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Auf der Suche nach der gestundeten Zeit - Die Drei

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Ingeborg Bachmann: <strong>Auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>der</strong> <strong>gestundeten</strong> <strong>Zeit</strong><br />

17<br />

<strong>der</strong> Fremde, schreibt politische Beiträge, engagiert sich gegen die<br />

Atombewaffnung <strong>der</strong> Bundeswehr und den Vietnamkrieg. Eine<br />

<strong>Zeit</strong>lang pendelt sie zwischen München, Zürich und Rom und<br />

durchlebt verhängnisvolle Beziehungen mit Paul Celan und Max<br />

Frisch, die ihr künstlerisches Selbstbewusstsein untergraben.<br />

In ihrem 28. Lebensjahr erscheint <strong>der</strong> Gedichtband »<strong>Die</strong> gestundete<br />

<strong>Zeit</strong>«. Als Philosophin und Kennerin <strong>der</strong> Schriften Heideggers,<br />

mehr noch als Lyrikerin, weiß sie, was die <strong>Zeit</strong> ist. Das<br />

28. Lebensjahr markiert im Lebenslauf eines Menschen einen<br />

wichtigen Punkt, <strong>der</strong> zu einem Umschlagpunkt werden kann.<br />

Verwandlung geschieht aber nur aus freiem Willen, aus einem<br />

inneren Impuls heraus. Darum wird diese biografisch wichtige<br />

Zäsur auch Freiheitspunkt genannt. Das 28. Lebensjahr ist das<br />

Erfolgsjahr <strong>der</strong> Dichterin. Sie erhält den Preis <strong>der</strong> »Gruppe 47«<br />

und wird zur ersten lyrischen Stimme in <strong>der</strong> westdeutschen Lyrik<br />

<strong>der</strong> 50er Jahre. Ihr Gedichtband »<strong>Die</strong> gestundete <strong>Zeit</strong>« macht<br />

sie berühmt. Rundfunkanstalten und <strong>Zeit</strong>schriften bemühen<br />

sich um sie. Der Erfolg ermutigt sie, fortan als freie Schriftstellerin<br />

zu leben.<br />

<strong>Die</strong> gestundete <strong>Zeit</strong><br />

Es kommen härtere Tage.<br />

<strong>Die</strong> auf Wi<strong>der</strong>ruf gestundete <strong>Zeit</strong><br />

wird sichtbar am Horizont.<br />

Bald musst du den Schuh schnüren<br />

und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.<br />

Denn die Eingeweide <strong>der</strong> Fische<br />

Sind kalt geworden im Wind.<br />

Ärmlich brennt das Licht <strong>der</strong> Lupinen.<br />

Dein Blick spurt im Nebel:<br />

<strong>Die</strong> auf Wi<strong>der</strong>ruf gestundete <strong>Zeit</strong><br />

wird sichtbar am Horizont.<br />

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,<br />

er steigt um ihr wehendes Haar,<br />

er fällt ihr ins Wort,<br />

er befiehlt ihr zu schweigen,<br />

er findet sie sterblich<br />

und willig dem Abschied<br />

<strong>nach</strong> je<strong>der</strong> Umarmung.<br />

die <strong>Drei</strong> 7/2006

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