong>dselig ansiehst, vergesse ich sogar die Wörter. Du schwitzt, ist dir warm? Soll ich das Fenster aufmachen? Du rauchst zu viel. Wenn du willst, werde ich gehen. So ist es gut, lächle. Übertreibe nur nicht mit dem Wodka im Tomatensaft. Ne<strong>in</strong>, ich will nicht, danke, ich habe ohneh<strong>in</strong> dauernd das Gefühl, betrunken zu se<strong>in</strong>. Eher noch e<strong>in</strong>en Kaffee. Danke. Ich fühle mich immer ruhig und sicher, wenn ich mit dir Kaffee tr<strong>in</strong>ke. Er duftet herrlich. Ich danke dir wirklich. aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann Teodora Dimova Seite 13