E2a gesamt.pdf - Skriptenforum
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<strong>E2a</strong> -<br />
Besondere Probleme der Sprachlehrforschung - Politik, Kultur und Geschichte der<br />
Gehörlosengemeinschaft, Ethik im Umgang mit hörbehinderten Menschen<br />
1. Vorlesung<br />
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Professorin: Verena Krausneker<br />
In diesem Kurs werden Informationen über die Sprachgemeinschaft behandelt, ähnlich<br />
wie das bei anderen Sprachen in Landeskunde üblich ist. Es wird um die Kultur,<br />
Geschichte und Politik der Gehörlosen gehen.<br />
Es wird im Laufe der LV 2 Gäste geben und 2 Exkursionen (Termine für die<br />
Exkursion stehen bis jetzt noch nicht fest, werden wahrscheinlich zur selben Uhrzeit<br />
stattfinden wie die LV)<br />
Helene Jarmer wird wahrscheinlich der LV – Gast sein. Sie ist Pädagogin und die<br />
erste gehörlose Nationalratsabgeordnete (die Grünen) im Parlament.<br />
Leistungskontrolle: 1. schriftliche Prüfung in der vorletzten Einheit (nach Mitte<br />
Jänner). Der letzte Termin wird für eine Nachbesprechung der Prüfungsfragen genutzt.<br />
Lesetipp: Oliver Sacks: Stumme Stimmen / seeing voices<br />
Es gibt bis heute keinen Lehrstuhl für GS an der Universität Wien. Krausneker leitete<br />
die erste bilinguale Klasse in Wien, arbeitete im Vorstandsteam von Helene Jarmer<br />
daran mit, dass die GS in Österreich anerkennen wird, engagiert sich gegen Rassismus<br />
(Organisation ZARA), ect.<br />
<br />
In Zweiergruppen haben wir über unseren ersten Kontakt mit GS gesprochen. Einige<br />
Begriffe die dabei fielen:<br />
o Schwerhörig<br />
o Gehörlos<br />
o Gestik<br />
o Hand und Fuß<br />
o Alte / Neue GS<br />
o Lippenlesen / Gebärden<br />
o Integrativ<br />
o Ausgrenzung<br />
o GS (in Mehrzahl) als Überbegriff für versch. GS wie ÖGS, BSL, ASL, ect.<br />
o Finger – ABC<br />
o Hörgeschädigt<br />
o Hörbehindert<br />
<br />
Nicht mehr gebräuchliche bzw. abwertende Termini die wir in dieser VL nicht oder<br />
höchstens aus geschichtlichen Gründen verwenden werden:<br />
o Taubstumm<br />
1
o Terrisch<br />
o Taub (Grenzfall, von manchen als abwertend empfunden von anderen nicht,<br />
vor allem neuerdings in Deutschland wieder von Gehörlosen verwendet)<br />
o Stummerlsprache<br />
o Zeichensprache<br />
o Affensprache<br />
<br />
Bestimmung von Termini<br />
o Konnotation: Sachinformationen enthalten immer auch eine Zusatzbedeutung.<br />
o Was assoziieren wir mit bestimmten Begriffen, warum empfinden wir manche<br />
als abwertend und andere nicht?<br />
<br />
Begriffe:<br />
o Zeichensprache: Dieser Begriff wurde durch GS abgelöst. Oft gibt es noch<br />
Übersetzungsfehler vom Englischen ins Deutsche („sign language“ wird mit<br />
„Zeichensprache“ übersetzt). Der Begriff Zeichensprache gilt bei uns<br />
allerdings als veraltet und wird daher nicht mehr verwendet.<br />
o<br />
Taubstumm: Gehörlose sind nicht stumm! Sie haben eine eigene Sprache und<br />
können sich durch diese ausdrücken.<br />
o Taub: In Österreich eher als abwertend empfunden als in Deutschland, dort<br />
verwenden gerade junge Gehörlose diesen Begriff wieder häufiger<br />
o Gebärdensprachig: ist ein Begriff der nur die dominante Sprache benennt<br />
(ohne Behinderungszuschreibung). Die meisten Gehörlosen fühlen sich der<br />
Gebärdensprachgemeinschaft zugehörig. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft<br />
können Gebärdensprachbenutzer genannt werden.<br />
<br />
Überbegriffe:<br />
o Hörbehindert: nützlicher und legitim zu gebrauchender Begriff (nach<br />
Krausneker)<br />
o Hörgeschädigt: Schädigung wird betont, daher eher als abwertend empfunden<br />
in Österreich, in Deutschland ist dieser Begriff sehr gebräuchlich.<br />
<br />
Filme<br />
o 1. Film: Cochlea – Implantat (CI)<br />
o 2. Film: Österreichischer Gehörlosenbund (ÖGLB)<br />
<br />
Fragen an den Film<br />
o Inhalt der Filme?<br />
o Welche Hauptbotschaft hatten die Filme?<br />
o Wer wird gezeigt?<br />
o Aus welcher Perspektive?<br />
o Wie wird Gehörlosigkeit dargestellt?<br />
o Wie wird Gebärdensprache dargestellt?<br />
o Welche Handlungsaufforderung enthält der Film?<br />
2
2. Vorlesung<br />
Ideologie<br />
Die Ideologie ist nach wie vor sehr gegenwärtig, da sie 150 bis 300 Jahre in unserer<br />
Geschichte verankert ist. In der Literatur gibt es unterschiedliche Darstellungen von<br />
Gehörlosigkeit, auch im akademischen Bereich sind zwei Perspektiven deutlich zu<br />
differenzieren, die Defizit- und die Differenzperspektive. Beide sind ideologisch geprägte<br />
Perspektiven.<br />
Deafness (Defizit)<br />
Medizinisches Modell: etwas fehlt in<br />
Betrachtung mit der Norm, es ist genau<br />
messbar was oder wie viel fehlt<br />
Behinderte Einzelperson: „Das gehörlose<br />
Kind“ wird häufig als Einzelheit<br />
dargestellt<br />
„Hörgeschädigte“: nicht<br />
Gebärdensprachkompetenz wird betont,<br />
sondern die Hörbeeinträchtigung<br />
Kolonialisierung: Einnehmen, Unterdrücken,<br />
Ausnehmen; Vereinnahmung der Sprache:<br />
z.B. sind mehr Hörende ESL – Benutzer als<br />
Gehörlose<br />
Keine Deaf – Studies: Keine Forschung,<br />
hingegen Herabstufungen zu<br />
„Leidensgemeinschaften“ oder<br />
„Notgemeinschaften“<br />
Bekämpfung der Taubheit: Wenn möglich<br />
sollte aus einem Gehörlosen ein Hörender<br />
gemacht werden<br />
Deafhood (Differenz)<br />
Soziales Modell: Different, ohne Bewertung<br />
Sprachliche Minderheit: Gehörlose sind<br />
nicht einfach nur Einzelpersonen sondern<br />
einer Gemeinschaft zugehörig<br />
Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Begriff<br />
„GebärdensprachbenutzerInnen“ als nicht<br />
defizitbetonende Bezeichnung<br />
Dekolonialisierung<br />
Deaf Studies / History<br />
Beitrag zur Vielfalt des Lebens und der<br />
Kulturen<br />
Welche ISMEN gibt es (ausschließend, diskriminierend)?<br />
Beispiele:<br />
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Rassismus<br />
Audismus<br />
Sexismus<br />
Antisemitismus<br />
Exotismus<br />
Ableism<br />
Ageism<br />
Audismus<br />
Die Bezeichnung Audismus (= Diskriminierung von gehörlosen und schwerhörigen<br />
Menschen) kam erstmals 1975 auf und beinhaltet, dass Hörende versuchen Macht über<br />
3
Gehörlose auszuüben, versuchen aus Gehörlosen Hörende zu machen bzw. glauben ihnen<br />
helfen zu müssen.<br />
Es ist die institutionalisierte Behandlung von Gehörlosen, wie man sie definiert,<br />
Stellungnahmen über sie abgibt und Ansichtsweisen festlegt. Kurz gesagt: es ist eine Strategie<br />
Hörender um die Gehörlosengemeinschaft zu dominieren, sie umzuformen, Macht über sie<br />
auszuüben.<br />
Man unterscheidet zwischen:<br />
Individueller Audismus<br />
Institutioneller Audismus<br />
Methaphysischer Audismus (z.B. durch eine Dolmetscher Stimme)<br />
Unbewusster / verinnerlichter Audismus<br />
3. Vorlesung<br />
Sprachpolitik<br />
Die verschiedenen Zugänge zu Gebärdensprache sind wie letztes Mal erläutert ideologisch<br />
geprägt, das heißt dass eingegriffen werden kann.<br />
Sprachpolitik kann auf 3 Bereiche aufgeteilt werden:<br />
Status (z.B. Anerkennung)<br />
Korpus (z.B. Eingreifen in Sprache bei neuen Worten, neue Rechtschreibung ect.)<br />
Erlernen<br />
Nicht jedes Eingreifen in eine Sprache ist automatisch staatlich.<br />
Status: nicht staatlich (z.B. wenn Pädagogen entscheiden dass gehörlose Kinder<br />
lautsprachlich unterrichtet werden sollen und sie sich nicht einmal in ihrer Freizeit,<br />
also in Pausen in GS unterhalten dürfen)<br />
Erlernen: staatlich: z.B. durch das absolute Verbot einer Sprache Bsp: Verbot der<br />
kurdischen Sprache in der Türkei<br />
Korpus: staatlich<br />
Positiv betrachtet: als Absicherung für die Verwendung<br />
Negativ: durch Verbote und Einschränkungen<br />
Overt: offen<br />
Covert: versteckt<br />
z.B. in Hinblick auf sprachpolitische Interventionen<br />
Minderheitssprache<br />
Eine Sprache kann aus zwei Gründen als Minderheitssprache gelten:<br />
Zahlenmäßig: wenn es weniger Mitglieder gibt z.B. GS<br />
Machtmäßig: es gibt mehr Mitglieder aber trotzdem haben sie weniger Macht z.B.<br />
Lateinamerika, Australien<br />
4
Menschenrechte und Sprachrechte<br />
Bestimmte Menschenrechte sind nur garantierbar wenn die Menschen auch Sprachrechte<br />
haben! (z.B. bei Gericht einen Dolmetscher um einen fairen Prozess zu ermöglichen)<br />
Menschenrechte<br />
Beispiele: Meinungsfreiheit, Zugang zu Information und Bildung. Diese Menschenrechte<br />
hängen stark mit Sprachrechten zusammen!<br />
Philipson und Sktunabb – Kangas haben die „Linguistic Human Rigths“ entwickelt, da eine<br />
Beschneidung der sprachlichen Rechte auch eine Beschneidung der Menschenrechte bedeutet.<br />
5 Fragen zu Sprachrechten<br />
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Möglich mit LehererInnen in L1 zu kommunizieren?<br />
Möglich mit öffentlichen Stellen und Behörden in L1 zu kommunizieren?<br />
In Notsituationen bzw. im Spital im L1 verständigen können?<br />
Medien in L1 konsumieren können?<br />
Politische Themen / Veranstaltungen in L1 wahrnehmen können?<br />
Eine Definition von L1 ist kompliziert weil es nicht immer eine Frage der Wahl ist, da diese<br />
Entscheidung schon viel früher getroffen wird z.B. durch die Eltern: Welche Sprache lernt<br />
mein gehörloses Kind?<br />
Wir haben ein Handout mit einigen Linguistic Human Rights ausgeteilt bekommen:<br />
A – E können als individuelle LHR angesehen werden<br />
F – J als kollektive LHR (sind auf die Gemeinschaft bezogen)<br />
Wer ist verantwortlich für die Umsetzung von Linguistic Human Rights?<br />
Der Staat und die Gesellschaft, denn oft haben Minderheiten nicht die Möglichkeit von sich<br />
aus ihre LHR´s abzusichern. Sie sind dabei auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die<br />
Verantwortung liegt auch bei der ganzen Gesellschaft!<br />
Mangel an Sprachrechten<br />
Bei einem Mangel an Sprachrechten kann es zu einem Aussterben der Sprache kommen.<br />
Philipson und Skutnabb – Kangas nennen dies Linguizid, da es kein natürlicher Prozess ist<br />
dass eine Sprache ausstirbt, es wird gemacht.<br />
Der Prozess des Aussterbens einer Sprache geschieht meist über drei Generationen, wobei die<br />
zweite Generation die Sprache meist noch versteht, aber nicht mehr sprechen kann und die<br />
dritte Generation sie weder verstehen noch sprechen kann.<br />
Funktion nur mehr in Domäne Familie: Die Sprache wird aus bestimmten<br />
Lebensbereichen verdrängt, beispielsweise wird sie nicht mehr in der Schule sondern<br />
nur noch innerhalb der Familie gesprochen, dadurch geht ein bestimmtes Vokabular,<br />
das in der Familie nicht gebraucht wird verloren = Auswirkung auf den Reichtum der<br />
Sprache<br />
Keine Weitergabe an die nächste Generation<br />
Linguizid: Die Sprache stirbt mit den Sprechenden aus<br />
Die 3 Aspekte: Status, Erlernen und Korpus werden nun anhand der ÖGS genauer betrachtet.<br />
5
Status<br />
Zu dem Status gehören die Rechte und Anerkennung einer Sprache.<br />
<br />
<br />
Zahl<br />
Wie groß ist die Gruppe der GebärdensprachbenützerInnen?<br />
In Österreich wurde dies noch nie erhoben, aber man geht davon aus dass etwa ein<br />
Promille des Landes GebärdensprachbenutzerInnen sind, das wäre bei Österreich dann<br />
geschätzt 8000 bis 10.000. Da dies ein relativ kleiner Anteil der Bevölkerung ist ist es<br />
schwierig kostenintensive Erneuerungen (z.B: mehr Untertitel im Fernsehen)<br />
durchzubringen. In Deutschland ist das schon ein bisschen leichter weil es immerhin<br />
etwa 80.000 GebärdensprachbenützerInnen gibt.<br />
Österreich hat nur ca. 100 aktive Gebärdensprachdolmetscher! Ein Vergleich mit<br />
Schweden zeigt, dass es dort, obwohl es nicht sehr viel mehr<br />
GebärdensprachbenützerInnen gibt, es viel mehr Gebärdensprachdolmetscher gibt!<br />
Sprache<br />
Weg zur Anerkennung<br />
o Zunächst wurde im November 1991 die Petition #36 eingereicht deren<br />
wichtigste Forderung die Anerkennung der ÖGS war. Diese Forderung wurde<br />
1993 jedoch abgelehnt.<br />
o 1997 wurde die Petition #23 eingereicht die einen Teilerfolg brachte, es<br />
wurden nun Gebärdensprachdolmetscher bei Bedarf zur Verfügung gestellt<br />
und vom Staat bezahlt.<br />
Von 2001 bis 2005 arbeitete sich Helena Jarmer schrittweise mit einigen<br />
KollegInnen an die Anerkennung der ÖGS heran. Die Petition<br />
„Chancengleichheit“, die eine Veränderung im Bildungssystem bewirkten<br />
sollte ist hier zu erwähnen.<br />
o Der ÖGLB hat viel Unterstützung durch die Solidarität der<br />
Behindertenbewegung erhalten.<br />
o 2005 gelang die Festsetzung des Behindertengleichstellungsgesetztes und die<br />
Anerkennung der ÖGS in der Bundesverfassung.<br />
o Art 8 Abs. 3 der BV-G: „Die Österr. Gebärdensprache ist als eigenständige<br />
Sprache anerkannt. Das Weitere bestimmen die Gesetze.“<br />
Mit dieser Formulierung werden einige Fragen aufgeworfen, z.B. welche Gesetzte bestimmen<br />
das Weitere? bestimmte Gesetzte hätten verändert werden müssen um die Gleichheit auch<br />
im Alltag / in der Arbeitswelt zu ermöglichen! Das ist jedoch nicht geschehen, es wurden<br />
lediglich Kleinigkeiten verändert. In Schweden ist die GS nicht in der Verfassung verankert<br />
aber die Situation der Gehörlosen ist dennoch besser als in Österreich.<br />
Es ist zu überlegen was eine Minderheit braucht, und wo eine Minderheit vielleicht nicht<br />
einmal die Möglichkeit hat zu sagen was sie braucht?<br />
<br />
Prestige<br />
Das Ansehen der GS in Österreich ist nicht schlecht wie man an den überfüllten<br />
Kursen sehen kann ;)<br />
6
Erlernen<br />
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<br />
<br />
Es gibt ein immer größeres Interesse an der ÖGS, jedoch wenig Material zum Erlernen<br />
Die Lehrenden an den Gehörlosenschulen benötigen bei uns nicht zwangsläufig eine<br />
Ausbildung in ÖGS, wird nicht als wichtige Qualifikation angesehen.<br />
Beim BIG werden Kinder zwar lautsprachlich unterrichtet aber sie dürfen GS<br />
verwenden (beispielsweise zur Unterstützung wenn etwas in Lautsprache nicht<br />
verstanden wird oder auch in der Freizeit).<br />
Das Erweiterungscurriculum ÖGS wird nur an der Uni Wien, an keiner anderen Uni in<br />
Österreich, angeboten.<br />
Wäre das Angebot ÖGS zu lernen größer, beispielsweise bereits in der Schule, könnte<br />
man die Menschen besser für die Belange der Gehörlosen sensibilisieren.<br />
Korpus<br />
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<br />
Regulierung von ÖGS<br />
… beispielsweise bei neuen Worten, für die es noch keine Gebärden gibt<br />
Es gibt Dialekte und eine Hochsprache in der ÖGS. Der ÖGLB hat eine<br />
standardisierte ÖGS entwickelt. Ziel ist es Klarheit über die in Sprachkursen gelehrte<br />
ÖGS zu schaffen, das Ziel ist nicht Dialekte auszurotten.<br />
Es entstehen die ersten ÖGS – Wörterbücher und Dokumentierungen von Gebärden<br />
Diskriminierung der Sprachgemeinschaft<br />
Gehörlosigkeit und Nationalsozialismus<br />
Aufgrund des Gesetztes gegen die Weitergabe von Erbkrankheiten wurden im<br />
Nationalsozialismus unter anderen Menschen mit Schizophrenie, Alkoholismus, aber auch<br />
Gehörlose die von Geburt an gehörlos waren zwangssterilisiert. Ziel war es das belastete<br />
Erbgut auszusortieren.<br />
Vor der Eheschließung wurde die „Ehetauglichkeit“ untersucht, wenn man von Geburt an<br />
gehörlos war bekam man die Erlaubnis zur Ehe nur wenn sich einer der Partner sterilisieren<br />
ließ.<br />
Etwa 5 – 10% aller gehörlosen Kinder haben auch gehörlose Eltern, das heißt dass diese<br />
Menschen, die die Gebärdensprache als L1 hatten in der NS – Zeit die GS nicht an eine<br />
nächste Generation weiter geben konnten. Das hatte für die Gebärdensprache schwerwiegende<br />
Folgen, da es hier keine neue Generation gab die die GS als L1 gelernt hat. Diese Generation<br />
war quasi nicht vorhanden.<br />
Krausneker / Schalber: „Gehörlose ÖsterreicherInnen im Nationalsozialismus“<br />
4. Vorlesung<br />
Krausneker, Verena und Katharina Schalber (2007) Sprache Macht Wissen. Zur Situation<br />
gehörloser SchülerInnen, Studierender & ihrer LehrerInnen, sowie zur Österreichischen<br />
Gebärdensprache in Schule und Universität Wien. www.univie.ac.at/sprachemachtwissen<br />
Kurszusammenfassung:<br />
Schalber, Krausneker (2008) „Auf Gebärdensprache angewiesen“. Der Status der ÖGS als<br />
Bildungssprache an Schulen und der Universität Wien. 18–33, Das Zeichen, Heft 78)<br />
7
5. Vorlesung<br />
Sprachpolitik<br />
Heute geht es um österreichische und internationale Sprachpolitik, mit besonderem Bezug auf<br />
Gebärdensprachpolitik.<br />
Zur Wiederholung:<br />
Was sollte Sprachpolitik regeln?<br />
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<br />
Erlernen: Zugang zum Erlernen einer Sprache<br />
Status einer Sprache<br />
Korpus: Entwicklung einer Sprache (erforschen, Reformen, Sprachregulierung,<br />
Gendern….)<br />
Prestige: Gesellschaftliches Ansehen kann auch beeinflusst werden<br />
ÖGS:<br />
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<br />
Erlernen: eher schwierig, zu wenig Ressourcen<br />
Status: ÖGS ist anerkannt<br />
Korpus: an sich nicht schlecht, aber in der Forschung könnte mehr getan werden<br />
Prestige: In der Gesellschaft sehr gut, institutionell weniger<br />
Status der Gebärdensprache<br />
<br />
<br />
<br />
Verfassung: In ca. 50 Staaten ist die Gebärdensprache in der Verfassung verankert,<br />
z.B. Österreich, Portugal, Finnland, Südafrika …<br />
Andere Gesetze: Diese Gesetze haben unterschiedliche Effektivität, z.B. Schweden:<br />
hier wurde nur anerkannt dass Gehörlose das Recht haben in Gebärdensprache<br />
Bildung zu erhalten, dies hatte jedoch weit reichende Folgen.<br />
Auch in China, Deutschland, Dänemark ect. gibt es Gesetze für Gebärdensprachen<br />
aber keine Anerkennung in der Verfassung.<br />
Von der Regierung „anerkannt“: Beispielsweise in Großbritannien gab es eine Art<br />
inoffizielle Anerkennung (Forschung an ESL, aber keine offizielle Anerkennung).<br />
Dies ist auch in Kuba der Fall.<br />
Internationale Dokumente zur Gebärdensprache<br />
Die höchste institutionelle Ebene sind Empfehlungen für GS, diese können jedoch nicht in<br />
Gesetze eingreifen.<br />
Vereinte Nationen<br />
1 93 Staaten sind bei den Vereinten Nationen.<br />
UN – Convention on the rights of persons with disabilities =<br />
UN – Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung<br />
8
Hier findet sich im Artikel zum Bereich der Bildung eine detaillierte Reihe von<br />
Empfehlungen die GS betreffend.<br />
Der UN liegt daran GS zugänglich zu machen und die Gehörlosenkultur zu stützen. Es wird<br />
vor allem Gehörlosigkeit und Blindheit herausgehoben. Die Sprachliche und kulturelle<br />
Identität wird thematisiert, sowie die Bildungssituation.<br />
<br />
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<br />
Verwendung von GS akzeptieren und fördern<br />
Unterricht in der „bestgeeigneten Form“<br />
GS Erwerb unterstützen<br />
Sprachliche und kulturelle Identitätsentwicklung fördern<br />
GehörlosenlehrerInnen ausbilden und unterrichten lassen<br />
GS soll gut beherrscht werden<br />
Seit Mai 2009 haben 148 Staaten unterzeichnet, ca. 100 ratifiziert.<br />
Auch Österreich hat sich verpflichtet die Empfehlungen umzusetzen. Es wären allerdings<br />
nationale Gesetze die die Umsetzung erlauben notwendig. Es gibt einen Monitoringausschuss<br />
der Berichte darüber erhält wie die UN Konventionen umgesetzt werden.<br />
Europäische Union<br />
Die Europäische Union umfasst nur 27 Staaten, aber für Österreich ist sie sehr bedeutend. Sie<br />
kann nicht in nationale Sprachangelegenheiten eingreifen.<br />
Die EU ist beschäftigt mit:<br />
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Geldern<br />
Förderprogrammen<br />
Europäisches Sprachsiegel<br />
Schutz von Minderheitensprachen (hier ist sie sehr aktiv)<br />
Anerkennung und Förderung von Sprachen die keine Länder haben (z.B. Roma,<br />
Jiddisch)<br />
Es wurde 1988 die „Entschließung zur Zeichensprache für Gehörlose“ verabschiedet. Diese<br />
war wichtig für die nationale Politik, sie kann jedoch nicht eingreifen, da sie keine<br />
Rechtsverbindlichkeit hat. 1998 kam es dann zur „Entschließung zur Gebärdensprache“, die<br />
jedoch bisher wenig erreichen konnte da sie nur Empfehlungscharakter hat.<br />
Wofür ist eine solche Entschließung wichtig?<br />
<br />
<br />
Zur Rückberufung auf das Dokument<br />
Als Denkanstoß<br />
Die Entschließung kann als Werkzeug verwendet werden. Zunächst gab es eine<br />
undurchsichtige Situation, man wusste nicht ob die Forderung die Gebärdensprache<br />
anzuerkennen gerechtfertigt ist, welche Forderungen das implizit enthält ect.<br />
Durch die Entschließungen konnte mehr Klarheit geschaffen werden, wenn es Zweifel gibt<br />
kann die Entschließung vorgezeigt werden um zu belegen, dass die EU die Forderungen<br />
unterstützt.<br />
9
Council of Europe (Europarat)<br />
Vereint 47 europäische Staaten und hat andere Ziele als die EU. Die EU hat mehr<br />
wirtschaftliche Interessen, der Europarat die Absicherung von Menschenrechten, Demokratie<br />
ect.<br />
Wenn die Konventionen des Europarats unterzeichnet werden sind diese bindend, jedoch<br />
nicht rechtlich bindend. Es sind wegweisende Empfehlungen.<br />
Der Europarat gibt auch Berichte, Publikationen und Studien in Auftrag die Daten liefern<br />
sollen.<br />
European Charter on Regional or Minority Languages (1992)<br />
Framework Convention for the Protection of National Minorities (1995)<br />
In beiden Konventionen wurden Gebärdensprachen nicht erwähnt. Warum?<br />
Der Europarat begründete es damals damit, dass Gebärdensprache mit Behinderung und nicht<br />
mit einer ethnologischen, sprachlichen oder religiösen Minderheit zu tun hätte, außerdem hat<br />
Gebärdensprache kein bestimmtes Territorium und der Europarat nahm an, man könnte sich<br />
international in Gebärdensprache unterhalten.<br />
Dann kam es zu einem Wandel:<br />
Doc. 9738: Protection of sign languages in the member states of the Council of Europe<br />
(2003)<br />
Doc. 9765: Protection of sign language in the member states (2003)<br />
Recommondation 1598 on the protection of sign languages im member states of the<br />
Council of Europe (2003)<br />
Warum dieser Wandel?<br />
Ein britischer Abgeordneter namens Bruce war Vater eines gehörlosen Mädchens und setzte<br />
sich für diese Konventionen ein.<br />
Das erste Ministerium das seine Homepage barrierefrei gestaltete war das<br />
Verteidigungsministerium, weil es dort jemanden gab der eine gehörlose Frau hatte und sich<br />
dafür einsetzte.<br />
Studien, Berichte, Expertentum – Papiere<br />
<br />
<br />
<br />
2001: Cochlear Implantats in deaf children (Gunilla Preisler)<br />
2005: The status of sign language in Europe (Nina Timmermans) bei diesem<br />
Bericht gab es methodische Probleme (fremdsprachliche Literatur weggelassen, nicht<br />
Selbstvertreter sondern Beamte befragt)<br />
2008: Report on the protection and promotion of sign language and the rights of their<br />
uses in CoE member states: needs analysis (Verena Krausneker)<br />
beinhaltet:<br />
o Perspektive auf “gehörlos”<br />
o Spracherwerb<br />
o Gehörlosenpädagogik<br />
o Gehörlose BürgerInnen<br />
o Barrierefreiheit/Technologie<br />
10
o 25 Schlussfolgerungen und Empfehlungen<br />
Wirksamkeit der Dokumente<br />
<br />
<br />
qualitativ unterschiedlich<br />
oft haben Empfehlungen mehr Potenzial als rechtliche bindende Dokumente<br />
2010: Brüssel gab eine Erklärung zur GS heraus (offizielle Erklärung) Was wird gefordert<br />
/ gebraucht?<br />
In dem Buch „sign language legislation in the european union“ sind die Gesetzte in<br />
Originalsprache zu finden.<br />
Kurzer geschichtlicher Rückblick:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
1880 Mailand Kongress: Es wurde beschlossen, dass gehörlose Kinder nur noch<br />
lautsprachlich unterrichtet werden dürfen, um sie zu „entstummen“.<br />
2010 Kongress gehörloser Lehrer: erst letztes Jahr wurde offiziell zurückgenommen<br />
was 1880 beschlossen wurde!<br />
Forderung nach Respekt für GS, da sie der Lautsprache ebenbürtig ist.<br />
„Deaf Participation and Collaboration“<br />
Gehörlosengemeinschaft<br />
Die weltweit größten Themen sind:<br />
Anerkennung der GS<br />
Adäquate Bildung und Sprachverwendung<br />
Zugang, Partizipation (durch Dolmetscher)<br />
Weitere Themen:<br />
Informationszugang<br />
Forschung<br />
Wörterbücher<br />
Barrierefreiheit<br />
Sichtbarkeit<br />
Ect.<br />
Diese Themen werden durch die Regierung / den Staat mit gehörloser Expertise behandelt.<br />
Die Gehörlosenvertretung wird nicht alleine durch Hörende gebildet!<br />
6. Vorlesung<br />
Diskriminierung<br />
Definition: Diskriminiert zu werden bedeutet, dass eine Person auf Grund eines bestimmten<br />
Merkmals oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ohne sachliche Begründung<br />
anders behandelt wir als eine andere Person.<br />
11
Beispiele: Auf Grund von politischen oder religiösen Ansichten, des Geschlechts, des Alters,<br />
der Herkunft, äußerlicher Merkmale, Behinderung ect.<br />
<br />
<br />
Vorurteile: basieren nicht auf einer sachlichen Begründung, dies ist eine individuelle<br />
Einstellung<br />
Sachliche Begründung: verändert sich geschichtlich, kann gesetzlich festgelegt<br />
werden<br />
Diskriminierung kann unterschieden werden in:<br />
<br />
<br />
Unmittelbare Diskriminierung: liegt vor wenn eine Person eine weniger günstige<br />
Behandlung erfährt als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.<br />
Mittelbare Diskriminierung: liegt vor wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften,<br />
Kriterien oder Verfahren bestimmte Personen aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen<br />
Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, ihres Alters oder<br />
ihrer sexuellen Ausrichtung in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn<br />
die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtsmäßiges<br />
Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels<br />
angemessen und erforderlich.<br />
Bundesgleichstellungsgesetz (1.Jänner 2006)<br />
Niemand darf aufgrund einer Behinderung unmittelbar diskriminiert werden. Eine<br />
Diskriminierung liegt auch dann vor wenn eine Person auf Grund ihres Näheverhältnisses zu<br />
einer Person wegen deren Behinderung diskriminiert wird (Bizeps).<br />
Bevor eine Klage wegen Diskriminierung eingereicht werden kann werden<br />
Schlichtungsversuche unternommen. Kommt es zu einer Verurteilung ist die Höchststrafe<br />
eine Geldstrafe von 1000€. Bizeps dokumentiert solche Schlichtungsversuche.<br />
Diskriminierungsberichte:<br />
http://www.oeglb.at/netbuilder/docs/diskr_bericht_2005.<strong>pdf</strong><br />
Diskriminierung kann betrachtet werden aus:<br />
Enger Sicht: juristische Sicht<br />
Weiter Sicht: sozialer Bereich, hier wird auch analysiert wie es zu der Diskriminierung<br />
kommen konnte, Ablauf, was kann getan werden usw.<br />
7. Vorlesung<br />
Vereinsgeschichte und Selbstorganisationen<br />
Genaue Daten zu der Entstehung von verschiedenen Organisationen sind nicht<br />
prüfungsrelevant, sondern nur für uns als Orientierung gedacht.<br />
Aspekte die dabei betrachtet werden können:<br />
Geographisch<br />
Gegenwart / Vergangenheit<br />
Welche(r) Bereich(e) wird / werden von dem Verein abgedeckt?<br />
o Verschiedene Zusammenschlüsse<br />
12
o Sinnesbeeinträchtigungen<br />
o Mobilität<br />
o Geistige Behinderung / Lernbehinderung<br />
Wir haben anschließend anhand der von uns herausgesuchten Vereine versucht<br />
herauszufinden, wann die ersten Vereine gebildet wurden.<br />
In Europa war die Entstehung der ersten Vereine etwa zu Ende des zweiten Weltkriegs. In<br />
Stockholm gab es bereits 1929 einen Verein für Menschen mit Mobilitätseinschränkung, 1935<br />
in Österreich einen für Menschen mit Sehbehinderung. Die ersten Schulen für Menschen mit<br />
Sehbehinderung gab es allerdings bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts.<br />
Wien – Hörbehinderung<br />
<br />
1865: Wiener Taubstummen Unterstützungsverein (Selbstorganisation)<br />
Dies ist sehr früh im europäischen Kontext betrachtet, in Österreich gab es auch<br />
Taubstummenschulen vergleichsweise früh.<br />
Begründer des Taubstummenvereins waren unter anderem Adalbert Lampe, Gustav<br />
Fritz, Jacques Löw …<br />
Sie alle hatten ein hohes gesellschaftliches Ansehen und sehr gute Jobs.<br />
„Lampe und Löw waren Zöglinge des Wr. Taubstummeninstituts, die übrigen drei<br />
sind der Zeichensprache mächtig.“<br />
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Der Verein unterschied zwischen verschiedenen Arten von Mitgliedern, um ein<br />
wirkliches Mitglied sein zu können musste man männlich sein, eine gute Anstellung<br />
haben, also auch relativ wohlhabend sein und ein hohes gesellschaftliches Ansehen<br />
haben. Es handelte sich also um eine exklusive Gruppe von Menschen die diesem<br />
Verein beitreten durfte.<br />
1891: Verein der österreichischen Taubstummenlehrer Wien<br />
1896: Verein zur Unterstützung mittelloser taubstummer Schulkinder<br />
Mit dem Nationalsozialismus wurden diese Vereine aufgelöst und in den „Reichsbund der<br />
Gehörlosen Deutschlands“ („ReGeDe“) zusammengefasst.<br />
Karl Hans Brunner, der selbst gehörlos war, erreichte eine hohe Position in der ReGeDe.<br />
Vor der ReGeDe gab es sehr viele verschiedene Gehörlosenvereine, z.B.:<br />
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1910: Vereinigung der mährisch – schlesischen Taubstummen<br />
1921: Verbund katholischer Taubstummen Wiens und Niederösterreichs<br />
…<br />
…<br />
…<br />
1910 wurde der Dachverband „österreichischer Gehörlosenbund“ gegründet. Landesverbände<br />
schlossen sich an, darunter auch viele Vereine.<br />
Z.B. WITAF: Der Wiener Taubstummen – Fürsorgeverband erfüllt verschiedene Aufgaben<br />
wie Beratung, Organisation von Arbeitsassistenzen, Treffen usw.<br />
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Frankreich – Gehörlosenbankett<br />
Dieses Bankett fand zum ersten Mal 1834 statt und war für gehörlose Männer gedacht, es<br />
kamen auch Gäste die die Gebärdensprache beherrschten.<br />
Mit diesem Bankett wurde die Selbstbestimmung der Gehörlosen begründet, sie nahmen ihr<br />
Schicksal in die Hand.<br />
Das Bankett fand immer am Geburtstag eines bedeutenden Gehörlosen statt und es war<br />
international.<br />
Film: Gehörlose ÖsterreicherInnen im Nationalsozialismus<br />
Die Filme hatten zum Ziel festzuhalten, was die gehörlosen ÖsterreicherInnen geprägt hat. Sie<br />
befassen sich unter anderem mit Themen die bislang noch nicht ausführlich behandelt<br />
wurden, beispielsweise wie es gehörlosen Juden erging.<br />
Es handelt sich um eine Mischung aus historischen Fakten und noch nicht aufgearbeiteten<br />
Informationen.<br />
8. Vorlesung<br />
Geschichte der Gehörlosenpädagogik<br />
Die spanische Methode<br />
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Pedro Ponce de Leon (1500 – 1584) war ein Benediktinermönch der adelige,<br />
gehörlose Kinder unterrichtete. Er lernte den Kindern eine Gebärdensprache, ein<br />
Fingeralphabet und die Schriftsprache. Dies wurde damals als notwendig empfunden,<br />
da nur jemand, der lesen und schreiben konnte erben durfte. Lesen und schreiben<br />
wurde als Ersatz für Hören und Sprechen verwendet.<br />
Juan Pablo Bonet (1579 – 1633) verfasste das erste Werk zu Taubstummenpädagogik.<br />
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde Bildung seltener im Zeichen der Information als<br />
eher der religiösen Prägung/Rettung/Missionierung betrachtet.<br />
Die französische Methode<br />
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Abbé Charles Michel de l´Epée (1712 – 1789) hat als erster eine Gruppe von<br />
gehörlosen Kindern zusammengefasst und 1771 eine Schule gegründet. Die adeligen<br />
gehörlosen Kinder, die schon früher unterrichtet wurden bekamen Einzelunterricht.<br />
L´Epée war der Meinung, dass die Kinder bereits mit einer vollständigen Sprache zu<br />
ihm kamen, sie hatten also bereits eine Sprache auf der man aufbauen konnte. Er<br />
erkannte, dass gehörlose Kinder bildungsfähig sind. Er gebärdete mit den Kindern,<br />
aber nach der französischen Lautsprachgrammatik. Bald wurde jedoch gebärdetes<br />
Französisch weggelassen, da Satzinhalte viel leichter direkt in der Gebärdensprache<br />
vermittelt werden konnten.<br />
Er hat auch didaktische Lehrbücher und ein Lexikon der Gebärdenzeichen verfasst.<br />
Hier wir der Anfang der Gehörlosenpädagogik, der französischen Methode angesetzt.<br />
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Ambroise Siccard (1741 – 1827) war de l´Epées Nachfolger. Siccards Nachfolger war<br />
selbst gehörlos: Laurent Clerc (1758 – 1869), der wiederum ging mit Thomas Hopkins<br />
Gallaudet (1787 – 1851), der nach Europa gekommen war um sich Gehörlosenschulen<br />
anzusehen und dabei Siccard und Clerc kennen lernte, nach Amerika und gründete<br />
dort (mit Clerc) die erste Gehörlosenschule Amerikas. Daher ähneln sich die<br />
französische und die amerikanische Gebärdensprache.<br />
Laurent Clerc (1758 – 1869) war Thomas Gallaudets Lehrer und begründete wie<br />
bereits beschrieben die erste Gehörlosenschule in den USA.<br />
Ferdinand Berthier (1803 – 1886) war ein Schüler des Siccard und Gehörlosenlehrer<br />
in Paris. Er war der Organisator der Gehörlosenbankette ab 1834.<br />
August Bebian (1789 – 1839) war ein Patenkind von Siccard und wahrscheinlich der<br />
erste Hörende der perfekt die französische Gebärdensprache beherrschte. Er ging nach<br />
Guadeloupe um dort eine Gehörlosenschule zu gründen. Er verwendete bereits<br />
bilingualen Unterricht.<br />
Thomas Hopkins Gallaudet (1787 – 1851) gründete mit Clerc die Gehörlosenschule<br />
University Hartford, die später in Gallaudet University umbenannt wurde. Die<br />
französische Methode hat sich so weiter verbreitet.<br />
Die Wiener Schule<br />
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Wurde von Josef II begründet. Er sah in Frankreich wie Gallaudet gehörlose Kinder<br />
unterrichtete und war begeistert. Er ließ daher zwei Lehrer, Johann Friedrich Stork<br />
und Josef May nach Frankreich reisen um die Unterrichtsmethoden zu lernen.<br />
1779 wurde dann das K&K Taubstummeninstitut gegründet. Es war die erste<br />
staatliche Gehörlosenschule der Welt. In der Art des Unterrichts wurde ein<br />
Kompromiss gemacht, die Grundlagen waren Gebärden, Schriftsprache und das<br />
Handalphabet, auch die Lautsprache kam später noch hinzu. Die gehörlosen Kinder<br />
wurden aus allen Regionen zusammengeholt und nach Wien gebracht damit sie hier<br />
zur Schule gehen konnten. Viele Kinder lebten während ihrer Schulzeit dort weil es zu<br />
teuer gewesen wäre wenn sie dazwischen nach Hause gefahren wären.<br />
Michael Venus, Wien 1826 verfasste ein „Methodenhandbuch oder Anleitung zum<br />
Unterricht der Taubstummen“. Er thematisierte, welcher Zugang der richtige wäre um<br />
gehörlose Kinder zu unterrichten.<br />
Tipp für Literaturrecherche: Petra Berger: Die österreichische Gebärdensprache<br />
(ÖGS) in der Zeit der Aufklärung<br />
Die deutsche Methode<br />
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Samuel Heinecke (1727 – 1790) war der Vater der deutschen Methode<br />
(lautsprachorientiert). Er gründete 1778 die erste deutsche Schule. Er hatte zum Ziel<br />
gehörlose Kinder zu „vollwertigen Bürgern“ zu machen. Die Kinder sollten dazu vor<br />
allem die Lautsprache beherrschen und gut Lippenlesen können, er erwartete also<br />
sprachliche Anpassung.<br />
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Hugo von Schütz zu Holzhausen (1780 – 1847) war ein gehörloser Schüler aus Wien,<br />
und auch Gründer und Leiter der Gehörlosenschule in Bad Camberg. Er wurde später<br />
auch Schuldirektor (wäre heute kaum denkbar für einen Gehörlosen).<br />
Friedrich Otto Kruse (1801 – 1879) war ein gehörloser Lehrer, Schriftsteller und<br />
Prediger.<br />
Ludwig Haberemaß (1783 – 1826) war ein Gehörlosenlehrer und Lehrerbildner.<br />
Konflikt<br />
Die deutsche und die französische Methode waren jeweils der Meinung dass ihre Meinung die<br />
richtige wäre. Beide Methoden wurden immer wieder vorgeführt um zu belegen dass man im<br />
Recht ist und um finanziell unterstützt zu werden. So kam es zum Konkurrenzkampf bis zum<br />
Showdown in Mailand.<br />
Mailänder Kongress<br />
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Bei dem zweiten internationalen Taubstummenlehrerkongress 1880 in Mailand wurde<br />
darüber abgestimmt, ob die lautsprachliche oder die gebärdensprachliche Methode in<br />
Zukunft im Unterricht von gehörlosen Kindern verwendet werden sollte.<br />
Es gab eine Abstimmung, bei der allerdings gehörlose Pädagogen kategorisch<br />
ausgeschlossen wurden. Man ist nicht sicher wie viele Personen abgestimmt haben,<br />
160 oder 164, jedenfalls war das Ergebnis einstimmig für die „pure, orale Methode“.<br />
Dies hatte sofortige Auswirkungen in ganz Europa, spürbar bis Japan.<br />
Aus dem Protokoll des Mailänder Kongress´ geht hervor, der Grund für dieses<br />
Ergebnis war, dass der gesprochenen Sprache ein höherer Stellenwert als den<br />
Gebärden eingeräumt wurde. Man wollte eine Eingliederung der Gehörlosen in die<br />
Gesellschaft ermöglichen und sie „Entstummen“. Viele dachten vermutlich wirklich<br />
sie taten den Gehörlosen damit etwas Gutes.<br />
Erst 2010 wurde auf einem Gehörlosenkongress in Vancouver zurückgenommen was<br />
damals 1880 behauptet wurde! Der Mailänder Kongress verursachte ein kollektives<br />
Trauma.<br />
Jan Branson und Don Miller: „damned for their differences“: Der Mailänder Kongress<br />
wurde zu einem Symbol der Unterdrückung.<br />
Die Phase des Oralismus<br />
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Zunächst wurde die Verwendung von Gebärdensprache nur eingeschränkt, später<br />
wurde man dafür bestraft, auch gehörlose Lehrer wurden entlassen.<br />
Viele Vorurteile waren mit der oralen Phase verbunden:<br />
o Gebärdensprachen sind keine echten Sprachen<br />
o Charakteristika und Spezifika von GS: mit abwertenden, simplifizierenden<br />
Erklärungen und Worten belegt, statt mit Fachtermini<br />
o Angeblich nicht so leistungsfähig<br />
o Verwendung wirke hemmend auf den „wahren“ Spracherwerb<br />
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o Gebärdensprachkompetenz verhindere die Integration in die hörende Gesellschaft<br />
o Menschenbild der oralistischen Tradition: nicht nur hör- sondern auch sprachbehindert<br />
o Ziel der Schulbildung: Lautsprache beherrschen<br />
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Zitat: Prillwitz: Durch das vorherrschende Ziel den Kindern die Lautsprache<br />
beizubringen sank das Bildungsniveau. Statt Informationen zu vermitteln wurde das<br />
Hauptaugenmerk darauf gelegt dass die Kinder schön sprechen konnten.<br />
Auch technische „Lösungen“ wurden herangezogen. Man versuchte im Ohr oder im<br />
Mund etwas zu verändern damit die Kinder zu hören und sprechen beginnen würden.<br />
Diese Versuche wurden bis in die 1960er Jahre unternommen! Audiologie und<br />
Pädagogik vermischten sich. Es wird viel versucht um Kinder hörend zu machen und<br />
sie zum sprechen zu bringen, dies ist bis heute der Fall (CI).<br />
Post – Oralismus<br />
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Diese Phase bezeichnet eine Aufweichung der puren, oralen Methode. Es gab kein<br />
komplettes Verbot mehr Gebärden zu verwenden.<br />
„total communication“ bedeutet, dass einige Gebärden zum lautsprachlichen<br />
Unterricht hinzugefügt werden. Diese Methode wurde ab den 1960er Jahren<br />
verwendet, nach dem Motto „total statt monolingual“. Heute wird diese Methode<br />
jedoch kritisiert, da LBG einen Brei an Informationen liefert (unstrukturierte<br />
Mischung) die es schwierig macht etwas zu verstehen.<br />
Später gab es einen Wechsel zu ESL, wobei es Standortabhängig ist ob diese<br />
verwendet wird oder nicht.<br />
Heute<br />
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In Schweden wird im Unterricht Gebärdensprache seit 1983 überall verwendet, so<br />
flächendeckend ist das sonst nirgendwo der Fall. Österreich ist hingegen noch in den<br />
Kinderschuhen, was das betrifft. Es gibt kein konkretes Konzept für bilingualen<br />
Unterricht.<br />
Integrationsbewegung (mainstreaming): Ist für Gehörlose nicht so sinnvoll, weil eine<br />
Einzelintegration immer die sprachliche Anpassung des Kindes voraussetzt:<br />
Integration zum Preis der Assimilation.<br />
Inklusion: ist das Konzept das heute verfolgt wird, es sieht vor dass Kinder nicht<br />
einzelintegriert werden sondern in Kleingruppen.<br />
Methoden – oder Sprachwahl<br />
[Zitat Harlan Lane]<br />
Die kulturelle und sprachliche Unterdrückung von Gehörlosen wurde zu einer Frage der<br />
Methodologie umgedeutet. Die Entscheidung in Mailand war eine sprachpolitische, es gab ein<br />
Verbot, das hatte mit Wahl wenig zu tun.<br />
Krausneker: Es handelte sich um eine Verdeckung der Wirklichkeit.<br />
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Audismus<br />
Harlan Lane: „Der Begriff Audismus verkörpert die institutionalisierte Behandlung von<br />
Gehörlosen, wie man sie definiert, Stellungsnahmen über sie abgibt und Ansichtsweisen<br />
festlegt…<br />
Kurz gesagt ist Audismus die Strategie der Hörenden, um die Gehörlosengemeinschaft zu<br />
dominieren, umzuformen, Macht über sie auszuüben.“<br />
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