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Bildpunkt - Wir machen Kunst weil, es die feministische ...

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| ) );|(| punkt<br />

Zeitschrift der IG Bildende <strong>Kunst</strong><br />

Herbst 2007<br />

Widerstand. Macht. Wissen.<br />

03 Engagieren. Editorial<br />

04 Verlernen und <strong>die</strong> Strategie d<strong>es</strong> unsichtbaren Ausb<strong>es</strong>serns<br />

Bildung und Postkoloniale Kritik María do Mar Castro Varela<br />

08 Alle Macht der Freien Universität Kopenhagen<br />

Das Komitee d<strong>es</strong> 15. Juli 2001 / Henriette Heise & Jakob Jakobsen<br />

10 … in das kollektive Gedächtnis einzugreifen<br />

Im G<strong>es</strong>präch mit Eva Egermann und Charlotte Martinz-Turek<br />

P.b.b. Verlagspostamt 1060 Wien | Zul.Nr. 02Z030198M<br />

13 Get together<br />

Vernetzung kunst- und kulturschaffender Frauen in Wien Carla Knapp<br />

14 Reförmchen in Sicht? Kulturministerin Schmied und <strong>die</strong><br />

Künstlersozialversicherungsfondsg<strong>es</strong>etz-Novelle Daniela Koweindl<br />

15 IG Intern<br />

18 Termine<br />

19 Nie wieder Ulrichsberg! Eindrücke von den Antifaschistischen<br />

Aktionstagen in Klagenfurt/Celovec 2007 Josephine Broz<br />

21<br />

22<br />

26<br />

28<br />

30<br />

16<br />

32<br />

Lückent<strong>es</strong>t Vlatka Frketić<br />

Was <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> weiß und <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />

nicht wissen will Sabine Ammon<br />

Skurrile skills und tolle tools Wissensg<strong>es</strong>ellschaft und <strong>Kunst</strong> Jens Kastner<br />

Educación Popular Marlen Eizaguirre<br />

Widerstand. Macht. Wissen im Buch Jens Kastner<br />

Poster Zanny Begg<br />

Rückseite Katharina Morawek<br />

Bildstrecke <strong>Wir</strong> <strong>machen</strong> <strong>Kunst</strong>, <strong>weil</strong> <strong>es</strong> <strong>die</strong> <strong>feministische</strong>/<br />

politische/g<strong>es</strong>ellschaftliche/meine Situation erfordert


Drei künstlerische Positionen begleiten jede Ausgabe d<strong>es</strong><br />

<strong>Bildpunkt</strong> und sind als eigenständige Kommentare und<br />

Reflexionen zum je<strong>weil</strong>igen Thema d<strong>es</strong> Heft<strong>es</strong> zu verstehen.<br />

Ausgewählt und zusammeng<strong>es</strong>tellt von Nora Sternfeld, Eva Dertschei<br />

und Carlos Toledo in Zusammenarbeit mit den KünstlerInnen.<br />

Poster: Zanny Begg<br />

Rückseite: Katharina Morawek<br />

Bildstrecke: <strong>Wir</strong> <strong>machen</strong> <strong>Kunst</strong>, <strong>weil</strong> <strong>es</strong> <strong>die</strong> <strong>feministische</strong>/<br />

politische/g<strong>es</strong>ellschaftliche/meine Situation erfordert.<br />

❚ „Ich fokussiere darauf, wie wir durch Kämpfe lernen und ich<br />

glaube, der einzige Weg, <strong>die</strong> Welt zu verstehen, ist zu versuchen,<br />

sie zu verändern“. Mit di<strong>es</strong>em Motto b<strong>es</strong>chreibt <strong>die</strong> australische<br />

Künstlerin Zanny Begg ihre Arbeit – das Mittelposter di<strong>es</strong>er<br />

Ausgabe d<strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong>. Für <strong>die</strong> Ausstellung Self Education – Self<br />

Organization im National Centre of Contemporary Art in Moskau<br />

interviewte sie 2006 zahlreiche AktivistInnen im Hinblick auf<br />

Proz<strong>es</strong>se d<strong>es</strong> Lernens im Kontext politischer Kämpfe. Das Projekt<br />

zeigt <strong>die</strong> zahlreichen Verschränkungen zwischen oppositioneller<br />

Wissensproduktion, Selbstermächtigung und Consciousn<strong>es</strong>s. In<br />

Zusammenarbeit mit AktivistInnen entstand auch eine Serie von<br />

Buttons und Sticker. Zanny Begg be<strong>die</strong>nt sich damit bewusst populärer<br />

Bedeutungsträger der autonomen und antikapitalistischen<br />

Bewegung, <strong>die</strong> gewissermaßen als aktivistische Markierung funktionieren.<br />

Die Verbindung von Analyse, Reflexion und Prot<strong>es</strong>t<br />

findet so eine formale Entsprechung in der Bearbeitung g<strong>es</strong>talterischer<br />

Aspekte aktivistischer Prot<strong>es</strong>tme<strong>die</strong>n. Der Titel der Arbeit<br />

mag in di<strong>es</strong>em Sinn vielleicht auch für <strong>die</strong> Strategien der Künstlerin<br />

gelten: Wenn du dich daran machst, <strong>die</strong> Welt zu verändern,<br />

verändert <strong>die</strong> Welt auch dich. http://www.zannybegg.com<br />

❚ Die Maskenvorlage auf der Rückseite di<strong>es</strong><strong>es</strong> Hefts – ein Euleng<strong>es</strong>icht<br />

zum Ausschneiden und Zusammenbauen – entwickelte<br />

Katharina Morawek. Von di<strong>es</strong>er Maske kann Gebrauch gemacht<br />

werden: zur unmittelbaren Herstellung ein<strong>es</strong> temporären, strategischen<br />

„<strong>Wir</strong>“ durch vielfach<strong>es</strong> Ausschneiden. Katharina Morawek<br />

arbeitet künstlerisch an der Schnittstelle von G<strong>es</strong>taltung und<br />

Wissensproduktion. Mit der Einladung zum Eintritt in <strong>die</strong> multiple<br />

Weisheits-Identität nimmt sie Bezug auf künstlerische und<br />

aktivistische Strategien, in denen politische Forderungen mit der<br />

Proklamation ein<strong>es</strong> anderen Wissens einhergehen wie bei den<br />

Guerilla Girls und den Zapatistas: „Wenn ihr wissen wollt, wer<br />

hinter der Maske steckt, schaut in einen Spiegel“. Die Masken<br />

<strong>die</strong>nen dabei einer radikalen Abwehr d<strong>es</strong> „immer schon gewusst<br />

worden seins“ derer, <strong>die</strong> in hegemonialen Diskursen und Wissensregimen<br />

zu Objekten gemacht werden. Eine Haltung einzunehmen<br />

bedeute also nicht, mit b<strong>es</strong>timmten Attributen ausg<strong>es</strong>tattet<br />

zu sein, sondern sei eine immer nur partielle Ermittlung.<br />

Donna Haraway spricht von der „Politik d<strong>es</strong> situierten Wissens“.<br />

Es handle sich dabei, so Katharina Morawek, nicht um „mein<br />

Wissen“ oder „dein Wissen“, sondern um den Ausdruck ein<strong>es</strong><br />

g<strong>es</strong>ellschaftlichen Verhältniss<strong>es</strong>.<br />

<strong>Wir</strong> <strong>machen</strong> <strong>Kunst</strong>, <strong>weil</strong> <strong>es</strong> <strong>die</strong> <strong>feministische</strong>/politische/g<strong>es</strong>ellschaftliche/meine<br />

Situation erfordert sind Bilder der Arbeiten<br />

ein<strong>es</strong> Gender Studi<strong>es</strong>-<strong>Kunst</strong>ausstellungsprojekts von und<br />

mit StudentInnen der <strong>Kunst</strong>universität Linz, geleitet von Johanna<br />

Schaffer an der Abteilung für <strong>Kunst</strong>g<strong>es</strong>chichte und <strong>Kunst</strong>theorie/Gender<br />

Studi<strong>es</strong>. Ausgangspunkt d<strong>es</strong> Projekts war <strong>die</strong> künstlerische<br />

und politische Befragung der Brisanz und Aktualität der<br />

Gender Studi<strong>es</strong> und der <strong>feministische</strong>n Theorien. „<strong>Wir</strong> <strong>machen</strong><br />

Filme, wenn <strong>es</strong> <strong>die</strong> politische Situation erfordert“, sagt eine der<br />

Protagonistinnen in Hanna Laura Klars Film Das schwache G<strong>es</strong>chlecht<br />

muß stärker werden (Ulm, 1969). In Anlehnung an di<strong>es</strong>en<br />

Satz, den Film und <strong>die</strong> G<strong>es</strong>chichte <strong>feministische</strong>r Theorien und<br />

Bildproduktionen entstand der Titel ihrer Ausstellung. Alle Arbeiten,<br />

<strong>die</strong> für <strong>die</strong> Ausstellung herg<strong>es</strong>tellt wurden, wählten als Untersuchungs-<br />

und Experimentierfeld <strong>die</strong> Produktion von Normen,<br />

vor allem jener normativer G<strong>es</strong>chlechtlichkeit.<br />

http://www.<strong>machen</strong>kunst<strong>weil</strong>.ufg.ac.at


Engagieren. Editorial<br />

3<br />

❚ In seiner letzten Rede im Mai 2001 plä<strong>die</strong>rte der Soziologe Pierre<br />

Bour<strong>die</strong>u dafür, „Wissen in engagiert<strong>es</strong> Wissen (zu) überführen.“<br />

Da blickte er bereits auf einige Jahre d<strong>es</strong> politischen Aktivismus<br />

zurück, der spät<strong>es</strong>tens mit seinem Engagement während der<br />

Streiks in Frankreich Ende d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> 1995 begonnen hatte. War<br />

Bour<strong>die</strong>u zuvor der Idee wissenschaftlicher Objektivität verpflichtet,<br />

hat der Widerstand gegen <strong>die</strong> neoliberalen Umstrukturierungen<br />

offenbar nicht nur seine Einstellung zum Wissen, sondern<br />

auch das Wissen selbst verändert, vielleicht sogar neu<strong>es</strong><br />

Wissen hervorgebracht. So jedenfalls ließe sich der Titel di<strong>es</strong>er<br />

Ausgabe l<strong>es</strong>en: Dass Widerstand Wissen generiert. Widerstand.<br />

Macht. Wissen erweitert damit <strong>die</strong> gängige Vorstellung, <strong>die</strong> Bildung<br />

zur Voraussetzung von Handlungsbefähigung macht („Wissen<br />

macht Widerstand“). Die Texte di<strong>es</strong><strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong> widmen sich<br />

also der Frage, ob bzw. wie b<strong>es</strong>timmte – engagierte, kritische, widerständige<br />

– Praktiken Wissen herstellen.<br />

Im machtfreien Raum g<strong>es</strong>chieht das selbstverständlich nicht. Dem<br />

wurde im Ansatz der educación popular b<strong>es</strong>onders Rechnung getragen,<br />

den Marlen Eizaguirre b<strong>es</strong>chreibt. In der educación popular<br />

verbinden sich letztlich beide oben angeführten Richtungen<br />

(„Wissen macht Widerstand macht Wissen“). Ob und wie so etwas<br />

wie „alternativ<strong>es</strong> Wissen“ entsteht, haben wir im G<strong>es</strong>präch<br />

mit Eva Egermann und Charlotte Martinz-Turek diskutiert. Aus<br />

ähnlichen Diskussionsproz<strong>es</strong>sen ist vor einigen Jahren auch <strong>die</strong><br />

Copenhagen Free University hervorgegangen, deren Manif<strong>es</strong>t uns<br />

Henriette Heise und Jakob Jakobsen zur Verfügung g<strong>es</strong>tellt haben.<br />

Die darin verhandelten Wechselwirkungen zwischen ästhetischen<br />

und g<strong>es</strong>ellschaftlichen Verhältnissen sind auch Thema der<br />

künstlerischen Arbeit von Zanny Begg.<br />

Aber leben wir eigentlich in einer Wissensg<strong>es</strong>ellschaft? Zwei<br />

Beiträge diskutieren di<strong>es</strong><strong>es</strong> zeitdiagnostische Label, Sabine Ammon<br />

stellt dabei das b<strong>es</strong>ondere Wissen der <strong>Kunst</strong> heraus und erläutert,<br />

warum <strong>es</strong> bislang weitgehend ignoriert wird. Ignoranz<br />

spielt auch bei María do Mar Castro Varela eine wichtige Rolle,<br />

und zwar als „<strong>die</strong> andere Seite d<strong>es</strong> Wissens“. Aus der Sicht der<br />

postkolonialen Kritik stellt Castro Varela <strong>die</strong> repr<strong>es</strong>sive Funktion<br />

von Bildung und Kultur heraus und entwirft dann <strong>die</strong> politische<br />

Perspektive d<strong>es</strong> „Verlernens“.<br />

Die Bildstrecke hat Johanna Schaffer mit Stu<strong>die</strong>renden der<br />

<strong>Kunst</strong>universität Linz g<strong>es</strong>taltet. Die Glosse stammt, wie in jedem<br />

zweiten Heft, von Vlatka Frketić. Wie immer werden am Schluss<br />

einige relevante Bücher zum Thema vorg<strong>es</strong>tellt. Und wie immer<br />

prägt auch di<strong>es</strong>mal <strong>die</strong> Bezugnahme auf gleichermaßen ästhetische<br />

und künstlerische wie auch sozialbewegte Praktiken – wie<br />

sie exemplarisch in der Arbeit von Katharina Morawek auf der<br />

Rückseite di<strong>es</strong>er Zeitung zum Ausdruck kommt – den <strong>Bildpunkt</strong>.<br />

Und das Bemühen, mit einer Mischung aus lokalen und internationalen<br />

AutorInnen/KünstlerInnen an Debatten hier wie dort zu<br />

partizipieren. Mag sein, wir leisten damit einen Beitrag zu dem,<br />

was Bour<strong>die</strong>u in b<strong>es</strong>agter Rede beim engagierten Wissen, etwas<br />

blumig formuliert, für das Entscheidende hielt, nämlich „an der<br />

kollektiven Erfindung der kollektiven Strukturen ein<strong>es</strong> erfinderischen<br />

Geist<strong>es</strong> zu arbeiten.“ ●<br />

Jens Kastner, Koordinierender Redakteur


Amel And<strong>es</strong>sner, Interview mit Mirko, Realitäts-Performance. Amel And<strong>es</strong>sners Erfindung: Mirko wird lebendig; er wird zur Drag Queen, zum Performer. Amel zum von ihm kreierten Charakter.<br />

Verlernen und <strong>die</strong> Strategie d<strong>es</strong> unsichtbaren Ausb<strong>es</strong>serns<br />

Bildung und Postkoloniale Kritik María do Mar Castro Varela<br />

❚ Die Transformation d<strong>es</strong> Hier<br />

und Jetzt ist ohne Bildungsproz<strong>es</strong>se<br />

nicht denkbar, und so ist<br />

<strong>es</strong> auch kaum ein Zufall, dass<br />

Befreiungsbewegungen häufig<br />

bedeutsame reformpädagogische<br />

Ideen hervorgebracht haben.<br />

Auch innerhalb postkolonialer<br />

Kritik finden sich eine Reihe pädagogischer Überlegungen,<br />

<strong>die</strong> bisher allerdings nur wenig Beachtung erfahren haben. Die<br />

postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak, <strong>die</strong> sich selbst als<br />

Lehrerin bezeichnet, b<strong>es</strong>chreibt Bildung als einen dialektischen<br />

Proz<strong>es</strong>s von Lernen und Verlernen (Spivak 1996). Immer wieder<br />

hebt sie in ihren Texten und Interviews hervor, welche Möglichkeiten<br />

postkoloniale Kritik für eine pädagogische Reflexion bereit<br />

hält und umgekehrt, wie notwendig pädagogische Reflexionen für<br />

<strong>die</strong> Inganghaltung von Dekolonisierungsproz<strong>es</strong>sen sind. In di<strong>es</strong>em<br />

Zusammenhang wird Bildung und werden Bildungsinstitutionen<br />

nicht in simplistischer Manier als bloß befreiend gefeiert, sondern<br />

immer gleichzeitig einer rigorosen Kritik unterworfen.<br />

Postkoloniale Theorie inter<strong>es</strong>siert sich insb<strong>es</strong>ondere für <strong>die</strong> epistemische<br />

Gewalt – das, was Spivak einmal provokativ als mindfucking<br />

charakterisiert hat. In den Analysen werden d<strong>es</strong>halb <strong>die</strong><br />

Bedeutung von Bildung für Demokratisierungs- und Dekolonisierungsproz<strong>es</strong>se<br />

betont und zugleich pädagogische Unternehmen<br />

als risikoreich ernst genommen. Fragen, <strong>die</strong> sich dabei einstellen<br />

sind etwa: Wie können <strong>die</strong> Ausgegrenzten erreicht werden, ohne<br />

ihnen dabei gleichzeitig eine spezifische Perspektive aufzuzwin-<br />

gen? Wie können Lernproz<strong>es</strong>se in Gang g<strong>es</strong>etzt werden, <strong>die</strong> sich<br />

einer Disziplinierung d<strong>es</strong> Geist<strong>es</strong> widersetzen? Ist eine gewaltfreie<br />

Pädagogik möglich? Wie können Räume d<strong>es</strong> Denkens g<strong>es</strong>chaffen<br />

werden, <strong>die</strong> dissensfreundlich sind?<br />

Bildung und Zivilisierungsmission<br />

Für Edward Said sind Kulturproduktionen immer engst mit dem<br />

politischen Charakter der G<strong>es</strong>ellschaft verwoben, und <strong>es</strong> ist gerade<br />

<strong>die</strong> Unsichtbarkeit di<strong>es</strong>er Beziehung, <strong>die</strong> di<strong>es</strong>e für <strong>die</strong> ideologischen<br />

Arenen so nützlich <strong>machen</strong>. Imperiale Diskurse propagierten<br />

ein metaphysisch<strong>es</strong> Recht d<strong>es</strong> Imperiums zur gewaltsamen<br />

Unterdrückung der Kolonisierten, was wiederum eine dichte Bezugnahme<br />

zwischen imperialen Zielen und einer nationalen Kultur<br />

notwendig machte, <strong>die</strong> über eine weit verbreitete Rhetorik<br />

der Universalität von Kultur b<strong>es</strong>iegelt wurde (vgl. Said 1993). Kulturproduktionen<br />

können infolged<strong>es</strong>sen nie unschuldig sein, zeigen<br />

sie sich doch gezeichnet durch <strong>die</strong> hegemonialen Strukturen,<br />

in denen sie hervorgebracht wurden. Als ein<strong>es</strong> der wichtigsten<br />

politischen Ziele bezeichnet Said d<strong>es</strong>wegen <strong>die</strong> „De-Universalisierung“<br />

der imperialen Kultur, <strong>die</strong> durch möglichst konkrete Kon-


Widerstand. Macht. Wissen. 05<br />

Den Geist dekolonisieren<br />

Für Spivak bedeutet Bildung vor allem eine Strategie zur Neuordnung<br />

von Begehren, <strong>die</strong> ohne Druck und Zwang operiert: an<br />

uncoercive re-arrangement of d<strong>es</strong>ir<strong>es</strong>. Womit eine pädagogische<br />

Methodenreflexion immer ein Nachdenken über das, was in den<br />

Lernenden wie und mit welchen Konsequenzen neu-geordnet<br />

wird, implizieren muss. Im Fokus d<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>s<strong>es</strong> steht dabei, ob<br />

das Re-arrangieren der Begehren tatsächlich gewaltfrei bewerkstelligt<br />

wurde. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> nicht ganz einfache Unterfangen kann nur<br />

gelingen, wenn <strong>die</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Rolle der Vermittelnden übernehmen,<br />

sich als Teil d<strong>es</strong> G<strong>es</strong>amtproblems begreifen und sich nicht nur als<br />

Lehrende, sondern auch als Lernende verstehen.<br />

In di<strong>es</strong>en Zusammenhang ist <strong>es</strong> instruktiv, <strong>die</strong> andere Seite d<strong>es</strong><br />

Wissens zu betrachten: <strong>die</strong> Ignoranz. Wo Spivak von der g<strong>es</strong>tatteten,<br />

ja der belohnten Ignoranz spricht – jener Ignoranz also, <strong>die</strong><br />

nicht blamiert, sondern gegenteilig <strong>die</strong> eigene Position der Macht<br />

stabilisiert –, spricht <strong>die</strong> kanadische Philosophin Lorraine Code<br />

von der Macht der Ignoranz. Eine Ignoranz, <strong>die</strong> im wissenschaftlichen<br />

Diskurs gerne als Objektivität b<strong>es</strong>chrieben wird. 1817 schrieb<br />

Jam<strong>es</strong> Mill etwa <strong>die</strong> History of India, von der er selbst sagte, dass<br />

nur seine vollkommene Ignoranz gegenüber dem indischen Kontext<br />

<strong>es</strong> ihm ermöglichte, di<strong>es</strong><strong>es</strong> so wichtige Buch zu schreiben.<br />

For Code ist di<strong>es</strong><strong>es</strong> Beispiel geradezu emblematisch für eine Politik<br />

der Unwissenheit.<br />

In Anbetracht der vorherrschenden Ignoranz kann Lernen nur <strong>die</strong><br />

Dialektik von Lernen und Verlernen bedeuten. Während klassische<br />

Pädagogikvorstelllungen versuchen, Ignoranz zu bekämpfen, adr<strong>es</strong>siert<br />

eine postkoloniale Pädagogik offensiv <strong>die</strong> g<strong>es</strong>tattete und betupperwarena<br />

alias verena hentmayr, 2007. tupperware als aufbewahrungszustand von vorurteilen, standardisierungen und fakten. v.l.n.r.: halbe weiblichkeit, kernfamilie, bikinizone. www.tupperwarena.at<br />

textualisierungen und Bildungsproz<strong>es</strong>se erreicht wird. Die konkrete<br />

Kontextualisierung einer jeden kulturellen Produktion untergräbt<br />

<strong>die</strong> unangezweifelte Annahme d<strong>es</strong> universellen Charakters,<br />

indem sie <strong>die</strong> Quellen derselben offen legen.<br />

Die Rolle, <strong>die</strong> der Kultur und auch der Bildung als Stützpfeiler d<strong>es</strong><br />

Imperialismus zukommt, kann, so Spivak und Said unisono, unmöglich<br />

überbewertet werden, wird der Imperialismus doch erst<br />

durch di<strong>es</strong>e als zivilisatorische Mission eing<strong>es</strong>chrieben. Kultur erscheint<br />

als moralische Macht, <strong>die</strong> eine Art ideologische Befriedung<br />

herstellt, <strong>die</strong> u.a. durch Bildungsproz<strong>es</strong>se vermittelt wird<br />

(vgl. auch Viswanathan 1987). Das autoritative Gebäude selbstherrlicher<br />

Kultur, das im 19. Jahrhundert von Europa ausgehend<br />

aufgebaut wurde, erwi<strong>es</strong> sich als dermaßen stabil, dass seine<br />

Beteiligung an der imperialen Zivilisierungsmission nie wirklich<br />

hinterfragt wurde. Dekolonisierungsproz<strong>es</strong>se müssen d<strong>es</strong>wegen<br />

geradezu zwangsläufig <strong>die</strong> Dekolonisierung von Bildung miteinschließen.<br />

Insofern problematisiert postkoloniale Pädagogik zu<br />

Recht <strong>die</strong> in das Bildungsprojekt eingebettete, gelernte Verg<strong>es</strong>senheit<br />

und thematisiert <strong>die</strong> Komplizenschaft mit den imperialistischen<br />

und nationalistischen Projekten. Dabei ist <strong>es</strong> unmöglich,<br />

über Dekolonisierung der Bildung nachzudenken, ohne <strong>die</strong> sozialen<br />

Strukturen, in denen Bildung eingelassen ist, mit zu berücksichtigen.<br />

Ein erster Schritt in di<strong>es</strong>e Richtung ist getan, wenn <strong>die</strong><br />

eigene soziale Positionierung und Privilegierung hinterfragt wird.<br />

Wie bin ich zu dem oder der geworden, der oder <strong>die</strong> ich jetzt bin?<br />

Und auf w<strong>es</strong>sen Kosten bin ich das geworden? Welche Perspektiven<br />

versperren mir meine eigenen Privilegien? Was ist für mich<br />

nicht wahrnehmbar? Welche<br />

Räume darf ich betreten? Wem<br />

bleiben di<strong>es</strong>elben versperrt?


| ) );|(| punkt<br />

06<br />

wusst durch Bildung produzierte Ignoranz: jen<strong>es</strong> Unwissen also,<br />

Anna Maria Brandstätter, Öl/Leinwand, 120 x 80 cm, 2007. Di<strong>es</strong>e Arbeit ist eine Aufforderung darüber nachzudenken,<br />

inwiefern Normen unser Leben beeinflussen und wie sie sich auf unsere Selbstb<strong>es</strong>timmung auswirken.<br />

welch<strong>es</strong> sozial belohnt wird und auch nicht Halt macht vor den so<br />

genannten Bildungseliten (vgl. Spivak 1999). Lehren wird innerhalb<br />

der postkolonialen Kritik zu einer strategischen Frage. Es muss eine<br />

konkrete Wahl darüber getroffen werden, was gelehrt und wie<br />

<strong>es</strong> gelehrt wird und <strong>es</strong> muss reflektiert werden, wie der/<strong>die</strong> Lehrende<br />

sich im Proz<strong>es</strong>s der Vermittlung positioniert und verändert.<br />

Anstatt den Lernenden Theorien zu geben, sollte <strong>es</strong> Spivak zufolge<br />

eher darum gehen, zu vermitteln, dass Wissen, wie jede andere<br />

Strategie, nie universal und folgenlos einsetzbar ist. Jede Situation<br />

ist einzigartig und fragt nach einer b<strong>es</strong>onderen Taktik, für <strong>die</strong><br />

Wissen bereitg<strong>es</strong>tellt werden muss. Spivak verdeutlicht di<strong>es</strong>, indem<br />

sie b<strong>es</strong>chreibt, was passiert, wenn <strong>die</strong> Ränder das Zentrum der<br />

Erziehungsinstitutionen betreten, wenn <strong>die</strong> Unterdrückten nicht<br />

mehr schweigen und der akademische Kanon durch dekonstruktive<br />

und <strong>feministische</strong> L<strong>es</strong>arten irritiert wird. Die Institutionen, <strong>die</strong><br />

sie auch als Erziehungsmaschinerie (teaching machine) bezeichnet,<br />

werden durch das Einbrechen der Ränder in Bewegung gebracht,<br />

so Spivak, und <strong>es</strong> ist wichtig zu beobachten, wie <strong>die</strong> einzelnen<br />

Teile d<strong>es</strong> Erziehungskomplex<strong>es</strong> darauf reagieren (vgl. Spivak 1993).<br />

Auf der anderen Seite b<strong>es</strong>chreibt sie Lernen als ein Trainieren d<strong>es</strong><br />

Geist<strong>es</strong> und beharrt darauf, dass <strong>die</strong> Übung d<strong>es</strong> Geist<strong>es</strong> harte Arbeit<br />

erfordert. In zahlreichen Interviews gibt sie zu bedenken, dass<br />

<strong>es</strong> unsinnig und gefährlich sei, zu glauben, dass <strong>es</strong> genügen würde,<br />

sich „etwas einfallen zu lassen“. Wenn <strong>es</strong> darum geht, <strong>die</strong> Gedanken<br />

zu dekolonisieren, müssen di<strong>es</strong>e vielmehr b<strong>es</strong>tändig in Schwingung<br />

versetzt werden. Ein kleiner didaktischer Trick hier und da konterkariert<br />

eher <strong>die</strong> Ernsthaftigkeit d<strong>es</strong> Unternehmens, untergräbt das<br />

Ziel der Dekolonisierung. Es geht auch nicht um <strong>die</strong> Proklamierung<br />

der Veränderung der Verhältnisse – di<strong>es</strong> hält Spivak lediglich<br />

für eine G<strong>es</strong>te der Überlegenheit –, sondern darum zu lernen, wie<br />

das, was das Hier und Jetzt ausmacht, aus der spezifischen Logik<br />

der Marginalisierten heraus erfahrbar gemacht werden kann. Es<br />

b<strong>es</strong>teht eine Notwendigkeit für ein unsichtbar<strong>es</strong> Ausb<strong>es</strong>sern (invisible<br />

mending). Sie b<strong>es</strong>chreibt di<strong>es</strong>e Form der Bildung als das<br />

Einweben unsichtbarer Fäden in <strong>die</strong> bereits vorhandene Textur.<br />

Das dabei entstehende Muster ist nicht vorab b<strong>es</strong>timmt, und der<br />

Proz<strong>es</strong>s d<strong>es</strong> Webens kommt nie zu einem Ende, wobei <strong>die</strong> Webenden<br />

im Proz<strong>es</strong>s gleichzeitig Arbeitende und zu bearbeitender<br />

Stoff sind. Um di<strong>es</strong> bewerkstelligen zu können, wird von denen,<br />

<strong>die</strong> Lehren, vor allem Geduld gefordert, denn <strong>die</strong> Proz<strong>es</strong>se verlaufen<br />

langsam, ja schleichend, so wie <strong>die</strong> historische Gewalt, <strong>die</strong> in<br />

<strong>die</strong> soziale Textur eingelassen ist, b<strong>es</strong>tändig und flexibel ist. <strong>Wir</strong>d<br />

das ang<strong>es</strong>trebt, was Spivak eine transnationale Bildung genannt<br />

hat, so bleibt <strong>die</strong> Hinterfragung der eigenen Privilegien Notwendigkeit<br />

(vgl. Spivak 1995), denn dann geht <strong>es</strong> nicht um eine Bildung,<br />

<strong>die</strong> auf bloße Informationsakkumulation aufbaut, sondern<br />

um ein Lernen und Verlernen. Der <strong>Kunst</strong>, <strong>die</strong> Regeln zu brechen,<br />

kommt dabei eine b<strong>es</strong>ondere Funktion zu – sowohl <strong>die</strong> Regeln<br />

der wissenschaftlichen Disziplin(ierungen) als auch <strong>die</strong> Regeln<br />

d<strong>es</strong> Erwarteten, d<strong>es</strong> Common Sense, d<strong>es</strong> Normalen. Die Praxis d<strong>es</strong><br />

„Regelnbrechens“ b<strong>es</strong>chreibt Spivak folgerichtig als eine ethische<br />

Verpflichtung. Die dominanten pädagogischen Strategien innerhalb<br />

der Bildungs- und Kulturinstitutionen wie auch <strong>die</strong> Erwartungen<br />

der Lernenden/Stu<strong>die</strong>renden, ihre Vorstellungen darüber,<br />

was Lernen bedeutet, behindern<br />

jedoch sehr häufig <strong>die</strong> Infrag<strong>es</strong>tellungen<br />

d<strong>es</strong> Systems<br />

und <strong>die</strong> in dasselbe eingebetteten<br />

Disziplinarmaßnahmen.<br />

Wer <strong>die</strong> Regeln bricht, darf<br />

d<strong>es</strong>wegen nicht hoffen, dass<br />

das Brechen der Regeln allen<br />

attraktiv erscheint. Nicht wenige<br />

sind zufrieden mit dem<br />

So-wie-<strong>es</strong>-ist, verweigern den<br />

Willen zum Widerstand. So ist<br />

für viele <strong>die</strong> historisch gewachsene<br />

Struktur d<strong>es</strong> „<strong>Wir</strong> und <strong>die</strong><br />

Anderen“ durchaus attraktiv –<br />

ganz gleich auf welcher Seite<br />

sie stehen, sie profitieren davon.


Widerstand. Macht. Wissen. 07<br />

„Die Vielfalt der Beziehungs-Systeme“ ein Film von Helmut Küblböck untersucht anhand von 113 Beziehungsbeispielen <strong>die</strong> (Un)Möglichkeit sozialer Regelsysteme. Linz, 2007<br />

Ein Verlernen bei sich und anderen zu initiieren, erfordert d<strong>es</strong>wegen<br />

auch immer eine Art Experimentierfreudigkeit und Räume,<br />

<strong>die</strong> Experimente zulassen. Was dann entstehen kann, sind Funken<br />

„gewaltfreier Vermittlung“, bei der Dissens konstruktiv wahrgenommen<br />

wird und nicht Konsens <strong>die</strong> Erwartung darstellt.<br />

In gewisser Weise haftet der Spivak’schen Idee postkolonialer<br />

Pädagogik ein utopisch<strong>es</strong> Moment an. Dann nämlich, wenn sie sagt,<br />

dass <strong>es</strong> darum geht, das System in Frage zu stellen, ohne ein ander<strong>es</strong>,<br />

b<strong>es</strong>ser<strong>es</strong> zu propagieren. Das klingt nach Ernst Bloch, demzufolge<br />

Hoffnung immer enttäuscht werden muss, wird sie sonst<br />

doch totalitär (vgl. Castro Varela 2007). So betrachtet weist <strong>die</strong><br />

Taktik d<strong>es</strong> Lernens und Verlernens und <strong>die</strong> Strategie d<strong>es</strong> unsichtbaren<br />

Ausb<strong>es</strong>serns in Richtung nicht-dominanter Zukünfte. ●<br />

María do Mar Castro Varela ist Diplom-Psychologin und Diplom-<br />

Pädagogin. Sie hat in Politikwissenschaften promoviert und ist Mitgründerin<br />

d<strong>es</strong> Instituts für Migrations- und Ungleichheitsforschung<br />

(IMUF). Im Wintersem<strong>es</strong>ter 2007/08 tritt sie eine Prof<strong>es</strong>sur für<br />

Soziale Arbeit und Allgemeine Pädagogik mit dem Schwerpunkt<br />

Gender- und Queer Studi<strong>es</strong> an der Alice-Salomon-Fachhochschule<br />

in Berlin an. Gemeinsam mit Nikita Dhawan hat sie 2005 <strong>die</strong> erste<br />

Einführung in <strong>die</strong> Postkoloniale Theorie in deutscher Sprache veröffentlicht.<br />

Zur Zeit arbeitet sie u.a. an einer Veröffentlichung<br />

zum Thema „Pädagogik und Postkoloniale Kritik“.<br />

Literatur<br />

Castro Varela, María do Mar: Unzeitgemäße Utopien. Migrantinnen<br />

zwischen Selbsterfindung und Gelehrter Hoffnung, Bielefeld 2007 (transcript).<br />

Said, Edward: Culture and Imperialism, London 1993 (Chatto & Windus).<br />

Spivak, Gayatri C.: Outside in the Teaching Machine, New York / London 1993<br />

(Routledge).<br />

Spivak, Gayatri C.: Teaching for the tim<strong>es</strong>, in: Jan Nederveen Pieterse /<br />

Bhikhu Parekh (Hg.): The Decolonization of Imagination: Culture, Knowledge<br />

and Power, London 1995 (Zed): S. 177–202.<br />

Spivak, Gayatri C.: The Spivak Reader, Hg. von Donna Landry / Gerald<br />

Maclean, New York / London 1996 (Routledge).<br />

Spivak, Gayatri C.: A Critique of Postcolonial Reason: Towards a History of the<br />

Vanishing Pr<strong>es</strong>ent, Calcutta / New Delhi 1999 (Seagull).<br />

Viswanathan, Gauri: Masks of Conqu<strong>es</strong>t: Literary Study and British Rule in<br />

India, London 1987 (Faber).


Alle Macht der Freien Universität Kopenhagen Das Komitee d<strong>es</strong> 15. Juli 2001 / Henriette Heise & Jakob Jakobsen<br />

Christine Pavlic, Home sweet home, Installation, 2007. 1 von hinten heraus stechen 2 zurück stechen und 3 heraus ziehen 4 wieder einstechen, 5 (=1) heraus ziehen.<br />

❚ Von all den Angelegenheiten, an denen wir uns mit oder ohne<br />

Eigeninter<strong>es</strong>se beteiligen, ist <strong>die</strong> tastende Suche nach neuen Lebensweisen<br />

vielleicht das Einzige, das uns noch mit Leidenschaft<br />

erfüllen kann. Die ästhetischen Disziplinen haben sich in di<strong>es</strong>er<br />

Hinsicht als himmelschreiend unzulänglich erwi<strong>es</strong>en und sie<br />

zeichnen sich durch äußerste Distanz aus, wenn <strong>es</strong> um grundlegende<br />

Fragen geht. Der Weg vorwärts ist jedoch nicht in der Auflösung<br />

der ästhetischen Disziplinen zu suchen – der Weg vorwärts<br />

heißt, mehr von ihnen zu verlangen. Auf unserer Suche<br />

nach neuen Lebensweisen verführen uns <strong>die</strong> Chemie d<strong>es</strong> Unglücksbewusstseins<br />

und überschüssige Energien immer noch dazu,<br />

experimentelle Institutionen zu gründen und einen Diskurs<br />

neu zu formulieren, in d<strong>es</strong>sen Rahmen wir das Wort „Ästhetik“<br />

verwenden. Die Freie Universität Kopenhagen ist eine solche Institution<br />

bzw. ein solcher Diskurs.<br />

[…] Die Freie Universität Kopenhagen ist eine Stimme im Gemurmel<br />

vieler. <strong>Wir</strong> sind nicht zwei oder drei Einzelpersonen, sondern<br />

eine Institution, <strong>die</strong> im Proz<strong>es</strong>s d<strong>es</strong> Produziertwerdens und d<strong>es</strong><br />

Produzierens durch verschiedene g<strong>es</strong>ellschaftliche Beziehungen<br />

driftet. <strong>Wir</strong> sind <strong>die</strong> Menschen im Haus. Di<strong>es</strong>e Position schafft eine<br />

ständigen Veränderungen unterworfene Konfiguration, <strong>die</strong><br />

durch viele Kontexte, Plattformen, Stimmen, Aktionen, aber auch<br />

durch Inaktivität, Verweigerung, Rückzug, Exodus gekennzeichnet<br />

ist. […] Unsere Subjektivität (was man sagt und was man<br />

tut) steigt aus den materiellen Bedingungen unser<strong>es</strong> Alltagslebens<br />

auf und wird von den vermittelten Grundprinzipien d<strong>es</strong> öffentlichen<br />

Bereichs abgezogen. Im öffentlichen Bereich fangen sich alle<br />

Argumente in den Grundprinzipien d<strong>es</strong> individualisierten Bürgers<br />

und werden durch sie gefiltert. Was aber, wenn man sich nicht<br />

wie ein vernünftiger Bürger fühlt? Die Freie Universität Kopenhagen<br />

ist ein „Inter<strong>es</strong>sensbereich“, der aus dem materiellen Leben,<br />

das wir erleben, stammt und immer schon, vor jedem Bürgerstatus<br />

politisiert ist. Unsere Reichweite ist gleichermaßen lokal<br />

und global, wir suchen G<strong>es</strong>innungsgenossen um <strong>die</strong> Ecke und auf<br />

der ganzen Welt.<br />

Unser Ausgangspunkt ist das Hier und Jetzt: das Zirkulieren in<br />

der heutigen politischen Wissensökonomie und ihre Folgen und<br />

<strong>die</strong> Wünsche, <strong>die</strong> in den Strömungen und Netzwerken di<strong>es</strong>er Landschaft<br />

verteilt, akkumuliert, umgeleitet und aufgehalten werden.<br />

Die Tatsache, dass <strong>die</strong> höhere Bildung nicht mehr ausschließliche<br />

Domäne d<strong>es</strong> Bürgertums und seiner Kinder ist und, dass <strong>die</strong> ArbeitnehmerInnen<br />

heute allgemein hoch qualifiziert sind, hat zu<br />

„Massenintellektualität“ geführt. Die Massenintellektualität und<br />

<strong>die</strong> heutigen immateriellen Produktionsmethoden, <strong>die</strong> verlangen,<br />

dass ArbeitnehmerInnen in einem Umfeld arbeiten können, in<br />

dem sie abstrakte Produkte herstellen, welche durch Wissen und<br />

Subjektivität gekennzeichnet sind, hat unser Inter<strong>es</strong>se ganz b<strong>es</strong>onders<br />

geweckt. Nicht, dass wir einen Job wollen, aber wir erkennen,<br />

dass di<strong>es</strong>e Entwicklung unser Gefühlsleben beeinflusst.<br />

[…] In der Produktion geht <strong>es</strong> zunehmend und auf verschiedenen<br />

Ebenen um <strong>die</strong> Fähigkeit, Entscheidungen zwischen mehreren<br />

Alternativen zu treffen, wobei der Entscheidungsproz<strong>es</strong>s eine<br />

gewisse Verantwortung mit sich bringt. In der Wissensökonomie<br />

produktiv zu sein, bedeutet: Von den Arbeitenden wird erwartet,<br />

dass sie aktive Subjekte werden; man muss sich ausdrücken, man<br />

muss sprechen, kommunizieren, zusammenarbeiten usw. Die Produktionsmethode<br />

wird immateriell und steht mit Kommunika-


Katharina Loidl, Die Macht der Illusion – Ein Found-Footage-Video in mehreren Teilen, welch<strong>es</strong> sich signifikanter Filmsequenzen aus Dracula-Verfilmungen von 1922 bis 2006 be<strong>die</strong>nt.<br />

tionsproz<strong>es</strong>sen in Verbindung,<br />

<strong>die</strong> von den Arbeitenden verlangen,<br />

dass sie kritisch sind und<br />

Subjektivität ausdrücken. Es ist<br />

keine überraschende Einsicht,<br />

dass der Ethos d<strong>es</strong> Staat<strong>es</strong> im<br />

Hinblick auf den Bürger fast<br />

identisch ist mit dem Ethos der<br />

kapitalistischen Produktion im<br />

Hinblick auf den Arbeitenden.<br />

Die politische Wissensökonomie<br />

von heute nimmt G<strong>es</strong>talt an.<br />

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit<br />

auf <strong>die</strong> Methode der ästhetischen<br />

Produktion richten, so<br />

müssen wir erkennen, dass Künstlerinnen und Künstler zu Vorbildern<br />

der Arbeitenden in der Wissensökonomie werden. KünstlerInnen<br />

bringen traditionell ihre Seelen in <strong>die</strong> Arbeit ein, und das<br />

ist genau <strong>die</strong> Qualifikation, <strong>die</strong> das moderne Management sucht,<br />

wenn neue Arbeitskräfte rekrutiert werden sollen. Das Unternehmertum,<br />

<strong>die</strong> selbständige Unabhängigkeit und <strong>die</strong> geheiligte Individualität<br />

von KünstlerInnen sind <strong>die</strong> Traumqualifikationen der<br />

WissensarbeiterInnen von morgen: gewerkschaftlich nicht organisierte,<br />

b<strong>es</strong>tens ausgebildete Individuen ohne Solidarität, <strong>die</strong> sich<br />

als TaglöhnerInnen verdingen. Der heroische Künstler der Avantgarde<br />

von g<strong>es</strong>tern wird der Streikbrecher von morgen. <strong>Wir</strong> sehen,<br />

wie <strong>es</strong> rund um uns passiert, und wir tun <strong>es</strong> selbst, mit oder ohne<br />

Eigeninter<strong>es</strong>se.<br />

Ein weiterer Aspekt ist <strong>die</strong> Tatsache, dass ein großer Teil der<br />

ästhetischen Produktion heute dazu instrumentalisiert wird, <strong>die</strong><br />

Ideologie der Wissensökonomie zu reproduzieren. Das g<strong>es</strong>chieht<br />

oft, wenn sich KünstlerInnen mit neuen Technologien b<strong>es</strong>chäftigen,<br />

wenn sich KünstlerInnen mit g<strong>es</strong>ellschaftlicher Erneuerung<br />

b<strong>es</strong>chäftigen, wenn KünstlerInnen <strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum<br />

produzieren, oder allgemein dann, wenn KünstlerInnen sich für<br />

<strong>die</strong> gute und erbauliche Sache einsetzen. KünstlerInnen bejahen,<br />

ob nun vorsätzlich oder nicht, <strong>die</strong> derzeitige Hegemonie: Sie bilden<br />

<strong>die</strong> Speerspitze neuer Marktstandards oder <strong>machen</strong> sich dort<br />

nützlich, wo Staat und Kapital auslassen. Die Freie Universität<br />

Kopenhagen ist b<strong>es</strong>trebt, andere Strategien zu entwickeln, Strategien<br />

d<strong>es</strong> Rückzugs und d<strong>es</strong> Prot<strong>es</strong>ts. „Rückzug“ steht für eine<br />

Aktivität, <strong>die</strong> nicht auf direkter Opposition basiert, sondern einer<br />

Ablehnung der Macht, einer Verweigerung d<strong>es</strong> Gehorsams. „Prot<strong>es</strong>t“<br />

steht für eine Aktivität, mit der Antagonismen aufgedeckt<br />

werden sollen, welche unter der Oberfläche für <strong>die</strong> G<strong>es</strong>ellschaft<br />

charakteristisch sind und sich dort herauskristallisieren können.<br />

[…] Es scheint, dass <strong>die</strong> Wissensökonomie mit einer Auffassung<br />

der ästhetischen Disziplinen arbeitet, in der <strong>es</strong> nur ein Produkt<br />

innerhalb ein<strong>es</strong> Überbaus gibt. Ist eine Stadt geplant, ein Gebäude<br />

gebaut, ein Produkt entwickelt, dann sind <strong>die</strong> KünstlerInnen<br />

gefordert. Di<strong>es</strong>e Auffassung ist derzeit bei Staat, <strong>Kunst</strong>institutionen<br />

und vielen KünstlerInnen weit verbreitet. Die <strong>Kunst</strong> ist eine<br />

g<strong>es</strong>ellschaftliche Praxis, aber ist sie nur ein g<strong>es</strong>ellschaftlich<strong>es</strong><br />

Konstrukt zum Wohle der Volksg<strong>es</strong>undheit? <strong>Wir</strong> haben <strong>die</strong> Absicht,<br />

<strong>die</strong> Diskussionen um <strong>die</strong> Ästhetik wieder zurück an <strong>die</strong><br />

Basis zu tragen. Massenintellektualität und Globalisierung bieten<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit, eine Strategie der Avantgarde wieder einzuführen,<br />

<strong>die</strong> nicht auf der Universalität der heroischen Avantgarde<br />

beruht, sondern sich in Form kollektiver und polymorpher kreativer<br />

Kräfte in der Herstellung g<strong>es</strong>ellschaftlicher Beziehungen<br />

entwickelt. Ästhetik über <strong>die</strong> Disziplinen hinaus. Ästhetik als<br />

Faktum d<strong>es</strong> Lebens. ●<br />

Henriette Heise und Jakob Jakobsen sind bildende KünstlerInnen<br />

und leben und arbeiten an der Copenhagen Free University<br />

(www.copenhagenfreeuniversity.dk). Der gemeinsame Text<br />

stammt aus dem Jahr 2001.


… in das kollektive Gedächtnis einzugreifen<br />

Widerstand. Macht. Wissen im G<strong>es</strong>präch. Mit Eva Egermann und Charlotte Martinz-Turek<br />

Wettexwäsche eine siebenteilige, haptische Zwischenrauminstallation, über Alltag, Ausfluss und Fusselfähigkeit von Antonia Prochaska 2007<br />

❚ Sowohl im <strong>Kunst</strong>feld als auch in den Sozialwissenschaften – aber<br />

auch im Rahmen aktivistischer Praxen – scheinen Debatten um <strong>die</strong><br />

Mehrdimensionalität d<strong>es</strong> Wissens derzeit auf der Tag<strong>es</strong>ordnung zu<br />

stehen. Viele gängige „polyperspektivische Ansätze“ beziehen allerdings<br />

<strong>die</strong> Verhältnisse der Wissensformen untereinander und <strong>die</strong><br />

b<strong>es</strong>tehenden Wissens- und Definitionsmachtverhältnisse in der G<strong>es</strong>ellschaft<br />

nur wenig ein. Mit dem Titel Widerstand. Macht. Wissen<br />

nehmen wir in di<strong>es</strong>er Ausgabe d<strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong> Bezug auf <strong>die</strong> Debatten<br />

um <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, fragen aber auch nach den Potenzialen,<br />

<strong>die</strong> in der Erarbeitung und Verbreitung alternativer Wissensformen<br />

sowie in der Entwicklung von Gegen-Wissen liegen.<br />

<strong>Bildpunkt</strong>: Eva, du arbeit<strong>es</strong>t als Künstlerin in verschiedenen<br />

Me<strong>die</strong>n und in mehreren Kollektiven wie etwa der Manoa Free<br />

University sowie als Redaktionsmitglied der Zeitschrift MALMOE<br />

unter anderem zu Themen wie Wissensproduktion. Was ist eigentlich<br />

„alternativ<strong>es</strong> Wissen“?<br />

E. E.: Ich finde <strong>es</strong> sehr schwierig di<strong>es</strong>e Begriffe, <strong>die</strong> hier fallen,<br />

Wissen, Gegen-Wissen oder alternativ<strong>es</strong> Wissen zu unterscheiden.<br />

Worauf bezieht man sich denn, wenn man von alternativem<br />

oder Gegen-Wissen spricht? Unklar ist das d<strong>es</strong>halb, <strong>weil</strong> sich<br />

Sprache und Alltagsdiskurse immer wieder verändern und der<br />

neoliberale Umbau der G<strong>es</strong>ellschaft natürlich mit einer gewissen<br />

Rhetorik einhergeht. Da kommt <strong>es</strong> zu Bedeutungsverschiebungen,<br />

so dass ursprünglich als emanzipatorisch g<strong>es</strong>ehene Begriffe und<br />

Formate der alternativen Wissensproduktion wie Autonomie, Kollektivität,<br />

Selbstorganisation, Selbstb<strong>es</strong>timmung, Flexibilität und<br />

Mobilität dabei übernommen und in <strong>die</strong> Logik der Kapitalverwertung<br />

integriert werden. Peter Hartz beispielsweise spricht im<br />

Hartz IV-Papier ja auch von einer (Job)Revolution. Das ist das,<br />

08<br />

was Antonio Gramsci als „passive Revolution“ bezeichnet. Begriffe<br />

sowie Bildung sind umkämpft. Worum <strong>es</strong> allerdings bei „alternativem<br />

Wissen“ gehen könnte, kann ich mir anhand der beiden<br />

Begriffe „Herrschaftswissen“ und „Befreiungswissen“ schon b<strong>es</strong>ser<br />

vorstellen. Herrschaftswissen wäre jen<strong>es</strong> Wissen, das dazu<br />

<strong>die</strong>nt, <strong>die</strong> hegemonialen Verhältnisse zu reproduzieren und zu<br />

f<strong>es</strong>tigen und das der herrschenden Klasse vorbehalten bleibt. Bildung<br />

u.a. als Mittel sozialer Segregation. Heute wäre das beispielsweise<br />

das Wissen um gewinnbringende Kapitalanlagen oder<br />

di<strong>es</strong>e vielen Elite- und Excellenzprogramme. Befreiungswissen<br />

wäre im Gegensatz dazu das Wissen um <strong>die</strong> herrschenden Verhältnisse,<br />

<strong>die</strong> eigene Verstrickung darin, sowie <strong>die</strong> sozialen Kämpfe<br />

darum. Widerständige Erfahrungen und Reflexion darüber in<br />

den ArbeiterInnen-, Frauen- und anderen sozialen Bewegungen,<br />

in der Gegenwart als auch in der G<strong>es</strong>chichte.<br />

<strong>Bildpunkt</strong>: Befreiungswissen ist demnach also nicht nur ein Wissen,<br />

das <strong>die</strong> b<strong>es</strong>tehenden Verhältnisse reflektieren, sondern sie<br />

auch verändern will und zwar aus einer konkreten g<strong>es</strong>ellschaftlichen<br />

Situation heraus. Charlotte, du unterricht<strong>es</strong>t Wissensmanagement<br />

an der Fachhochschule für Wissensmanagement (FH) und<br />

hast dich mit Systemen d<strong>es</strong> Wissens in Ausstellungen und Archiven<br />

auseinanderg<strong>es</strong>etzt. Was ist aus deiner Sicht „alternativ<strong>es</strong> Wissen“?<br />

C. M.-T.: Ich möchte gleich <strong>die</strong> Logik der Kapitalverwertung aufgreifen,<br />

denn <strong>die</strong> Diskurse an der Fachhochschule folgen einzig<br />

und allein di<strong>es</strong>er Logik. Die dortige Wissensvermittlung <strong>die</strong>nt<br />

ausschließlich der Effektivitätssteigerung d<strong>es</strong> Betrieb<strong>es</strong>, <strong>es</strong> geht<br />

nicht um Fragen verschiedener SprecherInnenpositionen, sondern<br />

um das Abrufen scheinbar objektiven Wissens aus Datenbanken.<br />

In einem solchen institutionellen Rahmen wird <strong>die</strong> Frage nach dem


Widerstand. Macht. Wissen. 11<br />

Zustandekommen und der g<strong>es</strong>ellschaftlichen Eingebundenheit von<br />

Wissen überhaupt nicht verstanden: Es ist kein Problem, dort über<br />

<strong>die</strong> Institution Museum und <strong>die</strong> darin stattfindende Wissensproduktion<br />

zu sprechen. Versucht man aber, di<strong>es</strong>e Reflexion über <strong>die</strong><br />

Herstellung von Wissen auf <strong>die</strong> Institution FH oder <strong>die</strong> Arbeitgeber<br />

der StudentInnen – zumeist aus dem Profit-Bereich – zu übertragen,<br />

stößt man sofort auf Widerstände.<br />

<strong>Bildpunkt</strong>: Solche Konfrontationen<br />

mit den hegemonialen<br />

Institutionen oder auch den<br />

Apparaten der Werteko<strong>die</strong>rung<br />

gibt <strong>es</strong> ja auch im künstlerischen<br />

und musealen Feld. Wie<br />

wird deiner Meinung nach hier<br />

Wissen wahr gemacht?<br />

C. M.-T.: Die Produktion von<br />

Wahrheiten findet schrittweise<br />

statt. Zuerst gibt <strong>es</strong> da <strong>die</strong> Institution<br />

Museum, <strong>die</strong> einen Rahmen<br />

vorgibt und dadurch bereits eine vermeintlich unhintergehbare<br />

Autorität ausstrahlt. Hinzu kommen Systematisierungen und<br />

Klassifizierungen, <strong>die</strong> in Archiven vorgenommen werden. Und<br />

schließlich sind <strong>die</strong> Objekte einer Ausstellung selbst natürlich<br />

sehr verführerische Komponenten der Wahrheitsproduktion, <strong>weil</strong><br />

sie gewissermaßen eine „materielle Zeugenschaft“ ablegen. Wenn<br />

erst einmal entschieden ist, was wie und in welchem Kontext gezeigt<br />

wird, trägt <strong>die</strong> Anonymität der Institution zur Produktion<br />

von Wahrheit bei, <strong>die</strong> sich beispielsweise in nicht namentlich<br />

gekennzeichneten und damit Objektivität suggerierenden Ausstellungstexten<br />

äußert. Eine b<strong>es</strong>ondere Form nehmen in der<br />

Wahrheitsproduktion zudem so genannte realistische Ausstellungsinszenierungen<br />

ein, in denen über <strong>die</strong> möglichst „wirklichkeitsgetreue“<br />

Darstellung g<strong>es</strong>chichtlicher Sachverhalte ein<br />

komplex<strong>es</strong> Bild vermittelt werden soll, ohne dass aber subjektive<br />

Herangehensweisen und objektive Auslassungen, Lücken und<br />

Brüche thematisiert würden.<br />

<strong>Bildpunkt</strong>: Ihr habt verschiedene Aspekte d<strong>es</strong> Herrschaftswissens<br />

erwähnt, in Form der neoliberalen Umstrukturierung d<strong>es</strong> Bildungssystems<br />

oder als normative Kraft von Ausstellungen. Es<br />

stellt sich daran anschließend <strong>die</strong> Frage, ob <strong>es</strong> nicht auch Potenziale<br />

für das so genannte Befreiungswissen im Museum und im<br />

Ausstellungskontext gibt und falls ja, welche.<br />

E. E.: Im Prinzip glaube ich schon, dass <strong>es</strong> solche Potenziale gibt.<br />

Natürlich gibt <strong>es</strong> da viele Fragen. Wie wird das Wissen produziert,<br />

vom wem und wem <strong>die</strong>nt <strong>es</strong>? Inwiefern werden Rahmenbedingungen,<br />

Repräsentation und Ökonomie mitkommuniziert und gedacht?<br />

Werden <strong>die</strong> B<strong>es</strong>ucherInnen als politische Subjekte ang<strong>es</strong>prochen?<br />

Welche Räume und Öffentlichkeiten werden produziert, usw.?<br />

Was den Ausstellungsbereich betrifft, gibt <strong>es</strong> jedenfalls noch genug<br />

marginalisiert<strong>es</strong> Wissen, das aus dem allgemeinen Kanon<br />

ausgeklammert wird.<br />

C. M.-T.: Die Wehrmachtsausstellung ist aus meiner Sicht ein<br />

gut<strong>es</strong> Beispiel für eine Ausstellung, der <strong>es</strong> gelungen ist, in das<br />

kollektive Gedächtnis einzugreifen. Hier wurde <strong>es</strong> tatsächlich<br />

bewerkstelligt, das Kanonwissen zu verschieben und <strong>die</strong> Vergangenheitsnarrationen<br />

über <strong>die</strong> Nazi-Zeit in Österreich zu verändern.<br />

Über <strong>die</strong> Vermittlungsarbeit lassen sich sicherlich auch neue<br />

Wissensformen platzieren.<br />

<strong>Bildpunkt</strong>: Ihr seid ja beide auch als Lehrende und Wissensvermittlerinnen<br />

tätig, mit welchen Erfahrungen seid ihr in Bezug auf<br />

<strong>die</strong> Vermittlung von Wissen konfrontiert?<br />

C. M.-T.: Ich möchte dabei zunächst unterscheiden zwischen institutioneller<br />

und nicht-institutioneller Arbeit. Vor allem in der<br />

nicht-institutionellen Arbeit, <strong>die</strong> sich nicht erst am starken<br />

Rahmen der Institution abarbeiten muss, sehe ich durchaus<br />

Möglichkeiten, kritische Wissensvermittlung zu betreiben. In<br />

meiner Arbeit mit Jugendlichen beispielsweise geht <strong>es</strong> darum,<br />

auch strukturelle – g<strong>es</strong>ellschaftliche und politische – Rahmenbedingen<br />

zu diskutieren und als veränderliche wahrnehmbar zu <strong>machen</strong>.<br />

Es geht darum zu zeigen, dass mächtige Diskurse zwar<br />

mächtig sind, dass <strong>es</strong> aber auch möglich ist, eine eigene Position<br />

ihnen gegenüber zu entwickeln und als Akteur oder Akteurin in<br />

sie einzugreifen.<br />

E. E.: Nach der Einführung d<strong>es</strong> Universitätsg<strong>es</strong>etz<strong>es</strong> 2002 habe<br />

ich angefangen bei der Manoa Free University mitzuarbeiten, <strong>weil</strong><br />

<strong>es</strong> notwendig schien, autonome Strukturen zu schaffen. Sobald<br />

man sagt, man macht eine Uni selbst und arbeitet mit Wissen,<br />

beginnt ein Proz<strong>es</strong>s der Auseinandersetzung darüber. In di<strong>es</strong>em<br />

Rahmen sind einige kollektive Projekte entstanden. Mittler<strong>weil</strong>e<br />

sind wir UntermieterInnen in einem leer stehenden Gebäude ein<strong>es</strong><br />

Universitätscampus, das <strong>die</strong> Uni für <strong>die</strong> Lukrierung von Drittmitteln<br />

weitervermietet. Eine absurde Situation, <strong>weil</strong> wir somit<br />

mittendrin sind in den Proz<strong>es</strong>sen der Ökonomisierung. Im Moment<br />

ist <strong>die</strong> MFU allerdings „out of busin<strong>es</strong>s“.<br />

<strong>Bildpunkt</strong>: Der Titel Widerstand. Macht. Wissen verbindet nicht


| ) );|(| punkt<br />

Ein Video über Fr@uengruppen in Österreich von Sabrina Kern, 2007, mehr demnächst. An di<strong>es</strong>er Stelle noch einen herzlichen Dank an <strong>die</strong> libertären Donauländen-Linux-Nerds!<br />

12<br />

nur drei Themen, sondern stellt auch – wird „macht“ als Verb gel<strong>es</strong>en<br />

– eine Behauptung auf: Die alt-sozialistische Vorstellung,<br />

dass Wissen oder Bildung zu Widerstand führt, wird umgedreht<br />

und <strong>es</strong> wird behauptet, dass widerständige Praktiken selbst neue <strong>Bildpunkt</strong>: Innerhalb der postkolonialen Theorie gibt <strong>es</strong> <strong>die</strong> Idee<br />

Wissensformen produzieren. Stimmt ihr dem zu?<br />

E. E.: Ich denke, <strong>es</strong> stimmt beid<strong>es</strong>. Erster<strong>es</strong> ist auch logisch, da <strong>es</strong><br />

<strong>die</strong> Entwicklung ein<strong>es</strong> kritischen Bewusstseins braucht, um handlungsfähig<br />

und widerständig zu sein, und das finde ich gar nicht<br />

so „alt-sozialistisch“. Ich denke andererseits aber auch, dass in<br />

den Kämpfen verschiedener sozialer Bewegungen Erfahrungen<br />

gemacht werden, <strong>die</strong> wiederum neu<strong>es</strong> „alternativ<strong>es</strong> Wissen“ produzieren.<br />

Und di<strong>es</strong> passiert durch kollektive Erfahrungen und<br />

nicht durch ExpertInnenwissen.<br />

C. M.-T.: In unserer Arbeit mit einer Klasse der Handelsakademie<br />

in Lambach OÖ zum Thema „Kriegerdenkmäler“ haben wir <strong>die</strong> Erfahrung<br />

gemacht, dass <strong>die</strong> SchülerInnen durch ihre eigene Praxis<br />

zu neuem Wissen gelangt sind: Mit der Aufgabe betraut, in den<br />

Archiven zu den Denkmälern zu forschen, sind sie auf dermaßen<br />

viele Schwierigkeiten und Widerstände g<strong>es</strong>toßen, dass sie selbst<br />

erfahren konnten, dass <strong>es</strong> mit di<strong>es</strong>em Thema in Österreich offensichtlich<br />

ein Problem gibt. Di<strong>es</strong>e Art d<strong>es</strong> Wissenserwerbs, der auf<br />

konkreten Erfahrungen fußt, funktioniert ganz anders, als wenn<br />

wir ihnen nur von der Problematik erzählt hätten.<br />

d<strong>es</strong> „Verlernens“ von b<strong>es</strong>timmtem, unterdrückerischem Wissen.<br />

Welch<strong>es</strong> Wissen müsste eurer Ansicht nach ver-lernt werden?<br />

E. E.: „Geht’s der <strong>Wir</strong>tschaft gut, geht’s uns allen gut“ – <strong>es</strong> gibt<br />

eine Menge von Problemfeldern, <strong>die</strong> anders verhandelt werden<br />

müssten. So beispielsweise auch das Wissen um Heimat und<br />

Staatsbürgerschaft.<br />

C. M.-T.: Mir scheint <strong>es</strong> ein ziemlich hoher Anspruch zu sein,<br />

Wissen wirklich verlernen zu wollen. Mir geht <strong>es</strong> eher darum, einen<br />

reflektierten Umgang damit zu finden und <strong>es</strong> neu und anders<br />

zu definieren. ●<br />

Das G<strong>es</strong>präch fand am 10. August 2007 in Wien statt, wurde von<br />

Nora Sternfeld und Jens Kastner geführt und in Absprache mit<br />

den Teilnehmerinnen gekürzt und überarbeitet.<br />

Eva Egermann ist bildende Künstlerin und lebt in Wien.<br />

Charlotte Martinz-Turek ist Kulturwissenschafterin, <strong>Kunst</strong>- und<br />

Kulturvermittlern und lebt in Wien.


Kulturpolitik 13<br />

Get together<br />

Vernetzung kunst- und kulturschaffender Frauen in Wien Carla Knapp<br />

❚ <strong>Wir</strong> bauen gerade ein wien-weit<strong>es</strong> Netzwerk<br />

von Künstlerinnen und kulturschaffenden<br />

Frauen auf und laden alle Inter<strong>es</strong>sierte<br />

herzlich ein zu unseren ersten beiden Treffen<br />

im Herbst. Ausgangspunkt di<strong>es</strong>er Künstlerinnen-Vernetzung<br />

war das Projekt im Rahmen<br />

d<strong>es</strong> F<strong>es</strong>tivals Soho in Ottakring 2007: Vernetzungs-Plattform<br />

für kunst- und kulturschaffende<br />

Frauen im 16. Bezirk.<br />

Die Idee war, während d<strong>es</strong> F<strong>es</strong>tivals ein<br />

„Caféhaus“ in einem Atelier der Friedmanngasse<br />

einzurichten, das den Künstlerinnen in<br />

Ottakring <strong>die</strong> Möglichkeit bietet, sich in angenehmer<br />

Atmosphäre und bei einer Tasse<br />

Kaffee <strong>die</strong> Ausstellungen im Atelier anzusehen<br />

und mit anderen <strong>Kunst</strong>schaffenden ins<br />

G<strong>es</strong>präch zu kommen. Künstlerinnen aus<br />

den unterschiedlichsten Bereichen sollten<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit haben, über persönliche,<br />

politische, künstlerische wie strukturelle Anliegen<br />

zu sprechen. Zum Abschluss gab <strong>es</strong><br />

eine offen moderierte Diskussionsrunde. Es<br />

zeigte sich, dass <strong>die</strong> anw<strong>es</strong>enden Künstlerinnen<br />

groß<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se hatten, andere <strong>Kunst</strong>schaffende<br />

kennen zu lernen, Informationen<br />

auszutauschen, Tauschg<strong>es</strong>chäfte und Netzwerke<br />

zu entwickeln. Es waren auch Künstlerinnen<br />

aus anderen Bezirken anw<strong>es</strong>end, so<br />

dass wir b<strong>es</strong>chlossen, <strong>die</strong> Vernetzungs-Initiative<br />

auf ganz Wien auszuweiten. Einige berichteten<br />

von früheren Vernetzungs-Modellen<br />

unter <strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffenden<br />

während Soho in Ottaktring, in den Bund<strong>es</strong>ländern<br />

und in Wien.<br />

Fast einig waren sich <strong>die</strong> Frauen darin, dass<br />

viele solcher Initiativen oft mangels Zeit für<br />

<strong>die</strong> notwendige Organisation nicht mehr<br />

weiter b<strong>es</strong>tehen. Gerade weibliche <strong>Kunst</strong>und<br />

Kulturschaffende leben häufig in<br />

prekären Lebensverhältnissen und müssen<br />

„Lohnarbeiten“, um sich das Leben und ihre<br />

künstlerische Arbeit finanzieren zu können.<br />

Oft sind sie auch zusätzlich durch Kinderbetreuung<br />

zeitlich weiter eing<strong>es</strong>chränkt. Da<br />

das „<strong>Kunst</strong>-Schaffen“ für viele oft ein sehr<br />

einsam<strong>es</strong> und zurückgezogen<strong>es</strong> Arbeiten bedeutet,<br />

äußerten viele den Wunsch, sich im<br />

Herbst wieder zu treffen. Sonja Russ von der<br />

Rema Print und ich erklärten uns bereit, <strong>die</strong><br />

nächsten beiden Treffen zu organisieren. Für<br />

den ersten Abend am 20. September 2007<br />

haben wir Gabriele Gerbasits (G<strong>es</strong>chäftsführerin<br />

der IG Kultur Österreich) eingeladen,<br />

<strong>die</strong> über <strong>die</strong> derzeitigen Fördermöglichkeiten<br />

für <strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffende in Österreich<br />

referieren wird. Am 20. November 2007<br />

wird Daniela Koweindl (IG Bildende <strong>Kunst</strong>)<br />

über b<strong>es</strong>tehende Möglichkeiten sozialer Ab-<br />

sicherung für Künstlerinnen berichten sowie<br />

zu aktuellen Debatten um Alternativen und<br />

Perspektiven rund um soziale Rechte.<br />

Alle kunst- und kulturschaffenden Frauen<br />

sind zu di<strong>es</strong>en ersten beiden Themenabenden<br />

im Herbst 2007 herzlich eingeladen. Im<br />

Anschluss an <strong>die</strong> Referate ist Zeit für persönliche<br />

Fragen, Austausch und Kennenlernen.<br />

Der Eintritt ist frei. <strong>Wir</strong> freuen uns auf<br />

Euer Kommen! ●<br />

Carla Knapp ist Filmemacherin und<br />

entwickelt kunstpolitische Projekte.<br />

Terminhinweis:<br />

Do, 22. November 2007, 19h<br />

Sozialversicherung für Künstlerinnen<br />

Allgemeine Infos und Aktuell<strong>es</strong> zur<br />

bevorstehenden G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>novelle<br />

Ort: 1160 Wien, Friedmanngasse 36<br />

(im Hinterhof, Aufgang: Atelier Zwettler)<br />

Erreichbar mit U6/J/46.


14 Kulturpolitik<br />

Reförmchen in Sicht?<br />

Kulturministerin Schmied und <strong>die</strong> Künstlersozialversicherungsfondsg<strong>es</strong>etz-Novelle Daniela Koweindl<br />

❚ Über zwei Jahre ist <strong>es</strong> her, seit der Künstlersozialversicherungsfonds<br />

(KSVF) erste<br />

Rückzahlungsforderungen ausg<strong>es</strong>prochen hat,<br />

um KünstlerInnen längst bezogene Zuschüsse<br />

wieder streitig zu <strong>machen</strong>. Neun Monate<br />

ist <strong>es</strong> her, seit Kulturministerin Claudia<br />

Schmied eine G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>novelle angekündigt<br />

hat, um Sofortmaßnahmen gegen di<strong>es</strong>e widersinnige<br />

Rechtslage zu setzen. Doch was<br />

ist daraus geworden? Was wird in Zukunft<br />

anders werden? <strong>Wir</strong>d etwas anders werden?<br />

Zwei Ereignisse zu Jahr<strong>es</strong>beginn ließen in<br />

Bezug auf das KSVF-Debakel aufhorchen. Am<br />

9. Jänner erschien eine parlamentarische Anfragebeantwortung,<br />

<strong>die</strong> Aufschluss über Details<br />

zu den KSVF-Rückzahlungsforderungen<br />

gab. G<strong>es</strong>amtausmaß: 4 515 170,30 Euro. Bis<br />

zu 1 489 KünstlerInnen jährlich sind betroffen.<br />

Mehr als zwei Drittel davon, <strong>weil</strong> sie das im<br />

KSVF-G<strong>es</strong>etz vorg<strong>es</strong>chriebene Mind<strong>es</strong>teinkommen<br />

aus künstlerischer Tätigkeit wider<br />

Erwarten nicht erreichten. Soweit das Ergebnis<br />

aufgrund der zu di<strong>es</strong>em Zeitpunkt vorgelegenen<br />

Einkommensdaten für <strong>die</strong> Jahre 2001<br />

bis 2005. Doch <strong>es</strong> lagen noch nicht alle Daten<br />

vor. Eine halbe Million Euro hatten KünstlerInnen<br />

damals bereits zurückgezahlt. Die<br />

r<strong>es</strong>tlichen vier Millionen waren noch offen.<br />

Zwei Tage nach di<strong>es</strong>er Anfragebeantwortung<br />

war SchwarzBlau endgültig Vergangenheit<br />

und <strong>die</strong> Rede vom KSVF als „Erfolgsg<strong>es</strong>chichte“<br />

nicht mehr Teil der offiziellen Regierungspolitik.<br />

Claudia Schmied trat als<br />

neue Kulturministerin auf den Plan, bezeichnete<br />

<strong>die</strong> durch das KSVF-G<strong>es</strong>etz verursachte<br />

Situation als untragbar und plä<strong>die</strong>rte – entsprechend<br />

der lang gehegten SPÖ-Position<br />

– für eine Abschaffung der Mind<strong>es</strong>teineinkommensgrenze<br />

aus künstlerischer Tätigkeit<br />

als Zuschussvoraussetzung. Seither wird den<br />

Inter<strong>es</strong>senvertretungen regelmäßig versichert,<br />

dass eine G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>novelle notwendig<br />

ist. Und zwar dringend. Die Inter<strong>es</strong>senvertretungen<br />

wissen das, schließlich stellen sie<br />

seit Jahren ebendi<strong>es</strong>e Forderung. Gut, dass<br />

auch <strong>die</strong> Ministerin den Handlungsbedarf<br />

erkennt. Einen Forderungskatalog mit Sofortmaßnahmen<br />

haben <strong>die</strong> Inter<strong>es</strong>senvertretungen<br />

längst ausgearbeitet, bleibt nur noch,<br />

di<strong>es</strong>en endlich umzusetzen. Umso b<strong>es</strong>ser, dass<br />

<strong>die</strong> Ministerin <strong>die</strong> wichtigsten Forderungen<br />

daraus auch zu ihren Anliegen erklärt.<br />

Monate vergehen. Nach den anfangs großen<br />

Zug<strong>es</strong>tändnissen sinken im Hause Schmied<br />

<strong>die</strong> Vorhaben auf Kellerniveau. Ende Juni<br />

findet <strong>die</strong> Ministerin Zeit für ein G<strong>es</strong>präch:<br />

knapp 2 Stunden für den Kulturrat Österreich<br />

(Zusammenschluss von 14 Inter<strong>es</strong>senvertretungen).<br />

Abschaffung der im KSVF-G<strong>es</strong>etz<br />

geforderten Mind<strong>es</strong>teinkommensgrenze?<br />

Kein Thema mehr. Abschaffung von Rückzahlungen?<br />

Auch längst abgehakt, ein paar<br />

Ausnahmeregelungen müssen reichen. Ausweitung<br />

der Zuschüsse auf Kranken- und<br />

Unfallversicherung? Nicht mit di<strong>es</strong>er Novelle.<br />

Dass aber eine übernächste G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>änderung<br />

in absehbarer Zeit ganz und gar unrealistisch<br />

ist, gibt auch <strong>die</strong> Kulturministerin zu.<br />

Dass sie selbst wenige Monate zuvor noch<br />

ganz andere Vorhaben verkündete, entlockte<br />

Schmied ein lapidar<strong>es</strong> „ja, ich weiß“. Nach<br />

dem Sommer, so hieß <strong>es</strong> nun, soll ein G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>entwurf<br />

zur Begutachtung vorliegen.<br />

Bis zum Redaktionsschluss lag nichts vor.<br />

Nichts Neu<strong>es</strong> ist in Sicht. Nur das vorsichtige<br />

Aufatmen im <strong>Kunst</strong>- und Kulturbereich nach<br />

sieben Jahren d<strong>es</strong>aströser Kulturpolitik<br />

scheint vorüber. Lange hat <strong>es</strong> nicht gedauert,<br />

bis SPÖ-Forderungen aus Oppositionstagen<br />

keine Gültigkeit mehr hatten. Und schnell hat<br />

auch <strong>die</strong> Neo-Ministerin <strong>die</strong> (Gusenbauer-)<br />

Traditionen der leeren Worte übernommen.<br />

Willkommen im Club der roten Dichter. ●<br />

Daniela Koweindl ist kulturpolitische Sprecherin<br />

der IG Bildende <strong>Kunst</strong> und im Vorstand<br />

d<strong>es</strong> Kulturrat Österreich aktiv.


IG Bildende kunst intern 15<br />

Was von Morak blieb: <strong>Kunst</strong>bericht 2006<br />

❚ von Martin Krenn<br />

<strong>Kunst</strong>ministerin Claudia Schmied (SPÖ) hat am 11. Juli<br />

im Ministerrat den <strong>Kunst</strong>bericht 2006 präsentiert.<br />

2006 wurden allerdings <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong>förderungen d<strong>es</strong><br />

Bund<strong>es</strong> noch unter <strong>Kunst</strong>staatssekretär Morak bzw.<br />

<strong>Kunst</strong>kanzler Schüssel getätigt, w<strong>es</strong>halb Claudia<br />

Schmid auch betonte: „Eine Kommentierung der vorliegenden<br />

Zahlen nehme ich in di<strong>es</strong>em Bericht nicht<br />

vor, da sie nicht meine Arbeit darstellen.“<br />

Sehr wohl kommentiert und zwar durchwegs negativ<br />

wurde der Bericht allerdings von verschiedenen Inter<strong>es</strong>sensvertretungen.<br />

Der <strong>Kunst</strong>bericht 2006 zeigt<br />

auf, wie sich konservative Kulturpolitik nach sieben<br />

Jahren in Zahlen ausdrückt. Ein Pr<strong>es</strong>tigeprojekt, wie<br />

<strong>die</strong> Ausstellung Sculptural Architecture in Austria in<br />

Peking und Guangzhou wurde mit 526 800 Euro unverhältnismäßig<br />

hoch gefördert. Einsparungen gab<br />

<strong>es</strong> dafür bei Personenförderungen: in der bildenden<br />

<strong>Kunst</strong> 12% weniger Geld als im Vorjahr. Die massivste<br />

Kürzung in der bildenden <strong>Kunst</strong> (minus 52,1%) erfolgte<br />

bei den Ausgaben für Staats-, Arbeits- und<br />

Projektstipen<strong>die</strong>n, sodass 2006 nur noch 173 900 Euro<br />

zur Verfügung standen.<br />

Was passiert, wenn unter rechts-konservativer <strong>Kunst</strong>kanzlerschaft<br />

sieben Jahre Kulturpolitik gemacht<br />

wird? Ich erinnere mich an ein Fernsehinterview mit<br />

Kanzler Schüssel im Jahr 2000, in dem er betont gelassen<br />

versicherte, <strong>die</strong> KünstlerInnen bräuchten trotz<br />

der Koalition mit der FPÖ keine Angst zu haben, niemand<br />

würde verfolgt werden. Tatsächlich ist mein<strong>es</strong><br />

Wissens niemand aufgrund seiner/ihrer künstlerischen<br />

Praxis von der Regierung verfolgt worden, allerdings<br />

haben viele aufgehört als KünstlerInnen zu<br />

arbeiten. Beträchtliche Rückzahlungsforderungen d<strong>es</strong><br />

Künstlersozialversicherungsfonds, zum wiederholten<br />

Mal mit einem Projektansuchen abgelehnt, Energie<br />

raubende Nebenjobs, steigende Mieten usw. führen<br />

schnell einmal zu einer längeren bis anhaltenden<br />

„Zwangspause“, da man sich den „Luxus“ <strong>Kunst</strong> zu<br />

<strong>machen</strong> schlichtweg nicht mehr leisten kann.<br />

Vielleicht dachte Schüssel damals vielmehr daran,<br />

dass <strong>die</strong> Regierung eigentlich Angst vor den KünstlerInnen<br />

hatte. Denn Förderungen für kritische bzw.<br />

unbequeme <strong>Kunst</strong> wurden systematisch gekürzt, regierungskritische<br />

<strong>Kunst</strong>- und Kulturinstitutionen<br />

durch Subventionseinsparungen ausgehungert und<br />

letztlich wurde durch das neue Fremdenrecht KünstlerInnen<br />

aus Nicht-EU/EWR-Ländern seit 2006 de<br />

facto <strong>die</strong> Niederlassung in Österreich verweigert.<br />

Der <strong>Kunst</strong>bericht 2006 ist auch ein Art Abschlusszeugnis.<br />

Der Bericht drückt in Budgetzahlen <strong>die</strong><br />

F<strong>es</strong>tivalisierung von zeitgenössischer <strong>Kunst</strong> bei<br />

gleichzeitiger Ausschaltung oppositioneller Initiativen<br />

aus. Di<strong>es</strong>er Kulturpolitik muss ein Ende g<strong>es</strong>etzt werden.<br />

Die IG Bildende <strong>Kunst</strong> erwartet von Bund<strong>es</strong>ministerin<br />

Schmied starke Impulse für eine zukunftsweisende<br />

Kultur- und Förderpolitik, eine Absage an<br />

konservative Eventkulturpolitik und stattd<strong>es</strong>sen finanzielle<br />

Rahmenbedingungen, <strong>die</strong> auch unbequeme<br />

nichtkommerzielle <strong>Kunst</strong>- und Kulturproduktion möglich<br />

<strong>machen</strong>.<br />

! Martin Krenn ist Vorsitzender der IG Bildende <strong>Kunst</strong>.<br />

●<br />

Ausstellungsprogramm 2008 Der Galerie Ig<br />

Bildende <strong>Kunst</strong>: Ausgewählte Projekte<br />

❚ Die IG Bildende <strong>Kunst</strong> hat eingeladen, Konzepte für<br />

das Ausstellungsprogramm 2007 einzureichen. Folgende<br />

Projekte hat der Vorstand der IG Bildende<br />

<strong>Kunst</strong> zur Realisierung ausgewählt:<br />

❚ Sexfli<strong>es</strong><br />

! Kuratiert von Gaby Bila-Günther.<br />

! Mit Bildern, Texten, Installationen und (Musik)-<br />

Performanc<strong>es</strong> behandelt das Projekt Lust, Sex und<br />

Erotik aus weiblicher Perspektive. Ziel der Ausstellung<br />

ist <strong>es</strong> nicht, Frauen auf sexuelle Objekte zu reduzieren,<br />

sondern ihre geballte sexuelle Energie und<br />

Freiheit sowie ihre Obs<strong>es</strong>sionen, Fetische, Fantasien,<br />

Tabus und Träume in Form von künstlerischen Beiträgen<br />

öffentlich zu diskutieren. Lady Gaby, als radikale<br />

Performerin auf <strong>Kunst</strong>- und Kulturf<strong>es</strong>tivals in ganz<br />

Europa zu Hause, verwandelt den Galerieraum in einen<br />

Erotiksalon, in dem Frauenbilder, sexuelle Erfahrungen<br />

und Konf<strong>es</strong>sionen illustriert werden sollen.<br />

❚ Nichtstun – Widerstand dafür dagegen<br />

(Arbeitstitel)<br />

! Kuratiert von Claudia Burbaum, Gabi Kellermann,<br />

Jan Sauerwald.<br />

! Nichtstun wird zumeist definiert als Nicht-Arbeiten.<br />

Das Projekt will jedoch über <strong>die</strong> ersten Assoziationen<br />

wie Entspannung, Lange<strong>weil</strong>e, Genuss, Freizeit,<br />

Müßiggang, Entschleunigung, Faulsein, Ruhe oder<br />

Sinnieren hinausgehen und rückt Formen d<strong>es</strong> widerständigen<br />

Nichtstuns und d<strong>es</strong> Widerstands gegen erzwungen<strong>es</strong><br />

Nichtstun in den Vordergrund – Nichtstun<br />

als aktiv<strong>es</strong> Unterlassen, als Verweigerung, stille Renitenz,<br />

Streik oder Prot<strong>es</strong>t. Ein Ziel ist <strong>die</strong> Umwertung<br />

von Nichtstun als Nicht-Arbeit hin zu einer differenzierten<br />

Bedeutung, <strong>die</strong> das widerständige Potential<br />

d<strong>es</strong> Nichtstuns mit einschließt.<br />

❚ nicht all<strong>es</strong> tun. Ziviler und sozialer Ungehorsam<br />

! Kuratiert von Jens Kastner und Bettina Spörr.<br />

! „… wenn aber das G<strong>es</strong>etz so b<strong>es</strong>chaffen ist, dass<br />

<strong>es</strong> notwendigerweise aus dir den Arm d<strong>es</strong> Unrechts<br />

an einem anderen macht, dann, sage ich, brich das<br />

G<strong>es</strong>etz.“ Die kurze Schrift Über <strong>die</strong> Pflicht zum Ungehorsam<br />

gegen den Staat (1849) von Henry David<br />

Thoreau gehört zu den einflussreichsten Texten sozialer<br />

Bewegungen d<strong>es</strong> 20. Jahrhunderts. Die darin<br />

formulierte Aufforderung zum G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>bruch wurde<br />

zum Kern zivilen Ungehorsams. Wenn auch in Zeiten<br />

der gouvernementalen Regime heute weniger der<br />

Staat als klar auszu<strong>machen</strong>der Gegner angegriffen<br />

wird, so existieren gegenwärtig – von illegalen Grenzübertritten<br />

bis zum Netzaktivismus – doch eine Vielzahl<br />

unterschiedlichster Formen und Praktiken zivilen<br />

(oder sozialen) Ungehorsams. Das Projekt untersucht<br />

zivilen Ungehorsam an den Schnittstellen und Überlappungen<br />

zwischen künstlerischer Produktion und<br />

sozialen Bewegungen.<br />

❚ Ausführlichere Information, Termine und Vorschau<br />

auf das g<strong>es</strong>amte Ausstellungsprogramm 2008 in Kürze<br />

unter www.igbildendekunst.at.<br />

●<br />

Neue Mitglieder<br />

❚ <strong>Wir</strong> begrüßen unsere neuen Mitglieder<br />

Ulli Baumgartner, Carmen-Maria Carmona-Fernández,<br />

Cem Firat, Nora Hofbauer, Bernd Koller, Karl Krachler,<br />

Herbert Lacina, Martina Lehner, Nina Levett, Birgitta<br />

Merl, Louise Prinz, Gabriele Schwaiger, Sabina<br />

Überall, Flora Watzal, Julia Willms.<br />

! IG Bildende <strong>Kunst</strong> – Die Inter<strong>es</strong>senvertretung der<br />

bildenden KünstlerInnen. Solidarisieren, Mitglied<br />

werden, Vorteile genießen. Jahr<strong>es</strong>beitrag ¤ 69,<br />

Stu<strong>die</strong>rende zahlen <strong>die</strong> Hälfte. Info unter<br />

www.igbildendekunst.at.<br />


18 Termine<br />

Ausstellungen in der Galerie<br />

IG Bildende <strong>Kunst</strong> Gumpendorfer Straße 10–12,<br />

1060 Wien; Öffnungszeiten: Di–Fr 13–18h<br />

❚ Friends, Fo<strong>es</strong> and Collaborators<br />

20. 9. – 9. 11. 2007<br />

! KünstlerInnen: Eva Brunner-Szabo, Andrea Faciu,<br />

Gregor Graf, Ciprian Mur<strong>es</strong>an, Pia Schauenburg, Peter<br />

Szabo.<br />

! Kuratiert von Attila Tordai-S. und Dagmar Höss.<br />

! Zum dritten Mal findet unter der Programmschiene<br />

„here and there“ eine internationale Kooperation<br />

statt, di<strong>es</strong>mal mit Studio Protokoll in Cluj, Rumänien.<br />

Wie in den vergangenen Jahren basiert di<strong>es</strong>e Kooperation<br />

darauf, nachhaltig institutionellen, kuratorischen<br />

sowie künstlerischen Austausch über nationale<br />

Grenzen hinweg zu ermöglichen. Di<strong>es</strong>e Ausstellung<br />

steht am Beginn d<strong>es</strong> Projekt<strong>es</strong> und wird mit einer gemeinsamen<br />

Präsentation in Rumänien abg<strong>es</strong>chlossen.<br />

Die Begriffe Freund und Feind haben unter den Vorzeichen<br />

der globalen Entwicklungen seit dem Ende<br />

d<strong>es</strong> „Kalten Krieg<strong>es</strong>“ eine neue Aktualität gewonnen:<br />

Durch <strong>die</strong> Erosion der ökonomischen Basis vieler w<strong>es</strong>tlicher<br />

Nationen, steht das Sozialstaatsmodell infrage<br />

und <strong>die</strong> Angst vor dem Verlust d<strong>es</strong> Wohlstand<strong>es</strong> kreiert<br />

immer neue Feindbilder. Das Projekt b<strong>es</strong>chäftigt<br />

sich mit der Konstruktion d<strong>es</strong> Freund- und Feindbild<strong>es</strong><br />

und den Kollaborateuren, <strong>die</strong> mit ihrer „Zusammenarbeit<br />

mit dem Gegner“ selber zum Feind werden.<br />

❚ Ausstellungen der Mitglieder der IG Bildende <strong>Kunst</strong><br />

siehe www.igbildendekunst.at/show.<br />

●<br />

Strategien Sozialer Absicherung Workshop<br />

! Freitag, 28. 9. 2007, 17–21h<br />

IG Bildende <strong>Kunst</strong>, 1060 Wien, Gumpendorfer Str. 10–12<br />

! Die soziale Lage von – bei weitem nicht nur –<br />

KünstlerInnen ist prekär, soziale und ökonomische<br />

Absicherung unzureichend bis nicht vorhanden. Doch<br />

welche Möglichkeiten gibt <strong>es</strong>, prekären Lebens- und<br />

Arbeitsbedingungen zu entkommen bzw. sich dagegen<br />

zur Wehr zu setzen? Im Workshop sollen individuelle<br />

und kollektive Strategien sowie mögliche gemeinsame<br />

Aktivitäten (aktuell insb<strong>es</strong>ondere in<br />

Hinblick auf <strong>die</strong> bevorstehende Novelle d<strong>es</strong> Künstlersozialversicherungsfondsg<strong>es</strong>etzt<strong>es</strong>)<br />

erörtert werden.<br />

Bei Inter<strong>es</strong>se ist eine Fortsetzung (z.B. Einrichtung<br />

ein<strong>es</strong> Arbeitskreis<strong>es</strong>) geplant.<br />

! Inputs und Moderation: Daniela Koweindl,<br />

Andrea Salzmann<br />

! Rückfragen: Daniela Koweindl<br />

office@igbildendekunst.at<br />

●<br />

Get Together<br />

Netzwerk <strong>Kunst</strong> Kultur Frauen Wien<br />

❚ Ein Wien-weit<strong>es</strong> Netzwerk von Künstlerinnen und<br />

kulturschaffenden Frauen befindet sich im Aufbau.<br />

Alle inter<strong>es</strong>sierten Frauen aus dem <strong>Kunst</strong>bereich sind<br />

herzlich eingeladen zu den Themen-Abenden. Im<br />

Anschluss an <strong>die</strong> Referate ist Zeit für persönliche<br />

Fragen, Austausch und Kennenlernen.<br />

! Donnerstag, 22. 11. 2007, 19h: Sozialversicherung<br />

für Künstlerinnen. Infos und Aktuell<strong>es</strong>. Referentin:<br />

Daniela Koweindl (IG Bildende <strong>Kunst</strong>)<br />

! 1160 Wien, Friedmanngasse 36 (im Hinterhof,<br />

Aufgang: Atelier Zwettler)<br />

●<br />

Sos Fremdenrecht Pr<strong>es</strong>seg<strong>es</strong>präch<br />

! Dienstag, 13. 11. 2007, 10h<br />

Radiocafé, 1040 Wien, Argentinierstraße 30a<br />

❚ Mit dem neuen Fremdenrecht (seit 1. 1. 2006) wurde<br />

<strong>die</strong> Niederlassungsbewilligung für KünstlerInnen,<br />

WissenschafterInnen und JournalistInnen abg<strong>es</strong>chafft,<br />

<strong>die</strong> Einreisebedingungen für TournéekünstlerInnen<br />

aus Drittländern verschärft. Die Plattform<br />

Worldmusic Austria hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet,<br />

<strong>die</strong> sich mit den Folgen der neuen Rechtslage<br />

auseinandersetzt. Beim Pr<strong>es</strong>seg<strong>es</strong>präch werden <strong>die</strong><br />

Podiumsgäste (<strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffende, Rechtsanwältin)<br />

anhand von Beispielen <strong>die</strong> Auswirkungen<br />

auf <strong>die</strong> Praxis erläutern. Worldmusic Austria fordert<br />

<strong>die</strong> sofortige Aufhebung di<strong>es</strong>er rechtlichen Diskriminierung<br />

von KollegInnen. <strong>Kunst</strong>- und Kulturschaffende<br />

sind eingeladen, am Pr<strong>es</strong>seg<strong>es</strong>präch teilzunehmen<br />

und sich di<strong>es</strong>er Forderung anzuschließen.<br />

●<br />

<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum Wien<br />

Präsentationsforum: All<strong>es</strong> PUBLICwienSpace!<br />

! Mittwoch, 24. 10. 2007, ab 18h30<br />

Wolke 7 Prekarium, Kaiserstraße 34, 1070 Wien<br />

❚ In Kooperation mit Wolke 7 und der G<strong>es</strong>prächsreihe<br />

city system/s laden wir zur Langen Videonacht der<br />

<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum Wien. Der Veranstaltung<br />

ging ein Open Call 2007 voran, der Einreichungen<br />

mit Dokumentationsvideos zu <strong>Kunst</strong>-im-öffentlichen-<br />

Raum-Projekten in Wien seit 1998 einlud. Weitere Infos<br />

und Programm unter www.publicwienspace.net<br />

und www.wolke7.at.<br />

●<br />

Aktuelle Ausschreibungen<br />

In Klammer steht je<strong>weil</strong>s der Einreichtermin. Mitglieder<br />

der IG Bildende <strong>Kunst</strong> erhalten aktuelle Ausschreibungen<br />

regelmäßig per Email im Rahmen der<br />

[Mitgliederinfo] zug<strong>es</strong>chickt.<br />

❚ Förderpreis für innovative Stadtteilkulturarbeit:<br />

Linz Kultur/4 (1. 10.)<br />

www.linz.at/kultur/kultur_linzkultur4.asp<br />

❚ <strong>Kunst</strong>wettbewerb: Paradoxien d<strong>es</strong> Öffentlichen<br />

(1. 10.) www.duisburger-akzente.de/de/<br />

wettbewerb_paradoxien.php<br />

❚ Videokunst Förderpreis Bremen (15. 10.)<br />

www.filmbuero-bremen.de/13.0.html<br />

❚ Karl Hofer Preis 2007 (15. 10.) www.udk-berlin.de<br />

❚ TKI open 08 _ Pampa (19. 10.)<br />

www.tki.at/neu<strong>es</strong>.html#1182762937<br />

❚ Call for Papers: GLBT Identity and the New Media<br />

(31. 10.) www.univie.ac.at/gender/index.php?id=18<br />

❚ Staatsstipendium Video- und Me<strong>die</strong>nkunst<br />

(31. 10.) www.bmukk.gv.at/kunst/index.xml<br />

❚ Ateliers W<strong>es</strong>tbahnstraße (1070 Wien) d<strong>es</strong><br />

BMUKK (1. 11.) www.bmukk.gv.at/kunst/index.xml<br />

❚ Staatsstipendium für künstlerische Fotografie<br />

2008 (2. 11.) www.bmukk.gv.at/kunst/index.xml<br />

❚ Anton-Faistauer-Preis für Malerei (3. 11.)<br />

www.salzburg.gv.at/themen/ks/kultur/ausschr.htm<br />

❚ Biennale der numerischen Künste (15. 11.)<br />

www.valdargent.com/artsnumconcall.htm<br />

❚ Call for Papers: Queer Studi<strong>es</strong> Easter Symposium<br />

2008 (15. 11.)<br />

www.enkidumagazine.com/eventos/qs<strong>es</strong>/intro_en.htm<br />

❚ Dachstein Cult Awards 2008 (31. 12.)<br />

www.artnetwork.at/index_de.html<br />

❚ International Artist-In-R<strong>es</strong>idence Programs<br />

(Datenbank) www.transartists.nl


Kulturpolitik<br />

19<br />

Nie wieder Ulrichsberg!<br />

Eindrücke von den Antifaschistischen Aktionstagen in Klagenfurt/Celovec 2007 Josephine Broz<br />

❚ Jed<strong>es</strong> Jahr im Herbst ist der Ulrichsberg<br />

in der Nähe von Klagenfurt/Celovec Schauplatz<br />

einer g<strong>es</strong>penstischen Veranstaltung:<br />

Mehrere Hundert Alt- und Neonazis, Burschenschafter,<br />

Mitglieder von Kameradschaftsverbänden,<br />

Landsmannschaften und<br />

deutschnationalen Heimatverbänden treffen<br />

sich hier, um ihren gefallenen „Kameraden“<br />

aus Wehrmacht und Waffen-SS zu gedenken.<br />

Seit einigen Jahren allerdings nicht<br />

mehr ung<strong>es</strong>tört – Demonstrationen, Aktionen<br />

und Recherchearbeit <strong>machen</strong> den Rechten<br />

und Rechtsextremen das Leben schwer.<br />

Viele gute Gründe dagegen zu sein<br />

Es gibt mehr als einen Grund, dem Ulrichsbergtreffen,<br />

das am Sonntag, den 16. September<br />

2007 zum 49. Mal stattfand, Widerstand<br />

entgegenzusetzen. Das Treffen steht,<br />

wie kaum eine zweite Veranstaltung, als<br />

Symbol für <strong>die</strong> Verbindung verschiedener Inhalte<br />

zum revisionistischen Kärntner Konsens:<br />

Zunächst ist <strong>die</strong> so genannte Heimkehrergedenkstätte<br />

am Ulrichsberg mit<br />

ihrem „Ehrenhain“, in dem Tafeln u.a. dem<br />

Gedenken an verschiedene Wehrmachtsund<br />

SS-Einheiten (darunter viele „Europäische<br />

Freiwillige“, also SS-Truppen aus verschiedenen<br />

europäischen Staaten), der SSärztlichen<br />

Akademie in Graz oder den Ritterkreuzträgern<br />

(höchste militärische Auszeichnung<br />

d<strong>es</strong> NS-Staat<strong>es</strong>) gewidmet sind, an<br />

sich ein skandalös<strong>es</strong> Symbol der Glorifizierung<br />

d<strong>es</strong> Nationalsozialismus. Dazu kommt<br />

das dementsprechende Publikum: Zwischen<br />

Kärntner PolitikerInnen tummeln sich Neonazis<br />

aus den Freien Kameradschaften, MitarbeiterInnen<br />

d<strong>es</strong> NPD-Verlags Deutsche<br />

Stimme und Veteranen d<strong>es</strong> Zweiten Weltkriegs,<br />

<strong>die</strong> bis heute den deutschen Angriffs-<br />

und Vernichtungskrieg zum Verteidigungskrieg<br />

gegen „den Bolschewismus“<br />

umlügen wollen. Auf dem Ulrichsberg zeigt<br />

sich aber – trotz vorsichtiger Modernisierungsbemühungen<br />

– auch eine rabiate<br />

Frontstellung gegen <strong>die</strong> slowenischsprachigen<br />

KärntnerInnen, <strong>die</strong> mit Rückgriff auf<br />

den Mythos d<strong>es</strong> Kärntner „Abwehrkampf<strong>es</strong>“<br />

legitimiert wird. Es ist nur konsequent, dass<br />

das größte Feindbild der Ulrichsberggemeinschaft<br />

(UBG) bis heute <strong>die</strong> Kärntner und<br />

slowenischen PartisanInnen und ihr Beitrag<br />

zur Befreiung vom Nationalsozialismus sind.<br />

D<strong>es</strong> Soldaten Ehre …<br />

„D<strong>es</strong> Soldaten Ehre ist seine Treue“, di<strong>es</strong>er<br />

leicht abgewandelte Wahlspruch der SS ziert<br />

eine der Tafeln im „Ehrenhain“ – und das<br />

österreichische Bund<strong>es</strong>heer scheint da kein<strong>es</strong>wegs<br />

anderer Meinung zu sein. Bis heute<br />

stellt das Militär nicht nur Fahrzeuge zur<br />

Verfügung, um TeilnehmerInnen der Ulrichsbergfeier<br />

auf den Berg zu karren, sondern<br />

postiert auch eine Ehrenwache vor der Kirchenruine<br />

und sorgt für <strong>die</strong> musikalische<br />

Untermalung der Feierlichkeiten sowie – in<br />

G<strong>es</strong>talt von Militärseelsorgern – für <strong>die</strong> spirituelle<br />

Seite.<br />

Militärpr<strong>es</strong>s<strong>es</strong>precher Arno Kronhofer argumentierte<br />

im Zuge einer Pr<strong>es</strong>seaktion, <strong>die</strong><br />

von antifaschistischen AktivistInnen im Vorfeld<br />

der Prot<strong>es</strong>te gegen das Ulrichsbergtreffen<br />

durchgeführt wurde, allen Ernst<strong>es</strong>, dass<br />

das Bund<strong>es</strong>heer am Ulrichsberg einen „antifaschistischen<br />

Beitrag“ leisten würde. Dass<br />

der sozialdemokratische Verteidigungsminister<br />

Darabos anscheinend nicht vorhat, etwas<br />

an di<strong>es</strong>em Zustand zu ändern, kann verwundern<br />

– immerhin untersagte er im<br />

Frühling 2007 Militärangehörigen <strong>die</strong> Teilnahme<br />

an der Gebirgsjägerfeier im bayrischen<br />

Mittenwald, bei der <strong>es</strong> längst nicht so<br />

offen nazistisch zugeht wie am Ulrichsberg.<br />

Es muss als Hohn verstanden werden, wenn<br />

Darabos einen Tag nach der Feier am Berg in<br />

der Klagenfurter Khevenhüllerkaserne eine<br />

Gedenktafel für <strong>die</strong> Opfer d<strong>es</strong> dortigen Kon-


20 Kulturpolitik<br />

zentrationslagers enthüllt, während tags davor<br />

seine Soldaten Ehrenwache vor Tafeln<br />

stehen, auf denen sich ehemalige SS-Einheiten<br />

„dankbar“ an ihren Aufenthalt in eben<br />

di<strong>es</strong>er Kaserne erinnern. So begrüßenswert<br />

das Gedenken an <strong>die</strong> Opfer d<strong>es</strong> „verg<strong>es</strong>senen“<br />

Konzentrationslagers ist (ein Gedenken,<br />

das den jahrelangen Anstrengungen<br />

von kritischen Kärntner HistorikerInnen zu<br />

verdanken ist), so wenig kann di<strong>es</strong>e Doppelmoral<br />

akzeptiert werden.<br />

Vielfältige antifaschistische Aktionen<br />

Um gegen den braunen Kärntner Konsens<br />

vorzugehen, sorgten AntifaschistInnen<br />

schon ab Freitag in Klagenfurt/Celovec für<br />

vielfältige Aktionen. Den Auftakt bildete eine<br />

Demonstration, bei der um <strong>die</strong> 250 TeilnehmerInnen<br />

lautstark und bunt ihre Forderung<br />

nach Freiräumen in der miefigen<br />

Kärntner Land<strong>es</strong>hauptstadt vertraten.<br />

Die Gelegenheit zur direkten Konfrontation<br />

mit der Ulrichsberggemeinschaft bot sich<br />

dann am Samstag Vormittag, als einige AntifaschistInnen<br />

spontan eine angekündigte<br />

Schifffahrt der UBG blockierten. Im Lieg<strong>es</strong>tuhl<br />

liegend oder Federball spielend wurde<br />

der Steg b<strong>es</strong>etzt, bis <strong>die</strong> rechte G<strong>es</strong>ellschaft<br />

von der Exekutive zu einer anderen Ableg<strong>es</strong>telle<br />

umgeleitet wurde. Doch auch auf dem<br />

Wasser konnten sie sich nicht sicher fühlen:<br />

von Elektrobooten aus schallten PartisanInnenlieder<br />

über den See und Transparente<br />

machten deutlich, was AntifaschistInnen von<br />

ihnen halten: „RevionistInnenpack, widerlich<strong>es</strong>!“<br />

Ernsthaft ging <strong>es</strong> nachmittags in der<br />

Buchhandlung Haček zu, <strong>die</strong> ihre Räumlichkeiten<br />

für eine von dem Historiker Valentin<br />

Sima moderierte ZeitzeugInnenveranstaltung<br />

zur Verfügung stellte. Romana Verdel und<br />

Ther<strong>es</strong>ia Pörtsch, zwei Kärntner Sloweninnen<br />

berichteten hier in beeindruckender<br />

Weise von ihren persönlichen Erfahrungen<br />

im Nationalsozialismus, aber auch mit den<br />

Kärntner Zuständen nach 1945: von SlowenInnenfeindlichkeit,<br />

<strong>die</strong> sich bereits in der<br />

unmittelbaren Nachkriegszeit breit machte,<br />

vom so genannten „Ortstafelsturm“ 1972,<br />

von Anfeindungen, aber auch von den<br />

Spannungen zwischen slowenischsprachigen<br />

KärntnerInnen, von denen manche sich<br />

selbst als „Windische“ definierten und versuchten,<br />

<strong>die</strong> deutschsprachigen KärntnerInnen<br />

an SlowenInnenfeindlichkeit noch zu<br />

übertreffen.<br />

Abends brachen einige AntifaschistInnen<br />

spontan nach Krumpendorf auf, um dort gegen<br />

das berüchtigte Treffen der Kameradschaftsverbände<br />

und ähnlicher G<strong>es</strong>talten zu<br />

prot<strong>es</strong>tieren. Durch massive Polizeipräsenz<br />

am Bahnhof Krumpendorf wurden sie allerdings<br />

an der Ausübung ihr<strong>es</strong> Rechts auf Versammlungsfreiheit<br />

gehindert – <strong>es</strong> kam zu<br />

brutalen Schlagstockeinsätzen, Tritten und<br />

Faustschlägen von Seiten der Polizei. Die<br />

AntifaschistInnen wurden brachial abgedrängt,<br />

bis selbst der Polizei – ang<strong>es</strong>ichts<br />

der lebensgefährlichen Situation, in <strong>die</strong> sie<br />

<strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> dicht gedrängt an der<br />

äußersten Bahnsteigkante zu stehen kamen,<br />

gebracht hatte – mulmig wurde. Bei der –<br />

von der Ulrichsberggemeinschaft in ihrem<br />

offiziellen Programm angekündigten – Veranstaltung<br />

im Gemeind<strong>es</strong>aal von Krumpendorf<br />

zeigte sich übrigens deutlich, was von<br />

den wiederholten Beteuerungen der UBG,<br />

sie habe sich von der Kameradschaft IV (Kameradschaft<br />

der Waffen-SS) distanziert, zu<br />

halten ist: Ein Vertreter eben di<strong>es</strong>er K IV<br />

hielt hier einen eigenen Redebeitrag, der an<br />

Deutlichkeit in Sachen Rechtsextremismus<br />

nichts zu wünschen übrig ließ. Als hätte <strong>es</strong><br />

noch weiterer Beweise für das nach wie vor<br />

b<strong>es</strong>tehende enge Verhältnis bedurft, hing<br />

tags darauf im anlässlich der Ulrichsbergfeier<br />

geöffneten „Ehrenhain“ ein frischer Kranz,<br />

„in treuem Gedenken“ gewidmet von der<br />

Kameradschaft IV Land<strong>es</strong>verband Steiermark-<br />

Südburgenland.<br />

Doch auch <strong>die</strong> Bergfeier wird den alten und<br />

jungen Rechten von AntifaschistInnen vermi<strong>es</strong>t.<br />

Kein Redner bei der Veranstaltung,<br />

der nicht auf <strong>die</strong> DemonstrantInnen Bezug<br />

genommen hätte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Auffahrt auf den<br />

Berg kräftig verzögern und <strong>die</strong> vorbeifahrenden<br />

Veteranen und ihre ideologischen<br />

Nachfahren mit Parolen eindecken. Auch der<br />

martialisch über der Landschaft kreisende<br />

Polizeihubschrauber ist da machtlos.<br />

Nächst<strong>es</strong> Jahr will <strong>die</strong> Ulrichsberggemeinschaft<br />

das 50. Jubiläum ihrer Gedenkstätte<br />

begehen – wer Rechtsextremismus und NS-<br />

Verherrlichung ablehnt, kann sich schon<br />

jetzt zu den Antifaschistschen Aktionstagen<br />

2008 eingeladen fühlen. ●<br />

Josephine Broz ist Teil der AK gegen den<br />

Kärntner Konsens. Der AK ist ein loser<br />

Zusammenschluss von g<strong>es</strong>chichtspolitisch<br />

inter<strong>es</strong>sierten AktivistInnen, der seit 2005<br />

antifaschistische Aktionstage gegen das revisionistische<br />

Treffen am Ulrichsberg in<br />

Kärnten/Koroska organisiert.<br />

PS: Berichte, Fotos und Hintergrundinformationen<br />

sind unter www.u-berg.at zu finden.<br />

Broschüren d<strong>es</strong> AK können unter<br />

kontakt@u-berg.at b<strong>es</strong>tellt werden.


Lückent<strong>es</strong>t Vlatka Frketić<br />

21<br />

Margit Riezinger, boxen für latente und manif<strong>es</strong>te blasen – über <strong>die</strong> schwierigkeit der selbstbehauptung. b1: nadeln-luftballons; b2: zementiert<strong>es</strong> fernglas; b3: zuschreibungen-abgrenzungen<br />

❚ (Oham und Itsch in der Küche)<br />

Oham (richtigstellend): Nein, so geht das nicht. Zuerst <strong>die</strong> Butter,<br />

dann das Öl. Und zuletzt ein Schuss Milch.<br />

Itsch (neckisch): Woher willst du das wissen?<br />

Oham (selbstsicher): Das steht in di<strong>es</strong>em Buch. Überlieferung!<br />

Itsch: Quatsch! Das nennt sich heute kulturell<strong>es</strong> Gedächtnis 1 !<br />

Oham: Und schmeckt <strong>es</strong> so b<strong>es</strong>ser?<br />

Itsch (genervt): Hör mal. Es geht nicht um den G<strong>es</strong>chmack. Die<br />

stetige Einseitigkeit in di<strong>es</strong>er Zubereitung führt zu mentaler<br />

Verstopfung 2 .<br />

Oham: Kannst du nicht mal auf Altbewährt<strong>es</strong> und Authentisch<strong>es</strong><br />

vertrauen?<br />

Itsch (klipp und klar): Nein!<br />

Oham: Die Reihenfolge der Zutaten gibt das Ergebnis.<br />

Itsch: Welch<strong>es</strong> Ergebnis?<br />

Oham: Das, das du kennst, erwart<strong>es</strong>t! Und bekommst – vorausg<strong>es</strong>etzt,<br />

du hältst dich daran. Es wurde schon immer so zubereitet.<br />

Itsch: Ja, ja. Ich kenne Sachen, <strong>die</strong> immer schon so waren.<br />

Oham (zwinkernd): Dazu gehört auch zum Beispiel, dass ich stehend<br />

pinkle und du sitzend.<br />

Itsch (gleichgültig): Zu einem Baum sage ich nicht nein. Aber eine<br />

elektrisch gewärmte Klobrille 3 ist schon sehr anziehend.<br />

Oham: Hm. So einfach geht das nicht.<br />

Itsch: Es geht darum nein zu sagen, wenn <strong>es</strong> keine Optionen für<br />

ein nein gibt.<br />

Oham: Dann kannst du offenbar nicht nein sagen! Damit bist du<br />

auf der Verliererseite 4 .<br />

Itsch: Was verstehst du unter Verlierer?<br />

Oham (belehrend): Wenn du der regulierten und konventionalisierten<br />

Praxis nicht entsprichst.<br />

Itsch: Ups! Ich bin doch kein strukturiert<strong>es</strong> 5 Ensemble.<br />

Oham (ungläubig): Warum glaubst du, etwas B<strong>es</strong>onder<strong>es</strong> zu sein?<br />

Itsch: no comment 6 .<br />

Oham: Das ist sehr überheblich und weltfremd.<br />

Itsch (in meine Richtung zwinkernd): Ich sehe mich als diachron<br />

veränderliche semiotische Praxis. Ich kann mich in jeder multimodalen<br />

Dimension manif<strong>es</strong>tieren.<br />

Oham (verzweifelt): Du spielst Ott 7 .<br />

Itsch: Nein, sicher nicht. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> G<strong>es</strong>präch 8 lang<strong>weil</strong>t mich.<br />

Oham: Mhm! Was hatt<strong>es</strong>t du eigentlich gegen mein Rezept?<br />

Itsch: Gar nichts. Es schmeckt ganz gut. ●<br />

Vlatka Frketić verqueert nicht mehr nur den Antirassismus, sondern<br />

All<strong>es</strong> und Überhaupt.<br />

1 kulturell<strong>es</strong> Gedächtnis; 2 mentaler Verstopfung; 3 elektrisch gewärmte Klobrille;<br />

4 Verliererseite, 5 strukturiert<strong>es</strong>; 6 no comment; 7 Ott; 8 G<strong>es</strong>präch


Was <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> weiß und <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft nicht wissen will Sabine Ammon<br />

Nora Riedl, Y<strong>es</strong> to all – by pandora, 3-geteilt<strong>es</strong> klappbilderbuch, A4, 12 motive<br />

❚ Seit der öffentlichen Ausrufung der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft ist Wissen<br />

zu einem der meist gebrauchten und meist missbrauchten<br />

Wörter geworden. Übersehen wird gerne, dass di<strong>es</strong>er Begriff all<strong>es</strong><br />

andere als eindeutig ist und je nach Façon d<strong>es</strong> Sprechers / der<br />

Sprecherin jeglicher Begründungsabsicht genüge getan werden<br />

kann. Dehnbar wie Kaugummi, kittet er Leerstellen und verhilft<br />

beliebigen Argumentationen zum Sieg<strong>es</strong>zug. Was dabei auf der<br />

Strecke bleibt, ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der<br />

Frage, was denn überhaupt all<strong>es</strong> Wissen sei und in di<strong>es</strong>em Sinne<br />

von der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft für sich in Anspruch genommen werden<br />

darf. Denn hier zeigt sich <strong>die</strong> eigentliche Frage der Wissens-<br />

22<br />

g<strong>es</strong>ellschaft: Wenn sie von der Wichtigkeit d<strong>es</strong> Wissens als zentralem<br />

Baustein g<strong>es</strong>ellschaftlicher Entwicklung ausgeht, wenn<br />

Wissen mit einem Mal eine bislang nicht erreichte Wertschätzung<br />

und Förderung erfährt, dann ist <strong>es</strong> unverzichtbar zu klären, was<br />

sich hinter dem Wissensbegriff überhaupt verbirgt. Von welchem<br />

Wissen ist hier <strong>die</strong> Rede? Welch<strong>es</strong> Wissen will <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />

überhaupt – und welch<strong>es</strong> braucht sie? Decken sich hier<br />

Wunsch und <strong>Wir</strong>klichkeit? Solange di<strong>es</strong>e Fragen ungeklärt bleiben,<br />

ist <strong>es</strong> für Scharlatane und Wunderheiler einfach, <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />

als neu<strong>es</strong> Allheilmittel zu verkaufen. Bleibt der<br />

Gegenstand der Diskussion unklar, kann auch nicht sinnvoll über<br />

<strong>die</strong> Auswirkungen von Wissen auf g<strong>es</strong>ellschaftliche Entwicklungen<br />

diskutiert werden. Jede Auseinandersetzung läuft Gefahr, eine<br />

Scheindebatte zu werden, <strong>die</strong> letztlich alte Konzepte unter einem<br />

neuen Etikett verkauft.<br />

Warum fällt <strong>es</strong> uns so schwer, den Wissensbegriff zu fassen? Ein<br />

Teil d<strong>es</strong> Problems liegt darin, dass wir unhinterfragt alte Vorstellungen<br />

transportieren. Wissen wird vereinfacht gleichg<strong>es</strong>etzt mit<br />

naturwissenschaftlichem Wissen, und selbst aus di<strong>es</strong>em Gebiet<br />

nur mit einem kleinen Bereich, dem mathematisierbaren Faktenwissen.<br />

Dass <strong>die</strong> engen und idealisierenden Vorstellungen nicht<br />

tragfähig sind, hat <strong>die</strong> Forschung aus so unterschiedlichen Bereichen<br />

wie Wissenschaftstheorie und -g<strong>es</strong>chichte, Philosophie, Psychologie,<br />

Kognitions- und Kulturwissenschaften gezeigt. Neben<br />

naturwissenschaftlich<strong>es</strong> Faktenwissen treten Orientierungswissen,<br />

Handlungswissen, Alltagswissen, moralisch<strong>es</strong> Wissen, emotional<strong>es</strong><br />

Wissen, nichtsprachlich<strong>es</strong> Wissen, ein „Wissen-Wie“ der<br />

Fähig- und Fertigkeiten – <strong>die</strong> Liste lässt sich fortsetzen. Doch <strong>es</strong><br />

scheint, als wolle <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft von di<strong>es</strong>en Wissensar-


Widerstand. Macht. Wissen. 23<br />

Michaela Mandel, a grrrl’s fetish, Animationsfilm, 12 min. Die Patientin sagte „Tenniskleid“, Freud verstand „Penisneid“. Ein Film über <strong>die</strong> Folgen ein<strong>es</strong> verhängnisvollen Hörfehlers.<br />

ten nichts wissen – zu ihrem eigenen Nachteil, wie ich am Beispiel<br />

d<strong>es</strong> künstlerischen Wissens kurz darlegen möchte.<br />

Wie kann ein Bild, ein Haus, ein Musikstück oder ein literarisch<strong>es</strong><br />

Werk zum Wissen beitragen? So einfach <strong>die</strong> Frage zu stellen ist,<br />

so wenig offensichtlich findet sich zunächst eine Antwort. Denn<br />

sie zielt nicht auf Informationen der Art, wann, wo und als Teil<br />

welcher Stilrichtung <strong>die</strong> Künstlerin das Werk erstellt hat oder<br />

welche Aussage der Künstler mit seinem Oeuvre beabsichtigt. Die<br />

Frage nach dem Wissen in den Künsten richtet sich vielmehr auf<br />

ihre Funktion beim Erlangen von Erkenntnis. Ob <strong>die</strong> Künste einen<br />

Beitrag zu unserem Wissen leisten, entscheidet ihre Rolle in<br />

Erkenntnisproz<strong>es</strong>sen. <strong>Wir</strong>d Wissen als Ergebnis kognitiver Vorgänge<br />

betrachtet, welch<strong>es</strong> g<strong>es</strong>icherte Erkenntnisse über unsere<br />

Welt vermittelt, müssen wir in Bezug auf <strong>die</strong> Künste prüfen, ob<br />

auch hier kognitive Proz<strong>es</strong>se angetroffen werden. Wenn ja, sind<br />

<strong>die</strong> Künste dadurch in der Lage, Aufschluss über <strong>die</strong> Welt zu geben,<br />

ein Wissen von der Welt zu vermitteln?<br />

Es ist vor allem <strong>die</strong> Zeichenphilosophie d<strong>es</strong> 20. Jahrhunderts, <strong>die</strong><br />

sich di<strong>es</strong>en Problemen zugewendet hat. Sie konnte mit allem<br />

Nachdruck deutlich <strong>machen</strong>, dass sich Zeichensysteme nicht auf<br />

<strong>die</strong> Wissenschaften b<strong>es</strong>chränken. Im Gegenteil, sprachähnliche<br />

Strukturen lassen sich in weiten Bereichen d<strong>es</strong> Lebens nachweisen,<br />

wird <strong>die</strong> einfachste Zeichenfunktion – <strong>die</strong> Fähigkeit, auf etwas<br />

Bezug zu nehmen, für etwas ander<strong>es</strong> zu stehen – zu Grunde<br />

gelegt. Ein Gebäude kann Standf<strong>es</strong>tigkeit exemplifizieren, wenn<br />

das Tragverhalten durch eine exponierte Formensprache herausgearbeitet<br />

worden ist; ein Konzert Fröhlichkeit ausdrücken, wenn<br />

Harmoniefolgen, Klangfärbung und Rhythmen metaphorisch<br />

durch ihre Leichtigkeit und Unb<strong>es</strong>chwertheit auf di<strong>es</strong>en Zustand<br />

verweisen. Gemälde können denotieren, wie im Falle von Personen-<br />

und Landschaftsportraits, <strong>die</strong> auf konkrete Menschen und<br />

Orte Bezug nehmen: Das Arsenal nicht-sprachlicher Zeichen ist<br />

reichhaltig, Zeichen sind hier nicht weniger anzutreffen als in den<br />

bekannten sprachlichen Verwendungen.<br />

Dass Zeichensysteme insb<strong>es</strong>ondere auch in den Künsten anzutreffen<br />

sind, konnte Nelson Goodman in seinem wegweisenden<br />

Werk Sprachen der <strong>Kunst</strong> (1968) zeigen. Zentral ist hierbei <strong>die</strong><br />

Th<strong>es</strong>e, dass durch den Umgang mit Zeichen Erkenntnisse gewonnen<br />

werden. Immer, wenn wir<br />

mit Zeichen umgehen, wenn<br />

wir sie anwenden, wenn wir<br />

sie aufeinander beziehen, sie<br />

untereinander kombinieren<br />

oder neue Verwendungen konstruieren,<br />

wenn wir mit ihrer<br />

Hilfe Abgrenzungen vornehmen<br />

oder Zusammenhänge<br />

herstellen, dann sind kognitive<br />

Fähigkeiten im Spiel. <strong>Wir</strong> t<strong>es</strong>ten,<br />

welche Rolle das Symbol<br />

in seinen vielfältigen Einbindungen<br />

spielt. In welchen Systemen<br />

ist <strong>es</strong> aktiv? Wie klassifiziert<br />

<strong>es</strong>, wie wird <strong>es</strong> selbst<br />

klassifiziert? <strong>Wir</strong> prüfen, in<br />

welchen Zusammenhang <strong>es</strong> passt und in welchen nicht. Was ergibt<br />

eine stimmige Komposition, was eine sinnvolle Gliederung?<br />

Mit Hilfe von Symbolen zerlegen wir und fügen wieder zusammen,<br />

legen f<strong>es</strong>t, was als Entität und Art gilt. So ist <strong>es</strong> möglich, Dinge<br />

zu identifizieren, wiederzuerkennen und ihre Konstanz über<br />

<strong>die</strong> Zeit f<strong>es</strong>tzustellen. Durch unterschiedliche Gewichtungen stechen<br />

manche Arten hervor und andere werden unwichtig, unterschiedliche<br />

Betonungen und Akzente legen Relevanzen f<strong>es</strong>t.<br />

Nachbarschaften und Abfolgen werden durch Ordnungsvorgänge<br />

erreicht, Verzerrungen können b<strong>es</strong>timmte Aspekte b<strong>es</strong>onders herausheben.<br />

Auf di<strong>es</strong>e Art und Weise strukturieren Symbolproz<strong>es</strong>se Gegenstandsbereiche,<br />

Symbolsysteme entstehen. Doch nicht jed<strong>es</strong> aufg<strong>es</strong>tellte<br />

System ist bereits ein Wissenssystem, willkürliche oder


| ) );|(| punkt<br />

24<br />

sinnlose Anordnungen können nicht als solche gelten. Wichtig wird<br />

Karin Steinbinder Sprache Körper Politik – Selbstdarstellung und Dekonstruktion<br />

Schlagwörter <strong>machen</strong> Passanten aufmerksam … und regen zum reflektieren an …<br />

daher, wie kohärent und konsistent das neue System ist, wie <strong>es</strong> sich<br />

einpasst, aber auch, ob <strong>es</strong> überhaupt relevant ist und welche <strong>Wir</strong>kung<br />

<strong>es</strong> entwickelt: Hat <strong>es</strong> Antworten auf unsere Fragen, hilft <strong>es</strong>,<br />

Probleme zu lösen – oft ist hierfür der erste Schritt, sie durch andere<br />

Aspekte und Schwerpunkte in einem neuen Licht zu sehen –,<br />

werden Orientierungen gegeben, eröffnen sich neue Möglichkeiten?<br />

Nun wird deutlich, warum <strong>die</strong> Künste zu unserer Erkenntnis beitragen<br />

können. Eine Auseinandersetzung mit den Künsten verlangt<br />

gleichermaßen kognitive Fähigkeiten wie alle anderen Bereiche,<br />

in denen Symbolsysteme anzutreffen sind – sie<br />

unterscheiden sich hierin nicht von der Physik, der Biologie oder<br />

der Mathematik. Doch erfordern sie nicht nur <strong>die</strong> gleichen kognitiven<br />

Fähigkeiten, sondern in den Symbolsystemen werden ebenso<br />

Erkenntnisse vermittelt, <strong>die</strong> Künste funktionieren kognitiv. Sie<br />

schärfen Unterscheidungen oder <strong>machen</strong> sie erst sichtbar und<br />

verdeutlichen Zusammenhänge. Sie schließen Sichtweisen auf,<br />

leiten komplexe Bezugnahmen über mehrere Symbolsysteme hinweg,<br />

transferieren Bekannt<strong>es</strong> in eine unbekannte Umgebung.<br />

Vielfältige Verknüpfungen stellen überraschende Zusammenhänge<br />

her und ermöglichen damit andere Problemzugänge und neue<br />

Verfahren. Durch Strukturierungen und Kategorisierungen können<br />

herkömmliche Muster aufgebrochen und ungewohnte Wege<br />

eröffnet werden – und auf di<strong>es</strong>e Weise einen Beitrag zu unserem<br />

Verständnis und unserem Wissen von der Welt leisten.<br />

Verabschieden müssen wir uns dabei von einem veralteten Wissensbegriff,<br />

einem Wissensbegriff, der als Ziel aller kognitiven Anstrengungen<br />

ein Einheitswissen anstrebt, das vollständig systematisiert<br />

den gleichen Methoden und Kriterien gehorcht. Wissen ist sehr viel<br />

weiter zu fassen. Anstelle d<strong>es</strong> einen Wissens treten viele Wissen,<br />

welche jed<strong>es</strong> für sich eine eigene Sicht auf <strong>die</strong> Welt verkörpern.<br />

Di<strong>es</strong>er Pluralismus lässt verschiedene Weisen zu, charakteristische<br />

Zugänge, Aspekte und Schwerpunkte. Da <strong>die</strong> inhärente Richtigkeit<br />

der Wissenssysteme aber dynamisch ist, muss sie ständig neu<br />

überprüft werden. Wissen in di<strong>es</strong>em Sinne ist gekennzeichnet<br />

durch Offenheit, <strong>es</strong> ist ein Wissen, das sich durch verändernde<br />

Bedingungen fortwährenden Korrekturen unterwerfen muss.<br />

Soweit eine skizzenhafte Annäherung an <strong>die</strong> Einsichten der Zeichentheorie.<br />

Doch da <strong>die</strong> Diskussion um <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft<br />

immer auch eine Diskussion um Gewinn und Nützlichkeit ist, reicht<br />

di<strong>es</strong>e Antwort heute nicht mehr. SkeptikerInnen werden einwenden,<br />

schön und gut, Wissen in den Künsten: zug<strong>es</strong>tanden – aber<br />

brauchen wir <strong>es</strong>?! Was vermag künstlerisch<strong>es</strong> Wissen, dass sich<br />

nicht durch naturwissenschaftlich<strong>es</strong> erreichen ließe? Die Notwendigkeit<br />

der Geist<strong>es</strong>wissenschaften ist immer wieder herausg<strong>es</strong>tellt<br />

worden, um dem Verfügungswissen<br />

der Naturwissenschaften<br />

eine Orientierung zu geben,<br />

von einer Notwendigkeit<br />

in Bezug auf <strong>die</strong> Künste ist wenig<br />

zu hören. Provokative Th<strong>es</strong>en<br />

fordern für wissenschaftlichen<br />

Fortschritt einen<br />

Pluralismus möglichst vieler<br />

Wissensarten, Verfahren und<br />

Methoden. Erst der Kontrast<br />

mit anderen Sichtweisen, erst<br />

das Erschließen neuer Quellen<br />

würde zu Neuerungen in den<br />

Wissenschaften führen, häufig<br />

ermöglicht durch einen Bruch<br />

mit dem B<strong>es</strong>tehenden. Und<br />

hier wird das Konzept „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“<br />

an einer empfindlichen<br />

Stelle getroffen: <strong>es</strong><br />

sieht im Wissen und seiner Er-


Widerstand. Macht. Wissen. 25<br />

Magdalena Wögerbauer, Klein<strong>es</strong> Familien Malbuch, 2007, 14 x 14,8 cm, 8 Seiten, Auflage 400 Stk.<br />

weiterung den zentralen Antriebsfaktor g<strong>es</strong>ellschaftlicher Entwicklung.<br />

Um den Fortb<strong>es</strong>tand zu gewährleisten, sind sich ständig<br />

erneuernde Innovationszyklen <strong>es</strong>sentiell, kreative Wissenserweiterung<br />

wird zum Motor der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft. Damit rücken<br />

Wissensgenerierungsproz<strong>es</strong>se ins Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />

Wie lässt sich Innovation fördern, Kreativität steigern? Wie sprudeln<br />

Ideen? Wie schafft man <strong>es</strong>, ausgetretene Wissenspfade zu<br />

verlassen und Neuland zu erobern?<br />

Von den Künsten lernen – so könnte <strong>die</strong> Antwort auf di<strong>es</strong>e Frage<br />

heißen. Die syntaktische und semantische Dichte künstlerischer<br />

Wissenssysteme hat zur Folge, dass sie sich weniger eindeutig<br />

zeigen und der Interpretationsproz<strong>es</strong>s aufwändiger wird. Im Ausprobieren<br />

richtiger Bezüge sind insb<strong>es</strong>ondere <strong>die</strong> Symbolsysteme<br />

der <strong>Kunst</strong> geeignet, f<strong>es</strong>tgefahrene Strukturen zu durchbrechen<br />

und ungewohnte Zusammenhänge herzustellen. Die Aneignung,<br />

der Umgang und <strong>die</strong> Erschaffung künstlerischen Wissens verlangt<br />

im b<strong>es</strong>onderen Maße Kreativität. Statt schneller Zuordnungen ist<br />

ein genau<strong>es</strong> Hinsehen verlangt und ein intensiv<strong>es</strong> Auseinandersetzen.<br />

Die Fülle der symbolisierenden Aspekte bringt eine Fülle<br />

an Facetten und Hinsichten hervor, unter denen ein Werk erschlossen<br />

werden kann. Mehrstufige Symbolketten und ihre vielfältigen<br />

Funktions- und Systemwechsel verbinden unterschiedliche<br />

Erkenntnisbereiche. Als Folge entstehen vielfältige<br />

Wechselwirkungen und ein ungewohnt<strong>es</strong>, inspirierend<strong>es</strong> Zusammenwirken<br />

über Disziplingrenzen hinweg. Es sind di<strong>es</strong>e Proz<strong>es</strong>se,<br />

wie sie im b<strong>es</strong>onderen Maße in den Künsten anzutreffen sind, <strong>die</strong><br />

Kreativität freisetzen und Innovationsvorgänge anstoßen.<br />

Vom Wissen der Künste lernen, heißt also nicht nur, von ihrem<br />

„Wissen-Was“ profitieren, um sich von ihren ungewohnten, oft<br />

sperrigen Sichtweisen auf neue Ideen bringen zu lassen. Sondern<br />

auch aus ihrem „Wissen-Wie“ Nutzen zu ziehen, aus ihren Techniken,<br />

ihren eigenen Zugängen zur Entwicklung von Neuem, aus<br />

ihrem Einsatz von Kreativität, aus ihrem Wagnis, Ungewohnt<strong>es</strong><br />

und Verdrängt<strong>es</strong> zu erschließen. Hier liegen <strong>die</strong> Stärken künstlerischen<br />

Wissens. Auch wenn di<strong>es</strong>e Überlegungen einer genaueren<br />

Untersuchung bedürfen, zeichnet sich schon jetzt ab, dass di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

Wissen, das <strong>die</strong> heutige Debatte um <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft so<br />

gerne unterschlägt, sich als entscheidender, notwendiger B<strong>es</strong>tandteil<br />

einer Wissensg<strong>es</strong>ellschaft zeigt.<br />

Ist von den Künsten <strong>die</strong> Rede, dann häufig nur im Zusammenhang<br />

mit der Freizeitg<strong>es</strong>taltung. Ein Konzertb<strong>es</strong>uch zur Entspannung<br />

nach vollbrachtem Tag<strong>es</strong>werk, <strong>die</strong> neu<strong>es</strong>te Bildersammlung als<br />

Wochenendausflug und <strong>die</strong> Klassiker der Literatur, um beim Cocktailg<strong>es</strong>präch<br />

geistreich und niveauvoll zu erscheinen. Die <strong>Kunst</strong><br />

als Acc<strong>es</strong>soire mit Wohlfühl-Faktor für’s Gemüt, ansonsten überflüssig<br />

und ihr Budget geeignet, um Finanzlöcher in Haushaltsetats<br />

zu stopfen. Um der gängigen Einschätzung entgegenzutreten,<br />

ist di<strong>es</strong>er Beitrag g<strong>es</strong>chrieben worden. Es ist Zeit, von einer überholten<br />

Vorstellung Abschied zu nehmen und anzuerkennen, dass<br />

<strong>die</strong> Künste neben ihrem Beitrag zum Erkenntnisproz<strong>es</strong>s ein groß<strong>es</strong><br />

Innovations- und Kreativitätspotential darstellen. Die Wissensg<strong>es</strong>ellschaft,<br />

wenn sie eine sein will, braucht di<strong>es</strong><strong>es</strong> Wissen dringend<br />

– nicht nur <strong>die</strong> Freizeitg<strong>es</strong>ellschaft in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft. ●<br />

Sabine Ammon ist Philosophin und Architektin. Sie lebt und<br />

arbeitet in Berlin.<br />

Der Text basiert auf dem Aufsatz Was weiß <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong>? – Zur Relevanz künstlerischen<br />

Wissens in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.):<br />

Die Verfasstheit der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, Münster 2006: S. 72–81.


Skurrile skills und tolle tools<br />

Wissensg<strong>es</strong>ellschaft und <strong>Kunst</strong> Jens Kastner<br />

was wirklich passiert wenn Essiggurken aus dem Glas wollen, performance über schlechte<br />

arbeitsbedingungen & <strong>die</strong> globale individualisierung der <strong>es</strong>siggurken, Karoline Rudolf, 2007<br />

❚ Für Ulrich Beck ist <strong>die</strong> Rede von der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ ein<br />

„Euphemismus der Ersten Moderne“. Der Soziologe weiß <strong>es</strong> offenbar<br />

b<strong>es</strong>ser als viele seiner KollegInnen, <strong>die</strong> behaupten, <strong>die</strong> gegenwärtigen<br />

G<strong>es</strong>ellschaften hätten ein solch<strong>es</strong> Präfix ver<strong>die</strong>nt.<br />

Statt Risiko-, Informations-, Dienstleistungs- oder postindustrieller,<br />

postmoderner, spätkapitalistischer also „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“.<br />

Mit seiner Ablehnung di<strong>es</strong><strong>es</strong> zeitdiagnostischen Labels verallgemeinert<br />

Beck allerdings bloß <strong>die</strong> abgedroschene Koketterie Sokrat<strong>es</strong>’:<br />

Nicht nur er, sondern tendenziell alle wüssten, dass sie<br />

nichts wissen, w<strong>es</strong>halb <strong>die</strong> „Zweite Moderne“ also eine „Nicht-<br />

Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ sei. So oder so, offenbar hat sich der Status<br />

d<strong>es</strong> Wissens in den letzten Dekaden dermaßen gewandelt, dass<br />

26<br />

<strong>die</strong> zuständigen WissenschaftlerInnen ihn problematisieren: Die<br />

Bedeutung wissenschaftlichen, theoretischen Wissens sei nicht<br />

nur in der industriellen Produktion und im Bereich der Dienstleistungen<br />

gewachsen, sondern habe auch den Alltag durchdrungen.<br />

Zum einen sei der allgemeine Zugang zu Wissen und Informationen<br />

erleichtert worden, gleichzeitig sei aber auch <strong>die</strong> Menge an<br />

potenziellem Wissen enorm gewachsen. Das mache wiederum ExpertInnenwissen<br />

unabdingbar für individuelle Orientierungen.<br />

Letztlich ist vielleicht Wissen sogar <strong>die</strong> entscheidende Produktivkraft<br />

der gegenwärtigen Ökonomien. Der Umgang mit Wissen gewinnt<br />

dadurch auf verschiedenen Ebenen an Bedeutung: Öffentliche<br />

Zugänglichkeit von Wissen steht d<strong>es</strong>sen privater<br />

Verwertung gegenüber, der/<strong>die</strong> Einzelne hingegen ist mit der<br />

möglichen Erweiterung von Handlungsoptionen auf der einen<br />

und mit den Zumutungen ihrer angeblichen oder tatsächlichen<br />

Vervielfachung auf der anderen Seite konfrontiert.<br />

Es ist <strong>die</strong> eine Frage, ob <strong>die</strong> Diagnose richtig g<strong>es</strong>tellt ist. Wie sie<br />

beurteilt wird und was daraus folgt, sind hingegen andere. Ein<br />

Großteil der VertreterInnen d<strong>es</strong> Labels „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ findet<br />

di<strong>es</strong>e dann auch ganz o.k.: Der ungeheuer erweiterte Zugang<br />

zum Wissen erweitere <strong>die</strong> Handlungsmöglichkeiten d<strong>es</strong>/der Einzelnen<br />

und mache sie/ihn „vom passiven Akteur zum aktiven<br />

Mitg<strong>es</strong>talter“, meint zum Beispiel der Soziologe Nico Stehr. Die<br />

Philosophin Nancy Fraser macht eine „verbreitete Politisierung<br />

von Kultur“ in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft aus, in der mehr „Ansprüche<br />

auf Anerkennung“ formuliert würden. Und <strong>die</strong> Grünennahe<br />

Heinrich-Böll-Stiftung meint gar, <strong>die</strong> Entfaltung d<strong>es</strong> Begriffs<br />

der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft führe zu g<strong>es</strong>ellschaftlichen Perspektiven,<br />

<strong>die</strong> „auf den Willen und <strong>die</strong> Befähigung der Menschen zu Selbst-


Widerstand. Macht. Wissen. 27<br />

Marianne Pührerfellner, Denormalisierung löst im Normalismus Alarm aus …, Digitaldruck auf Leinwand, 70 x 70 cm, 2007 (www.i-nemuri.org)<br />

b<strong>es</strong>timmung und Selbstorganisation setzt.“ Aber auch aus den<br />

Reihen oder Ecken, <strong>die</strong> weiterhin meinen, wir leben zu allererst in<br />

einer kapitalistischen und nicht unbedingt in einer „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“,<br />

wird in <strong>die</strong> positive Wertung d<strong>es</strong> veränderten Status<br />

d<strong>es</strong> Wissens eing<strong>es</strong>timmt. So vertraut beispielsweise der postoperaistische<br />

Theoretiker Paolo Virno auf <strong>die</strong> „konkrete Aneignung<br />

und Neuformulierung d<strong>es</strong> Wissens und Könnens, das heute<br />

(noch) in den administrativen Staatsapparaten begraben ist“.<br />

Bei so viel Begeisterung für <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, werden Fragen<br />

nach der Legitimität b<strong>es</strong>timmten Wissens, seiner Repräsentation<br />

und den unterschiedlichen Zugängen zu verschiedenen Formen<br />

d<strong>es</strong> Wissens häufig vernachlässigt. In der Behauptung,<br />

Wissen sei gegenwärtig „immer größeren Bevölkerungsschichten<br />

direkt oder indirekt zugänglich“ (Stehr), bleibt zumind<strong>es</strong>t unerwähnt,<br />

dass <strong>die</strong> Voraussetzungen für den Zugang zu und den<br />

Umgang mit Wissen radikal unterschiedliche sind.<br />

Es gilt als allgemeine Tendenz der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“, dass<br />

Kompetenzen in Sachen Kommunikation und Symbolanalyse eine<br />

enorme Aufwertung erfahren und letztlich unabdingbar werden –<br />

für das soziale Leben ebenso wie für <strong>die</strong> ökonomische Wertschöpfung.<br />

Und hier, beim Umgang mit Symbolen, kommunikativen<br />

skills und kreativen tools, kommt natürlich <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> ins<br />

Spiel. Obwohl in der Moderne als traditioneller Widerpart der<br />

Wissenschaft gehandelt, ist auch <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> vom Wandel d<strong>es</strong> Wissens<br />

betroffen. Dabei sind frühe Flirts künstlerischer Avantgarden<br />

mit technizistischen Utopien oder <strong>die</strong> vielschichtigen Überlappungen<br />

angewandter <strong>Kunst</strong> mit den Naturwissenschaften in Architektur<br />

und Handwerk sozusagen nur <strong>die</strong> Ränder d<strong>es</strong> Spielfelds.<br />

Auch geht <strong>es</strong> nicht in erster Linie um <strong>die</strong> Bebilderung oder Vermittlung<br />

wissenschaftlichen – oder anderen – Wissens.<br />

Im Zentrum stehen vielmehr einerseits <strong>die</strong> der bildenden <strong>Kunst</strong><br />

eigenen Formen der Wissensproduktion. Di<strong>es</strong>e können durchaus<br />

im Wechselspiel mit wissenschaftlichem Wissen entwickelt sein,<br />

d<strong>es</strong>sen g<strong>es</strong>ellschaftliche Wahrnehmung hinterfragen oder seinen<br />

Wahrheitsgehalt in Frage stellen. Ebenso hat der Bezug auf<br />

kunstimmanente Frag<strong>es</strong>tellungen b<strong>es</strong>timmt<strong>es</strong> Wissen hervorgebracht.<br />

Das ist sicherlich der Umgang mit Symbolen, auf den im<br />

Anschluss an <strong>die</strong> Zeichentheorie stark abgehoben wird. Aber<br />

auch <strong>die</strong> Recherche hat als künstlerische Methode an Gewicht gewonnen.<br />

Erkundete damit zunächst <strong>die</strong> konzeptuelle <strong>Kunst</strong> seit<br />

den 1960er Jahren Mechanismen d<strong>es</strong> eigenen Feld<strong>es</strong>, wurden später<br />

auch verschiedenste andere g<strong>es</strong>ellschaftliche Bereiche untersucht.<br />

Dabei steht bis heute auch <strong>die</strong> Aneignung und Verwertung<br />

von Wissen selbst im Mittelpunkt, wie z.B. in In<strong>es</strong> Doujaks documenta<br />

12-Arbeit, <strong>die</strong> Biopiraterie und Gender-Diversitäten verknüpft.<br />

Oder <strong>es</strong> geht um <strong>die</strong> Entmystifizierung komplexer g<strong>es</strong>ellschaftlicher<br />

Wissenszusammenhänge, wie sie Andreas Siekmanns<br />

g<strong>es</strong>chredderte Stadtmarketing-Maskottchen bei den Münsteraner<br />

Skulptur Projekten präsentiert haben. In beiden Fällen ermöglicht<br />

<strong>die</strong> ästhetische Umsetzung zudem <strong>die</strong> Entwicklung neuen, über<br />

<strong>die</strong> konkret gegebenen Informationen hinaus gehend<strong>es</strong> Wissens.<br />

Was <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> aber andererseits zu einem nicht unbedeutenden<br />

Feld innerhalb der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ macht, ist <strong>die</strong> Behauptung,<br />

dass <strong>es</strong> gerade künstlerische Praktiken und Werte sind, <strong>die</strong><br />

sich in soziale Bereiche ausgedehnt haben, <strong>die</strong> zuvor ziemlich unberührt<br />

von ihnen waren. Dass eine auf Freiheit, Autonomie und<br />

Flexibilität ausgerichtete „Künstlerkritik“ (Luc Boltanski / Éve<br />

Chiapello) Eingang in <strong>die</strong> Forderungen und Praktiken sozialer Bewegungen<br />

seit den 1960er Jahren gefunden hat, ist vielleicht weniger<br />

überraschend. Zur Ausdehnung „künstlerischer“ Praktiken<br />

gehört aber auch <strong>die</strong> allseits gefeierte und geforderte Kreativität,<br />

<strong>die</strong> selbst der prekär B<strong>es</strong>chäftigten noch abverlangt wird, <strong>die</strong> im<br />

wiener W<strong>es</strong>tbahnhof für eine Fastfoodkette Butterbrote schmiert<br />

und d<strong>es</strong>halb „Sandwich Artist“ heißt. Kurz: Die immaterielle Arbeit<br />

sei zur hegemonialen Form der Arbeit geworden, <strong>die</strong> Produktion<br />

habe <strong>die</strong> Fabrik verlassen und finde innerhalb der G<strong>es</strong>ellschaft<br />

statt. Und zwar in Form einer Kombination aus intellektuellen<br />

Fähigkeiten, handwerklichem G<strong>es</strong>chick, unternehmerischer Entscheidungsfindung<br />

und sozialer Kooperation.<br />

Ist jen<strong>es</strong> kooperative Kommunizieren, wie Virno meint, <strong>die</strong> allgemeine<br />

Basiskompetenz, <strong>die</strong> unter Bedingungen zum Vorschein<br />

kommt, in denen Orientierungslosigkeit und Fremdheit „unausweichliche<br />

und dauerhafte Erfahrung“ aller sei? Und ist das „reflexive<br />

Nichtwissen“ (Beck) ein alle verbindend<strong>es</strong> Spezifikum der<br />

Gegenwartsg<strong>es</strong>ellschaften? Unterschiedlichen sozialen, politischen<br />

und kulturellen Ausgangsbedingungen jedenfalls wird in<br />

di<strong>es</strong>en Ansätzen keine große Aufmerksamkeit gewidmet. Um solchen<br />

fundamentalen Ungleichheiten gerecht zu werden, sind andere<br />

zeitdiagnostische Labels vielleicht tauglicher. Wer weiß. ●<br />

Jens Kastner ist Soziologe und <strong>Kunst</strong>historiker und lebt in Wien.


Educación Popular Marlen Eizaguirre<br />

26<br />

Magdalena Steinleitner, Wie ist der Widerstand im Begriff der Wiederholung zu denken? (Judith Butler: Psyche der Macht), Assoziationsblätter 20 x 20, 2007<br />

❚ Die educación popular ist ein Ansatz, der Bildung als einen partizipativen<br />

und transformierenden Proz<strong>es</strong>s versteht, in der das<br />

Erlernen und <strong>die</strong> Wissensaneignung auf der praktischen Erfahrung<br />

der Personen und der Gruppen selbst basiert. Ausgehend<br />

von der Sensibilisierung und dem Verständnis der Beteiligten gegenüber<br />

den Faktoren und Strukturen, <strong>die</strong> ihr Leben b<strong>es</strong>timmen,<br />

geht <strong>es</strong> darum, ihnen bei der Entwicklung von Strategien, Fähigkeiten<br />

und Techniken zu helfen, <strong>die</strong> nötig sind, um eine an der<br />

Veränderung der Realität orientierte Partizipation zu ermöglichen.<br />

Die Ursprünge di<strong>es</strong>er Strömung, <strong>die</strong> einen großen theoretischen<br />

und praktischen Einfluss auf <strong>die</strong> Entwicklung(spolitik) hatte, finden<br />

sich bereits in den 1960er Jahren in den Arbeiten d<strong>es</strong> brasilianischen<br />

Pädagogen Paulo Freire und in den Erfahrungen einer<br />

Vielzahl von – vornehmlich lateinamerikanischen – Organisationen.<br />

Ausgehend von der F<strong>es</strong>tstellung einer ungerechten und von<br />

Ungleichheit geprägten <strong>Wir</strong>klichkeit, b<strong>es</strong>tand ihr Anliegen darin,<br />

auf der Basis praktischer Erfahrung mit und von den Unterschichtmilieus<br />

(sector<strong>es</strong> popular<strong>es</strong>) aus pädagogische Werkzeuge<br />

zu schaffen, <strong>die</strong> <strong>es</strong> di<strong>es</strong>en ermöglichen würden, an ihrer konkreten<br />

Realität mitzuwirken, sie zu organisieren und zu verändern<br />

und ihr Leben zu verb<strong>es</strong>sern. Das Hauptziel der educación popular<br />

b<strong>es</strong>teht darin, an der Konstruktion einer eigenständigen –<br />

nicht nur formalen sondern realen – Demokratie mitzuwirken, in<br />

der alle Personen und Bevölkerungsgruppen <strong>die</strong> tatsächlichen<br />

Fähigkeiten und Möglichkeiten b<strong>es</strong>itzen, an Verhältnissen zu partizipieren,<br />

um befreiende soziale Veränderungen zu Gunsten der<br />

Entwicklung und einer gerechteren, solidarischeren und kooperativeren<br />

Welt anzustoßen, <strong>die</strong> zudem in größerer Harmonie mit<br />

der Natur existiert.<br />

Auf di<strong>es</strong>e Weise ist Bildung als ein transformatorischer Proz<strong>es</strong>s zu<br />

verstehen, in dem <strong>die</strong> beteiligten Personen selbst <strong>die</strong> maßgeblichen<br />

AkteurInnen sind. Di<strong>es</strong>er Proz<strong>es</strong>s b<strong>es</strong>teht aus verschiedenen<br />

Phasen, <strong>die</strong> sich immer wieder neu b<strong>es</strong>tärken und kontinuierlich<br />

neu b<strong>es</strong>timmen: a) <strong>die</strong> Realität und <strong>die</strong> eigene Praxis kritisch hinterfragen,<br />

b) neue Formen d<strong>es</strong> Handelns erkennen und entwickeln,<br />

c) <strong>die</strong> Handlung neu konzipieren, um <strong>die</strong> Realität zu verb<strong>es</strong>sern<br />

und d) auf <strong>die</strong> Realität einwirken.<br />

Ein ander<strong>es</strong> Merkmal der educación popular sind ihre Methoden.<br />

Sie b<strong>es</strong>tehen aus Techniken und Dynamiken, <strong>die</strong> von der eigenen<br />

<strong>Wir</strong>klichkeit und Erfahrung der Menschen ausgehen. Mit ihrer<br />

Hilfe wird das Inter<strong>es</strong>se der Gruppe geweckt und aufrechterhalten<br />

und <strong>die</strong> Beteiligung, <strong>die</strong> Reflexion, der Dialog und <strong>die</strong> Analyse innerhalb<br />

ihrer ermöglicht. In di<strong>es</strong>em Sinne liefert auch der Pädagoge<br />

/ <strong>die</strong> Pädagogin nicht alle Antworten, sondern hilft lediglich<br />

dabei, dass <strong>die</strong> Gruppe <strong>die</strong> nötigen Fragen formuliert und ihre eigenen<br />

Antworten darauf findet. Di<strong>es</strong>e Methode hängt direkt mit<br />

der offenen, flexiblen, partizipativen, gruppenorientierten, praktischen<br />

und erfahrungsorientierten Art der educación popular zusammen,<br />

so wie auch mit den Zielen und Werten, für <strong>die</strong> sie eintritt:<br />

partizipative Demokratie, organisatorische Entwicklung,<br />

Handlungsbefähigung, Transformation und <strong>die</strong> Veränderung d<strong>es</strong><br />

wirklichen Lebens.<br />

Einige andere Kennzeichen der educación popular sind <strong>die</strong> Folgenden:<br />

a) <strong>die</strong> Vielfalt der Gedankengebäude, <strong>die</strong> sie beeinflusst<br />

haben (Humanismus, Basischristentum, Theologie der Befreiung,<br />

Marxismus etc.), b) ihre praktische Konkretisierung in gemeinsamen,<br />

offenen und vielfältigen Erfahrungen ebenso wie ihre kon-


Widerstand. Macht. Wissen. 29<br />

als auch ihre Bedürfnisse und ihre Fähigkeiten analysieren können,<br />

was unter den partizipativen Ansätzen oder der ländlichpartizipativen<br />

Diagnose fungiert.<br />

stant<strong>es</strong> Bemühen um <strong>die</strong> Konzeptualisierung und Vertiefung ihrer<br />

theoretischen Basis, c) <strong>die</strong> Produktion neuer methodischer und<br />

didaktischer Instrumente im Einklang mit den Zielen und der<br />

Realität der Personen, an <strong>die</strong> sie sich richtet, d) <strong>die</strong> bewusste und<br />

durchgängige Ausrichtung ihrer erzieherischen Praxis an der Stärkung<br />

der organisatorischen Proz<strong>es</strong>se innerhalb der Unterschichtsmilieus<br />

und ihr Beitrag zur Entwicklung neuer (gemeinschaftlicher,<br />

kooperativer, gewerkschaftlicher etc.) Organisationsformen,<br />

e) <strong>die</strong> Bekräftigung der politisch-pädagogischen Dimension in ihrer<br />

erzieherischen Intervention.<br />

Im Bereich der Entwicklung(spolitik) hat <strong>die</strong> educación popular<br />

auf verschiedenen Ebenen wichtige Beiträge geleistet: A) Erstens<br />

hat di<strong>es</strong>er Ansatz <strong>die</strong> Praxis in der Gemeinschaftsarbeit entscheidend<br />

beeinflusst und tut di<strong>es</strong> noch immer, nicht nur in Lateinamerika,<br />

sondern auf der ganzen Welt. B) Darüber hinaus hat er<br />

<strong>die</strong> Arbeit der Bildung/Erziehung für <strong>die</strong> Entwicklung in den Ländern<br />

d<strong>es</strong> Nordens entscheidend geprägt. C) Seit den 1980er Jahren<br />

hat <strong>die</strong> educación popular <strong>die</strong> Ausrichtung vieler Entwicklungsprojekte<br />

inspiriert, in denen sie <strong>die</strong> Partizipation der BildungsempfängerInnen<br />

nach deren Entwurf und Betreiben und ausgehend<br />

von deren Bedürfnissen und Prioritäten gefördert hat. D)<br />

Gleichzeitig waren sowohl <strong>die</strong> Philosophie, <strong>die</strong> <strong>die</strong> educación popular<br />

inspiriert hat, wie auch <strong>die</strong> Erfahrungen, <strong>die</strong> von ihr ausgingen,<br />

<strong>die</strong> Wurzeln für neue Grundsatzkonzepte in der gegenwärtigen<br />

Terminologie der Entwicklung(spolitik), sowohl im Hinblick<br />

auf <strong>die</strong> Personen als auch <strong>die</strong> Gemeinden, <strong>die</strong> sich in einem Veränderungsproz<strong>es</strong>s<br />

befinden. E) Schließlich hat <strong>die</strong> educación popular<br />

auch zur Ausarbeitung zahlreicher Techniken beigetragen,<br />

<strong>die</strong> <strong>es</strong> ermöglichen, dass <strong>die</strong> Gemeinden selbst sowohl <strong>die</strong> Realität<br />

Die educación popular hat in den vergangenen Jahrzehnten diverse<br />

Etappen durchgemacht. In den 1960er Jahren b<strong>es</strong>tand das<br />

zentrale Ziel darin, Organisationen zu schaffen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Fähigkeit<br />

zur Veränderung der <strong>Wir</strong>klichkeit b<strong>es</strong>aßen. In den 1970er Jahren<br />

blieb di<strong>es</strong><strong>es</strong> Ziel b<strong>es</strong>tehen, auch wenn <strong>die</strong> Schwerpunkte sich auf<br />

<strong>die</strong> Stärkung der bereits existierenden Organisationen und Basisbewegungen<br />

verlagerte, und daran gearbeitet wurde, soziale Proz<strong>es</strong>se<br />

wie jene voranzubringen, <strong>die</strong> Salvador Allende in Chile oder<br />

<strong>die</strong> Sandinistas in Nikaragua an <strong>die</strong> Macht brachten. In den 1980er<br />

Jahren hingegen wurde <strong>die</strong> Notwendigkeit konstatiert, <strong>die</strong> Prof<strong>es</strong>sionalität<br />

der existierenden Bildungsgruppen zu erhöhen. In<br />

den 1990er Jahren geriet <strong>die</strong> educación popular schließlich in <strong>die</strong><br />

Krise, ausgelöst durch <strong>die</strong> Schwächung der Utopien und der ausprobierten<br />

Modelle sozialen Wandels am Ende d<strong>es</strong> Kalten Krieg<strong>es</strong>.<br />

Dennoch ist seit Mitte der 1990er Jahre eine gewisse Wiederaufwertung<br />

der educación popular zu beobachten. Auch wenn viele<br />

sie als einen an <strong>die</strong> vergangenen revolutionären Erfahrungen in<br />

der Dritten Welt geknüpften Anachronismus und als vollkommen<br />

unangem<strong>es</strong>sen für <strong>die</strong> entwickelten G<strong>es</strong>ellschaften ansehen, erkennen<br />

andere ihre Relevanz auch für <strong>die</strong> G<strong>es</strong>ellschaften d<strong>es</strong><br />

Nordens: Mit einer entsprechenden Anpassung an ihre sozialen,<br />

politischen und ökonomischen Realitäten, kann <strong>die</strong> educación popular<br />

ein angem<strong>es</strong>sen<strong>es</strong> Instrument dafür sein, um Transformationen<br />

anzustoßen, mit denen auch <strong>die</strong> Erste Welt und <strong>die</strong> g<strong>es</strong>amte<br />

Menschheit sich im neuen Kontext der Globalisierung zu konfrontieren<br />

hat. ●<br />

Marlen Eizaguirre ist Soziologin, Koordinatorin der NGO für Entwicklungszusammenarbeit,<br />

Alboan, und lebt in Bilbao/Bilbo.<br />

Aus dem Spanischen übersetzt von Jens Kastner.


Widerstand. Macht. Wissen im Buch Jens Kastner<br />

Sabine Ammon, Corinna Heineke, Kirsten Selbmann (Hg.): Wissen in Bewegung.<br />

Vielfalt und Hegemonie in der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, Weilerswist 2007<br />

(Velbrück Wissenschaft).<br />

Ulrich Beck: Weltrisikog<strong>es</strong>ellschaft, Frankfurt a. M. 2007 (Suhrkamp Verlag).<br />

Heinrich Böll Stiftung (Hg.): Die Verfasstheit der Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, Münster<br />

2007 (Verlag W<strong>es</strong>tfälisch<strong>es</strong> Dampfboot).<br />

Irene Dölling, Dorothea Dornhof, Karin Esders, Corinna Genschel, Sabine<br />

Hark (Hg.): Transformationen von Wissen, Mensch und G<strong>es</strong>chlecht. Transdisziplinäre<br />

Interventionen, Königstein/Taunus 2007 (Ulrike Helmer Verlag).<br />

Jacqu<strong>es</strong> Rancière: Der unwissende Lehrmeister. Fünf Lektionen über <strong>die</strong> intellektuelle<br />

Emanzipation, Wien 2007 (Passagen Verlag).<br />

❚ Wissen ist in Verhältnissen zu denken. Es ist nicht bloß ein zu<br />

Handlungen ermächtigend<strong>es</strong> System oder eine ausbeutbare R<strong>es</strong>source,<br />

sondern „gebunden an Zeit und Ort, gekoppelt an g<strong>es</strong>ellschaftliche<br />

Verhältnisse.“ Darauf weisen Ammon, Heineke und<br />

Selbmann hin und widmen ihren Sammelband zudem einem erweiterten<br />

Wissensbegriff. Nicht nur wissenschaftliche, sondern<br />

auch alltägliche, kulturelle, künstlerische und nichtwissende Wissensformen<br />

werden untersucht. Die Frage, wie sich „Hegemonien<br />

b<strong>es</strong>timmter Wissensformen etablieren“, durchzieht dabei einen<br />

Großteil der Beiträge. Sie drehen sich um erkenntnistheoretische,<br />

entwicklungspolitische und sozialbewegte Frag<strong>es</strong>tellungen. Weil<br />

<strong>es</strong> AktivistInnen sozialer Bewegungen so scheine, als würden Unsicherheiten<br />

im eigenen Wissen politisch<strong>es</strong> Handeln blockieren,<br />

würden sie ihr Nichtwissen gerne leugnen. Das behauptet Ulrich<br />

Beck, der das Nichtwissen zwar allgemein für den Schlüsselkonflikt<br />

der reflexiven Moderne hält. Spezifisch „verdrängt<strong>es</strong> oder<br />

nicht-gewußt<strong>es</strong> Nichtwissen“ finde sich aber häufig bei „Experten<br />

und Gegenexperten, neuen (oder alten) religiösen und sozialen<br />

Bewegungen“ und verweise auf deren begrenzten Horizont. Etwas<br />

konkreter und deutlich weniger diffamierend als beim soziologischen<br />

Meisterdenker g<strong>es</strong>taltet sich <strong>die</strong> Debatte um das Wissen<br />

künstlerischer und sozialer Bewegungen hingegen in den drei<br />

Aufsatzbänden. So wird <strong>die</strong> Legitimität von Laienwissen für den<br />

b<strong>es</strong>seren Umgang mit g<strong>es</strong>ellschaftlichen Risiken (Selbmann) oder<br />

gar, im Sinne einer „Pluralisierung der Perspektiven“ (Arne<br />

Hintz), im biomedizinischen Diskursen eingeklagt. Die Bildungskommission<br />

der Heinrich Böll-Stiftung setzt überhaupt auf <strong>die</strong><br />

„Stärkung zivilg<strong>es</strong>ellschaftlicher Strukturen“. Der von der Grünen-nahen<br />

Stiftung herausgegebene Band gehört sicherlich zu<br />

den umfassendsten und informiert<strong>es</strong>ten Konvoluten zur Wissens-<br />

g<strong>es</strong>ellschaft. Darin wird der gegenwärtigen Ökonomisierung d<strong>es</strong><br />

Wissens ebenso nachgegangen wie bildungspolitischen Diskussionen<br />

und dem Verhältnis von Ethik und Wissen(schaft) in den<br />

Bio- und Körperpolitiken. Dass eine Diagnose der Gegenwart „ohne<br />

g<strong>es</strong>chlechterkritische Perspektive nicht zu haben“ (Hark) ist,<br />

behauptet und b<strong>es</strong>pricht hingegen das Buch von Dölling u.a. sehr<br />

eindringlich. Wie „Bilder <strong>die</strong> Ordnungen d<strong>es</strong> Wissens installieren<br />

oder auch d<strong>es</strong>tabilisieren können“ (Dornhof), ist dabei nur eine<br />

von vielen Frag<strong>es</strong>tellungen. Eine philosophische Erörterung d<strong>es</strong><br />

Wissens und seiner Vermittlung leistet Jacqu<strong>es</strong> Rancière. Im Anschluss<br />

an den Aufklärer Joseph Jacotot entwirft Rancière dabei<br />

ein antipädagogisch<strong>es</strong> Manif<strong>es</strong>t, das seine Idee ursprünglicher<br />

Gleichheit fortführt. Wissen müsse nicht gelehrt, also erklärt werden,<br />

denn <strong>die</strong> Erklärung sei „der Mythos der Pädagogik (…).“<br />

Nicht erläutern und vermitteln sei also <strong>die</strong> radikale Folgerung aus<br />

der Aufklärung, sondern <strong>die</strong> Botschaft Jacotots: dass man lehren<br />

kann, worin man unwissend ist. Rancièr<strong>es</strong> Begeisterung für Jacotot<br />

legt auch den Voluntarismus seiner eigenen Gleichheitsvorstellung<br />

offen. Über Jacotots „Methode der Gleichheit“ heißt <strong>es</strong>,<br />

sie sei „zuallererst eine Methode d<strong>es</strong> Willens. Man konnte, wenn<br />

man <strong>es</strong> wollte, allein und ohne erklärenden Lehrmeister durch <strong>die</strong><br />

Spannung sein<strong>es</strong> eigenen Begehrens oder durch den Zwang der<br />

Situation lernen.“ Was zunächst sympathisch antiautoritär klingt,<br />

dürfte wohl auch konservativen BildungspolitikerInnen zur Freude<br />

gereichen. ●<br />

Jens Kastner ist <strong>Kunst</strong>historiker und Soziologe und lebt in Wien.<br />

Er ist Koordinierender Redakteur d<strong>es</strong> <strong>Bildpunkt</strong>.


an.schläge tv<br />

das <strong>feministische</strong> Magazin<br />

an.sturm, an.probe, an.geheftet an.sehen;<br />

an.beraumt: monatlich auf OKTO..<br />

www.okto.tv/anschlaege<br />

Impr<strong>es</strong>sum Me<strong>die</strong>ninhaberin, Verlegerin, Herausgeberin:<br />

Gumpendorfer Straße 10–12, A-1060 Wien; www.igbildendekunst.at<br />

❚ Redaktion (bildpunkt@igbildendekunst.at): Jens Kastner (Koordination),<br />

Nora Sternfeld, Daniela Koweindl, Carlos Toledo und Eva Dertschei<br />

❚ Grafische G<strong>es</strong>taltung: Toledo i Dertschei (Mitarbeit: Lena Artaker)<br />

❚ Druck: Druckerei Drava, Klagenfurt/Celovec<br />

❚ Abo: Inland ¤ 12, Ausland ¤ 16; office@igbildendekunst.at, +43/(0)1/524 09 09<br />

❚ www.igbildendekunst.at/bildpunkt<br />

❚ <strong>Bildpunkt</strong> ist Kooperationspartner von linksnet.de<br />

❚ Zum Cover: Pro Ausgabe wird der Titel d<strong>es</strong> Schwerpunktthemas in einer anderen<br />

Schrifttype g<strong>es</strong>etzt. Die hier verwendete Schrift ist <strong>die</strong> Sassoon Primary<br />

(www.clubtype.co.uk). Sie wurde von Dr. Rosemary Sassoon (1931) g<strong>es</strong>taltet.<br />

Sie promovierte an der Univ<strong>es</strong>ity of Reading in Reading/Berkshire, UK. Als<br />

Expertin für Kalligraphie, speziell für Kinder, entwickelte sie di<strong>es</strong>e Schrift (1986)<br />

mit und für Kinder. Sie versucht den „marktwirtschaftlichen“ Anspruch d<strong>es</strong><br />

schnelleren Lernens (von „L<strong>es</strong>en und Schreiben“) zu entsprechen (siehe Why<br />

Sassoon, Sassoon & Williams, Surrey 2000). Hier werden naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnisse angewandt (u.a. bei der Betonung der Unterschiede von<br />

Buchstaben, z.B. wegen der Schwierigkeit beim L<strong>es</strong>en durch <strong>die</strong> Spiegelung<br />

von „b“ und „d“), um das lernen zu erleichtern. Aber wie Zuzana Licko bereits<br />

1991 provozierend bemerkte: „You read b<strong>es</strong>t what you read most“. Damit löste<br />

sie, zusammen mit anderen Typographen, eine neue Diskussion um „L<strong>es</strong>barkeit“<br />

aus. Das „wirkliche Wissen“ soll nach Paolo Freire (1929) in der Pädagogik<br />

der Unterdrückten (N.Y. 1970) bewusstseinsbildend für <strong>die</strong> Masse der AnalphabetInnen<br />

sein. Aber wenn das Wissen befreiend sein soll, dann muss Bertolt<br />

Brechts Die Mutter – Leben der Revolutionärin Pelagea Wlassowa aus Twer<br />

(nach dem gleichnamigen Roman, 1906, von Maxim Gorki, 1868) zitiert werden<br />

(1932): „Das ,A‘ bei der Ausbeutung ist genau wie das ,A‘ bei Arbeiter.“ ● TiD<br />

Kann man<br />

<strong>Kunst</strong> lehren?<br />

...........................................................................................................<br />

prof<strong>es</strong>sorenInnen wolfgang baatz | martin beck | erwin bohatsch<br />

monica bonvicini | gregg bordowitz | sabeth buchmann | gunter<br />

damisch | carola dertnig | <strong>die</strong>drich <strong>die</strong>derichsen | harun farocki<br />

elke gaugele | marina grzinic | mona hahn | matthias herrmann<br />

tom holert | michelle howard | judith huemer | gerda kaltenbruner<br />

christian kravagna | peter leeb | bart lootsma | dorit margreiter<br />

marion von osten | manfred pernice | josephine pryde | daniel<br />

richter | constanze ruhm | elisabeth samsonow | markus schaefer<br />

hans scheirl | manfred schreiner | nasrine seraji | peter sloterdijk<br />

wolfgang tschapeller | erich wonder | amelie von wulffen | heimo<br />

zobernig<br />

www.akbild.ac.at

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