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unikum 112 - sub.unibe.ch - StudentInnenschaft der Universität Bern

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Studieren bis zum Bankrott<br />

Knapp dreissigtausend Franken beträgt <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>uldenberg britis<strong>ch</strong>er StudentInnen na<strong>ch</strong> Studiumsabs<strong>ch</strong>luss.<br />

Von finanziellen Nöten geplagt, bre<strong>ch</strong>en viele ihr Studium ab. Zudem<br />

s<strong>ch</strong>reckt die Angst vor einer Übers<strong>ch</strong>uldung viele Jugendli<strong>ch</strong>e<br />

aus ärmeren Verhältnissen davon ab, überhaupt ein Studium<br />

zu beginnen.<br />

20 000 Franken S<strong>ch</strong>ulden. Claire<br />

konnte es ni<strong>ch</strong>t fassen. Dabei hatte<br />

alles so gut angefangen: Sie durfte<br />

an <strong>der</strong> renommierten University of<br />

Cambridge studieren, die Jahresabs<strong>ch</strong>lussprüfungen<br />

hatte sie kürzli<strong>ch</strong><br />

mit Bravour bestanden, soeben hat<br />

sie die Zusage für das Praktikum im<br />

<strong>Universität</strong>sspital bekommen, und<br />

ihre Eltern in Man<strong>ch</strong>ester wurden<br />

ni<strong>ch</strong>t müde, stolz den Na<strong>ch</strong>barn von<br />

ihrer erfolgrei<strong>ch</strong>en To<strong>ch</strong>ter zu erzählen.<br />

Und nun das: 20 000 Franken<br />

S<strong>ch</strong>ulden.<br />

Finanzielle Not<br />

Obwohl <strong>der</strong> oben genannte Fall fiktiv<br />

ist, steht er stellvertretend für<br />

tausende britis<strong>ch</strong>er StudentInnen,<br />

die finanziell tief in <strong>der</strong> Kreide stehen.<br />

Eine soeben publizierte Studie<br />

zeigt, dass StudentInnen ihre Ausbildung<br />

im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt mit einem<br />

S<strong>ch</strong>uldenberg von 28 000 Franken<br />

abs<strong>ch</strong>liessen. Viele beenden ihr Studium<br />

jedo<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t, weil sie vor<br />

Studiumsabs<strong>ch</strong>luss von ihrem S<strong>ch</strong>uldenberg<br />

erdrückt werden. Ein Drittel<br />

aller StudentInnen, so zeigt die<br />

Studie, hat ernsthaft darüber na<strong>ch</strong>geda<strong>ch</strong>t,<br />

das Studium aufgrund finanzieller<br />

Not abzubre<strong>ch</strong>en. Die Situation<br />

ist so ernst, dass immer mehr StudentInnen<br />

ein S<strong>ch</strong>lupflo<strong>ch</strong> im Gesetz<br />

ausnützen und ihre S<strong>ch</strong>ulden dur<strong>ch</strong><br />

Bankrotterklärung tilgen. Mit <strong>der</strong><br />

Wirts<strong>ch</strong>aftskrise wurden die Berufs<strong>ch</strong>ancen<br />

immer s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter, und so<br />

ma<strong>ch</strong>ten unzählige AkademikerInnen<br />

die Erfahrung, dass <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>uldenberg<br />

na<strong>ch</strong> Studiumsabs<strong>ch</strong>luss<br />

ni<strong>ch</strong>t wie geplant vers<strong>ch</strong>wand, son<strong>der</strong>n<br />

auf glei<strong>ch</strong>em Niveau blieb o<strong>der</strong><br />

sogar no<strong>ch</strong> wu<strong>ch</strong>s. Das S<strong>ch</strong>lupflo<strong>ch</strong><br />

im Insolvenz-Gesetz wird jedo<strong>ch</strong> vermutli<strong>ch</strong><br />

mit <strong>der</strong> Einführung des Higher<br />

Education Act vers<strong>ch</strong>winden.<br />

Hohe Einstiegshürden für Arme<br />

Die Situation ist aber ni<strong>ch</strong>t nur für<br />

die jetzigen StudentInnen s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t,<br />

denn die Angst vor einer Übers<strong>ch</strong>uldung<br />

versperrt beson<strong>der</strong>s vielen Jugendli<strong>ch</strong>en<br />

ärmeren Verhältnissen<br />

den Weg an die <strong>Universität</strong>. Besser<br />

weg kommen einmal mehr Kin<strong>der</strong><br />

aus besserem Haus. Sie können auf<br />

die tatkräftige Unterstützung ihrer<br />

Eltern zählen, was ents<strong>ch</strong>eidend ist:<br />

Ein Studium in Grossbritannien ist<br />

nämli<strong>ch</strong> wesentli<strong>ch</strong> teurer als in <strong>der</strong><br />

S<strong>ch</strong>weiz, was beson<strong>der</strong>s mit den<br />

deutli<strong>ch</strong> höheren Studiengebühren<br />

zusammenhängt.<br />

Steigende Gebühren<br />

Damit ni<strong>ch</strong>t genug. Die Labour-Regierung<br />

unter Tony Blair hat vor kurzem<br />

bes<strong>ch</strong>lossen, dass die <strong>Universität</strong>en<br />

die Studiengebühren individuell<br />

festlegen dürfen. Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen<br />

dürfen nun Studiengebühren von bis<br />

zu 6900 Franken pro Jahr verlangen.<br />

Der gesamte S<strong>ch</strong>uldenberg aller britis<strong>ch</strong>en<br />

StudentInnen beläuft si<strong>ch</strong> momentan<br />

auf über 30 Milliarden Franken.<br />

Darin einges<strong>ch</strong>lossen sind au<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>ulden, die ni<strong>ch</strong>t direkt mit dem<br />

Studium etwas zu tun haben. Diese<br />

enorme Vers<strong>ch</strong>uldung dürfte in Folge<br />

des Labour-Ents<strong>ch</strong>eides no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />

zunehmen. Gewissermassen als<br />

Trostpflaster dürfen ärmere StudentInnen<br />

unter dem Higher Education<br />

Act wie<strong>der</strong> Stipendien beantragen<br />

(wobei unklar ist, wie ho<strong>ch</strong> diese ausfallen<br />

werden)– ein Tropfen auf den<br />

heissen Stein angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> steigenden<br />

Studiengebühren.<br />

Hohe Lebenskosten<br />

S<strong>ch</strong>ulden sind ein omnipräsentes<br />

Übel in Grossbritannien. Zudem<br />

nimmt <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>uldenberg britis<strong>ch</strong>er<br />

Privatpersonen von Jahr zu Jahr kontinuierli<strong>ch</strong><br />

zu. Ein privater Haushalt<br />

hat dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 17 000 Franken<br />

S<strong>ch</strong>ulden, Hypotheken ni<strong>ch</strong>t mitgere<strong>ch</strong>net.<br />

Bei den Studierenden sieht<br />

es ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s aus. 70 Prozent aller<br />

StudentInnen geben an, jeden Monat<br />

mehr Geld auszugeben als geplant.<br />

Das hat nebst den hohen Studiengebühren<br />

unter an<strong>der</strong>em mit den relativ<br />

hohen Lebenshaltungskosten in<br />

Grossbritannien zu tun. Beson<strong>der</strong>s<br />

die Mietkosten, ni<strong>ch</strong>t nur in London,<br />

sind ho<strong>ch</strong> und ma<strong>ch</strong>en ungefähr einen<br />

Drittel aller Studienkosten aus.<br />

Weg von zu Hause<br />

Ni<strong>ch</strong>t zu verna<strong>ch</strong>lässigen sind aber<br />

au<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Faktoren, die mit dem<br />

britis<strong>ch</strong>en Lebensstil zu tun haben.<br />

Kaum 18 Jahre alt, ri<strong>ch</strong>ten die StudienanfängerInnen<br />

ihr Augenmerk weniger<br />

aufs Studium als aufs Freizeitvergnügen.<br />

Dazu kommt, dass viele<br />

angehende StudentInnen aufgrund<br />

<strong>der</strong> geografis<strong>ch</strong>en Grösse des Landes<br />

und des s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehrsnetzes von zu Hause wegziehen,<br />

um in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

zu wohnen. Dies wie<strong>der</strong>um verleitet<br />

eher zu einem auss<strong>ch</strong>weifenden und<br />

daher teuren Lebensstil.<br />

Ohne Alkohol geht’s ni<strong>ch</strong>t<br />

Zudem geniesst <strong>der</strong> Alkohol in<br />

Grossbritannien einen unglei<strong>ch</strong> höheren<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Stellenwert<br />

als in <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>weiz. So gehört es für<br />

viele StudentInnen dazu, si<strong>ch</strong> freitags<br />

und samstags na<strong>ch</strong>ts von <strong>der</strong> anstrengenden<br />

Wo<strong>ch</strong>e mit einem Pub-crawl<br />

und ans<strong>ch</strong>liessendem Clubbing zu …<br />

«erholen».<br />

In <strong>der</strong> Tat geben britis<strong>ch</strong>e StudentInnen<br />

na<strong>ch</strong> eigenen Angaben 179<br />

Franken pro Monat für Alkohol, 140<br />

Franken für Eintritte in Clubs und<br />

160 Franken für Zigaretten aus, die<br />

aber wesentli<strong>ch</strong> teurer sind als in <strong>der</strong><br />

S<strong>ch</strong>weiz. Au<strong>ch</strong> wenn diese Zahlen<br />

auf den ersten Blick verna<strong>ch</strong>lässigbar<br />

klein ers<strong>ch</strong>einen angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> Studiengebühren,<br />

so sind sie do<strong>ch</strong> teilverantwortli<strong>ch</strong><br />

für die missli<strong>ch</strong>e Lage, in<br />

<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> viele britis<strong>ch</strong>e StudentInnen<br />

befinden. Damit die Bilanz stimmt,<br />

sollte, wer mehr ausgibt au<strong>ch</strong> mehr<br />

einnehmen. Gerade typis<strong>ch</strong>e studentis<strong>ch</strong>e<br />

Nebenjobs sind in Grossbritannien<br />

aber deutli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter bezahlt<br />

als in <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>weiz, womit weniger<br />

Geld aufs studentis<strong>ch</strong>e Konto hinzuströmt<br />

als abfliesst.<br />

S<strong>ch</strong>ulden abarbeiten<br />

Der S<strong>ch</strong>uldenberg <strong>der</strong> StudentInnen<br />

nimmt jedes Jahr zu. Es kommt ni<strong>ch</strong>t<br />

selten vor, dass die StudentInnen ihre<br />

S<strong>ch</strong>ulden erst zehn Jahre na<strong>ch</strong> ihrem<br />

Abs<strong>ch</strong>luss vollständig begli<strong>ch</strong>en haben.<br />

Eltern vers<strong>ch</strong>ulden si<strong>ch</strong> häufig,<br />

um ihren Kin<strong>der</strong>n ein Studium zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

Viele müssen deshalb länger<br />

arbeiten als bis 65, um den S<strong>ch</strong>uldenberg<br />

abtragen zu können.<br />

Absurde Politik<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts dieser Tatsa<strong>ch</strong>en verursa<strong>ch</strong>t<br />

das gesetzte Ziel <strong>der</strong> Regierung<br />

Blair, dass bis 2010 die Hälfte aller<br />

Jugendli<strong>ch</strong>en eine höhere Ausbildung<br />

absolvieren, Stirnrunzeln. So wie es<br />

heute aussieht, ist es hö<strong>ch</strong>st unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>,<br />

dass dieses ambitiöse Ziel<br />

errei<strong>ch</strong>t werden kann. Wenn do<strong>ch</strong>,<br />

dann geht dies auf Kosten <strong>der</strong> StudentInnen.<br />

markus williner<br />

S<strong>ch</strong>ulden als Studiumsbremse in Grossbritannien<br />

foto: markus williner<br />

<strong>112</strong> Februar 2005 | 7

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