Wie viele Korrekturen verträgt die Wirklichkeit? - Medientage München
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PRESSEMITTEILUNG 25. Oktober 2012<br />
MEDIENTAGE MÜNCHEN 2012 vom 24. bis 26. Oktober<br />
Panel 2.4: Real und doch nur gespielt – Erfolgsmodell (?) Scripted Reality<br />
<strong>Wie</strong> <strong>viele</strong> <strong>Korrekturen</strong> <strong>verträgt</strong> <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong>?<br />
<strong>München</strong> – Worin bestehen <strong>die</strong> Grenzen zwischen Fiktion und Realität und was passiert, wenn<br />
ihre Grenzen verschwimmen? Diesen Fragen widmete sich eine Diskussionsrunde im Rahmen der<br />
MEDIENTAGE MÜNCHEN, <strong>die</strong> vor allem erfolgreiche Formate untersuchte, <strong>die</strong> in Lebenswelt, Stil<br />
und Me<strong>die</strong>nkonvergenz für ein explizit junges Publikum konzipiert sind.<br />
Dr. Maya Götz, führte in ihrer Keynote aus, dass Scripted Reality kein eindeutig festgelegtes<br />
Genre beschreibe. Die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und<br />
Bildungsfernsehen <strong>München</strong> erklärte: Bei Formaten wie „X-Diaries“ und „Familien im Brennpunkt“<br />
(beide RTL II) handele es sich um fiktionale Formate in dokumentarischen Stil, <strong>die</strong> streng nach<br />
Drehbuch konzipiert sind, aber in „look and feel“ den Anspruch erheben, das „echte Leben“<br />
widerzuspiegeln. Damit unterscheiden sie sich laut Götz von anderen Reality-Formaten, <strong>die</strong> in<br />
erkennbarem Studiosetting entstehen. In dramaturgischer Hinsicht griffen „X-Diaries“ und „Familien<br />
im Brennpunkt“ komplexe soziale Themen auf, verdeutlichten sie durch vereinfachten Gut/Böse-<br />
Antagonismus und lösten sie extrem verkürzt auf. In den entwicklungspsycholgischen Wirren der<br />
(Vor)pubertät stehende Zuschauer könnten hier eine reduzierte Sicht ihrer Alltags-Schwierigkeiten<br />
wiederfinden. Vorgeführt werde dabei aber eine eher bildungsferne Gruppe. So entstehe bei<br />
Scripted Reality eine „emotionale Realität“, <strong>die</strong> Kinder und Jugendliche in ihrer eigenen Lebensund<br />
Bedürfniswelt erreiche. Laut der Umfragen ihres Instituts verstehe zwar ein beträchtlicher Teil<br />
der Zielgruppe den inszenierten Charakter der Filme. Ein großer Teil davon lebe aber im Glauben,<br />
dass <strong>die</strong> Protagonisten in ihrem Alltag von einer Kamera begleitet würden. Durch Stilmittel wie Off-<br />
Kommentar und scheinbar mühsam hergestelltem Zugang zu höchst privaten Bereichen der<br />
Protagonisten werde zu <strong>die</strong>sem Zweck mit Methoden aus dem klassischen Dokumentarfilm<br />
gearbeitet. Zusätzlich erleichtere der Stil des Formats <strong>die</strong> Projektion der eigenen Person auf das<br />
Geschehen: „Die Fantasie entsteht, jederzeit selbst mitspielen zu können“, so <strong>die</strong><br />
Me<strong>die</strong>npädagogin Götz.<br />
Gegenstand von Scripted Reality seien in der Tat Menschen und Situationen, <strong>die</strong> niemals „bigger<br />
than life“ seien, bestätigte Stefan Cordes, Geschäftsführer von Filmpool Köln. Ganz pragmatisch<br />
sieht der Produzent der zwei von Götz untersuchten Sendungen im Stil <strong>die</strong>ser Formate auch ihre<br />
Produktionsbedingungen gespiegelt: Angesichts knapper Budgets und der standardisierten<br />
Entwicklung der Geschichten seien Klischees durchaus Elemente der konfliktreichen, aber<br />
komplexitätsmindernd aufgelösten Erzählungen. Dass <strong>die</strong> Sendungen Realität vorspiegelten, ließ<br />
er trotz der Stu<strong>die</strong>nergebnisse nicht gelten: „Realismus ist etwas anderes als Realität“.<br />
Einfacher fasste sein Auftraggeber Christian Rudnitzki, Abteilungsleiter Unterhaltung/Scripted<br />
Program bei RTL II, <strong>die</strong> Ziele des Formats zusammen: „Wir wollen Unterhaltung und gute<br />
Geschichten.“<br />
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Vor allem me<strong>die</strong>nethische Fragestellungen ergaben sich für Winfried Engel, Vorsitzender der<br />
Versammlung der hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Me<strong>die</strong>n (LPR). Zu<br />
beachten sei, welches Menschenbild durch <strong>die</strong> angebliche Authentizität und Glaubwürdigkeit des<br />
Formats vermittelt werde. Auch <strong>die</strong> Arbeit mit Laiendarstellern, <strong>die</strong> plötzlich in der Öffentlichkeit<br />
stünden, verpflichte zu Verantwortung. Zur besseren Transparenz brauche man eine deutliche<br />
Kennzeichnung des Formats als Fiktion, umfassende Kommunikation zwischen Sendern,<br />
Produzenten, Jugendschutzeinrichtungen und der jungen Zielgruppe sowie intensive Vermittlung<br />
von Me<strong>die</strong>nkompetenz in Familien und Schulen. Ein Verfahren, mit dem sich sowohl Produzent<br />
Cordes als auch Me<strong>die</strong>npädagogin Götz identifizieren konnten.<br />
Weitere Informationen erhalten Sie unter www.me<strong>die</strong>ntage.de.<br />
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