Zeilenabstand S bis XXL - Publisher
Zeilenabstand S bis XXL - Publisher
Zeilenabstand S bis XXL - Publisher
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Typografie<br />
<strong>Zeilenabstand</strong> S <strong>bis</strong> <strong>XXL</strong><br />
«Auto» ist verpönt<br />
Der <strong>Zeilenabstand</strong> wird bei <strong>Publisher</strong>n<br />
fast nie angetastet. Standardmässig<br />
offerieren die Layoutprogramme<br />
das Alltägliche und<br />
Normale, im entsprechenden Menü<br />
oft mit «auto» umschrieben. «Auto»<br />
kann jedoch individuell definiert<br />
werden, die Voreinstellung<br />
beträgt vielfach 120%, damit ist das<br />
Verhältnis zur Schriftgrösse angegeben.<br />
Eine 10-Punkt-Schrift erhält<br />
bei einer Einstellung von 120% somit<br />
einen <strong>Zeilenabstand</strong> von 12<br />
Punkt.<br />
In vielen Fällen des täglichen Bedarfs<br />
fährt man mit der Einstellung<br />
«auto» gut. Sie hat jedoch einen gewichtigen<br />
Nachteil, sodass ich sie<br />
nie gebrauche. Wählt man nämlich<br />
eine beliebige Punktzahl als Schriftgrösse,<br />
z.B. 11,3 Punkt, weiss man<br />
nur durch umständliches Rechnen,<br />
wie viel der <strong>Zeilenabstand</strong> beträgt,<br />
da in der Palette «auto» erscheint.<br />
Ich gehe daher lieber von einem absoluten<br />
<strong>Zeilenabstand</strong> aus und<br />
wähle z.B. 11,3 Punkt Schriftgrösse,<br />
<strong>Zeilenabstand</strong> 13 Punkt.<br />
Ralf Turtschi ist<br />
Gestalter, Techniker<br />
TS und dipl. Public<br />
Relations-Berater.<br />
Er hat sich als<br />
Publizist und Autor<br />
der Bücher «Praktische Typografie»<br />
und «Mediendesign» in<br />
der grafischen Branche und der<br />
DTP-Szene einen Namen geschaffen.<br />
Zudem leitet er Kurse rund<br />
um das Thema Design.<br />
Infos bei R. Turtschi AG,<br />
Visuelle Kommunikation,<br />
Wegackerstrasse 30, 8041 Zürich,<br />
Tel. 01 482 30 30, Fax 01 482 33 55.<br />
Dass Gestaltung keine Geschmacksfrage ist, weiss mittlerweile jeder<br />
Hobbygestalter. Es ist ja auch ganz einfach: Auf einem Format<br />
steht eine bestimmte Menge Platz zur Verfügung. Je mehr man diesen<br />
Platz mit druckender Fläche wie Text und Bild füllt, desto weniger<br />
Weissraum bleibt übrig. Der Verteilkampf führt letztlich zu Kontrast<br />
und Proportionen oder zu Langeweile und spannungslosem Einerlei.<br />
Im Folgenden sei ein einzelner Aspekt des Weissraumes beschrieben,<br />
der <strong>Zeilenabstand</strong>.<br />
Durchschuss und<br />
Grauwirkung<br />
Vom Bleisatz her kommt der Begriff<br />
Durchschuss. Zwischen die einzelnen<br />
Bleisatzzeilen in einer bestimmten<br />
Grösse wurde Blindmaterial,<br />
Stege und Regletten genannt,<br />
durchschossen. Dieses Material vergrösserte<br />
den <strong>Zeilenabstand</strong> um 1,<br />
2, 3, 4 oder 6 Punkt. Mit Durchschuss<br />
war also nur gerade das nichtdruckende<br />
Blindmaterial gemeint<br />
(s. Kasten). Heute ist der <strong>Zeilenabstand</strong><br />
anstelle des Durchschusses<br />
getreten. Er wird von Schriftlinie zu<br />
Schriftlinie gemessen und wird<br />
auch als Zeilenvorschub bezeichnet.<br />
Ausgelöst wird der Zeilenvorschub<br />
durch die Return- oder Zeilenschalttaste<br />
oder durch das<br />
Trennprogramm.<br />
Was für unser Sehen wichtiger ist als<br />
der Abstand von Schriftlinie zu<br />
Schriftlinie, ist der optische <strong>Zeilenabstand</strong>,<br />
welcher als weisses Band<br />
zwischen den Zeilen wirkt. Darunter<br />
verstehen wir die Weissfläche<br />
zwischen der Schriftlinie und der<br />
nächsten Mittellänge. Die Grauwirkung<br />
eines Satzes wird also gesteuert<br />
durch die Zeilen mit ihrer Mittellänge<br />
(Ober- und Unterlängen<br />
können vernachlässigt werden)<br />
und den optischen <strong>Zeilenabstand</strong>,<br />
der als Weissraum dazwischen<br />
wirkt. Dazu gesellt sich der Schriftcharakter.<br />
Je grösser der <strong>Zeilenabstand</strong> und je<br />
feiner die Schrift, desto luftiger das<br />
Satzbild. Die Grauwirkung wird<br />
sichtbar, wenn wir mit etwas zusammengekniffenen<br />
Augen auf eine<br />
Satzspalte schauen. Wenn alles<br />
nur noch grau in grau erscheint, ist<br />
wohl der <strong>Zeilenabstand</strong> zu gering.<br />
Das Zeilenband sollte wie bei einem<br />
Zebraformular gerade noch wahrnehmbar<br />
sein.<br />
<strong>Zeilenabstand</strong> und -länge<br />
Beim Lesen führt das Zeilenband<br />
das Auge in Sprüngen (Saccaden)<br />
über die Zeile. Dabei werden ganze<br />
Wortgebilde erfasst und im Hirn decodiert.<br />
Am Schluss der Zeile springt<br />
das Auge an den Anfang der nächsten.<br />
Wenn die Zeilen zu lang sind,<br />
findet man den Beginn der nächsten<br />
Zeile nur schwerlich. In diesem<br />
Fall heisst es, mehr <strong>Zeilenabstand</strong><br />
zu gestalten. Lange Zeilen erscheinen<br />
optisch näher zusammen als<br />
kürzere Zeilen mit dem gleichen<br />
<strong>Zeilenabstand</strong>.<br />
<strong>Zeilenabstand</strong> und<br />
Produkt<br />
Die im Kasten wiedergegebene<br />
Faustregel, wonach der optische<br />
<strong>Zeilenabstand</strong> etwa Faktor 1,5mal<br />
die Mittellänge betragen soll, bezieht<br />
sich auf den Mengensatztext,<br />
also in Büchern Zeitungen, Zeitschriften,<br />
Geschäftsberichten auf<br />
den Grundtext oder Fliesstext. Im<br />
Bereich der Werbung, in Mailings,<br />
in Präsentationen, bei Titeln gilt<br />
diese Regel nicht. Vor allem bei Titeln<br />
ist der <strong>Zeilenabstand</strong> «auto» zu<br />
gross und sollte tendenziell immer<br />
etwas verkleinert werden. Um wie<br />
viel, hängt auch von der Schrift ab,<br />
fette Schriften kann man eher enger<br />
halten als luftige.<br />
Bei Auflistungen kann es sehr gediegen<br />
aussehen, wenn der <strong>Zeilenabstand</strong><br />
extrem weit gehalten wird.<br />
Je weiter der Abstand, desto mehr<br />
Gewicht erhält die einzelne Zeile.<br />
Beim normalen Fliesstext (auch in<br />
Inseraten) ist es dilettantische Protzerei<br />
und naives Spiel, den <strong>Zeilenabstand</strong><br />
riesig zu gestalten. Es kann<br />
kein vernünftiger Mensch allen<br />
Ernstes behaupten, dass jemand einen<br />
solchen Text liest. So naiv können<br />
nur die Selbstgefälligen unter<br />
den Werbern und Grafikern sein.<br />
Man könnte geradeso gut lateinischen<br />
Blindtext verwenden. Übrigens<br />
sei hier eine Klammer geöff-<br />
Definitionen des <strong>Zeilenabstand</strong>es<br />
Der automatische <strong>Zeilenabstand</strong> wird mit Schriftgrösse + 20% errechnet,<br />
wobei sich die Schriftgrösse auf den gesamten Platzbedarf bezieht.<br />
Der <strong>Zeilenabstand</strong>, absolut von Schriftlinie zu Schriftlinie gemessen,<br />
ergibt bei unterschiedlichen Mittellängen andere Weissräume.<br />
Der optische <strong>Zeilenabstand</strong> ist für die Zeilenführung verantwortlich.<br />
Je nach Schrift und Breite ist er unterschiedlich einzusetzen.<br />
Der optimale <strong>Zeilenabstand</strong> wird proportional gemessen und<br />
beträgt etwa das 1,5fache der Mittellänge.<br />
Schriftgrösse<br />
Durchschuss<br />
«auto»<br />
PUBLISHER<br />
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Typografie<br />
net. Lateinischen Blindtext verwenden<br />
nur Leute, die sich nicht bewusst<br />
sind, dass Latein ein ganz anderes<br />
Satzbild ergibt als Deutsch:<br />
die Wörter sind viel kürzer, es kommen<br />
andere Buchstaben am häufigsten<br />
vor, unsere Trennregeln generieren<br />
einen anderen Blocksatz,<br />
meist ohne Löcher und es gibt praktisch<br />
keine Versalien. Also lieber<br />
kein Latein als Blindtext verwenden.<br />
Klammer geschlossen.<br />
Spiel mit Zeilenabständen<br />
Um nicht den Eindruck eines Puristen<br />
zu erwecken: Man muss eben sehen,<br />
wo das Spiel Sinn macht und<br />
wo nicht. Wenn die Leserlichkeit im<br />
Vordergrund steht, eine Botschaft<br />
vermittelt werden soll, soll sich die<br />
Gestaltung diesem Joch unterordnen.<br />
Wenn es sich um wenig Text<br />
handelt, darf mit dem <strong>Zeilenabstand</strong><br />
ruhig gespielt werden. Verdichten<br />
heisst es auf der einen, driften<br />
auf der anderen Seite. Versalien<br />
ohne <strong>Zeilenabstand</strong> kennen wir<br />
seit dem Fotosatz, vor allem mit<br />
geometrischen Buchstabenformen<br />
sehr reizvoll, wie das unten stehende<br />
Beispiel zeigt. Auch progressiv<br />
zu-/abnehmende Zeilenabstände<br />
können visualisieren, runder Satz<br />
oder schräge Zeilen sollen als Möglichkeit<br />
nicht verboten sein. Intuition<br />
und Spiel setzen jedoch ein gewisses<br />
Können voraus. Wer keine Sicherheit<br />
im Umgang mit Typografie<br />
ganz allgemein besitzt, setzt sich<br />
mit solchen Experimenten schnell in<br />
die Nesseln. Wer Mühe hat mit dem<br />
gewöhnlichen Horizontal-Vertikal,<br />
der wird höchstens per Zufall gelungene<br />
(und verkaufbare) Experimente<br />
kreieren.<br />
DESIGN IST<br />
MEHR ALS EIN<br />
FORMENSPIEL<br />
Auftritt einer unwiderstehlichen Kulisse für Ihr Design;<br />
Bei kleinen Textmengen ist das «Experiment» beim <strong>Zeilenabstand</strong> passend.<br />
geben Sie Ihrer Arbeit eine unerlässliche Grundlage.<br />
Ob als Haupt- oder Nebenrolle, diese Hintergründe überzeugen.<br />
Hier Abbildung<br />
Migros-Inserat<br />
Hier Abbildung<br />
Aargauer Zeitung<br />
Zeilen über eine ganze A4-Seitenbreite sind grundsätzlich schlecht lesbar, weil<br />
sie nicht mehr allein durch die Augenbewegung gelesen werden können, der<br />
Kopf dreht mit. Hier wird der grosse <strong>Zeilenabstand</strong> benötigt, weil man sonst<br />
den Augensprung auf die nächste Zeile nicht schaffen würde.<br />
Bei dieser aktuellen Kampagne ist nebst der schrecklichen Versal-Headline auch<br />
beim Zeilenfall einiges schief gegangen. Nach dem (unwahrscheinlichen) Konsum<br />
einer solchen Typografie brauchte es wirklich Kopfwehtabletten.<br />
PUBLISHER<br />
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