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Heimat-Ort der Identität.pdf - Prof. Christoph Mäckler Architekten

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Als ich in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> Achtzigerjahre in Berlin-Nie<strong>der</strong>schönhausen mit dem Bau <strong>der</strong><br />

Residenz <strong>der</strong> Ständigen Vertretung <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland bei <strong>der</strong> DDR begann, wurde ich<br />

beim Besuch Ostberlins mit unserer deutschen Geschichte zum ersten Mal in ungewöhnlicher Nähe<br />

und Intensität konfrontiert. Mit jedem Schritt, <strong>der</strong> mich durch diese Stadt führte, fühlte ich mehr von<br />

einem Gestern, das 1945 abgeschlossen schien und für uns damit in weiter Ferne lag und das wir, trotz<br />

<strong>der</strong> zeitlichen Nähe, nur aus dem Geschichtsbuch kannten. Es war eine mir fremde Vergangenheit, die<br />

sich hier in <strong>der</strong> Taubenstraße mit ihrem Vorkriegspflaster und den stillgelegten Straßenbahngleisen als<br />

die Vergangenheit meiner eigenen Familie darbot.<br />

Da war die von Einschüssen durchsiebte Natursteinfassade jenes Hauses hinter <strong>der</strong> Staatsbibliothek<br />

Unter den Linden, die mir jene letzten Tage des Krieges näher zu bringen schien und jenes übrig<br />

gebliebene Fassadenmosaik in <strong>der</strong> Ruine des WMF-Kaufhauses an <strong>der</strong> Leipziger Straße, dort wo<br />

meine Mutter seinerzeit die noch heute in Gebrauch befindlichen Schöpfkellen aus einer Art nicht<br />

rostendem Edelstahl gekauft hatte.<br />

Und da waren jene Reste von Kaffeehaustischen und den silbernen Tabletts des alten Café Bauers<br />

Unter den Linden, die wir bei Ausgrabungen für das Lindencorso zu Tage för<strong>der</strong>ten, und das Gebäude<br />

des Reichspropagandaministeriums, dem man den die Welt beherrschenden Reichsadler abgenommen<br />

hatte und wenige Schritte weiter das Reichsluftfahrtministerium Hermann Görings, beide Gebäude<br />

streng bewacht von Volkspolizisten und in ihrer Architektur unnahbar und gerade so erschreckend,<br />

wie man es uns im Studium gelehrt hat. Und als Jahre später die lächerlich dünn wirkenden und nicht<br />

unüberwindbar erscheinenden Einzelteile <strong>der</strong> Berliner Mauer auf LKWs aus <strong>der</strong> Stadt gefahren<br />

wurden und am Eingang des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums <strong>der</strong> Bundesadler zur<br />

Kennzeichnung <strong>der</strong> Außenstelle des Bundeswirtschaftsministeriums prangte, ließ ich mich spontan auf<br />

meinem Weg zur Ständigen Vertretung in Nie<strong>der</strong>schönhausen von einem Pförtner durch die<br />

Räumlichkeiten, Flure und den großen Sitzungssaal dieses Ministeriums führen, um den <strong>Ort</strong> in mich<br />

aufzunehmen, an dem knapp 50 Jahre zuvor jener Reichsfeldmarschall Göring zugegen war.<br />

Einem <strong>Ort</strong>, an dem Entscheidungen gefällt wurden, die das Leben in Europa, vor allem aber auch<br />

unser Leben in Deutschland nach 1945 bis heute tiefgreifend verän<strong>der</strong>n sollten. Lassen Sie mich dieser<br />

persönlichen Erfahrung, die mir unsere jüngste Vergangenheit auf so einfache Weise näher zu bringen<br />

vermochte und mich eintauchen ließ in eine Zeit, die mich bis dahin wie die Zeit eines an<strong>der</strong>en Landes<br />

anmutete, lassen Sie mich dieser Erfahrung den folgenden Satz Dieter Hoffmann Axthelms<br />

gegenüberstellen: (ich zitiere)<br />

„Ich will wissen, wo Hegel gelebt hat, nicht wie sein Hausflur aussah.“<br />

Dieses Wort steht im Wi<strong>der</strong>spruch meiner persönlichen Erfahrungen, heißt dies doch, dass wir nur die<br />

Fassade und nicht die dahinter liegenden Räume benötigen, o<strong>der</strong>, dass wir die Geschichte auf eine<br />

Gedenktafel am <strong>Ort</strong> des Geschehens reduzieren könnten.<br />

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