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Ueber Begriff und Gegenstand - Académie de Nancy-Metz

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<strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

Gottlob Frege<br />

Alain.Blachair@ac-nancy-metz.fr<br />

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Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

[192] Benno Kerry hat in einer Reihe von Artikeln über Anschauung <strong>und</strong> ihre<br />

psychische Verarbeitung 1 in dieser Vierteljahrschrift vielfach theils zustimmend,<br />

theils bestreitend auf meine Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Arithmetik <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re von meinen<br />

Schriften Bezug genommen. Dies kann mir nur erfreulich sein, <strong>und</strong> ich glaube,<br />

mich am besten dadurch erkenntlich zu zeigen, dass ich die Erörterung <strong>de</strong>r von<br />

ihm bestrittenen Punkte aufnehme. Um so nöthiger scheint mir das zu sein, als sein<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch zum Teil je<strong>de</strong>nfalls auf einem Missverstehen meiner Aeusserungen<br />

über <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> beruht, das von An<strong>de</strong>rn getheilt wor<strong>de</strong>n könnte, <strong>und</strong> als diese<br />

Sache wichtig <strong>und</strong> schwierig genug ist, um auch abgesehen von dieser beson<strong>de</strong>ren<br />

Veranlassung eingehen<strong>de</strong>r behan<strong>de</strong>lt zu wer<strong>de</strong>n, als wie es mir in meinen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen passend zu sein schien.<br />

Das Wort „<strong>Begriff</strong>“ wird verschie<strong>de</strong>n gebraucht, theils in einem<br />

psychologischen, theils in einem logischen Sinne, theils vielleicht in einer unklaren<br />

Mischung von bei<strong>de</strong>n. Diese nun einmal vorhan<strong>de</strong>ne Freiheit fin<strong>de</strong>t ihre natürliche<br />

Beschränkung in <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung, dass die einmal angenommene Gebrauchsweise<br />

festgehalten wer<strong>de</strong>. Ich habe mich nun dafür entschie<strong>de</strong>n, einen rein logischen<br />

Gebrauch streng durchzufahren. Die Frage, ob dieses o<strong>de</strong>r jenes zweckmässiger sei,<br />

möchte ich als weniger wichtig bei Seite lassen. Man wird sich leicht aber die<br />

Ausdrucksweise verständigen, wenn man einmal anerkannt hat, dass etwas da ist,<br />

was eine beson<strong>de</strong>re Benennung verdient.<br />

Es scheint mir nun das Missverstehen Kerry’s dadurch bewirkt zu sein, dass er<br />

unwillkürlich seine eigne Gebrauchsweise <strong>de</strong>s Wortes „<strong>Begriff</strong>“ mit meiner<br />

vermengt. Hieraus entspringen ja leicht Wi<strong>de</strong>rsprüche, die nicht meiner<br />

Gebrauchsweise zur Last fallen.<br />

[193] Kerry bestreitet das, was er meine Definition von <strong>Begriff</strong> nennt. Da<br />

möchte ich nun zunächst bemerken, dass meine Erklärung nicht als eigentliche<br />

Definition gemeint ist. Man kann auch nicht verlangen, dass Alles <strong>de</strong>finirt wer<strong>de</strong>,<br />

wie man auch vom Chemiker nicht verlangen kann, dass er alle Stoffe zerlege. Was<br />

einfach ist, kann nicht zerlegt wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> was logisch einfach ist, kann nicht<br />

eigentlich <strong>de</strong>finirt wer<strong>de</strong>n. Das Logischeinfache ist nun ebensowenig wie die<br />

meisten chemischen Elemente von vornherein gegeben, son<strong>de</strong>rn wird erst durch<br />

wissenschaftliche Arbeit gewonnen. Wenn nun etwas gef<strong>und</strong>en ist, was einfach ist<br />

o<strong>de</strong>r wenigstens bis auf Weiteres als einfach gelten muss, so wird eine Benennung<br />

dafür zu prägen sein, da die Sprache einen genau entsprechen<strong>de</strong>n Ausdruck<br />

ursprünglich nicht haben wird. Eine Definition zur Einführung eines Namens für<br />

Logischeinfaches ist nicht möglich. Es bleibt dann nichts An<strong>de</strong>res übrig, als <strong>de</strong>n<br />

Leser o<strong>de</strong>r Hörer durch Winke dazu anzuleiten, unter <strong>de</strong>m Worte das Gemeinte zu<br />

verstehen.<br />

1<br />

Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, erster Artikel: 4. Jahrgang,<br />

III. Heft. S. 433 ff.<br />

1


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

Kerry möchte <strong>de</strong>n Unterschied zwischen <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong> nicht als<br />

absoluten gelten lassen. Er sagt: „Wir haben an früherer Stelle selbst <strong>de</strong>r Ansicht<br />

Ausdruck gegeben, dass das Verhältniss zwischen <strong>Begriff</strong>sinhalt <strong>und</strong><br />

<strong>Begriff</strong>sgegenstand in gewisser Beziehung ein eigenthümliches, irreducibles 2 sei;<br />

hiermit war aber keineswegs die Ansicht verb<strong>und</strong>en, dass die Eigenschaften: <strong>Begriff</strong><br />

zu sein <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong> zu sein einan<strong>de</strong>r ausschlössen; die letztere Ansicht folgt<br />

aus <strong>de</strong>r erstere so wenig, als etwa daraus, dass das Verhältniss zwischen Vater <strong>und</strong><br />

Sohn ein nicht weiter zurückführbares wäre, folgt, dass Jemand nicht zugleich<br />

Vater <strong>und</strong> Sohn (wiewohl natürlich nicht z. B. Vater Dessen, <strong>de</strong>ssen Sohn er ist)<br />

sein könne.“<br />

Knöpfen wir an dies Gleichniss an! Wenn es Wesen gäbe o<strong>de</strong>r gegeben hätte,<br />

welche zwar Väter wären, aber nicht Söhne sein könnten, so wür<strong>de</strong>n solche Wesen<br />

offenbar ganz andrer Art sein als alle Menschen, welche Söhne sind. Aehnliches<br />

kommt nun hier vor. Der <strong>Begriff</strong> - wie ich das Wort verstehe - ist prädicativ 3 . Ein<br />

<strong>Gegenstand</strong>sname hingegen, ein Eigenname ist durchaus unfähig, als<br />

grammatisches Prädicat gebraucht zu wer<strong>de</strong>n. Dies bedarf freilich einer<br />

Erläuterung, um nicht falsch zu erscheinen. Kann man nicht ebensogut von etwas<br />

aussagen, es sei Alexan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Grosse, o<strong>de</strong>r es sei die Zahl Vier, o<strong>de</strong>r es sei <strong>de</strong>r<br />

Planet Venus, wie man von etwas aussagen kann, es sei grün, o<strong>de</strong>r es sei ein<br />

Säugethier? [194] Wenn man so <strong>de</strong>nkt, unterschei<strong>de</strong>t man nicht die<br />

Gebrauchsweisen <strong>de</strong>s Wortes „ist“. In <strong>de</strong>n letzten bei<strong>de</strong>n Beispielen dient es als<br />

Copula, als blosses Formwort <strong>de</strong>r Aussage. Als solches kann es zuweilen durch die<br />

blosse Personalendung vertreten wer<strong>de</strong>n, Man vergleiche z. B. „dieses Blatt ist<br />

grün“ <strong>und</strong> „dieses Blatt grünt“. Wir sagen dann, dass etwas unter einen <strong>Begriff</strong><br />

falle, <strong>und</strong> das grammatische Prädicat be<strong>de</strong>utet dabei diesen <strong>Begriff</strong>. In <strong>de</strong>n ersten<br />

drei Beispielen wird dagegen das „ist“ wie in <strong>de</strong>r Arithmetik das Gleichheitszeichen<br />

gebraucht, um eine Gleichung 4 auszusprechen. Im Satze „<strong>de</strong>r Morgenstern ist die<br />

Venus“ haben wir zwei Eigennamen „Morgenstern“ <strong>und</strong> „Venus“ für <strong>de</strong>nselben<br />

<strong>Gegenstand</strong>. In <strong>de</strong>m Satze „<strong>de</strong>r Morgenstern ist ein Planet“ haben wir einen<br />

Eigennamen: „<strong>de</strong>r Morgenstern“ <strong>und</strong> ein <strong>Begriff</strong>swort: „ein Planet“. Sprachlich<br />

zwar ist nichts geschehen, als dass „die Venus“ ersetzt ist durch „ein Planet“; aber<br />

sachlich ist die Beziehung eine ganz an<strong>de</strong>re gewor<strong>de</strong>n. Eine Gleichung ist<br />

umkehrbar; das Fallen eines <strong>Gegenstand</strong>es unter einen <strong>Begriff</strong> ist eine nicht<br />

2<br />

Sic legitur.<br />

3 Er ist nämlich Be<strong>de</strong>utung eines grammatischen Prädicats.<br />

4 Ich brauche das Wort „gleich“ <strong>und</strong> das Zeichen „=“ in <strong>de</strong>m Sinne von „dasselbe<br />

wie“, „nichts An<strong>de</strong>res als“, „i<strong>de</strong>ntisch mit“. Man vergl. E. Schrö<strong>de</strong>r’s Vorlesungen<br />

über die Algebra <strong>de</strong>r Logik (Leipzig 1890) 1. Bd. § 1, wo jedoch zu ta<strong>de</strong>ln ist, dass<br />

zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n gr<strong>und</strong>verschie<strong>de</strong>nen Beziehungen <strong>de</strong>s Fallens eines<br />

<strong>Gegenstand</strong>es unter einen <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Unterordnung eines <strong>Begriff</strong>es unter<br />

einen <strong>Begriff</strong> nicht unterschie<strong>de</strong>n wird. Auch geben die Bemerkungen über die<br />

Vollwurzel zu Be<strong>de</strong>nken Veranlassung. Das Zeichen = bei Schrö<strong>de</strong>r vertritt nicht<br />

einfach die Copula.<br />

2


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

umkehrbare Beziehung. Das „ist“ im Satte „<strong>de</strong>r Morgenstern ist die Venus“ ist<br />

offenbar nicht die blosse Copula, son<strong>de</strong>rn auch inhaltlich ein wesentlicher Theil <strong>de</strong>s<br />

Prädicats, so dass in <strong>de</strong>n Worten: „die Venus“ nicht das ganze Prädicat enthalten<br />

ist 5 . Man könnte dafür sagen: „<strong>de</strong>r Morgenstern ist nichts An<strong>de</strong>res als die Venus“,<br />

<strong>und</strong> hier haben wir, was vorhin in <strong>de</strong>m einfachen „ist“ lag, in vier Worte<br />

auseinan<strong>de</strong>r gelegt, <strong>und</strong> in „ist nichts An<strong>de</strong>res als“ ist nun „ist“ wirklich nur noch<br />

die Copula. Was hier ausgesagt wird, ist also nicht die Venus, son<strong>de</strong>rn nichts<br />

An<strong>de</strong>res als die Venus. Diese Worte be<strong>de</strong>uten einen <strong>Begriff</strong>, unter <strong>de</strong>n freilich<br />

nur ein einziger <strong>Gegenstand</strong> fällt. Aber ein solcher <strong>Begriff</strong> muss immer noch von<br />

<strong>de</strong>m <strong>Gegenstand</strong>e unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n 6 . Wir haben hier ein Wort: „Venus“,<br />

welches nie eigentlich Prädicat sein kann, wiewohl es einen [195] Theil eines<br />

Prädicates bil<strong>de</strong>n kann. Die Be<strong>de</strong>utung 7 dieses Wortes kann also nie als <strong>Begriff</strong><br />

auftreten, son<strong>de</strong>rn nur als <strong>Gegenstand</strong>. Dass es etwas <strong>de</strong>r Art gibt, wür<strong>de</strong> auch<br />

Kerry wohl nicht bestreiten wollen. Damit wäre aber ein Unterschied zugestan<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>ssen Anerkennung sehr wichtig ist, zwischen <strong>de</strong>m, was nur als <strong>Gegenstand</strong><br />

auftreten kann, <strong>und</strong> allem Uebrigen. Und dieser Unterschied wür<strong>de</strong> auch dann<br />

nicht verwischt wer<strong>de</strong>n, wenn es wahr wäre, was Kerry meint, dass es <strong>Begriff</strong>e<br />

gebe, welche auch Gegenstän<strong>de</strong> sein können. Nun gibt es wirklich Fälle, welche<br />

diese Ansicht zu stützen scheinen. Ich habe selbst darauf hingewiesen (Gr<strong>und</strong>lagen<br />

§ 58 am En<strong>de</strong>), dass ein <strong>Begriff</strong> unter einen höhern fallen könne, was jedoch nicht<br />

mit <strong>de</strong>r Unterordnung eines <strong>Begriff</strong>es unter einen an<strong>de</strong>rn zu verwechseln sei. Kerry<br />

beruft sich hierauf nicht, son<strong>de</strong>rn gibt folgen<strong>de</strong>s Beispiel: „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> ‚Pferd’ ist ein<br />

leicht gewinnbarer <strong>Begriff</strong>“, <strong>und</strong> meint, <strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> ‚Pferd’ sei <strong>Gegenstand</strong> <strong>und</strong><br />

zwar einer <strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong>, die unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> ‚leicht gewinnbarer <strong>Begriff</strong>’<br />

fallen. Ganz recht! Die drei Worte „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> ,Pferd’“ bezeichnen einen<br />

<strong>Gegenstand</strong>, aber eben darum keinen <strong>Begriff</strong>, wie ich das Wort gebrauche. Dies<br />

stimmt vollkommen mit <strong>de</strong>m von mir gegebenen Kennzeichen 8 überein, wonach<br />

beim Singular <strong>de</strong>r bestimmte Artikel immer auf einen <strong>Gegenstand</strong> hinweist,<br />

während <strong>de</strong>r unbestimmte ein <strong>Begriff</strong>swort begleitet. Kerry meint nun zwar, dass<br />

man auf sprachliche Unterscheidungen keine logische Festsetzungen grün<strong>de</strong>n<br />

könne; aber in <strong>de</strong>r Weise, wie ich das thue, kann es überhaupt niemand vermei<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r solche Festsetzungen macht, weil wir uns ohne die Sprache nicht verständigen<br />

können <strong>und</strong> daher zuletzt doch immer auf das Vertrauen angewiesen sind, <strong>de</strong>r<br />

An<strong>de</strong>re verstehe die Worte, die Formen <strong>und</strong> die Satzbildung im Wesentlichen so<br />

wie wir selbst. Wie schon gesagt: ich wollte nicht <strong>de</strong>finiren, son<strong>de</strong>rn nur Winke<br />

geben, in<strong>de</strong>m ich mich dabei auf das allgemeine <strong>de</strong>utsche Sprachgefühl berief. Es<br />

kommt mir dabei vortrefflich zu statten, dass <strong>de</strong>r sprachliche Unterschied so gut<br />

mit <strong>de</strong>m sachlichen übereinstimmt. Beim unbestimmten Artikel ist wohl überhaupt<br />

5 Vgl. meine Gr<strong>und</strong>lagen § 66 Anm.<br />

6 Vgl. meine Gr<strong>und</strong>lagen § 51.<br />

7<br />

Man vgl. meinen Aufsatz über Sinn <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mnächst in <strong>de</strong>r<br />

Zeitschrift f. Phil. u. phil. Kritik erscheinen wird.<br />

8 Gr<strong>und</strong>lagen § 51, § 66 Anm., § 68 Anm. S. 80.<br />

3


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

keine Ausnahme von unserer Regel anzumerken, es wären <strong>de</strong>nn alterthümliche<br />

Formeln, wie „Ein edler Rath“. Nicht ganz so einfach liegt die Sache beim<br />

bestimmten Artikel, beson<strong>de</strong>rs im Plural; aber [196] auf diesen Fall bezieht sich<br />

mein Kennzeichen nicht. Beim Singular ist die Sache, soviel ich sehe, nur dann<br />

zweifelhaft, wenn er statt <strong>de</strong>s Plurals steht, wie in <strong>de</strong>n Sätzen: „<strong>de</strong>r Türke belagerte<br />

Wien“, „das Pferd ist ein vierbeiniges Thier“. Diese Fälle sind so leicht als<br />

beson<strong>de</strong>re zu erkennen, dass unsere Regel durch ihr Vorkommen an Werth kaum<br />

einbüsst. Es ist klar, dass im ersten Satze „<strong>de</strong>r Türke“ Eigenname eines Volkes ist.<br />

Der zweite Satz ist wohl am angemessensten als Ausdruck eines allgemeinen<br />

Urtheils aufzufassen, wie: „alle Pfer<strong>de</strong> sind vierbeinige Thiere“, o<strong>de</strong>r: „alle<br />

wohlausgebil<strong>de</strong>ten Pfer<strong>de</strong> sind vierbeinige Thiere“, wovon später noch die Re<strong>de</strong><br />

sein wird 9 . Wenn nun Kerry mein Kennzeichen unzutreffend nennt, in<strong>de</strong>m er<br />

behauptet, in <strong>de</strong>m Satze „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong>, von <strong>de</strong>m ich jetzt oben spreche, ist ein<br />

Individualbegriff“ be<strong>de</strong>ute <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n ersten acht Wörtern bestehen<strong>de</strong> Name<br />

sicherlich einen <strong>Begriff</strong>, so versteht er das Wort „<strong>Begriff</strong>“ nicht in meinen Sinne,<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspruch liegt nicht In meinen Festsetzungen. Niemand kann aber<br />

verlangen, dass meine Ausdrucksweise mit <strong>de</strong>r Kerry’s übereinstimmen müsse.<br />

Es kann ja nicht verkannt wer<strong>de</strong>n, dass hier eine freilich unvermeidbare<br />

sprachliche Härte vorliegt, wenn wir behaupten <strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> Pferdist kein <strong>Begriff</strong> 10 ,<br />

9<br />

Man ist jetzt, wie es scheint, geneigt, die Tragweite <strong>de</strong>s Satzes zu Übertreiben dass<br />

verschie<strong>de</strong>ne sprachliche Ausdrücke niemals vollkommen gleichwerthig seien <strong>und</strong><br />

dass ein Wort nie genau in einer an<strong>de</strong>rn Sprache wie<strong>de</strong>rgegeben wer<strong>de</strong>. Man könnte<br />

vielleicht noch weiter gehen <strong>und</strong> sagen, nicht einmal dasselbe Wort wer<strong>de</strong> von<br />

Menschen einer Sprache ganz gleich aufgefasst. Wieviel Wahrheit in diesen Sätzen<br />

ist, will ich nicht untersuchen, son<strong>de</strong>rn nur betonen, dass <strong>de</strong>nnoch nicht selten in<br />

verschie<strong>de</strong>nen Ausdrücken etwas Gemeinsames liegt, was ich <strong>de</strong>n Sinn <strong>und</strong> bei<br />

Sätzen im Beson<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Gedanken nenne; mit an<strong>de</strong>rn Worten: es darf nicht<br />

verkannt wer<strong>de</strong>n, das man <strong>de</strong>nselben Sinn, <strong>de</strong>nselben Gedanken verschie<strong>de</strong>n<br />

ausdrücken kann, wobei <strong>de</strong>nn also die Verschie<strong>de</strong>nheit nicht eine solche <strong>de</strong>s<br />

Sinnes, son<strong>de</strong>rn nur eine <strong>de</strong>r Auffassung, Beleuchtung, Färbung <strong>de</strong>s Sinnes ist <strong>und</strong><br />

für die Logik nicht in Betracht kommt. Es ist möglich, dass ein Satz nicht mehr<br />

<strong>und</strong> nicht weniger Auskunft als ein an<strong>de</strong>rer gibt; <strong>und</strong> trotz aller Mannigfaltigkeit <strong>de</strong>r<br />

Sprachen hat die Menschheit einen gemeinsamen Schatz von Gedanken. Wenn<br />

man je<strong>de</strong> Umformung <strong>de</strong>s Ausdrucks verbieten wollte unter <strong>de</strong>m Vorgeben, dass<br />

damit auch <strong>de</strong>r Inhalt verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>, so wür<strong>de</strong> die Logik gera<strong>de</strong>zu gelähmt; <strong>de</strong>nn<br />

ihre Aufgabe ist nicht wohl lösbar, ohne dass man sich bemüht, <strong>de</strong>n Gedanken in<br />

seinen mannigfachen Einkleidungen wie<strong>de</strong>rzuerkennen. Auch je<strong>de</strong> Definition wäre<br />

als falsch zu verwerfen.<br />

10 Aehnliches kommt vor, wenn wir mit Beziehung auf <strong>de</strong>n Satz „diese Rose ist<br />

roth“ sagen: das grammatische Prädicat „ist roth“ gehört zum Subjecte „diese<br />

Rose“. Hier sind die Worte „das grammatische Prädicat ‚ist roth’“ nicht<br />

grammatisches Prädicat, son<strong>de</strong>rn Subject. Gera<strong>de</strong> dadurch, dass wir es ausdrücklich<br />

Prädicat nennen, rauben wir ihm diese Eigenschaft.<br />

4


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

während doch z. B. die [197] Stadt Berlin eine Stadt <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Vulkan Vesuv ein<br />

Vulkan ist. Die Sprache befin<strong>de</strong>t sich hier in einer Zwangslage, welche die<br />

Abweichung vom Gewöhnlichen rechtfertigt. Dass unser Fall ein beson<strong>de</strong>rer ist,<br />

<strong>de</strong>utet Kerry selbst durch die Anführungszeichen beim Worte „Pferd“ an - ich<br />

gebrauche zu <strong>de</strong>mselben Zwecke gesperrte Schrift -. Es lag kein Gr<strong>und</strong> vor, die<br />

Wörter „Berlin“ <strong>und</strong> „Vesuv“ in ähnlicher Weise auszuzeichnen. Man hat bei<br />

logischen Untersuchungen nicht selten das Bedürfniss, etwas von einem <strong>Begriff</strong>e<br />

auszusagen <strong>und</strong> dies auch in die gewöhnliche Form für solche Aussagen zu klei<strong>de</strong>n,<br />

dass nämlich die Aussage Inhalt <strong>de</strong>s grammatischen Prädicats wird. Danach wür<strong>de</strong><br />

man als Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s grammatischen Subjects <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> erwarten; aber dieser<br />

kann wegen seiner prädicativen Natur nicht ohne Weiteres so erscheinen, son<strong>de</strong>rn<br />

muss erst in einen <strong>Gegenstand</strong> verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r, genauer gesprochen, er<br />

muss durch einen <strong>Gegenstand</strong> 11 vertreten wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n wir mittels <strong>de</strong>r vorgesetzten<br />

Worte „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong>“ bezeichnen, z. B.<br />

„<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> Mensch ist nicht leer“.<br />

Hier sind die ersten drei Worte als Eigenname 12 aufzufassen, <strong>de</strong>r ebensowenig<br />

prädicativ gebraucht wer<strong>de</strong>n kann wie etwa „Berlin“ o<strong>de</strong>r „Vesuv“. Wenn wir<br />

sagen: „Jesus fällt unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> Mensch“, so ist das Prädicat (von <strong>de</strong>r Copula<br />

abgesehen)<br />

„fallend unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> Mensch“,<br />

<strong>und</strong> es be<strong>de</strong>utet dasselbe wie<br />

„ein Mensch“.<br />

Von diesem Prädicate ist aber die Wortverbindung<br />

„<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> Mensch“<br />

nur ein Theil.<br />

Man könnte gegen die prädicative Natur <strong>de</strong>s <strong>Begriff</strong>es geltend machen, dass<br />

doch von einem Subjectsbegriffe gesprochen wer<strong>de</strong>. Aber auch in solchen Fällen,<br />

wie z. B. in <strong>de</strong>m Satze<br />

„alle Säugethiere haben rothes Blut“<br />

ist die prädicative Natur 13 <strong>de</strong>s <strong>Begriff</strong>es nicht zu verkennen; <strong>de</strong>nn man kann dafür<br />

sagen:<br />

[198] „was Säugethier ist, hat rothes Blut“,<br />

o<strong>de</strong>r<br />

„wenn etwas ein Säugethier ist, so hat es rothes Blut“.<br />

Als ich meine Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Arithmetik schrieb, hatte ich <strong>de</strong>n Unterschied<br />

zwischen Sinn <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utung noch nicht gemacht 14 <strong>und</strong> daher unter <strong>de</strong>m<br />

11 Vgl. meine Gr<strong>und</strong>lagen S. X.<br />

12 Eigennamen nenne ich je<strong>de</strong>s Zeichen für einen <strong>Gegenstand</strong>.<br />

13 Was ich hier prädicative Natur <strong>de</strong>s <strong>Begriff</strong>es nenne, ist nur ein beson<strong>de</strong>rer Fall<br />

<strong>de</strong>r Ergänzungsbedürftigkeit o<strong>de</strong>r Ungesättigtheit, die ich in meiner Schrift<br />

Function <strong>und</strong> <strong>Begriff</strong> (Jena 1891) als wesentlich für die Function angegeben habe.<br />

Dort liess sich <strong>de</strong>r Ausdruck die „Function f(x)“ nicht wohl vermei<strong>de</strong>n, obwohl<br />

auch dort die Härte entstand, dass die Be<strong>de</strong>utung dieser Worte keine Function ist.<br />

5


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

Ausdrucke „beurtheilbarer Inhalt“ noch das zusammengefasst, was ich jetzt mit<br />

<strong>de</strong>n Wörtern „Gedanke“ <strong>und</strong> „Wahrheitswerth“ unterschei<strong>de</strong>nd bezeichne. Die<br />

dort auf §. 77 gegebene Erklärung billige ich darum ihrem Wortlaute nach nicht<br />

mehr ganz, obwohl ich im Wesentlichen noch <strong>de</strong>rselben Meinung bin. Wir können<br />

kurz sagen, in<strong>de</strong>m wir „Prädicat“ <strong>und</strong> „Subject“ im sprachlichen Sinne verstehen:<br />

<strong>Begriff</strong> ist Be<strong>de</strong>utung eines Prädicates, <strong>Gegenstand</strong> ist, was nie die ganze<br />

Be<strong>de</strong>utung eines Prädicates, wohl aber Be<strong>de</strong>utung eines Subjects sein kann. Dabei<br />

ist zu bemerken, dass die Wörter „alle“, „je<strong>de</strong>r“, „kein“, „einige“ vor<br />

<strong>Begriff</strong>swörtern stehen. Wir sprechen in <strong>de</strong>n allgemein <strong>und</strong> particulär bejahen<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> verneinen<strong>de</strong>n Sätzen Beziehungen zwischen <strong>Begriff</strong>en aus <strong>und</strong> <strong>de</strong>uten die<br />

beson<strong>de</strong>re Art dieser Beziehung durch jene Wörter an, die also logisch nicht enger<br />

mit <strong>de</strong>m darauf folgen<strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong>sworte zu verbin<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>n ganzen<br />

Satz zu beziehen sind. Man sieht das leicht bei <strong>de</strong>r Verneinung. Wenn In <strong>de</strong>m Satze<br />

„alle Säugethiere sind Landbewohner“<br />

die Wortverbindung „alle Säugethiere“ das logische Subject zum Prädicate sind<br />

Landbewohner ausdrückte, so müsste man, um das Ganze zu verneinen, das<br />

Prädicat verneinen „sind nicht Landbewohner“. Statt <strong>de</strong>ssen ist das „nicht“ vor<br />

„alle“ zu setzen, woraus folgt, dass „alle“ logisch zum Prädicate gehört. Dagegen<br />

verneinen wir <strong>de</strong>n Satz „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> Säugethier ist untergeordnet <strong>de</strong>m <strong>Begriff</strong>e<br />

Landbewohner“, in<strong>de</strong>m wir das Prädicat verneinen: „ist nicht untergeordnet <strong>de</strong>m<br />

<strong>Begriff</strong>e Landbewohner“.<br />

Wenn wir festhalten, dass in meiner Re<strong>de</strong>weise Ausdrücke wie „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> F“<br />

nicht <strong>Begriff</strong>e, son<strong>de</strong>rn Gegenstän<strong>de</strong> bezeichnen, so wer<strong>de</strong>n die Einwendungen<br />

Kerry’s schon grösstentheils [199] hinfällig. Wenn er meint (S. 281), ich habe<br />

<strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Begriff</strong>sumfang i<strong>de</strong>ntificirt, so irrt er. Ich habe nur meine Meinung<br />

ausgesprochen, man könne in <strong>de</strong>m Ausdrucke „die Anzahl, welche <strong>de</strong>m <strong>Begriff</strong> F<br />

zukommt, ist <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>s <strong>Begriff</strong>es gleichzahlig <strong>de</strong>m <strong>Begriff</strong>e F“ die Worte<br />

„Umfang <strong>de</strong>s <strong>Begriff</strong>es“ durch „<strong>Begriff</strong>“ ersetzen. Man beachte hierbei wohl, dass<br />

dies Wort dann mit <strong>de</strong>m bestimmten Artikel verb<strong>und</strong>en ist. Uebrigens war dies nur<br />

eine beiläufige Bemerkung, auf die ich nichts gegrün<strong>de</strong>t habe.<br />

Während es <strong>de</strong>mnach Kerry nicht gelingt, die Kluft zwischen <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Gegenstand</strong> auszufüllen, könnte man meine eignen Aussprache in diesem Sinne<br />

verwerthen wollen. Ich habe gesagt 15 , die Zahlangabe enthalte eine Aussage von<br />

einem <strong>Begriff</strong>e; ich spreche von Eigenschaften, die von einem <strong>Begriff</strong>e ausgesagt<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> lasse einen <strong>Begriff</strong> unter einen höhern fallen 16 . Ich habe die Existenz<br />

Eigenschaft eines <strong>Begriff</strong>es genannt. Wie ich dies meine, wird an einem Beispiele<br />

am besten klar wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>m Satze „es gibt min<strong>de</strong>stens eine Quadratwurzel aus<br />

4“ wird nicht etwa von <strong>de</strong>r bestimmten Zahl 2 etwas ausgesagt, noch von -2,<br />

son<strong>de</strong>rn von einem <strong>Begriff</strong>e, nämlich Quadratwurzel aus 4, dass dieser nicht leer<br />

14 Vgl. meinen Aufsatz über Sinn <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utung in <strong>de</strong>r Zeitschrift f. Phil. u. phil.<br />

Kritik.<br />

15 Gr<strong>und</strong>lagen § 46.<br />

16 Gr<strong>und</strong>lagen § 58.<br />

6


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

sei. Wenn ich aber <strong>de</strong>nselben Gedanken so ausdrücke: „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong><br />

Quadratwurzel aus 4 ist erfüllt“, so bil<strong>de</strong>n die ersten fünf Worte <strong>de</strong>n Eigennamen<br />

eines <strong>Gegenstand</strong>es, <strong>und</strong> von diesem <strong>Gegenstand</strong>e ist etwas ausgesagt. Aber man<br />

beachte wohl, dass diese Aussage nicht dieselbe ist wie die vom <strong>Begriff</strong>e gemachte.<br />

Dies ist nur w<strong>und</strong>erbar für einen, <strong>de</strong>r verkennt, dass ein Gedanke mannigfach<br />

zerlegt wer<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> dass dadurch bald dies, bald jenes als Subject <strong>und</strong> als<br />

Prädicat erscheint. Durch <strong>de</strong>n Gedanken selbst ist noch nicht bestimmt, was als<br />

Subject aufzufassen ist. Wenn man sagt: „das Subject dieses Urtheils“, so<br />

bezeichnet man nur dann etwas Bestimmtes, wenn man zugleich auf eine<br />

bestimmte Art <strong>de</strong>r Zerlegung hinweist. Meist thut man dies mit Beziehung auf<br />

einen bestimmten Wortlaut. Man darf aber nie vergessen, dass verschie<strong>de</strong>ne Sätze<br />

<strong>de</strong>nselben Gedanken ausdrücken können. So könnte man in unserm Gedanken<br />

auch eine Aussage von <strong>de</strong>r Zahl 4 fin<strong>de</strong>n:<br />

„die Zahl 4 hat die Eigenschaft, dass es etwas gibt, <strong>de</strong>ssen Quadrat sie ist.“<br />

Die Sprache hat Mittel, bald diesen, bald jenen Theil <strong>de</strong>s [200] Gedankens als<br />

Subject erscheinen zu lassen. Eins <strong>de</strong>r bekanntesten ist die Unterscheidung <strong>de</strong>r<br />

Formen <strong>de</strong>s Activs <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Passivs. Es ist daher nicht unmöglich, dazu <strong>de</strong>rselbe<br />

Ge<strong>de</strong>nke bei einer Zerlegung als singulärer, bei einer an<strong>de</strong>rn als particulärer, bei<br />

einer dritten als allgemeiner erscheint. Danach darf es nicht W<strong>und</strong>er nehmen, dass<br />

<strong>de</strong>rselbe Satz aufgefasst wer<strong>de</strong>n kann als eine Aussage von einem <strong>Begriff</strong>e <strong>und</strong> auch<br />

als eine Aussage von einem <strong>Gegenstand</strong>e, wenn nur beachtet wird, dass diese<br />

Aussagen verschie<strong>de</strong>n sind. Es ist unmöglich, in <strong>de</strong>m Satze „es gibt min<strong>de</strong>stens<br />

eine Quadratwurzel aus 4“ die Worte „eine Quadratwurzel aus 4“ zu ersetzen durch<br />

„<strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> Quadratwurzel aus 4“; d. h. die Aussage, die auf <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> passt,<br />

passt nicht auf <strong>de</strong>n <strong>Gegenstand</strong>. Obgleich unser Satz <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> nicht als Subject<br />

erscheinen lässt, sagt er doch etwas von ihm aus. Man kann es so auffassen, als<br />

wer<strong>de</strong> das Fallen eines <strong>Begriff</strong>es unter einen höhern 17 ausgedrückt. Aber hierdurch<br />

wird <strong>de</strong>r Unterschied zwischen <strong>Gegenstand</strong> <strong>und</strong> <strong>Begriff</strong> keineswegs verwischt.<br />

Zunächst bemerken wir, dass in <strong>de</strong>m Satze „es gibt min<strong>de</strong>stens eine Quadratwurzel<br />

aus 4“ <strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> seine prädicative Natur nicht verleugnet. Man kann sagen „es<br />

gibt etwas, was die Eigenschaft hat, mit sich selbst multiplicirt 4 zu ergeben“.<br />

Folglich kann das nie von einem <strong>Gegenstand</strong>e ausgesagt wer<strong>de</strong>n, was hier von <strong>de</strong>m<br />

<strong>Begriff</strong>e ausgesagt wird; <strong>de</strong>nn ein Eigenname kann nie Prädicatsausdruck sein,<br />

wiewohl er Theil eines solchen sein kann. Ich will nicht sagen, es sei falsch, das von<br />

einem <strong>Gegenstand</strong>e auszusagen, was hier von einem <strong>Begriff</strong>e ausgesagt wird;<br />

son<strong>de</strong>rn ich will sagen, es sei unmöglich, es sei sinnlos. Der Satz „es gibt Julius<br />

Cäsar“ ist we<strong>de</strong>r wahr noch falsch, son<strong>de</strong>rn sinnlos, wiewohl <strong>de</strong>r Satz „es gibt einen<br />

Mann mit Namen Julius Cäsar“ einen Sinn hat; aber hier haben wir auch wie<strong>de</strong>r<br />

einen <strong>Begriff</strong>, wie <strong>de</strong>r unbestimmte Artikel erkennen lässt. Dasselbe haben wir in<br />

<strong>de</strong>m Satze „es gibt nur ein Wien“. Man muss sich nicht dadurch täuschen lassen,<br />

17<br />

Ich habe in meinen Gr<strong>und</strong>lagen einen solchen <strong>Begriff</strong> zweiter Ordnung <strong>und</strong> in<br />

meiner Schrift „Function <strong>und</strong> <strong>Begriff</strong>“ zweiter Stufe genannt, was ich auch hier<br />

thun will.<br />

7


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

dass die Sprache manchmal dasselbe Wort theils als Eigennamen, theils als<br />

<strong>Begriff</strong>swort gebraucht. Das Zahlwort <strong>de</strong>utet hier an, dass <strong>de</strong>r letzte Fall vorliegt.<br />

„Wien“ ist hier ebenso <strong>Begriff</strong>swort wie „Kaiserstadt“. Man kann in diesem Sinne<br />

sagen „Triest ist kein Wien“. Wenn wir dagegen in <strong>de</strong>m Satze „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong><br />

Quadratwurzel aus [201] Vier ist erfüllt“ <strong>de</strong>n durch die ersten fünf Worte<br />

gebil<strong>de</strong>ten Eigennamen durch „Julius Cäsar“ ersetzen, so erhalten wir einen Satz,<br />

<strong>de</strong>r einen Sinn hat, aber falsch ist; <strong>de</strong>nn das Erfülltsein, wie das Wort hier<br />

verstan<strong>de</strong>n wird, kann in Wahrheit nur von Gegenstän<strong>de</strong>n ganz beson<strong>de</strong>rer Art<br />

ausgesagt wer<strong>de</strong>n, solchen nämlich, welche durch Eigennamen von <strong>de</strong>r Form „<strong>de</strong>r<br />

<strong>Begriff</strong> F“ bezeichnet wer<strong>de</strong>n können. Die Worte „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> Quadratwurzel aus<br />

Vier“ verhalten sich aber in Hinsicht auf ihre Ersetzbarkeit wesentlich an<strong>de</strong>rs als<br />

die Worte „eine Quadratwurzel aus Vier“ in unserm ursprünglichen Sätze, d. h. die<br />

Be<strong>de</strong>utungen dieser bei<strong>de</strong>n Wortverbindungen sind wesentlich verschie<strong>de</strong>n.<br />

Was hier an einem Beispiele gezeigt ist, gilt allgemein: <strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> verhält sich<br />

wesentlich prädicativ auch da, wo etwas von ihm ausgesagt wird; folglich kann er<br />

dort nur wie<strong>de</strong>r durch einen <strong>Begriff</strong>, niemals durch einen <strong>Gegenstand</strong> ersetzt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Aussage also, welche von einem <strong>Begriff</strong>e gemacht wird, passt gar nicht<br />

auf einen <strong>Gegenstand</strong>. Die <strong>Begriff</strong>e zweiter Stufe, unter welche <strong>Begriff</strong>e fallen, sind<br />

wesentlich verschie<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong>en erster Stufe, unter welche Gegenstän<strong>de</strong><br />

fallen. Die Beziehung eines <strong>Gegenstand</strong>es zu einem <strong>Begriff</strong>e erster Stufe, unter <strong>de</strong>n<br />

er fällt, ist verschie<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r allerdings ähnlichen eines <strong>Begriff</strong>es erster Stufe zu<br />

einem <strong>Begriff</strong>e zweiter Stufe. Man könnte vielleicht, um <strong>de</strong>m Unterschie<strong>de</strong> zugleich<br />

mit <strong>de</strong>r Aehnlichkeit gerecht zu wor<strong>de</strong>n, engen, ein <strong>Gegenstand</strong> falle unter einen<br />

<strong>Begriff</strong> erster Stufe, <strong>und</strong> ein <strong>Begriff</strong> falle in einen <strong>Begriff</strong> zweiter Stufe. Der<br />

Unterschied von <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong> bleibt also in ganzer Schroffheit<br />

bestehen.<br />

Hiermit hängt zusammen, was ich im § 63 meiner Gr<strong>und</strong>lagen aber meine<br />

Gebrauchsweise <strong>de</strong>r Wörter „Eigenschaft“, <strong>und</strong> „Merkmal“ gesagt habe. Kerry’s<br />

Ausführungen veranlassen mich, noch einmal darauf zurückzukommen. Jene<br />

Wörter dienen zur Bezeichnung von Beziehungen in Sätzen wie „ ist Eigenschaft<br />

von “ <strong>und</strong> „ ist Merkmal von “. Nach meiner Re<strong>de</strong>weise kann etwas zugleich<br />

Eigenschaft <strong>und</strong> Merkmal sein, aber nicht von <strong>de</strong>mselben. Ich nenne die <strong>Begriff</strong>e,<br />

unter die ein <strong>Gegenstand</strong> fällt, seine Eigenschaften, sodass<br />

„ zu sein ist eine Eigenschaft von “<br />

nur eine an<strong>de</strong>re Wendung ist für<br />

„ fällt unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> <strong>de</strong>s “.<br />

Wenn <strong>de</strong>r <strong>Gegenstand</strong> die Eigenschaften , <strong>und</strong> hat, so kann ich diese in<br />

zusammenfasse, so dass es dasselbe ist, ob ich sage, habe die Eigenschaft , o<strong>de</strong>r<br />

ob ich sage, [202] habe die Eigenschaften <strong>und</strong> <strong>und</strong> . Ich nenne dann ,<br />

<strong>und</strong> Merkmale <strong>de</strong>s <strong>Begriff</strong>es <strong>und</strong> zugleich Eigenschaften von . Es ist klar,<br />

dass die Beziehung von zu ganz verschie<strong>de</strong>n ist von <strong>de</strong>r zu , <strong>und</strong> dass darum<br />

eine verschie<strong>de</strong>ne Benennung geboten ist. fällt unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> ; aber , das<br />

selber ein <strong>Begriff</strong> ist, kann nicht unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> erster Stufe fallen, son<strong>de</strong>rn<br />

8


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

könnte nur zu einem <strong>Begriff</strong>e zweiter Stufe in einer ähnlichen Beziehung stehen,<br />

Dagegen ist <strong>de</strong>m untergeordnet.<br />

Betrachten wir hierzu ein Beispiel! Statt zu sagen:<br />

„2 ist eine positive Zahl“ <strong>und</strong><br />

„2 ist eine ganze Zahl“ <strong>und</strong><br />

„2 ist kleiner als 10“<br />

können wir auch sagen<br />

„2 ist eine positive ganze Zahl kleiner als 10“.<br />

Hier erscheinen i<br />

eine positive Zahl zu sein,<br />

eine ganze Zahl zu sein,<br />

kleiner als 10 zu sein<br />

als Eigenschaften <strong>de</strong>s <strong>Gegenstand</strong>es 2, zugleich aber als Merkmale <strong>de</strong>s <strong>Begriff</strong>es<br />

positive ganze Zahl kleiner als 10.<br />

Dieser ist we<strong>de</strong>r positiv, noch eine ganze Zahl, noch kleiner als 10. Er ist zwar<br />

untergeordnet <strong>de</strong>m <strong>Begriff</strong>e ganze Zahl, aber er fällt nicht unter ihn.<br />

Vergleichen wir nun hiermit, was Kerry im 2. Artikel S. 224 sagt: „Man<br />

versteht unter <strong>de</strong>r Zahl 4 das Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong> 1. Der<br />

<strong>Begriff</strong>sgegenstand <strong>de</strong>s hiermit angegebenen <strong>Begriff</strong>es ist das Zahlenindividuum 4,<br />

eine ganz bestimmte Zahl <strong>de</strong>r natürlichen Zahlenreihe. Dieser <strong>Gegenstand</strong> trägt<br />

offenbar genau die in seinem <strong>Begriff</strong>e genannten Merkmale an sich <strong>und</strong> - falls man,<br />

wie man wohl muss, davon absteht, die unendlich vielen Beziehungen, in <strong>de</strong>nen er<br />

zu allen an<strong>de</strong>rn Zahlenindividuen steht, ihm als propria anzurechnen - keine an<strong>de</strong>rn<br />

sonst: ‚die’ 4 ist gleichfalls das Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong> 1.“<br />

Man erkennt sogleich, dass <strong>de</strong>r von mir gemachte Unterschied zwischen<br />

Eigenschaft <strong>und</strong> Merkmal hier ganz verwischt ist. Kerry unterschei<strong>de</strong>t hier<br />

zwischen <strong>de</strong>r Zahl 4 <strong>und</strong> ‚<strong>de</strong>r’ Zahl 4. Ich muss gestehen, dass mir dieser<br />

Unterschied unfassbar ist. Die Zahl 4 soll <strong>Begriff</strong> sein; ‚die’ Zahl 4 soll<br />

<strong>Begriff</strong>sgegenstand <strong>und</strong> nichts An<strong>de</strong>res sein als das Zahlenindividuum 4. Dass hier<br />

meine Unterscheidung von <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> [203] <strong>Gegenstand</strong> nicht vorliegt, braucht<br />

nicht begrün<strong>de</strong>t zu wer<strong>de</strong>n. Es scheint fast, als ob Kerry hier - wenn auch ganz<br />

dunkel - <strong>de</strong>r Unterschied vorschwebt, <strong>de</strong>n ich mache zwischen <strong>de</strong>m Sinne <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Worte „die Zahl 4“ 18 . Aber nur von <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung kann man sagen,<br />

sie sei das Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong> 1.<br />

Wie soll <strong>de</strong>nn das „ist“ verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n In <strong>de</strong>n Sätzen „die Zahl 4 ist das<br />

Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 8 <strong>und</strong> 1“ <strong>und</strong> „‚die’ Zahl 4 ist das Resultat<br />

<strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong> 1“? Ist es blosse Copula, o<strong>de</strong>r hilft es eine<br />

logische Gleichung ausdrücken? In jenem Falle müsste „das“ vor „Resultat“ fehlen<br />

<strong>und</strong> die Sätze wür<strong>de</strong>n etwa lauten:<br />

„die Zahl 4 ist Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong> 1“<br />

<strong>und</strong><br />

„‚die’ Zahl 4 ist Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong> 1“.<br />

18 Man vgl. meinen oben angeführten Aufsatz über Sinn <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utung.<br />

9


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

Wir hätten dann <strong>de</strong>n Fall, dass die von Kerry mit<br />

„die Zahl 4“ <strong>und</strong> „‚die’ Zahl 4“<br />

bezeichneten Gegenstän<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong><br />

Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong> 1<br />

fielen. Es wür<strong>de</strong> sich dann nur fragen, wodurch sich diese Gegenstän<strong>de</strong><br />

unterschie<strong>de</strong>n. Ich gebrauche hier hie Wörter „<strong>Gegenstand</strong>“ <strong>und</strong> „<strong>Begriff</strong>“ in <strong>de</strong>r<br />

mir geläufigen Weise. Was Kerry sagen zu wollen scheint, wür<strong>de</strong> ich so ausdrücken:<br />

„die Zahl 4 hat das <strong>und</strong> nur das als Eigenschaft, was <strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong><br />

Resultat <strong>de</strong>r additiven Verbindung von 3 <strong>und</strong> 1 als Merkmal hat.“<br />

Den Sinn <strong>de</strong>s ersten unserer bei<strong>de</strong>n Sätze wür<strong>de</strong> ich dann so ausdrücken:<br />

„eine Zahl 4 zu sein ist dasselbe wie Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong><br />

1 zu sein“;<br />

<strong>und</strong> dann könnte das, was ich eben als Meinung Kerry’s vermuthete, auch so<br />

gegeben wer<strong>de</strong>n:<br />

„die Zahl 4 hat das <strong>und</strong> nur das als Eigenschaft, was <strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong><br />

Zahl 4<br />

als Merkmal hat.“<br />

Ob dies wahr ist, kann hier unentschie<strong>de</strong>n bleiben. Bei <strong>de</strong>n [204] Worten „‚die’<br />

Zahl 4“ könnten wir dann <strong>de</strong>n bestimmten Artikel aus <strong>de</strong>n Gänsefüsschen<br />

entlassen.<br />

Aber bei diesen Deutungsversuchen haben wir vorausgesetzt, dass die<br />

bestimmten Artikel vor „Resultat“ <strong>und</strong> „Zahl 4“ wenigstens in einem <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Sätze nur aus Versehen gesetzt waren. Nehmen wir die Worte, wie sie sind, so kann<br />

man ihren Sinn nur als logische Gleichung auffassen, wie<br />

„die Zahl 4 ist nichts Andres als das Resultat <strong>de</strong>r additiven Verknüpfung von 3 <strong>und</strong><br />

1“.<br />

Der bestimmte Artikel vor „Resultat“ ist hier logisch nur gerechtfertigt, wenn<br />

anerkannt ist, 1) dass es ein solches Resultat gibt, 2) dass es nicht mehr als eins gibt.<br />

Dann bezeichnet diese Wortverbindung einen <strong>Gegenstand</strong> <strong>und</strong> ist als Eigenname<br />

aufzufassen. Wenn unsere bei<strong>de</strong>n Sätze als logische Gleichungen zu verstehen<br />

wären, so wür<strong>de</strong> aus ihnen folgen, da die rechten Seiten übereinstimmen, die Zahl 4<br />

sei ‚die’ Zahl 4, o<strong>de</strong>r, wenn man lieber will, die Zahl 4 sei nichts An<strong>de</strong>res als ‚die’<br />

Zahl 4, womit <strong>de</strong>r von Kerry gemachte Unterschied als hinfällig bewiesen wäre.<br />

Doch es ist hier nicht meine Aufgabe, Wi<strong>de</strong>rsprüche in seiner Darstellung<br />

nachzuweisen. Was er unter <strong>de</strong>n Worten „<strong>Gegenstand</strong>“ <strong>und</strong> „<strong>Begriff</strong>“ versteht,<br />

geht mich hier eigentlich nichts an; ich will hiermit nur meine eigne<br />

Gebrauchsweise dieser Wörter in ein helleres Licht setzen <strong>und</strong> dabei zeigen, dass<br />

sie von seiner je<strong>de</strong>nfalls abweicht, mag diese nun mit sich zusammenstimmen o<strong>de</strong>r<br />

nicht.<br />

Ich bestreite Kerry durchaus nicht das Recht, die Wörter „<strong>Gegenstand</strong>“ <strong>und</strong><br />

„<strong>Begriff</strong>“ in seiner Weise zu gebrauchen, möchte mir aber das gleiche Recht<br />

wahren <strong>und</strong> behaupten, dass ich mit meiner Bezeichnung einen Unterschied von<br />

<strong>de</strong>r höchsten Wichtigkeit gefasst habe. Der Verständigung mit <strong>de</strong>m Leser steht<br />

freilich ein eigenartiges Hin<strong>de</strong>rniss im Wege, dass nämlich mit einer gewissen<br />

10


Gottlob Frege - <strong>Ueber</strong> <strong>Begriff</strong> <strong>und</strong> <strong>Gegenstand</strong><br />

sprachlichen Nothwendigkeit mein Ausdruck zuweilen, ganz wörtlich genommen,<br />

<strong>de</strong>n Gedanken verfehlt, in<strong>de</strong>m ein <strong>Gegenstand</strong> genannt wird, wo ein <strong>Begriff</strong><br />

gemeint ist. Ich bin mir völlig bewusst, in solchen Fallen auf ein wohlwollen<strong>de</strong>s<br />

Entgegenkommen <strong>de</strong>s Lesers angewiesen zu sein, welcher mit einem Körnchen<br />

Salz nicht spart.<br />

Man <strong>de</strong>nkt vielleicht, diese Schwierigkeit sei künstlich gemacht, man brauche<br />

etwas so Unhandliches wie das, was ich <strong>Begriff</strong> genannt habe, gar nicht in Betracht<br />

zu ziehen, <strong>und</strong> könne mit Kerry das Fallen eines <strong>Gegenstand</strong>es unter einen <strong>Begriff</strong><br />

als eine Beziehung ansehen, in welcher das ein Mal als <strong>Gegenstand</strong> erscheinen<br />

könne, was ein an<strong>de</strong>r Mal als <strong>Begriff</strong> auftrete. [205] Die Wörter „<strong>Gegenstand</strong>“ <strong>und</strong><br />

„<strong>Begriff</strong>“ dienten dann nur dazu, die verschie<strong>de</strong>ne Stellung in <strong>de</strong>r Beziehung<br />

anzu<strong>de</strong>uten. Das kann man thun; wer aber hiermit die Schwierigkeit vermie<strong>de</strong>n<br />

glaubt, irrt sehr. Sie ist nur verschoben; <strong>de</strong>nn von <strong>de</strong>n Theilen eines Gedanken<br />

dürfen nicht alle abgeschlossen sein, son<strong>de</strong>rn min<strong>de</strong>stens einer muss irgendwie<br />

ungesättigt o<strong>de</strong>r prädicativ sein, sonst wor<strong>de</strong>n sie nicht aneinan<strong>de</strong>r haften. So haftet<br />

z. B. <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Wortverbindung „die Zahl 2“ nicht an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Ausdrucks „<strong>de</strong>r<br />

<strong>Begriff</strong> Primzahl“ ohne ein Bin<strong>de</strong>mittel. Ein solches wen<strong>de</strong>n wir an in <strong>de</strong>m Satze<br />

„die Zahl 2 fällt unter <strong>de</strong>n <strong>Begriff</strong> Primzahl“. Es ist enthalten in <strong>de</strong>n Worten „fällt<br />

unter“, die in doppelter Weise einer Ergänzung bedürfen durch ein Subject <strong>und</strong><br />

einen Accusativ; <strong>und</strong> nur durch diese Ungesättigtheit Ihres Sinnes sind sie fähig, als<br />

Bin<strong>de</strong>mittel zu dienen. Erst wenn sie in dieser doppelten Hinsicht ergänzt sind,<br />

haben wir einen abgeschlossenen Sinn, haben wir einen Gedanken. Ich sage nun<br />

von solchen Worten o<strong>de</strong>r Wortverbindungen, dass sie eine Beziehung be<strong>de</strong>uten.<br />

Nun haben wir bei <strong>de</strong>r Beziehung dieselbe Schwierigkeit, die wir beim <strong>Begriff</strong>e<br />

vermei<strong>de</strong>n wollten; <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>n Worten „die Beziehung <strong>de</strong>s Fallens eines<br />

<strong>Gegenstand</strong>es unter einen <strong>Begriff</strong>“ bezeichnen wir keine Beziehung, son<strong>de</strong>rn einen<br />

<strong>Gegenstand</strong>, <strong>und</strong> die drei Eigennamen „die Zahl 2“, „<strong>de</strong>r <strong>Begriff</strong> Primzahl“, „die<br />

Beziehung <strong>de</strong>s Fallens eines <strong>Gegenstand</strong>es unter einen <strong>Begriff</strong>“ verhalten sich<br />

ebenso sprö<strong>de</strong> zu einan<strong>de</strong>r wie die bei<strong>de</strong>n ersten allein; wie wir sie auch<br />

zusammenstellen, wir erhalten keinen Satz. So erkennen wir leicht, dass die<br />

Schwierigkeit, welche in <strong>de</strong>r Ungesättigtheit eines Gedankentheils liegt, sich wohl<br />

verschieben, aber nicht vermei<strong>de</strong>n lässt. „Abgeschlossen“ <strong>und</strong> „ungesättigt“ sind<br />

zwar nur bildliche Ausdrücke, aber ich will <strong>und</strong> kann hier ja nur Winke geben.<br />

Die Verständigung mag erleichtert wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r Leser meine Schrift<br />

Function <strong>und</strong> <strong>Begriff</strong> vergleicht. Bei <strong>de</strong>r Frage nämlich, was man in <strong>de</strong>r Analysis<br />

Function nenne, stösst man auf dasselbe Hemmniss; <strong>und</strong> bei eindringen<strong>de</strong>r<br />

Betrachtung wird man fin<strong>de</strong>n, dass es in <strong>de</strong>r Sache selbst <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Natur unserer<br />

Sprache begrün<strong>de</strong>t ist, dass sich eine gewisse Unangemessenheit <strong>de</strong>s sprachlichen<br />

Ausdrucks nicht vermei<strong>de</strong>n lässt <strong>und</strong> dass nichts übrig bleibt, als sich ihrer bewusst<br />

zu wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> ihr immer Rechnung zu tragen.<br />

Jena.<br />

G. Frege.<br />

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