mEEting Points - hebbel am ufer
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MP5<br />
Die meisten modernen Theatermacher arbeiteten beispielsweise neben ihrer<br />
künstlerischen Tätigkeit in anderen Berufen, um ihren Lebensunterhalt zu<br />
verdienen. Dennoch verfolgten sie die wichtigsten zeitgenössischen Trends<br />
und Erfahrungen der Kunst und etablierten eine moderne Theaterbewegung,<br />
die im urbanen Leben tief verwurzelt war.<br />
Die Referenz liegt in der Vergangenheit, als es die Stadt, das Projekt eines<br />
modernen Staates gab, wirtschaftlichen „Wohlstand“ und eine, wenn auch<br />
parteiliche, progressive Presse. Es waren die 1960er und 1970er Jahre, die<br />
goldene Zeit der libanesischen Kultur. Es war die Ära eines lebendigen<br />
politischen und intellektuellen Lebens, das die Probleme der Region und ihre<br />
Konflikte ebenso thematisierte wie es die Interessen einer urbanen Mittelschicht<br />
aufgriff, deren Söhne und Töchter Diskotheken und Konzerthallen füllten, ins<br />
Theater gingen, sich linken Parteien anschlossen und demonstrierten. Die<br />
National University vermittelte ihnen höhere Bildung und war zugleich der Ort, an<br />
dem sich soziale Klassen, Regionen und die libanesischen Sekten mischten.<br />
Dieses arabische Labor flog zur Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts<br />
in die Luft. Schritt für Schritt verschwand, was es geschaffen hatte,<br />
bis nichts mehr blieb, außer wenigen vergilbten Bildern von Shosho oder<br />
Madonna Ghazi, den Experimenten der Pioniere des Theaters Antoine Moltaqa,<br />
Shakeeb Khouri, Yacoub Ash-Shedrawy, R<strong>am</strong>ón Jobarah, Galal Khouri und<br />
Berg Fazlian. (Dagegen lebten Rojeih Àssaf und Nedal Ashqar das Abenteuer<br />
in anderer Form weiter). Die Kriegsjahre unterminierten die Basis der Zivilgesellschaft<br />
und ihrer Institutionen genauso wie das Konzept des Staates und<br />
partiell auch des „demokratischen“ Lebens. Der Krieg machte Beirut zur<br />
Konfliktzone, führte zum Kollaps der Mittelschicht und brachte die libanesische<br />
Wirtschaft aus dem Gleichgewicht. Dies verhinderte gleichwohl nicht die<br />
Akkumulation neuen Reichtums und die Entstehung einer neuen Klasse von<br />
„Kriegsgewinnlern” und Neureichen, die die leeren Räume (in denen sich<br />
auch das kulturelle Leben verortete) nach ihrem Geschmack, ihren Wünschen,<br />
Bedürfnissen, Werten und ihrer ökonomischen Logik neu gestalteten.<br />
Vergleichen wir die Siebziger mit dem „Wiederaufbau“, den der verstorbene<br />
libanesische Präsident Rafik Hariri initiiert und gefördert hatte, stellen wir<br />
fest, dass das wichtigste fehlende Element in den staatlichen Plänen für die<br />
Rekonstruktion von Infrastruktur, zivilen und administrativen Institutionen und<br />
dem Leben in der Stadt (neben Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit)<br />
die Kultur ist. Plötzlich wird Beirut, das „Paris des Nahen Ostens” zum<br />
„Arabischen Varieté“. Die Grundlage ist ein neues Verständnis zwischen den<br />
rivalisierenden Parteien und Sekten. Die „Cabaret Economy” und ihre Aufgaben,<br />
Prioritäten und einzigartige Logik stehen im Widerspruch zur Notwendigkeit<br />
des Aufbaus einer zivilen Gemeinschaft. In einem solchen Milieu kann es nur<br />
eine Kultur geben: Unterhaltung und Dienstleistungen, entertainment und<br />
service. In diesem Klima entwickelt sich eine Gruppe neuer Künstler, deren<br />
Sprache, Referenzen und Engagement sich deutlich von ihrer Vorgängergeneration<br />
unterscheiden. Sie finden sich wieder in einem Land, das von<br />
Leichen, Schutt und Minen übersäht ist. Und so beginnen sie die Suche nach<br />
einer „Heimat“ unter den Trümmern, hin- und hergerissen zwischen der Illusion<br />
scheinbaren Reichtums und der Realität tatsächlicher, schrecklicher Armut;<br />
konfrontiert mit den Phantomen eines Krieges, der mit einem erzwungenen<br />
Frieden endete, ohne ein wirkliches Ende zu haben. Sie suchen nach den<br />
Verantwortlichen und stellen Fragen. Mit ihrer neuen Sensibilität ersetzen<br />
sie die alten Ausdrucksformen der Bühne, Literatur, Kunst, Musik und des Kinos.<br />
Makrographie, Video, Performance, dokumentarische Erzählung, intime<br />
Autobiographien ersetzen zweidimensionale Gemälde, konventionelle Cinematographie<br />
und Theater (selbst die Formen der Pioniere) sowie jede Art von<br />
fiktivem Roman oder „angepasster“ Form der Ansprache.<br />
Diese neuen Künstler starten ein komplexes Projekt, das wir als die „Archäologie“<br />
des Libanonkrieges bezeichnen können. In eloquenter Weise zeigt<br />
Akr<strong>am</strong> Zaataris 2003 realisierte Videoproduktion „Al-Bayt” (Das Haus) eine<br />
Zus<strong>am</strong>menfassung dieser Zeit. Dieses Projekt ist das Kernstück der grundlegendsten<br />
Arbeiten von Rabih Mroué in den vergangenen zehn Jahren, von<br />
„Come in, sir. We are outside, waiting for you” (1998) bis zu seiner jüngsten<br />
Präsentation „How much Nancy wished that everything that happened had been<br />
nothing but April‘s Fool” (2007).<br />
Mit diesen neuen Künstlern änderte sich die kulturelle Szene des Libanon<br />
grundlegend. In den 1990er Jahren hatte es nahezu niemanden mehr auf<br />
der Bühne der Kultur gegeben, mit Ausnahme einiger weniger Reste einer<br />
vergangenen Zeit, die vom Bürgerkrieg beherrscht worden war. Das „Publikum”<br />
Please rewind me later von Roy S<strong>am</strong>aha (Videostill)<br />
state, economic “prosperity”, even if partial and a progressive press. That<br />
was the era of the sixties and seventies of the last century that embodied the<br />
golden era of the Lebanese culture. That era witnessed cl<strong>am</strong>orous political<br />
and intellectual life that reflected the concerns of the region and its decisive<br />
conflicts, as much as it reflected the concerns of an urban middle-class<br />
whose sons and daughters flooded the arena, dancing jerk and rock, went to<br />
theatres, joined leftist parties and marched in demonstrations. Higher<br />
education bec<strong>am</strong>e within their reach in the National University that also played<br />
the role of being the focal place where all the different classes, regions<br />
and Lebanese sects mingled.<br />
That Arab laboratory exploded in the mid-seventies. Its gains gradually vanished,<br />
little by little, until there was nothing left in memory except some yellowed<br />
pictures of Shosho or Madonna Ghazi, the experiments of the pioneering theatre<br />
works of Antoine Moltaqa, Shakeeb Khouri, Yacoub Ash-Shedrawy, R<strong>am</strong>ón<br />
Jobarah, Galal Khouri and Berg Fazlian (whereas both of Rojeih Àssaf and Nedal<br />
Ashqar continued the adventure in different forms). The war years undermined<br />
the basis of the civil society and institutions and the concept of the State<br />
and “democratic” life (even if partial). That war transformed Beirut into conflicting<br />
alleys. The war ended with the collapse of the middle class and the Lebanese<br />
economic stability destroyed. This did not prevent the accumulation of new<br />
wealth, and the emergence of a new class of “war rich” and nouveau riche<br />
that were to reshape the empty spaces (cultural life is an integral part of that<br />
space) and recast it in accordance with their own tastes, needs, values and<br />
economic logic.<br />
If we compare the seventies with the “re-construction” era that was initiated and<br />
advocated by the late Lebanese President Rafeeq Al-Hareery, it will be<br />
noticed that culture is the main missing element (of course along with education,<br />
health and social protection) in the re-constructive plans of the state, infrastructures,<br />
organization of the civilian community and city life. Suddenly Beirut,<br />
“Paris of the Middle East” bec<strong>am</strong>e “Cabaret of the Arabs”, based on a new<br />
understanding between the conflicting parties and sects. “The Cabaret<br />
Economy” has got its own obligations, priorities and unique logic that could<br />
be at odds with the requirements of building the civilian community. In brief,<br />
only one kind of culture can exist in such a milieu: the culture of entertainment<br />
and services. In such an atmosphere emerged a group of new artists, away<br />
from the language, references and involvements of their preceding generation.<br />
They found themselves in a barren land that was full of dead bodies, debris<br />
and mines. So they started seeking their “homeland” under the debris, torn<br />
between the illusion of apparent prosperity and the reality of actual, abject<br />
poverty; faced with phantoms of a war that ended without really ending, after<br />
a compulsory peace; they began to look for accountability and ask questions,<br />
replacing with their alternative sensitivity all the old forms of expression, in the