Politisches Marketing: Relevanz des ... - Karl-Rudolf Korte
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<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong><br />
<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>:<br />
<strong>Relevanz</strong> <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
für politische Parteien<br />
als Managementstrategie<br />
für Wahlkämpfe.<br />
Eine vergleichende Fallanalyse<br />
am Beispiel der Landtagswahl 2005<br />
in NRW.<br />
Als Diplomarbeit<br />
vorgelegt am 21.12.2005 von:<br />
Melanie Diermann, B. Sc.<br />
Matrikelnummer 736996<br />
Universität Duisburg-Essen<br />
Integrierter Diplomstudiengang<br />
Sozialwissenschaften<br />
Studienrichtung Politik<br />
Studienschwerpunkt<br />
Kultur und Kommunikation<br />
Themensteller und Erstgutachter:<br />
Prof. Dr. Rüdiger Schmitt-Beck<br />
Zweitgutachter:<br />
Thorsten Faas, M. Sc.
„Je mehr der Geist weiß,<br />
<strong>des</strong>to besser erkennt er auch seine Kräfte<br />
und die Ordnung der Natur.<br />
Je besser er aber seine Kräfte erkennt,<br />
<strong>des</strong>to leichter kann er sich selber leiten<br />
und sich Regeln setzen.<br />
Und je besser er die Ordnung der Natur erkennt,<br />
<strong>des</strong>to leichter kann er sich unnützer Dinge enthalten.<br />
Darin besteht, wie gesagt, die ganze Methode.“<br />
Baruch de Spinoza (1888),<br />
niederländischer Philosoph.
1<br />
Einleitung .............................................................................................................................3<br />
Teil I: Das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> und die Möglichkeit einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
in einer Partei bei der Planung einer Wahlkampagne...............................5<br />
1. Der Politische Markt und das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> ..............................5<br />
1.1 Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>begriffs ............................5<br />
1.2 Die Übertragung <strong>des</strong> kommerziellen Marktmodells auf den Prozess einer Wahl.......7<br />
1.3 <strong>Marketing</strong> in Parteien und das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>..............................9<br />
1.4 Forschungsansätze im Bereich <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>........................................12<br />
1.5 Kritik am Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> ............................................................15<br />
2. <strong>Marketing</strong>prämissen für die Planung einer Wahlkampagne....................................16<br />
2.1 <strong>Marketing</strong>strategien für die Planung einer Wahlkampagne ......................................18<br />
2.1.1 Marktforschung und Informationsgewinnung....................................................18<br />
2.1.2 Segmentierung und Targeting ............................................................................20<br />
2.1.3 Positionierung.....................................................................................................22<br />
2.2 <strong>Marketing</strong>instrumente für die Planung einer Wahlkampagne...................................24<br />
2.2.1 Produktpolitik.....................................................................................................25<br />
2.2.2 Kommunikationspolitik......................................................................................27<br />
2.2.3 Distributionspolitik.............................................................................................29<br />
2.2.4 Preispolitik..........................................................................................................30<br />
Teil II: Die <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong>prämissen in nordrheinwestfälischen Parteien<br />
bei der Planung ihrer Kampagnen zur Landtagswahl 2005 .........................................32<br />
3. NRW vor der Landtagswahl 2005: Vier politisch relevante Parteien ......................32<br />
4. Hypothesen für die Planung einer Wahlkampagne nach <strong>Marketing</strong>prämissen .....35<br />
5. Erörterung der methodischen Vorgehensweise..........................................................37<br />
5.1 Operationalisierung der Hypothesen und Entwicklung <strong>des</strong> Leitfadens.....................39<br />
5.1.1 Einstieg in das Interview ....................................................................................42<br />
5.1.2 Kommunikationsziele der Kampagne ................................................................42<br />
5.1.3 Themenauswahl für die Kampagne ....................................................................43<br />
5.1.4 Die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten........................................................................44<br />
5.1.5 Interne und externe Kampagnenkommunikation ...............................................45<br />
5.1.6 Zielgruppen und ihre Bedeutung im Rahmen der Kampagne ............................46<br />
5.1.7 Der Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen ..........................................................47<br />
5.2 Kriterien für die Auswahl der Gesprächspartner.......................................................48<br />
5.2.1 Wahlkampforganisation der CDU NRW............................................................49<br />
5.2.2 Wahlkampforganisation der SPD NRW.............................................................51
2<br />
5.2.3 Wahlkampforganisation der FDP NRW.............................................................53<br />
5.2.4 Wahlkampforganisation bei Bündnis 90/Die Grünen NRW ..............................55<br />
5.3 Prämissen für die Gesprächsführung.........................................................................57<br />
5.4 Prämissen für die Transkriptionserstellung ...............................................................59<br />
5.5 Prämissen für die Auswertung der Experteninterviews ............................................60<br />
6. Darstellung der Ergebnisse...........................................................................................63<br />
6.1 <strong>Marketing</strong>orientierung? Die Einschätzung der betrachteten Fälle ............................64<br />
6.1.1 FDP NRW: „<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> ist eine Disziplin sui generis“....................64<br />
6.1.2 CDU NRW: „Dienstleistungsunternehmen mit Verfassungsauftrag“................66<br />
6.1.3 Grüne NRW: <strong>Marketing</strong>? „So würden wir nicht operieren“ ..............................68<br />
6.1.4 SPD NRW: „Die Herausforderung ist, die richtige Mischung zu finden“ .........70<br />
6.2 Die Beurteilungsdimensionen im Vergleich..............................................................72<br />
6.2.1 Kommunikationspolitik......................................................................................73<br />
6.2.2 Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl u. Positionierung der Partei 74<br />
6.2.3 Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten.........................................75<br />
6.2.4 Distributionspolitik.............................................................................................76<br />
6.2.5 Segmentierung und Targeting ............................................................................77<br />
6.2.6 Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen .................................................................78<br />
7. Diskussion der Ergebnisse ............................................................................................80<br />
7.1 Bewertung der Ergebnisse.........................................................................................82<br />
7.2 Die Ergebnisse im Kontext <strong>des</strong> Forschungsstan<strong>des</strong> ..................................................84<br />
8. Fazit ................................................................................................................................87<br />
Literaturverzeichnis ..........................................................................................................92<br />
Verzeichnis der Quellen im Internet..............................................................................100<br />
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................102<br />
Abkürzungsverzeichnis...................................................................................................105<br />
Danksagung......................................................................................................................106<br />
Selbstständigkeitserklärung ...........................................................................................108<br />
Anhang..............................................................................................................................109
3<br />
Einleitung<br />
200X ist Ottilie Normalverbraucherin ausgesprochen aufgeklärt. Sie weiß: Cerealien zum<br />
Frühstück sind ein absolutes Muss, Bausparen ist alles andere als spießig, Trigema produziert<br />
nur in Deutschland und sichert damit Arbeitsplätze, Ariel wäscht nicht nur sauber,<br />
sondern auch rein und Haribo macht Kinder froh. Dass sie diese hilfreichen Informationen<br />
bei ihrer Kaufentscheidung zugrunde legen kann, verdankt sie nicht zuletzt der Werbung,<br />
und dass Unternehmen ihre potentiellen Kunden auf diese Weise über Produktvorzüge<br />
informieren, hat vor allem folgenden Grund: Angesichts knapper Nachfrage und engagierter<br />
Konkurrenz heißt es am Ball zu bleiben, wenn es darum geht, um die Gunst <strong>des</strong> Kunden<br />
zu werben und diese auch zu erhalten. Sonst folgt nämlich auf den unternehmerischen<br />
Produktionsprozess nicht der Verkauf <strong>des</strong> produzierten Gutes, sondern, weil mangels Absatz<br />
der finanzielle Rückfluss zur Aufrechterhaltung <strong>des</strong> Produktionsprozesses ausbleibt,<br />
möglicherweise die Insolvenz. Um das zu vermeiden, sind Unternehmen auf stark umworbenen<br />
Märkten bemüht, Informationen über die Erwartungen ihrer Kunden zu sammeln<br />
und Produkte und Kommunikationsmaßnahmen entsprechend anzupassen, damit für sie<br />
gegenüber Mitbewerbern eine vorteilhaftere Position entsteht. Diese Vorgehensweise<br />
nennt man <strong>Marketing</strong>.<br />
Auch Parteien stehen vor einer Wahl einer gewissen Nachfragedominanz gegenüber. Es<br />
kandidieren in der Regel mehr Parteien als der einzelne Wähler Stimmen hat, so dass seitens<br />
<strong>des</strong> Wählers eine Auswahl getroffen werden muss. Nun besteht die Möglichkeit, dass<br />
sich der Führungsstab einer Partei dieser Situation bewusst werden kann und folglich das<br />
Bestreben entwickelt, ihr mittels <strong>Marketing</strong> strategisch zu begegnen. <strong>Marketing</strong>, angewendet<br />
von einer Partei, ist in der Literatur der zentrale Ausgangspunkt im Modell <strong>des</strong><br />
Politischen <strong>Marketing</strong>, in dem die Partei, analog zu einem Unternehmen auf dem kommerziellen<br />
Markt, als Anbieter agiert, während der Wähler die Rolle <strong>des</strong> Nachfragers einnimmt<br />
und Regierungs- und Oppositionsleistungen gegen Wählerstimmen „gehandelt“<br />
werden.<br />
Es liegt auf der Hand, dass die Übertragung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes auf das Wahlgeschehen<br />
nicht ohne Schwierigkeiten möglich ist. In diesem Zusammenhang kann beispielsweise<br />
nicht widerlegt werden, dass Wahlentscheidungen typischer Weise von komplexeren<br />
Faktoren dominiert werden als Kaufentscheidungen. Im Rahmen dieser Arbeit soll auch<br />
nicht über die grundsätzliche Gültigkeit der Idee eines Politischen Marktes befunden werden.<br />
Vielmehr soll zunächst von der generellen Möglichkeit ausgegangen werden, dass<br />
Parteien <strong>Marketing</strong>prämissen anwenden können, zum Beispiel um ihre Wahlkampagne im<br />
Hinblick auf ein gutes Wahlergebnis zu optimieren.<br />
Dieser Annahme folgend stehen hier nicht die Schwierigkeiten der Übertragbarkeit von<br />
Modellen aus der Wirtschaftswissenschaft zur Diskussion, vielmehr stellt sich die Frage,<br />
inwieweit die Annahme, Parteien könnten sich an <strong>Marketing</strong>prämissen orientieren, tatsächlich<br />
zutrifft und im konkreten Fall auch nachgewiesen werden kann. Teil I der hier<br />
vorliegenden Arbeit soll dazu vom Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> ausgehend darlegen,<br />
welche Möglichkeiten Parteien haben, wenn sie sich bei der Vorbereitung einer Wahl-
4<br />
kampagne an <strong>Marketing</strong>prämissen orientieren wollen. In Teil II dieser Arbeit soll daran<br />
anknüpfend überprüft werden, inwieweit im konkreten Fall vier Parteien, nämlich die<br />
NRW-Lan<strong>des</strong>verbände von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, bei der Planung<br />
ihrer Kampagnen zur Landtagswahl 2005 tatsächlich Gebrauch von diesen Möglichkeiten<br />
gemacht haben.<br />
In der Literatur gibt es Stimmen (vgl. bspw. Newman 1999a und b, Collins/Butler 2001<br />
und 2002, Henneberg 2002, oder Schneider 2004a), die im <strong>Marketing</strong> die zentrale Managementstrategie<br />
sehen, wenn es um die Planung von Wahlkampagnen geht. Nun hatten die<br />
hier zitierten Autoren in der Regel Kampagnen und Parteiorganisationen auf der nationalen<br />
Ebene im Auge, während in dieser Arbeit die Kampagnen von vier Lan<strong>des</strong>verbänden<br />
im Vorfeld einer Landtagswahl im Fokus der Betrachtung stehen, womit sich einleitend<br />
zunächst auch die Frage stellt: Ist es legitim, die These, Parteien orientieren sich an <strong>Marketing</strong>prämissen,<br />
auf die Lan<strong>des</strong>verbände von Parteien zu beziehen?<br />
Die Frage muss klar bejaht werden, denn es findet sich in der Literatur kein Hinweis dafür,<br />
dass eine <strong>Marketing</strong>orientierung ausschließlich für Parteiorganisationen auf der nationalen<br />
Ebene Gültigkeit besitzt, so dass vermutet werden darf, dass, eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
vorausgesetzt, <strong>Marketing</strong> nicht nur als Top-Down-Prozess strategischer Handlungsplanung<br />
vom Bun<strong>des</strong>verband zum Lan<strong>des</strong>verband stattfinden dürfte. Zwar ist anzunehmen,<br />
dass die Lan<strong>des</strong>verbände grundsätzlich durch die Politik ihres Bun<strong>des</strong>verban<strong>des</strong><br />
an gewisse Rahmenbedingungen gebunden sind. Die Lan<strong>des</strong>verbände der Parteien haben<br />
ihre Kampagnen vor der Landtagswahl in NRW 2005 aber dennoch in großer Autonomie<br />
hinsichtlich aller marketingspezifisch zentralen Gesichtspunkte - Kandidatenauswahl,<br />
Programmbeschluss und Kommunikationsgestaltung - eigenständig geplant, umgesetzt<br />
und finanziert. Es ist somit nur konsequent, eine Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
auch den Führungsstäben der Partei-Lan<strong>des</strong>verbände zuzutrauen und zu überprüfen, ob es<br />
tatsächlich so gewesen ist.
5<br />
Teil I: Das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> und die Möglichkeit einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
in einer Partei bei der Planung einer Wahlkampagne<br />
Der Begriff <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> wird in der Literatur vielseitig verwendet: Zum<br />
einen wird damit ein Modell bezeichnet, in dem Parteien als Anbieter ihrer Wählerschaft<br />
am Wahltag auf dem Poltischen Markt gegenüberstehen, wo politische Leistungen gegen<br />
Wählerstimmen getauscht werden. Darüber hinaus findet die Begriffskonstellation <strong>Politisches</strong><br />
<strong>Marketing</strong> auch dann Anwendung, wenn es darum geht, die Orientierung einer Partei<br />
an <strong>Marketing</strong>prämissen zu beschreiben. Zwischen der weit reichenden Idee von einem<br />
Politischen Markt und dem Agieren einer Partei nach <strong>Marketing</strong>prämissen besteht ein<br />
grundlegender Unterschied: Während die Idee <strong>des</strong> Politischen Marktes den Austauschprozess<br />
zwischen Parteien und Wählern fokussiert, steht beim Agieren einer Partei nach <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
das Anbieterverhalten der Partei im Zentrum der Betrachtungen. In Kapitel<br />
1 dieser Arbeit soll in diesem Zusammenhang herausgearbeitet werden, was unter dem<br />
Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>, in Bezug auf die Idee eines Politischen Marktes, in der<br />
Literatur subsumiert wird. In Kapitel 2 soll im Rahmen einer engeren Begriffsauslegung<br />
insbesondere das Anbieterverhalten einer Partei fokussiert werden. Die These, die dabei<br />
erörtert werden soll, lautet: Parteien agieren bei der Kampagnenplanung marketingorientiert.<br />
Was heißt das eigentlich? Vor allem dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen<br />
werden.<br />
1. Der Politische Markt und das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong><br />
Grammatikalisch betrachtet ist „<strong>Marketing</strong>“ das Gerundium <strong>des</strong> englischen Verbs „to market“,<br />
das transitiv sowohl mit „auf den Markt bringen“ und „vertreiben“ als auch intransitiv<br />
mit „auf dem Markt handeln“ oder „einkaufen“ in die deutsche Sprache übersetzt werden<br />
kann (vgl. Messinger 1996: 398). Bereits hier wird die Beidseitigkeit <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>begriffs<br />
deutlich, der die Austauschbeziehung von Käufern und Verkäufern kennzeichnet<br />
(vgl. Pohl 2001: 9).<br />
In den folgenden Absätzen soll zunächst erörtert werden, was Wirtschaftsunternehmen<br />
veranlasst, <strong>Marketing</strong> zu betreiben. Daran anknüpfend soll aufgezeigt werden, dass es gewisse<br />
Parallelen gibt, wenn man die Situation einer Partei vor einer Wahl mit einem<br />
kommerziellen Unternehmen auf dem Markt vergleicht: Beide stehen einem potentiellen<br />
Nachfragedefizit gegenüber. Darin könnte eine entscheidende Motivation für Parteien liegen,<br />
<strong>Marketing</strong> zu betreiben, so dass im Folgenden auch der Frage nachgegangen werden<br />
soll, inwieweit diese Vermutung bereits durch bestehende Forschungsergebnisse untermauert<br />
werden konnte.<br />
1.1 Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>begriffs<br />
In der allgemeinen <strong>Marketing</strong>literatur (vgl. etwa Meffert 1998, Bodenstein 1998, Zerres<br />
2000 oder Kotler 2003) wird <strong>Marketing</strong> als Antwort von Unternehmen auf eine Entwick-
6<br />
lung weg vom Verkäufermarkt, wo die Verkäufer aufgrund der allgemeinen Knappheit<br />
von Gütern und <strong>des</strong> damit einhergehenden Nachfrageüberschusses infolge <strong>des</strong> Zweiten<br />
Weltkrieges die Marktmacht inne hatten, hin zu einem käuferdominierten Markt, der von<br />
einem scharfen Wettbewerb der Anbieter untereinander geprägt ist, verstanden. Auf einem<br />
Verkäufermarkt ist der Absatz <strong>des</strong> Produktes aus der Sicht eines Unternehmens die letzte<br />
Phase im betrieblichen Wertekreislauf. Der Rückfluss der im Betrieb eingesetzten Geldmittel<br />
ist sichergestellt, was letztlich die Fortsetzung der Produktion ermöglicht. Wenn<br />
allerdings ein Angebotsüberschuss vorliegt, ist der Absatz <strong>des</strong> Produktes nicht mehr die<br />
zwingende Folge der Produktion. Ein Unternehmer läuft angesichts der mangelnden Nachfrage<br />
Gefahr, auf seinen Gütern sitzen zu bleiben. Damit sich sein Produkt auch bei knapper<br />
Nachfrage verkaufen lässt, hat er nur eine Wahl: Er muss die Bedürfnislage der Käufer<br />
in stärkerer Weise treffen, als seine Mitbewerber dazu imstande sind.<br />
Mitte der 1970er Jahre, als der Wettbewerbsdruck in vielen Branchen bis dahin ungekannte<br />
Ausmaße erreichte und ein einzelbetriebliches Wachstum wegen der Stagnationserscheinungen<br />
auf dem Markt nur noch zu Lasten von Mitbewerbern möglich war, entwickelte<br />
sich vor diesem Hintergrund eine neue Perspektive der Unternehmensführung: Die<br />
Strategische Führung, mit der eine Entwicklung weg vom friedlichen Wachstumswettbewerb,<br />
hin zum kriegerischen Verdrängungswettbewerb einherging (vgl. Bodenstein 1998:<br />
29). Diese Form der Unternehmensausrichtung wird in der Literatur als <strong>Marketing</strong>-<br />
Management bezeichnet (vgl. etwa Bodenstein 1998: 29ff oder Meffert 1998: 21ff).<br />
Im Vordergrund <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>-Managements, das vor allem zu einer Fortentwicklung<br />
und Ausbreitung von Analyse- und Planungsinstrumenten geführt hat, standen dabei vor<br />
allem die buchhalterischen Erfolgsgrößen Absatz und Umsatz. In den folgenden Jahrzehnten<br />
wurden diese Messgrößen allerdings zunehmend als unzureichend erachtet, weil sie<br />
lediglich auf ex-post-Daten beruhten, die in erster Linie die Resultate vergangener Handlungen<br />
widergespiegelt haben. Zur Lösung dieses Problems trat an die Stelle <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>-Managements<br />
schließlich das zukunftsgerichtete Strategische <strong>Marketing</strong>, mit dem<br />
eine vorausschauende Unternehmensführung, eine langfristige Wettbewerbsorientierung<br />
sowie das Denken in Erfolgspotentialen unter der Berücksichtigung unsicherer Erwartungen<br />
und Problemlösungsheuristiken einhergegangen ist. Die Steuerung und Koordination<br />
der langfristigen Entwicklung <strong>des</strong> Unternehmens, die Festlegung der konzeptionellen Gesamtsicht<br />
der Unternehmenspolitik und die Formulierung einer sinngebenden Leitidee<br />
sieht Meffert (1998: 21) heute als zentrale Bestandteile moderner Unternehmensführung<br />
unter den Prämissen <strong>des</strong> Strategischen <strong>Marketing</strong>. Eine marktorientierte Unternehmensführung<br />
sei dabei untrennbar mit einer marketingorientierten Zielplanung verbunden.<br />
<strong>Marketing</strong> sei somit vor allem als ein zentraler Bestandteil <strong>des</strong> strategischen Managements<br />
einer Unternehmung zu sehen (vgl. Meffert 1998: 78).<br />
Kotler, der das <strong>Marketing</strong>konzept erstmals auch auf Non-Profit-Organisationen und Parteien<br />
übertragen hat (vgl. Kotler/Levy 1969), sieht die Bedeutung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong> darin,<br />
Märkte zu nutzen, um einen Austausch zum Zwecke der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse<br />
und Wünsche in Gang zu bringen. Der Einsatz <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong> diene dabei nicht
7<br />
der klassischen Verkaufsförderung, sondern vor allem der Befriedigung von Käuferwünschen<br />
(vgl. Kotler 2003: 38ff). Im Rahmen von <strong>Marketing</strong> findet eine Konzentration auf<br />
den Markt und auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden statt, wobei <strong>Marketing</strong> auch<br />
zu einem „gestaltenden Einwirken“ auf den Markt führen kann (vgl. Zerres 2000: 6). Wöhe<br />
(1996: 599) führt in diesem Kontext aus, dass sich in der einschlägigen Literatur durchweg<br />
die These vom Primat <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong> finde, welche die Unterordnung aller unternehmerischen<br />
Planungsbereiche unter die Vorgaben der <strong>Marketing</strong>planung fordere. Froböse<br />
und Kaapke (2000:18) definieren <strong>Marketing</strong> als marktorientierte Unternehmensführung.<br />
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass der <strong>Marketing</strong>begriff die strategische<br />
Ausrichtung eines Unternehmens oder einer Organisation an den Prämissen <strong>des</strong><br />
Marktes beschreibt. Als grundlegend für die Dominanz <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes im unternehmerischen<br />
Planungsprozess ist dabei die Entwicklung weg von einem verkäuferdominierten<br />
Markt, hin zu einem käuferorientierten Markt, der durch einen Angebotsüberschuss<br />
gekennzeichnet ist, zu sehen. Anbieter können ihre Güter nicht mehr ohne Weiteres<br />
absetzen und beginnen, ihre Produkte auf der Basis von sich ändernden Käuferbedürfnissen<br />
zu planen, um ihre Absatzchancen zu erhöhen. <strong>Marketing</strong> ist somit die Ausrichtung<br />
<strong>des</strong> unternehmerischen Gesamtprozesses an den Bedingungen und Entwicklungen <strong>des</strong><br />
Marktes. In diesem Sinne ist <strong>Marketing</strong> vor allem als Management- oder Führungsstrategie<br />
zu sehen.<br />
1.2 Die Übertragung <strong>des</strong> kommerziellen Marktmodells auf den Prozess einer Wahl<br />
Dass Wirtschaftsunternehmen in einer Marktwirtschaft bestrebt sind, wirtschaftlich zu<br />
agieren, liegt auf der Hand. Sie analysieren Märkte, Verbraucher und deren Bedürfnisse<br />
und richten ihre Produkte so aus, dass ihr Gewinn schließlich maximal wird. Nun stellt<br />
sich die Frage: Ist dieses Modell auch auf den Austauschprozess zwischen Parteien und<br />
Wählern übertragbar? Ja, das ist es, sagten erstmals die amerikanischen <strong>Marketing</strong>professoren<br />
Philip Kotler und Sidney J. Levy (1969: 10ff), und zwar zu einer Zeit, als <strong>Marketing</strong><br />
selbst in wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen noch eine Randerscheinung war,<br />
nicht zuletzt <strong>des</strong>halb, weil ein jeder in guter Tradition das produzierte, was er am besten<br />
zu können glaubte und die Forschung über die Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden<br />
noch in den Kinderschuhen steckte. Kotler und Levy übertrugen die Parameter <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong><br />
in Wirtschaftsunternehmen auf Non-Profit-Organisationen und Parteien.<br />
Ihre Vorgehensweise blieb nicht unumstritten, so folgte in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift,<br />
in der Kotler und Levy ihre Thesen veröffentlicht hatten, eine deutliche Gegendarstellung<br />
(Luck 1969: 53ff), in der ein erboster Autor argumentierte, dass nach Kotler und<br />
Levy ja ein jeder, der etwas zu präsentieren hätte, auch <strong>Marketing</strong>prämissen nutzen könne:<br />
„If a definition were framed to meet the authors´ contentions, marketing no longer would<br />
be bounded in terms of either institutions or the ultimate purpose of its activities. If a task<br />
is performed, anywhere by anybody, that has some resemblance to a task performed in<br />
marketing, that would be marketing. Therefore any institution that plans its services or its
8<br />
future would be performing the marketing task of “product planning.” The clergyman who<br />
was pondering his church’s programs and has considered himself to be a theologian and<br />
spiritual leader turns out to be a marketer.”<br />
Interessanterweise hat Luck damit in ironischer Form genau das beschreiben, was einige<br />
Dekaden später zur Realität geworden zu sein scheint. Weil seit dieser Zeit Parteien pragmatischer,<br />
Wahlkämpfe professioneller und Wähler unberechenbarer geworden sind, stellt<br />
sich die Frage nach der Bedeutung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes für Parteien und ihre Entscheidungsträger<br />
heute mit neuer Intensität und Aktualität.<br />
Abb. 1: Gegenüberstellung der Modelle <strong>des</strong> kommerziellen und <strong>des</strong> Politischen Marktes. Quelle: Kotler<br />
1978: 361.<br />
Kotler (1978: 359ff) beschreibt die Entsprechungen zwischen der wirtschaftlichen Kunden-Verkäufer-Beziehung<br />
und der wechselseitigen Beziehung zwischen Wähler und Parteien<br />
wie folgt (vgl. Abb. 1): Auf dem kommerziellen Markt tauschten Käufer und Verkäufer<br />
Geld gegen Produkte oder Dienstleitungen. 1 Im Rahmen dieser Interaktion interessiere<br />
sich der Anbieter für die Person und das Umfeld <strong>des</strong> Kunden und beschaffe sich Informationen.<br />
Im Vorfeld <strong>des</strong> Kaufprozesses könne dabei beispielsweise die persönliche<br />
Bedürfnislage oder die Kaufkraft <strong>des</strong> potentiellen Kunden von Interesse sein, einerseits<br />
damit der Anbieter bereits die Gestaltung seiner Produkte darauf abzustimmen könne, andererseits<br />
damit bestehende Produkte optimal beworben werden können. Nach dem Kaufprozess<br />
sei es für den Anbieter dann zum Beispiel von Interesse, ob die Nachfrager mit<br />
dem Kauf zufrieden sind. In der von Kotler (1978: 361, vgl. Abb. 1) aufgestellten Systematik<br />
ist der Kunde zunächst der Empfänger der auf ihn abgestimmten Kommunikation.<br />
1 Kotler bezeichnet dies als „Versprechen von Nutzen“.
9<br />
Übertragen auf den Interaktionsprozess zwischen einer Partei und ihrer potentiellen Wählerschaft<br />
beschreibt Kotler (1978: 361, vgl. Abb. 1) das Angebot der Partei in Analogie zu<br />
einem Produkt auf dem kommerziellen Markt, während die Unterstützung <strong>des</strong> Wählers,<br />
die in der Abgabe der Stimme am Wahltag Ausdruck findet, an die Stelle <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> tritt.<br />
Kommunikation und Information sind in Kotlers Bild synonym zu sehen: Genau wie der<br />
Anbieter auf dem kommerziellen Markt informiere sich die Partei auf dem Politischen<br />
Markt über die Erwartungshaltung der Nachfrager, lege diese Informationen bei der Produktentwicklung<br />
zugrunde und bemühe sich um die Kommunikation der Vorteilhaftigkeit<br />
<strong>des</strong> Angebotes.<br />
1.3 <strong>Marketing</strong> in Parteien und das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong><br />
Der <strong>Marketing</strong>begriff ist erstmals von Wangen (1983) auf deutsche Parteien angewendet<br />
worden. Wangen beschreibt in der Einleitung zu seinem Buch „Polit-<strong>Marketing</strong>“ den<br />
Wettbewerb zwischen Unternehmen um die Gunst <strong>des</strong> Kunden als Analogie zum Wettbewerb<br />
zwischen Parteien, die um die Wählergunst konkurrieren und als soziales Ordnungsprinzip<br />
und führt an, dass allein die Parallele, dass Parteien wie Anbieter auf dem kommerziellen<br />
Markt einer mangelnden Nachfrage gegenüber stünden, Anlass zu der Vermutung<br />
gäbe, dass auch die Austauschbeziehung von Parteien und Wählern von <strong>Marketing</strong>aspekten<br />
geprägt sein könnten. Oellerking (1988: 16) wählt in diesem Zusammenhang<br />
folgende Definition:<br />
„<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> ist ein Führungskonzept der politischen Akteure, das durch Analyse,<br />
Planung, Realisation und Kontrolle ausgearbeiteter Programme die Parteiziele durch<br />
den Gewinn von Wählerstimmen zu realisieren versucht. Dazu ist es erforderlich, durch<br />
koordinierten Einsatz der <strong>Marketing</strong>instrumente das politische Angebot im Hinblick auf<br />
die Präferenzen <strong>des</strong> Wählers zu gestalten, die Präferenzen aber auch zu wecken und zu<br />
verändern.“<br />
Bauer, Huber und Herrmann (1996) begründen die Notwendigkeit für Parteien, sich selbst<br />
zu vermarkten, außerdem damit, dass die Gefahr bestünde, dass Parteien aufgrund eines<br />
massiven Rückgangs der Mitgliederzahlen gezwungen seien, Maßnahmen zu ergreifen,<br />
die ihre finanzielle Stabilität erhalten. Kreyher (2004: 13ff) sieht im <strong>Marketing</strong> heute vor<br />
allem ein Management-Konzept für Parteien. Charakteristisch dabei sei die Marktorientierung,<br />
die zu einer Ausrichtung sämtlicher Prozesse und Entscheidungen auf den Wähler<br />
führe. <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> könne in diesem Zusammenhang als Führungskonzept zur<br />
bewussten Gestaltung von politischen Austauschprozessen und Interaktionen verstanden<br />
werden.<br />
Es finden sich Quellen, in denen <strong>Marketing</strong> mit Werbung oder Public Relations gleichgesetzt<br />
wird. Diese Interpretation <strong>des</strong> Begriffs greift zu kurz und kann bei genauerer Betrachtung<br />
der <strong>Marketing</strong>theorie weder im Hinblick auf den kommerziellen Markt, noch auf<br />
den politischen Bereich als zulässig erachtet werden: Werbung ist lediglich ein techni-
10<br />
sches Mittel, das im Rahmen von <strong>Marketing</strong> eingesetzt werden kann, um Produkte, Personen,<br />
Konzepte oder Ideen zu präsentieren. Public Relations kann mit Öffentlichkeitsarbeit<br />
übersetzt werden (vgl. Duden 1990) und ist in diesem Sinne eher als das Ergebnis einer<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung zu sehen.<br />
Mauser (1989: 22) sieht die treibende Kraft zum zunehmenden Einsatz von <strong>Marketing</strong> in<br />
Parteien vor allem in der Funktion als Werkzeug zur Problemlösung für Kandidaten und<br />
Amtsträger, die sich einer großen Öffentlichkeit und den damit verbundenen kommunikativen<br />
Herausforderungen gegenübersehen:<br />
„Like marketing managers, political candidates need a framework to access their problems<br />
and opportunities and to determine campaign strategy, and marketing offers a managerial<br />
technology, for influencing mass behavior. As such, marketing offers both, a pragmatic<br />
framework for thinking about political campaigning and a professional approach to mass<br />
communications.”<br />
In ihrem Aufsatz „The Marriage of Politics and <strong>Marketing</strong>” assoziiert Lees-Marshment<br />
(2001b) das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> mit den Symbolen einer Hochzeit: “Something<br />
borrowed, something blue and something new.” Als vom kommerziellen Markt „geliehen“<br />
sieht sie die konzeptionelle Grundlage, mit der eine Partei versuchen könne, ihre<br />
„Absatzchancen“ zu verbessern. „Neu“ im Sinne eines <strong>Marketing</strong>verständnisses sei es,<br />
dass Aspekte wie politisches Bewusstsein, Programmatik, Mitgliederzahlen und andere<br />
parteienspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden müssten, und als „blue“ im Sinne<br />
von deprimierend beschreibt sie schließlich die Möglichkeit, dass Parteien mittels <strong>Marketing</strong><br />
auch dann Wahlerfolge glücken könnten, wenn sie ihre programmatischen Ziele in<br />
der Vergangenheit nicht erfolgreich in Regierungshandeln umgesetzt hätten.<br />
Bezüglich <strong>des</strong> Umsetzungsgra<strong>des</strong> von <strong>Marketing</strong> durch Parteien unterscheidet Lees-<br />
Marshment (2001a: 23f) idealtypisch drei mögliche Verhaltensmuster, die die Gestaltung<br />
einer Wahlkampagne prägen können und deren Definition für den weiteren Verlauf dieser<br />
Arbeit nicht unerheblich ist: 2<br />
1. Produktorientiertes Verhalten liegt vor, wenn sich eine Partei darauf konzentriert,<br />
das im Rahmen ihrer Möglichkeiten beste Produkt zu entwickeln, und in der Kampagne<br />
an den Wähler appelliert, die positiven Eigenschaften dieses Produktes zu<br />
erkennen und zu unterstützen.<br />
2. Verkaufsorientiertes Verhalten liegt vor, wenn eine Partei bei der Vermarktung ihres<br />
Produktes professionelle Verkaufstechniken einsetzt. Auch hier erfolgt die Produktentwicklung<br />
im Ermessen der Partei; im Unterschied zum produktorientierten<br />
Verhalten geht es allerdings darum, das Angebot strategisch günstig zu verpacken;<br />
es geht also eher um den Aufbau von künstlichen Bedürfnissen als um die Befriedigung<br />
real vorhandener Erwartungshaltungen.<br />
3. <strong>Marketing</strong>orientiertes Verhalten meint schließlich, dass eine Partei sich von den<br />
Erwartungen aufseiten der Wähler leiten lässt und die Gestaltung <strong>des</strong> Produktes<br />
2 Vgl. dazu auch Newman: 1994: 12.
11<br />
auf der Grundlage dieser Erwartungshaltung vornimmt. Im Gegensatz zur reinen<br />
Verkaufsorientierung stehen dabei die real existierenden Bedürfnisse der Wählerschaft<br />
im Vordergrund.<br />
Insgesamt ist davon auszugehen, dass innerhalb einer Parteiorganisation keine bewusste<br />
Entscheidung für oder gegen eine der Anbieterstrategien getroffen wird. Vielmehr ist die<br />
Bedeutung und Affinität für eine Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen als abhängig von<br />
dem ideologischen und strukturellen Hintergrund einer Partei zu sehen (vgl. Gibson/Römmele<br />
2001). Die zentrale Bedeutung der von Lees-Marshment benannten Orientierungsmöglichkeiten<br />
für diese Arbeit begründet sich in der Trennschärfe, mit der sie die<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung von der Verkaufsorientierung und der Produktorientierung unterscheidet.<br />
Denn obwohl zahlreiche Autoren mit diesen Begriffen arbeiten, sind klare Definitionen<br />
der Begriffsbedeutungen in der Literatur Mangelware. Für den weiteren Verlauf<br />
dieser Arbeit soll grundlegend von der Definition von Lees-Marshment ausgegangen werden.<br />
Bei der Interpretation der Ergebnisse, der in Teil II dieser Arbeit zu beschreibenden<br />
Untersuchung, sollen die hier dargestellten Orientierungsmuster als Idealtypen herangezogen<br />
werden. 3 <strong>Marketing</strong>orientierung heißt dabei in Abgrenzung zur Verkaufsorientierung,<br />
dass die Erwartungshaltung der Wählerschaft bereits bei der Gestaltung <strong>des</strong> Angebotes<br />
Berücksichtigung findet und zusätzlich professionelle Verkaufstechniken zum Einsatz<br />
kommen. Bei der Bewertung der Untersuchungsergebnisse in Teil II dieser Arbeit soll<br />
unter anderem eine Einordnung der Parteien hinsichtlich der hier genannten Orientierungsmöglichkeiten<br />
vorgenommen werden.<br />
Zahlreiche Autoren vermuten in diesem Zusammenhang insgesamt eine Entwicklung in<br />
den Parteien weg von der verkaufsorientierten Wahlkampforganisation, hin zu einer marketingorientierten<br />
Kampagnenführung (vgl. dazu etwa Smith/Saunders 1990: 295ff, Wring<br />
1996: 101, Henneberg 2002: 96ff, Lees-Marshment 2001a: 2ff oder Schneider 2004a: 27).<br />
Schneider (2004a) deklariert in diesem Zusammenhang drei Entwicklungsstufen (vgl.<br />
Abb. 2): Zunächst hätten sich die Parteien auf die Promotion ihres Kandidaten konzentriert.<br />
Darauf aufbauend sei es in den 1970er Jahren zu einer Verkaufsorientierung gekommen,<br />
wobei Parteien bemüht gewesen seien, ihr Angebot zielgruppenspezifisch auf<br />
dem Markt zu platzieren. Die <strong>Marketing</strong>orientierung, zu der es heute zunehmend komme,<br />
fasse schließlich stärker die Erwartungen <strong>des</strong> Wählers selbst ins Auge.<br />
Diesbezüglich muss gleichwohl konstatiert werden, dass es kaum empirische Belege gibt,<br />
die den skizzierten Wandel von einer Verkaufsorientierung zu einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
tatsächlich in dem Ausmaß, wie er in der Literatur beschrieben worden ist, belegen.<br />
Eine qualitative Untersuchung in australischen Parteien hinsichtlich der Bedeutung von<br />
Politischem <strong>Marketing</strong> kam 1996 beispielsweise zu dem Ergebnis, dass für australische<br />
Parteien zu diesem Zeitpunkt mit nichten von dieser Entwicklung gesprochen werden<br />
konnte, sondern dass nach wie vor eher von einer Verkaufsorientierung ausgegangen werden<br />
müsse (vgl. O´Cass 1996: 51).<br />
3 Dieser Aspekt wird in Kapitel 5.5 näher erörtert.
12<br />
Abb. 2: Entwicklungsstufen <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>. Quelle: Schneider 2004a: 27, modifizierte Darstellung.<br />
Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass als zentrales Element einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
im Rahmen dieser Arbeit vor allem die Orientierung an den Erwartungen der<br />
Wählerschaft und die damit einhergehende zentrale Notwendigkeit intensiver Recherchemaßnahmen,<br />
die zur Ermittlung dieser Erwartungshaltung erforderlich werden, hervorzuheben<br />
sind.<br />
1.4 Forschungsansätze im Bereich <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong><br />
Mit der Erörterung von Wahlkämpfen, Wahlkampagnen und Wahlergebnissen sind 200X<br />
zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen beschäftigt. Berg (2002), der die diesbezügliche<br />
Fächervielfalt näher betrachtet hat, nennt die <strong>Marketing</strong>forschung als zentralen Bestandteil<br />
nicht-politikwissenschaftlicher Forschungsfächer neben der Psychologie, der Kybernetik,<br />
der Informatik oder der Sozionik. Das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> ist entsprechend<br />
von verschiedenen Fachrichtungen aufgegriffen und diskutiert worden. Grundsätzlich<br />
kann mit Tenscher (2003: 68) festgestellt werden, dass sich die existierende Literatur über<br />
<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> fast ausnahmslos auf den Akteur „Partei“ konzentriert hat. Inwieweit<br />
Nicht-Regierungsorganisationen, Verwaltungen oder Bürgerinitiativen auf <strong>Marketing</strong>maßnahmen<br />
zurückgreifen, sei, so Tenscher (2003: 68), eine eher selten gestellte Frage.<br />
Schneider (2004a: 28) unterscheidet in diesem Kontext insgesamt sieben Forschungsfelder<br />
(vgl. Abb. 3).
13<br />
Mit Blick auf die Literatur über <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> sind vor allem politikwissenschaftlich<br />
und wirtschaftswissenschaftlich motivierte Forschungsansätze dominierend. Kotler<br />
und Levy beispielsweise, die (1969) das <strong>Marketing</strong>modell erstmals auf Parteien übertragen<br />
haben, sind <strong>Marketing</strong>professoren an amerikanischen Universitäten. Ihr Interesse galt<br />
und gilt vor allem der Frage, inwieweit auch Parteien aufgrund der mutmaßlichen Parallelen<br />
hinsichtlich der Anbietersituation dazu neigen, sich an <strong>Marketing</strong>prämissen zu orientieren.<br />
Zahlreiche Autoren (vgl. bspw. Newman 1994, Kavanagh 1995 oder Bartle 2002)<br />
haben in Anlehnung daran konkrete Wahlkampagnen unter <strong>Marketing</strong>gesichtspunkten<br />
betrachtet und viele Indizien gefunden, die diese These stützen. Auch gab es vereinzelt<br />
Versuche, durch Befragungen in den Parteien selbst nachzuweisen, dass zu bestimmten<br />
Zeitpunkten eine <strong>Marketing</strong>orientierung vorgelegen hat (vgl. Baines/Scheucher/Plasser<br />
2001 oder O´Cass 1996). Die Ergebnisse dieser Untersuchungen ließen allerdings gewisse<br />
Zweifel an der Vermutung, Parteien agierten marketingorientiert, aufkommen. So zeigte<br />
sich, dass die marketingspezifischen Begriffe von den Verantwortlichen nicht verwendet<br />
oder überhaupt nicht gekannt wurden, was aus Sicht der Forscher so interpretiert wurde,<br />
dass es sich letztlich eher um eine Verkaufsorientierung in den Parteien als um eine <strong>Marketing</strong>orientierung,<br />
handeln müsse.<br />
Axford und Huggins (2002) stellen für die akteursbezogene Erörterung von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
in Bezug auf Parteien zwei unterschiedliche Herangehensweisen fest:<br />
1. Ansätze, die beschreiben, wie die Planung von Wahlkampagnen tatsächlich in der<br />
Realität vonstatten gehet<br />
2. Ansätze, die beschreiben, wie Kampagnen funktionieren könnten oder müssten.<br />
Abb. 3: Forschungsfelder im Bereich <strong>des</strong> Politischen<br />
<strong>Marketing</strong>. Quelle: Schneider 2004a: 29,<br />
modifizierte Darstellung. Die 4 P´s (Product,<br />
Promotion, Place und Price) werden in Kapitel<br />
2.2 und den dazu gehörigen Unterpunkten detailliert<br />
erörtert.<br />
In der Frage nach den demokratietheoretischen<br />
Auswirkungen, wenn politische<br />
Parteien nach <strong>Marketing</strong>prämissen agieren,<br />
liegt schließlich ein zentraler politikwissenschaftlicher<br />
Fokus begründet.<br />
O´Shaughnessy (1999), ein ausgewiesener<br />
Kritiker in dieser Angelegenheit, hat<br />
in diesem Zusammenhang die Parallelen<br />
zwischen <strong>Marketing</strong> und Propaganda<br />
diskutiert. Baines und Worcester (2002) sind der Frage nachgegangen, inwieweit man<br />
Marktforschungsmaßnahmen aus Parteiensicht unter dem Populismusaspekt betrachten<br />
darf und muss. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass nicht die Marktforschung den Populismus<br />
in politischen Parteien fördere, sondern dass er als Konsequenz der Unfähigkeit<br />
politischer Organisationen zu verstehen sei, die ihnen zugänglichen Informationen mit
14<br />
ihren eigenen Konzepten und Ideen von Führung zu verbinden. Insgesamt reichen die Urteile<br />
der Autoren in der Frage nach der Demokratieverträglichkeit aber von „absolut zuträglich“<br />
(vgl. bspw. Mauser 1989, Smith/Saunders 1990, Banker 1992 oder Scammell<br />
1999) bis „demokratieschädlich“ (vgl. bspw. O´Shaughnessy 1990), wie der folgende Unterpunkt<br />
zeigen wird.<br />
Der wirtschaftswissenschaftliche und der politikwissenschaftliche Ansatz unterscheiden<br />
sich somit vor allem durch ihren Blickwinkel: Während die wirtschaftswissenschaftliche<br />
Forschung die Ausgestaltung <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> in den Parteien fokussiert, konzentriert<br />
sich die politikwissenschaftliche Forschung insbesondere auf die Konsequenzen<br />
dieses Prozesses (vgl. Schneider 2004a: 33). Einen weiteren Strang, der sich in der Literatur<br />
über <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> zu etablieren scheint, beschreibt Tenscher (2003: 68) wie<br />
folgt:<br />
„Schließlich ist gerade in den vergangen Jahren das Thema „<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>“ nicht<br />
nur auf verstärktes Interesse auf Seiten der politischen Kommunikations- und <strong>Marketing</strong>forschung<br />
gestoßen, sondern auch die Anzahl pseudo-wissenschaftlicher Abhandlungen<br />
und praktischer Tipps aus den Reihen erfahrener, aber zum Teil auch selbsternannter <strong>Marketing</strong>-<br />
und Wahlkampfexperten gestiegen [...]. Diese Publikationen scheinen mitunter jedoch<br />
in erster Linie der Selbstdarstellung [...] zu dienen, als dass sie in größerem Maße für<br />
den vorliegenden Kontext zur analytischen Erhellung beitragen könnten.“<br />
Politikwissenschaftlich ist das <strong>Marketing</strong>modell darüber hinaus auch in Bezug auf das<br />
Selbstverständnis von Parteien thematisiert worden. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise<br />
eine Re-Interpretation <strong>des</strong> Kirchheimer’schen Modells der Catch-All-Partei in<br />
<strong>Marketing</strong>termini vorgenommen worden (vgl. Eghbalian/Henneberg 2002). Darüber hinaus<br />
ist die Möglichkeit einer <strong>Marketing</strong>orientierung auch als Komponente <strong>des</strong> generellen<br />
Professionalisierungsprozesses politischer Parteien gesehen worden (vg. bspw. Gibson/Römmele<br />
2001). Zudem hat sich die Forschung im Bereich <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong><br />
als Bestandteil der <strong>Marketing</strong>forschung vor allem im angloamerikanischen Bereich etabliert.<br />
Die Vielzahl an Publikationen in <strong>Marketing</strong>fachzeitschriften wie im European Journal<br />
of <strong>Marketing</strong>, im Journal of <strong>Marketing</strong> Management, oder im Journal of <strong>Marketing</strong>,<br />
sowie umfassende Sammelbände, beispielsweise in englischer Sprache von Newman<br />
(1999b) und O´Shaughnessy (2002), oder im deutschsprachigen Raum von Kreyher<br />
(2004) oder Karp und Zolleis (2004), wie auch die Tatsache, dass <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong><br />
fester Bestandteil <strong>des</strong> Lehrplans im Fach <strong>Marketing</strong> an amerikanischen Universitäten geworden<br />
ist (vgl. Schneider 2004a: 27), bestätigen dies. Der gegenwärtige Stand der Forschung<br />
muss dennoch insgesamt als unbefriedigend summiert werden. Mit Blick auf die<br />
Literatur können - betrachtet man Kampagnen nachträglich - zwar gewisse Merkmale<br />
festgestellt werden, die auf eine <strong>Marketing</strong>orientierung in den Parteien hinweisen. Gleichzeitig<br />
gibt es aber kaum Belege dafür, dass in den Parteien tatsächlich, wenn auch nur implizit,<br />
in <strong>Marketing</strong>kategorien gedacht wird. Die möglichen Wirkungen von Politischem<br />
<strong>Marketing</strong> schließlich, die in der Literatur insgesamt am wortreichsten diskutiert worden<br />
sind, sind in ihrer Richtung uneinheitlich. Im Rahmen dieser Arbeit ist diese Frage vor
15<br />
allem insofern interessant, als das in den Parteien selbst eine gewisse Debatte bezüglich<br />
der Legitimität von <strong>Marketing</strong> denkbar wäre.<br />
1.5 Kritik am Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong><br />
In der Erörterung der Forschungsfelder ist es bereits vorweggenommen worden: In der<br />
Literatur ist die Legitimität, mit der Parteien <strong>Marketing</strong> anwenden, kritisiert worden (vgl.<br />
dazu bspw. Henneberg 2004: 225ff). O´Shaughnessy (1990: 247) spricht in diesem Zusammenhang<br />
von einem marketinginduzierten „lack of courage.“ Allerdings gibt es hinsichtlich<br />
dieser Frage auch andere Stimmen: Harrop (1990: 290f) geht beispielsweise davon<br />
aus, dass weder die Anwendung von Politischem <strong>Marketing</strong>, noch die Parteien selbst<br />
dafür verantwortlich gemacht werden können, dass sich Politiker weniger für politische<br />
Inhalte und Prinzipien interessierten. Solange Journalisten auf der Basis von Nachrichtenwerten<br />
4 Sendezeiten vergeben, sei der Trend zum <strong>Marketing</strong> aus Sicht der Parteien als<br />
logische Schlussfolgerung zu sehen. Scammell (1995: 298) stellt in<strong>des</strong> einen marketinginduzierten<br />
Gewinn für die Demokratie fest, weil der Einsatz von <strong>Marketing</strong> Parteien dazu<br />
veranlasse, stärker auf die Bedürfnisse der Wähler einzugehen und eine wählerfreundlichere<br />
Kommunikationspolitik zu betreiben. Mauser (1989: 27) spricht ebenfalls<br />
von einer Stärkung der Demokratie, weil intensivierte Kommunikationsmaßnahmen den<br />
Dialog zwischen Parteien und Wählern förderten. Smith und Saunders (1990: 298f) argumentieren,<br />
dass der Einsatz von <strong>Marketing</strong> in Parteien, der ja schließlich auf die Herstellung<br />
dauerhafter Kundenzufriedenheit und -bindung abziele, eher zu einer gewissen Konsistenz<br />
der Politikziele als zu einem inflationären Wechsel der Absichten führe. Schneider<br />
(2004b: 62) fasst den hier zutage tretenden Dissens wie folgt zusammen:<br />
„In summary, the acceptance (even positive promotion) or rejection of political marketing<br />
depends very substantially on the understanding of the particular author as to the dominant<br />
perspective of political marketing. On the one hand, there is the reproach of voter manipulation<br />
which is based on an inside-out-dominated, sales-oriented interpretation of political<br />
marketing. On the other hand the proponents of political marketing base their views rather<br />
on an outside-in-dominated interpretation of political marketing and a voter-oriented formation<br />
of the political product.“<br />
Schneider macht damit auch auf ein zentrales Problem im Rahmen der Diskussion über<br />
<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> aufmerksam: Angesichts der Verschiedenartigkeit und der individuellen<br />
Problembehaftung der unterschiedlichen Leitideen, anhand derer das Phänomen <strong>des</strong><br />
Politischen <strong>Marketing</strong> gegenwärtig diskutiert wird, ist eine einheitliche Kritik kaum möglich.<br />
Der schärfste Kritikpunkt muss also lauten, dass es das allgemeingültige Modell <strong>des</strong><br />
Politischen <strong>Marketing</strong> überhaupt gar nicht zu geben scheint. Zum einen gibt es Forscher,<br />
4 Eine umfassende Definition <strong>des</strong> Begriffs Nachrichtenwert bietet Schulz 1997: 68ff. Zusammenfassend ist<br />
damit der Stellenwert einer Nachricht bei der medialen Berichterstattung gemeint. Ein hoher Stellenwert<br />
liegt dann vor, wenn möglichst viele Nachrichtenfaktoren (wie Kontroverse, Tragweite, Nähe oder persönliche<br />
Betroffenheit aus der Sicht <strong>des</strong> Zuschauers) vorliegen.
16<br />
die, Kotlers Argumentation folgend, <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> als Leitmotiv der Parteien auf<br />
dem Politischen Markt sehen, wobei die Austauschbeziehung von Parteien und Wählern in<br />
den Begrifflichkeiten <strong>des</strong> kommerziellen Marktes erklärt wird. Das ruft jene Kritiker auf<br />
den Plan, die argumentieren: Ein Wähler kann nicht mit einem Konsumenten und eine<br />
Wahlentscheidung nicht mit einer Kaufentscheidung gleichgesetzt werden. Als zielführender<br />
mutet es in diesem Zusammenhang an, <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> vor allem mit Blick<br />
auf die Parallele zwischen der Anbieterrolle von Parteien und Unternehmen zu sehen (vgl.<br />
bspw. Baines 1999, Scammell 1995, Butler/Collins 1996, Harrop 1990, Farrell/Wortmann<br />
1987). Dieser Standpunkt ist zwar bezüglich seiner möglicherweise demokratieschädigenden<br />
Wirkung kritisiert, aber nicht grundsätzlich bezüglich seiner Realitätsplausibilität in<br />
Frage gestellt worden.<br />
Insgesamt kann also festgehalten werden, dass das Phänomen <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong><br />
hinsichtlich unterschiedlicher Gesichtspunkte Kritik erfahren hat. Zum einen sind Modelle<br />
aus der Wirtschaftslehre nur begrenzt auf politische Prozesse übertragbar. Zum anderen<br />
liefern die diskutierten Szenarien kaum zuverlässiges Prognosepotential hinsichtlich konkreter<br />
Wahlausgänge, und schließlich ist es kaum erforscht, welche Rolle <strong>Marketing</strong>modelle<br />
tatsächlich gegenwärtig in Parteien spielen und künftig möglicherweise spielen können.<br />
2. <strong>Marketing</strong>prämissen für die Planung einer Wahlkampagne<br />
In einem an <strong>Marketing</strong>prämissen orientierten Wahlkampf bildet derjenige Teil der Wählerschaft<br />
den Ausgangspunkt, den eine Partei realistischer Weise meint erreichen zu können<br />
(vgl. Vowe/Wolling 2000: 65). Nachdem im vorherigen Kapitel die theoretischen<br />
Grundlagen <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> erörtert worden sind, soll im Folgenden für eine<br />
Partei dargelegt werden, welche Möglichkeiten das <strong>Marketing</strong>konzept ihr anbieten kann.<br />
Nahezu unwidersprochen werden in der Literatur diesbezüglich zwei Ebenen unterschieden,<br />
die in den folgenden Unterpunkten erörtert werden sollen: Die strategisch-holistische<br />
und die operational-instrumentelle Ebene (vgl. dazu bspw. Wangen 1983, Oellerking<br />
1988, Collins/Butler 1996, Scammell 1999 oder Henneberg 2002). Harrop (1990: 277),<br />
<strong>des</strong>sen grundlegende Erörterung in diesem Zusammenhang häufig zitiert wird, führt in<br />
diesem Kontext an:<br />
„The formal definition of marketing is that it involves facilitating exchanges between an<br />
organisation and its environment. For our purposes, however, we can break marketing<br />
down into two simple dimensions: strategy, which involves providing things people want,<br />
and promotion, which is selling the things you have decided to provide.”<br />
Die Fokussierung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>themas auf den sehr begrenzten Zeitraum einer Wahlkampagne<br />
ist vor allem in der angloamerikanischen Literatur üblich (vgl. etwa Mauser<br />
1983, Farrell/Wortmann 1987, Niffenegger 1989 oder Kavanagh 1995), während europäische<br />
Autoren stärker den langfristigen Charakter einer <strong>Marketing</strong>orientierung in Bezug auf
17<br />
eine Partei erörtert haben (vgl. etwa Wangen 1983, Oellerking 1988, Butler/Collins 1994,<br />
Baines/Plasser/Scheucher 1999 oder Butter/Fuchs/Srnka 2002).<br />
Abb. 4: Idealtypische Vorgehensweise einer marketingorientierten Partei bei der Planung einer Wahlkampagne.<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Der diagnostizierte Mangel an einer allgemein als gültig anerkannten theoretischen Grundlage<br />
macht es an dieser Stelle erforderlich, für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit<br />
festzulegen, auf welcher Basis argumentiert und welche Zusammenhänge vorausgesetzt<br />
werden sollen. Losgelöst von der Debatte über Umfang und Gültigkeit verschiedener<br />
Aspekte, die im Kontext <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> diskutiert worden sind, soll von der im<br />
Rahmen dieser Arbeit als zentral erachteten These, Parteien orientieren sich bezüglich der<br />
Kampagnenplanung an <strong>Marketing</strong>prämissen, ausgegangen werden. Was heißt das im Einzelnen<br />
für eine Partei? Konkret bedeutet dies, so soll es hier angenommen werden, zweierlei<br />
(vgl. Abb. 4): Die Führung der Partei müsste bestrebt sein herauszufinden, wer ihre<br />
potentiellen Wähler sind und welche Erwartungshaltung diese hegen. Dazu müsste man<br />
sich intensiv Informationen beschaffen, zum Beispiel indem man Marktforschung betreibt<br />
oder sich beraten lässt. Auf der Grundlage dieser Informationen wird man schließlich Strategien<br />
entwickeln. So wird man unter Umständen entscheiden, welche Wählergruppen<br />
besonders angesprochen werden sollen und welche Positionierung sich in den jeweiligen<br />
Segmenten anbietet. Von diesen strategischen Überlegungen ausgehend wird man die Instrumente<br />
bedienen, die im Rahmen <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes zur Verfügung stehen. Als<br />
Ergebnis entsteht so die Kampagne, mit der die Partei antritt und ihr Angebot auf dem<br />
Markt platziert. Darüber, wie die Kampagne rezipiert wird, könnten die Verantwortlichen
18<br />
der Partei erneut Informationen sammeln, Strategien überdenken und instrumentelle Implikationen<br />
modifizieren, so dass bis zum Wahltag ein dynamischer Kreislauf in Gang<br />
kommen würde.<br />
Für den weiteren Verlauf der Arbeit soll vorausgesetzt werden, dass sich das hier skizzierte<br />
Muster, <strong>des</strong>sen Bestandteile im Folgenden weitere Erörterung finden werden, in den<br />
nordrhein-westfälischen Parteien nachweisen lassen müsste, wenn tatsächlich eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
bei der Planung der Kampagnen zur Landtagswahl 2005 vorgelegen hat.<br />
2.1 <strong>Marketing</strong>strategien für die Planung einer Wahlkampagne<br />
Strategie ist heute mutmaßlich einer der am meisten verwendeten Begriffe, wenn es um<br />
die Erörterung von Wahlkampagnen geht. In diesem Kapitel soll die Bedeutung <strong>des</strong> Strategie-Begriffs<br />
innerhalb <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes, bezogen auf die Vorbereitung einer<br />
Wahlkampagne in einer Partei erörtert werden. Henneberg (2002: 132) erklärt den Strategie-Begriff<br />
in diesem Zusammenhang als Transformation der Erkenntnisse aus der Marktforschung<br />
in die strategischen Elemente Segmentierung, Positionierung und Targeting,<br />
woraus schließlich eine umfassende Strategie, die der Kampagnenplanung zugrunde gelegt<br />
werden könne, resultiere. Baines (1999: 417) beschreibt das Zusammenwirken dieser Teilaspekte<br />
wie folgt:<br />
„Ideally, voter segmentation and candidate positioning combined represent the process<br />
which political strategies determine who their most influential supporters are, determine,<br />
how they can be reached, and devise a plan to determine how best to project the image of<br />
that candidate or party in such a manner […].”<br />
Dieser Argumentation folgend sollen in den folgenden Unterpunkten als zentrale strategische<br />
Elemente erörtert werden: Marktforschung und Informationsgewinnung, Segmentierung<br />
und Targeting sowie Positionierung.<br />
2.1.1 Marktforschung und Informationsgewinnung<br />
Aus der Sicht eines Wirtschaftsunternehmens liegt eine wesentliche Aufgabe von Marktforschung<br />
darin, die Bedürfnisse potentieller Käufer zu erfassen, um auf dieser Basis eine<br />
möglichst zielgerechte Produktentwicklung vornehmen zu können. Bodenstein (1998: 82)<br />
weist darauf hin, dass dafür neben einer Analyse der Ausgangslage auch Erkenntnisse<br />
über zukünftige Entwicklungen gewonnen werden müssten, um ein stabiles Fundament für<br />
die weitere Planung zu entwickeln. Unabhängig vom Begriff <strong>des</strong> Marktes hat auch eine<br />
Partei vor einer Wahl die Möglichkeit, diverse Arten von Informationen über die Standpunkte<br />
und Erwartungen in der Wählerschaft einzuholen und diese bei den Planungen ihrer<br />
Wahlkampagne zugrunde zu legen. Als Teilaspekte, die in diesem Zusammenhang von<br />
Interesse sein können, benennt Kavanagh (1995: 135ff) die Außenwirkung der Partei, die
19<br />
Stärken und Schwächen der Partei und der Gegner, die Wahrnehmung bestimmter Themen<br />
und Sachfragen in der Öffentlichkeit und schließlich die Frage nach der grundsätzlichen<br />
Erreichbarkeit bestimmter Wählergruppen (vgl. Abb. 5).<br />
Abb. 5: Mögliche Ausgangspunkte der Recherche einer marketingorientierten Partei vor einer Wahl. Quelle:<br />
Eigene Darstellung, basierend auf einer Erörterung von Kavanagh (1995: 135ff).<br />
Um Informationsmaterial zu generieren, ist der Rückgriff auf diverse Datenquellen denkbar.<br />
Ein mögliches Unterscheidungskriterium ist in der Exklusivität von Daten zu sehen.<br />
In dieser Hinsicht können Parteien auf veröffentlichte Daten, zum Beispiel von den Lan<strong>des</strong>ämtern,<br />
dem Bun<strong>des</strong>amt für Statistik oder den Einwohnermeldeämtern zurückgreifen.<br />
Ferner bietet sich eine Recherche nach entsprechenden Medienveröffentlichungen an.<br />
Hinzu kommt die Möglichkeit, Daten, die von Instituten oder Agenturen routinemäßig<br />
erhoben werden, zu kaufen, Daten in eigener Regie zu erheben oder entsprechende Analysen<br />
in Auftrag zu geben. Im Rahmen der Informationsgewinnung sind dabei sowohl quantitative<br />
Erhebungsformen, beispielsweise wenn es um die Gewinnung repräsentativer Informationen<br />
geht, als auch qualitative Verfahren von Interesse, zum Beispiel hinsichtlich<br />
<strong>des</strong> Testens bestimmter Kampagneninhalte, wie Slogans oder Spots, in Fokusgruppen. 5<br />
Das Verfahren der Fokusgruppe lässt zwar keine repräsentativen Schlüsse zu, liefert dafür<br />
aber detailgenaue und authentische Angaben, die für die weitere Kampagnenplanung<br />
zugrunde gelegt werden können. Newman (1999a: 40) stellt hinsichtlich der in Parteien<br />
eingesetzten Methoden insgesamt eine Entwicklung fest, bei der Parteien zunehmend von<br />
einer Orientierung an den Ergebnissen einfacher Meinungsumfragen abließen und statt-<br />
5 Fokusgruppen setzen sich mit Gallus (2004: 205) aus etwa zehn Personen zusammen. Dort werden zum<br />
Beispiel mittels Interview oder diskussionsbegleitend Meinungen abgefragt und dokumentiert.
20<br />
<strong>des</strong>sen stärker zu einer Orientierung an Ergebnissen komplexerer Marktforschung gelangten,<br />
die nicht nur gewisse Trends aufzeigten, sondern auch Erklärungsansätze dafür lieferten.<br />
Gallus (2004: 205) beschreibt die demoskopiegestützte Kampagnenplanung als einen Prozess,<br />
der bereits etwa acht bis zwölf Monate vor dem Wahltermin mit einem so genannten<br />
Benchmark Survey beginne, um Grundstimmungen in der Bevölkerung zu erfassen. Die ab<br />
diesem Zeitpunkt regelmäßig veranstalteten Repräsentativbefragungen würden dann von<br />
den Ergebnissen qualitativer Meinungsforschung unterstützt. Des Weiteren würden Themenanalysen<br />
eingesetzt, um zu ermitteln, welche Themen die Wähler als bedeutsam empfinden<br />
und Kandidatenstudien, um das Image und die Popularität von Spitzenpolitikern zu<br />
untersuchen. Darüber hinaus könnten auch die innerparteiliche Kommunikation und die<br />
Mediaplanung Gegenstand demoskopisch basierter Planungsmaßnahmen werden.<br />
Hinsichtlich der Informationsgewinnung hat eine Partei somit insgesamt zahlreiche Möglichkeiten.<br />
Entscheidend im Sinne einer <strong>Marketing</strong>orientierung ist dabei, dass eine Partei<br />
planvoll vorgeht, so dass sich nach der Recherche ein Informationsgerüst ergibt, auf <strong>des</strong>sen<br />
Basis weitere Maßnahmen wie die Segmentierung von Wählergruppen, das Targeting<br />
und die Positionierung der Partei erfolgen können (vgl. Bowler/Farrell 1992: 5).<br />
2.1.2 Segmentierung und Targeting<br />
McDonald´s hat Anfang 2005 in seinen Werbeanzeigen darauf aufmerksam gemacht, dass<br />
der Salat, den es in den deutschlandweit rund 1.300 Filialen (vgl. McDonald´s 2005) zu<br />
kaufen gibt, „auf echten Feldern gewachsen“ sei. Damit hat der Konzern vermutlich zweierlei<br />
bezweckt: Die „Schmuddelecke“ <strong>des</strong> ungesunden Fastfoods zu verlassen und die<br />
gezielte Ansprache und Bindung solcher Kunden zu erreichen, die das Angebot an Speisen<br />
und Getränken zwar eigentlich lecker finden („ich liebe es“), aber aufgrund gesundheitlicher<br />
Bedenken dazu tendieren könnten, auf den Konsum zu verzichten. Darüber hinaus<br />
gab es noch den Teil der Kampagne, der eine junge (schlanke) Frau mit Turnschuhen in<br />
der Hand gezeigt hat, die beteuerte, mit Kalorien umgehen zu können, wenn man ihr nur<br />
mitteile, wie viele darin enthalten seien. Das Bild hat auf diese Weise vermutlich vor allem<br />
junge, figurbewusste Frauen angesprochen. Eine andere Variante richtete sich in<strong>des</strong><br />
an die nächst ältere Zielgruppe - Mütter: Für sie machte ein kleiner Junge darauf aufmerksam,<br />
dass Mama diejenige sei, die immer so gern zu McDonald´s wolle, weil der Salat<br />
dort so frisch, gesund, kalorienarm und schmackhaft sei.<br />
Den hier zugrunde liegenden Prozess bezeichnet man als Segmentierung <strong>des</strong> Marktes und<br />
- bezogen auf die spezifische Ansprache einzelner Segmente - als Targeting. Auf welcher<br />
Basis die Segmente gebildet werden, die im Rahmen einer Kampagne angesprochen werden<br />
sollen, liegt dabei keineswegs auf der Hand. So verfolgte beispielsweise der Hauptkonkurrent<br />
von McDonald´s, Burger King, zur selben Zeit eine völlig andere Strategie
21<br />
(„Bigger, Better, Burger King“), wo der hemmungslose Genuss, und nicht der gesundheitliche<br />
Aspekt im Vordergrund gestanden hat (vgl. Burger King 2005).<br />
Nun besteht das Angebot politischer Parteien unbestrittener Weise nicht aus Burgern, aber<br />
dennoch sind im Bereich der zielgruppenorientierten Ansprache ähnliche Vorgehensweisen<br />
denkbar. Die Frage lautet dabei: Wer soll angesprochen werden und womit? Parteien<br />
sehen sich 200X einem heterogenen Wählerspektrum gegenüber, in dem zwei Geschlechtergruppen<br />
sowie unterschiedliche Alters-, Glaubens-, Mentalitäts-, Bildungs-, und Berufsgruppen<br />
- die Liste ließe sich fortführen - eine Wahlentscheidung zu treffen haben. Die<br />
einen entscheiden emotional aus dem Bauch heraus, anderen liegt ein spezielles Thema<br />
besonders am Herzen, und wieder andere lassen sich durch ihr Umfeld oder von spontanen<br />
Eingebungen leiten. Der Einfluss von Kampagnen gilt als gering, aber potentiell bedeutsam,<br />
insbesondere dann, wenn mit einem knappen Wahlergebnis zu rechnen ist. Weil Parteien<br />
in der Regel auf keine Stimme verzichten können, lohnt sich somit der Aufwand,<br />
eine Kampagne zu initiieren und zielgruppenspezifisch Wähler anzusprechen, auf jeden<br />
Fall.<br />
Das grundsätzliche Ziel der Segmentierung ist es dabei, die erreichbare Wählerschaft<br />
möglichst sinnvoll in Gruppen einzuteilen, und zwar so, dass für je<strong>des</strong> Segment besondere<br />
Ansprachemodalitäten, das können sowohl Kommunikationskanäle wie auch bestimmte<br />
Botschaften sein, verwendet werden können. Die Gruppen sollten in sich so homogen wie<br />
möglich, die verschiedenen Gruppen allerdings so heterogen wie möglich angeordnet sein.<br />
Ein besonderes Augenmerk wird man dabei auf Segmente richten, die einen signifikanten<br />
Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen können (vgl. Newman 1994: 69). Smith und Saunders<br />
(1990: 300ff) summieren insgesamt folgende Segmentierungsstrategien: 6<br />
• Geografische Segmentierung: Segmentierung nach regionalen Unterschieden, wie<br />
zum Beispiel nach Stadt-/Landbevölkerung.<br />
• Behavioristische Segmentierung: Ein behavioristisches Segmentierungskriterium<br />
ist beispielsweise der Grad an Loyalität, den bestimmte Wähler für eine Partei<br />
empfinden. Hier könnte eine Partei beispielsweise Unterstützer, Wechselwähler<br />
(sprich potentielle Unterstützer), Unentschiedene und Opponenten unterscheiden. 7<br />
• Psychographische Segmentierung: Eine psychografische Segmentierung kann beispielsweise<br />
anhand der möglichen Positionen zu einem Sachthema erfolgen. Wähler<br />
mit derselben Position werden dabei in einem Segment zusammengefasst.<br />
• Demografische Segmentierung: Hierbei können Wähler anhand demografischer<br />
Faktoren wie Geschlecht, Alter oder Haushaltsstruktur unterschieden werden.<br />
Insgesamt sind für die genannten Segmentierungsmöglichkeiten auch alle möglichen<br />
Mischformen denkbar. Die Segmentierung muss darüber hinaus sowohl zum Image <strong>des</strong><br />
Spitzenkandidaten als auch zum Profil der Partei passen (vgl. Butler/Collins 1994: 23).<br />
Das strategische Ziel <strong>des</strong> Segmentierungsprozesses besteht somit zum einen darin, Zielgruppen<br />
zu identifizieren, die aus bestimmten Gründen (wahl-)entscheidend sein können,<br />
6 Vgl. hierzu auch Baines 1999: 406.<br />
7 Vgl. dazu auch Wring 2002: 175.
22<br />
um diese intensiver und zielgerichteter anzusprechen. Zum anderen besteht auf der Basis<br />
mehrerer Wählersegmente die Möglichkeit, verschiedene Themen und Positionen in den<br />
jeweiligen Zielgruppen unterschiedlich stark zu betonen.<br />
Neben den angedeuteten Gemeinsamkeiten weist der Segmentierungsprozess im Rahmen<br />
der Planung einer Wahlkampagne allerdings auch deutliche Unterschiede im Vergleich<br />
mit der Segmentierung eines Unternehmens auf, die Baines (1999: 405f) wie folgt benennt:<br />
Zum einen gäbe es deutlich weniger Informationen über den Prozess der Wahlentscheidung<br />
als über den Prozess einer Kaufentscheidung. Darüber hinaus seien Wahlentscheidungen<br />
viel stärker an Identifikationskriterien und psychosoziale Präferenzen gekoppelt<br />
als Kaufentscheidungen. Außerdem sei der finanzielle Rahmen für eine Wahlkampagne<br />
stark begrenzt, während ein Wirtschaftsunternehmen theoretisch auch Schulden<br />
machen könne, um eine groß angelegte Kampagne zu finanzieren, und schließlich weise,<br />
so Baines weiter, das Angebot einer Partei eine stärkere Komplexität auf, als dies für die<br />
meisten Produkte und Serviceleistungen kommerzieller Unternehmen festgestellt werden<br />
könne.<br />
Nachdem für eine Partei nach sorgfältiger Abwägung der verfügbaren Informationen Segmente<br />
gebildet worden sind, geht es im Rahmen von Targeting-Strategien darum festzulegen,<br />
mit welchen Inhalten oder Botschaften und auf welchem Weg die jeweiligen Zielgruppen<br />
angesprochen oder erreicht werden sollen. Ein prominentes Beispiel für den Versuch<br />
der gezielten Ansprache von Jung- und Erstwählern war beispielsweise der Auftritt<br />
von Kanzlerkandidat Gerhard Schröder in der RTL-Serie „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“<br />
im Vorfeld der Bun<strong>des</strong>tagswahl 1998 (vgl. Dörner 2001: 118ff).<br />
2.1.3 Positionierung<br />
Während Segmentierungsstrategien die Unterteilung der Wählerschaft zum Ziel haben,<br />
stehen im Rahmen der Positionierung vor allem auch die Standpunkte gegnerischer Parteien<br />
im Blickpunkt. Als grundlegend im Rahmen der Positionierung betont Baines (1999:<br />
413f) das Wissen um die in der Wählerschaft wahrgenommenen Stärken und Schwächen<br />
der Partei, sowie um die Sachfragen, die in der Öffentlichkeit als besonders bedeutsam<br />
empfunden werden. Während amerikanische Autoren in diesem Zusammenhang vor allem<br />
die Positionierung <strong>des</strong> Kandidaten diskutiert haben (vgl. etwa Newman 1994, 1999a oder<br />
Niffenegger 1989), betrachten europäische Autoren eher die Positionierung der Parteien<br />
selber, wobei der Spitzenkandidat als Teilaspekt <strong>des</strong> Angebotes seiner Partei gesehen wird<br />
(vgl. bspw. Collins/Butler 2002). 8 Baines (1999: 413) definiert die Positionierung einer<br />
Partei in diesem Zusammenhang wie folgt:<br />
„The political positioning process is a determination of how best to portray a candidate or<br />
party to the relevant segments of the electorate so as to persuade the voters to vote for the<br />
candidate or party again or to switch from supporting another candidate or party.”<br />
8 Vgl. dazu auch Punkt 2.2.1 Produktpolitik.
23<br />
Henneberg (2002: 138) beschreibt die Positionierungsstrategie einer Partei als das Ergebnis<br />
einer Analyse, mit der die (partei-)internen Machbarkeitoptionen mit den externen Positionierungsmöglichkeiten<br />
abgewogen worden sind. So sei beispielsweise ein Kandidat,<br />
der nicht zum ersten Mal antritt, zunächst auf ein bestimmtes Image festgelegt.<br />
In der Literatur über <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> wird bezüglich der Positionierung von Parteien<br />
darüber hinaus vor allem dem Modell der Positionsbestimmung von Collins und Butler<br />
(1994, 2001 und 2002) eine zentrale Bedeutung beigemessen, 9 die grundlegend vier Positionen<br />
unterscheiden: Marktführer, Herausforderer, Mitläufer, oder Nischenpartei (vgl.<br />
Abb. 6). Butler und Collins (1994: 34) gehen davon aus, dass die jeweilige Position der<br />
Partei ihre Wahlkampfstrategien maßgeblich beeinflussen wird. Die Marktposition sei<br />
allerdings nicht als frei wählbar zu verstehen, vielmehr liege es in der Regel auf der Hand,<br />
wer zum Beispiel als größte Partei in der Regierung die Rolle <strong>des</strong> Marktführers bekleide<br />
und welche Partei die Rolle <strong>des</strong> Herausforderers übernehme. Marktführer und Herausforderer<br />
würden andere Strategien wählen als zum Beispiel die Nischenpartei, denn während<br />
Marktführer und Herausforderer in Bezug auf eine bevorstehende Wahl um die Spitzenposition<br />
kämpften, werde sich die Nischenpartei auf das von ihr zu erreichende Teilsegment<br />
konzentrieren.<br />
Abb. 6: Positionierungsmöglichkeiten der Parteien. Quelle: Collins/Butler 1994: 29, modifizierte Darstellung.<br />
Insgesamt kann also festgestellt werden, dass sich etablierte Parteien im Rahmen der Positionierung<br />
vor einer Wahl in relativ unflexiblen Strukturen bewegen. Zum einen sind sie<br />
mit Collins und Butler auf eine bestimmte Position festgelegt, zum anderen sind sie zunächst<br />
einmal an frühere Programmatiken und Inhalte und die sich daraus ergebende<br />
Wahrnehmung <strong>des</strong> Parteiprofils in der Öffentlichkeit, sowie an das Image <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
gebunden. Obgleich es im Rahmen von Positionierungsüberlegungen somit weni-<br />
9 Vgl. dazu etwa Baines 1999: 413ff oder Henneberg 2002: 138ff.
24<br />
ger zu radikalen Richtungsänderungen kommen kann, ist dieser Prozess für die Planung<br />
einer Wahlkampagne von großer Bedeutung. Beispielsweise könnten Standpunkte ermittelt<br />
und bezogen werden, die als „noch nicht besetzt“ gelten. Ferner erlaubt erst ein detailliertes<br />
Wissen über die Außenwirkung von Partei und Spitzenkandidaten die Entwicklung<br />
von Maßnahmen, die zu einer positiven Modifizierung dieser Wahrnehmung beitragen<br />
können. Wie generell in dieser Frage wird letztlich insbesondere auch der finanzielle<br />
Spielraum, den eine Partei vor einer Wahl zur Verfügung hat, nicht unerheblich dafür sein,<br />
wie intensiv Marktforschung betrieben und Informationen für eine günstige Positionierung<br />
verfügbar gemacht werden können.<br />
2.2 <strong>Marketing</strong>instrumente für die Planung einer Wahlkampagne<br />
Nachdem in Kapitel 2.1 und den dazugehörigen Unterpunkten strategische Implikationen<br />
erörtert worden sind, die im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung bei der Wahlkampagnenplanung<br />
für eine Partei von Bedeutung sind, sollen im Folgenden die Instrumente erörtert<br />
werden, die zur Kampagnenplanung zur Verfügung stehen. Im Rahmen dieser Arbeit<br />
soll davon ausgegangen werden, dass die in Kapitel 2.1 und den dazugehörenden Unterpunkten<br />
dargelegten strategischen Implikationen der instrumentellen Umsetzung einer<br />
Kampagne zugrunde liegen (vgl. Abb. 4).<br />
Die allgemeine <strong>Marketing</strong>theorie unterscheidet in diesem Zusammenhang vier Instrumente,<br />
die im Folgenden auf den Prozess der Kampagnenplanung einer Partei bezogen werden<br />
sollen:<br />
1. Produktpolitik: Was wird angeboten?<br />
2. Kommunikationspolitik: Wie werden die Vorteile <strong>des</strong> Angebotes kommuniziert?<br />
3. Distributionspolitik: Über welche Kanäle wird das Angebot kommuniziert?<br />
4. Preispolitik: Zu welchen Bedingungen kann das Angebot erworben werden?<br />
Im <strong>Marketing</strong>konzept werden diese Instrumente unter der Bezeichnung „4 P´s“ zusammengefasst<br />
(vgl. bspw. Lees-Marshment 2001a: 24f). Die 4 P´s stehen dabei für die englischen<br />
Begriffe Product, Promotion, Place und Price. Die optimale Kombination der Instrumente,<br />
der <strong>Marketing</strong>mix, gilt dabei als zentrales Ziel (vgl. bspw. Wangen 1983: 212).<br />
Auch in der unternehmerischen Praxis sind <strong>Marketing</strong>instrumente eher nicht in Reinform<br />
zu beobachten, vielmehr gehen sie ineinander über und beeinflussen sich gegenseitig.<br />
O´Shaughnessy (1999: 738) schlägt vor, den konventionellen <strong>Marketing</strong>mix der „4 P´s“ in<br />
Bezug auf Parteien um zwei spezifisch politische Merkmale, nämlich Personality und<br />
Principle zu erweitern. Diese Maßnahme trage der Tatsache Rechnung, dass bei der Produktvermarktung<br />
von Wirtschaftsunternehmen, von Werbeträgern abgesehen, eher keine<br />
Personen im Vordergrund stünden, während im politischen Bereich die Person <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
in der Wählerwahrnehmung den Kern <strong>des</strong> Produktpaketes ausmachen könne.<br />
Ferner würden politische Strategien in weitaus stärkerem Maß von Prinzipien flankiert,<br />
als es in Wirtschaftsunternehmen der Fall sei.
25<br />
Mit Blick auf die Literatur über <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> kann festgestellt werden, dass vor<br />
allem den Instrumenten Produkt- und Kommunikationspolitik ein zentraler Stellenwert<br />
zugesprochen worden ist. Eine „Stiefkindbehandlung“ erfährt in<strong>des</strong> insbesondere das Instrument<br />
der Preispolitik, das, wie der entsprechende Unterpunkt zeigen wird, 10 im Vergleich<br />
mit seinem Pendant im kommerziellen <strong>Marketing</strong> erhebliche Bedeutungsunterschiede<br />
aufweist und aus der Sicht einer Partei abstrakterer Natur ist als die Aktivitäten,<br />
die für ein Wirtschaftsunternehmen unter dem Begriff der Preispolitik subsumiert werden.<br />
2.2.1 Produktpolitik<br />
Wenn die Firma Henkel von Produktpolitik spricht, kann man sich vorstellen, dass es um<br />
die Entwicklung und Vermarktung von Waschmitteln geht. Was aber ist das Produkt einer<br />
Partei? Mit Blick auf die Literatur werden Parteien hinsichtlich ihrer Produktpolitik zunächst<br />
generell eher mit den Anbietern von Servicedienstleistungen auf dem kommerziellen<br />
Markt verglichen, so beispielsweise mit Versicherungsagenturen, als mit den Anbietern<br />
von Konsumprodukten wie Waschmittel (vgl. bspw. Scammell 1999: 726, Harrop<br />
1990: 278, Collins/Butler 2001: 1034, Bartle 2002: 60). Politik ist eben nicht Persil (vgl.<br />
Behrent 2000 oder Ahrens 2005).<br />
Geht es um die Definition von Produktpolitik bezogen auf das Angebot einer Partei, stellt<br />
sich zunächst auch die grundsätzliche Frage, ob man von einem Produkt sprechen sollte,<br />
oder ob man von vielen verschiedenen Produkten - Personen, Themen und Positionen - die<br />
auf unterschiedlichen Ebenen platziert werden können, ausgehen muss. Für Letzteres würde<br />
vor allem die ausgesprochene Unterschiedlichkeit dieser Bestandteile sprechen. Dafür,<br />
das Angebot einer Partei tatsächlich als ein ganzheitliches Produkt zu begreifen, würde<br />
hingegen vor allem die Tatsache ins Gewicht fallen, dass der Wähler häufig, so zum Beispiel<br />
auch bei der im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchenden Wahl, nicht die Möglichkeit<br />
hatte, zwischen Positionen und Kandidaten zu trennen (vgl. bspw. Collins/Butler<br />
2002: 58). Vielmehr musste er sich zum Zeitpunkt der Wahl für das Gesamtangebot einer<br />
Partei entscheiden. Dieser Situation Rechnung tragend, soll im Rahmen dieser Arbeit das<br />
gesamte Angebot einer Partei, ihr Programm, ihr Image und das Profil ihres Spitzenkandidaten<br />
als ihr „Produkt“ aufgefasst werden. 11<br />
Collins und Butler (2002: 58f) benennen in diesem Zusammenhang drei zentrale Einflussfaktoren<br />
auf die Produktentwicklung einer Partei:<br />
1. Ideologie: 12 Die Inhalte, für die ein Kandidat steht, sind beispielsweise untrennbar<br />
mit seiner Person, seinem Image und mit der Ideologie der Partei verbunden und<br />
prägen deren Image entscheidend mit.<br />
10 Vgl. Punkt 2.2.4 Preispolitik.<br />
11 Diese Sichtweise erfährt zudem mit Blick auf die Literatur zusätzliche Rechtfertigung (vgl. etwa Farrel/Wortmann<br />
1987: 298ff oder Wring 2002: 175ff).<br />
12 Unter Ideologie versteht man ein System von Weltanschauungen, Grundeinstellungen und Wertungen, die<br />
der Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele zugrunde liegen (vgl. Duden 1990: 331).
26<br />
2. Loyalität: Je stärker die Loyalität durch die Unterstützer der Partei ist, <strong>des</strong>to größer<br />
ist die Flexibilität, mit der Kandidaten und Parteiführung auf politische Sachfragen<br />
reagieren können.<br />
3. Mutabilität: Die Veränderungsfähigkeit <strong>des</strong> Produktes einer Partei vor einer Wahl<br />
ist spätestens dann von Bedeutung, wenn es um die Beteiligung an einer Regierungskoalition<br />
geht. Insbesondere kleine Parteien können ihr <strong>Politisches</strong> Produkt<br />
nicht im vorher vermarkteten Sinne realisieren, weil Kompromisse eingegangen<br />
werden müssen.<br />
Lees-Marshment (2001a: 34) führt an, dass sich das Produkt<strong>des</strong>ign einer Partei an drei<br />
Faktoren orientieren sollte:<br />
1. Machbarkeit: Eine Partei sollte nicht versprechen, was sie nicht halten kann.<br />
2. Interne Durchsetzbarkeit: Das Produkt sollte den Ansprüchen von Mitgliedern und<br />
Funktionären gerecht werden und zur Akquirierung von Unterstützern beitragen<br />
können.<br />
3. Konkurrenzfähigkeit: Das Produkt sollte sich in einer Weise positionieren lassen,<br />
dass die Schwächen der Gegner ausnutzt und eigene Stärken herausgestellt werden<br />
können.<br />
Eine Partei, die sich bei ihrer Wahlkampfplanung maximal an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiert,<br />
müsste sowohl die Auswahl ihres Spitzenkandidaten als auch die Festlegung der<br />
Themen und Positionen auf der Erwartungshaltung ihrer anvisierten Wählerschaft aufbauen,<br />
über die sie sich vorher im Rahmen von Marktforschung informiert hat. Davon ist in<br />
der Realität kaum auszugehen. Eher scheint es im Rahmen <strong>des</strong> Möglichen, dass eine Partei<br />
ausgehend von den ihr zugeschriebenen Stärken und Schwächen abwägt, welche Themen<br />
und Sachfragen in welcher Stärke zu betonen sind.<br />
Eine weitere Bezeichnung, die in Bezug auf das Angebot einer Partei in der Literatur diskutiert<br />
worden ist, ist, in Verbindung mit dem Namen der Partei, der Markenbegriff (vgl.<br />
bspw. Schneider 2004 a und b oder Lock/Harris 1996). In der Verwendung <strong>des</strong> Produktbegriffs<br />
für das Angebot politischer Parteien vor einer Wahl ist außerdem auch eine gewisse<br />
Provokation gesehen worden (vgl. bspw. Marland 2003, Behrent 2000). Wangen<br />
(1983: 142ff) umgeht diese Zuspitzung, indem er nicht von Produktpolitik, sondern von<br />
Leistungspolitik spricht. Er betont (1983: 213) vor allem den indirekten Charakter <strong>des</strong><br />
Einflusses auf das Regierungsprodukt durch eine Partei:<br />
„Wenn eine Partei politische Interessenvertretung betreibt und es ihr gelingt, sie über die<br />
Gesetzgebung durchzusetzen, übernimmt anschließend die staatliche Bürokratie die Aufgabe,<br />
die sich aus diesen Beschlüssen ergebenden Leistungen zu distribuieren und den Betroffenen<br />
die Partizipation daran zu ermöglichen. Damit gelangt ein Hauptprodukt der Parteien<br />
lediglich auf indirektem Wege zu seinen Abnehmern, und die Distribution unterliegt<br />
nur noch beschränkt dem Einflussbereich der Parteien.“<br />
Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit kann somit festgehalten werden, dass das Produkt<br />
einer Partei sowohl Image und Programmatik umfasst und unmittelbar auch von dem Pro-
27<br />
fil <strong>des</strong> Spitzenkandidaten geprägt wird. Als weitere Einflussgrößen spielen in diesem Zusammenhang<br />
sowohl bisherige Positionen, Vorstellungen der Mitglieder und ideologische<br />
Aspekte wie auch Erkenntnisse über das Image der eigenen Partei sowie ihrer Konkurrenten<br />
aus der Marktforschung eine Rolle.<br />
2.2.2 Kommunikationspolitik<br />
Während im Rahmen der Produktpolitik die Frage, was angeboten werden soll, im Vordergrund<br />
der Betrachtungen gestanden hat, geht es bei der Kommunikationspolitik vor<br />
allem um die Vermittlung dieses Angebotes. <strong>Marketing</strong>orientierte Kommunikationspolitik<br />
erstreckt sich dabei mit Wangen (1983: 224ff) auf die Entwicklung und Gestaltung von<br />
Werbemitteln und Slogans, über die Verkaufsförderung, die zum Beispiel über die Berichterstattung<br />
in Massenmedien stattfindet, und schließlich auch auf die Planung der direkten<br />
Kommunikation mit dem Wähler. Sie umfasst außerdem auch den internen Dialog<br />
zwischen Parteigremien, Wahlkampfverantwortlichen und Kandidaten und regelt den Austausch<br />
mit externen Partnern, wie Agenturen und Beratern. 13 Farrell und Wortmann (1987:<br />
302f) unterscheiden in diesem Zusammenhang indirekte und direkte kommunikationspolitische<br />
Maßnahmen. Als indirekte Kommunikationspolitik bezeichnen sie die Bildung von<br />
Segmenten, die im Rahmen dieser Arbeit als strategischer Aspekt in Kapitel 2.1.2 erörtert<br />
worden ist, und als direkte Kommunikationspolitik benennen sie die konkrete Gestaltung<br />
von Werbeträgern. 14 Mauser (1989: 24) benennt in diesem Zusammenhang drei Ebenen,<br />
auf denen eine Partei die Beeinflussung ihrer anvisierten Wählerschaft anstreben kann:<br />
1. Beeinflussung <strong>des</strong> Kenntnisstan<strong>des</strong> und der Sichtweise zu bestimmten Themen<br />
2. Beeinflussung der Wahrnehmungsintensität bestimmter Themen<br />
3. Beeinflussung der Salienz, die einer bestimmten Sachfrage beigemessen wird,<br />
wenn es um die Beurteilung politischer Alternativen geht.<br />
Hinsichtlich der im Wahlkampf relevanten Sachfragen empfiehlt Althaus (2002: 125) im<br />
Rahmen der Kommunikationspolitik die Einschätzung der eigenen Potentiale aus der Sicht<br />
einer Partei im Vergleich mit ihren politischen Gegnern anhand von vier Kategorien (vgl.<br />
Abb. 7): Als Hochkonfliktthemen bezeichnet er dabei Themen, die sowohl von der eigenen<br />
Partei als auch von politischen Gegnern „stark“ besetzt sind. Gewinnerthemen nennt<br />
er Themen, in denen aus Sicht der planenden Partei ein Bonus gegenüber den politischen<br />
Gegnern besteht. Als Positionsthemen bezeichnet er Sachfragen, die von gegnerischen<br />
Parteien dominiert werden, und unter der Kategorie „Niemandsland“ fasst er schließlich<br />
solche Themen, die weder von der eigenen, noch von der gegnerischen Seite dominiert<br />
werden. Für eine Partei resultiere aus dieser Analyse das Bestreben, vor allem solche<br />
Themen in der Medienagenda und im Rahmen der eigenen Kampagne zu kommunizieren,<br />
über die die Partei in der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen wird.<br />
13 Die Erörterung der Kommunikationspolitik im Rahmen dieser Arbeit hat nicht das Ziel, die kommunikationsspezifischen<br />
Bestandteile einer Kampagne vollständig zu erfassen, vielmehr sollen die spezifischen Besonderheiten<br />
aufgezeigt werden, die das <strong>Marketing</strong>konzept in diesem Bereich vorsieht.<br />
14 Vgl. dazu auch Niffenegger 1989: 49.
28<br />
Insbesondere für kleine Parteien bietet es sich in diesem Zusammenhang außerdem an, die<br />
Frage nach Alleinstellungsmerkmalen zu stellen. In der <strong>Marketing</strong>theorie ist damit eine<br />
Produkteigenschaft gemeint, die nicht ohne weiteres von anderen Anbietern übernommen<br />
oder kopiert werden kann. Bezogen auf eine Partei können in diesem Zusammenhang sowohl<br />
bestimmte Positionen als auch bekannte Persönlichkeiten in Betracht kommen. Es<br />
liegt auf der Hand, dass eine Partei, die ein Alleinstellungsmerkmal erkannt hat, sich nach<br />
Kräften bemühen wird, im Rahmen der Kampagne darauf aufmerksam zu machen, um<br />
eine Verknüpfung ihres Alleinstellungsmerkmals mit der Wahlentscheidung zu erreichen.<br />
Abb. 7: Modell für die Einschätzung der in einem<br />
Wahlkampf relevanten Themen aus der Sicht einer<br />
Partei im Vergleich zu ihren politischen Gegnern.<br />
Quelle: Althaus 2002: 125.<br />
Neben der Frage nach möglichen Alleinstellungsmerkmalen<br />
sollte sich die Parteiführung<br />
bei der Planung ihrer Wahlkampagne<br />
unter <strong>Marketing</strong>-Gesichtspunkten ferner<br />
auch darüber klar werden, inwieweit sie politische<br />
Gegner mit Negative-Campaign-ing-<br />
Maßnahmen attackieren will, oder ob bereits<br />
vor der Wahl Koalitionswünsche ge-äußert<br />
oder abgelehnt werden sollen. Mit Niffenegger (1989: 49) kann darüber hinaus insgesamt<br />
festgestellt werden, dass im Rahmen der Kommunikationspolitik für eine Kampagne ein<br />
zentraler Fokus auf der Kommunikation mit dem Wähler über Medien, speziell über das<br />
Fernsehen liegen wird. In diesem Zusammenhang werden in der Politikwissenschaft Free<br />
Media und Paid Media unterschieden. 15 Free Media bezeichnet dabei die redaktionelle<br />
Berichterstattung der Medien selbst, Paid Media umfasst die von den Parteien käuflich<br />
erworbenen Werbeflächen oder Sendezeiten. Während die Inhalte von Spots oder Anzeigen<br />
für den bezahlten Medienbereich genau geplant werden können, ist die redaktionelle<br />
Berichterstattung von größerer Unsicherheit für die Parteien geprägt. Parteien versuchen<br />
dieser Situation mit gezielter Medienarbeit zu begegnen, die die Beeinflussung der Medienagenda<br />
zu Gunsten eigener Schwerpunkte zum Ziel hat. Die dabei angestrebten Effekte<br />
werden in der Literatur als Agenda-Setting und Priming bezeichnet. 16 Die direkte<br />
Kommunikation mit dem Wähler bietet aus Sicht der Partei eine stärkere Planungssicherheit,<br />
ihr ist andererseits allerdings allein schon durch die Begrenztheit <strong>des</strong> Kampagnenbudgets<br />
eine klare Grenze gesetzt.<br />
15 Vgl. dazu auch Kapitel 2.2.3 Distributionspolitik.<br />
16 Beim Priming geht es darum, dass Parteien sich bemühen, die öffentliche Wahrnehmung zu bestimmten<br />
Sachverhalten dahingehend zu beeinflussen, dass Themen, die sie selbst „günstig besetzt“ haben, eine besonders<br />
hohe Beachtung erfahren. Agenda-Setting ist in diesem Zusammenhang maßgeblich, weil davon<br />
auszugehen ist, dass Themen, die intensiv von den Medien rezipiert werden, in der Öffentlichkeit stärker<br />
wahrgenommen werden, als Sachverhalte, über die nicht oder wenig berichtet wird. Eine ausführliche Erörterung<br />
über die Kommunikation von Parteien mit und über Massenmedien findet sich beispielsweise bei<br />
Brettschneider 2002.
29<br />
Insgesamt kann für die Kommunikationspolitik im Rahmen der Planungsphase einer<br />
Wahlkampagne, die sich an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiert, festgehalten werden, dass eine<br />
Vielzahl unterschiedlichster Faktoren auf die konkrete Gestaltung von Slogans und Werbemitteln<br />
Einfluss nehmen kann. Neben den Implikationen, die sich aus den strategischen<br />
Überlegungen ergeben, bietet sich ein fortwährender Abgleich der öffentlich wahrgenommenen<br />
Themenagenda mit dem eigenen Kommunikationsportfolio an. Denn während die<br />
Erstellung von Plakaten oder TV-Spots, als Träger der Kommunikation, eine gewisse Vorlaufzeit<br />
erfordern, bieten Äußerungen von Politikern in Medien oder parteieigene Internetseiten<br />
die Möglichkeit, schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Diese Vorgehensweise<br />
ist als Rapid Response bezeichnet worden (vgl. bspw. Robbers 2001). Die<br />
Kommunikationspolitik im Rahmen einer Wahlkampagne kann insofern auch nicht als<br />
einmalig stattfindender, linearer Planungsablauf verstanden werden. Vielmehr ist Kommunikationspolitik<br />
im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung als dynamischer Prozess zu<br />
sehen, der zum einen Impulse für die Kampagnengestaltung gibt, den Verlauf der Kampagne<br />
aber auch begleitet, neue Informationen und Entwicklungen einbezieht und auf dieser<br />
Basis die Kampagnenkommunikation immer wieder modifiziert und optimiert.<br />
2.2.3 Distributionspolitik<br />
In der allgemeinen <strong>Marketing</strong>theorie zielt die Distributionspolitik auf die Sicherstellung<br />
einer adäquaten Verfügbarkeit <strong>des</strong> Angebotes für den Letztabnehmer ab (vgl. Bodenstein<br />
1998: 190). Adäquate Verfügbarkeit, bezogen auf das Angebot einer Partei vor einer<br />
Wahl, ist in der Literatur vor allem auf den Transport der Angebotsinformationen zum<br />
Wähler bezogen worden. Wangen (1983: 212ff) unterscheidet in diesem Zusammenhang<br />
direkte und indirekte Distribution, also die Kommunikation mit dem Wähler über direkte<br />
und indirekte Kommunikationskanäle. Direkte Kommunikation mit dem Wähler finde vor<br />
allem über die Mitglieder und Aktivisten der Parteien vor Ort statt, zum Beispiel an Informationsständen<br />
oder bei Hausbesuchen. Als indirekte Kommunikation bezeichnet<br />
Wangen (1983: 212ff) Informationsflüsse, die über redaktionelle Medienberichterstattung<br />
in Fernsehen, Radio oder Zeitungen den Wähler erreichen. 17 Im Vergleich zu einem Wirtschaftsunternehmen<br />
muss für die Distributionspolitik einer Partei diesbezüglich ein wesentlicher<br />
Unterschied festgestellt werden: Das Angebot einer Partei wird, abgesehen von<br />
bezahlter Werbung, deutlich stärker in der allgemeinen Medienberichterstattung reflektiert.<br />
Für das Instrument der Distributionspolitik kann somit festgehalten werden, dass im Rahmen<br />
einer Wahlkampagne unter <strong>Marketing</strong>gesichtspunkten nicht nur die Beschaffenheit<br />
<strong>des</strong> Angebotes von Bedeutung ist, sondern auch die Frage, wie es „vertrieben“ wird. <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
folgend, dürfte eine Partei diesen Prozess nicht dem Zufall überlassen.<br />
Zum einen ist in diesem Zusammenhang eine aktive Medienarbeit zu nennen, die Kandidaten<br />
und Mitglieder <strong>des</strong> Führungsstabes mit relevanten Informationen und Argumentati-<br />
17 Vgl. dazu bspw. Klingemann/Voltmer 1998: 397ff und speziell zur direkten Kommunikation zwischen<br />
Parteien und Wählern auch Römmele 2000: 507ff.
30<br />
onshilfen versorgt, Auftritte organisiert und Termine koordiniert. Zum anderen gilt es,<br />
über den Kauf von Werbeflächen und Sendezeiten zu entscheiden und die entsprechenden<br />
Inhalte in Abstimmung mit kommunikationspolitischen Anforderungen festzulegen und<br />
umzusetzen. Das dritte zentrale Standbein der Distributionspolitik ist schließlich in der<br />
Betreuung der strukturell untergeordneten Ebenen zu sehen. In diesem Zusammenhang<br />
gilt es aus Sicht der Parteiführung, Erwartungen abzufragen und daran anknüpfend individuelle<br />
Unterstützung zu liefern. Das kann in einem Fall eine Argumentationshilfe hinsichtlich<br />
einer Sachfrage sein und im nächsten Fall die Bereitstellung eines Infotisches oder<br />
einer Layoutvorlage.<br />
Distributionspolitik unter <strong>Marketing</strong>gesichtspunkten auf eine Wahlkampagne bezogen,<br />
heißt somit vor allem, Kampagnenaktivitäten zu koordinieren, Ressourcen wirtschaftlich<br />
sinnvoll auf Kanäle zu verteilen und interne Informationsflüsse im Sinne der Kampagnenstrategien<br />
zu fördern, und sowie zuletzt auch eine Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges aller ergriffenen<br />
Maßnahmen durchzuführen, um daraus einen Erkenntnisgewinn für kommende Wahlkämpfe<br />
abzuleiten.<br />
2.2.4 Preispolitik<br />
In der allgemeinen <strong>Marketing</strong>literatur ist unter dem Begriff der Preispolitik die Summe<br />
aller unternehmerischen Maßnahmen subsumiert worden, die die Gestaltung der Gegenleistungen<br />
für ein bestimmtes Angebot regeln (vgl. bspw. Bodenstein 1998: 173). Dieser<br />
Prozess ist auf dem kommerziellen Markt in der Regel durch eine hohe Autonomie <strong>des</strong><br />
Anbieters gekennzeichnet. Nun stellt sich die Frage: Wie lässt sich der Preisbegriff auf die<br />
Austauschbeziehung von Parteien und Wähler beziehen? Egan (1999) argumentiert in diesem<br />
Zusammenhang, dass die logische Kehrseite einer Leistung immer eine Art von Preis<br />
sein müsse:<br />
„What ever benefit is perceived best by the voter (presumably lower taxes or higher services)<br />
will always (<strong>des</strong>pite valiant attempts to camouflage them) be accompanied by a<br />
price to pay (lower services or higher taxes).”<br />
In der Literatur findet sich neben der Vermutung, die Stimme <strong>des</strong> Wählers entspräche dem<br />
Preis (vgl. bspw. Kotler 1978: 365) ein Argumentationsstrang, in dem Preispolitik in erster<br />
Linie als die Summe aller Faktoren definiert wird, die dem Wähler „zugemutet“ werden,<br />
wenn er sich zur Wahl einer bestimmten Partei entschließt (vgl. bspw. Wring 2002: 179).<br />
Niffenegger (1989: 48) unterscheidet in diesem Zusammenhang unter anderem zwei zentrale<br />
Kostenarten, die aus Sicht <strong>des</strong> Wählers entstehen könnten:<br />
• Ökonomische Kosten: Durch die Erhöhung von Steuern oder anderen gesetzlich<br />
geregelten Abgaben hat der Wähler faktisch weniger Geld zur Verfügung.<br />
• Psychologische Kosten: Hier steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit sich der<br />
Wähler mit der Person <strong>des</strong> Kandidaten und der Programmatik der Partei „wohl
31<br />
fühlen“ kann, beispielsweise was ideologische, religiöse oder ethnische Aspekte<br />
betrifft.<br />
Wangen (1983: 188ff) verwendet anstelle der Preispolitik den umfassenderen Begriff der<br />
Gegenleistungspolitik. Dieser schaffe im Gegensatz zum Begriff der Preispolitik die Möglichkeit,<br />
nicht nur monetäre Gegenleistungen zu fokussieren. Als monetäre Gegenleistung<br />
bezieht Wangen bereits die Abschöpfung der staatlichen Parteienfinanzierung sowie die<br />
Akquisition von Mitglieder- und Spendenbeiträgen mit ein. Als nicht-monetäre Gegenleistungen<br />
benennt er sowohl die Stimmabgabe durch den Wähler wie auch das Engagement<br />
im Rahmen einer Mitgliedschaft. Während die Parteienfinanzierung eher durch langfristige<br />
Maßnahmen zu sichern sei, fielen vor allem die Akquisition von Spendenbeiträgen,<br />
Mitgliederengagement und Wählerstimmen in den Zielbereich einer Kampagne.<br />
Mit Blick auf die Literatur über den Einsatz von <strong>Marketing</strong>instrumenten in Parteien kann<br />
festgestellt werden, dass die Preispolitik bisher eher wenig im Fokus genauerer Betrachtungen<br />
gestanden hat. Im Rahmen dieser Arbeit, wo die <strong>Marketing</strong>-Instrumente vor allem<br />
hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Planung einer Wahlkampagne betrachtet werden sollen,<br />
wäre sicherlich vor allem die Definition der Preispolitik nach Niffenegger (1989) von<br />
Bedeutung, die die Opportunitätskosten aufseiten <strong>des</strong> Wählers in Betracht nimmt und die<br />
Frage stellt, was es für den Wähler heißt, wenn er zur Wahl geht und sich für eine bestimmte<br />
Partei entscheidet.
32<br />
Teil II: Die <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong>prämissen in nordrheinwestfälischen Parteien<br />
bei der Planung ihrer Kampagnen zur Landtagswahl 2005<br />
In Teil I der vorliegenden Arbeit ist die Spur eines Phänomens verfolgt worden. Das Phänomen<br />
heißt <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> und ist in der internationalen Literatur bereits Gegenstand<br />
intensiver Erörterung und Diskussion gewesen. Im Rahmen dieser Arbeit steht ein<br />
zentraler Teilaspekt dieses Phänomens im Fokus der Betrachtung: Handeln politische Parteien<br />
bei der Planung ihrer Wahlkampagnen nach <strong>Marketing</strong>prämissen? Und: Kann man<br />
diesbezüglich von einer <strong>Marketing</strong>orientierung sprechen? Möglich wäre das, denn schließlich<br />
stehen Parteien, ähnlich wie Wirtschaftsunternehmen auf dem kommerziellen Markt,<br />
am Wahltag einer Situation gegenüber, die man Nachfrageunterdeckung nennt. Es kandidieren<br />
nämlich in der Regel mehr Parteien, als der Wähler Stimmen hat, so dass er eine<br />
Auswahl treffen muss. Eine Partei könnte daraus folgernd <strong>Marketing</strong>prämissen anwenden,<br />
um zu einem günstigeren Wahlergebnis zu gelangen. Das würde bedeuten - so soll es im<br />
Rahmen dieser Arbeit angenommen werden - dass die Kampagnenverantwortlichen der<br />
Partei die Erwartungshaltungen potentiell erreichbarer Wähler zugrunde legen und auf<br />
dieser Basis ihr Angebot entwickeln und vermarkten. Eine wesentliche Voraussetzung<br />
wäre dabei das Einhergehen <strong>des</strong> Planungsprozesses mit intensiven Recherchemaßnahmen,<br />
damit in Erfahrung gebracht werden kann, welche Erwartungen überhaupt vorliegen.<br />
Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diesen Aspekt an vier konkreten<br />
Wahlkampagnen - den Kampagnen zur NRW-Landtagswahl 2005 der im nordrheinwestfälischen<br />
Landtag vertretenen Parteien - zu überprüfen. In Kapitel 3 wird dazu zunächst die<br />
parteienspezifische Situation in NRW vor der Landtagswahl aufgegriffen. In Kapitel 4<br />
werden die Hypothesen formuliert, die im Einzelnen überprüft werden sollen. In Kapitel 5<br />
soll dann die Vorgehensweise vorgestellt werden, anhand der diese Überprüfung erfolgen<br />
soll. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse präsentiert und verglichen, so dass in Kapitel 7<br />
schließlich die Bewertung und Diskussion der Ergebnisse im Kontext <strong>des</strong> Forschungsstan<strong>des</strong><br />
erfolgen kann.<br />
3. NRW vor der Landtagswahl 2005: Vier politisch relevante Parteien<br />
In der bisherigen theoretischen Erläuterung ist idealtypisch von einer Partei ausgegangen<br />
worden, die eine Wahlkampagne plant. In der folgenden Untersuchung soll es allerdings<br />
um einen Vergleich der Kampagnenplanung in vier Parteien gehen. Diese vier Parteien<br />
unterscheiden sich zunächst offensichtlich zum einen in ihrer Größe, gemessen sowohl an<br />
der Mitgliederstärke als auch in Anbetracht vergangener Wahlergebnisse. Diesbezüglich<br />
werden Bündnis 90/Die Grünen NRW und die FDP NRW im Allgemeinen als „kleine<br />
Parteien“, und SPD NRW und CDU NRW als „große Parteien“ bezeichnet. Des Weiteren<br />
ist eine Unterscheidung der Parteien hinsichtlich der Regierungsbeteiligung in der Vorwahlperiode<br />
möglich, so dass sich für die hier zu vergleichenden Parteien insgesamt das in<br />
Abbildung 8 dargestellte Bild ergibt.
33<br />
Mit Harrop (1990: 279) darf daraus folgernd vermutet werden, dass die Parteien mit recht<br />
unterschiedlichen Strategien in die Planung ihrer Wahlkampagnen eingestiegen sind. So<br />
werden die „kleinen Parteien“, die nicht erwarten konnten, die Wahl zu gewinnen und den<br />
Ministerpräsidenten zu stellen, eine andere strategische Ausrichtung verfolgt haben als die<br />
beiden großen Parteien, deren Spitzenkandidaten um das Amt <strong>des</strong> Ministerpräsidenten<br />
gekämpft haben. Weil davon auszugehen ist, dass die <strong>Marketing</strong>relevanz bei der Kampagnenplanung<br />
vor der Landtagswahl 2005 nicht losgelöst von den strukturellen und politischen<br />
Hintergründen beurteilt werden kann, gilt es im Folgenden, spezifische Charakteristika<br />
der zu betrachtenden Partei-Lan<strong>des</strong>verbände von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen<br />
und FDP darzulegen.<br />
Abb. 8: Matrix zur Ausgangssituation der hier<br />
zu betrachtenden Partei-Lan<strong>des</strong>verbände vor<br />
der Landtagswahl 2005 mit den Dimensionen<br />
Regierungsbeteiligung und Parteigröße. Quelle:<br />
Eigene Darstellung.<br />
Hinsichtlich der historischen Entwicklung<br />
ist in diesem Zusammenhang zunächst<br />
die regionale Spaltung in den<br />
großen Parteien als auffällig zu benennen.<br />
So blieben SPD und CDU noch<br />
lange nach der Bildung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong><br />
Nordrhein-Westfalen im Jahr 1946<br />
in getrennte regionale Verbände aufgeteilt. Der SPD-Lan<strong>des</strong>verband NRW wurde erst<br />
1970 gegründet, die vier Bezirke Mittelrhein, Niederrhein, Westliches Westfalen und<br />
Ostwestfalen-Lippe aber erst 2001 offiziell aufgelöst. 18 Die beiden Regionalverbände der<br />
CDU, Rheinland und Westfalen, haben sich 1986 zu einem gemeinsamen Lan<strong>des</strong>verband<br />
zusammengeschlossen (vgl. CDU NRW 2005). Obwohl beide Parteien die Wahlkampagnen<br />
im Rahmen ihrer Lan<strong>des</strong>verbände koordiniert haben, wird den regionalen Parteistrukturen<br />
nach wie vor ein großer, nicht grundsätzlich einheitlicher Einfluss nachgesagt,<br />
so dass den Lan<strong>des</strong>verbänden das Gerücht der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit anhaftet.<br />
Vor der Landtagswahl 2005 ist Nordrhein-Westfalen 39 Jahre lang von der SPD NRW<br />
regiert worden, zunächst in einer Koalition mit der FDP NRW, dann allein mit der absoluten<br />
Mehrheit (vgl. Woyke 1990: 12) und schließlich, seit 1995, in einer Koalition mit<br />
Bündnis 90/Die Grünen NRW, worin zunächst auch ein Pilotprojekt für eine Rot-Grüne<br />
Koalition auf der Bun<strong>des</strong>ebene gesehen wurde, zu der es schließlich 1998 kam. In der Rot-<br />
Grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen waren während der vergangenen zwei Legislaturperioden<br />
zwei Ministerien, und zwar das Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerium<br />
mit Bärbel Höhn und das Ministerium für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport<br />
18 Eine Übersicht über die geschichtlichen Daten der SPD NRW findet sich im Internet auf den Seiten der<br />
SPD NRW (vgl. SPD NRW 2005).
34<br />
mit Michael Vesper, mit Grünen-Politikern besetzt. Beide, Höhn und Vesper, traten im<br />
Rahmen der hier zu betrachtenden Kampagne ihrer Partei im Vorfeld der Landtagswahl<br />
2005 erneut, wie bereits zuvor auch bei der Landtagswahl 2000, als Spitzenkandidaten an.<br />
Aufseiten der SPD NRW hatte es in personeller Hinsicht in den letzten sieben Jahren<br />
zweimal einen Wechsel im Amt <strong>des</strong> Ministerpräsidenten gegeben, zunächst 1998, als<br />
Wolfgang Clement den „Lan<strong>des</strong>vater“ Johannes Rau ablöste, und 2002, als Peer<br />
Steinbrück das Amt von Clement übernahm, der als Bun<strong>des</strong>minister für Wirtschaft und<br />
Arbeit nach Berlin wechselte. Aufgrund dieser Situation wurde Peer Steinbrück Ministerpräsident,<br />
ohne vorher bei einer Wahl für dieses Amt kandidiert zu haben. Bei der Landtagswahl<br />
2005 trat er somit erstmalig als Spitzenkandidat seiner Partei an.<br />
Als vorteilhaft aus Sicht der Regierungsparteien muss grundsätzlich von einem gewissen<br />
Amtsbonus und der damit einhergehenden verstärkten Präsenz in der Medienberichterstattung<br />
und somit auch von einem höheren Bekanntheitsgrad der Spitzenkandidaten ausgegangen<br />
werden. Bei der Planung der Wahlkampagnen darf allerdings im Gegenzug vermutet<br />
werden, dass den Oppositionsparteien eine größere inhaltliche Freiheit zugekommen<br />
ist, denn während Regierungsparteien in erster Linie an ihrer bisherigen Regierungsleistung<br />
gemessen werden, können Oppositionsparteien ihre Forderungen freier formulieren.<br />
Auf der Seite der Oppositionsparteien kann zunächst für den Herausforderer CDU NRW<br />
festgestellt werden, dass nicht nur bezüglich der langen Regierungsabstinenz im Land,<br />
sondern auch aufgrund der bun<strong>des</strong>politischen Konstellation - eine Rot-Grüne Bun<strong>des</strong>regierung<br />
bei einer Mehrheit der konservativen Parteien im Bun<strong>des</strong>rat, und einer nach<br />
Hartz IV und Agenda 2010 mäßigen bis pessimistischen Grundstimmung im regierungstreuen<br />
Lager - insgesamt eine wahlkampfstrategisch günstige Situation vorgelegen hat.<br />
Als Spitzenkandidat kandidierte wie bereits im Jahr 2000 der Lan<strong>des</strong>vorsitzende und ehemalige<br />
Bun<strong>des</strong>minister für Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie, Jürgen<br />
Rüttgers.<br />
Mit einer komplett neuen Mannschaft trat in<strong>des</strong> die FDP NRW an. Nach dem Skandal um<br />
den ehemaligen Lan<strong>des</strong>vorsitzenden Jürgen W. Möllemann, der mit der Finanzierung eines<br />
antisemitisch anmutenden Flugblattes im Vorfeld der Bun<strong>des</strong>tagswahl 2002 begann<br />
und schließlich mit dem Freitod Möllemanns im Juni 2003 ein tragisches Ende fand, rückte<br />
Andreas Pinkwart als Lan<strong>des</strong>vorsitzender an die Spitze der FDP NRW. Das Amt <strong>des</strong><br />
Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion übernahm Ingo Wolf, der im Rahmen der FDP-<br />
Kampagne vor der Landtagswahl 2005 schließlich auch als Spitzenkandidat angetreten ist.<br />
Der nordrheinwestfälische Landtag wird seit 1969 auf fünf Jahre gewählt. Wie auch bei<br />
Wahlen auf der Bun<strong>des</strong>ebene üblich, werden seine Abgeordneten in allgemeiner, gleicher,<br />
unmittelbarer, geheimer und freier Wahl nach dem Einstimmenwahlrecht gewählt. Die<br />
abgegebene Stimme zählt dabei sowohl für den Direktkandidaten als auch für die Lan<strong>des</strong>liste.<br />
Weil Lan<strong>des</strong>parlamente generell in vielen zentralen Fragen von Entscheidungen abhängig<br />
sind, die in Berlin oder Brüssel getroffen werden, und weil die Medienaufmerk-
35<br />
samkeit vor Landtagswahlen allgemein geringer ausfällt, stehen die Lan<strong>des</strong>parteien in<br />
Landtagswahlkämpfen im Vergleich zu Bun<strong>des</strong>tagswahlkämpfen insgesamt einer weniger<br />
interessierten Öffentlichkeit (vgl. Marcinkowski/Nieland 2002: 85) und der Erwartung<br />
einer niedrigeren Wahlbeteiligung gegenüber (vgl. <strong>Korte</strong> 2003: 77ff).<br />
Insgesamt kann somit bilanziert werden, dass alle hier zu betrachtenden Parteien mit einem,<br />
Bündnis 90/Die Grünen sogar mit zwei, Spitzenkandidaten in den Wahlkampf gestartet<br />
sind, obschon realistischer Weise weder Ingo Wolf von der FDP noch die Spitzenkandidaten<br />
der Grünen, Michael Vesper und Bärbel Höhn, ein ernsthafte Chance hatten,<br />
das Amt <strong>des</strong> Ministerpräsidenten zu erreichen.<br />
Abb. 9: Wahlergebnisse der vier hier zu betrachtenden<br />
Parteien bei der Landtagswahl in NRW<br />
2005. Quelle: Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen<br />
2005, modifizierte Darstellung.<br />
Im Ergebnis ging die CDU NRW bei der<br />
Landtagswahl 2005 als klarer Wahlsieger<br />
hervor (vgl. Abb. 9) und stellt in der beginnenden<br />
Legislaturperiode den Ministerpräsidenten,<br />
und, in einer Koalition mit<br />
der FDP NRW, die Lan<strong>des</strong>regierung. Die<br />
SPD NRW ist seither das erste Mal seit<br />
1966, Bündnis 90/Die Grünen NRW das erste Mal seit 1995 nicht mehr an der Lan<strong>des</strong>regierung<br />
beteiligt. 19<br />
4. Hypothesen für die Planung einer Wahlkampagne nach <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Nachdem in Teil 1 dieser Arbeit das Modell <strong>des</strong> <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>, die wissenschaftlichen<br />
Kontroversen in diesem Kontext und schließlich die Möglichkeiten, die sich für die<br />
Vorbereitung einer Wahlkampagne in einer Partei auf der Basis <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
ergeben können, dargelegt worden sind, soll in diesem Kapitel die These der <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
von Parteien verfolgt werden. Bezogen auf die Entwicklung von Wahlkampagnen<br />
sollen Hypothesen benannt werden, die im weiteren Verlauf der Arbeit auf ihre<br />
tatsächliche <strong>Relevanz</strong> bei der Kampagnenplanung überprüft werden sollen.<br />
Dabei soll nicht nur das bloße Vorhandensein von <strong>Marketing</strong>elementen als Beweis für<br />
eine <strong>Marketing</strong>orientierung gelten. Es gilt zu ermitteln, inwieweit sich die Parteien bei<br />
ihrer Kampagnenplanung tatsächlich an Wählererwartungen orientiert haben. Dazu müssen<br />
die Verantwortlichen der Parteien nicht zwangsläufig über das theoretische Konstrukt<br />
<strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> in allen Einzelheiten informiert sein. Vielmehr sollten die pro-<br />
19 Wahlberechtigt waren 13.239.170 deutsche Staatsbürger, die Wahlbeteiligung lag bei 63 Prozent.
36<br />
zessbezogenen Besonderheiten, die eine <strong>Marketing</strong>orientierung mit sich bringen würde,<br />
erkennbar werden, wenn sich die Parteien bei der Planung ihrer Wahlkampagnen tatsächlich<br />
an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiert hat. Diese Merkmale wurden in Kapitel 2 wie folgt<br />
benannt und in Relation zueinander definiert (vgl. Abb. 4 und Abb. 10): Eine Partei, die<br />
sich an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiert, stellt demnach die Erwartungen der Wähler, die sie<br />
zu erreichen beabsichtigt, in den Mittelpunkt ihrer planerischen Maßnahmen. Die Verantwortlichen<br />
bemühen sich intensiv, relevante Informationen zusammenzutragen, zum Beispiel,<br />
indem sie sich beraten lassen, Studien und Analysen auswerten oder entsprechen<strong>des</strong><br />
Datenmaterial käuflich erwerben. Die Summe aller vorhandenen Informationen bildet die<br />
Grundlage für die Festlegung der Strategien, die der zu entwickelnden Kampagne zugrunde<br />
gelegt werden. Als maßgeblich in diesem Zusammenhang sind im Rahmen dieser Arbeit<br />
strategische Implikationen benannt worden, die sich aus den Prozessen der Segmentierung,<br />
der Positionierung und <strong>des</strong> Targeting ergeben. Aufbauend auf diese Strategien<br />
erfolgt schließlich die Bedienung der <strong>Marketing</strong>instrumente. Dabei gilt es, das Angebot zu<br />
entwickeln, Kommunikationsziele zu formulieren, die Verschiedenartigkeit aller geplanten<br />
Aktivitäten aufeinander abzustimmen und die Ziele der Kampagne im Dialog mit Journalisten,<br />
Multiplikatoren sowie mit den strukturell untergeordneten Parteiebenen zu realisieren.<br />
Im Rahmen eines dynamischen <strong>Marketing</strong>verständnisses ist davon auszugehen, dass<br />
es sich bei dieser Vorgehensweise nicht um eine lineare Abfolge, sondern eher um einen<br />
Kreislauf handelt, in dem aus der Platzierung bestimmter Kampagnenaktivitäten auf dem<br />
Markt wieder neue Informationen resultieren, die wiederum in die strategische Planung<br />
und die instrumentelle Steuerung <strong>des</strong> weiteren Kampagnenverlaufs einfließen (vgl. Abb. 4<br />
und Abb. 10).<br />
In der folgenden Untersuchung soll überprüft werden, inwieweit dieser Ablauf in der Realität<br />
bei der Kampagnenplanung im Vorfeld der Landtagswahl 2005 in den zu betrachtenden<br />
Partei-Lan<strong>des</strong>verbänden stattgefunden hat. Zur Repräsentation <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
sind in diesem Zusammenhang sechs Dimensionen definiert worden, deren genaue<br />
Bedeutungszuweisung in Kapitel 5.1 und den dazugehörigen Unterpunkten weitere Erläuterung<br />
finden wird. Auf ihrer Basis soll später eine Begutachtung der Kampagnenplanungsprozesse<br />
in den Partei-Lan<strong>des</strong>verbänden bezüglich der Frage einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
erfolgen:<br />
1. Kommunikationspolitik<br />
2. Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
3. Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
4. Distributionspolitik<br />
5. Segmentierung und Targeting<br />
6. Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Diese Beurteilungsdimensionen setzen im hier zugrunde gelegten Modell, in dem sie zur<br />
Orientierung in Abbildung 10 mit den gerade genannten Nummern verzeichnet sind, im<br />
Wesentlichen an zwei Stellen an, nämlich bei den <strong>Marketing</strong>strategien und bei den <strong>Marketing</strong>instrumenten.<br />
In allen Dimensionen enthalten; das wird die nähere Erörterung in Kapitel<br />
5.1 verdeutlichen; ist das Element der Informationsbeschaffung und die Frage nach der
37<br />
Orientierung am Wähler, weil im Rahmen dieser Arbeit davon ausgegangen werden soll,<br />
dass von einer <strong>Marketing</strong>orientierung dann gesprochen werden kann, wenn Strategien und<br />
Instrumente im Sinne einer intensiven Wählerorientierung gewählt und bedient worden<br />
sind.<br />
Während in Bezug auf die Dimensionen eins bis fünf vor allem nach einer impliziten<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung gefragt worden ist, soll mit der sechsten Dimension zudem das<br />
bewusste <strong>Marketing</strong>verständnis und die explizite Bedeutungszuweisung zu den hier definierten<br />
Leitgedanken einer <strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt werden. Für eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
ist es zwar nicht zwingend erforderlich, dass es auch ein Bewusstsein für<br />
dieses Konzept gibt. Es wäre allerdings in der Tat bemerkenswert, wenn ein systematischer<br />
<strong>Marketing</strong>ansatz erkennbar werden würde, ohne dass eine begriffliche Verbindung<br />
festgestellt werden kann.<br />
Abb. 10: Verortung der Beurteilungsdimensionen im Modell der idealtypischen Vorgehensweise einer marketingorientierten<br />
Partei bei der Planung einer Wahlkampagne. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
5. Erörterung der methodischen Vorgehensweise<br />
Nachdem formuliert worden ist, was überprüft werden soll, gilt es nun, darzulegen, auf<br />
welche Weise die nötigen Erkenntnisse gewonnen werden sollen, damit eine Burteilung<br />
der <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong>prämissen bei der Planung der Wahlkampagnen vor der Landtagswahl<br />
2005 in NRW erfolgen kann.
38<br />
Im Rahmen dieser Arbeit soll eine vergleichende Fallanalyse erfolgen. Es werden vier<br />
Partei-Lan<strong>des</strong>verbände im Bezug auf den Prozess der Kampagnenplanung hinsichtlich<br />
verschiedener Dimensionen betrachtet. Die Dimensionen, an denen die <strong>Relevanz</strong> von<br />
<strong>Marketing</strong>prämissen „gemessen“ werden sollen, basieren auf dem im vorangegangenen<br />
Kapitel skizzierten Modell (vgl. Abb. 4 und Abb. 10), in dem definiert worden ist, was<br />
passieren müsste, wenn eine Partei nach <strong>Marketing</strong>prämissen agiert. Bei der Auswertung<br />
der Informationen soll schließlich sowohl das gesamte Bild, das sich für die Organisation<br />
jeder Wahlkampagne ergibt, als auch ein Vergleich der Parteien untereinander, hinsichtlich<br />
der einzelnen Dimensionen erfolgen. Ragin (1994: 55ff) verwendet in diesem Kontext<br />
die Bezeichnung der fallweisen Betrachtung (framing by case) und der aspektspezifischen<br />
Betrachtung (framing by aspect).<br />
Zunächst muss grundsätzlich entschieden werden, ob eine quantitative oder eine qualitative<br />
Erhebung erfolgen soll. Weil Wahlkampagnen hochkomplexe Planungsprozesse<br />
zugrunde liegen und im Rahmen dieser Arbeit eine einmalige Betrachtung der Kampagnenorganisation<br />
erfolgen soll, wird eine quantitative Erhebung nicht erwogen. Statt<strong>des</strong>sen<br />
soll eine qualitative Erhebung angestrebt werden, so dass die Planungsprozesse, die in den<br />
Parteien für die jeweiligen Kampagnen zur Landtagswahl 2005 zugrunde gelegen haben,<br />
rekonstruiert, erfasst und schließlich hinsichtlich <strong>des</strong> im vorangegangenen Kapitel skizzierten<br />
Modells einer <strong>Marketing</strong>orientierung verglichen und beurteilt werden können.<br />
Nun stellt sich die Frage, in welcher Weise die relevanten Informationen erfasst werden<br />
sollen, um die Analyse und den Vergleich anhand der festgelegten Dimensionen zu ermöglichen.<br />
Bei der Entscheidungsfindung in dieser Angelegenheit wurde schnell klar,<br />
dass die benötigten Auskünfte zu spezifisch sind, um sie von außen, zum Beispiel durch<br />
eine Medienanalyse, zusammenzustellen. Die Informationen sollten statt<strong>des</strong>sen in den<br />
Parteien selber, und zwar im Dialog mit den Verantwortlichen für die Kampagnenplanung,<br />
ermittelt werden. Aufgrund der Individualität der Parteien stand der Einsatz eines standardisierten<br />
Fragebogens nicht zur Debatte, so dass letztlich die Wahl auf die Methode <strong>des</strong><br />
leitfadengestützten Experteninterviews gefallen ist. Der Leitfaden soll dabei als Orientierungshilfe<br />
verstanden werden, damit für alle Parteien in etwa dieselben Fragen erörtert<br />
werden können. Gleichzeitig sollte es explizit möglich blieben, an bestimmten Stellen<br />
genauer nachzuhaken oder vom Leitfaden abzuweichen, wenn zu bestimmten Themen im<br />
Kontext vorheriger Fragen bereits Stellung bezogen wurde oder es sich im Sinne einer<br />
positiven Gesprächsdynamik nicht anbietet, an einer kritischen Stelle weiter nachzuhaken<br />
(vgl. Klammer 2005: 230f). Mit Trinczek (2005: 211) ist in der Möglichkeit dieser hohen<br />
Kontextsensitivität, zum einen auf der Seite <strong>des</strong> Befragten, zum anderen auf der Seite der<br />
Interviewerin, insgesamt ein wesentlicher Vorteil qualitativer Interviewverfahren gegenüber<br />
standardisierten Verfahren zu sehen.<br />
Die Vorgehensweise bei der Vorbereitung eines Experteninterviews ist zunächst mit der<br />
Planung anderer leitfadengestützter Gespräche identisch: Der Leitfaden muss ausgearbeitet<br />
werden. Dazu muss zunächst klar sein, welche Fragen mit den erhobenen Informationen<br />
beantwortet werden sollen. Ferner muss für jede Frage einzeln abgewogen werden, ob
39<br />
die Formulierung eindeutig, unmissverständlich und angemessen ist. Roth (1998: 98f)<br />
formuliert die maßgeblichen Anforderungen und Ziele an die Vorbereitung eines Interviews<br />
wie folgt:<br />
„Das Ziel im Interview ist, durch adäquate Verbalisierung <strong>des</strong> abzufragenden Objektbereichs<br />
im Kopf je<strong>des</strong> einzelnen Befragten das gleiche Bild vom Objekt zu erzeugen. [...]<br />
Bevor man zur Verbalisierung eines Problems kommt, muss dieses zunächst auf seinen<br />
wirklichen Kern reduziert werden. [...] Ist das Problem eingeengt, so muss es möglichst<br />
schlicht verbalisiert werden. Das heißt, die Sprache muss einfach und absolut zielorientiert<br />
sein.“<br />
Wie der Leitfaden für die im Rahmen dieser Arbeit zu führenden Gespräche aussieht und<br />
welche Überlegungen den einzelnen Fragen und Frageblöcken zugrunde gelegen haben,<br />
wird in Kapitel 5.2 und den dazu gehörigen Unterpunkten detailliert dargelegt. 20<br />
Ein besonderer Stellenwert, das liegt in der Natur der Sache, kommt bei einem Experteninterview<br />
darüber hinaus vor allem der Definition <strong>des</strong> Expertenbegriffs und der Auswahl<br />
der Gesprächspartner zu. Der Expertenbegriff wird in der Sozialwissenschaft gegenwärtig<br />
kontrovers diskutiert. Die Argumentationen reichen von einer sehr engen Definition (vgl.<br />
etwa Meuser/Nagel 2002 oder Bogner/Menz 2002a, b) bis zu einer sehr weit gefassten<br />
Expertenbeschreibung (vgl. etwa Gläser/Laudel 2004), wo prinzipiell ein jeder als Experte<br />
hinsichtlich einer bestimmten Fragestellung fungieren kann. Im Rahmen dieser Arbeit soll<br />
die spezifische Expertise <strong>des</strong> Gesprächspartners auf einen maßgeblichen Einfluss auf die<br />
Planung und Organisation der Wahlkampagne in der jeweiligen Partei zurückgeführt werden.<br />
Die Kriterien, die für die Expertenauswahl festgelegt worden sind, und das Ergebnis<br />
der Expertenauswahl für die einzelnen Parteien, deren Kampagnen hier betrachtet werden<br />
sollen, werden ausführlich in Kapitel 5.2 und in den dazugehörigen Unterpunkten dargelegt.<br />
Neben der Erstellung <strong>des</strong> Leitfadens und der Auswahl der Gesprächspartner sind die Gesprächsführung,<br />
die Transkriptionserstellung und die Vorgehensweise bei der Auswertung<br />
weitere zentrale Komplexe, die zunächst einer methodischen Auseinandersetzung unterzogen<br />
werden sollen. Eine diesbezügliche Erörterung befindet sich in den Kapiteln 5.3, 5.4<br />
und 5.5 dieser Arbeit.<br />
5.1 Operationalisierung der Hypothesen und Entwicklung <strong>des</strong> Leitfadens<br />
Auf der Grundlage <strong>des</strong> für diese Arbeit definierten Ablaufs einer Kampagnenplanung unter<br />
<strong>Marketing</strong>prämissen soll nun dargelegt werden, welche Informationen im Gespräch mit<br />
20 Der vollständige Leitfaden, der bei den Experteninterviews verwendet worden ist, befindet sich im Anhang<br />
dieser Arbeit.
40<br />
den Experten ermittelt werden sollen. Dieser Schritt wird vor der genauen Definition <strong>des</strong><br />
Expertenbegriffs erwogen, damit vorab festgestellt werden kann, was inhaltlich ermittelt<br />
werden soll, um dann zu ermitteln, wer als Gesprächspartner infrage kommt. Ausgehend<br />
vom hier zugrunde gelegten Modell (vgl. Abb. 4 und Abb. 10) wurden dazu sechs Dimensionen<br />
festgelegt, die im in Abbildung 12 skizzierten Verhältnis zueinander stehen:<br />
1. Kommunikationspolitik<br />
2. Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
3. Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
4. Distributionspolitik<br />
5. Segmentierung und Targeting<br />
6. Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Abb. 11: Übersicht der Beurteilungsdimensionen und Zuordnung zu den Überschriften der Fragenblöcke.<br />
Die Abbildung zeigt die Dimensionen, anhand derer eine Beurteilung der <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
bei der Kampagnengestaltung erfolgen soll und ihre Zuordnung zu den Überschriften der einzelnen Fragenblöcke.<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
In der Gesprächssituation mit den Experten sollen diese Dimensionen je einem Fragenblock<br />
zugeordnet werden, der jeweils mit einer eigenen Überschrift gekennzeichnet ist, die<br />
allerdings nicht der Dimensionsbezeichnung entspricht (vgl. Abb. 11). 21 Diese Vorgehensweise<br />
wird erwogen, weil die Bezeichnung der Dimensionen unter Umständen eine<br />
bestimmte, eventuell negative, Assoziation beim Befragten auslösen könnte. Die Überschriften<br />
der Frageblöcke im Gesprächsleitfaden sind dagegen so gewählt, dass sie zwar<br />
den Inhalt <strong>des</strong> jeweiligen Blocks repräsentieren, dabei aber keine wertende Wirkung beim<br />
Interviewten provozieren. 22<br />
21 Eine Abschrift <strong>des</strong> Gesprächleitfadens, der in den folgenden Unterpunkten detailliert erörtert wird, findet<br />
sich im Anhang dieser Arbeit.<br />
22 Zwar ist es nicht vorgesehen, dass die Gesprächspartner vor oder während <strong>des</strong> Gesprächs den Leitfaden<br />
einsehen, aber einerseits ließe sich das bei einer entsprechenden Nachfrage durch die Befragten kaum ver-
41<br />
Die Dimensionen eins bis fünf befassen sich mit der Möglichkeit einer impliziten Orientierung<br />
an <strong>Marketing</strong>prämissen. Die Fragen, die im Rahmen <strong>des</strong> Gesprächsleitfadens diesen<br />
Dimensionen zugeordnet sind, thematisieren marketingspezifische Aspekte, ohne dass<br />
dieser Zusammenhang für den Befragten offensichtlich wird. Ziel ist es, für jede einzelne<br />
Dimension hinterher abschätzen zu können, ob bei den jeweiligen Parteien eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
vorgelegen hat, unter Umständen auch ohne dass in den Parteien bewusst<br />
mit den Begrifflichkeiten <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes gearbeitet wurde.<br />
Abb. 12: Verortung der Dimensionen in Bezug auf<br />
die zugrunde liegende Leitfrage nach dem Vorliegen<br />
einer <strong>Marketing</strong>orientierung. Quelle: Eigene<br />
Darstellung.<br />
Dimension sechs verhält sich gegenüber<br />
den Dimensionen eins bis fünf in gewisser<br />
Weise spiegelbildlich: Sie thematisiert die<br />
bewusste Bedeutungszuweisung zum <strong>Marketing</strong>konzept<br />
und fragt nach der expliziten<br />
Anwendung. Im Idealfall, so soll es hier<br />
angenommen werden, sollten sich die Beurteilungen<br />
der Dimensionen eins bis fünf<br />
mit der Beurteilung der Dimension sechs<br />
überein bringen lassen, sich also zum Beispiel nicht diametral widersprechen.<br />
Der Leitfaden, <strong>des</strong>sen Aufbau in den folgenden Unterpunkten anhand <strong>des</strong> in Abbildung 13<br />
dargestellten Schemas erörtert werden soll, ist vorab in einer realen Interviewsituation mit<br />
einem für dieses Vorhaben fachkundigen Gesprächspartner getestet worden. 23<br />
Abb. 13: Muster für die Vorgehensweise bei der Erörterung <strong>des</strong> Gesprächsleitfadens in den folgenden Unterpunkten.<br />
Im Kreis wird dann die jeweilige Dimension stehen, anhand der hinterher die <strong>Relevanz</strong> von<br />
<strong>Marketing</strong>prämissen beurteilt werden soll. Den einzelnen Dimensionen sind Indikatoren zugeordnet, denen<br />
wiederum einzelne Teilfragen unterstellt sind. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
hindern, und andererseits erhalten die Befragten spätestens dann in schriftlicher Form Kenntnis vom Inhalt<br />
<strong>des</strong> Leitfadens, wenn ihnen die Abschrift <strong>des</strong> Interviews zur Autorisierung vorgelegt wird.<br />
23 Vgl. Interview mit Börje Wichert im Anhang dieser Arbeit.
42<br />
5.1.1 Einstieg in das Interview<br />
Zunächst soll in die Gesprächssituation eingeleitet und dem Gesprächspartner der Grund<br />
für die Untersuchung dargelegt werden. Der <strong>Marketing</strong>begriff soll dabei allerdings bewusst<br />
vermieden werden, um der Möglichkeit vorzubeugen, dass es aufseiten <strong>des</strong> Interviewten<br />
zu einer, im Zweifelsfall sogar negativen, Beurteilung <strong>des</strong> gesamten Untersuchungsvorhabens<br />
kommt, was dann unter Umständen auch Einfluss auf sein Antwortverhalten<br />
haben könnte. Der Interviewte soll darüber informiert werden, dass es sich im<br />
Rahmen allgemeiner politischer Grundlagenforschung um eine Untersuchung der Planungsphase<br />
von Wahlkampagnen in Parteien handelt und dass sich die Fragen konkret vor<br />
allem auf die Planungsphase der Kampagne zur Landtagswahl 2005 in seiner Partei beziehen<br />
werden. Der Gesprächspartner soll ferner an dieser Stelle davon in Kenntnis gesetzt<br />
werden, dass er aufgrund der zentralen Position, die er diesbezüglich in seiner Partei innehat,<br />
als Experte für dieses Thema ausgewählt worden ist.<br />
Dem Interviewten soll dann ein Überblick gegeben werden, welche Punkte im folgenden<br />
Gespräch angesprochen werden sollen, um zu vermeiden, dass es zu Zeitengpässen infolge<br />
einer falschen Einschätzung der Menge aller Fragen kommen könnte. Genannt werden<br />
sollen nicht die Dimensionen, an denen die <strong>Marketing</strong>relevanz später gemessen werden<br />
soll, sondern jeweils die Überschriften, die den einzelnen Frageblöcken zugeordnet worden<br />
sind (vgl. Abb. 11): 24<br />
1. Kommunikationsziele der Kampagne<br />
2. Themenauswahl für die Kampagne<br />
3. Die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
4. Interne und externe Kampagnenkommunikation<br />
5. Zielgruppen und ihre Bedeutung im Rahmen der Kampagne<br />
6. Der Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Darüber hinaus sollen etwaige Fragen <strong>des</strong> Interviewten geklärt werden, bevor das Interview<br />
beginnen kann. Der Einstieg in das Gespräch hat insgesamt nur formalen Charakter,<br />
es werden keine Fragen an den Interviewten gestellt, und diesem Block ist auch keine Bewertungsdimension<br />
zugeordnet.<br />
5.1.2 Kommunikationsziele der Kampagne<br />
Nun folgt die inhaltliche Einleitung in das Gespräch, nachdem im Block zuvor lediglich<br />
organisatorische Aspekte angesprochen worden sind. Konzeptionell ist dieser Fragenblock<br />
mit der Beurteilungsdimension „Kommunikationspolitik“ verbunden. Nach einer einleitenden<br />
Frage zu den kommunikativen Zielen der Kampagne soll in diesem Zusammenhang<br />
der Stellenwert professioneller Beratung abgefragt werden. Des Weiteren ist von<br />
Interesse, ob <strong>Marketing</strong>muster bei der Sloganerstellung erkennbar werden.<br />
24 Ein Fragenblock repräsentiert dabei jeweils eine Dimension.
43<br />
Die Dimension der Kommunikationspolitik ist im Vergleich zu den noch folgenden die<br />
am schwersten zu überprüfende Dimension. Nicht, weil davon ausgegangen werden muss,<br />
dass Kommunikationspolitik nicht stattfindet, sondern weil im Gegenteil Kommunikation<br />
selbst in Parteien vermutet werden darf, die <strong>Marketing</strong> radikal ablehnen, galt es, Indikatoren<br />
zu finden, die auf eine marketingorientierte Kommunikationspolitik schließen lassen.<br />
Dabei einen Fokus auf die Frage der Bedeutung von Beraterleistungen und die Vorgehensweise<br />
bei der Slogan-Findung zu setzen, war eine Auswahl, die sich mit Blick auf die<br />
Literatur angeboten hat. Eine Partei, die sich an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiert hat, müsste<br />
massiv darum bemüht gewesen sein, Informationen einzuholen, zum Beispiel, indem sie<br />
sich beraten hat lassen. Ferner würden die Verantwortlichen die Auswahl der im Rahmen<br />
der Kampagne verwendeten Slogans nicht dem Zufall überlassen, sondern zum Beispiel<br />
Formulierungen in einer Fokusgruppe testen. Für die Dimension der Kommunikationspolitik<br />
ergibt sich somit insgesamt folgen<strong>des</strong> Schema (vgl. Abb. 14): 25<br />
Abb. 14: Indikatoren der Dimension „Kommunikationspolitik“. Die Abbildung zeigt Aspekte, die im Block<br />
„Kommunikationsziele der Kampagne“ angesprochen werden sollen. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
5.1.3 Themenauswahl für die Kampagne<br />
In diesem Fragenblock wird Bezug auf die zweite Dimension <strong>des</strong> Beurteilungsschemas<br />
genommen, in der die Produktpolitik mit dem Fokus auf die Partei und die Positionierung<br />
der Partei betrachtet werden sollen. Untersucht werden soll in diesem Zusammenhang,<br />
inwieweit für die in Abbildung 15 dargestellten Elemente im Rahmen der Kampagnenplanung<br />
eine Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen festgestellt werden kann. Nach dem <strong>Marketing</strong>verständnis,<br />
dass hier zugrunde gelegt wird, müsste sich bei einer Orientierung an<br />
<strong>Marketing</strong>prämissen nachweisen lassen, dass im Rahmen der Kampagnenplanung die Erwartungen<br />
der potentiellen Wähler eine zentrale Rolle bei der Festlegung <strong>des</strong> thematischen<br />
Angebotes gespielt haben. Das müsste sich zum Beispiel daran fest machen lassen,<br />
dass man sich intensiv darum bemüht hat zu ermitteln, worin diese Erwartungshaltung<br />
25 Der genaue Wortlaut der einzelnen Fragen, die in diesem Zusammenhang formuliert worden sind, kann<br />
dem Gesprächsleitfaden entnommen werden, der sich im Anhang befindet.
44<br />
besteht, und dabei auch eine intensive Gegnerbeobachtung vorgenommen hat, um auf die<br />
Positionierung der anderen Parteien reagieren zu können. 26<br />
Abb. 15: Indikatoren der Dimension „Produktpolitik mit dem Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung<br />
der Partei“. Die Abbildung zeigt Aspekte, die im Block „Image der Partei und programmatisches Profil“<br />
angesprochen werden sollen. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
In den Antworten der Experten zu diesem Fragenblock sollte erkennbar werden, ob man<br />
sich bei der Planung der Wahlkampagne solche Fragen gestellt hat, ob man diesbezüglich<br />
Informationen gesammelt hat und ob man diesem Wissen einen zentralen Stellenwert bei<br />
der Planung der Wahlkampagne beigemessen hat. Im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
wären diese Faktoren von großer Bedeutung.<br />
5.1.4 Die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
Der nun vorzustellende Fragenblock bezieht sich auf die Bedeutung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
in marketingtheoretischer Hinsicht. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob im Rahmen<br />
der Kampagnenplanung das Profil <strong>des</strong> Kandidaten als wichtiger Faktor für den Erfolg der<br />
Kampagne gesehen wurde und ob man entsprechend dieser Bedeutung Maßnahmen ergriffen<br />
hat. Dieser Block bezieht sich somit auf die Dimension „Produktpolitik mit Fokus auf<br />
den Spitzenkandidaten“. Welche Punkte in diesem Zusammenhang erörtert werden sollen,<br />
ist in Abbildung 16 schematisch dargestellt.<br />
Im Einzelnen ist dabei von Interesse, welche Gründe ausschlaggebend für die Benennung<br />
<strong>des</strong> Spitzenkandidaten gewesen sind und ob es gegebenenfalls einen Gegenkandidaten<br />
gegeben hat, die Parteibasis also eine gewisse Auswahl hatte. Des Weiteren stellt sich die<br />
Frage, inwieweit die Person <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Gegenstand strategischer Überlegungen<br />
im Rahmen der Kampagnenplanung gewesen ist und welche Bedeutung Beraterleistungen<br />
in diesem Zusammenhang hatten. Wenn man sich in den Parteien bei der Auswahl<br />
der Spitzenkandidaten an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiert hat, müssten die Antworten der<br />
Experten zu diesem Kontext erkennen lassen, dass man der Position <strong>des</strong> Spitzenkandida-<br />
26 Der genaue Wortlaut der einzelnen Fragen, für diese, wie auch für die in den folgenden Unterpunkten<br />
erörterten weiteren Dimensionen, kann dem Gesprächsleitfaden entnommen werden, der sich im Anhang<br />
dieser Arbeit befindet.
45<br />
ten eine zentrale Bedeutung beigemessen hat und sich intensiv um Informationen bemüht<br />
hat, die die Wirkung <strong>des</strong> Kandidaten betreffen, um darauf aufbauend das Profil <strong>des</strong> Kandidaten<br />
zu entwickeln und positiv beeinflussen zu können.<br />
Abb. 16: Indikatoren der Dimension „Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten“. Die Abbildung<br />
zeigt Aspekte, die im Block „Image <strong>des</strong> Spitzenkandidaten“ angesprochen werden sollen. Quelle: Eigene<br />
Darstellung.<br />
5.1.5 Interne und externe Kampagnenkommunikation<br />
Dieser Fragenblock ist der Dimension „Distributionspolitik“ zugeordnet. Distributionspolitik<br />
im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung würde bedeuten, dass die jeweilige Partei<br />
nicht planlos Plakate druckt, Flugblätter erstellt und Internetseiten programmiert, sondern<br />
konzeptionell überlegt, wie intensiv die zur Verfügung stehenden Kanäle genutzt und bedient<br />
werden sollen.<br />
Abb. 17: Indikatoren der Dimension „Distributionspolitik“. Die Abbildung zeigt Aspekte, die im Block<br />
„interne und externe Kampagnenkommunikation“ angesprochen werden sollen. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Die Bemühung um einen rational zweckmäßigen Ressourceneinsatz sollten in diesem Zusammenhang<br />
- eine <strong>Marketing</strong>orientierung vorausgesetzt - ebenso erkennbar werden, wie<br />
Maßnahmen zur Erfolgskontrolle und der damit verbundenen Absicht, den Prozess der<br />
Kampagnenplanung und -durchführung für folgende Wahlkämpfe zu optimieren. Als zusätzlicher<br />
Indikator für eine <strong>Marketing</strong>orientierung in diesem Bereich soll überprüft wer-
46<br />
den, inwiefern seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auf regionale Besonderheiten - die es in Nordrhein-Westfalen<br />
zweifelsohne gibt - eingegangen worden ist und ob es daraus resultierend<br />
individuelle Handlungsempfehlungen für bestimmte Kreis- und Ortsverbände gegeben hat.<br />
Insgesamt ergibt sich damit für den Bereich der Distributionspolitik strukturell das in Abbildung<br />
17 dargestellte Schema.<br />
Bei einer <strong>Marketing</strong>orientierung in diesem Bereich sollte, neben einer planvoll-rationalen<br />
Gesamtherangehensweise, in den Antworten der Interviewten insgesamt erkennbar werden,<br />
dass der Lan<strong>des</strong>verband eine gewisse Servicefunktion gegenüber den Aktivisten vor<br />
Ort eingenommen hat.<br />
5.1.6 Zielgruppen und ihre Bedeutung im Rahmen der Kampagne<br />
Im Rahmen dieses Fragenblocks soll nun die Bedeutung von Segmentierung und Targeting<br />
im Vordergrund stehen. Die erste Frage lautet in diesem Zusammenhang: Hat die jeweilige<br />
Partei Zielgruppen gebildet, und wenn ja, auf welcher Basis und unter welchen<br />
Prämissen geschah dies. Eine <strong>Marketing</strong>orientierung würde in diesem Zusammenhang<br />
bedeuten, dass man sich darum bemüht hat, zu erkennen, welche Wählergruppen grundsätzlich<br />
erreichbar sind, beziehungsweise infolge der Umsetzung bestimmter Maßnahmen<br />
erreicht werden können.<br />
Abb. 18: Indikatoren der Dimension „Segmentierung und Targeting“. Die Abbildung zeigt Aspekte, die im<br />
Block „Bedeutung von Zielgruppen“ angesprochen werden sollen. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Die Bildung von Zielgruppen unter <strong>Marketing</strong>gesichtspunkten kann - eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
vorausgesetzt - kaum aus der Intuition heraus erfolgen, vielmehr müsste erkennbar<br />
werden, dass die Verantwortlichen in den Parteien in diesem Zusammenhang Beratermeinungen<br />
eingeholt haben und dass die Grundlage dieser Beratung durch demoskopische<br />
Erkenntnisse gestützt worden ist. Die Bildung von Zielgruppen ist im <strong>Marketing</strong>konzept<br />
keine Randerscheinung, von der Parteien beliebig Gebrauch machen können. Segmentie-
47<br />
rung und Targeting sind die zentralen Elemente im <strong>Marketing</strong>konzept, von daher müsste<br />
in den Parteien neben dem bloßen Vorhandensein auch eine starke Bedeutungsbeimessung<br />
zu diesen Maßnahmen erkennbar werden, wenn eine <strong>Marketing</strong>orientierung vorgelegen<br />
hat. Aus den Antworten der befragten Experten müsste demnach im Falle eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
klar hervorgehen, dass man systematisch Informationen zusammengetragen<br />
und diese mit dem Ziel ausgewertet hat, Segmente zu bilden und darauf aufbauend bestimmte<br />
Zielgruppen gezielt anzusprechen. Systematisch betrachtet, ist der vorliegende<br />
Fragenblock damit wie in Abbildung 18 dargestellt gegliedert.<br />
5.1.7 Der Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Als letzter Fragenblock im Leitfaden folgt nun die Erörterung der Dimension „Stellenwert<br />
von <strong>Marketing</strong>prämissen“. In diesem Zusammenhang ist zunächst von Interesse, was der<br />
Befragte mit den Begriffen <strong>Marketing</strong> und <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> verbindet und inwieweit<br />
sich diese Definition mit der im Rahmen dieser Arbeit vorausgesetzten Begriffsdeutung<br />
deckt.<br />
Abb. 19: Indikatoren der Dimension „Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen“. Die Abbildung zeigt Aspekte,<br />
die im Block „Kommunikation mit Wählern“ angesprochen werden sollen. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Unabhängig von der Entsprechung der in den Antworten der Experten geäußerten und der<br />
hier angenommenen Definition, soll der Interviewte dann mit der zentralen Quintessenz<br />
konfrontiert werden, die sich ergibt, wenn eine Partei nach <strong>Marketing</strong>prämissen handelt:<br />
Die Fragen, die in diesem Zusammenhang von Interesse sind, lauten: Findet der Interviewte<br />
es im Sinne eines guten Wahlergebnisses zielführend, wenn eine Partei ermittelt, wie<br />
die Erwartungen der potentiell erreichbaren Wählerschaft aussehen, um auf dieser Basis<br />
das politische Angebot zu erstellen? Die zweite Frage lautet: Hält der Befragte diese Vorgehensweise<br />
für legitim? Und drittens: Findet dies in seinen Augen in der Realität tatsächlich<br />
statt? Mit den Antworten, die sich in diesem Kontext ergeben, soll schließlich beurteilt<br />
werden, ob sich die Experten aus den Parteien a) <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>modells und seiner<br />
potentiellen Tragweite bewusst sind, b) inwieweit sie für sich eine Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
erwägen oder ablehnen und schließlich c), wie sie die Kampagnenführung
48<br />
der anderen Parteien hinsichtlich dieser Frage beurteilen. Strukturell ergibt sich somit für<br />
diesen Fragenblock die in Abbildung 19 dargestellte Übersicht.<br />
5.2 Kriterien für die Auswahl der Gesprächspartner<br />
Nachdem nun geklärt worden ist, welche Fragen im Dialog mit den Experten erörtert werden<br />
sollen, soll nun die Auswahl der Gesprächspartner thematisiert werden. Experteninterviews<br />
unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Befragungsart kaum von anderen nichtstandardisierten<br />
Interviewformen. Ihre Besonderheit liegt vor allem in der Bestimmung<br />
der Befragten, methodisch abstrakt gesehen also in der Auswahl der Stichprobe (vgl. Pickel/Pickel<br />
2003: 302). Meuser und Nagel (1991: 443) stellen in diesem Zusammenhang<br />
klar, dass der Experte üblicherweise nicht der Gegenstand der Forschung, sondern der<br />
Träger von Informationen sei. Entsprechend steht bei den Befragungen im Rahmen dieser<br />
Arbeit auch nicht die Person <strong>des</strong> Befragten, sondern die Position <strong>des</strong> Befragten im Vordergrund.<br />
Für das vorliegende Untersuchungsvorhaben stellt sich auf der Basis <strong>des</strong> Gesprächsleitfadens<br />
an dieser Stelle die Frage, welche Personen aus den Parteien als Experten herangezogen<br />
werden sollen, damit die gewünschten Informationen erhoben werden können. Da es<br />
für diesen Ermittlungsprozess keine einheitliche Konvention gibt, gilt es, ein Auswahlverfahren<br />
zu entwickeln, dass in den folgenden Unterpunkten auf alle vier Parteien angewendet<br />
werden kann, um Experten zu identifizieren. Ziel ist es, pro Partei einen Experten zu<br />
benennen. Neben den zu erörternden inhaltlichen Kriterien für die Auswahl wird eine<br />
funktionale Äquivalenz der Experten in den Parteien angestrebt, um später eine vergleichende<br />
Interpretation der Ergebnisse durchführen zu können.<br />
Hier soll die Planungsphase der Wahlkampagnen zur Landtagswahl 2005 der vier im nordrheinwestfälischen<br />
Landtag vertretenen Parteien hinsichtlich der Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
untersucht werden. Darüber hinaus ist auch die Bedeutung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
als bewusst angewendete Führungsstrategie von Interesse. Um den Personenkreis,<br />
in dem die Experten für dieses Forschungsvorhaben zu suchen sind, einzugrenzen,<br />
kann zunächst gefolgert werden, dass die hier gesuchten Experten innerhalb oder im Umfeld<br />
der strategischen Führung der Partei-Lan<strong>des</strong>verbände zu suchen sind. Weil in diesem<br />
Rahmen davon ausgegangen wird, dass der Spitzenkandidat, <strong>des</strong>sen Profil ja bei einer<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung in gewisser Weise bereits Bestandteil <strong>des</strong> Angebotes seiner Partei<br />
ist, nicht in erster Linie autonom reagiert, sondern vielmehr durch das professionelle<br />
Wahlkampfmanagement strategisch in Szene gesetzt wird, kommt eine Befragung der<br />
Spitzenkandidaten in diesem Zusammenhang von vorne herein nicht infrage.<br />
Seitdem die SPD erstmals im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf 1998 ihre Wahlkampfführung in die<br />
Wahlkampfzentrale KAMPA ausgegliedert hat und damit vor allem auf eine Planung,<br />
Durchführung und Koordination <strong>des</strong> Wahlkampfes außerhalb der bestehenden Parteistrukturen<br />
gesetzt hat, gilt der Einsatz von Spin Doctors, die nicht über die Satzungsstruk-
49<br />
turen der Partei, sprich durch eine parteiinterne Wahl, sondern durch Ernennung und Ü-<br />
bertragung von Entscheidungskompetenzen der Parteigremien legitimiert worden sind,<br />
auch in Deutschland als etabliert. Es wird für jede Partei zu prüfen sein, inwieweit eine<br />
solche Ausgliederung der Entscheidungskompetenzen vorgelegen hat und inwieweit Experten<br />
für die Befragung gegebenenfalls in diesem Personenkreis zu suchen sind.<br />
Im Folgenden sollen nun die vier zu untersuchenden Partei-Lan<strong>des</strong>verbände hinsichtlich<br />
ihrer Kampagnenorganisation betrachtet werden. Auf dieser Basis soll im Anschluss die<br />
Bestimmung der Experten für die Befragung erfolgen. Zusammenfassend soll für die Auswahl<br />
der Experten folgen<strong>des</strong> Paradigma gelten: Es wird grundsätzlich die Befragung von<br />
einem Experten pro Partei angestrebt, das heißt von jeweils einer Person, die an der Planung,<br />
Durchführung und Koordination der Kampagne zur Landtagswahl federführend<br />
beteiligt gewesen ist und zentrale Entscheidungen politisch gegenüber der Partei maßgeblich<br />
(mit-)verantwortet hat, also nicht nur ausführende und koordinierende, sondern auch<br />
inhaltliche und gestalterische Kompetenzen besessen hat.<br />
5.2.1 Wahlkampforganisation der CDU NRW<br />
Die Plakate der CDU NRW ließen keine Zweifel übrig: Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers<br />
ist ein Teamplayer. Von den zahlreich vorhandenen großflächigen Plakaten lächelte er<br />
stets inmitten einer Gruppe ausgesuchter Bürger. „Mit der Überschrift ,Gemeinsam für<br />
NRW' soll verdeutlicht werden, dass es nicht um ein ‚Er oder ich’, sondern um das Land<br />
und die Menschen geht", beschrieb Helmut Barten, Inhaber der Kölner Werbeagentur Barten<br />
und Barten, die Botschaft zu einem Zeitpunkt vor der Wahl (vgl. Stroisch 2005). Barten<br />
und Barten hat die CDU NRW bei der Entwicklung der Wahlkampagne unterstützt<br />
und beraten. Erstes Ziel sei es gewesen, den Regierungswechsel nach 39 Jahren herbeizuführen,<br />
verbunden mit der Darstellung einer Negativ-Bilanz der SPD NRW und einer<br />
spiegelbildlichen Kompetenz-Darstellung der CDU NRW, erklärte Barten in diesem Zusammengang<br />
(vgl. Stroisch 2005).<br />
2,2 Millionen Euro hatte die CDU NRW in die Wahlkampagne investiert (Rochlitzer, im<br />
Gespräch), 27 die mit dem Slogan "Peer wird Millionär - eine Million Arbeitslose" die<br />
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt aufgegriffen und "Arbeit statt Rot/Grün" und "Jobs<br />
statt Bürokratie" gefordert hat. Für die Wahlkampfplanung verantwortlich gegenüber der<br />
Partei zeichnete insgesamt der Generalsekretär der CDU NRW, Hans-Joachim Reck, so<br />
Rochlitzer (im Gespräch). Unterstützt wurde Reck dabei zum einen vom Wahlkampfleiter<br />
Boris Berger, der sich vor allem um den Dialog mit der Agentur gekümmert und die haus-<br />
27 Die mit „Rochlitzer, im Gespräch“ gekennzeichneten Informationen wurden im Rahmen eines persönlichen<br />
Gesprächs mit dem Referenten Justiziariat und Politik der CDU NRW, Herrn Roland Rochlitzer, erhoben.<br />
Das Gespräch fand am 08.09.2005 in der Lan<strong>des</strong>geschäftstelle der CDU NRW in Düsseldorf statt. Herr<br />
Rochlitzer wurde gebeten, die Organisation der Kampagne zur Landtagswahl 2005 in NRW innerhalb <strong>des</strong><br />
Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> seiner Partei zu erörtern und die Personen und ihre Positionen zu nennen, die an diesem<br />
Prozess federführend beteiligt gewesen sind, sowie kurz darzulegen, welche Kompetenzen mit diesen Positionen<br />
verbunden gewesen sind.
50<br />
internen Prozesse in der Geschäftstelle koordiniert habe, so Rochlitzer (im Gespräch) weiter.<br />
Unterstützend tätig im Rahmen der Wahlkampfplanung wurde zudem mit Michael<br />
Thielen, Willi Hausmann und Herbert Müller ein hochkarätiges Beraterteam: Michael<br />
Thielen ist Hauptabteilungsleiter für Kommunikation in der Bun<strong>des</strong>geschäftstelle der<br />
CDU, Willi Hausmann, ehemaliger Bun<strong>des</strong>geschäftsführer der CDU und Staatssekretär im<br />
Kabinett Kohl, hatte bereits Peter Harry Carstensen in Schleswig-Holstein im Wahlkampf<br />
unterstützt und ferner auch Horst Köhler im Vorfeld der Bun<strong>des</strong>präsidentenwahl beraten,<br />
so Rochlitzer (im Gespräch). Herbert Müller, ehemaliger Generalsekretär der hessischen<br />
CDU, ist Geschäftsführer der dimap consult, einer Agentur, die strategische Beratung „an<br />
der Schnittstelle von Politik und Kommunikation“ (dimap consult 2005) anbietet und<br />
bei der Entwicklung von Zielen und Gesamtkonzepten, Kampagnen oder der Zusammenarbeit<br />
mit Meinungsforschungsinstituten und Werbeagenturen unterstützend tätig wird.<br />
Abb. 20: Wahlkampforganisation der CDU NRW vor der Landtagswahl 2005. Die Pfeile kennzeichnen die<br />
zentralen Informationsflüsse bei der Planung der Kampagne. Quelle: CDU NRW 2005: 92, modifizierte<br />
Darstellung. Dort wird vorgestellt, wer im Einzelnen an der Kampagnenplanung beteiligt gewesen ist. Die<br />
Dialogstruktur der Beteiligten wurden in einem persönlichen Gespräch mit dem Referenten Justiziariat und<br />
Politik der CDU NRW, Herrn Roland Rochlitzer, am 08.09.2005 erhoben.<br />
Im operationalen Bereich wurde für die CDU NRW im Vorfeld der Landtagswahl 2005<br />
das so genannte NRWin-Team, bestehend aus 23 festen und freien Mitarbeitern, tätig, zum<br />
Beispiel im Rahmen der Gegnerbeobachtung oder im Kandidatenservice, einer Unterstützung<br />
der Direktkandidaten vor Ort. Mit Blick auf eine Broschüre der CDU NRW (2005),<br />
die den Ablauf der Kampagne zur Landtagswahl dokumentiert, und unter Berücksichtigung<br />
der Informationen aus dem Gespräch mit Rochlitzer ergibt sich für die Wahlkampforganisation<br />
der CDU NRW im Vorfeld der Landtagswahl somit das in Abbildung 20 dargestellte<br />
Organigramm.
51<br />
Als Interviewpartner für die CDU NRW fällt die Auswahl somit auf den Generalsekretär<br />
Hans-Joachim Reck. 28 Zum einen ergab das Informationsgespräch mit Roland Rochlitzer,<br />
dass Reck die zentrale Schlüsselposition in der CDU NRW bei der Vorbereitung der<br />
Wahlkampagne innehatte. Des Weiteren ist Reck als Generalsekretär auch Träger politischer<br />
Verantwortung gegenüber der Partei, während Berger, dem ohne Zweifel ebenfalls<br />
eine zentrale Position bei der Planung der Kampagne zugekommen ist, kein politisches<br />
Amt bekleidet hat.<br />
5.2.2 Wahlkampforganisation der SPD NRW<br />
Staatsmännisch blickte der amtierende Ministerpräsident Peer Steinbrück im Wahlkampf<br />
vor der Landtagswahl 2005 von den Plakatwänden: "Der Kündigungsschutz bleibt“ hieß<br />
es dort oder an anderer Stelle „Arbeitsplätze verspreche ich nicht, aber ich kämpfe jeden<br />
Tag für sie.“ Steinbrück selbst war im Rahmen <strong>des</strong> Wahlkampfes vor allem in Großstädten<br />
präsent, oft im Ruhrgebiet. Unterstützt wurde er dabei von einem interdisziplinären Beraterteam,<br />
deren Mitglieder allerdings offiziell namentlich nicht genannt werden (Borhart,<br />
im Gespräch). 29 In Zusammenarbeit mit der Agentur Butter, die seit den 1990er Jahren<br />
immer wieder für die SPD tätig geworden ist, wurde die Kampagne zur Landtagswahl<br />
2005 gestaltet. Die Kampagne sei voll auf die Person Peer Steinbrück zugeschnitten gewesen,<br />
erklärte Frank Stauss, geschäftsführender Gesellschafter der Werbeagentur Butter<br />
(vgl. Stroisch 2005). Steinbrück sei ein Mann der klaren Worte und <strong>des</strong>halb sei auch die<br />
Sprache auf den Plakaten schnörkellos. Thematisch konzentrierte sich die SPD NRW im<br />
Rahmen der Kampagne voll auf die Themen Arbeit und Bildung. Insgesamt kann für den<br />
Organisationsprozess der Kampagne das in Abbildung 21 dargestellte Organigramm gezeichnet<br />
werden.<br />
Das Beraterteam um den Spitzenkandidaten haben sich, so Borhart (im Gespräch), vor<br />
allem aus externen Beratern zusammengesetzt hat. In diesem Rahmen sei es, so Borhart<br />
weiter, in erster Linie um eine Beratung bezüglich <strong>des</strong> Images und <strong>des</strong> Profils <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
gegangen. Aufseiten der Partei habe der Generalsekretär der SPD NRW,<br />
Michael Groschek, den Wahlkampf federführend koordiniert. Zusätzliche Unterstützung<br />
habe er dabei auch von der Agentur Becker/Kronacher erhalten, die sich nach eigenen<br />
Angaben auf strategische Beratungskonzepte spezialisiert hat (vgl. Becker/Kronacher<br />
2005). Groschek, der 2000 von einem Lan<strong>des</strong>parteitag in das Amt <strong>des</strong> Generalsekretärs<br />
28 Ein Interviewtermin mit Hans-Joachim Reck wurde am 12.09.05 telefonisch vereinbart. Das Interview<br />
fand am 26.09.05 in den Räumlichkeiten der Geschäftstelle der CDU NRW in Düsseldorf statt. Die Transkription<br />
dieses Interviews befindet sich im Anhang dieser Arbeit.<br />
29 Die im Folgenden mit „Borhart, im Gespräch“ gekennzeichneten Informationen wurden im Rahmen eines<br />
persönlichen Gesprächs mit dem Mitarbeiter der Pressestelle der SPD NRW, Herrn Dirk Borhart, ermittelt.<br />
Das Gespräch fand am 22.06.2005 in der Lan<strong>des</strong>geschäftstelle der SPD NRW in Düsseldorf statt. Herr<br />
Borhart wurde gebeten, die Organisation der Kampagne zur Landtagswahl 2005 innerhalb <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong><br />
seiner Partei zu erörtern und die Personen und ihre Positionen zu nennen, die an diesem Prozess<br />
federführend beteiligt gewesen sind, sowie kurz darzulegen, welche Kompetenzen mit diesen Positionen<br />
verbunden gewesen sind.
52<br />
gewählt wurde, gehört auch der Landtagsfraktion seiner Partei an. Gemäß der Satzung der<br />
SPD NRW (2002: 10) umfasst das Amt <strong>des</strong> Generalsekretärs folgende Aufgabenfelder:<br />
„Der/die Generalsekretär/in organisiert im Einvernehmen mit dem Präsidium und auf der<br />
Grundlage der Beschlüsse von Lan<strong>des</strong>parteitag und Lan<strong>des</strong>vorstand die politische Leitung<br />
<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> und seine Öffentlichkeitsarbeit, er/sie koordiniert die Zusammenarbeit<br />
der Partei mit der Landtagsfraktion und der Lan<strong>des</strong>regierung und leitet die Wahlkämpfe.“<br />
Abb. 21: Wahlkampforganisation der SPD NRW vor der Landtagswahl 2005. Die Pfeile zeigen die zentralen<br />
Informationsflüsse bei der Planung der Kampagne. Quelle: Eigene Darstellung. Die Informationen, die in<br />
dieser Grafik dargestellt werden, stammen aus einem persönlichen Gespräch mit dem Mitarbeiter der Pressestelle<br />
der SPD NRW, Herrn Dirk Borhart.<br />
Michael Groschek habe, so Borhart (im Gespräch), gemeinsam mit dem Lan<strong>des</strong>vorsitzenden<br />
Harald Schartau und <strong>des</strong>sen Pendant in der Landtagsfraktion, Edgar Moron, dem Spitzenkandidaten<br />
sowie der Agentur intensiv über die Organisation der Kampagne beraten<br />
und in seiner Funktion als Generalsekretär an den Lan<strong>des</strong>vorstand berichtet. Bei formalen<br />
Entscheidungen fungierte schließlich der aus 37 Mitgliedern bestehende und durch ein<br />
15köpfiges Präsidium repräsentierte Lan<strong>des</strong>vorstand als beschlussfassen<strong>des</strong> Gremium.<br />
Ebenfalls eine bedeutsame Position im Wahlkampf habe Frank-Ulrich Wessel, der Geschäftsführer<br />
<strong>des</strong> SPD NRW, bekleidet. Er habe die operativen Prozesse der Kampagne<br />
geleitet und sei oberster Dienstherr der über zweihundert hauptamtlichen Mitarbeiter der<br />
SPD NRW gewesen.<br />
Im Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Forschungsvorhabens ist somit die Position <strong>des</strong> Generalsekretärs<br />
für das Experteninterview von größtem Interesse. Denn der amtierende Generalsekretär<br />
Michael Groschek hat neben dem Spitzenkandidaten, der aufgrund dieser Funktion
53<br />
nicht als Experte im hier definierten Sinne in Betracht kommt, die größten Handlungsund<br />
Entscheidungskompetenzen im Rahmen der Kampagnenplanung besessen. 30<br />
5.2.3 Wahlkampforganisation der FDP NRW<br />
„Liberale sehen Grüne als Hauptgegner“ titelte das Onlineportal WDR.de (2005) in<br />
seiner Berichterstattung im Vorfeld der Landtagswahl 2005. Die Partei habe auf der Basis<br />
von Studien festgestellt, dass etwa 300.000 Wähler für die kleinen Parteien potentiell erreichbar<br />
seien. Akademiker, Handwerker und Mittelständler hätten kurz vor der Wahl Post<br />
von der FDP NRW bekommen, denn diese Gruppe habe man als so genannte Multiplikatoren<br />
ausgemacht, hieß es weiter. Mit Coordt von Mannstein, einem ehemaligen Berater<br />
von Helmut Kohl, der zuletzt auch die Wahlkampagnen der CDU in Hessen und Niedersachsen<br />
betreut hatte (vgl. WDR.de 2005, Twardowski/Schwarz 2005: 41), hat die FDP<br />
NRW erstmals auf eine Agentur „der ersten Liga“ (Mendorf, im Gespräch) gesetzt. 31<br />
Der Startschuss für die Organisation <strong>des</strong> Wahlkampfes zur Landtagswahl sei, so Mendorf<br />
(im Gespräch), ein Lan<strong>des</strong>parteitag im November 2004 gewesen, auf dem unter anderem<br />
vier Dinge beschlossen worden seien:<br />
• Das Wahlprogramm für die Landtagswahl<br />
• Die Lan<strong>des</strong>liste der Kandidatinnen und Kandidaten für den Landtag<br />
• Die Einrichtung der Position eines Generalsekretärs<br />
• Die Besetzung dieser Position mit Christian Lindner<br />
Der Lan<strong>des</strong>verband habe, so Mendorf weiter, mit der Benennung eines Generalsekretärs<br />
auf die Situation reagiert, dass der Lan<strong>des</strong>vorsitzende Andreas Pinkwart, der gleichzeitig<br />
Mitglied <strong>des</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>tages sei und in dieser Funktion Verpflichtungen zu erfüllen<br />
habe, im Landtagswahlkampf zeitlich nur begrenzt Aufgaben hätte wahrnehmen können.<br />
Der Spitzenkandidat Ingo Wolf habe zum Zeitpunkt der Kampagnenplanung gleichzeitig<br />
das Amt <strong>des</strong> Fraktionsvorsitzenden ausgeübt und sei als solcher ebenfalls bereits<br />
stark eingebunden gewesen. Politikwissenschaftlich betrachtet, handelt es sich dabei somit<br />
um das Dilemma der kleinen Parteien, annähernd den gleichen Arbeitsumfang leisten zu<br />
müssen wie große Parteien, dafür aber deutlich geringere personelle Ressourcen zur Verfügung<br />
zu haben. Dieses Problem wird noch verstärkt, wenn, wie im Fall der FDP NRW<br />
geschehen, mehrere Positionen von einer Person übernommen werden (vgl. Abb. 22). Mit<br />
der Berufung eines Generalsekretärs sollte, so Mendorf weiter, die entstandene Kapazitätslücke<br />
gefüllt werden.<br />
30 Ein Interviewtermin mit Michael Groschek wurde telefonisch am 26.09.2005 vereinbart. Die Transkription<br />
<strong>des</strong> Interviews befindet sich im Anhang dieser Arbeit.<br />
31 Die im Folgenden mit „Mendorf, im Gespräch“ gekennzeichneten Informationen wurden im Rahmen<br />
eines persönlichen Gesprächs mit dem Wahlkampfkoordinator der FDP NRW, Herrn Marco Mendorf, ermittelt.<br />
Das Gespräch fand am 24.06.2005 in der Lan<strong>des</strong>geschäftstelle der FDP NRW in Düsseldorf statt. Herr<br />
Mendorf wurde gebeten, die Organisation der Kampagne zur Landtagswahl 2005 innerhalb <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong><br />
seiner Partei zu erörtern und die Personen und ihre Positionen zu nennen, die an diesem Prozess<br />
federführend beteiligt gewesen sind, sowie kurz darzulegen, welche Kompetenzen mit diesen Positionen<br />
verbunden gewesen sind.
54<br />
Abb. 22: Wahlkampforganisation der FDP NRW vor der Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Die Informationen, die in dieser Grafik dargestellt werden, stammen aus einem persönlichen Gespräch mit<br />
dem Wahlkampfkoordinator der FDP NRW, Herrn Marco Mendorf.<br />
Neben dem Spitzenkandidaten Ingo Wolf agierten weitere acht Personen in einem Wahlkampfteam<br />
(vgl. Abb. 22). Einschließlich der Position <strong>des</strong> Generalsekretärs, einem Parteiamt,<br />
das von einem FDP-Landtagsabgeordneten, also einem Mitglied der Fraktion, ausgeübt<br />
worden ist, fand eine paritätische Besetzung <strong>des</strong> Wahlkampfteams statt, so dass Partei<br />
und Fraktion zu gleichen Teilen an der Wahlkampfplanung beteiligt gewesen sind. Darüber<br />
hinaus habe die FDP NRW, so Mendorf (im Gespräch), mit zwei Agenturen zusammengearbeitet,<br />
einer Agentur im operativen Sektor, von der Plakate gestaltet, Internetseiten<br />
programmiert und Wahlkampfmaterialien erstellt worden seien, und einer weiteren<br />
Agentur, der Agentur Von Mannstein, die vor allem strategisch beraten habe.<br />
Für die Fragestellung dieser Arbeit war die Expertenauswahl in diesem Fall nicht schwierig.<br />
Weil die Position <strong>des</strong> Generalsekretärs bei der FDP NRW explizit mit der Verantwortung<br />
für die Wahlkampfaktivitäten verbunden ist, fiel die Wahl einwandfrei auf Christian<br />
Lindner. 32<br />
32 Ein Interviewtermin mit Christian Lindner wurde telefonisch am 13.09.2005 vereinbart. Die Transkription<br />
<strong>des</strong> Interviews befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
55<br />
5.2.4 Wahlkampforganisation bei Bündnis 90/Die Grünen NRW<br />
„Mehr grüne Playstations“ war auf einem Wahlplakat von Bündnis 90/Die Grünen NRW<br />
zu lesen, das ein kleines Mädchen auf einer Schaukel gezeigt und für mehr Kinderspielplätze<br />
geworben hat. Thematisch durfte man darin die Aspekte Kinder- und Familienförderung,<br />
sowie ein Hauch von Bildungspolitik vermuten. Neben inhaltlichen Aspekten hatten<br />
Grüne bei der Plakatgestaltung im Vorfeld der Landtagswahl in NRW auch auf den<br />
Bekanntheitsgrad ihrer Spitzenkandidaten gesetzt. Unterstützt wurde die Partei bei den<br />
Vorbereitungen von der Agentur Zum Goldenen Hirschen, die zuvor bereits für verschiedene<br />
Grüne Lan<strong>des</strong>verbände und 1998 und 2002 auch die Kampagnen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verban<strong>des</strong><br />
arrangiert hatte. „Die Grünen - Alles andere ist zweite Wahl“ lautete der selbstbewusste<br />
Claim dieses Mal. Die Partei konkurriere dabei mit allen anderen Parteien um die eine<br />
zu vergebene Stimme und schließlich auch „mit der Werbung von Mediamarkt und der<br />
Deutschen Bank“, erläuterte Cornelis Stettner, Kreativplaner der Agentur Zum Goldenen<br />
Hirschen, die Zielsetzung der Kampagne (vgl. Stroisch 2005).<br />
Hinsichtlich der Wahlkampforganisation kann zunächst festgestellt werden, dass Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW als einzige der hier in Betracht stehenden Parteien mit zwei Spitzenkandidaten,<br />
nämlich mit der damaligen NRW-Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft<br />
und Verbraucherschutz Bärbel Höhn und dem damaligen NRW-Minister für<br />
Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport Michael Vesper, in den Wahlkampf gestartet sind. 33<br />
Als Besonderheit ist außerdem die Beteiligung <strong>des</strong> Jugendverban<strong>des</strong> „Grüne Jugend<br />
NRW“ an den Entscheidungsprozessen, die für die Kampagne maßgeblich gewesen sind,<br />
zu erwähnen.<br />
Insgesamt kann mit Blick auf die Wahlkampforganisation festgestellt werden, dass sich<br />
bei Bündnis 90/Die Grünen NRW keine Position als ausgewiesene und alleinige Expertenposition<br />
anbietet, so dass es im Folgenden darum geht, über verschiedene Ausschlusskriterien<br />
den Personenkreis der möglichen Interviewpartner einzugrenzen, um schließlich<br />
eine angemessene Auswahl treffen zu können. In der in Abbildung 23 dargestellten Organisationsstruktur<br />
für die Kampagnenplanung im Vorfeld der Landtagswahl 2005 ist zunächst<br />
zu erkennen, dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Partei und Fraktion vorgeherrscht<br />
hat. Die Fraktion ist dabei durch die Minister und Spitzenkandidaten Bärbel<br />
Höhn und Michael Vesper, sowie durch die Sprecherin und den Sprecher der Fraktion<br />
vertreten gewesen. Die Seite der Partei wurde in<strong>des</strong> durch die vier Mitglieder <strong>des</strong> geschäftsführenden<br />
Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong> repräsentiert. Der Lan<strong>des</strong>vorstand besteht bei Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW aus vier hauptamtlichen Mitgliedern, die den geschäftsführenden<br />
Lan<strong>des</strong>vorstand bilden, und vier ehrenamtlichen Beisitzern. Letztere waren allerdings, so<br />
33 Die im Folgenden mit „Schroers (im Gespräch)“ gekennzeichneten Textpassagen wurden im Rahmen<br />
eines persönlichen Gesprächs mit Mitglied <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong> von Bündnis 90/Die Grünen NRW, Herrn<br />
Jo Schroers, ermittelt. Das Gespräch fand am 22.05.2005 im Architekturforum in Düsseldorf statt. Herr<br />
Schroers wurde gebeten, die Organisation der Kampagne zur Landtagswahl 2005 innerhalb <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong><br />
seiner Partei zu erörtern und die Personen und ihre Positionen zu nennen, die an diesem Prozess<br />
federführend beteiligt gewesen sind, sowie kurz darzulegen, welche Kompetenzen mit diesen Positionen<br />
verbunden gewesen sind.
56<br />
Schroers (im Gespräch), an der Planung der Kampagne nicht unmittelbar beteiligt. Zu den<br />
Aufgaben <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong> heißt es in der Satzung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> von Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW (2003: 7) unter anderem:<br />
„Die beiden SprecherInnen sind für die Außendarstellung der Lan<strong>des</strong>partei verantwortlich.<br />
Gemeinsam mit dem/der Lan<strong>des</strong>schatzmeisterIn und dem/der Politischen GeschäftsführerIn<br />
bilden sie den geschäftsführenden Lan<strong>des</strong>vorstand, der die Lan<strong>des</strong>partei gemäß §26 (2)<br />
BGB vertritt.“<br />
Abb. 23: Wahlkampforganisation von Bündnis 90/Die Grünen NRW im Vorfeld der Landtagswahl 2005.<br />
Quelle: Eigene Darstellung. Die Informationen, die in dieser Grafik dargestellt werden, stammen aus einem<br />
persönlichen Gespräch mit dem Lan<strong>des</strong>schatzmeister der Partei, Herrn Jo Schroers.<br />
Im Rahmen der Satzung findet keine genaue Zuschreibung der Verantwortlichkeiten für<br />
Wahlkampfaktivitäten statt, was unter Umständen für das hier beschriebene Vorhaben<br />
einen nützlichen Hinweis für die Expertenauswahl hätte liefern können. An den maßgeblichen<br />
Entscheidungen für die Wahlkampagne seien, so Schroers (im Gespräch), alle Mitglieder<br />
der Wahlkampfkommission gleichermaßen beteiligt gewesen. Um den Personenkreis<br />
für die Expertenauswahl weiter einzugrenzen, soll <strong>des</strong>halb neben der organisatorischen<br />
Verantwortung, die daraus folgernd scheinbar alle Mitglieder der Wahlkampfkommission<br />
gleichermaßen besessen haben, die politische Verantwortung gegenüber der Partei<br />
als weiteres Auswahlkriterium herangezogen werden. 34 Die Sprecherin und der Sprecher<br />
der Fraktion scheiden nun als mögliche Gesprächspartner aus, weil sie nicht direkt von der<br />
Partei, sondern von der Fraktion eingesetzt worden sind. Für das Mitglied in der Wahl-<br />
34 Vgl. dazu auch Punkt 5.2.
57<br />
kampfkommission, das die Grüne Jugend NRW vertreten hat, ist ebenfalls festzustellen,<br />
dass es keine unmittelbare politische Verantwortung aus Sicht der Partei hatte und ferner<br />
eine speziellere Funktion der Interessensvertretung übernahm und somit ebenfalls als Experte<br />
für das Interview im Rahmen dieser Arbeit nicht infrage kommt. Die Spitzenkandidaten<br />
Bärbel Höhn und Michael Vesper scheiden aus den in Kapitel 5.2 genannten Gründen<br />
als Gesprächspartner ebenfalls aus. Von Interesse bleiben somit potentiell die Mitglieder<br />
<strong>des</strong> geschäftsführenden Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong>, wobei der Schatzmeister Jo Schroers aufgrund<br />
seiner satzungsgemäßen Spezialisierung auf Finanzthemen als Experte für die<br />
Kampagnenorganisation seiner Partei hier nicht in Erwägung gezogen wird. Somit befinden<br />
sich letztlich drei Personen als mögliche Experten im Rahmen dieser Arbeit in der<br />
engeren Auswahl:<br />
• Britta Hasselmann, die Sprecherin <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong><br />
• Frithjof Schmidt, der Sprecher <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong><br />
• und Sabine Brauer, die Politische Geschäftsführerin<br />
Davon ausgehend, dass die Sprecherin und der Sprecher <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong> in erster<br />
Linie die Partei nach außen vertreten und die Position der Politischen Geschäftsführerin<br />
am ehesten als funktionales Äquivalent zu der Position der Generalsekretäre zu sehen ist,<br />
auf die in den anderen Parteien die Wahl gefallen ist, wird als Expertin für die Kampagne<br />
von Bündnis 90/Die Grünen NRW letztlich die Politische Geschäftsführerin Sabine Brauer<br />
benannt. 35<br />
5.3 Prämissen für die Gesprächsführung<br />
Handeln und Verhalten zu untersuchen, ist mit Klammer (2005: 223) Kern empirischer<br />
Sozialforschung. Wann immer Handlungen nicht unmittelbar beobachtet werden können,<br />
müssten sie über Selbstauskünfte der handelnden Akteure erfahrbar gemacht werden. Im<br />
Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Vorhabens soll dies über die Durchführung und Auswertung<br />
von Experteninterviews realisiert werden. Als favorisierte Gesprächspartner wurden dafür<br />
bestimmt: Michael Groschek, Generalsekretär der SPD NRW, Hans-Joachim Reck, Generalsekretär<br />
der CDU NRW, Christian Lindner, Generalsekretär der FDP NRW und Sabine<br />
Brauer, die Politische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen NRW. Freundlicherweise<br />
erklärten sie sich alle bereit, im Rahmen dieses Vorhabens Rede und Antwort<br />
zu stehen. Die Interviews fanden im Zeitraum von August bis Oktober 2005 in den Büros<br />
der befragten Personen statt.<br />
Für die Gesprächsführung sollten folgende Konventionen gelten, die auch in allen Fällen<br />
angewendet werden konnten: Alle Interviews sollten etwa gleich lang sein; es wurde eine<br />
maximale Länge von etwa sechzig Minuten angestrebt. Die Interviews sollten in Form<br />
eines Vier-Augen-Gesprächs stattfinden, bei dem der zu interviewende Experte und die<br />
35 Ein Interviewtermin mit Sabine Brauer wurde am 29.10.2005 vereinbart. Die Transkription dieses Interviews<br />
befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
58<br />
Interviewerin allein im Raum sind. Die Gespräche sollten mit einem analogen Diktiergerät<br />
aufgezeichnet und im Anschluss in schriftliche Transkriptionen überführt werden, die den<br />
Interviewten als Datei per E-Mail mit der Bitte um Autorisierung zugestellt werden sollten.<br />
Die Interviewpartner wurden gebeten, etwaige Änderungswünsche in der Datei selbst<br />
vorzunehmen und diese dann als autorisierte Version zurückzusenden. Es ist ihnen vor<br />
Beginn der Interviews zugesichert worden, dass es keinen Abgleich mit der Rohfassung<br />
geben würde und dass ausschließlich mit der autorisierten Transkription weiter gearbeitet<br />
werden würde. Diese Vorgehensweise, die eine gewisse Verzerrung der Daten zur Folge<br />
haben musste, wurde erwogen, um eine offene Gesprächsatmosphäre zu gewährleisten.<br />
Mit dieser Vorgehensweise erklärten sich alle Gesprächspartner einverstanden, und es<br />
wurde in allen Fällen entsprechend verfahren.<br />
Die Interviews, die im Rahmen dieser Arbeit angestrebt worden sind, sollten der Sammlung<br />
individueller Informationen und Erfahrungen dienen und sich inhaltlich an dem zuvor<br />
ausgearbeiteten Leitfaden orientieren. Insgesamt sollte damit eine offene Gesprächsführung<br />
auf der einen Seite, aber auch eine gewisse Standardisierung hinsichtlich der Spannbreite<br />
der Informationen auf der anderen Seite gewährleistet werden. Dabei bestand mit<br />
Pfadenhauer (2005: 117) ein zentraler Grundanspruch darin, den Befragten nicht ein externes<br />
<strong>Relevanz</strong>system aufzuoktroyieren, sondern sie ihre eigenen <strong>Relevanz</strong>en entwickeln<br />
zu lassen. Für die Interviewführung im Rahmen dieser Arbeit folgte daraus, dass den Befragten<br />
die ausdrückliche Freiheit eingeräumt werden musste, Antworten zu geben, die<br />
unter Umständen auch nicht in den Termini <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes interpretierbar sind.<br />
Um diese Möglichkeit zu gewährleisten, wurden im Rahmen dieser Arbeit zwei idealtypische<br />
Alternativkonzepte, das der Produktorientierung und das der Verkaufsorientierung,<br />
definiert. 36<br />
Die hier geführten Interviews fanden in einem Kontext statt, der in der Literatur als Gespräch<br />
zwischen Experte und Quasi-Experte bezeichnet wird (vgl. dazu bspw. Pfadenhauer<br />
2005: 120). Dabei verfügen beide Gesprächspartner, Experte und Interviewerin, über<br />
eine gewisse Expertise in dem zu erörternden Wissensspektrum. Anders als im Dialog von<br />
zwei Experten untereinander, besteht zwischen Experten und Quasi-Experten allerdings<br />
keine unmittelbare Konkurrenz (vgl. Pfadenhauer 2005: 120), so dass insgesamt von einer<br />
barrierefreien und unbelasteten Gesprächssituation ausgegangen werden konnte. 37 Pfadenhauer<br />
(2005: 118) weist zudem darauf hin, dass Gespräche mit Experten einer Fachrichtung<br />
von denselben thematischen Fokussierungen und einem ähnlichen Gebrauch von<br />
Fachbegrifflichkeiten geprägt sein dürften. Dass alle hier Befragten in ihren Parteien eine<br />
vergleichbare Position haben, kann somit als positiver Beitrag zur grundsätzlichen Vergleichbarkeit<br />
der hier für die Beurteilung der Kampagnenplanung in den Parteien zugrunde<br />
gelegten Informationen gewertet werden.<br />
36 Vgl. Kapitel 1.3 <strong>Marketing</strong> in Parteien und das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>.<br />
37 Die aktive Rolle der Interviewerin hat sich in diesem Zusammenhang bereits aus den Rahmenbedingungen,<br />
die bei einer Diplomarbeit vorliegen, ergeben, so dass die alternative Möglichkeit der Befragung durch<br />
eine neutrale Person gar nicht erst in Erwägung gezogen werden konnte.
59<br />
5.4 Prämissen für die Transkriptionserstellung<br />
Bereits im vorherigen Kapitel ist auf die zentralen technischen und organisatorischen<br />
Merkmale der Transkriptionserzeugung eingegangen worden: Die im Rahmen dieser Arbeit<br />
geführten Interviews sollten mit einem analogen Diktiergerät aufgezeichnet und in<br />
eine Transkription überführt werden, die den Gesprächspartnern anschließend mit der Bitte<br />
um Autorisierung vorgelegt werden sollte. Den Gesprächspartnern wurde zugesichert,<br />
dass es in diesem Rahmen möglich sein würde, Änderungen in der Transkription vorzunehmen,<br />
die für den weiteren Verlauf der Arbeit nicht dokumentiert werden. Nachdem auf<br />
diese Weise die technische und organisatorische Handhabung erörtert worden sind, soll<br />
nun auf einen weiteren wesentlichen Aspekt Bezug genommen werden: die Überführung<br />
<strong>des</strong> Gesagten in schriftliche Transkriptionen.<br />
Dass Interviews mündlich geführt werden, ist keine bahnbrechende Feststellung, aber dennoch<br />
resultiert aus dieser Tatsache die Notwendigkeit, vorab zu definieren, wie die Ereignisse,<br />
die im akustischen Bereich stattgefunden haben, in die Schriftlichkeit überführt<br />
werden sollen. Bei einer akustischen Aufzeichnung sind alle visuellen Reize - beispielsweise<br />
Gestik oder Mimik <strong>des</strong> Befragten oder der Interviewerin - von vorne herein ausgeklammert.<br />
Eine audio-visuelle Aufzeichnung ist im Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Vorhabens<br />
nicht in Erwägung gezogen worden. Weil es hier nicht um eine linguistisch fokussierte<br />
Auswertung geht, soll ferner auch auf eine Dokumentation akustischer Parameter wie Pausen,<br />
Intonationen, Lautstärken- oder Sprechgeschwindigkeitsänderungen verzichtet werden.<br />
Die Transkription eines Interviews soll sich rein auf das gesprochene Wort konzentrieren<br />
und dabei mit Deppermann (1999: 46ff) nach folgenden Kriterien in die Schriftsprache<br />
überführt werden:<br />
• Praktikabilität: Die Konventionen für die Vertextung sollten einleuchtend und mit<br />
den Möglichkeiten einer Standard-Software umsetzbar sein, sowie den allgemein<br />
geltenden Standards der Textverarbeitung entsprechen.<br />
• Lesbarkeit: Es wird insgesamt eine wortwörtliche Transkription angestrebt. Zu<br />
Gunsten der Lesbarkeit soll auf die präzise Dokumentation von Formulierungskorrekturen<br />
und Wortabbrüchen verzichtet werden, 38 wobei allerdings die Maxime<br />
gilt, dass dabei unter keinen Umständen Einfluss auf die analytisch relevanten<br />
Aussagen genommen werden darf.<br />
• <strong>Relevanz</strong>: Bei der Transkription müssen vor allem die Phänomene erfasst werden<br />
(können), die hinsichtlich der Untersuchungsfrage von Interesse sind. Im Rahmen<br />
dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass die schriftliche Erfassung <strong>des</strong> Gesagten<br />
diesem Anspruch gerecht wird.<br />
38 Diese Vorgehensweise wird vor allem auch aus Respekt gegenüber den Interviewpartnern erwogen,<br />
schließlich handelt es sich bei ihnen nicht um namenlose Probanden, deren Äußerungen anonym ausgewertet<br />
werden.
60<br />
5.5 Prämissen für die Auswertung der Experteninterviews<br />
Um später einen Vergleich der Kampagnenplanungsprozesse in den Parteien untereinander<br />
und hinsichtlich der in Kapitel 5.1 definierten Beurteilungsdimensionen zu ermöglichen,<br />
musste für die weitere Vorgehensweise eine einheitliche Konvention für die Auswertung<br />
erstellt werden. Pickel und Pickel (2003: 301) stellen in diesem Zusammenhang<br />
fest:<br />
„Das Experteninterview ist wie die Sammlung von Aggregatdaten, Umfragen und Typisierungen<br />
von institutionellen Designs als eine Methode zur Erhebung von Daten anzusehen.<br />
Entgegen der aber oft verbreiteten Meinung ist es nicht ausreichend, das Interview in seiner<br />
Rohfassung als ausreichende Vorbereitung der vergleichenden Analyse anzusehen,<br />
sondern die erhobenen Interviewwerte müssen erst geregelten Verfahren der Auswertung<br />
unterzogen werden, bevor sie in eine vergleichende Analyse integriert werden können.“<br />
Bei der qualitativen Auswertung von Informationen stellt sich zunächst das Problem der<br />
Selektion (vgl. Ragin 1994: 66ff), und wer einem solchen Forschungsvorhaben nachgeht,<br />
muss sich letztlich immer auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Informationen entsprechend<br />
der eigenen Vorstellung bewertet zu haben. Zwei Maßnahmen sollen im Rahmen<br />
dieser Arbeit ergriffen werden, um dieser Gefahr entgegen zu wirken:<br />
1. Die vollständigen Transkriptionen der Interviews sowie alle Auswertungsprotokolle<br />
liegen dieser Arbeit bei, so dass die bei der Auswertung vorgenommen Verdichtungen<br />
anhand der Mitschriften nachvollzogen und überprüft werden können.<br />
2. Die Skala, mit der die <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong>prämissen für den Planungsprozess<br />
der Wahlkampagnen in den einzelnen Parteien „gemessen“ werden soll, erstreckt<br />
sich von einer deutlichen <strong>Marketing</strong>orientierung bis zu einer nicht nachweisbaren<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung, so dass theoretisch auch mögliche Alternativausprägungen<br />
erfasst werden können.<br />
Kvale (1996: 207f) schlägt zur Vermeidung von Analysefehlen bei der Auswertung qualitativer<br />
Daten vor, die Auswertung nicht von einer, sondern von mehreren Personen durchführen<br />
zu lassen, um dann anhand von Reliabilitätstests zu überprüfen, ob das Analyseschema<br />
tatsächlich in gleicher Weise angewendet worden ist. Diese Vorgehensweise<br />
scheidet im Rahmen dieser Diplomarbeit aus offensichtlichen Gründen aus.<br />
Insgesamt ist für die Auswertung der Transkriptionen im Vorfeld das in Abbildung 24<br />
dargestellte Auswertungsschema definiert worden. Die Auswertung der Transkriptionen<br />
soll demnach zunächst einzeln und nach einem festen Schema erfolgen: Als erstes sollten<br />
die Inhalte jeder Transkription den Dimensionen und Indikatoren zugeordnet werden, die<br />
im Rahmen der Entwicklung <strong>des</strong> Gesprächsleitfadens angelegt worden sind. 39 Weil auf der<br />
Basis <strong>des</strong> Gesprächsleitfadens die Dimensionen blockweise der Reihe nach angesprochen<br />
worden sind und eine Interpretation der Informationen im Kontext <strong>des</strong> Gesagten erfolgen<br />
sollte, ist hier insgesamt eine lineare Auswertung angestrebt worden. Von dieser Regel ist<br />
nur in wenigen Ausnahmen abgewichen worden, und zwar dann, wenn eindeutig eine<br />
39 Vgl. Kap. 5.1 und die dazugehörigen Unterpunkte.
61<br />
wichtige, in sich geschlossene Information zu einem Indikator im Kontext eines anderen<br />
Indikators erfolgt ist. In diesem Fall wurde die Information doppelt zugeordnet, was vor<br />
der Nennung im anderen Kontext entsprechend vermerkt worden ist. 40<br />
Abb. 24: Vorgehensweise bei der Auswertung der Interviewtranskriptionen. Quelle: Eigene Darstellung. Die<br />
Ausarbeitung <strong>des</strong> Schemas erfolgte auf der Basis eines Rasters, das Pickel und Pickel (2003: 310) zur Auswertung<br />
qualitativer Interviews vorgeschlagen haben.<br />
Im nächsten Schritt ging es um die Identifikation von Ankeraussagen in den Interviewsequenzen.<br />
Ankeraussagen sind von Pickel und Pickel (2003: 311) definiert worden als Elemente,<br />
die einen beispielhaften Charakter für die Kernargumentation haben und diese besonders<br />
günstig abbilden. 41 Ziel war es somit, Aussagen zu identifizieren, die auf eine<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung hinweisen, dies negieren oder für einen der alternativen Idealtypen<br />
sprechen. Beispielsweise war es in Bezug auf die Auswahl der Kampagnenthemen nicht<br />
von Bedeutung, welche Themen konkret gewählt worden sind, von Interesse war hier vor<br />
allem, welchen Findungsprozess die Befragten skizzierten.<br />
Auf der Basis der nach diesem Muster identifizierten Ankeraussagen sollte dann auf der<br />
Ebene der Indikatoren eine Verdichtung erfolgen. Pickel und Pickel (2003: 310ff) beschreiben<br />
den Prozess der Verdichtung von Interviewsegmenten als Reduktion <strong>des</strong> Text-<br />
40 In diesem Fall sind die entsprechenden Textstellen mit dem Vermerk „An einer anderen Stelle im Interview“<br />
gekennzeichnet worden.<br />
41 Die hier identifizierten Ankeraussagen sind in den jeweiligen Auswertungsprotokollen durch eine graue<br />
Markierung hervorgehoben worden.
62<br />
materials durch Selektion. Dabei ging es somit um eine Bündelung zentraler Informationen.<br />
Die entscheidende Gradwanderung an dieser Stelle bestand darin, in angemessener<br />
Form zusammenzuführen und zu generalisieren, ohne dass es zu einer Überinterpretation<br />
der in den Antworten genannten Beispiele kommt. Diese Gefahr kann letztlich nicht ausgeschlossen<br />
werden, ihr wird hier vor allem durch die Offenlegung aller Untersuchungsschritte<br />
begegnet. Die Verdichtung soll also insgesamt für jeden Indikator, der im Rahmen<br />
der Herleitung <strong>des</strong> Gesprächsleitfadens definiert worden ist, einen Überblick über die<br />
zentralen Informationen liefern, die in diesem Kontext geäußert worden sind. Darüber<br />
hinaus bedarf es hier einer Regelung für die mögliche Situation, dass zu einem Indikator<br />
keine Informationen zugeordnet werden können oder die Informationen nicht interpretierbar<br />
sind. 42 In diesem Fall soll der Indikator ausgelassen und eine Beurteilung der Dimension<br />
(soweit möglich) unter Verweis auf diese Lage anhand der übrigen Indikatoren vorgenommen<br />
werden. Auf widersprüchliche Informationen soll allerdings explizit hingewiesen<br />
werden, weil gerade darin wichtige Hinweise für die Interpretation <strong>des</strong> Ergebnisses<br />
liegen könnten.<br />
Ausgehend von der Verdichtung auf Indikatorebene soll im nächsten Schritt eine zusammenfassende<br />
Bewertung aller Dimensionen erfolgen, so dass am Ende für jede Dimension<br />
in jedem Auswertungsprotokoll ein individuelles Fazit vorliegt, das die Informationen, die<br />
dort subsumiert worden sind, hinsichtlich der <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong>prämissen einschätzt.<br />
Diese Einschätzung soll auf Basis der in Kapitel 1.3 definierten alternativen Idealtypen<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung, Verkaufsorientierung und Produktorientierung erfolgen. Im<br />
Zentrum der Betrachtungen steht dabei insbesondere der Idealtyp der <strong>Marketing</strong>orientierung.<br />
Wenn aufgrund der subsumierten Informationen nicht klar ein Idealtyp abgeleitet<br />
werden kann, soll auf jeden Fall die Frage „marketingorientiert oder nicht“ gestellt und<br />
beantwortet werden.<br />
Methodisch abstrakt gesprochen, handelt es sich dabei insgesamt um die Anwendung einer<br />
Idealtypenanalyse, einer Technik, die 1922 von Max Weber definiert worden ist. Idealtypen<br />
sind nach Weber (1922: 191ff) Konstruktionen <strong>des</strong> realen Geschehens, „Gedankenbilder“,<br />
die in ihrer begrifflichen Reinheit nirgends in der Realität empirisch vorfindbar<br />
sind. Bikner-Ahsbahs (2003: 212) stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass es im<br />
Weber´schen Sinne nicht in erster Linie auf die idealisierte Konstruktion von Begrifflichkeiten,<br />
sondern vor allem auf die Untersuchung realer Abweichungen von den Idealtypen<br />
ankomme:<br />
„Nicht der Konstruktionsprozess von Idealtypen ist sein Fokus wissenschaftlichen Arbeitens,<br />
sondern die idealtypische Analyse [...].“<br />
Die verwendeten Idealtypen dienen im Rahmen dieser Arbeit insbesondere als Instrument<br />
der Vergleichbarkeit der Fälle untereinander hinsichtlich der Dimensionen. Dabei wird<br />
zwar in Erwägung gezogen, dass es zum Teil zu uneindeutigen Urteilen kommen kann, in<br />
42 Mit „nicht interpretierbar“ ist ausdrücklich nicht die Möglichkeit widersprüchlicher Informationen gemeint.<br />
Auf Widersprüche soll explizit bei der Beurteilung hingewiesen werden.
63<br />
denen sowohl verkaufsorientierte als auch produktorientierte Tendenzen festgestellt, oder<br />
verkaufs- bis marketingorientierte Herangehensweisen aufgezeigt werden. Eine Mischung<br />
aus produkt- und marketingorientierter Herangehensweise kann es allerdings auf der Basis<br />
der hier angeführten Idealtypendefinitionen nicht geben, so das insgesamt in allen Fällen<br />
und bezüglich aller Dimensionen zumin<strong>des</strong>t herausgearbeitet werden kann, ob Tendenzen<br />
einer <strong>Marketing</strong>orientierung festzustellen sind oder nicht.<br />
Nach der Bewertung der Dimensionen soll dann zum einen eine abschließende Fallbetrachtung<br />
für jede Partei, 43 zum anderen ein Vergleich der Fälle hinsichtlich der Beurteilungsdimensionen<br />
durchgeführt werden. 44 Anschließend soll dann die Interpretation und<br />
Diskussion der Ergebnisse erfolgen. 45<br />
6. Darstellung der Ergebnisse<br />
Nach der Auswertung aller Transkriptionen hat sich schließlich die entscheidende Frage<br />
gestellt: Kann aufgrund der hier erhobenen Informationen festgestellt werden, dass sich<br />
die fraglichen Parteien bei ihren Kampagnenplanungen im Vorfeld der Landtagswahl 2005<br />
an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiert haben? In der folgenden Präsentation der Ergebnisse<br />
sollen nun die entscheidenden Antworten formuliert werden. Dazu soll zunächst in Kapitel<br />
6.1 und den dazu gehörenden Unterpunkten eine Einschätzung der Fälle auf der Basis der<br />
Interviewauswertungen hinsichtlich der Frage erfolgen, inwieweit eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
vorgelegen hat.<br />
Im Rahmen dieser Arbeit sind zur Interpretation in diesem Zusammenhang idealtypisch<br />
insgesamt drei Orientierungsmöglichkeiten unterschieden worden: 46 Entweder, so ist hier<br />
argumentiert worden, verhält sich eine Partei produktorientiert; ihr Angebot entspricht in<br />
diesem Fall den in den Parteistrukturen erarbeiteten und für gut befundenen Konzepten. In<br />
gewisser Weise ergänzend knüpft daran die Verkaufsorientierung an. Ziel ist es dabei,<br />
dem Wähler eine künstliche Bedürfnislage bezüglich <strong>des</strong> selbst entwickelten Angebotes zu<br />
suggerieren. Das Angebot entsteht produktorientiert, es werden aber professionelle Verkaufstechniken<br />
zur Vermarktung angewendet. Ferner besteht die Möglichkeit, dass sich<br />
eine Partei bereits bei der Gestaltung <strong>des</strong> Angebotes um die Befriedigung real existierender<br />
Wählererwartungen bemüht und zudem professionelle Verkaufstechniken einsetzt. So<br />
ist hier eine <strong>Marketing</strong>orientierung definiert worden. 47 Die folgende Beurteilung der hier<br />
betrachteten Fälle soll sich, soweit möglich, an diesem Muster orientieren und auf der Basis<br />
der Auswertungsprotokolle zu den Interviews eine Einschätzung liefern, welche Orientierungsform<br />
bei der Kampagnenplanung in der jeweiligen Partei vorgelegen hat. Bei der<br />
Auswertung ist grundsätzlich auch die Möglichkeit denkbar, dass eine Einschätzung hin-<br />
43 Vgl. Kapitel 6.1 <strong>Marketing</strong>orientierung? Die Einschätzung der betrachteten Fälle.<br />
44 Vgl. Kapitel 6.2 Die Beurteilungsdimensionen im Vergleich.<br />
45 Vgl. Kapitel 7 Diskussion der Ergebnisse.<br />
46 Vgl. Kapitel 1.3 <strong>Marketing</strong> in Parteien und das Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>.<br />
47 Vgl. dazu auch Lees-Marshment 2001a: 23f.
64<br />
sichtlich dieses Spektrums nicht machbar ist. Das trifft vor allem auf Indikatoren zu, die<br />
eine <strong>Marketing</strong>orientierung bestätigen oder negieren sollten, ohne dass dabei Informationen<br />
bezüglich der idealtypischen Alternativen eingeholt worden sind. 48 In diesem Fall soll,<br />
sofern entsprechende Angaben aus den Transkriptionen gezogen werden können, zwischen<br />
diesen beiden Möglichkeiten, <strong>Marketing</strong>orientierung - ja oder nein, unterschieden<br />
werden.<br />
6.1 <strong>Marketing</strong>orientierung? Die Einschätzung der betrachteten Fälle<br />
In den folgenden Unterpunkten wird eine zusammenfassende Bewertung der in den Interviews<br />
erhobenen Informationen hinsichtlich der Frage nach einer Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
bei der Planung der fraglichen Kampagnen dargelegt. Die Darstellungsreihenfolge<br />
der betrachteten Fälle entspricht dabei der zeitlichen Reihenfolge, in der die Interviews<br />
geführt worden sind. 49<br />
6.1.1 FDP NRW: „<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> ist eine Disziplin sui generis“<br />
Für die FDP NRW stand als Experte der Generalsekretär Christian Lindner Rede und Antwort.<br />
Der 26jährige Landtagsabgeordnete befindet sich nach eigenen Angaben in den letzten<br />
Zügen seines Studiums der Politikwissenschaft an der Universität Bonn. Die Auskünfte,<br />
die er im Rahmen <strong>des</strong> Interviews über die Vorgehensweise bei der Kampagnenplanung<br />
im Vorfeld der Landtagswahl 2005 preisgegeben hat, wurden hinsichtlich <strong>des</strong> hier zugrunde<br />
gelegten Messmodells insgesamt wie in Abbildung 25 dargestellt bewertet.<br />
<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> sei eine „Disziplin sui generis“ hat Christian Lindner im Interview<br />
erklärt. Man dürfe dem Volk zwar aufs Maul schauen, ihm aber nicht nach dem Mund<br />
reden, führte er weiter aus. Dem entsprechend gibt Lindner im Rahmen der Dimension<br />
„Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen“, die sich vor allem mit der bewussten Bedeutungszuweisung<br />
zum <strong>Marketing</strong>konzept beschäftigt hat, ein recht kritisches Urteil ab: Man könne<br />
gewisse Dinge übernehmen, andere sicher nicht. Seine Einschätzungen bezüglich der<br />
Bedeutung von <strong>Marketing</strong> bei der Kampagnenplanung in seiner Partei sind hier mit den<br />
Idealtypen der Produkt- bis Verkaufsorientierung bewertet worden.<br />
Bei der Betrachtung der impliziten Dimensionen eins bis fünf der FDP-NRW-Auswertung<br />
entsteht jedoch ein anderes Bild: Die Kommunikationspolitik wurde als durchaus „marketingorientiert“<br />
interpretiert - hier fielen Worte wie „Alleinstellungsmerkmale“ und „Targeting“<br />
besonders ins Gewicht. Bei der Themenauswahl ist für die FDP NRW eine gewisse<br />
Tendenz zur Verkaufsorientierung festgestellt worden - die Themen wurden von der Partei<br />
selbst entwickelt, und man hat sich dann um optimale Verkaufsmaßnahmen bemüht. Hin-<br />
48 Vgl. bspw. Indikator „Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges“ der Dimension Distributionspolitik (Kapitel 5.1.4).<br />
49 Die Auswertungsprotokolle, die diesen Bewertungen zugrunde liegen, befinden sich in gleicher Reihenfolge<br />
im Anhang der Arbeit.
65<br />
sichtlich der Dimension „Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten“ ist im<br />
Rahmen der in Abbildung 25 dargestellten Beurteilung eine Zweiteilung vorgenommen<br />
worden. Hier soll dargestellt werden, dass sich in Bezug auf zwei verschiedene Indikatoren<br />
zwei verschiedene Orientierungsmuster gezeigt haben, so dass hinsichtlich dieser Dimension<br />
kein einheitliches Urteil getroffen werden konnte. Die Auswahl <strong>des</strong> Spitzenkandidaten,<br />
für die Lindner eine Vorgehensweise beschrieben hat, die am ehesten mit dem<br />
Idealtyp der Produktorientierung verglichen werden kann, ist insofern eine Besonderheit<br />
in der Fallbetrachtung „FDP NRW“. Für die Dimensionen „Distributionspolitik“ und<br />
„Segmentierung und Targeting“ wurde dann erneut eine implizite <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
vermutet. Hier wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass Lindner klar zu erkennen<br />
gab, dass regional individuellen Handlungsempfehlungen, der Erfolgskontrolle sowie der<br />
Zielgruppenbildung und verschiedenen Targeting-Maßnahmen eine überaus große Bedeutung<br />
beigemessen worden ist.<br />
Abb. 25: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung der FDP NRW im Vorfeld der<br />
Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Die Selbsteinschätzung Lindners in Bezug auf die explizite Dimension „Stellenwert von<br />
<strong>Marketing</strong>prämissen“ überrascht vor diesem Hintergrund, weil sie sich sehr deutlich von<br />
den impliziten Beurteilungen unterscheidet. Eine mögliche Ursache dafür könnte in der<br />
Bedeutungszuweisung zum <strong>Marketing</strong>begriff liegen. Aus dem Interview mit Lindner geht<br />
letztlich nicht klar hervor, ob er zwischen der hier angewendeten Dreiteilung (Produkt-,<br />
Verkaufs- oder <strong>Marketing</strong>orientierung) oder nur zwischen zwei Polen, nämlich Produktoder<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung, unterscheidet. Diese Frage kann abschließend nicht klar be-
66<br />
antwortet werden. Es kann jedoch auf Basis <strong>des</strong> Auswertungsprotokolls gesagt werden,<br />
dass hinsichtlich drei von sechs Bewertungsdimensionen eine <strong>Marketing</strong>orientierung vermutet<br />
worden ist. Alle drei Dimensionen gehörten zu den impliziten Dimensionen (vgl.<br />
Abb. 12). Bezüglich der anderen beiden impliziten Dimensionen konnten ebenfalls Anhaltspunkte<br />
für eine <strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt werden.<br />
Allein aufgrund der zahlenmäßigen Dominanz der impliziten Dimensionen eins bis fünf<br />
muss das Beurteilungsfazit bezüglich der Fallbetrachtung „FDP NRW“ somit wie folgt<br />
ausfallen: Eine gewisse <strong>Marketing</strong>orientierung ist hinsichtlich vieler Indikatoren klar erkennbar<br />
geworden, allerdings gab es auch Hinweise, die eher einer Verkaufsorientierung<br />
zusprechend interpretiert worden sind. Dem Idealtyp der Produktorientierung wird die<br />
FDP NRW, sieht man von der Auswahl <strong>des</strong> Spitzenkandidaten einmal ab, insgesamt eher<br />
nicht gerecht. Dass die explizite Einschätzung durch Lindner schließlich anders ausfällt als<br />
die hier angeführte Beurteilung der impliziten Dimensionen, bleibt dennoch abschließend<br />
festzuhalten.<br />
Für die im Rahmen dieses Vorhabens zu überprüfende These „Parteien agierten marketingorientiert“<br />
kann somit abschließend hinsichtlich <strong>des</strong> vorliegenden Falles eine tendenzielle<br />
Bestätigung der These festgestellt werden, obgleich es allerdings auch deutliche<br />
Hinweise gibt, die eher dem Idealtyp einer Verkaufsorientierung entsprechen. Ein eindeutiges<br />
Urteil bezüglich der Frage, ob die FDP NRW bei der fraglichen Kampagnenplanung<br />
marketingorientiert verfahren ist oder nicht, soll der partiellen Uneindeutigkeit hinsichtlich<br />
der Abgrenzung zum Idealtyp der Verkaufsorientierung hier nicht vorgenommen werden.<br />
Für die FDP NRW soll vielmehr abschließend ein verkaufs- bis marketingorientiertes<br />
Vorgehen diagnostiziert werden.<br />
6.1.2 CDU NRW: „Dienstleistungsunternehmen mit Verfassungsauftrag“<br />
Hans-Joachim Reck, ehemaliger Geschäftsführer <strong>des</strong> CDU-Bun<strong>des</strong>verban<strong>des</strong>, Rechtsanwalt<br />
und Mitglied <strong>des</strong> nordrheinwestfälischen Landtages arbeitete zunächst für die Telekom<br />
AG, wo er zwischen 2001 und 2003 die Position <strong>des</strong> Leiters Zentralbereich Konzernsteuerung<br />
und Vertriebskontakte bekleidete. 2003 wechselte er dann auf die hauptamtliche<br />
Position <strong>des</strong> Generalsekretärs der CDU NRW, in deren Rahmen er sich auch für ein<br />
Interview hinsichtlich <strong>des</strong> vorliegenden Forschungsvorhabens bereit erklärt hat. Als<br />
„Dienstleistungsunternehmen mit Verfassungsauftrag“ hat er im Interview seine Partei<br />
charakterisiert und dabei angegeben, eine <strong>Marketing</strong>orientierung für völlig legitim, demokratiezuträglich<br />
und im Sinne einer professionellen Kampagnenführung für absolut notwendig<br />
zu halten. Die Kampagne vor der Landtagswahl 2005 habe er nicht verwaltet, sondern<br />
gemanagt. Insgesamt ist die Transkription <strong>des</strong> autorisierten Interviews mit Hans-<br />
Joachim Reck gemäß <strong>des</strong> in Abbildung 26Abb. 26 dargestellten Schemas ausgewertet<br />
worden. Die Abbildung zeigt, dass hinsichtlich aller Bewertungsdimensionen eine <strong>Marketing</strong>orientierung,<br />
in einem Fall eine tendenzielle <strong>Marketing</strong>orientierung, festgestellt worden<br />
ist.
67<br />
Abb. 26: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung der CDU NRW im Vorfeld der<br />
Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Bei der Dimension „Kommunikationspolitik“ konnte ein dem <strong>Marketing</strong>konzept zusprechen<strong>des</strong><br />
Fazit gezogen werden, weil Reck angab, dass man bei der Planung der hier fokussierten<br />
Kampagne in vielerlei Hinsicht „professionell“ vorgegangen sei. Dem Planungsprozess<br />
habe eine intensive Recherche der Befindlichkeiten in der Bevölkerung zugrunde<br />
gelegen. Reck hat in seinen Antworten ohne ein entsprechen<strong>des</strong> Stichwort der Interviewerin<br />
vom Einsatz von <strong>Marketing</strong>instrumenten gesprochen, was das hier getroffene Fazit<br />
zusätzlich stützen könnte. In seinen Antworten, die den drei folgenden Dimensionen,<br />
„Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei“, „Produktpolitik<br />
mit Fokus auf den Spitzenkandidaten“ und „Distributionspolitik“, zugeordnet<br />
worden sind, argumentiert Reck analog: Er gibt an, dass man sich bei der Themenauswahl<br />
und der Positionierung an der Erwartungshaltung der Wählerschaft orientiert und diesbezüglich<br />
intensive Recherchen betrieben habe, und führt aus, dass man auch hinsichtlich<br />
der Entwicklung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten einen demoskopiegestützten Rechercheprozess<br />
zugrunde gelegt und ferner auf Beraterleistungen zurückgegriffen habe, um eine optimale<br />
Präsenz <strong>des</strong> Kandidaten zu erreichen. In den Beurteilungsbereich der Distributionspolitik<br />
fiel, einer <strong>Marketing</strong>orientierung zusprechend, vor allem die Tatsache ins Gewicht, dass<br />
Reck eine ebenfalls demoskopiegestützte, regional individuelle Vorgehensweise ausführte,<br />
so dass bezüglich der Dimensionen zwei bis vier hier insgesamt eine Orientierung an<br />
<strong>Marketing</strong>prämissen gefolgert worden ist.<br />
Betrachtet man die Eindeutigkeit der hier getroffenen Dimensionsbewertungen, ist es<br />
schon bemerkenswert, dass Reck, der in seinen Antworten durchgehend konform mit dem<br />
<strong>Marketing</strong>konzept gegangen ist, ausgerechnet hinsichtlich der Dimension „Segmentierung
68<br />
und Targeting“ von der im Rahmen dieser Arbeit als idealtypisch skizzierten Form einer<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung abgewichen ist. In Anlehnung an die zentralen Autoren zum Thema<br />
ist hier argumentiert worden, dass der Segmentierungs- und Targetingprozess die zentrale<br />
Komponente einer <strong>Marketing</strong>orientierung ist. Zwei Interpretationsmöglichkeiten sind<br />
hier denkbar: Die erste Möglichkeit ist, dass es aus Sicht der CDU NRW absolut sinnvoll<br />
erschienen ist, in allen Segmenten mit denselben Themen aufzutreten. Gestützt wird die<br />
Vermutung, dass die CDU NRW tatsächlich zielgruppenorientiert handelte, beispielsweise<br />
auch durch Recks Ausführungen bezüglich der Gruppe der über 50Jährigen und der Tatsache,<br />
dass er angab, Adressenmaterial käuflich erworben zu haben. Was in dieses Bild nicht<br />
ohne weiteres passt, ist Recks Hinweis, dass es einer Zielgruppenkampagne nicht bedurft<br />
habe. Hier greift eher die zweite mögliche Interpretationsweise, bei der der im Rahmen<br />
dieser Arbeit skizzierte Idealtyp einer <strong>Marketing</strong>orientierung mit der zentralen Komponente<br />
„Segmentierung und Targeting“ infrage zu stellen wäre. Es besteht ja durchaus die<br />
Möglichkeit, dass dieser Prozessbestandteil in der Praxis nicht immer die ihm in der Literatur<br />
zugeschriebene zentrale Rolle spielt. Die Forschungsergebnisse von Baines, Plasser<br />
und Scheucher (1999) würden für diese Vermutung sprechen. 50 Wie der hier zutage<br />
tretende Sachverhalt letztlich zu bewerten ist, kann abschließend nicht aufgelöst werden,<br />
was umso mehr dafür spricht, ihn als recht bemerkenswerten Faktor, der weiterer Forschung<br />
bedürfte, festzuhalten.<br />
Die bewusste Bedeutungszuweisung zum <strong>Marketing</strong>konzept, die im Rahmen der Antworten<br />
zur sechsten, expliziten Dimension „Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen“ erfolgt ist,<br />
wurde schließlich analog zu den Beurteilungen der impliziten Dimensionen als expliziter<br />
Hinweis auf eine deutliche <strong>Marketing</strong>orientierung bewertet. Reck hat in diesem Zusammenhang<br />
unmissverständlich erklärt, diese Vorgehensweise für legitim, demokratiefördernd<br />
und im Sinne moderner Kampagnenführung auch für absolut notwendig zu halten.<br />
Das Bild, das hier von der Kampagnenplanung in der CDU NRW gezeichnet werden<br />
konnte, kommt somit insgesamt dem im Rahmen dieser Arbeit definierten Ideal einer marketingorientierten<br />
Vorgehensweise bei der Planung einer Wahlkampagne ausgesprochen<br />
nah und bestätigt die hier zu überprüfende These „Parteien agieren marketingorientiert“<br />
recht deutlich.<br />
6.1.3 Grüne NRW: <strong>Marketing</strong>? „So würden wir nicht operieren“<br />
Sabine Brauer, die Politische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen NRW, hat an<br />
der Duisburger Universität Sozialwissenschaften mit politikwissenschaftlichem Schwerpunkt<br />
studiert und ihr Studium im Jahr 2000 mit dem Diplom abgeschlossen. Kurze Zeit<br />
später wurde sie als Politische Geschäftsführerin, einer hauptamtlichen Tätigkeit, in den<br />
Lan<strong>des</strong>vorstand ihrer Partei gewählt. Im Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Forschungsvorhabens<br />
50 Baines, Plasser und Scheucher (1999) konnten zeigen, dass im Gegensatz zu amerikanischen Parteien,<br />
wo <strong>Marketing</strong> vor allem in Bezug auf Segmentierung für eine konkrete Kampagne von Bedeutung ist, in<br />
europäischen Parteien eher als langfristige strategische Komponente verstanden wird.
69<br />
stand sie aufgrund dieser Position als Expertin für die Kampagnenplanung bei Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW zur Verfügung. Als einzige der hier Interviewten ist sie nicht gleichzeitig<br />
Mitglied der Landtagsfraktion ihrer Partei.<br />
Abb. 27: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung bei Bündnis 90/Die Grünen NRW<br />
im Vorfeld der Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
<strong>Marketing</strong> sei der Grünen Tradition entsprechend ein „I-Wort“, erklärte Sabine Brauer im<br />
Interview überzeugt. Weitere Nachfragen dazu wies sie gezielt von der Hand: <strong>Marketing</strong><br />
sei ihr zu anbiedernd, den Auftrag ihrer Wählerschaft verstehe sie anders. Entsprechend<br />
fiel die Auswertung der von ihr autorisierten Interviewtranskription aus (vgl. Abb. 27):<br />
Von einer <strong>Marketing</strong>orientierung bei der Planung der fraglichen Wahlkampagne kann auf<br />
der Basis <strong>des</strong>sen, was Brauer im Rahmen <strong>des</strong> Interviews preisgegeben hat, in der Tat nicht<br />
gesprochen werden.<br />
Bezüglich der einzelnen Dimensionen ist in vier von sechs Fällen geschlossen worden,<br />
dass das zugrunde liegende Orientierungsmuster am ehesten mit den Idealtypen der Produkt-<br />
und der Verkaufsorientierung charakterisiert werden kann. In allen vier Fällen sind<br />
die Hinweise auf eine <strong>Marketing</strong>orientierung so dünn bis gar nicht vorhanden, dass eine<br />
maßgebliche Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen insgesamt sehr sicher ausgeschlossen<br />
werden konnte. Die Entscheidung, hier mit den beiden idealtypischen Alternativen Produktorientierung<br />
und Verkaufsorientierung zu argumentieren, findet ihre Begründung über<br />
alle Dimensionen hinweg vor allem in der Tatsache, dass die ausschließlich parteiintern<br />
besetzte Wahlkampfkommission eine sehr wichtige Rolle bei allen zentralen Entscheidungen<br />
gespielt hat und es gleichzeitig eine geringe Bedeutungsbeimessung zu Recherchemaßnahmen<br />
gegeben zu haben scheint. Dahingehend ist vor allem der produktorientierten
70<br />
Herangehensweise entsprochen worden. Dass letztlich aber auch eine Fülle einzelner<br />
Maßnahmen erkennbar wird, die auf eine professionalisierte Verkaufsförderung hinweisen,<br />
wird in der verkaufsorientierten Verortung festgehalten.<br />
Hinsichtlich der Dimension „Segmentierung und Targeting“, die bei einer rein produktorientierten<br />
Herangehensweise keine Rolle spielen dürfte, wurde entsprechend einer vordergründig<br />
verkaufsorientierten Herangehensweise geurteilt. Die explizite Bedeutungszuweisung<br />
im Rahmen der letzten Dimension bestätigt schließlich, was hinsichtlich der impliziten<br />
Dimensionen eins bis fünf bereits vermutet worden ist, so dass hier abschließend das<br />
Fazit einer Verkaufsorientierung mit gewissen Tendenzen zur Produktorientierung gezogen<br />
werden kann. Die hier zugrunde liegenden Informationen geben wenig Anlass, die<br />
These der <strong>Marketing</strong>orientierung bestätigt zu sehen, liefern allerdings zahlreiche Anhaltspunkte,<br />
die dagegen sprechen.<br />
6.1.4 SPD NRW: „Die Herausforderung ist, die richtige Mischung zu finden“<br />
Michael Groschek absolvierte bis 1984 ein Studium der Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften<br />
an der Essener Universität und war seit dieser Zeit in vielen politischen<br />
Funktionen und zudem zeitweilig auch in der Immobilienbranche tätig. Den Posten<br />
<strong>des</strong> Generalsekretärs der SPD NRW, aufgrund <strong>des</strong>sen er um ein Interview im Rahmen<br />
dieser Arbeit gebeten worden ist, hat er seit dem Jahr 2002 inne. Wie seine Kollegen in<br />
FDP NRW und CDU NRW hat auch er ein Landtagsmandat.<br />
Der SPD NRW sei es vor allem darum gegangen, die richtige Mischung zu finden, fasst<br />
Groschek gegen Ende <strong>des</strong> Interviews charakterisierend seine Ausführungen zusammen.<br />
Zuvor hatte er diverse Faktoren genannt, die die These einer <strong>Marketing</strong>orientierung stützen<br />
(vgl. Abb. 28). Für die Dimension der „Kommunikationspolitik“ wurde im Fazit eine<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung vermutet, weil Groschek strategische Kommunikationsziele nannte,<br />
in die sowohl inhaltliche als auch situative und organisatorische Aspekte einbezogen worden<br />
sind, woraus geschlossen worden ist, dass es diesbezüglich einen strategischen Planungsprozess<br />
gegeben hat. Ferner beschrieb Groschek eine intensive Zusammenarbeit mit<br />
Beratungsdienstleistern sowohl auf der konzeptionellen als auch auf der operativen Ebene,<br />
was hier als im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung charakteristischen, ausführlichen<br />
Recherche interpretiert worden ist. In den folgenden zwei Dimensionen, die produktpolitische<br />
Aspekte der Kampagnenplanung fokussieren und für die ebenfalls das Resümee einer<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung gezogen worden ist, führte Groschek weiter aus, dass es eine intensive<br />
Zusammenarbeit mit Meinungsforschungsinstituten gegeben habe und zentrale Parameter,<br />
so zum Beispiel die zentrale Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten in der Kampagne, aufgrund<br />
demoskopischer Ergebnisse getroffen worden seien.<br />
Für die Dimension „Distributionspolitik“ ist die Beurteilung differenzierter ausgefallen:<br />
Gewisse Tendenzen einer <strong>Marketing</strong>orientierung sind hier vor allem daran festgemacht<br />
worden, dass Groschek angab, dass sein Lan<strong>des</strong>verband eine Servicefunktion für die
71<br />
strukturell untergeordneten Parteigliederungen übernommen und in diesem Zusammenhang<br />
auch Daten für die Wahlkampfplanung vor Ort zur Verfügung gestellt habe. Für den<br />
Idealtyp einer Verkaufsorientierung hat in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache<br />
gesprochen, dass Groschek erklärte, dass man das Kampagnenbudget vor allem nach eigenen<br />
Erfahrungswerten verteilt habe, was hier am ehesten als repräsentiert in der Dualität<br />
<strong>des</strong> Idealtyps der Verkaufsorientierung angesehen worden ist, weil dort Elemente der <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
(auf der Verkaufsseite) und der Produktorientierung (auf der Entwicklungsseite)<br />
enthalten sind. Auch führte Groschek aus, dass es keine konzertierten Maßnahmen<br />
zur Erfolgskontrolle gegeben habe, was ebenfalls gegen eine reine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
spricht.<br />
Abb. 28: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung der SPD NRW im Vorfeld der<br />
Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Für die Dimension „Segmentierung und Targeting“ ist in<strong>des</strong> erneut ein Fazit gezogen worden,<br />
das die These einer <strong>Marketing</strong>orientierung stützt. Hier fiel vor allem die Tatsache ins<br />
Gewicht, dass Groschek diverse Segmentierungs- und Targeting-Maßnahmen benannt hat.<br />
Bezüglich der bewussten Bedeutungszuweisung im Zusammenhang mit den Antworten<br />
aus dem Interview, die der expliziten Dimension „Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen“<br />
zugeordnet worden sind, ist schließlich festgestellt worden, dass die Ausführungen Groscheks<br />
eher nicht im Sinne einer <strong>Marketing</strong>orientierung interpretiert werden können. Hier<br />
fiel vor allem ins Gewicht, dass Groschek den Idealtyp der <strong>Marketing</strong>orientierung vor<br />
allem auf die NRW-Lan<strong>des</strong>verbände von CDU und FDP bezogen hat, nicht aber auf die<br />
eigene Vorgehensweise. Unter Berücksichtigung <strong>des</strong> zuvor Gesagten wurde geschlossen,<br />
dass es sich insgesamt am wenigsten um eine Produktorientierung, aber auch eher nicht
72<br />
um eine <strong>Marketing</strong>orientierung handelt, so dass letztlich die Diagnose einer Verkaufsorientierung<br />
erwogen worden ist.<br />
Insgesamt ist somit für die Kampagnenplanung in der SPD NRW eine Vorgehensweise<br />
festgestellt worden, die sich in weiten Teilen durchaus mit dem Idealtyp der <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
interpretieren lässt. Hinsichtlich der impliziten Dimension „Distributionspolitik“<br />
ist diese Diagnose in Richtung einer Verkaufsorientierung relativiert worden. Bemerkenswert<br />
ist in diesem Zusammenhang die bewusste Bedeutungsbeimessung zum <strong>Marketing</strong>konzept,<br />
das von Groschek zwar grundsätzlich als legitim eingestuft, in der Anwendung<br />
aber vor allem auf CDU NRW und FDP NRW bezogen worden ist und nicht auf die eigene<br />
Vorgehensweise. Hier ist das Fazit einer primär verkaufsorientierten Selbsteinschätzung<br />
gezogen worden. Bezüglich der hier zu untersuchenden Fragestellung kann somit<br />
abschließend für die Kampagnenplanung der SPD NRW im Vorfeld der Landtagswahl<br />
2005 gefolgert werden, dass es eine deutliche Tendenz zu marketingorientierten Handlungsweisen<br />
gegeben zu haben scheint, die letztlich aber vor allem bei der bewussten Bedeutungszuweisung<br />
nicht postuliert worden sind, so dass sich für die hier zu betrachtende<br />
These „Parteien agieren marketingorientiert“ zwar kein klarer Widerspruch ergibt, andererseits<br />
von einer bewussten Anwendung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes als Managementstrategie<br />
auch nicht gesprochen werden kann.<br />
6.2 Die Beurteilungsdimensionen im Vergleich<br />
Beim Lesen der Interviewtranskriptionen wird deutlich, dass sich die für die Auswertung<br />
zugrunde gelegten Informationen in vielfacher Hinsicht unterscheiden. Zum einen - es<br />
handelte sich ja nicht um eine Vollerhebung - wurden häufig Beispiele angeführt, um<br />
Kontexte zu verdeutlichen, deren Bezug sich von Interview zu Interview sehr stark unterschieden<br />
hat. Zum anderen wurden die gestellten Fragen von den Experten unterschiedlich<br />
ausgelegt und beantwortet. Einer unmittelbaren Vergleichbarkeit stand ferner die bereits in<br />
Kapitel 3 angedeutete Unterschiedlichkeit der hier betrachteten Parteien - zum Beispiel<br />
hinsichtlich ihrer Größe, ihrer Ressourcen oder ihrer ideologischen Orientierung - im<br />
Weg. Um diese Einschränkungen weitestgehend auszuschließen, ist hier eine Verfahrensweise<br />
verfolgt worden, bei der je<strong>des</strong> Interview einzeln betrachtet und hinsichtlich der definierten<br />
Dimensionen beurteilt worden ist. Dabei wurde in Bezug auf die im Rahmen dieser<br />
Arbeit definierten Idealtypen für jede Dimension ein Fazit gezogen, was in den folgenden<br />
Unterpunkten eine Vergleichbarkeit der Fälle hinsichtlich der Dimensionen trotz aller<br />
Unterschiedlichkeiten ermöglichen soll. Die Dimensionen werden im Folgenden in der<br />
Reihenfolge, in der sie in den Gesprächsverläufen angesprochen worden sind, betrachtet.<br />
Dabei soll am Rande auch eine abschließende Begutachtung der zugrunde gelegten Indikatoren<br />
erfolgen.
73<br />
6.2.1 Kommunikationspolitik<br />
Die der Dimension „Kommunikationspolitik“ zugeordneten Antworten sind auf der Basis<br />
folgender Indikatoren bewertet worden: „Ziele der Kampagnenkommunikation“, „<strong>Relevanz</strong><br />
von Beratung“ und „Formulierung der Slogans“. Während die ersten beiden Indikatoren<br />
auf zentrale Merkmale <strong>des</strong> gesamten Planungsprozesses anspielen, beleuchtet der<br />
auf die Slogans bezogene Indikator einen bestimmten Ausschnitt <strong>des</strong> Planungsprozesses,<br />
der hier exemplarisch betrachtet worden ist, weil er im Rahmen einer idealtypischen <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
als besonders zentral erachtet worden ist. Bei der Auswertung erwiesen<br />
sich alle drei Indikatoren als aussagekräftig, so dass hinsichtlich der vorliegenden Dimension<br />
in allen Fällen ein klares Fazit gezogen werden konnte.<br />
Abb. 29: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Kommunikationspolitik“. Quelle:<br />
Eigene Darstellung.<br />
Dabei ist bei den NRW-Lan<strong>des</strong>verbänden von FDP, CDU und SPD gleichermaßen eine<br />
implizite <strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt worden (vgl. Abb. 29). Die Interviewpartner<br />
aus den drei Parteien gaben hier übereinstimmend an, übergeordnete Kommunikationsziele<br />
im Rahmen der Kampagnenplanung definiert, Beraterleistungen in Anspruch genommen<br />
und Slogans an Fokusgruppen getestet zu haben. Für die Kampagnenplanung bei<br />
Bündnis 90/Die Grünen NRW wurde auf Basis <strong>des</strong> hier ausgewerteten Interviews in<strong>des</strong><br />
gefolgert, dass keine <strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt werden kann, weil die Interviewpartnerin<br />
hinsichtlich aller Indikatoren von den idealtypischen Erwartungen an eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
abgewichen ist. Für die Kampagnenplanung bei Bündnis 90/Die Grünen<br />
NRW wurde hinsichtlich der vorliegenden Dimension statt<strong>des</strong>sen eine produkt- bis<br />
verkaufsorientierte Vorgehensweise diagnostiziert. Bezogen auf die zu untersuchende<br />
Fragestellung kann somit festgehalten werden, dass hinsichtlich der hier betrachteten<br />
kommunikationspolitischen Elemente der Kampagnenplanungen in drei Fällen eine implizite<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt worden ist, während dies im vierten Fall sicher<br />
ausgeschlossen werden konnte.
74<br />
6.2.2 Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl u. Positionierung der Partei<br />
Die zweite implizite Dimension, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit im Fokus der<br />
Betrachtung gestanden hat, bezog sich auf die Themenauswahl und den Positionierungsprozess<br />
in den Parteien. Hier wurden die aus den Interviews zugeordneten Antworten<br />
ebenfalls anhand von drei Indikatoren ausgewertet: „Auswahl der Themen und Anbieterverhalten“,<br />
„Orientierung an Gegnern“ und „Orientierung an Wählererwartungen“. Insgesamt<br />
konnten so für alle Fälle Einschätzungen erfolgen, die sich im Ergebnis allerdings<br />
im Vergleich mit der ersten Dimension von Fall zu Fall stärker unterscheiden.<br />
Abb. 30: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Produktpolitik mit Fokus auf die<br />
Themenauswahl und Positionierung der Partei.“ Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Christian Lindner gab für die Themenauswahl bei der Kampagnenplanung der FDP NRW<br />
an, dass man eigene Themenpräferenzen aus der Partei mit der Erwartungshaltung der<br />
potentiellen Wählerschaft abgeglichen habe. Hans-Joachim Reck beschrieb für die CDU<br />
NRW, dass vor allem die Erwartungshaltung in der Wählerschaft ausschlaggebend für die<br />
Themenwahl gewesen sei. Beide, Lindner und Reck, gaben an, sich auch an politischen<br />
Gegnern orientiert zu haben. Auch Michael Groschek erklärte für die Kampagnenplanung<br />
in der SPD NRW einen hohen Stellenwert der Erwartungshaltungen der eigenen Wählerschaft<br />
und eine Orientierung am Gegner. Im Interview, das die Interpretationsgrundlage<br />
für Bündnis 90/Die Grünen NRW dargestellt hat, wurde in<strong>des</strong> auch für diese Dimension<br />
festgestellt, dass von einer <strong>Marketing</strong>orientierung nicht gesprochen werden kann, so dass<br />
sich insgesamt in Bezug auf die vorliegende Dimension das in Abbildung 30 dargestellte<br />
Bild ergibt. Produkt- bis verkaufsorientiert sind hier Bündnis 90/Die Grünen NRW eingeschätzt<br />
worden, während für die FDP NRW eine verkaufs- bis marketingorientierte<br />
Herangehensweise und für CDU NRW und SPD NRW schließlich eine implizite <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
festgestellt worden ist. Hinsichtlich der zu untersuchenden Fragestellung<br />
kann somit abschließend für diese Dimension festgehalten werden, dass in zwei Fällen<br />
von einer impliziten <strong>Marketing</strong>orientierung, in einem Fall von einer tendenziellen<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung und im vierten Fall erneut ganz sicher nicht von einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
gesprochen werden kann, was letztlich erneut nicht für die grundsätzliche
75<br />
These „Parteien agieren bei der Planung ihrer Wahlkampagnen marketingorientiert“<br />
spricht.<br />
6.2.3 Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Für die dritte implizite Dimension, die insbesondere den Stellenwert und die Entwicklung<br />
<strong>des</strong> Spitzenkandidaten in Betracht genommen hat, wurden erneut drei Indikatoren zu Bewertungszwecken<br />
zugrunde gelegt: Hier ging es um die „Auswahl <strong>des</strong> Spitzenkandidaten“,<br />
die „Entwicklung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten“ und die „<strong>Relevanz</strong> von Recherchemaßnahmen“<br />
in diesem Kontext. Vor allem bezüglich <strong>des</strong> ersten Indikators, „Auswahl <strong>des</strong><br />
Spitzenkandidaten“ muss nach der Auswertung einschränkend festgestellt werden, dass<br />
hier bereits strukturelle Gründe gegen eine rein marketingorientierte Herangehensweise<br />
gesprochen haben. Es ist im politischen System der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland ja nicht<br />
wirklich zu erwarten, dass eine Parteiführung einen Kandidaten aus rein marketingstrategischen<br />
Gründen auswählt. In allen betrachteten Parteien, auch in der CDU NRW, wo für<br />
die vorliegende Dimension insgesamt dennoch eine <strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt<br />
worden ist, muss bezüglich der Kandidatenauswahl eher ein produktorientiertes Vorgehen<br />
diagnostiziert werden. Weil die Aussagefähigkeit <strong>des</strong> ersten Indikators im Nachhinein als<br />
fragwürdig eingeschätzt worden ist, erfolgten die Einschätzungen der betrachteten Fälle<br />
bezüglich der Dimension „Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten“ (vgl.<br />
Abb. 31) somit vor allem auf der Basis der anderen beiden Indikatoren. Für diese Vorgehensweise<br />
sprach ferner auch die Tatsache, dass für die SPD NRW dem fraglichen Indikator<br />
erst gar keine Informationen aus dem Interview mit Michael Groschek zugeordnet<br />
werden konnten.<br />
Abb. 31: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Produktpolitik mit Fokus auf den<br />
Spitzenkandidaten“. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Klammert man den Indikator „Auswahl <strong>des</strong> Spitzenkandidaten“, der in der Abbildung 31<br />
im Fall der FDP NRW ohnehin gesondert aufgeführt worden ist, aus, ergibt sich für die
76<br />
vorliegende Dimension insgesamt folgen<strong>des</strong> Bild: Erneut konnte für Bündnis 90/Die Grünen<br />
NRW festgestellt werden, dass von einer <strong>Marketing</strong>orientierung nicht ausgegangen<br />
werden kann, während im Fall der NRW-Lan<strong>des</strong>verbände von FDP, CDU und SPD<br />
Schlussfolgerungen im Sinne einer <strong>Marketing</strong>orientierung gezogen worden sind. Die<br />
Auswahl <strong>des</strong> Spitzenkandidaten ist in allen vier Fällen produktorientiert verlaufen, hier<br />
darf also zumin<strong>des</strong>t für den deutschen Kontext vermutet werden, dass dort eine „natürliche<br />
Grenze“ der Durchsetzbarkeit <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes zu verlaufen scheint. Für die zu<br />
untersuchende Fragestellung kann somit insgesamt festgehalten werden, dass sich erneut<br />
ein Bild ergibt, in dem in drei Fällen für und in einem Fall gegen eine implizite <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
votiert worden ist.<br />
6.2.4 Distributionspolitik<br />
Für die marketingstrategisch äußerst interessante Dimension der Distributionspolitik sind<br />
erneut drei Indikatoren zugrunde gelegt worden: Gesichtspunkte für die „Verteilung <strong>des</strong><br />
Budgets“, die „Unterstützung der lokalen Parteieinheiten“ und die „Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges“<br />
standen dabei im Zentrum der Betrachtungen. Im Rahmen <strong>des</strong> Auswertungsprozesses<br />
erwiesen sich alle Indikatoren als aussagekräftig, so dass in Bezug auf die vorliegende<br />
Dimension erneut klare Einschätzungen erfolgen konnten (vgl. Abb. 32).<br />
Für Bündnis 90/Die Grünen NRW wurde dabei wiederholt klar erkennbar, dass von einer<br />
impliziten <strong>Marketing</strong>orientierung nicht gesprochen werden kann. Von der interviewten<br />
Expertin wurde in diesem Zusammenhang zum einen die starke Autonomie der Kreisverbände<br />
als auch die Konzentration von relevanten Entscheidungen auf die parteiinterne<br />
Wahlkampfkommission betont. Bei der SPD NRW ist in<strong>des</strong> insgesamt eine verkaufs- bis<br />
marketingorientierte Herangehensweise festgestellt worden. Für eine Verkaufsorientierung<br />
hat in diesem Zusammenhang vor allem die von Generalsekretär Michael Groschek betonte<br />
große Bedeutung eigener Schwerpunktsetzungen gesprochen, während eine tendenzielle<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung vor allem damit begründet worden ist, dass Groschek klare Maßnahmen<br />
zur regional individuellen Unterstützung der lokalen Parteigliederungen genannt<br />
hat. Die NRW-Lan<strong>des</strong>verbände von CDU und FDP sind hinsichtlich der vorliegenden<br />
Dimension erneut als marketingorientiert eingeschätzt worden.<br />
Bemerkenswert ist hinsichtlich dieser Dimension vor allem, dass mit Ausnahme von der<br />
FDP NRW der Erfolgskontrolle in allen Parteien eine verhältnismäßig geringe Bedeutung<br />
beigemessen worden ist. Im Fall von Bündnis 90/Die Grünen NRW, wo insbesondere mit<br />
mangelnden Ressourcen und dem generellen Mangel an methodischen Möglichkeiten argumentiert<br />
worden ist, handelt es sich dabei nicht um eine außergewöhnliche Feststellung.<br />
Bezüglich der beiden „großen“ Parteien jedoch, bei denen die nötigen Ressourcen vermutlich<br />
durchaus hätten bereitgestellt werden können, überrascht die geringe Bedeutungsbeimessung<br />
in diesem Bereich umso mehr.
77<br />
Abb. 32: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Distributionspolitik“. Quelle: Eigene<br />
Darstellung.<br />
Für die hier zu untersuchende These muss somit insgesamt erneut ein differenziertes Bild<br />
nach bekanntem Muster gezeichnet werden. Drei Fälle, die Betrachtungen von CDU<br />
NRW, SPD NRW und FDP NRW wurden als „tendenziell marketingorientiert“ bis „marketingorientiert“<br />
eingeschätzt, während im Fall von Bündnis 90/Die Grünen NRW erneut<br />
eine nicht marketingorientierte Herangehensweise festgestellt worden ist, was der hier zu<br />
betrachtenden These erneut widerspricht.<br />
6.2.5 Segmentierung und Targeting<br />
Bezüglich dieser letzten impliziten Dimension - Segmentierung und Targeting - wurden<br />
für die Begutachtung der hier zugeordneten Antworten schließlich vier Indikatoren herangezogen,<br />
die sich ausschließlich im Kontext einer Verkaufsorientierung oder <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
bestätigen dürften: 51 Zunächst ging es um die grundsätzliche Frage nach der<br />
Bildung von Zielgruppen und im weiteren um Prämissen für die gezielte Ansprache einzelner<br />
Segmente, dann um die Art der zugrunde gelegten Informationen und zuletzt um<br />
die grundsätzliche <strong>Relevanz</strong>beurteilung dieses Prozesses. Indikator zwei und drei waren<br />
insofern in Abhängigkeit vom ersten Indikator zu sehen, als das - falls in einem Interview<br />
bezüglich <strong>des</strong> ersten Indikators grundsätzlich verneint worden wäre, dass es Zielgruppenüberlegungen<br />
gegeben habe - man hier keine Informationen hätte zuordnen können, was<br />
schließlich auch für den letzten Indikator, der nach der <strong>Relevanz</strong> <strong>des</strong> Segmentierungsprozesses<br />
gefragt hat, die Antwort implizit vorweg genommen hätte.<br />
Ein rein produktorientiertes Vorgehen, das sich vor allem durch ein Nicht-Vorhandensein<br />
der hier angesprochenen Prozessbestandteile oder in einer äußerst geringen Bedeutungsbeimessung<br />
hätte niederschlagen müssen, konnte in keinem Fall festgestellt werden.<br />
51 Der Idealtyp einer Produktorientierung ist im Rahmen dieser Arbeit so definiert worden, dass in der Partei<br />
das für am besten befundene Angebot entwickelt wird und dass strategische Überlegungen und professionelle<br />
Verkaufstechniken dabei keine Rolle spielen.
78<br />
Vielmehr wurde in allen Interviews deutlich, dass es zielgruppenspezifische Strategien<br />
gegeben hat. Im Fall von Bündnis 90/Die Grünen NRW wurde dies „nur“ im Rahmen einer<br />
Verkaufsorientierung interpretiert, weil es keine demoskopisch fundierte Untermauerung<br />
dieses Prozesses gegeben zu haben scheint, was im Rahmen dieser Arbeit im Sinne<br />
einer idealtypischen <strong>Marketing</strong>orientierung aber als wesentlicher Bestandteil der Recherche<br />
vorausgesetzt worden ist.<br />
Abb. 33: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Segmentierung und Targeting“. Quelle:<br />
Eigene Darstellung.<br />
Für die CDU NRW ist hinsichtlich dieser Dimension eine gewisse Tendenz zur <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
verzeichnet worden. Dabei sollte der Situation Rechnung getragen werden,<br />
dass ihr Generalsekretär Hans-Joachim Reck diesem Prozessabschnitt eine erstaunlich<br />
geringe Bedeutung beigemessen hat. In Bezug auf das Gesamtbild der Kampagnenplanung<br />
in der CDU NRW, das ansonsten als ausgesprochen marketingorientiert einschätzt<br />
worden ist und unter Berücksichtigung der Bedeutung, die dem Segmentierungsprozess<br />
in der Literatur idealtypisch zugesprochen wird, ist darin eine bemerkenswerte<br />
Besonderheit auszumachen.<br />
Im Fall von SPD NRW und FDP NRW ist hier erneut im Sinne einer impliziten <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
argumentiert worden, so dass sich insgesamt das in Abbildung 33 dargestellte<br />
Bild ergibt. Für die hier zugrunde gelegte Fragestellung kann somit erneut ein dem<br />
der anderen Dimensionsvergleiche entsprechen<strong>des</strong> Fazit gezogen werden: Während für die<br />
betrachteten Fälle der NRW-Lan<strong>des</strong>verbände von SPD, FDP und CDU zumin<strong>des</strong>t tendenziell<br />
eine <strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt worden ist, konnte dies für Bündnis 90/Die<br />
Grünen NRW erneut klar ausgeschlossen werden.<br />
6.2.6 Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Die sechste und letzte Beurteilungsdimension hat sich von vornherein von den vorangegangenen<br />
fünf Dimensionen unterschieden, indem sie auf die explizite Bedeutungszuwei-
79<br />
sung zum <strong>Marketing</strong>konzept Bezug genommen hat. Dabei wurden die Gesprächspartner in<br />
den Interviews darum gebeten, <strong>Marketing</strong> und <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>, bezogen auf eine<br />
Wahlkampagne, im eigenen Ermessen zu definieren. Anschließend wurden sie mit einer<br />
Aussage konfrontiert, die die <strong>Marketing</strong>wirkung auf die Kampagnenplanung, wie sie im<br />
Rahmen dieser Arbeit als idealtypisch definiert worden ist, widergespiegelt hat und gebeten,<br />
diese hinsichtlich der Legitimität und Realitätsgehalt zu bewerten.<br />
Abb. 34: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen“.<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Für die CDU NRW gab Hans-Joachim Reck in diesem Zusammenhang die deutlichste<br />
Bestätigung ab, dass es in seiner Partei eine Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen gegeben<br />
habe. Auch Michael Groschek von der SPD NRW stellte fest, dass es im hier fokussierten<br />
Wahlkampf <strong>Marketing</strong>orientierungen gegeben habe, bezog dies aber nicht auf die eigene<br />
Partei, was unter Berücksichtigung der vielen Verkaufselemente, die er im Rahmen <strong>des</strong><br />
Interviews dennoch angeführt hat, insgesamt mit dem Idealtyp der Verkaufsorientierung<br />
bewertet worden ist. Überraschend in Bezug auf die Summe der Bewertungen aus den<br />
impliziten Dimensionen äußerte sich hinsichtlich dieser expliziten Dimension Christian<br />
Lindner von der FDP NRW. Seine hier zugeordneten Ausführungen wurden als „produktbis<br />
verkaufsorientiert“ eingestuft, was einen klaren Bruch in Bezug auf die Einschätzungen<br />
zu den impliziten Dimensionen darstellt. Für die Kampagnenplanung bei Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW, die in derselben Weise beurteilt worden ist, ist dies im Kontext der<br />
impliziten Dimensionen allerdings nicht verwunderlich.<br />
Insgesamt ergibt sich für diese Dimension das in Abbildung 34 dargestellte Bild, das in<br />
Bezug auf die fragliche These wie folgt einzuschätzen ist: Positiv zu einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
bekannt hat sich nur der Generalsekretär der CDU NRW, Hans-Joachim Reck.<br />
In den anderen drei Fällen ist nicht explizit eine marketingorientierte Herangehensweise<br />
postuliert worden, was der hier zugrunde gelegten These widerspricht und letztlich auch<br />
die im Rahmen dieser Arbeit gestellte Frage nach der Verwendung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
als Managementstrategie klar beantwortet: In drei von vier hier betrachteten Fällen<br />
muss dies anscheinend verneint werden.
80<br />
7. Diskussion der Ergebnisse<br />
Über die Dimensionen hinweg hat sich, einigen Uneindeutigkeiten zum Trotz, eines klar<br />
gezeigt: Die hier untersuchte These „Parteien agieren bei der Planung ihrer Wahlkampagnen<br />
marketingorientiert“ muss auf der Basis der hier ermittelten Ergebnisse klar zurückgewiesen<br />
werden (vgl. Abb. 35). Der Vergleich der Fälle untereinander hinsichtlich der<br />
Dimensionen brachte ans Licht, dass über alle Dimensionen hinweg für den Prozess der<br />
Kampagnenplanung bei Bündnis 90/Die Grünen NRW nicht von einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
gesprochen werden kann. Richtig ist allerdings auch, dass in drei von vier Fällen<br />
deutliche Tendenzen ausgemacht werden konnten, die für eine <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
sprechen. Offenkundig vom <strong>Marketing</strong>konzept überzeugt zeigte sich letztlich jedoch nur<br />
der Generalsekretär der CDU NRW, Hans-Joachim Reck. Bemerkenswert ist allerdings,<br />
dass jemand, der so offensiv von den Vorteilen einer <strong>Marketing</strong>denkweise gesprochen hat,<br />
dem Segmentierungsprozess so wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. 52 Sollte die Vermutung<br />
zutreffen, dass Segmentierung und Targeting bei der Kampagnenplanung im Fall der<br />
an sich scheinbar sehr marketingorientierten CDU NRW keine wesentliche Rolle gespielt<br />
haben, müsste man in der Tat die Frage stellen, warum so viele Autoren in der Literatur<br />
über <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> ihr Hauptaugenmerk darauf richten und diesen Prozess für<br />
besonders bedeutsam halten.<br />
Abb. 35: Übersicht der Fall-Bewertungen bezüglich aller Dimensionen im Vergleich. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
52 Hier stellt sich die Frage, ob die zugrunde gelegte Operationalisierung nicht angemessen gewesen ist oder<br />
die diesbezüglichen Fragen falsch gestellt oder verstanden worden sind. Gegen diese Vermutung spricht<br />
allerdings, dass es in den anderen Interviews in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten gegeben hat und dass<br />
Reck die Fragen bezüglich der Segmentierung ja auch klar beantwortet hat.
81<br />
Christian Lindner von der FDP NRW und Michael Groschek von der SPD NRW gaben<br />
beide in ihren Interviews an, „dem Volk zwar aufs Maul schauen, ihm aber nicht nach<br />
dem Mund reden“ zu wollen. Auch äußerten beide gewisse Bedenken bezüglich einer<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung, und in beiden Fällen wurde hinsichtlich der bewussten Bedeutungszuweisung<br />
zum <strong>Marketing</strong>konzept nicht im Sinne einer <strong>Marketing</strong>orientierung geurteilt.<br />
In den impliziten Dimensionen gaben beide gleichwohl eine Fülle von Anhaltspunkten<br />
preis, die tendenziell wieder für eine implizite <strong>Marketing</strong>orientierung gesprochen haben.<br />
So betonte Michael Groschek für die SPD NRW eine intensive Zusammenarbeit mit<br />
Meinungsforschungsinstituten im Rahmen der Kampagnenplanung, und Christian Lindner<br />
verdeutlichte, dass es seitens der FDP NRW eine maßgebliche Konzentration auf Segmentierungs-<br />
und Targeting-Prozesse gegeben habe. Als überraschend stellte sich im Vergleich<br />
der Interviews hinsichtlich der Erfolgskontrolle heraus, dass scheinbar ausschließlich<br />
die FDP NRW in diesem Zusammenhang ausführlicher aktiv geworden ist. Dort hat<br />
man eine Befragung der involvierten Parteiebenen eingeleitet, sich um demoskopisches<br />
Material bemüht und entsprechende Medieninhalte analysiert. Die Notwendigkeit der Evaluation<br />
einzelner Kampagnenbestandteile, eine ausgewiesene <strong>Marketing</strong>maßnahme, ist<br />
in<strong>des</strong> in den anderen Interviews klar von der Hand gewiesen worden. Im Fall von Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW passt das auch durchaus in das Gesamtbild - im Fall von SPD NRW<br />
und CDU NRW verwundert dies letztlich.<br />
Die betrachteten Fälle unterscheiden sich somit in Summe recht deutlich: Die Wahlkampfplanung<br />
von Bündnis 90/Die Grünen NRW wurde hier klar als „nicht an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
orientiert“ eingeschätzt, die NRW-Lan<strong>des</strong>verbände von SPD und FDP wurden<br />
hier als tendenziell marketingorientiert eingeordnet und die CDU NRW wurde als<br />
deutlich marketingorientiert eingestuft, so dass sich als zentrales Ergebnis insgesamt das<br />
in Abbildung 36 dargestellte Bild ergibt.<br />
Abb. 36: Einordnung der betrachteten Fälle hinsichtlich <strong>des</strong> idealtypischen Spektrums möglicher Orientierungsmuster.<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Dort sind die betrachteten Fälle, bezeichnet mit den jeweiligen Parteinamen, auf dem bei<br />
der Interpretation zugrunde gelegten Links-Rechts-Spektrum „Produktorientierung - Verkaufsorientierung<br />
- <strong>Marketing</strong>orientierung“ eingeordnet worden. Auffallend ist, dass auf<br />
diese Weise ein Bild zustande kommt, das in etwa mit der Verortung der jeweiligen Partei<br />
in einer Anordnung der Parteianhänger zwischen den Polen „Soziale Gerechtigkeit“ und
82<br />
„Marktfreiheit“ übereinstimmt (vgl. bspw. von Alemann 2003: 105). Dafür spricht zwar<br />
nicht so sehr, dass hier für die Fallbetrachtungen „SPD NRW“ und „FDP NRW“ schließlich<br />
dasselbe Fazit gezogen worden ist, sondern vor allem, dass im Fall von Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW klar nicht von einer <strong>Marketing</strong>orientierung gesprochen werden kann,<br />
während für SPD NRW und FDP NRW gewisse Tendenzen erkennbar sind und schließlich<br />
für die CDU NRW eine deutliche <strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt worden ist.<br />
Einen möglichen Erklärungsansatz dafür liefern beispielsweise Gibson und Römmele<br />
(2001: 35ff), die sich mit den akteursbezogenen Voraussetzungen für Professionalisierungsprozesse<br />
in Parteien beschäftigt haben. Die Autorinnen gehen davon aus, dass der<br />
Umsetzungsgrad von Professionalisierungsmaßnahmen, in die sie explizit auch <strong>Marketing</strong>techniken<br />
und <strong>Marketing</strong>prinzipien einschließen, in Parteien vor allem von drei Variablen<br />
abhängig ist (vgl. Gibson/Römmele 2001: 37):<br />
• (Finanzielle) Ressourcen: Zur Umsetzung von Professionalisierungsmaßnahmen<br />
benötigten Parteien gut ausgebildetes Personal und entsprechende Finanzmittel.<br />
• Interne Parteistruktur: Insbesondere hierarchisch organisierte Parteien können den<br />
strukturellen Anforderungen von Professionalisierungsmaßnahmen gerecht werden.<br />
• Ideologische Perspektive: Parteien <strong>des</strong> rechten Flügels hätten grundsätzlich weniger<br />
Bedenken, Professionalisierungsmaßnahmen umzusetzen.<br />
Interpretiert man die hier ermittelten Ergebnisse auf dieser Basis, würde man im Fall von<br />
Bündnis 90/Die Grünen NRW vermuten, dass zum Zeitpunkt der fraglichen Kampagnenplanung<br />
scheinbar weder die interne Struktur, noch die (finanziellen) Ressourcen oder die<br />
ideologische Orientierung der Partei für eine intensive Umsetzung von Professionalisierungsmaßnahmen<br />
gesprochen haben, während insbesondere die CDU NRW hinsichtlich<br />
dieser Merkmale ausgesprochen gut aufgestellt gewesen ist. Es bedürfte weiterer Forschung,<br />
um dieser Vermutung nachzugehen; die Ergebnisdarstellung im Rahmen dieser<br />
Arbeit soll allerdings mit dem Hinweis auf diese mögliche Interpretationsweise abgeschlossen<br />
werden.<br />
Nachdem die zentralen Ergebnisse auf den Punkt gebracht worden sind, soll nun folgende<br />
Leitfrage im Zentrum der Betrachtungen stehen: Was darf aus den hier erörterten Sachverhalten<br />
gefolgert werden? Die Beantwortung wird in zwei Schritten vorgenommen. Zunächst<br />
soll die Frage nach der Generalisierbarkeit erörtert werden. Auf dieser Grundlage<br />
soll dann eine Einschätzung der Ergebnisse im Kontext bestehender Forschungserkenntnisse<br />
erfolgen.<br />
7.1 Bewertung der Ergebnisse<br />
Die vorliegenden Ergebnisse wurden in einer Fallstudie erhoben. Klar ist insofern, dass<br />
auf ihrer Basis keine allgemeingültigen Einschätzungen bezüglich der betrachteten Parteien<br />
getroffen werden können. Fallstudien eignen sich mit Stake (1998: 104) vor allem da-
83<br />
zu, Grenzen von Generalisierungen abzustecken und aufzuzeigen, an welchen Punkten<br />
bestimmte Thesen so nicht aufrecht erhalten werden können. Im Rahmen dieser Arbeit ist<br />
aufgrund der Kampagnenplanungsprozesse in vier nordrheinwestfälischen Partei-Lan<strong>des</strong>verbänden<br />
der Frage nachgegangen worden, ob bei der Planung der Wahlkampagnen im<br />
Vorfeld der NRW-Landtagswahl 2005 <strong>Marketing</strong>prämissen zugrunde gelegt worden sind.<br />
Die grundsätzliche Aussagefähigkeit der getroffenen Ergebnisse ist natürlich darüber hinaus<br />
insbesondere von der methodischen Herangehensweise geprägt worden. Kassner und<br />
Wassermann (2005: 101ff) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Experteninterviews<br />
zum einen durch eine ausgesprochen starke Kontextgebundenheit gekennzeichnet<br />
sind und zum anderen auch eine potentielle subjektive Prägung durch die Interviewpartner<br />
in Erwägung gezogen werden muss. Obschon im Rahmen der hier zugrunde gelegten Expertendefinition<br />
die Funktion und nicht die Person der Befragten im Vordergrund gestanden<br />
hat, ist die Möglichkeit einer subjektiven Prägung <strong>des</strong> Gesagten letztlich natürlich<br />
nicht von der Hand zu weisen. Dieser Aspekt ist von zusätzlicher <strong>Relevanz</strong>, wenn man in<br />
Betracht zieht, dass hier über die Informationen aus je einem Interview auf die Vorgehensweise<br />
in einer Partei bei fraglichen der Kampagnenplanung geschlossen worden ist.<br />
Obwohl hier nicht „irgendwer“ Rede und Antwort gestanden hat, sondern es sich bei den<br />
Gesprächspartnern um ausgewiesene Schlüsselfiguren bei der Kampagnenplanung in den<br />
Parteien gehandelt hat, die nicht zuletzt auch mit ihrem Namen für die Güte der preisgegebenen<br />
Informationen bürgen, bleibt dieses Generalisierungsproblem abschließend festzuhalten.<br />
Ferner ist in diesem Zusammenhang zu konstatieren, dass es aufgrund der aktiven Rolle<br />
der Interviewerin während der Interviews unter Umständen zu einer unbewussten Einflussnahme<br />
gekommen sein könnte. 53 Durch einen höheren Standardisierungsgrad der Befragung<br />
hätte man die Wahrscheinlichkeit dieses Effekts minimieren können, allerdings<br />
wäre das eine Entscheidung zu Lasten der hier unmittelbar als notwendig erachteten hohen<br />
Kontextsensitivität gewesen, so dass an dieser Stelle als ausgleichende Maßnahme erneut<br />
auf die Offenlegung der Transkriptionen verwiesen werden muss.<br />
Neben möglichen Einflüssen, die sich durch persönliche Eigenschaften der befragten Experten<br />
oder durch die aktive Rolle der Interviewerin ergeben haben könnten, ist bezüglich<br />
der Ergebnisfindung als dritte kritische Stelle die Vorgehensweise bei der Auswertung der<br />
Transkriptionen aufzuzeigen. Hier wurde im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse<br />
verfahren, was zunächst grundsätzlich dem Vorwurf der Subjektivität Tür und Tor öffnet.<br />
Meuser und Nagel (2002: 90ff) argumentieren in diesem Zusammenhang, dass es nicht im<br />
Interesse eines Forschenden sein könne, seine Umwelt zu täuschen, und ziehen <strong>des</strong>halb<br />
vor allem unbewusste Interpretationsfehler in Betracht. Eine mögliche Lösung dieses<br />
Problems wäre die durch mehrere Personen vorgenommene Auswertung der Transkriptio-<br />
53 Die Möglichkeit dieser Art von unbewusster Einflussname wird vor allem auch durch die organisatorischen<br />
Bedingungen bei einer Diplomarbeit verstärkt. Dort liegt es in der Natur der Sache, dass sowohl die<br />
Erarbeitung <strong>des</strong> konzeptionellen Rahmens als auch die Datenerhebung und die Auswertung durch dieselbe<br />
Person erfolgen.
84<br />
nen gewesen, was hier aufgrund der Rahmenbedingungen nicht erwogen werden konnte.<br />
Eine andere Möglichkeit hätte in einer detaillierten Kodierung der Transkriptionen bestanden,<br />
was hier aus zeitlichen Gründen auch nicht zu realisieren war, so dass abschließend<br />
auch dieses potentielle Fragezeichen erhalten bleibt.<br />
Um eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der untersuchten Dimensionen und der betrachteten<br />
Fälle herzustellen, ist bei der Interpretation der extrahierten Informationen mit dem<br />
Werkzeug der Idealtypenanalyse gearbeitet worden. Vor allem der Idealtyp der <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
stand im Zentrum der Betrachtungen, weil darüber die Beantwortung der<br />
hier zugrunde gelegten Leitfrage erfolgen sollte. Dabei ging es letztlich nicht um den definitiven<br />
Nachweis <strong>des</strong> Idealtyps der <strong>Marketing</strong>orientierung, vielmehr sollte, unter anderem<br />
durch die Zuhilfenahme der zwei idealtypischen Alternativen, festgestellt werden, ob es<br />
zutrifft, dass Parteien von den drei potentiellen Orientierungsmöglichkeiten tatsächlich<br />
zumin<strong>des</strong>t tendenziell am ehesten die der <strong>Marketing</strong>orientierung wählen. Mit den so ermittelten<br />
Ergebnissen konnte somit zum einen eine Aussage getroffen werden, ob in den betrachteten<br />
Fällen hinsichtlich der sechs begutachteten Dimensionen eine tendenzielle <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
festgestellt werden konnte. An den Stellen, wo das nicht der Fall war,<br />
konnten darüber hinaus über die idealtypischen Alternativen Gegenvorschläge bezüglich<br />
möglicher Orientierungsmuster aufgezeigt werden.<br />
Der Geltungsbereich der gewonnenen Ergebnisse ist somit zwar zunächst als begrenzt auf<br />
die betrachteten Fälle zu sehen. Weil hier die Kampagnenplanungsprozesse in vier Parteien<br />
nach gleichem Muster untersucht worden sind, ist jedoch eine vergleichende Betrachtung<br />
möglich, so dass hier für einen konkreten Zeitpunkt für alle politisch relevanten Parteien<br />
in einem Landtagswahlkampf eingeschätzt werden konnte, inwieweit die These „Parteien<br />
orientieren sich an <strong>Marketing</strong>prämissen“ zutrifft. Diese Einschätzung kann sowohl<br />
auf der Basis der betrachteten Fälle als auch hinsichtlich der zugrunde gelegten Dimensionen<br />
erfolgen, so dass letztlich auch Rückschlüsse für die Bedeutung der einzelnen Bestandteile<br />
<strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes möglich sind.<br />
7.2 Die Ergebnisse im Kontext <strong>des</strong> Forschungsstan<strong>des</strong><br />
Im Rahmen dieser Arbeit wurde ermittelt, dass die These, „Parteien planen ihre Wahlkämpfe<br />
auf der Basis von <strong>Marketing</strong>prämissen“ nicht ohne weiteres auf Lan<strong>des</strong>verbände<br />
politischer Parteien und ihre Weise der Kampagnenplanung im Vorfeld einer Landtagswahl<br />
zutrifft. Nun könnte man sagen, dass in der Literatur auch nicht behauptet worden<br />
ist, dass speziell Lan<strong>des</strong>verbände politischer Parteien bei der Vorbereitung ihrer Kampagnen<br />
zu einer Landtagswahl so verfahren. Dem ist hier das Argument entgegen gestellt<br />
worden, dass sich aber auch nirgendwo ein Hinweis darauf findet, dass es sich bei der Orientierung<br />
an <strong>Marketing</strong>prämissen um ein ausschließlich nationalen Parteiverbänden vorbehaltenes<br />
Privileg handelt. Weil die Partei-Lan<strong>des</strong>verbände, die hier im Fokus gestanden<br />
haben, in allen marketingspezifisch relevanten Merkmalen ihre Kampagnen eigenständig<br />
geplant und verantwortet haben, ist im Rahmen dieser Arbeit davon ausgegangen worden,
85<br />
dass die These „Parteien agieren marketingorientiert“ auch in dieser Situation nachweisbar<br />
sein müsste. Bei den hier betrachteten Fällen konnte die fragliche These aber letztlich nur<br />
in einem Fall klar bestätigt werden. Zwar trifft sie auch in zwei weiteren Fällen tendenziell<br />
zu, allerdings widerspricht ihr auch ein Fall deutlich. Wie ist dieses Hauptergebnis vor<br />
dem Hintergrund bestehender Erkenntnisse einzuschätzen?<br />
Bereits in Kapitel 1.4 dieser Arbeit ist in diesem Zusammenhang festgestellt worden, dass<br />
es sich bei vielen Arbeiten, die im Bereich <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> als zentral gelten,<br />
um die nachträgliche Durchdeklinierung bestimmter Wahlkampf-Planungsprozesse in den<br />
Begrifflichkeiten <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong> handelt. Vor allem in der anglo-amerikanischen Literatur<br />
ist auf diese Weise argumentiert worden, dass sich Parteien heute intensiv an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
orientieren. In Bezug auf deutsche Parteien ist diese Verfahrensweise erstmals<br />
von Wangen (1983) und Oellerking (1988) verfolgt worden. Oellerking (1988: 294), der<br />
sich insbesondere der Frage nach einer „Technik <strong>des</strong> legalen Machterwerbs“ gewidmet<br />
hat, kommt zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> ohnehin weniger<br />
in den Vorteilen für die Wahlkampfführung der Parteien liege, als vielmehr in der<br />
positiven Wirkung auf „ein demokratisches System“. Wangen (1983: 281) schließt in<strong>des</strong><br />
mit folgender Einschätzung:<br />
„Die Parteien wenden <strong>Marketing</strong>-Managementmethoden gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit<br />
an, wenngleich aufgrund von Besonderheiten <strong>des</strong> demokratischen politischen<br />
Systems im Vergleich zum marktwirtschaftlichen System keine vollkommene Kongruenz<br />
mit den kommerziellen <strong>Marketing</strong>methoden besteht.“<br />
Im Lichte der hier festgestellten Ergebnisse wäre insbesondere der erste Satzteil „Die Parteien...“<br />
zu relativieren, denn hier ist vermutet worden, dass nicht alle Parteien in dieser<br />
Weise verfahren. Im Rahmen dieser Arbeit ist insgesamt die hier charakterisierte Verfahrensweise,<br />
in Informationen über die Planungsprozesse der betrachteten Kampagnen nach<br />
Hinweisen zu suchen, die auf eine implizite <strong>Marketing</strong>orientierung schließen lassen, in<br />
den Auswertungen zu den Dimensionen eins bis fünf realisiert worden. Hier ist nach marketingspezifischen<br />
Merkmalen gesucht worden, ohne dass in den Interviews ein bewusster<br />
Kontext zum <strong>Marketing</strong>konzept hergestellt worden ist. Darüber hinaus wurde hier aber<br />
auch die bewusste Bedeutungszuweisung der Befragten zum <strong>Marketing</strong>konzept abgefragt,<br />
und zwar zum einen im Rahmen ihrer eigenen Begriffsdefinition und zum anderen durch<br />
die Interpretation einer Aussage, die dem hier zugrunde gelegten <strong>Marketing</strong>verständnis<br />
entsprochen hat. Die Ergebnisse aus der bewussten Bedeutungszuweisung und der implizit<br />
vermuteten Bedeutungszuweisung wurden schließlich im Rahmen der einzelnen Fallbeurteilungen<br />
zueinander in Bezug gesetzt und in dieser Kombination abschließend bewertet.<br />
Auf dieser Basis kann nur für den Fall „CDU NRW“ definitiv festgestellt werden, dass<br />
eine explizite <strong>Marketing</strong>orientierung zugrunde gelegen hat. Ein Fazit, rein auf Basis der<br />
impliziten Dimensionen getroffen, hätte unter Umständen dazu geführt, dass der diesbezügliche<br />
Abstand zwischen den NRW-Lan<strong>des</strong>verbänden von SPD, FDP und CDU nicht so<br />
deutlich hätte herausgestellt werden können.
86<br />
Ob <strong>Marketing</strong> auch in den Köpfen der verantwortlichen Parteiführungskräfte verankert ist<br />
und insofern überhaupt bewusst als Managementstrategie eingesetzt werden kann, ist bisher<br />
kaum untersucht worden. Baines, Plasser und Scheucher (1999) haben in einem<br />
diesbezüglichen Vergleich von amerikanischen und europäischen Parteien allerdings herausgefunden,<br />
dass <strong>Marketing</strong> in europäischen Parteien vor allem als langfristige Strategie<br />
im Sinne von Markenbindung verfolgt werde, während es in Bezug auf eine konkrete<br />
Wahlkampagne eher als „unglaubwürdig“ empfunden werde. Auch in drei von vier hier<br />
betrachteten Fällen finden sich Hinweise, die diese These untermauern.<br />
O´Cass (1996: 49ff), der die Frage nach der bewussten Bedeutungszuweisung zum <strong>Marketing</strong>konzept<br />
für australische Parteien gestellt hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei<br />
den Verantwortlichen in den Parteien allenfalls ein oberflächliches Wissen über <strong>Marketing</strong>verfahren<br />
vorhanden sei und dass von einer bewussten Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
nicht gesprochen werden könne. Hinsichtlich der im Rahmen dieser Arbeit herausgearbeiteten<br />
Erkenntnisse müsste man in der Tat ähnlich argumentieren: Als Managementstrategie<br />
ist <strong>Marketing</strong> nur in einem Fall - bei der CDU NRW - offensiv vertreten<br />
worden, in einem anderen Fall - bei Bündnis 90/Die Grünen NRW - aber klar ausgeschlossen<br />
worden, und in den zwei verbleibenden Fällen - SPD NRW und FDP NRW -<br />
sind Tendenzen, aber nicht klar bezogene Stellungnahmen identifiziert worden. Hier fällt<br />
letztlich vor allem die Tatsache ins Gewicht, dass gerade bei der bewussten Bedeutungszuweisung<br />
in beiden Fällen - bei der FDP NRW und der SPD NRW - von einer offensiven<br />
Postulierung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes als Managementstrategie nicht gesprochen werden<br />
konnte.<br />
Insgesamt ist hier eine Fragestellung bearbeitet worden, die so noch nicht oft in der bisherigen<br />
Forschung gestellt worden ist. Insofern ist es müßig, Kontexte zu suchen, wo es<br />
(noch) nicht viele gibt. Die hier ermittelten Ergebnisse werfen allerdings neue Fragen auf,<br />
die weiterer Klärung bedürftig wären. Abgesehen von den vielen unbeantworteten Fragen,<br />
die sich ohnehin schon um den Begriff <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> ranken, wäre konkret<br />
von Interesse, ob sich bei der nächsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ein, den hier<br />
festgestellten Ergebnissen, ähnliches Bild ergeben würde, oder ob es letztlich nur eine<br />
Frage der Zeit ist, bis sich Professionalisierung, zum Beispiel in Form von <strong>Marketing</strong>orientierung,<br />
in allen Partei-Lan<strong>des</strong>verbänden gleichermaßen durchsetzt. Auch wäre es nun<br />
interessant zu wissen, wie es um den Grad der <strong>Marketing</strong>orientierung auf der kommunalen<br />
Ebene und vor allem auch auf der nationalen Ebene in den jeweiligen Parteien bestellt ist,<br />
wie die dortige Entwicklung verlaufen wird und inwiefern dies internationalen Trends<br />
entspricht.
87<br />
8. Fazit<br />
Im Rahmen dieser Arbeit ist eine These erläutert, spezifiziert und überprüft worden, die in<br />
der einschlägigen Literatur vielfach geäußert und vertreten worden ist. Die These lautet:<br />
Parteien agieren marketingorientiert. Maßgeblich geprägt wurde diese Erörterung zunächst<br />
von dem Phänomen <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>. Was heißt <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> eigentlich?<br />
Wird <strong>Marketing</strong> in diesem Kontext als „politisch“ bezeichnet, weil die zu betrachtende<br />
Organisation eine Partei, also ein politischer Akteur ist? In diesem Fall müsste man<br />
fragen, warum das Untersuchungsspektrum dann niemals ausgedehnt worden ist, beispielsweise<br />
auf Ministerien oder Verwaltungen, die ja auch politische Funktionen haben.<br />
Weil hier letztlich nicht eindeutig operationalisiert werden konnte, was <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong><br />
für den Prozess der Kampagnenplanung in einer politischen Partei genau heißt, ist im<br />
Rahmen dieser Arbeit sehr klar zwischen dem Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>, das systembezogen<br />
auf der Idee eines Politischen Marktes beruht, und der akteursbezogenen<br />
Möglichkeit, dass sich eine Partei vor einer Wahl an <strong>Marketing</strong>prämissen orientieren<br />
kann, unterschieden worden. Diese Trennung wurde umso mehr als notwendig erachtet,<br />
weil den Modellansätzen, die gegenwärtig in der Literatur diskutiert werden, eine individuelle<br />
Problemlast anhaftet, die hier nicht aufgelöst werden konnte.<br />
Im Rahmen dieser Arbeit ist <strong>des</strong>halb unabhängig von der Idee eines Politischen Marktes<br />
argumentiert worden, dass eine Partei, ähnlich wie ein Unternehmen auf dem kommerziellen<br />
Markt, vor einer Wahl einer Situation gegenüber steht, die man wirtschaftswissenschaftlich<br />
Nachfrageunterdeckung nennt. Wachstum, aus der Sicht einer Partei, ist dabei<br />
neben der Möglichkeit, Nichtwähler zu mobilisieren oder Erstwähler zu gewinnen, nur zu<br />
Lasten einer anderen Partei möglich. Vor allem darin ist in der vorliegenden Arbeit die<br />
zentrale Motivation für eine Partei gesehen worden, <strong>Marketing</strong>prämissen anzuwenden.<br />
Hier hat insbesondere die Konkurrenzsituation, in der sich Parteien am Wahltag befinden,<br />
im Fokus gestanden, was nicht zwingend voraussetzt, dass der Wähler zum Kunden und<br />
seine Stimme zum Zahlmittel „degradiert“ werden müssen.<br />
Sich an <strong>Marketing</strong>prämissen zu orientieren heißt, so ist es dann definiert worden, die Erwartungshaltung<br />
der potentiell erreichbaren Wählerschaft in das Zentrum aller Planungsmaßnahmen<br />
zu stellen und eine strategiebasierte Informationsbeschaffung zu betreiben,<br />
die letztlich darauf abzielt, das Wissen um die Befindlichkeiten in der Bevölkerung möglichst<br />
zweckmäßig im Sinne der eigenen Stimmenmaximierung einsetzen zu können. Neben<br />
strategischen Prozessen, die hier unter den Stichworten Segmentierung, Positionierung<br />
und Targeting zusammengefasst worden sind, bietet das <strong>Marketing</strong>konzept auch instrumentelle<br />
Implikationen für die Organisation einer Wahlkampagne an: Während es bei<br />
der Produktpolitik um die Gestaltung eines unter strategischen Gesichtspunkten möglichst<br />
günstigen Angebotes geht, wird im Rahmen der Kommunikationspolitik die Vermarktung<br />
<strong>des</strong> Angebotes in inhaltlicher und innerhalb der Distributionspolitik in organisatorischer<br />
Hinsicht geregelt. Auch das <strong>Marketing</strong>instrument der Preispolitik bietet einen potentiellen<br />
Nutzen für Wahlkampfverantwortliche: Beispielsweise könnte man im Rahmen der Pro-
88<br />
duktpolitik überlegen, welche Opportunitätskosten aufseiten der Wählerschaft gesehen<br />
werden könnten.<br />
Nachdem formuliert worden ist, was unter einer Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen verstanden<br />
werden soll, wurde die Entwicklung eines qualitativen Untersuchungs<strong>des</strong>igns dargelegt,<br />
das eine Überprüfung der These „Parteien orientieren sich bei der Planung von<br />
Wahlkampagnen an <strong>Marketing</strong>prämissen“ in der Praxis ermöglichen sollte. Im Zentrum<br />
der Betrachtungen dieser Fallstudie stand dabei die Planungsphase der Wahlkampagnen in<br />
den NRW-Lan<strong>des</strong>verbänden von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im Vorfeld<br />
der NRW-Landtagswahl 2005.<br />
Haben sich die Parteien bei der Vorbereitung ihrer Wahlkampagnen an <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
orientiert, lautete somit die Frage, die der hier durchgeführten Untersuchung zugrunde<br />
gelegen hat. Sie sollte auf der Basis von Informationen beantwortet werden, die in maximal<br />
sechzigminütigen, einstufigen, leitfadengestützten Experteninterviews erhoben worden<br />
sind. Ein Experteninterview hat dabei die Grundlage für die Bewertung der Kampagnenplanung<br />
in einer Partei gebildet. Die Expertise wurde hier definiert mit dem Anspruch,<br />
dass der jeweilige Gesprächspartner sowohl organisatorisch als auch politisch gegenüber<br />
seiner Partei maßgebliche Verantwortung für die Planungsphase der fraglichen Wahlkampagne,<br />
also insgesamt eine herausragende Schlüsselposition, bekleidet haben sollte. Die<br />
Auswahl in den Parteien fiel schließlich im Fall der NRW-Lan<strong>des</strong>verbände von CDU,<br />
SPD und FDP auf die Generalsekretäre und im Fall von Bündnis 90/Die Grünen NRW auf<br />
die Politische Geschäftsführerin, eine Position, die als funktionelles Äquivalent zum Amt<br />
<strong>des</strong> Generalsekretärs in den anderen Parteien gesehen werden kann. Auf der Basis der Interviews<br />
wurde dann mittels qualitativer Inhaltsanalyse der Prozess der Kampagnenplanung<br />
in den jeweiligen Parteien bewertet.<br />
Alle durchgeführten Interviews wurden dazu in Transkriptionen überführt und von den<br />
Befragten zur Verwendung im Rahmen dieser Arbeit freigegeben. Die Auswertung der<br />
Transkriptionen, die in Auswertungsprotokollen dokumentiert worden ist, erfolgte zunächst<br />
fallweise. Ziel war dabei die qualitative Begutachtung der hier definierten fünf impliziten<br />
und der sechsten, expliziten Dimension hinsichtlich der Frage nach einer <strong>Marketing</strong>orientierung.<br />
Jede der sechs Dimensionen fokussierte dabei eines der hier als zentral<br />
erachteten Elemente <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes. In den Auswertungsprotokollen fand innerhalb<br />
der Dimensionen eine Zuordnung der Informationen aus den Interviews zu vorher<br />
definierten Indikatoren statt, die für die jeweilige Dimension exemplarisch als unmittelbar<br />
relevant definiert worden sind. Insgesamt wurde das <strong>Marketing</strong>konzept dabei in folgender<br />
Weise in den Dimensionen repräsentiert:<br />
1. Kommunikationspolitik: Hier ging es um die Identifikation von implizit vorhandenen<br />
<strong>Marketing</strong>mustern in Bezug auf Elemente der Kommunikationsplanung.<br />
2. Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei:<br />
Hier ging es um die Identifikation von impliziten <strong>Marketing</strong>mustern in Bezug auf<br />
die Themenauswahl und den Prozess der Positionierung.
89<br />
3. Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten: In diesem Zusammenhang<br />
ging es um die Frage, ob hinsichtlich der Entwicklung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten implizite<br />
<strong>Marketing</strong>muster erkennbar sind.<br />
4. Distributionspolitik: Hier stand infrage, ob implizit distributionspolitische Elemente<br />
im Sinne <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes in den Antworten der Experten identifizierbar<br />
sind.<br />
5. Segmentierung und Targeting: Bei der letzten impliziten Dimension ging es<br />
schließlich um die Frage, ob Segmentierung und Targeting-Maßnahmen im Sinne<br />
<strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes festgestellt werden können.<br />
6. Bedeutung von <strong>Marketing</strong>prämissen: Im Rahmen dieser Dimension sollte nun auch<br />
das explizite Verständnis von <strong>Marketing</strong> und Politischem <strong>Marketing</strong>, sowie auch<br />
die bewusste Bedeutungszuweisung zum <strong>Marketing</strong>konzept gemäß der hier zugrunde<br />
gelegten Definition festgestellt werden.<br />
Die Auswertung zielte somit insgesamt auf eine Beurteilung der Dimensionen hinsichtlich<br />
der Frage nach einer <strong>Marketing</strong>orientierung ab. Als alternative Interpretationsmöglichkeiten<br />
wurden neben der <strong>Marketing</strong>orientierung die idealtypischen Orientierungsmuster der<br />
Produkt- und der Verkaufsorientierung herangezogen. Im Rahmen dieser Arbeit ist davon<br />
ausgegangen worden, dass die Idealtypen als auf einem Spektrum angeordnet zu sehen<br />
sind. Bei einer Orientierung am Idealtyp der Produktorientierung würde ein Partei ihr Angebot<br />
vor einer Wahl nach eigenen Maßgaben gestalten und damit an ihre Wählerschaft<br />
herantreten. Bei der Verkaufsorientierung würde eine Partei im Anschluss an den Gestaltungsprozess<br />
<strong>des</strong> Angebotes professionelle Verkaufstechniken in Erwägung ziehen, um<br />
eine günstige Präsentation ihres Angebotes gegenüber der Wählerschaft zu realisieren. Im<br />
Rahmen einer idealtypischen <strong>Marketing</strong>orientierung würde eine Partei allerdings bereits in<br />
den Prozess der Angebotsentwicklung die Erwartungshaltung potentieller Wähler einbeziehen,<br />
um so zu einem Angebot zu gelangen, das den real existierenden Bedürfnissen in<br />
der Wählerschaft gerecht werden kann.<br />
Auf der Basis der Dimensionsbeurteilungen erfolgte schließlich eine fallweise Interpretation<br />
der Ergebnisse, sowie eine vergleichende Gegenüberstellung hinsichtlich der einzelnen<br />
Dimensionen. Als zentrales Ergebnis konnte dabei festgestellt werden, dass die untersuchte<br />
These „Parteien agieren marketingorientiert“ im Licht der hier gewonnenen Einblicke<br />
in den Prozess der Kampagnenplanung nicht ohne weiteres aufrechterhalten werden<br />
kann. Insbesondere für die Informationen, die über die Kampagnenplanung bei Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW vorliegen, kann von einer Orientierung an den Prämissen <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
nicht gesprochen werden. Gleichwohl konnte für die Kampagnenplanung<br />
der CDU NRW ein Bild gezeichnet werden, das der zugrunde gelegten These nicht widerspricht:<br />
Hier wurde eine Orientierung festgestellt, die recht zutreffend mit Idealtyp der<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung beschrieben werden kann. Für die Betrachtungen der Kampagnenorganisation<br />
bei der FDP NRW und der SPD NRW ist geschlossen worden, dass es zwar<br />
gewisse Tendenzen gegeben hat, die auf eine <strong>Marketing</strong>orientierung hinweisen. Dass hier<br />
letztlich keine reine <strong>Marketing</strong>orientierung gefolgert worden ist, trägt vor allem der Tatsache<br />
Rechnung, dass in beiden Fällen bei der bewussten Bedeutungszuweisung einer Mar-
90<br />
ketingorientierung widersprochen worden ist, was letztlich auch eine Antwort auf die hier<br />
gestellte Frage nach der Nutzung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes als Managementstrategie erlaubt:<br />
Weil hier in drei von vier Fällen abgestritten worden ist, dass es diese bewusste Orientierung<br />
gegeben hat, muss zumin<strong>des</strong>t in Bezug auf die vorliegenden Ergebnisse deutlich<br />
infrage gestellt werden, ob <strong>Marketing</strong> per se als Managementstrategie in Partei-<br />
Lan<strong>des</strong>verbänden zur Planung von Wahlkampagnen eingesetzt wird.<br />
Dass eine explizite <strong>Marketing</strong>orientierung nicht grundsätzlich undenkbar ist, hat gleichwohl<br />
die Begutachtung der Kampagnenplanung der CDU NRW ergeben. Der Richtigkeit<br />
halber muss an dieser Stelle außerdem angemerkt werden, dass das Fazit, das aus der bewussten<br />
Bedeutungszuweisung zum <strong>Marketing</strong>konzept durch den Generalsekretär der<br />
FDP NRW gezogen werden konnte, hier eher skeptisch betrachtet worden ist. Christian<br />
Lindner hatte sich in Bezug auf die impliziten Dimensionen in einer dem <strong>Marketing</strong>konzept<br />
sehr zusprechenden Weise geäußert, so dass seine kritische Haltung bei der bewussten<br />
Bedeutungszuweisung infrage gestellt worden ist. Im Ergebnis kann somit insgesamt<br />
für den Fall der CDU NRW und unter Umständen auch für den Fall der FDP NRW festgestellt<br />
werden, dass <strong>Marketing</strong> als Managementstrategie eingesetzt worden ist. Bei der SPD<br />
NRW könnte man in ähnlicher Weise argumentieren, wenn man die intensive demoskopische<br />
Begleitung der Kampagnenplanung in Betracht nimmt. Dann würde aber nicht ins<br />
Bild passen, dass Michael Groschek, der Generalsekretär der SPD NRW, der Orientierung<br />
an <strong>Marketing</strong>prämissen hinsichtlich der eigenen Vorgehensweise bei der bewussten Bedeutungszuweisung<br />
eher widersprochen hat. Unter Umständen muss die Möglichkeit in<br />
Betracht gezogen werden, dass es zwar einen Trend zur impliziten Anwendung von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
gibt, der aber auf Grund ethischer Bedenken keine Repräsentation im<br />
Sinne einer expliziten Bedeutungszuweisung erfährt. Insbesondere die Interviews mit Michael<br />
Groschek von der SPD NRW und Christian Lindner von der FDP NRW ließen sich<br />
in dieser Weise interpretieren.<br />
Neben diesen zentralen Ergebnissen konnte außerdem auf einige kurios anmutende Einzelheiten<br />
hingewiesen werden, die im Rahmen dieser qualitativen Studie herausgearbeitet<br />
werden konnten, und die im Lichte der bisherigen Forschung Anlass zu weiteren Fragen<br />
liefern. So verwundert es letztlich, dass CDU-NRW-Generalsekretär Hans-Joachim Reck,<br />
der sich insgesamt deutlich überzeugt vom <strong>Marketing</strong>konzept gezeigt hat, dem Segmentierungsprozess<br />
so wenig Bedeutung beigemessen hat. Ferner ist bemerkenswert, dass außer<br />
bei der FDP NRW kaum Maßnahmen erkennbar geworden sind, die auf stichhaltige Versuche<br />
einer Erfolgskontrolle einzelner Kampagnenmaßnahmen hingewiesen haben. Dass<br />
hier drei Parteien viel Geld ausgeben, ohne der Frage nach der Wirksamkeit ergriffener<br />
Maßnahmen Aufmerksamkeit zu schenken, verwundert auch jenseits der <strong>Marketing</strong>debatte<br />
unter allgemeinen Professionalisierungserwartungen. Darüber hinaus konnte in allen<br />
vier Fällen festgestellt werden, dass die Auswahl <strong>des</strong> Spitzenkandidaten stets parteiintern<br />
und ohne marketingstrategische Planungsmaßnahmen erfolgt ist. Bei der Entwicklung ihrer<br />
Spitzenkandidaten ergab sich aber schließlich wieder ein differenziertes Bild bezüglich<br />
der Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen, so dass somit insgesamt vermutet werden darf,
91<br />
dass die Umsetzung <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes durch Parteien auch bestimmte Grenzen erfährt,<br />
zum Beispiel, wenn es um die Auswahl der Spitzenkandidaten geht.<br />
Weil Fallstudien nicht geeignet sind, generelle Aussagen zu treffen, können auf der Basis<br />
der hier gewonnenen Erkenntnisse vor allem Hypothesen und neue Fragen formuliert und<br />
spezifiziert werden, die dann weiterer Forschung bedürfen. Die hier ermittelten Ergebnisse<br />
werfen zum Beispiel folgende Fragen auf: Wie sehen die Orientierungsmuster vor der<br />
nächsten (und übernächsten) Landtagswahl aus? Ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich<br />
eine <strong>Marketing</strong>orientierung in allen Partei-Lan<strong>des</strong>verbänden durchsetzen wird, oder gibt<br />
es Gründe, die dauerhaft dagegen sprechen? Hier ist vermutet wurden, dass zum Beispiel<br />
die ideologische Perspektive im Fall von Bündnis 90/Die Grünen NRW noch lange gegen<br />
eine <strong>Marketing</strong>orientierung sprechen wird. Auch müsste man fragen, welchen Orientierungsmustern<br />
die Parteien auf der kommunalen und vor allem auf der nationalen Ebene<br />
folgen und inwiefern dies mit den hier ermittelten Ergebnissen überein zu bringen ist. Eine<br />
weitere Herausforderung wäre in der Maßnahme zu sehen, das <strong>Marketing</strong>konzept aus der<br />
„Schmuddelecke der Esoterik“ zu holen, um es im Kontext der allgemeinen Parteienprofessionalisierung<br />
zu diskutieren.<br />
Am Ende dieser Arbeit bleibt abschließend festzustellen, dass hier für deutsche Parteien,<br />
wenn auch auf der Ebene der Lan<strong>des</strong>verbände, höchst wahrscheinlich erstmals der Versuch<br />
unternommen worden ist, das <strong>Marketing</strong>konzept auf die Planung von Wahlkampagnen<br />
herunter zu brechen, um dann in vier Partei-Lan<strong>des</strong>verbänden konkret zu untersuchen,<br />
ob der These „Parteien handeln marketingorientiert“ tatsächlich zugestimmt werden kann.<br />
Die hier ermittelten Ergebnisse fordern diesbezüglich zumin<strong>des</strong>t eine differenziertere<br />
Sichtweise.<br />
Neben wenigen Antworten, die hier gefunden werden konnten, und gegenüber vielen Fragen,<br />
die sich daraus ergeben haben, sowie im Hinblick auf noch mehr Fragezeichen, die<br />
sich ohnehin schon um das Phänomen <strong>des</strong> Poltischen <strong>Marketing</strong> ranken, ist hier insgesamt<br />
auch der Versuch unternommen worden, zur Konkretisierung der Definition <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes,<br />
bezogen auf politische Parteien und den Prozess der Kampagnenplanung,<br />
beizutragen. Nicht zuletzt ist dabei auch eine Möglichkeit aufgezeigt worden, wie das<br />
<strong>Marketing</strong>konzept in Bezug auf politische Parteien akteursbezogen betrachtet werden<br />
kann, ohne sich in der systembezogenen Debatte über <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> zu verlieren.
92<br />
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100<br />
Verzeichnis der Quellen im Internet<br />
Im Rahmen der Arbeit sind diese Quellen wie folgt kenntlich gemacht:<br />
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http://www.burgerking.de/appgen/?cl=bk&cp=produkte&cmd=show_tvspot&active=prod<br />
ukte&subactive=kingspecial&subsubactive=ksptvspot&sessionid=f905f7fda5a332454f7171<br />
9fdbb0d332<br />
CDU NRW 2005: Aufbau der CDU NRW, aufgerufen am 31.08.2005.<br />
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dimap consult 2005: Vorstellung <strong>des</strong> Geschäftsführers Herbert Müller auf der Internetpräsenz<br />
der Firma dimap consult, aufgerufen am 15.09.2005.<br />
http://www.dimap-consult.de/mueller.html<br />
Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen 2005: Endgültige Ergebnisse der<br />
Landtagswahl 2005, Aufgerufen am 19.08.2005.<br />
http://www.wahlen.lds.nrw.de/landtagswahlen/2005/lwahl/a000lw0500.html<br />
McDonald´s 2005: Zahlen und Fakten, aufgerufen am 27.07.2005.<br />
http://www.mcdonalds.de/html/company/ueber_uns/fakten.html<br />
Robbers, Ines 2001: Rapid Response: Die schnelle Antwort der CDU. Erschienen am<br />
19.11.2001, aufgerufen am 01.10.2005.<br />
www.politik-digital.de/e-demokratie/netzkampagnen/rapid.shtml.<br />
SPD NRW 2005: Chronologie der NRWSPD seit 1945, aufgerufen am 31.08.2005.<br />
http://www.nrwspd.de/partei/chronologie.asp
101<br />
SPD NRW 2002: Satzung und Finanzordnung <strong>des</strong> SPD-Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> Nordrhein-<br />
Westfalen, aufgerufen am 15.07.2005.<br />
http://www.nrwspd.de/download/Satzung_NRWSPD.pdf<br />
WDR.de 2005: FDP: mit Würstchen und ohne Wind - Landtagswahl: Liberale sehen<br />
Grüne als Hauptgegner, aufgerufen am 30.06.2005.<br />
http://www.wdr.de/themen/politik/nrw01/landtagswahl_2005/parteien/fdp/index.jhtml?rub<br />
rikenstyle=politik
102<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 1: Gegenüberstellung der Modelle <strong>des</strong> kommerziellen und <strong>des</strong> Politischen Marktes.<br />
Quelle: Kotler 1978: 361. ..................................................................................................... 8<br />
Abb. 2: Entwicklungsstufen <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>. Quelle: Schneider 2004a: 27,<br />
modifizierte Darstellung..................................................................................................... 12<br />
Abb. 3: Forschungsfelder im Bereich <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong>. Quelle: Schneider 2004a:<br />
29, modifizierte Darstellung............................................................................................... 13<br />
Abb. 4: Idealtypische Vorgehensweise einer marketingorientierten Partei bei der Planung<br />
einer Wahlkampagne. Quelle: Eigene Darstellung............................................................. 17<br />
Abb. 5: Mögliche Ausgangspunkte der Recherche einer marketingorientierten Partei vor<br />
einer Wahl. Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf einer Erörterung von Kavanagh<br />
(1995: 135ff)....................................................................................................................... 19<br />
Abb. 6: Positionierungsmöglichkeiten der Parteien. Quelle: Collins/Butler 1994: 29, modifizierte<br />
Darstellung. ............................................................................................................ 23<br />
Abb. 7: Modell für die Einschätzung der in einem Wahlkampf relevanten Themen aus der<br />
Sicht einer Partei im Vergleich zu ihren Gegnern. Quelle: Althaus 2002: 125.................. 28<br />
Abb. 8: Matrix zur Ausgangssituation der hier zu betrachtenden Partei-Lan<strong>des</strong>verbände<br />
vor der Landtagswahl 2005 mit den Dimensionen Regierungsbeteiligung und Parteigröße.<br />
Quelle: Eigene Darstellung................................................................................................. 33<br />
Abb. 9: Wahlergebnisse der vier hier zu betrachtenden Parteien bei der Landtagswahl in<br />
NRW 2005. Quelle: Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen 2005, modifizierte<br />
Darstellung. ............................................................................................................ 35<br />
Abb. 10: Verortung der Beurteilungsdimensionen im Modell der idealtypischen Vorgehensweise<br />
einer marketingorientierten Partei bei der Planung einer Wahlkampagne.<br />
Quelle: Eigene Darstellung................................................................................................. 37<br />
Abb. 11: Übersicht der Beurteilungsdimensionen und Zuordnung zu den Überschriften der<br />
Fragenblöcke.Quelle: Eigene Darstellung.......................................................................... 40<br />
Abb. 12: Verortung der Dimensionen in Bezug auf die zugrunde liegende Leitfrage nach<br />
dem Vorliegen einer <strong>Marketing</strong>orientierung. Quelle: Eigene Darstellung......................... 41<br />
Abb. 13: Muster für die Vorgehensweise bei der Erörterung <strong>des</strong> Gesprächsleitfadens.<br />
Quelle: Eigene Darstellung................................................................................................. 41
103<br />
Abb. 14: Indikatoren der Dimension „Kommunikationspolitik“. Quelle: Eigene Darstellung.<br />
.................................................................................................................................... 43<br />
Abb. 15: Indikatoren der Dimension „Produktpolitik mit dem Fokus auf die Themenauswahl<br />
und Positionierung der Partei“. Quelle: Eigene Darstellung. .................................... 44<br />
Abb. 16: Indikatoren der Dimension „Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten“.<br />
Quelle: Eigene Darstellung........................................................................................ 45<br />
Abb. 17: Indikatoren der Dimension „Distributionspolitik“. Quelle: Eigene Darstellung. 45<br />
Abb. 18: Indikatoren der Dimension „Segmentierung und Targeting“. Quelle: Eigene<br />
Darstellung. ........................................................................................................................ 46<br />
Abb. 19: Indikatoren der Dimension „Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen“. Quelle:<br />
Eigene Darstellung. ............................................................................................................ 47<br />
Abb. 20: Wahlkampforganisation der CDU NRW vor der Landtagswahl 2005. Quelle:<br />
CDU NRW 2005: 92, modifizierte Darstellung. ................................................................ 50<br />
Abb. 21: Wahlkampforganisation der SPD NRW vor der Landtagswahl 2005. Quelle:<br />
Eigene Darstellung. ............................................................................................................ 52<br />
Abb. 22: Wahlkampforganisation der FDP NRW vor der Landtagswahl 2005. Quelle:<br />
Eigene Darstellung. ............................................................................................................ 54<br />
Abb. 23: Wahlkampforganisation von Bündnis 90/Die Grünen NRW im Vorfeld der<br />
Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung. .............................................................. 56<br />
Abb. 24: Vorgehensweise bei der Auswertung der Interviewtranskriptionen. Quelle: Eigene<br />
Darstellung................................................................................................................. 61<br />
Abb. 25: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung der FDP NRW im<br />
Vorfeld der Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung............................................ 65<br />
Abb. 26: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung der CDU NRW<br />
im Vorfeld der Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung. ..................................... 67<br />
Abb. 27: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung bei Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW im Vorfeld der Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung. .. 69<br />
Abb. 28: Maßgebliche Orientierungsmuster bei der Kampagnenplanung der SPD NRW im<br />
Vorfeld der Landtagswahl 2005. Quelle: Eigene Darstellung............................................ 71
104<br />
Abb. 29: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Kommunikationspolitik“.<br />
Quelle: Eigene Darstellung. ................................................................................. 73<br />
Abb. 30: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Produktpolitik mit<br />
Fokus auf die Themenauswahl und die Positionierung der Partei.“ Quelle: Eigene<br />
Darstellung. ........................................................................................................................ 74<br />
Abb. 31: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Produktpolitik mit<br />
Fokus auf den Spitzenkandidaten“. Quelle: Eigene Darstellung........................................ 75<br />
Abb. 32: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Distributionspolitik“.<br />
Quelle: Eigene Darstellung. ................................................................................. 77<br />
Abb. 33: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Segmentierung und<br />
Targeting“. Quelle: Eigene Darstellung. ............................................................................ 78<br />
Abb. 34: Vergleich der betrachteten Fälle hinsichtlich der Dimension „Stellenwert von<br />
<strong>Marketing</strong>prämissen“. Quelle: Eigene Darstellung............................................................ 79<br />
Abb. 35: Übersicht der Fall-Bewertungen bezüglich aller Dimensionen im Vergleich.<br />
Quelle: Eigene Darstellung................................................................................................. 80<br />
Abb. 36: Einordnung der betrachteten Fälle hinsichtlich <strong>des</strong> idealtypischen Spektrums<br />
möglicher Orientierungsmuster. Quelle: Eigene Darstellung............................................. 81
105<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
Die im Rahmen der Arbeit verwendeten Abkürzungen entsprechen den gängigen Konventionen:<br />
Abb.<br />
Abbildung<br />
Bspw.<br />
Beispielsweise<br />
Bündnis 90/Die Grünen NRW Bündnis 90/Die Grünen Lan<strong>des</strong>verband Nordrhein-Westfalen<br />
CDU<br />
Christlich-Demokratische Union<br />
FDP<br />
Freie Demokratische Partei<br />
Grüne<br />
Hier verwendet als Kurzform für Bündnis 90/Die Grünen<br />
NRW<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
NRW-CDU, CDU NRW Christlich-Demokratische Union, Lan<strong>des</strong>verband Nordrhein-Westfalen<br />
NRW-FDP, FDP NRW Freie Demokratische Partei, Lan<strong>des</strong>verband Nordrhein-Westfalen<br />
NRW-SPD, SPD NRW Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Lan<strong>des</strong>verband Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
S. Seite<br />
SPD<br />
Sozialdemokratische Partei Deutschlands<br />
Vgl.<br />
Vergleiche<br />
WASG<br />
Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit
106<br />
Danksagung<br />
Mein erster Dank gilt natürlich dem Betreuer dieser Arbeit, Herrn Professor Dr. Rüdiger<br />
Schmitt-Beck, der mir, meinem Wunsch entsprechend, viele Gestaltungsspielräume gelassen<br />
und sich trotz knapper Ressourcen stets die Zeit für ausführliche Supervisionsgespräche<br />
und Diskussionen genommen hat. Dank auch an seinen Mitarbeiter Thorsten Faas, der<br />
im begleitenden Kolloquium durch manch kritische Anmerkung mein Bewusstsein für die<br />
Schwachstellen im Modell <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> geschärft und auf argumentative<br />
Defizite aufmerksam gemacht hat.<br />
Weil es neben der theoretischen Erörterung im Rahmen dieser Arbeit auch um die Überprüfung<br />
der These „Parteien agieren bei der Planung von Wahlkampagnen marketingorientiert“<br />
in der Praxis gegangen ist, gilt darüber hinaus mein großer Dank den Politikern<br />
sowie ihren Mitarbeitern in den Lan<strong>des</strong>verbänden der betrachteten Parteien, die sich zu<br />
Gesprächen bereit gefunden und die Interviewtranskriptionen zur Verwendung im Rahmen<br />
dieser Arbeit autorisiert haben. In diesem Sinne möchte ich Danke sagen an Börje<br />
Wichert von Bündnis 90/Die Grünen NRW, der, ohne es zu wissen, für das notwendige<br />
Testinterview zur Verfügung gestanden hat. Im Gespräch mit ihm konnte ich feststellen,<br />
dass der Gesprächsleitfaden seinen Zweck erfüllt, und konnte somit beruhigt in die hier<br />
ausgewerteten Gespräche einsteigen. Dank zudem an Marco Mendorf von der FDP NRW,<br />
Dirk Borhart von der SPD NRW, Jo Schroers von Bündnis 90/Die Grünen NRW und Roland<br />
Rochlitzer von der CDU NRW, die mir in Informationsgesprächen Einblicke in die<br />
Organisationsstruktur der Kampagnenplanung in ihrer Partei gewährt haben, so dass ich<br />
meine Gesprächspartner auswählen und gezielt ansprechen konnte. Bemerkenswerter<br />
Weise haben sich alle zu einem Interview bereit gefunden. In diesem Zusammenhang gilt<br />
mein herzlicher Dank dem Generalsekretär der FDP NRW Christian Lindner und seiner<br />
Mitarbeiterin Nina Schultes, dem Generalsekretär der CDU NRW Hans-Joachim Reck<br />
und seiner Mitarbeiterin Gabriele Micolau, dem Generalsekretär der SPD NRW Michael<br />
Groschek, seinen Mitarbeitern Britta Drolshagen und <strong>Rudolf</strong> Hartung, sowie last but not<br />
least der Politischen Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen NRW Sabine Brauer.<br />
Neben dem inhaltlichen Input wurde mein Vorhaben auch organisatorisch vielseitig unterstützt:<br />
Vielen Dank in diesem Zusammenhang meinen Kolleginnen am Institut für Politikwissenschaft<br />
an der Universität Duisburg-Essen, Monika Bähtz, Inge Fischer und Dagmar<br />
Wetzel. Sie haben meine Hektik tapfer ertragen, sich die Zeit für aufmunternde Worte<br />
genommen und mir zudem ein Diktiergerät, Kassetten und ein Abspielgerät unbürokratisch<br />
zur Verfügung gestellt, was die Abwicklung der Interviews ungemein erleichtert hat.<br />
Herzlichen Dank außerdem an meine Kollegin Kendra Ludwigs, die mir den Rücken frei<br />
gehalten hat, als es anstrengend wurde, sowie an meine Kollegen Simon Wiegand, Klaus<br />
Stinnertz und - vom Institut für Kognition und Kommunikation - Mark Bormann, die Rat<br />
wussten, wenn ich mit meinem Latein am Ende war.<br />
Wer ein ehrgeiziges Projekt vollbringen will, ist darüber hinaus immer auch auf die Unterstützung<br />
und Kompromissbereitschaft derer, die ihm am wichtigsten sind, angewiesen.<br />
Mein großer Dank gilt in diesem Sinne insbesondere meinen Freundinnen Katharina Ott,
107<br />
Katrin Prinzen, Birgit Neujahr und Roswitha Reincke, die stets ein offenes Ohr (und zwei<br />
offene Augen) für meine Anliegen hatten. Ein nicht in Worte zu fassender Dank gilt diesbezüglich<br />
auch meinem Freund Christian Lüder, der mich immerzu inspiriert und motiviert<br />
hat, die Arbeit zu schreiben, die ich schreiben wollte und keine Kompromisse zu machen.<br />
Die Liste derer, die mich unterstützt haben, wäre nicht vollständig, ohne meine Eltern,<br />
Erika Diermann und Jürgen Diermann, zu nennen. Sie haben viele Einbußen wie selbstverständlich<br />
in Kauf genommen, um mir fünf Jahre Studium und sieben Monate Diplomarbeit<br />
finanziell wie generell zu ermöglichen und standen bereit, wann immer ich sie gebraucht<br />
habe. Ihnen gilt mein besonders tief empfundener Dank.
108<br />
Selbstständigkeitserklärung<br />
Hiermit versichere ich, Melanie Diermann, Matrikel-Nr. 736996, die vorliegende Diplomarbeit<br />
„<strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>: <strong>Relevanz</strong> <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes für politische Parteien als Managementstrategie<br />
für Wahlkämpfe [eine vergleichende Fallanalyse] am Beispiel der Landtagswahl<br />
2005 in NRW.“<br />
selbstständig verfasst, bisher nicht anderweitig verwendet oder eingereicht und keine anderen<br />
als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt zu haben. Zitate habe ich entsprechend<br />
gekennzeichnet.<br />
Duisburg, den 21.12.2005<br />
Melanie Diermann
109<br />
Anhang<br />
Der Anhang, dem ein gesondertes Verzeichnis und eine eigene Seitennummerierung zugrunde<br />
liegen, ist in Dateiform im pdf-Format auf einem CD-ROM-Datenträger beigefügt.<br />
Er enthält im Sinne der Forschungstransparenz die im Rahmen dieser Arbeit erfassten Interviewtranskriptionen,<br />
den Gesprächsleitfaden sowie das Auswertungsschema und die<br />
Auswertungsprotokolle zu den Interviewtranskriptionen. Weil er nicht unmittelbarer Bestandteil<br />
der Diplomarbeit gemäß Prüfungsordnung Paragraf 24, Absatz 4 ist, ist hier nach<br />
Rücksprache mit dem Themensteller dieser Arbeit geschlossen worden, dass keine Verpflichtung<br />
besteht, ihn in schriftlicher Form einzureichen.
I<br />
Anhang:<br />
A1) Gesprächsleitfaden........................................................................................................................................II<br />
A2) Interviewtranskriptionen.............................................................................................................................. V<br />
A2.1) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit Börje Wichert, Mitarbeiter Grüne NRW ............................................ V<br />
A2.2) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit dem Generalsekretär der FDP NRW, Christian Lindner ................ XIII<br />
A2.3) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit dem Generalsekretär der CDU NRW, Hans-Joachim Reck............. XX<br />
A2.4) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit der Politischen Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen NRW,<br />
Sabine Brauer .......................................................................................................................................... XXVIII<br />
A2.5) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit dem Generalsekretär der SPD NRW, Michael Groschek ......... XXXVI<br />
A3) Auswertungen der Gesprächstranskriptionen der Interviews ........................................................... XLIV<br />
A3.1) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Chrisitan Linder, FDP NRW...............XLVI<br />
A3.2) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Hans-Joachim Reck, CDU NRW.......... LVI<br />
A3.3) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Sabine Brauer, Grüne NRW.................LXX<br />
A3.4) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Michael Groschek, SPD NRW.......... LXXX
II<br />
A1) Gesprächsleitfaden<br />
Der Gesprächsleitfaden entspricht den Prämissen, die in Kapitel 5.2 und den dazugehörigen Unterpunkten erörtert<br />
worden sind.<br />
Einleitung in das Gespräch<br />
Erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Es soll etwa 60 Minuten dauern. In<br />
dieser Zeit möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, die sich auf die Organisation von Wahlkampagnen und insbesondere<br />
auf die Planung Ihrer Kampagne zur NRW-Landtagswahl 2005 beziehen. Insgesamt möchte ich mit<br />
Ihnen über folgende Themenbereiche sprechen:<br />
• Kommunikationsziele der Kampagne<br />
• Themenauswahl für die Kampagne<br />
• Die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
• Interne und externe Kampagnenkommunikation<br />
• Zielgruppen und ihre Bedeutung im Rahmen der Kampagne<br />
• Der Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Weil Sie in Ihrer Partei diesbezüglich eine einflussreiche Position bekleiden, wurden Sie als Experte ausgewählt<br />
und um dieses Gespräch gebeten. In den anderen Parteien sind ähnliche Interviews geplant oder wurden bereits<br />
durchgeführt. Die aus den Interviews resultierenden Informationen dienen der politischen Grundlagenforschung.<br />
Es geht also nicht darum zu beurteilen, welche Kampagne besser und welche Kampagne schlechter gewesen ist,<br />
sondern um die rein wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wahlkampagnen. Wenn Sie keine weiteren Fragen<br />
haben, werde ich mit meiner ersten Frage beginnen.<br />
Kommunikationsziele der Kampagne<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Wahlkampagne für die vergangene Landtagswahl zurückdenken, worin, würden<br />
Sie sagen, lagen die zentralen Kommunikationsziele, die Sie im Rahmen Ihrer Kampagne verfolgt haben?<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen heutzutage<br />
von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden? Von wem? In welchen<br />
Angelegenheiten? Mit welchem Ergebnis? Welchen Stellenwert hatte diese Beratung für die Planung der Wahlkampagne,<br />
zum Beispiel im Verhältnis zu eigenen Kenntnissen und Einschätzungen?<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die im Rahmen der Kampagne eine<br />
Rolle gespielt haben, worauf kam es dabei an?<br />
Wie wichtig war es in diesem Zusammenhang, den Wähler dort abzuholen, wo er steht? [Wichtig? Dann weiter:]<br />
Woher wussten Sie denn, wie man das am Besten erreicht? (Beratung? Von wem? Studien? Was? Usw.)<br />
[Falls nicht aus vorheriger Antwort hervorgegangen:] Haben Sie die Wirkung oder den Wortlaut von bestimmten<br />
Slogans vorher getestet? Wenn ja: in welcher Weise? An wem? Wer hat sie ggf. darin unterstützt? Welche Konsequenzen<br />
wurden daraus gezogen? Usw.<br />
Themenauswahl für die Kampagne<br />
Welche Faktoren waren entscheidend für die Auswahl der zentralen Themen der Kampagne?<br />
Wie wichtig war die Erwartungshaltung Ihrer potentiellen Wähler für die Auswahl der Themen zum Beispiel im<br />
Vergleich zu Impulsen aus der Partei?<br />
(Falls wichtig:) Woher kannten Sie denn diese Erwartungshaltungen? Ggf. weiter nachfragen: Wurden Sie in<br />
diesem Kontext beraten, oder haben Sie eigene Recherchen oder Studien durchgeführt? (Falls ja: Welche waren<br />
das und mit welcher Erkenntnis? Usw.)<br />
Gab es auch Themen oder Aussagen im Rahmen Ihrer Kampagne, die Sie vor allem <strong>des</strong>halb betont haben, damit<br />
sich auch Wähler angesprochen fühlen, die sonst vielleicht eher nicht dazu tendieren würden, [Ihre Partei = Name<br />
der Partei] zu wählen? Wenn ja: Welche waren das? Wie erfolgreich waren diese Maßnahmen? [Gab es eine<br />
Erfolgskontrolle? Wenn ja: Auf welcher (Daten-)Basis und mit welchem Ergebnis?]
Gab es Überlegungen oder hatten Sie Informationen, auf welche Themen und Aussagen die anderen Parteien<br />
insbesondere setzen würden? Wenn ja, haben diese Überlegungen zu einer Reaktion im Rahmen Ihrer Themenauswahl<br />
oder Betonung geführt? Falls ja, in welcher Weise?<br />
III<br />
Die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
In welcher Weise wurde bestimmt, wer die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten übernimmt? Gab es im Vorfeld einen<br />
Auswahlprozess, oder war es von vorn herein klar, wer antreten würde? (Wenn ja, wieso?) Gab es ggf. Gegenkandidaten?<br />
Im Vorfeld der Kampagne haben Sie sich ja bestimmt überlegt, in welcher Weise [Ihr Kandidat] im Rahmen der<br />
Kampagne in Erscheinung treten sollte. Welche Faktoren waren dabei maßgeblich?<br />
Haben Sie in die Planung der Kampagne die Erwartungen der Wähler an den Kandidaten in Ihre Überlegungen<br />
einbezogen? Wenn ja: Woher kannten Sie diese Erwartungen? (Beratungen? Studien usw.) Welche Konsequenzen<br />
haben Sie daraus gezogen?<br />
Man hört ja, dass Spitzenkandidaten in Wahlkämpfen heutzutage recht intensiv „gecoacht“ und unterstützt werden.<br />
Wie war das denn im Fall von [Ihrem/n Kandidaten = Name <strong>des</strong>/der entsprechenden Kandidaten]? Von<br />
wem konkret wurde er [wurden sie] denn unterstützt und beraten?<br />
Interne und externe Kommunikation<br />
Im Rahmen Ihrer Kampagne wurde ja über unterschiedliche Kommunikationskanäle mit dem Wähler kommuniziert.<br />
Da gab es zum Beispiel die öffentlichen Auftritte <strong>des</strong> Kandidaten, Seiten im Internet oder Plakate vor Ort.<br />
Aufgrund welcher Prämissen haben Sie denn die finanziellen Mittel <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auf die verschiedenen<br />
Kanäle aufgeteilt? Welche Informationen haben Sie diesbezüglich zugrunde gelegt? Woher stammten diese<br />
Informationen? Beratung? Von wem? Studien? Was? usw.<br />
Gab es im Rahmen der Kampagnenplanung Analysen über regionale Besonderheiten bei vergangenen Wahlen?<br />
Gab es daraus resultierend seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auch individuelle Handlungsempfehlungen für einzelne<br />
Stadt- oder Kreisverbände?<br />
Haben Sie sich mit dem Erfolg der Kommunikation über die einzelnen Kanäle, die Sie im Wahlkampf genutzt<br />
haben, nach der Wahl beschäftigt? Wenn ja, in welcher Weise? Gab es eine Evaluation <strong>des</strong> Erfolges? Wenn ja:<br />
Aufgrund welcher (Daten- und Informations-)Basis und welche Konsequenzen werden daraus für künftige Kampagnen<br />
gezogen?<br />
Zielgruppen und ihre Bedeutung im Rahmen der Kampagne<br />
Haben Sie im Rahmen der Kampagnenplanung bestimmte Zielgruppen in der Wählerschaft besonders ins Auge<br />
gefasst? Wenn ja, welche waren das und warum gerade diese? Wenn ja, warum sind Sie so vorgegangen? Welche<br />
Informationen lagen zugrunde? Woher kamen diese Informationen? (Ggf. genauer nachfragen: Beratung?<br />
Von wem? Studien? Was? Welche Ergebnisse? Literatur? Was? Welche Autoren? Welche Erkenntnis? usw.)<br />
Gab es ggf. regionale Schwerpunke der Kampagne? Wenn ja: Welche und warum gerade diese?<br />
[An dieser Stelle nur weiter, wenn Zielgruppen gebildet worden sind, sonst weiter mit dem nächsten Block:] Wie<br />
haben Sie denn Ihre Zielgruppe(n) schließlich angesprochen? Bestimmte Botschaften? Bestimmte Themen?<br />
Bestimmte Kanäle?<br />
Wenn Sie sich jetzt mal an den gesamten Planungsprozess der Wahlkampagne erinnern: Welchen Stellenwert<br />
hatten die Zielgruppen dabei? War das eher ein Aspekt unter vielen? Oder war das von besonders großer Wichtigkeit<br />
im Rahmen der Kampagnenplanung? [Falls Wichtig:] Warum war das so wichtig?<br />
Der Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Wenn Sie einmal ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden Sie da mit den<br />
Begriffen <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Ist es aus der Sicht einer Partei vor einer Wahl im Sinne eines guten Ergebnisses zielführend, alle Informationen<br />
über die Erwartungen potentieller Wähler in den Mittelpunkt der Kampagnenplanung zu stellen und das politi-
sche Angebot, also die Präsentation <strong>des</strong> Kandidaten oder die Positionierung der Partei hinsichtlich relevanter<br />
Sachfragen danach auszurichten?<br />
[Falls die Antwort auf die vorherige Frage dies im Unklaren lässt: Halten Sie es grundsätzlich für legitim, dass<br />
eine Partei nach diesem Muster vorgeht, um ein besseres Wahlergebnis zu erreichen?]<br />
Findet diese Vorgehensweise in der Realität tatsächlich statt oder würden Sie sagen, dass es sich dabei eher um<br />
eine hypothetische Frage handelt?<br />
Wenn Sie zum Beispiel einmal an Ihre Kampagne vor der Landtagswahl 2005 denken, würden Sie sagen, dass<br />
Sie bei der Planung Informationen über die Vorstellungen der Wähler mit dem Ziel eingeholt haben, mit der<br />
Kampagne auf diese Erwartungen reagieren zu können? (Ggf. Nachfrage: War das ein Faktor unter vielen oder<br />
würden Sie sagen, dass die Erwartungshaltung <strong>des</strong> Wählers schon ein sehr zentrales Handlungsmotiv gewesen<br />
ist?)<br />
Wie war das bei den anderen Parteien in diesem Wahlkampf? Würden Sie sagen, dass dort [im Fall einer positiven<br />
Antwort auf die vorherige Frage: auch] nach dieser Prämisse gehandelt worden ist? Falls ja, ist diese Orientierung<br />
bei allen Parteien etwa gleichstark oder gab es hinsichtlich der Intensität gewisse Unterschiede? (Ggf.<br />
Nachfrage: Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?)<br />
IV
V<br />
A2) Interviewtranskriptionen<br />
Die Transkriptionen der Interviews sind hier in derselben Reihenfolge aufgeführt, wie sie zeitlich aufeinander<br />
folgend geführt worden sind. In den späteren Interviews ist jedoch in keiner Weise auf die früheren Interviews<br />
Bezug genommen worden.<br />
A2.1) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit Börje Wichert, Mitarbeiter Grüne NRW<br />
Abschrift <strong>des</strong> Mitschnittes eines leitfadengestützten Gesprächs mit dem Referenten <strong>des</strong> Sprechers und der Sprecherin<br />
<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>vorstan<strong>des</strong> von Bündnis 90/Die Grünen NRW, Herrn Börje Wichert, über die Planung der<br />
Wahlkampagne zur Landtagswahl 2005 in seiner Partei. Das Gespräch fand am 08.09.2005 in Düsseldorf statt.<br />
Die folgende Mitschrift wurde am 15.09.2005 von Herrn Wichert autorisiert und zur Verwendung im Rahmen<br />
<strong>des</strong> vorliegenden Vorhabens freigegeben. Die Fragen und Beiträge der Interviewerin sind durch Unterstreichung<br />
kenntlich gemacht.<br />
Erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Es soll etwa 60 Minuten dauern. In<br />
dieser Zeit möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, die sich auf die Organisation von Wahlkampagnen und insbesondere<br />
auf die Planung Ihrer Kampagne zur NRW-Landtagswahl 2005 beziehen. Insgesamt möchte ich mit<br />
Ihnen über folgende Themenbereiche sprechen:<br />
• Kommunikationsziele der Kampagne<br />
• Themenauswahl für die Kampagne<br />
• Die Rolle der Spitzenkandidaten<br />
• Kommunikation mit der Wählerschaft<br />
• Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen<br />
• Stellenwert von <strong>Marketing</strong><br />
Weil Sie in Ihrer Partei diesbezüglich eine einflussreiche Position bekleiden, wurden Sie als Experte ausgewählt<br />
und um dieses Gespräch gebeten. In den anderen Parteien stehen ähnliche Interviews bevor. Die aus den Interviews<br />
resultierenden Informationen dienen der politischen Grundlagenforschung. Es geht also nicht darum zu<br />
beurteilen, welche Kampagne besser und welche Kampagne schlechter gewesen ist, sondern um die rein wissenschaftliche<br />
Auseinandersetzung mit Wahlkampagnen. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, werde ich mit<br />
meiner ersten Frage beginnen.<br />
Zunächst möchte ich mich dem Fragenblock „Kommunikationsziele der Kampagne“ zuwenden. Wenn Sie jetzt<br />
einmal an die Wahlkampagne für die vergangene Landtagswahl zurückdenken, worin, würden Sie sagen, lagen<br />
die zentralen Kommunikationsziele, die Sie im Rahmen Ihrer Kampagne verfolgt haben?<br />
Wichert: Die zentralen Kommunikationsziele der Kampagne lagen ganz eindeutig darin, zu zeigen, dass Grüne<br />
in der Regierungsverantwortung notwendig sind, um ökologische Elemente, um Bürgerrechtselemente, aber<br />
eben vor allem ökologische Elemente im Zusammenhang mit ökonomischen zu etablieren und als existenziellen<br />
Bestandteil der nachhaltigen Entwicklung in einer neuen Wahlperiode voranzutreiben.<br />
Also, wir sind wichtig weil...<br />
Wichert: Wir sind wichtig weil..., oder eben, das war ja auch der Claim der Kampagne „alles andere ist zweite<br />
Wahl“. Wir wollten also zeigen, dass es verschiedener Elemente der Nachhaltigkeit bedarf um NRW weiter<br />
voran zu bringen. Man darf nicht vergessen, dass wir dieses Land zehn Jahre mitregiert haben. Das ist natürlich<br />
konsequenter Weise nur dann glaubwürdig, wenn es eine Fortführung der Politiken der von den Grünen-<br />
Ministern Bärbel Höhn und Michael Vesper gestalteten Ressorts gibt. Bärbel Höhn war Ministerin für Umwelt<br />
und Verbraucherschutz und Michael Vesper war Minister für Stadtentwicklung und Kultur. Diese Ressorts<br />
mussten somit ganz wesentlicher Teil der Kampagne sein, ansonsten hätte man nicht glaubhaft vermitteln können,<br />
dass grüne Politik den Anspruch hat, weiterhin Regierungspolitik zu sein.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen heutzutage<br />
von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden?<br />
Wichert: Also man muss da unterscheiden: Es gibt einerseits Werbeagenturen, die sich zumin<strong>des</strong>t in Teilbereichen<br />
auf Politik spezialisiert haben. Wir hatten da eine Agentur, die Agentur Zum Goldenen Hirschen, die sehr<br />
erfolgreich auch den Europawahlkampf und den Kommunalwahlkampf für die Grünen gemanagt hat. Andererseits<br />
kann Politikberatung alles Mögliche sein. Wenn man so weit geht wie Michael Spreng, der ehemalige Chef-
adakteur der Bildzeitung, dann haben wir das nicht nötig. Das haben wir auch nicht gemacht. Die PolitikerInnen<br />
selbst sollen und müssen die Politik entwickeln, alles andere macht keinen Sinn. Wenn die Politikerinnen und<br />
Politiker die Politikkonzepte nicht mehr selbst entwickeln und sie folglich auch nicht überzeugend darstellen<br />
können, weil sie selbst kein Gefühl mehr dafür haben, was richtig und was falsch ist, dann kann man sie auch<br />
gleich ersetzen.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die im Rahmen der Kampagne eine<br />
Rolle gespielt haben, worauf kam es dabei an? Wie wichtig war es in diesem Zusammenhang, den Wähler dort<br />
abzuholen, wo er steht?<br />
Wichert: Das ist mit Sicherheit genau das Entscheidende, den Wähler dort abzuholen, wo er steht. Da spielt<br />
Empirie sicherlich eine große Rolle. Wir wissen, dass, um einfach mal Fakten zu nennen, dass die überwiegende<br />
Zahl unserer Wähler, Wählerinnen, also vor allem Frauen sind. Wir wissen, dass sie in der überwiegenden Zahl<br />
Akademikerinnen sind, und wir wissen, dass das Haushaltseinkommen zumin<strong>des</strong>t in der Kohorte der über 30-<br />
Jährigen überdurchschnittlich hoch ist. Wir wissen also einiges über unsere Wählerinnen und Wähler, was auch<br />
der wissenschaftlichen Forschung zu verdanken ist und dann kann man sich schon überlegen, was unsere Wählerinnen<br />
und Wähler wichtig finden und wo unsere Wählerinnen und Wähler den Grünen Kompetenz zusprechen.<br />
Ich will ein Beispiel herauspicken: Besonders viel Kompetenz haben wir im Bereich Verbraucherschutz, da hat<br />
man die Leute da abgeholt, wo sie stehen, indem man sie mit einem Verbraucherschutzplakat gezielt daran erinnert<br />
hat. Der Slogan lautete dort „Saver shoppen ohne Gen-Tech“. Das ist in der Tat wichtig, man darf aber bei<br />
der ganzen Empirie nicht vergessen, dass sich die Gewichtungen in der Wahlentscheidung <strong>des</strong> Wählers und der<br />
Wählerin auch relativ schnell ändern können, und zwar auch während der Kampagne noch ändern können. Am<br />
Anfang der Kampagne hätte wohl niemand gedacht, dass sich die Kampagne am Ende auf Arbeit in dieser Singularität<br />
zuspitzen würde.<br />
Um noch einmal auf das Stichwort Empirie zurückzukommen: Was sind das für empirische Daten, woher kamen<br />
diese?<br />
Wichert: Eine Möglichkeit ist zum Beispiel ein Abonnement von Umfragediensten, eine andere Möglichkeit ist<br />
schlicht und einfach Zeitung zu lesen. Ich weiß, dass sich die Anzahl an Umfragen, gar nicht so sehr über <strong>Politisches</strong>,<br />
aber eben auch über <strong>Politisches</strong>, in den Zeitungen in den letzten Jahren potenziert hat und insofern ist es<br />
relativ einfach möglich, auf Daten zurückzugreifen. Die Frage ist aber eben, inwiefern das immer sinnvoll ist.<br />
Vielfach ist es vor allem sinnvoll, den eigenen Verstand zu benutzen und zu schauen, wie beispielsweise auf<br />
Veranstaltungen oder auf der Straße mit Bürgerinnen und Bürgern reagieren, welche Themen dort wichtig sind.<br />
Das heißt man könnte sagen, es geht vor allem um die Recherche und um die eigene Bewertung der Situation.<br />
Wichert: Das kann man so sagen. Es ist eben ein Mix aus allem.<br />
Haben Sie die Wirkung oder den Wortlaut von bestimmten Slogans vorher getestet? Gab es da eine Fokusgruppe<br />
oder ähnliches?<br />
Wichert: Ja. Unsere Fokusgruppe war sozusagen die Wahlkampfkommission. Das war eine Kommission bestehend<br />
aus Partei- und Fraktionsvorstand, Wahlkampfmanagerin, Wahlkampfkoordinator, sowie den Spitzenkandidaten<br />
Bärbel Höhn und Michael Vesper. Diese Fokusgruppe hat die Entwürfe der Agentur zur Ansicht bekommen<br />
und dann entscheiden, was Teil der Kampagne werden soll und was nicht.<br />
Das heißt, an Externen, zum Beispiel an ausgewählten Bürgern, gab es keinen Test hinsichtlich der Wirkung?<br />
Wichert: Nein, das ist mir zumin<strong>des</strong>t nicht bekannt. Mag sein, dass die Agentur so etwas im Vorfeld gemacht<br />
hat, ohne unser Wissen. Aber das würde ich auch für sinnlos halten.<br />
Nun komme ich auf den Bereich „Themenauswahl für die Kampagne“ zu sprechen. Welche Faktoren waren<br />
entscheidend für die Auswahl der zentralen Themen der Kampagne? Das haben Sie zum Teil ja bereits erörtert.<br />
Sie sagten, weil die Spitzenkandidaten als Minister vor allem für ihre Ressorts stehen und wahrgenommen werden,<br />
waren diese Themen zentral.<br />
Wichert: Die Darstellung Grüner Themen ist ja in den letzten zehn Jahren ganz stark sowohl durch Michael<br />
Vesper, als auch durch Bärbel Höhn, die ja beide extrem starke Persönlichkeiten sind, geprägt worden, wobei die<br />
Schwerpunkte der beiden ja ganz unterschiedlich waren. Um das mal am Beispiel von Bärbel Höhn zu verdeutli-<br />
VI
chen: Sie war die Galionsfigur <strong>des</strong> Widerstan<strong>des</strong> gegen die Durchsetzung rein ökonomischer Interessen. Das hat<br />
angefangen bei Garzweiler II und ist gegangen bis zur Chemikalienrichtlinie REACH, wo es dann eben auch<br />
andere Umsetzungskonzepte gegeben hätte. Die einen eben sehr ökonomieorientiert, die anderen den Ausgleich<br />
zwischen Verbraucherschutz und Ökonomie suchend. Politik wird eben durch Personen verkörpert. Bärbel Höhn<br />
und Michael Vesper haben selbstverständlich vor allem die Themen ihrer Ressorts repräsentiert und damit einher<br />
geht, weil NRW ja keine Insel ist, dass das auch die Themen waren, die überhaupt schwerpunktmäßig von Grünen<br />
bearbeitet worden sind, auch auf der Bun<strong>des</strong>ebene. Es war eben nicht nur so, dass Michael Vesper hier in<br />
NRW sehr viel für Windkraft getan hat, sondern es war auch so, dass Jürgen Trittin im Bund sehr viel dafür<br />
getan hat. Erneuerbare Energien sind <strong>des</strong>halb ein klares Zeichen Grüner Politik. Dasselbe trifft auch für den<br />
Verbraucherschutz zu. Das ergibt sich in einem relativ klar strukturierten Prozess, dass man da nicht plötzlich<br />
Themen nehmen kann, die vielleicht auch wichtig sind, und vielleicht auch für eine Minderheit der Grünen-<br />
Wählerinnen und Wähler eine Rolle spielen, aber die eben überhaupt nicht mit bekannten Persönlichkeiten verbunden<br />
werden. Das wäre eine Vorgehenswiese, die zum Scheitern verurteilt wäre.<br />
Gab es Überlegungen oder hatten Sie Informationen, auf welche Themen und Aussagen die anderen Parteien<br />
insbesondere setzen würden? Wenn ja, haben diese Überlegungen zu einer Reaktion im Rahmen Ihrer Themenauswahl<br />
oder Betonung geführt? Falls ja, in welcher Weise?<br />
Wichert: Um das vorab zu sagen: natürlich hatten wir zu jedem Zeitpunkt die Information, was die anderen machen.<br />
Ich selbst war zuständig für die Gegnerbeobachtung. Ich bin auf fast jedem größeren Event der anderen<br />
Parteien gewesen, bis hin zur WASG, deren Wichtigkeit ja damals sich noch nicht jedem erschlossen hat. Insofern<br />
ist diese Information auf jeden Fall da und diese Information ist auch in begrenztem Maße wichtig. Diese<br />
Information ist aber letzten En<strong>des</strong> nicht entscheidend, weil es vor allem darauf ankommt, im Wahlkampf sein<br />
eigenes Profil zu zeigen und es sicherlich das absolut Falscheste wäre, auf eine Position zu setzten, weil man<br />
sieht, dass andere mit dieser Position Erfolg haben. Die Menschen wählen dann nämlich lieber das Original als<br />
das Plagiat. Also, es ist bei der Landtagswahl so gewesen, dass die CDU in vielen Bereichen aus der Oppositionsrolle<br />
heraus Themen setzen konnte, die sie jetzt aus der Regierungsrolle schon nicht mehr setzen könnte.<br />
Allein zu beklagen, dass es in NRW eine Million Arbeitslose gibt, was in der Tat hoch dramatisch ist, kann sich<br />
eben nur eine Oppositionspartei leisten. Auch wir als Grüne wussten, dass das ein wichtiges Thema ist, weil es<br />
die Menschen bewegt und dass auch Grüne Wählerinnen und Wähler bewegt. Selbst die viel gescholtenen Akademikerinnen<br />
und Akademiker, die im staatlichen Mittelbau ihre Beschäftigung haben, beschäftigt das, weil sie<br />
genau wissen, dass ihre Kinder und Enkelkinder davon betroffen sein können. Aber es bringt einer Regierungspartei<br />
nichts, das zu wissen, wenn man sieht, wie begrenzt Politik Arbeitsplätze schaffen kann. Profitieren kann<br />
von einer solchen Tatsache nur eine Oppositionspartei und nur so lange, wie sie keine Verantwortung tragen<br />
muss.<br />
Das heißt, man hat bei der Planung der Kampagne schon darum gewusst, dass das Thema Arbeit schon für viele<br />
Leute sehr zentral ist, vielleicht sogar wahlentscheidend, hat aber nicht stärker darauf gesetzt, weil man davon<br />
ausgehen musste, dass es sich nicht verkaufen lässt, dass man sowohl im Bund als auch im Land seit sieben<br />
beziehungsweise seit zehn Jahren regiert und sich jetzt hinstellt und sagt, man wüsste eine Lösung?<br />
Wichert: Es ist einerseits eine Form von Ehrlichkeit, die einfach angesagt gewesen ist. Man kann nicht behaupten,<br />
dass die Arbeitslosigkeit massiv abgebaut werden wird, allein dadurch, dass man jetzt weiter regiert, wenn<br />
man zehn Jahre regiert hat und sich gezeigt hat, dass das trotz der intensiven Anstrengungen nicht der Fall gewesen<br />
ist. Und andererseits muss man sich auch anschauen, dass gerade Grüne Wählerinnen und Wähler eben besonders<br />
kritisch sind und das wir es möglicherweise auf die Titelseite der Titanik geschafft hätten, mit einer<br />
Kampagne, in der wir versprochen hätten, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, so wie es andere früher schon getan<br />
haben. Aber wir hätten uns damit natürlich völlig der Lächerlichkeit preisgegeben. Es wäre noch nicht einmal<br />
klar gewesen, ob unsere Basis solche Plakate hinterher gehängt hätte...<br />
Interviewerin:... oder ob sie nicht statt <strong>des</strong>sen die Kampagnenplaner gehängt hätten?!<br />
Wichert: [lacht] Ja genau.<br />
Nun zu der Rolle der Spitzenkandidaten innerhalb der Kampagne. In welcher Weise wurde bestimmt, wer die<br />
Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten übernimmt? Gab es im Vorfeld einen Auswahlprozess, oder war es von vorn herein<br />
klar, wer antreten würde? Gab es ggf. Gegenkandidaten?<br />
Wichert: Es gibt bei den Grünen eine Listenwahl auf dem Parteitag, der so genannten Lan<strong>des</strong>deligiertenkonferenz,<br />
und da ist es so gewesen, dass Bärbel Höhn für den Listenplatz 1 kandidiert hat und Michael Vesper für<br />
VII
den Listenplatz 2 und es hat auch niemand gegen sie kandidiert. Beide haben dort hervorragende Wahlergebnisse<br />
bekommen. Ich glaube, Bärbel Höhn hat über 90 Prozent der Stimmen bekommen und Michael Vesper um die<br />
70 Prozent. Und damit standen die Spitzenkandidaten fest. Das ist also ein völlig normaler demokratischer Vorgang<br />
gewesen. Ich glaube nicht anders, als in den anderen Parteien auch - zumin<strong>des</strong>t was das Nominierungsverfahren<br />
betrifft. Es gibt ja in anderen Parteien den Usus, dass vorher schon ausgerufen wird, wer das macht. Aber<br />
wir haben ja zum Glück eine sehr kritische Basis, die so etwas hinterfragt und wenn wir das gemacht hätten,<br />
wären wir schon allein dafür gehängt worden.<br />
Im Vorfeld der Kampagne haben Sie sich ja bestimmt überlegt, in welcher Weise [Ihr Kandidat] im Rahmen der<br />
Kampagne in Erscheinung treten sollte. Welche Faktoren waren dabei maßgeblich?<br />
Wichert: Im Gegensatz zu Kampagnen aus den 80er Jahren muss man hier sicherlich feststellen, dass es schon<br />
ein entscheidender Unterschied ist. Damals haben die Grünen ja noch die These vertreten, man dürfe mit Personen<br />
und Köpfen nicht werben, und statt<strong>des</strong>sen auf den Plakaten dann ein Kaninchen drauf war, oder der Kartoffelstempeldruck<br />
von Joseph Beuys. Ich denke, dass man sich da heute eben in den Maßstäben der Mediendemokratie<br />
bewegt und weiß, dass es wichtig ist, auch Köpfe zu plakatieren und Personen in den Mittelpunkt zustellen.<br />
Weil eben Köpfe Politik präsentieren. Politik ohne Personen geht nicht und wird niemals gehen.<br />
Haben Sie in die Planung der Kampagne die Erwartungen der Wähler an den Kandidaten in Ihre Überlegungen<br />
einbezogen?<br />
Wichert: Wenn man Leute 15 Jahre kennt, und wenn ein Lan<strong>des</strong>verband einer Partei seit 15 Jahren, zuerst als<br />
Fraktionsvorsitzende und dann als Minister, mit zwei Personen Politik macht, dann muss man sich als Lan<strong>des</strong>verband<br />
nicht so intensiv damit beschäftigen, wie die beiden wirken, das weiß man dann. Inwiefern sich die<br />
Agentur damit auseinander gesetzt hat, das kann ich persönlich nicht sagen, da bin ich nicht der richtige Ansprechpartner.<br />
Man hört ja, dass Spitzenkandidaten in Wahlkämpfen heutzutage recht intensiv „gecoacht“ und unterstützt werden.<br />
Wie war das denn im Fall von Bärbel Höhn und Michael Vesper? Von wem konkret sind die beiden denn<br />
unterstützt und beraten worden?<br />
Wichert: Es gibt doch im ganz normalen politischen Betrieb Pressesprecher, es gibt Fotografen, die wissen, wie<br />
man Leute richtig fotografiert. Die wirklich gut sind, die sich ein Renommee erarbeitet haben und Referenzen<br />
aufweisen können. Es ist klar, dass man dann mit denen arbeitet und nicht mit jemandem, der gerade aus der<br />
Lehre kommt. Und alles andere, würde ich mal unter Scharlatanerie packen, weil es so ist, dass diejenigen, die<br />
da in der Vergangenheit groß beraten haben, auch alle nur mit Wasser kochen. Ich glaube, Radunski ist ein sehr<br />
gutes Beispiel dafür, weil er ja vorher selbst als Politiker agiert hat und dann, so glaube ich, nicht so sehr aus<br />
eigenem Antrieb in die Politikberatung gegangen ist. Aber das ist nur eine Vermutung von mir.<br />
Das heißt also, es gab keine nennenswerten Konsultationen mit externen Beratern, es ging also vielmehr darum,<br />
eigenes Wissen anzuwenden?<br />
Wichert: Können. Es ging darum, eigenes Können anzuwenden [lacht].<br />
Gut. Dann komme ich jetzt auf den Themenkomplex „Kommunikation mit der Wählerschaft“ zu sprechen: Im<br />
Rahmen Ihrer Kampagne wurde ja über unterschiedliche Kommunikationskanäle mit dem Wähler kommuniziert.<br />
Da gab es zum Beispiel die öffentlichen Auftritte <strong>des</strong> Kandidaten, Seiten im Internet oder Plakate vor Ort. Aufgrund<br />
welcher Prämissen haben Sie denn die finanziellen Mittel <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auf die verschiedenen<br />
Kanäle aufgeteilt? Welche Informationen haben Sie diesbezüglich zugrunde gelegt?<br />
Wichert: Es gibt ja zum einen die Pflicht, gewissen Anforderungen gerecht zu werden. Nehmen wir zum Beispiel<br />
einmal die Flyer, die man für den Wahlkampf produziert. Da gibt es gewisse Fixkosten, die nun mal existieren.<br />
Zum Beispiel kann man Druck- oder Layoutkosten nicht beliebig minimieren. Völlig egal, ob man das in<br />
house oder extern macht. Und dann kann man darüber hinaus in die Kür gehen. Da muss man sehen, was notwendig<br />
ist und was man da gerne realisieren möchte. Letztlich muss der Kampagnenleiter im Dialog mit dem<br />
Schatzmeister entscheiden, was möglich ist. Es gibt ja einen Gesamtetat, der festgelegt ist und in diesem Rahmen<br />
bewegt sich letztlich die Kampagne. Das Wichtigste an so einer Kampagne ist, und da will ich gar nicht speziell<br />
über die Kampagne vor der Landtagswahl reden, ich will vielmehr betonen, dass so etwas heute bei Kampagnen<br />
richtig gemacht wird bei den Grünen, und vielleicht früher falsch gemacht worden ist. Man kann nicht das ganze<br />
Geld, das man zur Verfügung hat, am Monatsanfang ausgeben und dann am Ende nichts mehr haben. Daran<br />
VIII
haben wir uns orientiert. Eine solide Finanzplanung ist für so eine Kampagne unheimlich wichtig. Weil es immer<br />
sein kann, dass in den letzten zwei Wochen vor der Wahl Dinge passieren, die man nicht vorausgesehen hat, auf<br />
die man dann im Rahmen der politischen Auseinandersetzung darauf reagieren können muss.<br />
Das heißt also, dass die Planung der Kommunikationswege unterm Strich schon eine sehr interne Angelegenheit<br />
gewesen ist, ohne dass es da nennenswerte Einflüsse von außen gegeben hätte. Es gibt ja unter anderem die<br />
Möglichkeit, sich von Media-Agenturen beraten zu lassen, wann man günstiger Weise wo seine Anzeige positioniert.<br />
Wichert: Nein. Das ist, um es mal freundlich zu sagen, für uns relativ irrelevant. Für ein großes Unternehmen<br />
mag das ja relevant sein und das wird dann in Teilen auch von Agenturen übernommen, aber das ist für uns mit<br />
Sicherheit kein zentraler Aspekt gewesen. Schlicht und einfach schon <strong>des</strong>wegen, weil sich die Schaltungen von<br />
Anzeigen in Grenzen gehalten haben. Wir haben zum Beispiel in schwul-lesbischen Magazinen oder in Stadtmagazinen<br />
Anzeigen geschaltet, aber das kann man an einer oder an zwei Händen abzählen. Wenn man einen Gesamtetat<br />
zur Verfügung hat, der sich auf 850.000€ beläuft, dann kann man sich ja vorstellen, welche Möglichkeiten<br />
man da hat. Ich will sagen, das ist nicht unser Hauptaugenmerk.<br />
Gab es denn im Rahmen der Kampagnenplanung Analysen über regionale Besonderheiten bei vergangenen<br />
Wahlen? Gab es daraus resultierend seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> vielleicht auch individuelle Handlungsempfehlungen<br />
für einzelne Stadt- oder Kreisverbände?<br />
Wichert: Also in der Wichtigkeit sind für uns natürlich alle Kreisverbände erstmal gleich, wobei man dazu sagen<br />
muss, dass es natürlich regionale Besonderheiten gibt, was die Herangehensweise angeht. Man kann ja nicht in<br />
Olpe genauso Wahlkampf machen wie in Köln, weil die Bevölkerungsstruktur jeweils ganz anders ist. Da muss<br />
man sich zunächst ansehen, was die Kreisverbände, Ortsverbände, was die Stadtteilgruppen da überhaupt für<br />
Möglichkeiten haben. Der Kölner Kreisverband als Extrembeispiel auf der einen Seite hat, ich glaube 700 bis<br />
800 Mitglieder, von insgesamt zehneinhalb Tausend in ganz NRW. Das ist also der größte Kreisverband. Auf der<br />
anderen Seite gibt es dann, zum Beispiel in kleinen Ruhrgebietsstädten, Kreisverbände, die insgesamt 40 Mitglieder<br />
haben. Da muss man natürlich ganz anders herangehen. Und dann gibt es Flächenkreisverbände wie<br />
Steinfurt, wo die Menschen ja wirklich im ländlichen Raum leben und wo selbstverständlich nicht die gleichen<br />
Aktionsformen möglich sind, wie etwa in Köln. Also das heißt eine Vergleichbarkeit ist sowieso schon nur in<br />
sehr geringem Maße gegeben. Wir haben <strong>des</strong>halb versucht, unterschiedliche Angebote zu machen. Wir haben<br />
einerseits in Köln Präsenz gezeigt, beispielsweise auf Festen wie auf dem CSD, wir sind andererseits hingegangen<br />
und haben durch kleinere Orte verschiedene Touren gemacht. Wir sind beispielsweise mit einem Transporter<br />
durch kleine Städte gefahren und haben die so genannte Kochtour gemacht. Dort haben wir am Beispiel <strong>des</strong><br />
Kochens von gesundem Essen gezeigt, dass man Politik und Spaß durchaus zusammen bringen kann und den<br />
Leuten so niedrigschwellig gezeigt, was Grüne Politik bedeuten kann. Also, man muss da ganz unterschiedliche<br />
Formen der Herangehensweise wählen und in diesem Bereich gibt es durchaus auch eine Professionalisierung.<br />
Es gibt eine Wahlkampfkoordinatorin, es gibt den Wahlkampfmanager, der in Personalunion Pressesprecher ist,<br />
ich selbst habe die Gegenerbeobachtung gemacht, vor Ort waren mehrere Kampagnenreferenten dann mit unterwegs.<br />
Im Vergleich zum letzten oder vorletzten Landtagswahlkampf hat sich da also schon eine Menge getan.<br />
Haben Sie sich denn auch mit dem Erfolg der Kommunikation über die einzelnen Kanäle, die Sie im Wahlkampf<br />
genutzt haben, nach der Wahl beschäftigt? Gab es eine Evaluation <strong>des</strong> Erfolges einzelner Maßnahmen?<br />
Wichert: Eine Korrelation von Wahlergebnis und Aktivität könnte ich aus meiner Erfahrung nicht per se feststellen.<br />
Ich glaube zwar, dass es grundsätzlich gut ist, aktiv und vor Ort präsent zu sein, aber ich könnte niemandem<br />
die Garantie geben, dass daraus dann auch ein hervorragen<strong>des</strong> Wahlergebnis resultiert. Eine Erfolgskontrolle,<br />
zum Beispiel in Form einer Response-Messung, hat sehr begrenzt stattgefunden, weil man sich vor Augen halten<br />
muss, dass all das natürlich Kapazitäten bindet. Möglicherweise hätte man so etwas stärker betreiben können,<br />
wenn man nach der Wahl die Zeit dazu gehabt hätte und erst nächstes Jahr die Bun<strong>des</strong>tagswahl gehabt hätte.<br />
Aber das ist ja bei uns so gewesen, dass wir um 18.22Uhr an diesem Wahlabend, als wir alle im Medienhafen<br />
gestanden haben, um uns die Ergebnisse der Landtagswahl anzusehen, bereits erfahren haben, dass wir jetzt<br />
direkt in den nächsten Wahlkampf gehen. Und wenn man so etwas weiß, dann weiß man eben auch, dass man<br />
für die Analyse [der Landtagswahl], die man zwar eigentlich unbedingt braucht, nur sehr wenig Zeit und vor<br />
allem nur geringe Personalkapazitäten hat.<br />
Nun würde ich Ihnen gern Fragen zum Thema „Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen“ stellen. Hier<br />
die Erste: Haben Sie im Rahmen der Kampagnenplanung bestimmte Zielgruppen in der Wählerschaft besonders<br />
ins Auge gefasst? Wenn ja, welche waren das und warum haben Sie sich gerade für diese entschieden? Zum Teil<br />
IX
haben Sie das ja in Ihren vorherigen Ausführungen schon angedeutet, dass man im Prinzip schon eine gewisse<br />
Ahnung hatte, was die Zielgruppen betrifft, weil man im Rahmen einer eigenen Recherche und aus eigenen Einschätzungen<br />
heraus über ein gewisses Informationspotential verfügen konnte. Gab es denn auch noch dezidiertere<br />
Planungsmaßnahmen?<br />
Wichert: Ich denke, man muss da gar nicht so in die Tiefe gehen. Es reicht eine gute Internetrecherche, oder<br />
neudeutsch, zu googlen. Wir wissen ganz genau, dass unsere Wählerschaft bei den Jungwählern größer ist, dass<br />
sie bei der Stadtbevölkerung größer ist, dass es weitaus mehr Frauen als Männer sind, und wir wissen, dass es<br />
bei den Schwulen und Lesben eine Mehrheit ist. Solche Dinge wissen wir eben und <strong>des</strong>halb kann man da dann<br />
natürlich auch gezielt ansetzen. Man könnte das mit Sicherheit noch sehr viel detaillierter machen. Die Frage ist<br />
aber wirklich immer, inwiefern kann man etwas zu einer Wissenschaft ausbauen und inwieweit leidet dann nicht<br />
auch etwas anderes darunter. Die Pervertierung solche Dinge ist ja zum Beispiel der amerikanische Wahlkampf.<br />
Wenn man sich dort umguckt, da ist ja alles durchgestylt bis zum Letzten. Aber ich glaube eben, dass bei dieser<br />
Vorgehensweise vielleicht solche Zielgruppen durchs Raster fallen, die eigentlich völlig klar sind. Um mal ein<br />
Beispiel zu nennen: Die Statistik allein, und es wird ja mit Statistik auch unheimlich viel gelogen, die statistische<br />
Aussage, dass unheimlich viele Selbstständige Grün-Wähler seien, ist ja für sich genommen überhaupt nicht<br />
aussagekräftig. Bei den Selbstständigen, gibt es ja solche und solche. Es gibt Selbstständige, die eine Pommesbunde<br />
haben, es gibt Selbstständige, die einen Frisörsalon betreiben, es gibt Selbstständige, die ein Übersetzerbüro<br />
haben, und es gibt Selbstständige, die eine Zahnarztpraxis haben. Ich müsste es also ausdifferenzieren, um<br />
wirklich aussagekräftige Ergebnisse zu haben. Und so lange das nicht passiert, so lange man die finanziellen und<br />
die personellen Möglichkeiten nicht dazu hat, halte ich das für einen Pfad, der einen sehr schell aufs Glatteis<br />
führt.<br />
Wie haben Sie denn Ihre Zielgruppe(n) schließlich angesprochen? Gab es bestimmte Botschaften? Bestimmte<br />
Themen? Bestimmte Kanäle?<br />
Wichert: Es ist so, dass es auch bei den über Sechzigjährigen mehr Grünen-Wähler gibt. Das liegt an der demografischen<br />
Entwicklung. Dass ich diese Zielgruppe wenig über das Internet erreiche, ist einleuchtend. Dass ich<br />
sie eher auf eine Großveranstaltung bekomme, dass ich die vielleicht sogar besonders gut auf eine Lesung bekomme,<br />
das ist jetzt konkret nicht im Landtagswahlkampf passiert, aber wie jetzt zum Beispiel im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf<br />
mit Joschka Fischer, etwa hier in Düsseldorf, im Apollotheater, das ist völlig einleuchtend. Dass es<br />
völlig verfehlt wäre, für die Zielgruppe der unter 25Jährigen eine Lesung im Apollo-Theater zu machen, über die<br />
Situation der Welt an und für sich im Jahre 2005 und darüber hinaus, ist auch völlig einleuchtend. Und dass man<br />
da viel mehr auf das Medium Internet geht, dass ja in dieser Zielgruppe fast eine Reichweite von hundert Prozent<br />
hat, das liegt ja völlig auf der Hand.<br />
Das heißt, man könnte sagen, dass diese Zielgruppenkommunikation vor allem auf der Grundlage eigener<br />
Kenntnisse geplant und umgesetzt worden ist? Es gab also keine Marktstudien oder ähnliches.<br />
Wichert: Nein. Das kann man so sagen. Um da jetzt mal ein bisschen provokant zu antworten: Wir haben niemanden<br />
an den Lügendetektor angeschlossen, um herauszufinden, wie die Amplitude aussieht. Nicht nur, weil es<br />
falsch wäre, sondern auch, weil es gar nicht notwendig ist, weil solche Daten ja auch schon vorliegen. Es ist also<br />
viel günstiger, sich aus Quellen zu bedienen, die es schon gibt.<br />
Wenn Sie sich jetzt mal an den gesamten Planungsprozess der Wahlkampagne erinnern: Welchen Stellenwert<br />
hatten diese Zielgruppen dabei? War das eher ein Aspekt unter vielen? Oder war das von besonders großer<br />
Wichtigkeit im Rahmen der Kampagnenplanung?<br />
Wichert: Das war mit Sicherheit einer der ganz wesentlichen Faktoren, sich an Zielgruppen zu orientieren. Es<br />
bringt überhaupt nichts, für eine Partei, die klein ist und keine Volkspartei ist und die das auch weiß, zu sagen,<br />
wir müssen jetzt hier nicht wie die CSU in Bayern oder die SPD bis vor kurzem hier in NRW Politik für alle<br />
machen. Wir hatten ganz klare Vorstellungen von dem, was eine Interessenpartei ist, im positiven Sinne, die<br />
eben gewisse Interessen vertritt. Die Interessen derer, die daran interessiert sind, wie sie oder ihre Kinder in<br />
zwanzig Jahren leben werden, die daran interessiert sind, was nach dem Öl kommt, wie unsere Energiequellen<br />
dann aussehen werden. In so einer Situation kann es einfach nur um Zielgruppen gehen, das ist ganz entscheidend.<br />
An dieser Stelle würde ich gern eine allgemeine Frage einschieben: Lesen Sie eigentlich wissenschaftliche Publikationen<br />
zum Thema Wahlkampf?<br />
X
Wichert: Ja, also ich mache das relativ, im Rahmen meiner Möglichkeiten. Mein Tagesablauf sieht konkret so<br />
aus, dass ich morgens zuerst mal den elektronischen Pressespiegel lese, dass ich natürlich über die gängigen<br />
Tageszeitungen blättere und dass ich eben ansonsten vor allem online mir Sachen ansehe, wo es dann ja auch<br />
häufig Querverweise gibt.<br />
Wie sieht das denn konkret mit wissenschaftlich orientierten Autoren aus? Stehen die auch auf der Leseliste?<br />
Herr Machnig von der SPD schreibt ja zum Beispiel einschlägige Bücher oder lesen Sie da eher was Amerikanisches?<br />
Wichert: Also, ein guter Einstieg in so etwas ist ja Telepolis.de, um sich einen Einblick zu verschaffen und zu<br />
gucken, was es an Links gibt. Die wissenschaftliche Literatur über den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf<br />
habe ich konkret nicht gelesen, sondern ich habe mir einfach die Webseiten angeguckt und mir war dann<br />
völlig klar, dass es da ganz gute Sachen gibt, die man auch gut übernehmen könnte, gerade was die Internetkampagnen<br />
angeht. Aber es ist letztlich eine ganz andere Form von Wahlkampf, weil es auch eine ganz andere Form<br />
<strong>des</strong> Wahlsystems ist, und in einem ganz anders strukturierten Land stattfindet, in dem es überhaupt keine Parteiorganisation<br />
gibt, wie es bei uns der Fall ist. Bei uns ist am allerwichtigsten - darüber haben wir hier heute noch<br />
gar nicht geredet - am allerwichtigsten ist im Wahlkampf die Basis. Wenn die Basis keinen guten Wahlkampf<br />
macht, wenn die Basis nicht mitzieht, wenn die Leute nicht dabei sind, dann kann man noch nicht einmal gute<br />
Medientermine machen. Denn wenn dort niemand zugegen ist, wird das ein sehr komischer Termin und in den<br />
Medien kommt hinterher nichts rüber. Das ist also eine ganz andere Situation als in den USA, wo es ja auch so<br />
ein Volonteers-System gibt, das ad hoc gebildet wird. Ich finde, <strong>des</strong>halb ist die Vergleichbarkeit schon nur sehr<br />
eingeschränkt möglich.<br />
Das heißt, auch abgesehen von der amerikanischen Wahlkampfliteratur würden Sie sagen, dass es von größerer<br />
Bedeutung ist, sich über die tagesaktuelle Presse ein Bild von der gegenwärtigen Debatte zu verschaffen, als sich<br />
mit wissenschaftlichen Erörterungen auseinanderzusetzen?<br />
Wichert: Ja. Das hat vor allem was mit Zeit zu tun. Wenn ich jede Woche zehn Stunden mehr Zeit hätte, dann<br />
würde ich das natürlich stärker auch machen, weil es mich natürlich interessiert. Es ist so, dass wenn jetzt jemand<br />
zu mir kommen würde, aus der Politikwissenschaft, meinetwegen Sie, und mir sagen würde, wir haben<br />
hier eine Sache, die habt ihr bestimmt noch nicht herausgefunden, aber das ist für euch unheimlich relevant,<br />
gerade weil es Grüne Wählerinnen und Wähler betrifft, und wir können Euch sagen, wie ihr damit neue Wählergruppen<br />
akquirieren könnt, dann würde mich das extrem interessieren und ich würde Ihnen sofort ganz lange<br />
zuhören und würde mir das alles sehr gut durch den Kopf gehen lassen. Nur, vieles was ich in so Zeitschriften<br />
lese, wie „politik und kommunikation“...<br />
...was ja keine wissenschaftliche Zeitung im eigentlichen Sinne ist...<br />
Wichert: ...ja, ja, was dort jedenfalls steht, finde ich, ist wiedergekäut und vor allem auch trivial.<br />
Gut. Damit wären wir bereits beim letzten Befragungsblock angelangt. Nun soll es um den Stellenwert von <strong>Marketing</strong><br />
gehen. Wenn Sie einmal ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden<br />
Sie da mit den Begriffen <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Wichert: Mit <strong>Marketing</strong> verbinde ich, also mit <strong>Marketing</strong> nicht im politischen Sinne verbinde ich Sachen, die mit<br />
Feldforschung zu tun haben, die mit Marktforschung zu tun haben, mit Werbung zu tun haben, die mit Kundenbefragungen<br />
zu tun haben. <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>, glaube ich, ist da schon eine viel sensiblere Angelegenheit,<br />
weil man eben nicht für Waschmittel wirbt. Weil man sich vor Augen halten muss, dass es letztlich auch nicht<br />
darum geht, zwischen Persil und Perwoll sich zu entscheiden, sondern dass es darum geht, politische Grundsatzentscheidungen<br />
herbeizuführen und man als jemand, der für eine Wahlkampagne verantwortlich zeichnet, selbstverständlich<br />
sich <strong>des</strong>sen bewusst sein muss, dass man für die gesamte Gliederung einer Partei arbeitet und man<br />
auch an den Interessen dieser Gliederung vorbei arbeiten kann. Wenn das der Fall ist, kann sich das rächen mit<br />
einem schlechten Wahlergebnis und ich glaube, dass man sich insofern in der Politik immer wieder die Bodenhaftung<br />
holen muss. Ich halte <strong>des</strong>halb viel davon, wenn wir in diesem Bereich von Politik und <strong>Marketing</strong> sprechen<br />
und nicht so sehr von Politischem <strong>Marketing</strong>, weil ich glaube, dass so ein <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>, wenn das<br />
jetzt der ausgegliederte Bereich einer Werbeagentur sein soll, doch so ein Eigenleben entwickeln kann, das sehr<br />
unschön sein kann. Also kurzfristig erfolgreich vielleicht, oder auch nicht, langfristig aber auf jeden Fall in die<br />
Hose gehen kann.<br />
XI
Ist es aus der Sicht einer Partei vor einer Wahl im Sinne eines guten Ergebnisses zielführend, alle Informationen<br />
über die Erwartungen potentieller Wähler in den Mittelpunkt der Kampagnenplanung zu stellen und das politische<br />
Angebot, also die Präsentation <strong>des</strong> Kandidaten oder die Positionierung der Partei hinsichtlich relevanter<br />
Sachfragen danach auszurichten?<br />
Wichert: Ja, würde ich genau wie die vorherige Frage beantworten. Zum Wahlsieg kann das auf jeden Fall führen,<br />
da gibt es ja auch genug Beispiele für. Ob bewusst oder unbewusst haben Leute wie Jörg Haider oder Pim<br />
Fortuyn nach diesem Prinzip gearbeitet. Langfristig ist diese Vorgehensweise sicherlich zum Scheitern verurteilt,<br />
weil Politik in jedem Fall heißt, dass man seiner Wählerschaft auch Zumutungen bieten muss. Spätestens dann,<br />
wenn man in Regierungsverantwortung kommt, ist es ja so, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und dass man<br />
zeigen muss, dass es auch unangenehme Entscheidungen geben kann. Spätestens das ist dann der Lackmus-Test<br />
dafür, ob es wirklich einen relevanten Teil der Bevölkerung gibt, der für die Politik steht, den die Partei vertritt,<br />
oder ob es diesen relevanten Teil eben nicht gibt.<br />
Das heißt, Sie würden schon dazu tendieren, zu sagen, besonders lauter, besonders legitim, besonders ehrlich ist<br />
so eine Vorgehensweise nicht?<br />
Wichert: Ehrlich ist es auf keinen Fall, lauter weiß ich nicht, ich denke, es rächt sich auf Dauer.<br />
Findet diese Vorgehensweise in der Realität denn tatsächlich statt oder würden Sie sagen, dass es sich dabei eher<br />
um eine hypothetische Frage handelt?<br />
Wichert: In dieser Direktheit würde ich das sicherlich keiner Partei vorwerfen. Im Wahlkampf hat es durchaus<br />
populistische Elemente gegeben, wenn ich mir da die FDP angucke und ihre Strategie zum Steinkohlebergbau.<br />
Da ist man ja sofort gescheitert mit, weil das sowohl politisch, wie rechtlich und vor allem auch sozial überhaupt<br />
nicht durchsetzbar wäre. Andererseits gab es ähnliche Elemente auch bei der CDU. Der ersten Lüge ist die CDU<br />
da bereits überführt, es wird Studiengebühren auch für Bafög-Empfänger geben. Also insofern hat es sicherlich<br />
Elemente auch in den beiden Kampagnen, die nicht lauter waren, die unehrlich waren, aber ich würde jetzt nicht<br />
sagen, dass irgendeine Kampagne eine reine Lügenkampagne war.<br />
Es muss ja auch nicht zwangsläufig zum Lügen führen, wenn eine Partei guckt, was will denn der Wähler und<br />
dementsprechend den Wahlkampf gestaltet und hinterher auch Politik macht.<br />
Wichert: Ja, aber man muss ja schon differenzieren. Es gibt sicher reinen Populismus, der ja schlicht und einfach<br />
darauf abstellt, was will der Wähler, was will die Wählerin, und danach dann Politik ausrichtet. Und es gibt eben<br />
eine Kampagne, die sich an Grundüberzeugungen der Partei orientiert, die aber mit Populismus durchtränkt sind.<br />
Ich glaube, dass zum Beispiel die FDP in ihren Kampagnen gewisse Nuancen gefahren hat, die neo-liberal waren,<br />
aber mit Populismus durchtränkt, und dass es bei der CDU Kampagnen gegeben hat, wie zum Beispiel in<br />
Hessen, die stockkonservativ war, aber eben was die Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft<br />
angeht, eben auch rechtspopulistisch war. Aber das ist immer noch ein gewaltiger Unterschied zu einer<br />
rein populistischen Kampagne.<br />
Wie war das denn im Wahlkampf vor der Landtagswahl? Würden Sie sagen, dass dort nach dieser Prämisse<br />
gehandelt worden ist? Falls ja, ist diese Orientierung bei allen Parteien etwa gleichstark oder gab es hinsichtlich<br />
der Intensität gewisse Unterschiede?<br />
Wichert: Also, sprechen kann ich natürlich nur für die Grünen und da glaube ich, muss man sagen, dass die<br />
Wählerschaft der Grünen sehr selbstreflexiv ist. Man sieht ja schon an der Diskussion über Sozialpolitik sehr<br />
stark, dass es zwar einerseits eine große Unzufriedenheit mit der Agenda 2010 gibt, dass aber auch andererseits<br />
die Grüne Wählerschaft diejenige war, die das am ehesten wusste, dass Reformen an sich notwendig sind. Ich<br />
glaube, dass da einfach schon seit Anbeginn, also seit 1979 die Erkenntnis da ist, dass man nicht immer nur aus<br />
dem Vollen schöpfen kann, dass Ressourcen endlich sind und dass man manchmal eben auch unangenehme<br />
Dinge mittragen muss.<br />
Damit sind wir am Ende <strong>des</strong> Leitfadens angelangt. Herr Wichert, Vielen Dank für das Gespräch und die Informationen.<br />
XII
A2.2) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit dem Generalsekretär der FDP NRW, Christian Lindner<br />
Abschrift <strong>des</strong> Mitschnittes eines leitfadengestützten Interviews mit dem Generalsekretär der FDP NRW, Herrn<br />
Christian Lindner, über die Planung der Wahlkampagne zur Landtagswahl 2005 in seiner Partei. Das Gespräch<br />
fand am 22.09. in Düsseldorf statt. Die Mitschrift wurde am 06.10.2005 von Herrn Lindner autorisiert und zur<br />
Verwendung im Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Vorhabens freigegeben. Die Fragen und Beiträge der Interviewerin<br />
sind durch Unterstreichung kenntlich gemacht.<br />
Erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Es soll etwa 60 Minuten dauern. In<br />
dieser Zeit möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, die sich auf die Organisation von Wahlkampagnen und insbesondere<br />
auf die Planung Ihrer Kampagne zur NRW-Landtagswahl 2005 beziehen. Insgesamt möchte ich mit<br />
Ihnen über folgende Themenbereiche sprechen:<br />
• Kommunikationsziele der Kampagne<br />
• Themenauswahl für die Kampagne<br />
• Die Rolle der Spitzenkandidaten<br />
• Kommunikation mit der Wählerschaft<br />
• Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen<br />
• Stellenwert von <strong>Marketing</strong><br />
Weil Sie in Ihrer Partei diesbezüglich eine einflussreiche Position bekleiden, wurden Sie als Experte ausgewählt<br />
und um dieses Gespräch gebeten. In den anderen Parteien stehen ähnliche Interviews bevor. Die aus den Interviews<br />
resultierenden Informationen dienen der politischen Grundlagenforschung. Es geht also nicht darum zu<br />
beurteilen, welche Kampagne besser und welche Kampagne schlechter gewesen ist, sondern um die rein wissenschaftliche<br />
Auseinandersetzung mit Wahlkampagnen. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, werde ich mit<br />
meiner ersten Frage beginnen.<br />
Zunächst möchte ich mich dem Fragenblock „Kommunikationsziele der Kampagne“ zuwenden. Wenn Sie jetzt<br />
einmal an die Wahlkampagne für die vergangene Landtagswahl zurückdenken, worin, würden Sie sagen, lagen<br />
die zentralen Kommunikationsziele, die Sie im Rahmen Ihrer Kampagne verfolgt haben?<br />
Lindner: Wir hatten erstens das Ziel - als Funktionsargument - deutlich zu machen, dass ein Regierungswechsel<br />
hier in Nordrhein-Westfalen nur mit CDU und FDP möglich wird. Zweitens ging es darum zu betonen, dass das<br />
Land Nordrhein-Westfalen eine neue Prioritätensetzung benötigt, das heißt, dass mehr getan werden muss für<br />
Bildung und insbesondere auch für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Lan<strong>des</strong>. Das waren die beiden wesentlichen<br />
Kommunikationsziele. Drittens wollten wir deutlich machen, dass Nordrhein-Westfalen die Voraussetzung<br />
dafür schaffen muss, dass auch ein Wechsel im Bund möglich wird. Insofern war die Landtagswahl auch<br />
eine Vorwahl für die Bun<strong>des</strong>tagswahl.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen heutzutage<br />
von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden?<br />
Lindner: Ja. Die FDP ist beraten worden. Erstens durch eine strategisch arbeitende Werbeagentur, die Agentur<br />
Von Mannstein. Zweitens hat uns ein Unternehmen aus der Demoskopie bei der Auswahl der Themen und auch<br />
in der Werbewirkungsforschung beraten. Zum Dritten haben wir auf einen Dienstleister aus dem FDP-Umfeld<br />
zurückgegriffen, der die Wahlkämpfe der Partei logistisch begleitet.<br />
Stichwort demoskopische Beratung, was ist damit genau gemeint und wie sind sie dazu gekommen?<br />
Lindner: Wir haben einen bekannten und befreundeten Dienstleister. Das ist die dimap consult, ein Unternehmen,<br />
dass die FDP generell in diesen Angelegenheiten berät.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die im Rahmen der Kampagne eine<br />
Rolle gespielt haben, worauf kam es dabei an?<br />
Lindner: Erstens kam es drauf an, die Alleinstellungsmerkmale der FDP deutlich zu machen. Zweitens haben wir<br />
die Slogans im Rahmen einer Fokusgruppenuntersuchung dahingehend geprüft, ob die kommunikativen Erwartungen,<br />
die wir daran hatten, erfüllt werden.<br />
Was war das für eine Fokusgruppe? Haben Sie die selbst zusammengestellt und ausgewählt?<br />
XIII
XIV<br />
Lindner: Ja. Das haben wir in house gemacht.<br />
Wie viel Leute waren in dieser Fokusgruppe?<br />
Lindner: Das waren zwei mal zwölf Leute.<br />
Und was waren das für Leute?<br />
Lindner: Repräsentativ ausgewählte Personen, die wir selbst ausgesucht haben.<br />
Das hieße, die folgende Frage - sie lautet `haben Sie die Wirkung oder den Wortlaut von bestimmten Slogans<br />
vorher getestet´ - wäre mit Ja zu beantworten?<br />
Lindner: Ja.<br />
Mit Ihrem Einverständnis komme ich dann jetzt auf die Themenauswahl für die Kampagne zu sprechen: Welche<br />
Faktoren waren denn entscheidend für die Auswahl der zentralen Themen der Kampagne?<br />
Lindner: Zum einen haben wir Themen ausgewählt, von denen wir glaubten, dass sie für das Land von besonderer<br />
Bedeutung sind und dass sie von den Wählergruppen, in denen eine besondere FDP-Affinität besteht, als<br />
wichtig empfunden werden. Zum anderen haben wir überprüft, wie hoch das Alleinstellungspotential der FDP<br />
bei diesen Themen ist. Zum Beispiel gab es eine Priorität für das Thema Bildung in Verbindung mit dem Thema<br />
Unterrichtsausfall. Die Priorität war hier zwar bei allen Parteien sehr hoch, gleichzeitig konnte die FDP aber eine<br />
hohe Glaubwürdigkeit im Bildungsbereich beanspruchen. Wir haben außerdem gemerkt, dass es eine hohe<br />
Glaubwürdigkeit der FDP im Bereich Subventionsabbau, insbesondere in der Frage <strong>des</strong> Steinkohleabbaus, gibt.<br />
Das ist verdichtet worden zu der Aussage "Kinder fördern statt Steinkohle". Ergebnisse aus der Werbewirkungsforschung<br />
haben dann gezeigt, dass 62 Prozent der Befragten einer repräsentativen Untersuchung gesagt haben,<br />
`das ist ein positives Ziel, das unterstütze ich´. Deshalb wurde diese Aussage auch breit plakatiert.<br />
Das heißt, man könnte sagen, dass Sie sich bei Ihrer Themenauswahl wirklich intensiv an den Ergebnissen von<br />
Studien und Analysen orientiert haben?<br />
Lindner: Ja, ganz genau. Aber wir haben uns auch gefragt, was aus der Sicht der FDP für das Land erforderlich<br />
ist. Das ist die programmatische Basis. Dann muss dieses politische Produkt natürlich verkauft werden. Wir<br />
fragen uns also, wie wir das, was wir als sinnvoll erachten, am besten darstellen können und suchen die beste<br />
Möglichkeit. Jetzt hört sich das vom Verfahren her sehr professionell an, selbstverständlich war das nicht durchgängig<br />
so möglich, sondern auf Grund der Budget-Restriktionen nur an einigen Stellen. Etwa diese Umfrage, die<br />
bei ’Kinder fördern statt Steinkohle’ zugrunde lag, haben nicht etwa wir in Auftrag gegeben, sondern die hat der<br />
Focus veröffentlicht, weil man dort selbst mal schauen wollte, wie diese Aussage ankommt. Die Zahl '62 Prozent'<br />
ist also ex post entstanden. Aufgrund finanzieller Restriktionen konnten wir bei der Werbewirkungsforschung<br />
leider nicht das volle Programm durchziehen, sondern haben versucht, uns auf einige wenige zentrale<br />
Stellen zu beschränken.<br />
Würden Sie also sagen, ich greife da jetzt einmal ihre Worte auf, dass die Entwicklung <strong>des</strong> Produktes innerhalb<br />
der Partei stattgefunden hat und man sich dann hinterher überlegt hat, wie man das Ergebnis am besten verkauft?<br />
Lindner: Ja. Das wird allein schon aus dem zeitlichen Ablauf deutlich. Die Programmkommission der FDP hat<br />
ihre Arbeit im April/Mai 2004 aufgenommen und die operative Wahlkampfführung, im Zuge derer auch diese<br />
Fragen behandelt worden sind, ist erst nach der Kommunalwahl Ende September 2004 aufgenommen worden.<br />
Da war das Wahlprogramm schon fast beschlossen. Das hielte ich auch, wenn ich das noch sagen darf, aus ethischen<br />
und politik-inhaltlichen Gründen, aus Gründen der politischen Kultur für fragwürdig, wenn man zunächst<br />
einmal schaut, was ankommt und dann das Programm entsprechend formuliert. Mein Grundsatz ist, man kann<br />
dem Volk aufs Maul schauen, aber man darf ihm nicht nach dem Mund reden.<br />
Zwei Nachfragen noch zu den Themen. Die erste: Gab es auch Themen oder Aussagen im Rahmen Ihrer Kampagne,<br />
die Sie vor allem <strong>des</strong>halb betont haben, damit sich auch Wähler angesprochen fühlen, die sonst vielleicht<br />
eher nicht dazu tendieren würden, die FDP zu wählen?<br />
Lindner: Ja. Aber nicht in der breiten Kampagne, sondern durch Below-the-Line-Maßnahmen, beziehungsweise<br />
durch eine Spezialkampagne im Internet. Da haben wir zum Beispiel die Webseite www.gelb-statt-gruen.de<br />
geschaltet, wo wir uns in ganz anderer Form mit den Wählern der Grünen auseinandergesetzt haben. Wir wissen
aus Potentialuntersuchungen, dass in NRW ca. ein Drittel der Grün-Wähler eine Zweitpräferenz für die FDP hat,<br />
das sind ca. 300.000 Menschen.<br />
Woher stammt diese Zahl?<br />
Lindner: Aus einer repräsentativen Potentialanalyse im Rahmen einer dimap-Untersuchung. Beziehungsweise<br />
auch aus einer Wahlnachbefragung zur Europawahl 2004, wo diese Zahl schon einmal ermittelt worden ist. Deshalb<br />
haben wir uns in einer anderen Art und Weise mit den Grünen auseinandergesetzt. Wir haben in diesem<br />
Zusammenhang probiert, im Internet mit Argumenten zu arbeiten. Das heißt, die Seite, die man jetzt übrigens<br />
aufrufen kann, greift die zentralen Themen auf und stellt dar, was die Grünen wollen und was wir wollen. Sie<br />
geht also weg von polemischer Überheblichkeit, die ja wechselseitig auch stattgefunden hat, und hin zu einer<br />
argumentativen Auseinandersetzung. Dabei haben wir auch ehemalige Grüne, die jetzt in der FDP aktiv sind, als<br />
Testimonials gezeigt, so nach dem Motto: Der Kulturunterschied ist nicht so groß, wie man glauben könnte, oder<br />
wie glaubend gemacht wird. Eine weitere Maßnahme war zum Beispiel die Unterstützung der Volksinitiative zur<br />
Sonntagsöffnung der Videotheken, wo man dann auch in diesem Umfeld gezielt für die FDP geworben hat. Das<br />
trifft dann zwar keine spezielle soziodemografische Zielgruppe, aber wir haben die Nutzer in einer alltagsästhetischen<br />
Umgebung abgeholt und deutlich gemacht, 'für dieses Thema setzt sich nur die FDP ein'.<br />
Gab es Überlegungen oder hatten Sie Informationen, auf welche Themen und Aussagen die anderen Parteien<br />
insbesondere setzen würden? Wenn ja, haben diese Überlegungen zu einer Reaktion im Rahmen Ihrer Themenauswahl<br />
oder Betonung geführt?<br />
Lindner: Ja. Natürlich interagieren Parteien miteinander. Da wäre systematische und strategische Frühaufklärung<br />
notwendig gewesen, um genau zu analysieren, was die Wettbewerber machen. Eine solche Gegnerbeobachtung<br />
haben wir aber nur improvisieren können. Wir haben zu wenig Personal und Finanzkapazitäten gehabt, um zum<br />
Beispiel einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an dieses Projekt zu setzen. Man müsste dann ja eigentlich auch<br />
für jede Partei einen Referenten haben, der die Kampagnen der anderen begleitet und beobachtet. Das war nicht<br />
leistbar. Wir haben das auf der Ebene eines Praktikanten für alle Parteien machen müssen, mehr war nicht drin.<br />
Das heißt, wir haben das nicht systematisch machen können und wir haben auch nicht mit Rapid-Response arbeiten<br />
können, um die Argumente <strong>des</strong> Gegners sofort zu entkräften. Wir konnten auf Themen, die Gegner gesetzt<br />
haben, nicht so frühzeitig reagieren, wie es eigentlich im Rahmen einer professionellen Kampagne notwendig<br />
gewesen wäre. Dazu waren die Mittel diesmal nicht da. Ich habe die Funktion <strong>des</strong> Generalsekretärs auch erst<br />
Ende September [2004, red. Anmerkung] übernehmen können und habe die Kapazitäten so schnell nicht mehr<br />
zusammenstricken können. Sonst hätte man das vielleicht noch mit Ehrenamtlern und Freiwilligen machen können.<br />
Das Bewusstsein ist sicherlich vorhanden, in diesem Fall haben wir das aber nur improvisierend gelöst.<br />
Beim nächsten Mal werden wir das sicherlich professioneller machen.<br />
Gut. Dann komme ich jetzt auf die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Ingo Wolf zu sprechen. In welcher Weise wurde<br />
denn überhaupt bestimmt, wer die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten übernimmt? Gab es im Vorfeld einen Auswahlprozess,<br />
oder war es von vornherein klar, wer antreten würde?<br />
Lindner: Das hat sich aus der Partei heraus ergeben. Dafür wurde nicht gecastet. Es war klar, dass der Lan<strong>des</strong>vorsitzende<br />
[Andreas Pinkwart, red. Anmerkung] das erste Zugriffsrecht hatte, der allerdings hatte andere Aufgabenvorstellungen<br />
für sich. Es gab daraufhin die pragmatische Überlegung, dass der führende Lan<strong>des</strong>politiker,<br />
der Fraktionsvorsitzende - auch angesichts der Möglichkeiten, die er in dieser Funktion hat - auch die Funktion<br />
<strong>des</strong> Spitzenkandidaten übernehmen soll. Es hat sich also aus dem Lauf der Dinge so ergeben.<br />
Gab es denn einen Gegenkandidaten?<br />
Lindner: Nein. Es gab keinen Gegenkandidaten. Es gab also, wenn ich das noch sagen darf, auch keine Untersuchung,<br />
wer den höchsten Bekanntheitsgrad hat, wer also die beste Wirkung erreichen könnte. Es gab keine Untersuchung<br />
dazu, wo die strategischen Angriffspunkte am geringsten waren und wo das Potential am größten.<br />
Dann hätte viel für den Lan<strong>des</strong>vorsitzenden Pinkwart gesprochen. Solche Untersuchungen gab es aber nicht. Wir<br />
haben nicht, wie die Grünen etwa, überlegt, "wir haben zwei Minister mit hohem Bekanntheitsgrad, das sind die<br />
Wirksamsten, also nehmen wir die".<br />
XV<br />
Im Vorfeld der Kampagne haben Sie sich ja bestimmt überlegt, in welcher Weise Ingo Wolf im Rahmen der<br />
Kampagne in Erscheinung treten sollte. Welche Faktoren waren dabei maßgeblich?
Lindner: Wir haben von vornherein festgelegt - bzw. ich habe in der Anlage der Kampagne der Partei das so<br />
vorgeschlagen und das ist auch so bestätigt worden - keine Personalisierungskampagne zu machen. Wir wissen<br />
aus den Wahlnachbefragungen nach der Wahl 2000, wo wir ja mit Jürgen W. Möllemann ein sehr personalisiertes<br />
Szenario bei der FDP hatten, das trotzdem die Wähler eher aus Sachgründen und aus strategischen Gründen<br />
für die FDP votiert haben. Die Spitzenperson spielt traditionell bei den kleinen Parteien nicht die wesentliche<br />
Rolle, <strong>des</strong>halb haben wir uns auf Argumente konzentriert und die Person nur in der Vermittlung von Argumenten<br />
eingesetzt und präsentiert. Wir hätten Herrn Wolf sogar noch weniger gezeigt, wenn das nicht in der Interaktion<br />
mit den anderen Parteien zu Problemen geführt hätte. Die hätten dann gesagt, dass die FDP ihren Spitzenkandidaten<br />
verstecken wollte. Deshalb waren wir in der Verlegenheit, ihn zeigen zu müssen und wertvolle Plakatflächen<br />
dafür zu opfern, obwohl er keine zusätzliche Wirkung entfalten konnte, weil er nicht den Bekanntheitsgrad<br />
hatte. Die FDP ist aber eben auch keine Partei, die aus Personalgründen gewählt wird. Es war also nur<br />
in Vorwegnahme möglicher Reaktionen <strong>des</strong> Gegners, dass wir ihn gezeigt haben.<br />
Man hört ja, dass Spitzenkandidaten in Wahlkämpfen heutzutage recht intensiv „gecoacht“ und unterstützt werden.<br />
Wie war das denn im Fall von Ingo Wolf? Ist er beraten worden?<br />
Lindner: Also, da will ich aus verschiedenen Gründen nicht allzu viel zu sagen. Soviel: Wir haben für alle wesentlichen<br />
Akteure im Landtagswahlkampf ein persönliches Umfeld geschaffen, wo beraten, unterstützt, gecoacht<br />
und qualifiziert worden ist.<br />
Gut. Dann will ich Sie an dieser Stelle auch nicht weiter löchern, es kommen nämlich noch viele weitere Fragen.<br />
Komme ich also zum Topic „Kommunikation mit der Wählerschaft“. Im Rahmen Ihrer Kampagne wurde ja über<br />
unterschiedliche Kommunikationskanäle mit dem Wähler kommuniziert. Da gab es zum Beispiel die öffentlichen<br />
Auftritte <strong>des</strong> Kandidaten, Seiten im Internet oder Plakate vor Ort. Aufgrund welcher Prämissen haben Sie<br />
denn die finanziellen Mittel <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auf die verschiedenen Kanäle aufgeteilt?<br />
Lindner: Es gibt erstens natürlich Erfahrungswerte, zweitens haben wir unsere Prioritäten festlegen müssen, weil<br />
wir sehr knappe Ressourcen hatten. Da war es erstens wichtig, eine Grundpräsenz der FDP durch Außenwerbung<br />
herzustellen, um Awareness darzustellen, damit die FDP nicht abfällt gegenüber den Mitbewerbern. Deshalb war<br />
ein großer Budgetposten - etwa ein Drittel - die Außenwerbung. Dabei haben wir bewusst auf abstrakte Bildwelten<br />
verzichtet, und vor gelben Hintergrund Textbotschaften platziert, um allein durch die gelbe Strahlkraft der<br />
Plakate die Botschaft zu signalisieren, das hier ist die FDP, es gibt uns, wir sind keine Sekte. Zweite Priorität war<br />
es, möglichst viel Multiplikation über Medien zu erreichen, denn da ist die Wirksamkeit am größten. Deshalb<br />
haben wir die Berichterstattung durch Großveranstaltungen, und aber auch durch viele regionale Veranstaltungen,<br />
die die Lokalpresse erreichen sollten, angestrebt. Und zum Dritten gab es dann die direkte Wähleransprache.<br />
Hier haben wir uns erstens auf das Internet konzentriert, als Kanal, der auch einen Dialog ermöglicht, und<br />
zweitens - und das war ebenfalls ein großer Posten im Budget - haben wir die Wähler direkt angeschrieben,<br />
durch zielgruppenspezifische Mailings, bezogen zum Beispiel auf bestimmte Berufsgruppen, und auch durch<br />
spezielle Verteilaktionen in Wahlkreisen oder Straßenzügen innerhalb von Wahlkreisen, in denen die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass für die FDP votiert wird am höchsten ist. Wir nennen das Targeting. Man kann ja aus der<br />
gewichteten Darstellung unterschiedlicher Wahlergebnisse bis auf das Wahllokal herunter feststellen, wo es Sinn<br />
macht, einen Euro einzusetzen. Und wenn man diese Targeting-Methode noch kreuzt mit den Daten der Werbewirkungsforschung,<br />
die bekannt sind, also dass zum Beispiel in einem Straßenzug die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
man BMW fährt höher ist als im Straßenzug daneben, und das dann zusammenbringt, dann bekommt man ganz<br />
gute Ergebnisse.<br />
Werberwirkungsforschung? Was für Daten sind das, wo kommen die her?<br />
Lindner: Diese Daten kann man kaufen.<br />
Und das haben Sie gemacht?<br />
Lindner: Ja. Leider nicht in der Detailtiefe, in der ich es mir gewünscht hätte, aus Budgetgründen, aber wir haben<br />
das vielfach gemacht.<br />
Gab es im Rahmen der Kampagnenplanung Analysen über regionale Besonderheiten bei vergangenen Wahlen?<br />
Gab es daraus resultierend seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auch individuelle Handlungsempfehlungen für einzelne<br />
Stadt- oder Kreisverbände?<br />
XVI
XVII<br />
Lindner: Absolut, ja. Wir haben sowohl die Streuung der Großflächenplakate, als auch die Verteilaktionen nicht<br />
mit der Gießkanne vorgenommen, sondern haben gezielt in Schwerpunktwahlkreisen Großflächen aufgestellt<br />
und in gezielt ausgesuchten Wahlkreisen zum Schluss noch einmal für eine Verteilaktion gesorgt.<br />
Haben Sie sich mit dem Erfolg der Kommunikation über die einzelnen Kanäle, die Sie im Wahlkampf genutzt<br />
haben, nach der Wahl beschäftigt? Gab es eine Evaluation <strong>des</strong> Erfolges?<br />
Lindner: Ja. Damit sind wir gerade jetzt beschäftigt. Wir haben diesbezüglich auch, für die FDP zumin<strong>des</strong>t, neue<br />
Methoden eingeleitet. Erstens befragen wir mit einem umfangreichen, 12seitigen Fragenkatalog alle Parteigliederungen<br />
und alle Kandidaten, wie sie den Service der Lan<strong>des</strong>partei und die Wirkung der Kampagne selbst eingeschätzt<br />
haben. Zweitens wird gerade hier nebenan von einer Praktikantin eine detaillierte Chronologie der<br />
Landtagswahl in der Medienberichterstattung, so eine Art Mini-Qualitative-Medienanalyse, mit den Maßnahmen<br />
die wir gemacht haben und den Maßnahmen der Mitbewerber erstellt, um dann zu schauen, wie haben wir uns<br />
mit unseren Aktionen platziert, und zum Dritten, allerdings werden wir da erst zum Ende diesen Jahres einsteigen,<br />
wollen wir uns mit den demoskopischen Aspekten beschäftigen. Wenn wir ein bisschen weiter weg sind<br />
vom Wahltag, kommen wir nämlich günstiger an die Ergebnisse der Institute ran. Auf der Grundlage wollen wir<br />
dann eine neue Strategie entwickeln, zum einen für die Kommunikation in der laufenden Legislaturperiode und<br />
zum zweiten für die Bun<strong>des</strong>tagswahl 2009 und die Landtagswahl 2010 hier in NRW. Das läuft also systematisch<br />
ab. Mein Ziel ist, dass wir strategische Ableitungen aus dem Wahlkampf irgendwann Ende 2006 ziehen können.<br />
So lange wird es dauern, um das Ganze aufzuarbeiten, neben dem Tagesgeschäft, angesichts der knappen Personalressourcen,<br />
die wir gegenwärtig haben.<br />
Gut. Jetzt würde ich dann auf die „Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen“ zu sprechen kommen. Sie<br />
haben ja bereits angedeutet, dass sie bestimmte Zielgruppen unterschieden haben. Auf welcher Basis haben Sie<br />
entscheiden, wie die Zielgruppen sich zusammensetzen?<br />
Lindner: Wir wissen aus der Tradition, dass die Wahrscheinlichkeit, Grün oder Gelb zu wählen, mit dem Grad<br />
<strong>des</strong> letzten Bildungsabschlusses steigt. Zum anderen wissen wir, dass berufliche Selbstständigkeit oder freiberufliche<br />
Tätigkeit ebenfalls einen zusätzlichen Faktor bedeuten können. Man kann also sagen, dass jemand, der<br />
selbstständig tätig ist und einen akademischen Abschluss hat, überproportional häufig die FDP wählt.<br />
Woher wissen Sie das?<br />
Lindner: Aus allen Untersuchungen in der Tradition. Und auch aus der Intuition. Das hat sich auch jetzt bei der<br />
Bun<strong>des</strong>tagswahl bestätigt. In der Nachbefragung, bei den Exit-Polls, ist ermittelt worden, dass 19,5 Prozent der<br />
Selbstständigen die FDP gewählt haben.<br />
Selbstständig ist ein dehnbarer Begriff. Das kann jemand sein, der eine Pommesbude hat oder einen Frisörsalon<br />
oder eine Zahnarztpraxis.<br />
Lindner: Ja, natürlich. Absolut. Wir wissen zunächst, dass wir bei den Selbstständigen überproportional viel<br />
Erfolg haben. Und, je höher der Bildungsabschluss ist, <strong>des</strong>to höher ist die Wahrscheinlichkeit, Gelb oder Grün<br />
zu wählen. Das zusammengenommen erlaubt es nun - mit knappen Mitteln und unter Berücksichtigung <strong>des</strong> Datenschutzes<br />
- bestimmte Zielgruppen zu bilden, die man adressieren kann. Zum Beispiel wird daraus deutlich,<br />
dass Ärzte und Apotheker, selbstständig tätige Rechtsanwälte, Ingenieurbüros und andere Einzelunternehmer<br />
und Freiberufler - im Sinne von beratenden Betriebswirten - für uns eine besonders interessante Zielgruppe sind.<br />
Und solche Daten kann man bei Adressverlagen gesondert kaufen. Die sind nach Berufsgruppen sortiert und<br />
nicht nach Bildungsabschlüssen. Deshalb haben wir uns behelfsmäßig bei den Direct Mailings so organisiert.<br />
Wie viele Direct Mailings haben Sie denn während der Landtagswahlkampfes rausgeschickt?<br />
Lindner: Etwa eine viertel Million.<br />
War das alles zentral über den Lan<strong>des</strong>verband organisiert?<br />
Lindner: Das Gros ging sicher über den Lan<strong>des</strong>verband, wir haben daneben aber auch Mustertextbausteine und<br />
Briefe für unterschiedliche Berufsgruppen oder andere gesellschaftliche Gruppen, etwa Vorsitzende von Sportvereinen,<br />
in einen internen Bereich unseres Intranets - das mussten wir erst noch schaffen, das gab es bisher<br />
nicht bei der NRW-FDP - eingestellt.
XVIII<br />
Sie haben es jetzt schon angedeutet: Meine nächste Frage wäre gewesen, welchen Stellenwert diese Zielgruppen<br />
bei der Planung der Kampagne hatten?<br />
Das war wichtig. Aber wir haben 500.000 Wähler und wir haben 250.000 Direct Mailings verschickt. Wenn man<br />
sagt, dass ein Fünftel gar nicht erst zur Wahl gegangen ist, sind 50.000 direkte Adressaten weg, dann sind wir bei<br />
200.000 und von denen ist dann ein Drittel für die FDP erreichbar. Das heißt, wir reden über gut 64-65.000 Personen.<br />
Das heißt, für das Wahlergebnis war das Direct Mailing nicht entscheidend, da sind dann doch eher die<br />
klassischen Wege der politischen Kommunikation - Außenwerbung plus Medienberichterstattung - entscheidend.<br />
Ich komme nun zum letzten Topic, dem Stellenwert von <strong>Marketing</strong>. Wenn Sie jetzt einmal ganz generell an die<br />
Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden Sie dabei mit dem Begriff <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong><br />
<strong>Marketing</strong>?<br />
Lindner: Ich hege eine gewisse Skepsis, den Begriff dort einzusortieren. Politische Kommunikation ist komplizierter,<br />
als dass man sie auf den Begriff <strong>Marketing</strong>, Markenführung oder Public Relations reduzieren könnte.<br />
Das ist sehr viel schwieriger. Unsere Agentur hat auch gerne davon gesprochen, dass diese Formel „Das neue<br />
NRW“, mit der wir als Überschrift geworben haben, eine politische Marke beziehungsweise ein politischer Markenartikel<br />
gewesen sei. Ich glaube, diese Assoziation führt eher in die Irre, denn diese Verbindung zur Markenführung<br />
klappt auch systematisch nicht, von der wissenschaftlichen Definition einmal abgesehen. Insofern gibt<br />
es unterschiedliche Instrumente der politischen Kommunikation, die sich rekrutieren aus der klassischen PR,<br />
dem <strong>Marketing</strong> und Unterbereichen wie zum Beispiel Eventmarketing. Trotzdem ist <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> eine<br />
Disziplin sui generis. Alleine aus Gründen der Politischen Kultur verbieten sich bestimmte Maßnahmen, die man<br />
vielleicht in der klassischen Werbung vornehmen würde, auch all die Maßnahmen, die ich angedeutet habe -<br />
Direct Mailings und so weiter - sind ja heikel. Die Leute wollen ja in Deutschland nicht so direkt von Parteien<br />
angesprochen werden, <strong>des</strong>halb ist das alles mit einer gewissen Vorsicht zu sehen. Ich würde also sagen, <strong>Marketing</strong><br />
spielt eine gewisse Rolle, entscheidend ist aber, dass die politische Substanz stimmt.<br />
Ist es aus der Sicht einer Partei vor der Wahl im Sinne eines guten Ergebnisses zielführend, alle Informationen<br />
über die Erwartung potentieller Wähler in den Mittelpunkt der Kampagnenplanung zu stellen und das politische<br />
Angebot, also die Präsentation <strong>des</strong> Kandidaten oder die Positionierung der Partei, hinsichtlich relevanter Sachfragen<br />
danach auszurichten? Sie haben es ja eben schon angedeutet, dass es zwar zielführend sein kann, aber<br />
nicht legitim ist?<br />
Lindner: Ganz genau.<br />
Würden Sie sagen, dass so etwas in der Realität stattfindet zum Beispiel hier im Landtagswahlkampf? Hatten Sie<br />
das Gefühl, dass einige Parteien dieser Prämisse gefolgt sind?<br />
Lindner: Ja, das ist natürlich immer schwierig zu entscheiden, was da Henne, und was Ei ist. Politische Willensbildung<br />
soll sich ja auch vollziehen in Rückkopplung mit Wählerwillen. Insofern ist das sehr schwierig. Die<br />
eigene Überzeugung, Meinungsbildung, politische Formulierung ist ja geprägt dadurch, dass man Wissen aufnimmt,<br />
aggregiert und neu ordnet. Zu diesem Wissen gehört das Wissen um Sachfragen, aber auch das Wissen<br />
darum, was gewünscht ist in der Bevölkerung. Ich will es an einem Beispiel deutlich machen: Gewünscht in der<br />
Bevölkerung ist ein Steuersystem, das den deutschen Maßstäben von Gerechtigkeit genügt. International sachlich<br />
geboten wäre eine Flat Tax im Steuerwettbewerb, da braucht man ja nur mal über die Grenzen zu schauen.<br />
Daraufhin haben wir dann gesagt, okay, machen wir ein Stufenmodell, das eine steigende steuerliche Belastung<br />
vorsieht, aber nicht mehr eine linear progressive, sondern nur noch eine stufenweise Belastung, was das Steuersystem<br />
vereinfacht. Insofern kann man nicht chinesische Mauern ziehen - hier informiere ich mich, was die<br />
Menschen wollen, und hier kümmere ich mich nur um Sachfragen - und danach führe ich das Ganze zusammen.<br />
Es ist ein komplexer Prozess, der sich da vollzieht. Erst dann, wenn man vorsätzlich die eigene Überzeugung<br />
danach ausrichtet, wie sie ankommt, dann ist, glaube ich, die Grenze überschritten zwischen Überzeugung auf<br />
der einen Seite und reinem Verkaufen auf der anderen.<br />
Es gibt ja Autoren in der Politikwissenschaft, die sagen, Parteien handeln heute eine marketingorientiert, das<br />
heißt, sie gucken, was will der Wähler und ...<br />
Lindner: Professionelle Wählerparteien<br />
...und richten ihr Produkt danach aus. Das ist etwas anderes, als hinzugehen und aufgrund eigener Kapazitäten<br />
ein Produkt zu entwickeln und sich dann zu überlegen, wie verkaufe ich das. Ihre These wäre es also eher, dass<br />
Parteien und speziell die FDP zwar sehr professionell den Verkauf ihres Produktes betreiben, dass sie die Ent-
wicklung <strong>des</strong> Produktes aber schon noch selber steuern und nicht nach <strong>Marketing</strong>prämissen schauen, was will<br />
der Wähler?<br />
Lindner: Ja. Diese These würde ich mir zu Eigen machen, wobei hier jetzt natürlich sehr trennscharf - da nur<br />
verkaufen und da Prinzipienfestigkeit - unterschieden wurde. Auch das ist nicht die Realität. In der Realität vollzieht<br />
sich ja alles in einem iterativen Prozess: Man hat Rückkopplungen von einer Landtagswahl mit einer bestimmten<br />
politischen Agenda, die daneben gegangen ist, so dass man beim nächsten Mal anders akzentuiert, und<br />
vielleicht bestimmte Fragen auch in der Vermittlung anders betont. Es ist ja die Aufgabe von Parteien, die Stimmungen,<br />
die in der Bevölkerung vorherrschen, abzubilden. Insofern ist es falsch, was manche Autoren für ein<br />
pessimistisches Politikbild haben. Genauso naiv wäre es aber zu glauben, dass diese Überlegungen der Vermittelbarkeit<br />
und der Akzeptanz in der Bevölkerung völlig ausgeblendet werden. Das wäre so ein Honoratiorenverständnis<br />
von Politik, das mit Sicherheit auch nicht realistisch ist. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, aber<br />
eher näher bei der Prinzipienfestigkeit als bei der reinen Verkaufsorientierung.<br />
XIX<br />
Herr Lindner, vielen Dank für diese Informationen und das Gespräch.
A2.3) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit dem Generalsekretär der CDU NRW, Hans-Joachim Reck<br />
Abschrift <strong>des</strong> Mitschnittes eines leitfadengestützten Interviews mit dem Generalsekretär der CDU NRW, Hans-<br />
Joachim Reck, über die Planung der Wahlkampagne zur Landtagswahl 2005 in seiner Partei. Das Gespräch fand<br />
am 26.09.2005 in Düsseldorf statt. Die Mitschrift wurde am 7.11.2005 von der Pressesprecherin der CDU NRW,<br />
Manuela Scharfenberg, telefonisch autorisiert und zur Verwendung im Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Vorhabens<br />
freigegeben. Die Fragen und Beiträge der Interviewerin sind durch Unterstreichung kenntlich gemacht.<br />
Erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Es soll etwa 60 Minuten dauern. In<br />
dieser Zeit möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, die sich auf die Organisation von Wahlkampagnen und insbesondere<br />
auf die Planung Ihrer Kampagne zur NRW-Landtagswahl 2005 beziehen. Insgesamt möchte ich mit<br />
Ihnen über folgende Themenbereiche sprechen:<br />
• Kommunikationsziele der Kampagne<br />
• Themenauswahl für die Kampagne<br />
• Die Rolle der Spitzenkandidaten<br />
• Kommunikation mit der Wählerschaft<br />
• Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen<br />
• Stellenwert von <strong>Marketing</strong><br />
Weil Sie in Ihrer Partei diesbezüglich eine einflussreiche Position bekleiden, wurden Sie als Experte ausgewählt<br />
und um dieses Gespräch gebeten. In den anderen Parteien stehen ähnliche Interviews bevor. Die aus den Interviews<br />
resultierenden Informationen dienen der politischen Grundlagenforschung. Es geht also nicht darum zu<br />
beurteilen, welche Kampagne besser und welche Kampagne schlechter gewesen ist, sondern um die rein wissenschaftliche<br />
Auseinandersetzung mit Wahlkampagnen. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, werde ich mit<br />
meiner ersten Frage beginnen.<br />
Zunächst möchte ich mich dem Fragenblock „Kommunikationsziele der Kampagne“ zuwenden. Wenn Sie jetzt<br />
einmal an die Wahlkampagne für die vergangene Landtagswahl zurückdenken, worin, würden Sie sagen, lagen<br />
die zentralen Kommunikationsziele, die Sie im Rahmen Ihrer Kampagne verfolgt haben?<br />
Reck: Die zentralen Kommunikationsziele lagen darin, dass wir drei Elemente deutlich machen wollten: Wir<br />
wollten auf jeden Fall, was die äußere Kommunikation angeht, über eine Bilanzkampagne die wesentlichen<br />
Kernbotschaften <strong>des</strong> Angriffs rüberbringen. Wir wollten gleichzeitig unsere Kompetenz rüberbringen und drittens<br />
natürlich in der Endphase den Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers entsprechend vermitteln. Aber die Reduktion<br />
auf Kommunikationsziele - wenn ich das zur Kampagne einmal sagen darf - die ist mir zu reduziert. Ich weiß<br />
nicht, wie das Gespräch im Weiteren verlaufen soll, aber ich sage Ihnen jetzt gleich zu Beginn etwas, was aus<br />
meiner Sicht für die gesamte Grundanlage der Kampagne wichtig war: Wir haben die Wahlen, und das war ein<br />
historischer Wahlsieg für die CDU nach 39 Jahren, <strong>des</strong>halb gewonnen, weil wir erstmals in der Geschichte der<br />
Partei auch ein professionelles Kampagnenmanagement geführt haben. Ich habe diese Kampagne nicht statisch<br />
verwaltet, sondern wir haben sie gemanagt. Wahlkämpfe sind ja etwas Hochkomplexes. Es ist, wenn Sie es so<br />
wollen, ein Großprojekt gewesen. Und da sind die Kommunikationsziele schon ganz entscheidend, aber als Einstieg<br />
in ein solches Interview ist die Reduktion auf die Kernziele doch ein wenig verkürzt. Wenn man über eine<br />
Kampagne spricht, gibt es - das werden wir gleich im Gespräch sicherlich noch vertiefen - eigentlich zwei wesentliche<br />
Kommunikationselemente: die innere Kommunikation und die äußere Kommunikation. Das, was wir in<br />
der äußeren Kommunikation erreichen wollten, in insgesamt drei Phasen <strong>des</strong> Wahlkampfes, habe ich Ihnen gerade<br />
erläutert und das können wir ja gleich inhaltlich noch vertiefen. Aber die Kampagne hat bei uns mit einem<br />
ganz starken, auch sehr fokussiert vorangetriebenen Element der inneren Kommunikation begonnen, die bezogen<br />
auf die Landtagswahl schon eingebettet war in die Phase der Europawahl und der Kommunalwahl. Wenn man<br />
über Kommunikationsziele spricht, muss man übrigens meiner Ansicht nach auch über Kommunikationsmittel<br />
reden. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, wir haben diese Wahl gemanagt. Was wirklich neu war an dieser Kampagne<br />
- und das werde ich Ihnen in weiteren Seminaren über diese historische Kampagnenführung auch immer<br />
wieder sagen: wir haben eine neue Kampagnenkultur entwickelt. Das Thema Unternehmenskultur ist ja ein sehr<br />
wichtiges Thema. Das wird von Außenstehenden oder von mittelständischen Strukturen häufig nicht verstanden.<br />
In Großunternehmen ist das etwas sehr Wichtiges. Und wenn Sie ein Großprojekt leiten, wie eine solche Kampagne,<br />
zumal wenn Sie das in semi-professionellen Strukturen tun, ist das unglaublich wichtig. In der CDU sind<br />
die meisten Helfer ehrenamtlich tätig. Deshalb haben wir einen besonderen Fokus auf die Entwicklung einer<br />
entsprechenden Wahlkampfkultur, einer Managementkultur für den Wahlkampf, gelegt und dabei sind wir neue<br />
Wege gegangen. In der Wirtschaft würde man von einem professionellen Prozessmanagement sprechen. Dahinter<br />
steht ja auch immer die Frage nach IT-Infrastrukturnutzung und der Nutzung neuer Medien und dergleichen.<br />
XX
Das haben wir alles sehr systematisch angelegt. Soweit mein Einstieg. Kommunikationsziele sind eine Sache,<br />
aber vor der Klammer stehen eben auch ganz andere Fragestellungen.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen heutzutage<br />
von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden?<br />
Reck: Dieser Beraterbegriff ist etwas, was sich sehr eigendynamisch aufgeladen hat. Das sind Lieschen-Müller-<br />
Debatten in der Presse. Es wird immer so getan - und einige Berater suggerieren das auch so - dass sie gewissermaßen<br />
die Spin Doktors der Kampagnen sind. In der Tat waren eine Menge Dienstleister für uns tätig. Aber<br />
die würde ich nicht als Berater bezeichnen. Eine Agentur ist zunächst mal eine Agentur. Dass sie in den Werkstattgesprächen,<br />
die man miteinander führt, um Corporate Identity zu entwickeln oder auch Plakate in der Tonalität<br />
festzulegen, immer auch eine gewisse Beratungsfunktion haben, ist doch selbstverständlich, schließlich kann<br />
in einer guten Wahlkampfführungskultur jeder seine Meinung sagen. Natürlich haben wir auch demoskopieerfahrene<br />
Leute am Tisch gehabt. Das waren zum Beispiel Leute, die sich mit Fokusgruppen auskennen und<br />
gewisse Dinge in Fokusgruppen für uns getestet haben.<br />
Sie haben Kampagnenbestandteile in Fokusgruppen getestet?!<br />
Reck: Ja, natürlich, ganz systematisch. Wir haben sehr systematisch mit Demoskopie gearbeitet, mit Fokusgruppen<br />
beispielsweise, und waren insofern, was die Befindlichkeit der Bevölkerung angeht, immer sehr gut auf dem<br />
Laufenden. Als wir die Kampagne geführt haben, gab es auch noch nicht diese demoskopieabweichenden Ausschläge,<br />
die wir jetzt bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl festgestellt haben. Wir haben genau abgefragt, wo die Kernkompetenzen<br />
unserer Partei liegen und wie die Kernthemen der Bevölkerung lauten und haben dann eine Korrelation<br />
zwischen der Wählererwartung und dem Kompetenzprofil der Partei gebildet und auf dieser Basis die Kommunikationsziele<br />
und die Kommunikationsmittel festgelegt. Das ist ein <strong>Marketing</strong>instrument, das ist Gang und<br />
Gäbe, eine Selbstverständlichkeit sozusagen, wenn man einen Wahlkampf professionell führen will. Das tut die<br />
Bun<strong>des</strong>partei ja im Übrigen auch in dieser Weise.<br />
Sie beantworten ja meine Fragen, bevor ich Sie stellen kann. Haben Sie denn auch konkrete Slogans in Fokusgruppen<br />
getestet?<br />
Natürlich. Auch Plakatmotive - alles.<br />
In der Fokusgruppe, was waren das für Leute? Haben Sie das alles selber arrangiert und durchgeführt?<br />
Reck: Nein, wir haben diesbezüglich mit einem Herrn Jung von der GMS in Hamburg zusammengearbeitet, das<br />
ist ein sehr erfahrener Mann. Er kommt aus der Parteikommunikation - Adenauer-Stiftung. Mit dem haben wir<br />
übrigens auch das Coaching der Kandidaten gemacht. Aber um noch einmal auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen:<br />
Ich persönlich bin ein großer Anhänger von immanent geführten Wahlkämpfen. Ich halte nichts von<br />
solchen Kampa-Modellen. Eine Partei wie unsere hat eine gegliederte, hauptamtliche Struktur und man muss<br />
solche Kampagnen aus diesem Körper heraus führen. Das ist meine Überzeugung und ich mache das ja nicht<br />
zum ersten Mal. Am besten macht man das mit kleinen hauptamtlichen Teams. Wir waren insgesamt nur achtzehn<br />
Leute und zwanzig Studenten. Hinzukam insbesondere im Bereich der inhaltlichen Arbeit noch die Landtagsfraktion,<br />
und dann war es das auch schon. In der Fläche haben wir 54 Hauptgeschäftsführer, die dann mit<br />
den ehrenamtlich tätigen Kreisvorständen und den Mandatsträgern die Kampagne getragen haben. Und wenn Sie<br />
mit solchen Strukturen arbeiten, das sind ja semiprofessionelle Strukturen, dann kommen Sie gar nicht umhin,<br />
sich eine Menge Gedanken zu machen, was den Einsatz der knappen Mittel angeht und dann landen Sie schnell<br />
bei modernen Mitteln - Tools - Werkzeugen, wie der Marktforschung und der Marktbearbeitung.<br />
Das heißt, Sie haben sich als Verantwortlicher für die Kampagne auch massiv als Pulsgeber gesehen, sowohl in<br />
die Partei rein zu kommunizieren: So haben wir uns das vorgestellt, wie könnt Ihr das Umsetzen, wie können wir<br />
Euch unterstützen, zum anderen aber nach außen an den Wähler…<br />
Reck: … sehen Sie, in Kampagnen ist es ganz wichtig, weil viele Ehrenamtliche mitwirken, dass die eigenen<br />
Leute an die Kampagnenfähigkeit der Partei glauben. Und da die CDU ja in Serie 39 Jahre lang Landtagswahlen<br />
verloren hat - war die Grundstimmung eher resignativer Art. Und als dann weitere Krisenmomente kamen, wie<br />
zum Beispiel nach dem Bun<strong>des</strong>parteitag im Dezember letzten Jahres Stichwort „Rücktritt <strong>des</strong> Generalsekretärs<br />
auf Bun<strong>des</strong>ebene“, da hat es sich zum Beispiel bewährt, dass wir eine sehr stabile Form der inneren Kommunikation<br />
aufgebaut haben. Beispielsweise haben wir mit einer inneren Schulung die Hauptträger <strong>des</strong> Wahlkampfes,<br />
die Kandidaten, sowie jene, die dienstleistungsmäßig für uns tätig gewesen sind, gestärkt. Das ist das A und O.<br />
XXI
XXII<br />
Die Qualität der inneren Kommunikation, das ist auch die Erkenntnis <strong>des</strong> nordrein-westfälischen Wahlkampfes,<br />
how to run a campaign, würde man in Amerika sagen, also wie man eine Wahlkampagne macht, hängt ja entscheidend<br />
von den Kräften vor Ort ab. Das ist eine extrem wichtige Sache gewesen, die sicherlich 50 Prozent<br />
unseres Erfolges ausgemacht hat. Aber um noch mal zu der Frage der Berater zurückzukommen: Ich habe vorhin<br />
gesagt, dass das immer dieser Lieschen-Müller-Vergleich in der Presse ist. Wenn da ein großer Name steht, wird<br />
immer gesagt, dass diese Person der Spin Doctor <strong>des</strong> Wahlkampfes gewesen ist. Berater sind wichtig, aber sie<br />
sollten auch nicht überschätzt werden. Bei uns waren Dienstleister am Werk, die sich in die Teamarbeit eingefügt<br />
haben. Und diese Teamarbeit hatte zwei ganz große Ziele: Erstens, die CDU zum Erfolg zu führen und<br />
zweitens Jürgen Rüttgers zum Ministerpräsidenten zu machen. Und das haben wir bei<strong>des</strong> geschafft.<br />
Das ist richtig. Jetzt haben Sie auch vieles schon gesagt, was jetzt meine nächsten Fragen noch aufgegriffen<br />
hätten. Sie haben zum Beispiel angedeutet, dass sie bei der Themenauswahl der Kampagne versucht haben, eine<br />
Schnittmenge zu finden zwischen dem, was die Partei umsetzen kann und möchte und dem, was der Wähler<br />
erwartet...<br />
Reck: Wir haben die Hauptkompetenzfelder der CDU immer gemonitort, also gefragt, wo spricht uns die Bevölkerung<br />
Kompetenz zu, und das war im Landtagswahlkampf ganz eindeutig das Feld der Arbeitsmarktpolitik, der<br />
Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Sicherheitspolitik, aber auch der Schul- und Bildungspolitik. Und <strong>des</strong>halb<br />
haben wir ja auch die Kurzfassung unseres Slogans „Mehr Arbeit, mehr Bildung, weniger Staat“ gewählt.<br />
Das korrelierte ganz eindeutig aus der Erkenntnis, dass die Bevölkerung einmal das Thema Arbeitslosigkeit als<br />
das dominante Sachthema identifiziert hatte und wenn man dann obendrein noch weiß, dass die Lösungskompetenz<br />
einem selber zugebilligt wird, dann ist es geradezu folgerichtig, dass man auf seinem Akzeptanzschwerpunkt<br />
auch den Wahlkampf führt, auf seinem Playground sozusagen. Das Bildungsthema und das Innovationsthema<br />
korrelieren natürlich mit einer prosperierenden Wirtschaftspolitik, aber auch mit dem Thema Abbau der<br />
Arbeitslosigkeit. Ein zweites zentrales Thema, zumal es auch ein lan<strong>des</strong>politisches Thema ist, war das Thema<br />
Schule. „Weniger Staat“ hat zudem das Unwohlsein der Bevölkerung über die übermächtige Bürokratie angesprochen.<br />
Die Sozialdemokraten verkürzen die Diskussion diesbezüglich ja immer auf „Gleichheit und Gerechtigkeit“.<br />
Entbürokratisierung ist aber auch immer ein Freiheitsprogramm. Mit der Forderung „weniger Staat“<br />
haben wir unsere Zielgruppen in der Mittelschicht, im Bürgertum und vor allem auch in der Wirtschaft angesprochen,<br />
die uns - das wussten wir wiederum - diesbezüglich auch die nötige Kompetenz zugebilligt haben.<br />
Und so haben wir korreliert. Wir haben durch unsere empirische Feldarbeit die Hauptsorgen der Menschen aufgegriffen<br />
und haben sie politisch, inhaltlich, konzeptionell und programmatisch unseren Kompetenzen zugeordnet.<br />
Und genau über diese Schiene haben wir dann auch kommuniziert, indem wir eine Angriffskampagne gefahren<br />
haben, die, was die werbliche Seite angeht, in einer sehr aggressiven, schwarzen Tonalität gehalten war. So<br />
haben wir Arbeitslosigkeit thematisiert, Sicherheitspolitik thematisiert, Unterrichtsausfall thematisiert, und dann<br />
haben wir daran anknüpfend in Positivbotschaften übergeleitet, die in einer freundlichen Tonalität gehalten waren.<br />
Und das Ganze haben wir dann noch unterlegt mit der Wechselstimmung. Die Wechselstimmung war da,<br />
das haben wir gemessen. Wir haben das Arbeitsmarktthema auch noch einmal auf Kernthesen verkürzt und gesagt<br />
„Jobs statt Bürokratie“. Was wir aber auch wissen ist: Plakatierung greift häufig nicht. Wir sind dabei übrigens,<br />
nach meiner Einschätzung, was die kommerzielle Plakatierung und die Plakatierung überhaupt angeht, mit<br />
einem Drittel Aufwand wie die SPD ausgekommen. Uns ist es aber gelungen, durch die sehr prägnante Form der<br />
Darstellung, unsere Botschaft rüber zu bringen. Und das habe ich übrigens jenseits von empirischen Messungen<br />
in Wahlkampfveranstaltungen immer wieder erlebt, dass Leute mir gesagt haben, „Ihr habt Eure Botschaft, mehr<br />
Arbeit, mehr Bildung, weniger Staat, rübergebracht.“<br />
Sie sagten vorhin „how to run a campaign“, Lesen Sie so etwas? Ich meine, lesen Sie amerikanische Wahlkampfliteratur?<br />
Reck: Es gibt da ja auch Magazine auf Deutsch. In Amerika ist das ja ein professioneller Studiengang - Campaign<br />
Management. Und es gibt auch in der europäischen Volkspartei entsprechende Arbeitskreise von <strong>Marketing</strong>leuten.<br />
Ich war ja mal vor 10 Jahren, bevor ich in die Wirtschaft gegangen bin, Bun<strong>des</strong>geschäftsführer der<br />
CDU. Es gibt in diesen Kreisen einen wirklich sehr professionellen Meinungsaustausch. Jetzt im Oktober veranstaltet<br />
die Adenauer-Stiftung auch wieder ein Seminar zu diesem Thema. In der CDU wird das sehr professionell<br />
betrieben. Die Besonderheit hier in Deutschland, im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ist, dass alles von<br />
Leuten gemacht wird, die aus anderen Feldern kommen und dann in diese Managementfunktion hineingewachsen<br />
sind. In Amerika sind das richtig professionell ausgebildete Leute aus den entsprechenden Studiengängen,<br />
die es mittlerweile gibt.<br />
Noch eine Frage zu den Themen: gab es auch Themen - Sie haben eben angedeutet, dass Sie im Prinzip die<br />
Themen genommen haben, von denen Sie wussten, da sind wir stark und da weist man uns in der Bevölkerung
XXIII<br />
eine hohe Kompetenz zu - gab es denn auch Themen oder Aussagen, auf die Sie gesetzt haben, weil Sie dachten,<br />
dass sich dadurch auch Wähler motiviert fühlen könnten, die CDU zu wählen, die sonst typischer Weise eher<br />
nicht die CDU wählen?<br />
Reck: Nein, das haben wir nicht gemacht, das wäre ja auch unprofessionell. Zum Beispiel haben wir - das ist den<br />
Sozialdemokraten schon gelungen, obwohl ich meine, dass wir eine bessere Familienpolitik machen und eine<br />
ordnungspolitisch konsistentere - aber den Sozialdemokraten ist es schon gelungen, bei der Abfrage der Kompetenz<br />
im Bereich der Familienpolitik einen Kompetenzvorsprung im Vergleich mit uns zu erreichen. Deswegen<br />
haben wir das Thema Familienpolitik, obwohl gewisse Christdemokraten immer danach schreien, dass wir das<br />
unbedingt in den Vordergrund stellen müssten, ganz bewusst nicht verwendet, weil wir wussten, davon profitiert<br />
dann im Zweifelsfall die SPD. Wir haben statt<strong>des</strong>sen versucht, dieses Thema komplementär mit dem Bildungsthema<br />
anzugehen.<br />
Das wäre meine nächste Frage gewesen: Haben Sie auch geguckt, was die anderen Parteien so machen und auch<br />
diesbezüglich abgestimmt, wie die eigene Vorgehensweise aussehen muss?<br />
Reck: Ja, das haben wir sehr systematisch gemacht. Wir haben sicher auch das Glück gehabt, dass die Sozialdemokraten<br />
in Nordrhein-Westfalen einfach Nichts gemacht haben. Sie haben vor allem auch nichts richtig gemacht.<br />
Ihr Kampagnenmanagement erscheint <strong>des</strong>aströs. Bei uns war von vornherein ein Team und eine Führung<br />
da. Und die war eben hier in der Wasserstrasse [Anschrift der Lan<strong>des</strong>geschäftsstelle der CDU NRW, red. Anmerkung].<br />
Sehr arbeitsteilig, sehr nahe an Jürgen Rüttgers. Die entscheidenden Weichenstellungen hat Jürgen<br />
Rüttgers auch selbst gesetzt, strategisch gesetzt, immer in Kenntnis <strong>des</strong>sen, was alles an Empirie vorgelegen hat.<br />
Denn angesichts der sehr starken personalen Zuspitzung von Kampagnen in der heutigen Medienzeit muss es<br />
zwischen der Kampagne selber und dem Spitzenkandidaten immer eine gewisse Symbiose geben. Und das haben<br />
wir auch hinbekommen.<br />
Wie war das denn eigentlich, bezüglich der Spitzenkandidatenfrage: War es von vornherein klar, dass Jürgen<br />
Rüttgers Spitzenkandidat wird?<br />
Reck: Ja, klar. Immer.<br />
Da gab es keine Diskussion?<br />
Reck: [lacht] Der Wettbewerb in der Partei ist min<strong>des</strong>tens ebenso hart wie der mit dem politischen Gegner.<br />
Gab es denn einen Gegenkandidaten?<br />
Reck: Nein, das sicher nicht. Das war eine Schrittfolge. Die offizielle Ausrufung zum Kandidaten erfolgte ja mit<br />
der Aufstellung der Liste, und das war im Dezember 2004. Wenn wir die Europawahl und Kommunalwahl vergeigt<br />
hätten, dann hätte es da unter Umständen auch eine andere Debatte gegeben. Die CDU ist bei diesen Fragen<br />
nicht sehr zimperlich. Insofern war das schon eine ganz wichtige Erfolgsstrecke, die wir 2004 zurückgelegt<br />
haben. Und das war letztendlich natürlich ausschlaggebend für die unangefochtene Nominierung von Jürgen<br />
Rüttgers.<br />
Sie haben eben gesagt, dass Sie bei der Themenplanung intensiv verglichen haben, was die Wähler erwarten und<br />
wo die Kompetenzen der CDU gesehen werden. Haben Sie das in Bezug auf das Kandidatenprofil auch gemacht?<br />
Sind Sie da auch hingegangen und haben beispielsweise ermittelt, wie bekannt er ist, welche Kompetenzen<br />
im zugeordnet werden und so weiter?<br />
Reck: Ja, natürlich. Natürlich haben wir das auch immer gemessen. Die Demoskopen haben ja immer nach der<br />
fiktiven Sonntagsfrage gefragt, also unterstellt, die Bürger könnten die Kandidaten direkt wählen. Da hatte<br />
Steinbrück immer einen Vorsprung. Steinbrück galt auch als kompetent, aber wir wussten eben auch sehr genau,<br />
dass Steinbrück kein Charisma hat und vor allen Dingen von der eigenen Mitgliedschaft nicht voll unterstützt<br />
wurde. In diese Schneise sind wir rein gegangen. Wir hatten einen sehr guten Überblick über das, was die Bevölkerung<br />
dem jeweiligen Spitzenkandidaten zutraute und was nicht. Und auch da gilt die Maxime, dass man die<br />
eigenen Stärken stärken muss.<br />
Woher kam dieses Wissen, welche Daten haben Sie da konkret im Sinn?
XXIV<br />
Reck: Wir haben gar nicht so viel Geld in die Hand genommen. Der WDR hat zum Beispiel eine Menge solcher<br />
Fragen gestellt. Das machen die Medien ja häufig.<br />
Das heißt, Sie recherchieren das auf der Grundlage der Medienberichterstattung und bilden sich dann in eigener<br />
Regie ein Urteil, was das für die CDU bedeutet?!<br />
Reck: Ja. Gerade die Kompetenzprofile von allen möglichen Instituten sind ja auch dauernd veröffentlicht worden.<br />
Aber wir verfügen darüber hinaus natürlich auch über eigene demoskopische Erkenntnisse.<br />
Sie geben also selbst gewisse Umfragen in Auftrag?<br />
Reck: Natürlich.<br />
Um noch einmal auf Jürgen Rüttgers selbst zurückzukommen: Man hört ja auch immer wieder, dass Spitzenkandidaten<br />
heutzutage sehr intensiv gecoacht werden, Stichwort TV-Duell zum Beispiel. Wie war das denn im Fall<br />
von Jürgen Rüttgers?<br />
Reck: Natürlich hat es da eine sehr professionelle Unterstützung gegeben. So etwas muss man ja inhaltlich vorbereiten.<br />
Das muss man entsprechend vorbilden und auch nachbilden und da kann man nichts dem Zufall überlassen.<br />
Das hat bei uns Willy Hausmann gemacht, in Zusammenarbeit mit einem Team von Experten. Man muss<br />
zum Beispiel mit den Sendern die Kausalitäten der Aufnahme vereinbaren. Das wird heute ja auch genau unter<br />
dem Stichwort der Chancengleichheit festgelegt, denn eines muss man ja sagen: TV-Duelle entscheiden nicht die<br />
Wahlen, aber Fehler in TV-Duellen können verheerende Wirkungen haben. Vor allem was die Innenmotivation<br />
der eigenen Wahlkämpfer angeht. Aber das hat Jürgen Rüttgers mit Bravour gemacht, und zwar in beiden Duellen.<br />
Das letzte Duell hat er aus meiner Sicht sogar gewonnen. Wir hatten dann zwar immer das Phänomen - und<br />
das ist auch jetzt beim Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf zu sehen gewesen - dass die Amtsinhaber mit einem Bonus bei den<br />
Umfragen versehen werden. Dann wird immer unterstellt, sie hätten das TV-Duell gewonnen. In Wirklichkeit ist<br />
es Herrn Steinbrück aber nicht gelungen, über das TV-Duell den Durchbruch zu erzielen, den er gebraucht hätte.<br />
Rüttgers hat ihn in dieser Angelegenheit neutralisiert, und das war auch genau unser Ziel in der Wahlkampfführung.<br />
Gut. Nun würde ich gern auf die Frage nach der Nutzung der Kommunikationskanäle zu sprechen kommen. Es<br />
gab Plakate vor Ort, die Internetseiten, es gab öffentliche Auftritte <strong>des</strong> Spitzenkandidaten. Nach welchen Kriterien<br />
haben Sie denn festgelegt, in welchen Bereich wie viel Geld fließt? Welche Faktoren waren denn in dieser<br />
Angelegenheit ausschlaggebend?<br />
Reck: Ausschlaggebend war, dass wir ein viel zu kleines Budget hatten und eigentlich das, was man marketingmäßig<br />
gebraucht hätte, gar nicht hat machen können. Ich hätte zum Beispiel gerne mehr Großflächen gehabt,<br />
aber das war finanziell nicht möglich. Ich hätte auch gerne, allerdings sehr ausgesucht, kommerzielle Inserate<br />
geschaltet. Das haben wir überhaupt nicht gemacht, weil wir dafür kein Geld hatten. Gemacht haben wir haben<br />
aber beispielsweise eine neue Form von Kultveranstaltung mit Jürgen Rüttgers, die den in Amerika bekannten<br />
City-Hall-Talks von Spitzenpolitikern nachgebildet worden ist. Das heißt, wir haben Jürgen Rüttgers zu Beginn<br />
der Kampagne gar nicht unter dem Label und dem Brand der CDU, sondern statt<strong>des</strong>sen Jürgen Rüttgers privat,<br />
Jürgen Rüttgers persönlich, Jürgen Rüttgers mit seiner Ehefrau gezeigt. Am Anfang waren da ungefähr 50 bis<br />
150 Leute. Aber hinterher waren es 700 bis 800. Und das haben wir mit einer hohen Schlagzahl - ich weiß gar<br />
nicht, wie viele Veranstaltungen wir durchgeführt haben, 25 Veranstaltungen haben wir gemacht - umgesetzt.<br />
Und wir haben, nachdem wir gemerkt haben, dass das medial gut rüberkommt, weil es durch die redaktionelle<br />
Berichterstattung aufgeladen wird, unseren absoluten Wahlkampfschwerpunkt auch materiell auf eine sehr gute<br />
Veranstaltungsserie gelegt. Damit meine ich Veranstaltungen wie Wahlkampferöffnung, Parteitage, diese Art<br />
von Veranstaltung. Dann die klassischen Wahlkampfveranstaltungen, die wir auch in einer neuen Qualität medial<br />
aufgelegt haben. Das war aufwändig, das können Sie auch in unserer Dokumentation sehen, aber weil unsere<br />
Veranstaltungen sehr mediengerecht inszeniert gewesen sind, haben sie schließlich auch die entsprechenden TV-<br />
Bilder rübergebracht. TV-Spots in der Parteienwerbung bringen dem gegenüber nämlich gar nichts, entscheidend<br />
ist vielmehr die mediale Berichterstattung darüber, und zwar nicht nur über die Inhalte, sondern auch über die<br />
Form. Und diesen beiden Ansprüchen konnten wir auch gerecht werden. In der Form muss man vermitteln: Die<br />
CDU ist zuversichtlich, kampfesbereit und positiv. The winner takes it all. Viele Wähler, die zweifeln und unsicher<br />
sind, was sie wählen sollen, entscheiden sich schließlich für den, der aus ihrer Sicht am deutlichsten die<br />
notwendige Stärke zeigt. Und die haben wir mit unserer Kampagne gezeigt. Wo wir eine völlig neue Qualität<br />
entwickelt haben - das hat auch etwas mit meiner Biographie zu tun - ist der Bereich der elektronischen Wahlkampfführung.<br />
Als ich vor zwei Jahren hierher kam, gab es so gut wie keine IT-Infrastruktur. Heute sind wir da
XXV<br />
allerdings so gestellt wie je<strong>des</strong> Unternehmen auch: Mit eigenen Servern, Homepages, einer ganz stabilen Internetpflege,<br />
und vor allen Dingen auch mit einem - das ist das Entscheidende in der Parteiarbeit und auch in<br />
Wahlkämpfen - optimierten Adressenmanagement, was mich zu einer weiteren Zukunftsaufgabe führt, Stichwort<br />
Customer-Relation-Management. Darin liegt die Zukunft, wenn es um die Ansprache der Bürger und auch um<br />
die Interaktion mit den Bürgern geht. Dieses Medium ist noch nicht ansatzweise in seiner Konvergenzfähigkeit<br />
zu anderen Medien ausgereizt, und <strong>des</strong>wegen wird es sicherlich weiterentwickelt werden. Und wenn es in unserer<br />
Kampagne einen ganz signifikanten Schwerpunkt gegeben hat, dann lag der in der Entwicklung und Nutzung<br />
<strong>des</strong> Internets und Intranets, sowie in der SMS- und der Telefon-Kommunikation. Dabei war es ganz entscheidend,<br />
dass jeder Wahlkämpfer ein Blackberry bekommen hat, das heißt, wir haben auch mobiles Internet praktiziert.<br />
Gut. Meine nächste Frage wäre: Gab es regionale Besonderheiten im Wahlkampf? Also gab es Empfehlungen an<br />
Kreisverbände wo gesagt wurde, hier ist es total knapp, hier müssen wir …<br />
Reck:… Ja. Das gab es schon. Vor allem hatten wir eine entsprechende Analyse von schwarzen Dächern. Das<br />
weiß man ja, wo unsere Wählerpotentiale - immer unter der Wahrung <strong>des</strong> Datenschutzes versteht sich - sind. Die<br />
Leute werden sicher nicht personenscharf adressiert, aber durchaus durch Straßenwahlkämpfe. Da haben wir<br />
ganz gezielt versucht, unsere Hochburgen zu mobilisieren. Es ist uns auch gelungen, zwar nicht überall, aber<br />
meistens schon. Das ist ein Instrument, was die Partei schon lange kennt und auch im Kommunalwahlkampf<br />
teilweise mit Erfolg eingesetzt hat. Das heißt, die regionalen Besonderheiten ganz eindeutig vorhanden. Das<br />
Positive an unserer Gesamtstrategie war ja - und das war letztlich ja auch der Schlüssel zum Wahlerfolg - wir<br />
haben eine Million Stimmen mehr bekommen als bei der letzten Wahl. Uns ist es gelungen, die sozialdemokratischen<br />
Wähler nicht zu mobilisieren. Das ist auch vielleicht der große Unterschied zur jetzigen Bun<strong>des</strong>tagswahl.<br />
Man lebt ja, genau wie im Sport - zum Beispiel wenn man Tennis spielt - auch immer von den Fehlern der Gegner.<br />
Wir haben unsere Leute mobilisiert, und die Sozialdemokragen haben ihre nicht mobilisiert. Und der Erfolg<br />
von Adolf Sauerland in Duisburg oder der von Peter Jung in Wuppertal bei der Kommunalwahl, in alten sozialdemokratischen<br />
Hochburgen, ist genauso zustande gekommen. Weil die dortigen sozialdemokratischen Wähler<br />
insbesondere aufgrund der Arbeitsmarktsituation völlig frustriert waren - Stichwort Hartz-IV-Debatte - und die<br />
CDU diese Wähler nicht durch aggressive Adressierungen mobilisiert hat. Da macht man stille Wahlkämpfe.<br />
Und das ist uns in der regionalen Adressierung im Ruhrgebiet auch hervorragend gelungen. Leider mit der Konsequenz,<br />
dass sich, weil das Ruhrgebiet kaum Listenplätze hat, und weil Direktwahlmandate zu erzielen dort<br />
nach wie vor für Christdemokraten recht schwierig ist, diese passive Strategie nicht durch entsprechende Mandate<br />
ausgezahlt hat. Das ist also die andere Seite der Medaille.<br />
Inwieweit haben Sie denn eine Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges vorgenommen? Sie haben da ja relativ viel ins Feld geschossen<br />
an Materialien, an Aktionen, an Plakaten, an Internetseiten. Gab es denn im Anschluss eine Kontrolle,<br />
wie erfolgreich diese Maßnahmen jeweils waren?<br />
Reck: Nein. Dafür haben Parteien kein Geld. Wenn ich Manager in einem Unternehmen wäre und <strong>Marketing</strong>mittel<br />
einsetzen würde, würde ich das auch monitoren. Das ist ja aus der Marktforschung bekannt, wie man so etwas<br />
macht. Das haben wir aber nicht gemacht. Wie erfolgreich Sie sind, misst man in der Politik an den Wahlergebnissen.<br />
Und da gibt es ja bei uns wirklich besondere Zuwächse. Wir haben gerade die beiden Städte diskutiert,<br />
Wuppertal und Duisburg, wo auch die Gesamtstrategie natürlich eine Rolle gespielt hat. Aber da war eben auch<br />
ein Gesamtklima, eine Wechselbereitschaft, die man dann sehr professionell ausgesteuert hat, auch vor Ort. Es<br />
gibt aber durchaus auch Städte. Ich denke da etwa an Bonn oder Köln oder auch Aachen, wo man die Potentiale<br />
nicht genutzt hat. Das örtliche Wahlergebnis ist eigentlich der beste Benchmark, ob etwas funktioniert hat. Und<br />
wenn das Ergebnis örtlich unter dem Lan<strong>des</strong>durchschnitt lag, dann hatte das meistens auch örtliche Gründe, die<br />
nicht unbedingt etwas mit Personen zu tun haben, aber wenn das Ergebnis weit unter dem Lan<strong>des</strong>durchschnitt<br />
lag, dann spiegelt das letztlich häufig doch auch die Unzufriedenheit der Wählerschichten mit den örtlichen<br />
Akteuren wider. Beispielsweise das Kölner Ergebnis können Sie deutlich so interpretieren. Da wendet sich das<br />
bürgerliche Lager von einer fortgesetzten, nicht bereinigten Querele ab, weil es dort - um es mal salopp zu formulieren<br />
- teilweise auch gestunken hat, beispielsweise, was so Themen wie Vorteilsnahme und Interessenkollisionen<br />
angeht. Bonn ist auch so ein Pflaster, wo ich mich natürlich frage: Was war da los? Das analysieren wir<br />
schon, aber dafür geben wir jetzt nicht groß Studien auf. Das Dritte ist natürlich, wenn eine Partei wie meine<br />
183.000 Mitglieder hat, und 12.000 meinungsbildende Mandatsträger und Funktionäre, dann ist das die beste<br />
Messlatte. Glauben Sie mal, wenn in einer Partei etwas schlecht läuft, dann findet das entsprechende Artikulation.<br />
Nun gut, wir haben einen historischen Wahlsieg erzielt, insofern war die Kritik in der Tat gering. Aber im<br />
Allgemeinen wird durch die Mitglieder und die Funktionsträger sehr hart, um nicht zu sagen hammerhart, Kritik<br />
artikuliert. Da brauchen Sie gar kein Geld in die Hand zu nehmen, um das über kommerzielle Marktforschungsinstitute<br />
abgreifen zu lassen.
XXVI<br />
War die Kommunikation mit Zielgruppen im Rahmen der Kampagne ein Thema?<br />
Reck: Zielgruppen haben wir adressiert, beispielsweise durch ein Mailing an über 50jährige. Rentner waren also<br />
eine wichtige Zielgruppe, zum Beispiel auch in der Sprache der Veranstaltungen. Ansonsten ist es so, dass die<br />
Themen, die wir aufgegriffen haben, die gesamte Bevölkerung angesprochen haben. Für die CDU ist es strategisch<br />
wichtig, die Senioren zu adressieren, also die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Und die adressieren<br />
sie nicht nur über die relevanten Seniorenthemen, wie Pflege im Alter. Im Gegenteil, die haben Enkel, und Sie<br />
adressieren diese Zielgruppe mit dem Bildungsthema genauso, wie mit dem Arbeitsplatzthema, weil sich die<br />
Generation der Großväter natürlich auch Sorgen macht, um die Zukunft der Familie. Insofern brauchen wir da<br />
gar nicht an eine Zielgruppenkampagne zu denken.<br />
Was war das für ein Mailing? Haben sie das zentral über den Lan<strong>des</strong>verband rausgeschickt?<br />
Reck: Ja.<br />
Woher hatten Sie denn die Adressen?<br />
Reck: Von der Post.<br />
Haben Sie die dort gekauft?<br />
Reck: Ja klar.<br />
Gut. Ich sehe, es ist angezeigt, Sie an dieser Stelle nicht weiter zu löchern. Dann komme ich zu meinem letzten<br />
Topic, und zwar zu der Frage nach dem Stellenwert von <strong>Marketing</strong>. Wenn Sie jetzt einmal ganz generell an die<br />
Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden Sie mit den Begriffen <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong><br />
<strong>Marketing</strong>?<br />
Reck: Eine Menge. <strong>Marketing</strong> steuert ja wesentlich die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die man machen muss,<br />
um sowohl nach außen als auch nach innen erfolgreich zu kommunizieren. Und ich meine, dass man die Methoden,<br />
die man in der werbenden Wirtschaft diesbezüglich einsetzt, auch weitgehend übernehmen kann, aus Kostengründen,<br />
weil die Etats der politischen Parteien traditionell natürlich viel kleiner sind, aber letztlich nur sehr<br />
eingeschränkt. Ich habe Ihnen vorhin ja bereits gesagt, dass ich mir zum Beispiel bei der zielgruppenorientierten<br />
Inserierung mehr gewünscht hätte. Der Print-Bereich ist stark diversifiziert und man könnte darüber sehr gezielt<br />
Zielgruppen - nicht wahr, Jäger, Sportler, Frauen - ansprechen. Man könnte in diesem Bereich sehr viel mehr<br />
machen, aber das war eben aus Kostengründen nicht möglich. Was wichtig ist, ist die kommerzielle Plakatierung,<br />
insbesondere um Sprachregelungen und Kernbegriffe rüberzubringen. Zunächst wirkt so etwas nach innen<br />
und dann auch nach außen. Das läuft hier genauso ab, wie in einer guten Produktwerbung und daher kommt ja<br />
auch mein Satz: Dienstleistungsunternehmen mit Verfassungsauftrag. So muss man das nämlich sehen. Und<br />
insofern sagt mir der Begriff <strong>Marketing</strong> eine Menge. Man muss in einer politischen Partei <strong>Marketing</strong> betreiben,<br />
um in der heutigen Zeit bei Wahlen erfolgreich zu sein.<br />
Sie haben da in demokratietheoretischer Hinsicht keine Bedenken, nehme ich an? Sie halten es für absolut legitim,<br />
so zu verfahren?<br />
Reck: Absolut. Damit habe ich gar keine Probleme. Im Gegenteil, das ist eine Errungenschaft der Demokratie<br />
und das Zeichen demokratischer, offener Gesellschaften, begründet durch die Antike, ich denke da vor allem an<br />
die Polis in Athen. Wahlkampf ist in diesem Sinne eine Auseinandersetzung auf einem Marktplatz. Und dort,<br />
insbesondere, wenn Dinge versteigert werden, geht es nun mal zugespitzt und laut zu. Insofern sehe ich da überhaupt<br />
gar kein Problem. Das kann man selbst politikverdrossenen Bürgern erläutern: Man erklärt denen, Leute,<br />
ihr müsst euch das so vorstellen, das ist ein großer kommunikativer Marktplatz, wo jeder um seinen Standpunkt<br />
streiten kann. Wenn die Leute dieses Bild sehen, dann haben sie auch Verständnis für diese Sichtweise. Im Norden<br />
pflege ich in diesem Zusammenhang den Hamburger Fischmarkt als Beispiel, eines durchaus lauten, teilweise<br />
auch lustigen und provozierenden Ereignisses, anzuführen. Demokratie braucht so etwas. Auch wenn das<br />
immer als politikfern oder als Imageverlust formuliert wird: Letztlich ist es aber doch so gewesen, dass das TV-<br />
Duell ein Straßenfeger gewesen ist. Dass ein Fünftel der deutschen Bevölkerung zugeschaut hat.<br />
Das heißt, Sie haben bei der Vorbereitung ihrer Kampagne zur Landtagswahl schon massiv geguckt, a) wo sind<br />
unsere Wähler und b) wie können wir die erreichen?!
XXVII<br />
Reck: Exakt.<br />
Wie würden Sie denn die Kampagnen der anderen Parteien in dieser Angelegenheit einschätzen?<br />
Reck: In der <strong>Marketing</strong>sprache würde man sagen, wir haben ein sehr intensives Customer-Relation-Management<br />
betrieben. Wir haben den Kunden angepeilt, cocoon the customer, nennen die <strong>Marketing</strong>experten das, und dabei<br />
haben wir sowohl den internen Kunden, den Wahlkämpfer, als auch den externen Kunden, den Bürger, umworben.<br />
Das sind Methoden, die halte ich für absolut gut und richtig und auch sowieso für legitim. Und darin liegt<br />
mit Sicherheit auch die Zukunft, übrigens auch die Zukunft der Volkspartei. Die Volksparteien müssen es schaffen<br />
- wenn ich diesen kleinen Ausblick einmal geben darf - die CDU als Volkspartei muss im Bereich der Großstadt<br />
Attraktivität, Ansprechfähigkeit und Interaktionsfähigkeit bewahren, sonst geht sie verloren. Dann bekämen<br />
wir Partikularparteien, was die Stabilität <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> und die politische Durchschlagkraft für eine gute Zukunft<br />
schwierig machen würde. Insofern ist das ein absolut wichtiger Ansatz. Customer-Relation-Management<br />
und Wählerorientierung, im Sinne durchaus auch von Kundenorientierung, standen klar im Vordergrund. Und da<br />
haben wir, glaube ich, auch keine gravierenden Fehler gemacht. Die Schwäche der SPD ist natürlich auch begründet<br />
gewesen durch einen sehr negativen Bun<strong>des</strong>trend. Wir wussten schon, dass diese Wahlentscheidung zu<br />
50 Prozent auch eine bun<strong>des</strong>politische Entscheidung war. Davon haben wir natürlich eindeutig profitiert. Es gab<br />
eine große Bewegung, den Wechsel zu wählen, auch hier in Nordrhein-Westfalen. Aber dann muss ich sagen,<br />
habe ich aufseiten der SDP schlicht auch handwerkliche Fehler empfunden. Es ist der SPD ja gar nicht gelungen,<br />
ihre Kernbotschaft durchzusetzen. Und die reine Reduktion in der Kampagne auf „er oder ich“, also dieser Versuch<br />
der Personalisierung über Steinbrück ist letztlich auch nicht gelungen, weil Steinbrück, der sicherlich ein<br />
sehr kompetenter Mann ist, einfach kein sympathischer Mann ist. Und vor allem ist er kein Mann, mit dem sich<br />
die SPD-Wähler und die SPD-Funktionäre identifiziert haben. Diesbezüglich gab es eine strategische Lücke,<br />
einen strategischen Bruch bei der SPD. Das hat sich durch die ganze Kampagne gezogen und das führte, und das<br />
ist ganz entscheidend, bei der SPD, wo man natürlich auch von Ehrenamtlichen lebt, dazu, dass eine Motivation<br />
der Wahlkämpfer nicht mehr stattgefunden hat. Ich glaube, das war deren Hauptproblem. Im Übrigen habe ich<br />
den Eindruck gehabt, ich habe da ja keine Inneneinblicke, aber ich glaube, dass da viele externe Akteure zu<br />
Werke waren, die Nordrhein-Westfalen nicht kannten. Es gab da teilweise sehr wuchtige Auftritte, wo man merken<br />
konnte, da ist ein Riesengeld da, aber man lag trotzdem daneben. Die haben zum Beispiel dreimal so viele<br />
Großplakate gebucht wie wir. Wir hatten 2.000, die hatten 6.000. Das entsprach meinem gesamten Wahlkampfetat.<br />
Da hätte ich gar nicht mitziehen können. Aber das war alles nur ein Wuchten ins Lehre. Also, ich muss<br />
sagen, das hat mich alles nicht so überzeugt. Zu den Kampagnen der kleinen Parteien, beispielsweise zur FDP,<br />
die ja von Coordt von Mannstein betreut worden ist, muss ich sagen, dass man da viele CDU-Module in der<br />
Wahlkampfführung wieder finden konnte, insbesondere im optischen Bereich: Ich habe geschmunzelt, denn<br />
Coordt von Mannstein pflegt nach wie vor die deutsche Flagge zu verwenden, mit mehr gelb diesmal zwar, aber<br />
das findet man regelmäßig in seinen Kampagnen. Insgesamt muss man sagen, dass die FDP, dafür dass sie eine<br />
sehr kleine Partei ist, da wirklich eine gute Handschrift hingelegt hat. Optisch, wie auch in den Kernbotschaften,<br />
die ja durchaus auch komplementär zu unseren Botschaften waren, ist das gut rüber gekommen. Natürlich war<br />
das in erster Linie auch auf die FDP-Zielgruppe ausgerichtet. Und die Grünen, die zwar nicht so ein tolles Wahlergebnis<br />
erzielt haben, haben natürlich eine feste Zielsgruppe und für ihre Verhältnisse machen sie eigentlich<br />
auch fortlaufend ganz ordentliche Wahlkämpfe: Witzig, intelligent, mehr sophisticated, wenn Sie verstehen, was<br />
ich meine. Die Grünen sind zu einer Partei der Akademiker und der Besserverdienenden geworden und das<br />
merkt man ihren Kampagnen auch an.<br />
Herr Reck, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch und für die Informationen.
XXVIII<br />
A2.4) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit der Politischen Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen<br />
NRW, Sabine Brauer<br />
Abschrift <strong>des</strong> Mitschnittes eines leitfadengestützten Interviews mit der Politischen Geschäftsführerin von Bündnis<br />
90/Die Grünen NRW über die Planung der Wahlkampagne zur Landtagswahl 2005 in ihrer Partei. Das Gespräch<br />
fand am 11.10.2005 in Düsseldorf statt. Die Mitschrift wurde am 28.10.2005 von Frau Brauer autorisiert<br />
und zur Verwendung im Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Vorhabens freigegeben. Die Fragen und Beiträge der Interviewerin<br />
sind durch Unterstreichung kenntlich gemacht.<br />
Erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Es soll etwa 60 Minuten dauern. In<br />
dieser Zeit möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, die sich auf die Organisation von Wahlkampagnen und insbesondere<br />
auf die Planung Ihrer Kampagne zur NRW-Landtagswahl 2005 beziehen. Insgesamt möchte ich mit<br />
Ihnen über folgende Themenbereiche sprechen:<br />
• Kommunikationsziele der Kampagne<br />
• Themenauswahl für die Kampagne<br />
• Die Rolle der Spitzenkandidaten<br />
• Interne und externe Kampagnenkommunikation<br />
• Zielgruppen und ihre Bedeutung im Rahmen der Kampagne<br />
• Der Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Weil Sie in Ihrer Partei diesbezüglich eine einflussreiche Position bekleiden, wurden Sie als Expertin ausgewählt<br />
und um dieses Gespräch gebeten. In den anderen Parteien sind ähnliche Interviews geplant oder wurden bereits<br />
durchgeführt. Die aus den Interviews resultierenden Informationen dienen der politischen Grundlagenforschung.<br />
Es geht also nicht darum zu beurteilen, welche Kampagne besser und welche Kampagne schlechter gewesen ist,<br />
sondern um die rein wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wahlkampagnen. Wenn Sie keine weiteren Fragen<br />
haben, werde ich mit meiner ersten Frage beginnen.<br />
Ich möchte mit dem Thema „Kommunikationsziele der Kampagne“ eröffnen. Wenn Sie jetzt einmal an die<br />
Wahlkampagne für die vergangene Landtagswahl zurückdenken, worin, würden Sie sagen, lagen die zentralen<br />
Kommunikationsziele, die Sie im Rahmen Ihrer Kampagne verfolgt haben?<br />
Brauer: Zentrale Kommunikationsziele, das ist schwer zu sagen. Das erste wäre vielleicht aus der Sicht unserer<br />
Partei, dass wir nicht so an eine Kampagne herangehen, wie das vielleicht in manchen Fachbüchern über Kommunikation<br />
oder Wahlkampforganisation beschrieben ist. Wir sind eigentlich sehr schnell thematisch in die Sache<br />
eingestiegen und haben eher überlegt, mit welchen Themen wir Wählerinnen und Wähler gewinnen können.<br />
In dem Sinne hatten wir keine übergeordneten Kommunikationsziele, wir haben zumin<strong>des</strong>t keine von vorneherein<br />
festgelegt.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen heutzutage<br />
von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden?<br />
Brauer: Das hat in unserem Fall keine große Rolle gespielt, da wir als kleine Partei einfach nicht über die finanziellen<br />
Mittel verfügen, uns beraten zu lassen. Wir haben natürlich eine Agentur gehabt. Bei der Auswahl haben<br />
wir großen Wert darauf gelegt, dass die nicht einfach normale <strong>Marketing</strong>konzepte machen, sondern auch ein<br />
bisschen Ahnung vom politischen Geschäft haben. Wir haben mit der Agentur Zum Goldenen Hirschen zusammengearbeitet,<br />
die auch schon Kampagnen für den Bun<strong>des</strong>verband gemacht hat. Das ist also eine Agentur, die<br />
sich gut im politischen Geschäft auskennt. Von deren Seite ist natürlich auch Beratung bei der Kampagnenkonzeptionierung<br />
erfolgt. Und wir haben - aber das ist keine klassische Beratung - einmal eine Meinungsumfrage in<br />
Auftrag gegeben. Ansonsten haben wir keinerlei externe Beratungsleistung in Anspruch genommen. Aber das<br />
hängt, wie gesagt, in erster Linie auch mit knappen finanziellen Ressourcen zusammen.<br />
Was war das für eine Meinungsumfrage?<br />
Brauer: Wir haben bei der Forschungsgruppe Wahlen eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben. Auch schon<br />
einige Zeit vor der Wahl, um im Vorfeld schon einmal Themen abzutesten und zu gucken, wo Kompetenzen für<br />
unsere Partei gesehen werden, wie die Beliebtheit von Politikern im Land ist und so weiter.<br />
Wie viele Fragen waren das? Eher fünf oder eher 50?<br />
Brauer: Eher 20 würde ich sagen.
XXIX<br />
Was haben Sie mit diesen Informationen gemacht?<br />
Brauer: Die haben wir als Grundlage genommen für unsere Diskussion rund um die Kampagnenbildung, wobei<br />
man sagen muss, dass die Umfrage sehr früh gelaufen ist. Man konnte das nicht eins zu eins in eine Kampagne<br />
umsetzen. Aber es war schon ganz interessant, an diversen Punkten zu sehen, welche Kompetenzen uns in bestimmten<br />
inhaltlichen Feldern zugeschrieben werden. Was damals auch herauskam - das war natürlich auch<br />
handlungsleitend für uns - war, dass Bärbel Höhn zumin<strong>des</strong>t zu dem Zeitpunkt als beliebteste Politikerin in<br />
NRW galt. Ein Novum in der Geschichte, denn das ist noch keiner kleinen Partei gelungen, dass ihre Ministerin<br />
die beliebteste Politikerin im Land war. Das war kurz nachdem Steinbrück Ministerpräsident geworden ist. Er<br />
hat danach an Sympathiewerten deutlich zugelegt.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die auf den Plakaten gestanden haben.<br />
Haben Sie in diesem Zusammenhang mit Fokusgruppen gearbeitet?<br />
Brauer: Nein. Das ist alles eine einzige Frage <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>. Als kleine Partei kann man sich solche Dinge auch<br />
nicht unbedingt leisten.<br />
Wie wichtig war es in Bezug auf die Slogans, die Wähler dort abzuholen, wo sie stehen?<br />
Brauer: Sehr wichtig. Das war uns wirklich sehr wichtig. Die Slogans bis hin zum Claim der Kampagne waren<br />
Thema diverser Diskussionen, bis wir dann das Endgültige wirklich festgelegt haben. Darum wurde viel gerungen.<br />
Wir haben ein Wahlkampfteam gehabt, eine große Wahlkampfkommission - dort wurde sehr lange darüber<br />
diskutiert.<br />
Das heißt, es war eine interne Angelegenheit festzulegen, was der Wähler erwartet. Es wurde also nicht aufgrund<br />
demoskopischer Erkenntnisse…<br />
Brauer: Nein.<br />
…sondern intern in der Wahlkampfkommission im Konsens entschieden, wie verfahren werden soll?<br />
Brauer: Es gab mehrere Vorschläge von der Agentur. Daran schloss sich unsere Diskussion an, deren Ergebnis<br />
die Auswahl <strong>des</strong> Claims und der Slogans gewesen ist.<br />
Meine nächste Frage lautet, welche Faktoren für die Auswahl der zentralen Themen der Kampagne entscheidend<br />
waren. Zum einen die interne Debatte, das haben Sie bereits gesagt, zum anderen die Erkenntnisse aus der Meinungsumfrage,<br />
die Sie gestartet haben?<br />
Brauer: Ja, die haben bestimmt einen Einfluss gespielt. Aber in erster Linie war es die Diskussion in der Wahlkampfkommission.<br />
Wobei man vielleicht noch sagen muss, dass wir die Kampagne parteiintern auch unseren<br />
Kreisverbänden präsentiert haben, woraufhin es noch kleine Änderungen gab. Wir mussten die Kampagne zudem<br />
insgesamt noch einmal umsteuern nach der Visa-Affäre. Da sind dann einige Plakate rausgeflogen und<br />
andere neu dazugekommen.<br />
Waren das Fischer-Plakate, die in diesem Rahmen rausgeflogen sind?<br />
Brauer: Nein. Da war aber zum Beispiel ein Plakat dabei, auf dem es um die Frage „Visa/Offenes Land…“ ging.<br />
Das war eigentlich ein sehr witziges Plakat, das aber dann aufgrund der politischen Lage von uns so nicht mehr<br />
gehängt werden konnte. Die politische Lage hatte sich auch ansonsten sehr gedreht. Die Umfragewerte sackten<br />
ab. Deswegen mussten wir gucken, wie wir die Kampagne ganz neu machen. Insofern haben wir zum Schluss<br />
eine nicht ganz typische Kampagne gehabt mit Plakaten der ersten Phase - wo alles noch gut und rosig aussah -<br />
und dann zum Schluss einen Teil, der sehr politisch zugespitzt war. Es ist sozusagen keine Kampagne aus einem<br />
Guss gewesen.<br />
Das heißt, es wurde schon sehr bewusst gemonitort, in die Kampagne eingegriffen, modifiziert, verbessert?<br />
Brauer: Ja.
XXX<br />
Gab es auch Themen oder Aussagen im Rahmen der Kampagne, die vor allem <strong>des</strong>halb betont wurden, damit sich<br />
auch Wähler angesprochen fühlen, zum Beispiel Menschen, die tendenziell eher nicht dazu neigen, Grün zu<br />
wählen? Gab es solche Überlegungen?<br />
Brauer: Die gab es bestimmt. Wir haben je<strong>des</strong> Plakat durchdiskutiert. Nicht nur in der Wahlkampfkommission,<br />
auch schon vorher im Wahlkampfteam, auf der Arbeitsebene im Haus. Da haben solche Fragen eine Rolle gespielt,<br />
aber keine sehr vordergründige. In erster Linie ging es uns schon darum, unsere eigenen Zielgruppen zu<br />
aktivieren.<br />
Was waren das für Zielgruppen?<br />
Brauer: Das ist für die Grünen klassisch. Zum einen thematisch, Fragen zur Ökologie beispielsweise. Dann ist<br />
natürlich eine weitere klassische Zielgruppe Frauen, weil wir einen überproportionalen Wählerinnenanteil haben.<br />
Jugendliche sind uns außerdem besonders wichtig. Da lagen wir Grünen auch immer ganz gut. Es schwankt<br />
inzwischen ein bisschen. Das sind die ganz klassischen Zielgruppen.<br />
Gab es Überlegungen, auf Themen und Aussagen, die andere Parteien setzen würden, zu reagieren, Sachen anders<br />
zu machen?<br />
Brauer: Ja, das gab es schon.<br />
Zum Beispiel?<br />
Brauer: Das gab es vor allem hinsichtlich unseres Koalitionspartners, der SPD. Wir haben uns gefragt, wo grenzen<br />
wir uns gegen die ab. Wir wollten nicht in der gleichen Art und Weise und mit den gleichen Themen daherkommen.<br />
Da wurde schon überlegt. Zum Beispiel beim Thema Soziales, wobei das letztendlich nicht die entscheidende<br />
Rolle gespielt hat. Ich sag das jetzt nur als Beispiel. Was setzen wir da als eigenständige Kraft in<br />
diesem Bereich, womit würde die SPD sich da hervortun wollen? Das hat auch eine Rolle gespielt.<br />
Stichwort Alleinstellungsmerkmal?<br />
Brauer: Ja, genau. Das zum einen und natürlich in Abgrenzung zu den damaligen Oppositionsparteien. Wir haben<br />
auch eine Reihe von Plakaten gemacht, wo wir uns ganz bewusst gegen Schwarz-Gelb positioniert haben. In<br />
dem Zusammenhang haben wir uns natürlich auch Gedanken darüber gemacht.<br />
Jetzt komme ich zu der Rolle der Spitzenkandidaten. Das waren im Fall von Bündnis 90/Die Grünen NRW bemerkenswerter<br />
Weise gleich zwei. Gab es parteiintern einen Prozess zu überlegen, dass das gemacht wird? Oder<br />
war das von vorneherein klar?<br />
Brauer: Das war relativ klar. Die beiden sind als Minister angetreten, und natürlich geht man mit zwei Ministern,<br />
die gute Arbeit geleistet haben in knapp zehn Jahren Koalition, auch in den nächsten Wahlkampf. Das war sozusagen<br />
der ganzen Partei klar, dass man die beiden Personen auf Platz eins und zwei setzt. Gleichermaßen war<br />
klar, auch wenn das jetzt bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl anders war, dass wir hier in NRW zwei Spitzenkandidaten<br />
haben. Nach guter grüner Tradition von Doppelspitzen war das sehr selbstverständlich.<br />
Gab es Gegenkandidaten?<br />
Brauer: Nein.<br />
Im Vorfeld der Kampagne hat sich die Partei bestimmt überlegt, in welcher Weise die Spitzenkandidaten in<br />
Erscheinung treten sollen. Welche Faktoren waren denn dabei maßgeblich?<br />
Brauer: Wir wollten natürlich ihre Kompetenzen herausstellen und die Erfolge, die sie zuvor in der Koalition<br />
errungen haben. Dabei war ziemlich klar, dass Bärbel Höhn natürlich mit Umwelt- und Verbraucherschutzfragen<br />
identifiziert wird und Michael Vesper eher mit Kultur, Sport und Städtebau. Das haben wir von vorneherein<br />
versucht, so umzusetzen. Wir haben den beiden Touren und auch spezielle Wagen zur Verfügung gestellt, so<br />
dass wir eine „Bärbel-Höhn-Tour“ und eine „Michael-Vesper-Tour“ hatten.<br />
Haben Sie ermittelt, wie die Erwartungshaltung der Wählerschaft an die Spitzenkandidaten ausgesehen hat? War<br />
das ein Thema, was erwarten die Wähler von den Kandidaten? Hat man da beispielsweise Umfragen gemacht?
XXXI<br />
Brauer: Nein. Umfragen haben wir nicht gemacht. Wie gesagt, wir haben diese eine Umfrage damals gemacht.<br />
Da wurde abgefragt, wie bekannt Bärbel Höhn und Michael Vesper im Land sind. Das war knapp neun Monate<br />
vor der Wahl. Dabei kam heraus, dass Bärbel Höhn die bekannteste Politikerin im Land ist. Und Michael Vesper<br />
kam immerhin auf Rang fünf oder sechs. Damit war uns einfach klar, wir haben eine genügend große Öffentlichkeit,<br />
um auf die beiden als Zugpferde im Wahlkampf zu setzen.<br />
Man hört, dass auch speziell die Spitzenkandidaten in Wahlkämpfen recht intensiv gecoacht werden. Wie war<br />
das im Fall von Bärbel Höhn und Michael Vesper?<br />
Brauer: Das haben wir nicht gemacht. Coachs haben wir nicht. Man könnte höchstens sagen, dass sie natürlich<br />
eine gewisse Rückkopplung in der Wahlkampfkommission hatten, wo man noch mal über zentrale Auftritte<br />
spricht. Wie ist das gelaufen, habt Ihr das gut gemacht, waren Stärken und Schwächen dabei, was kann man<br />
anders machen. Aber wirklich professionelle externe Coachs haben wir nicht.<br />
Das heißt, Sie haben das hausintern im Rahmen Ihrer Wahlkampfkommission geleistet und abgedeckt?<br />
Brauer: Ja. Aber um das gleich noch einmal zu sagen, das fand natürlich nicht in einem Umfang statt, wie das ein<br />
professioneller Coach machen würde. Das ist klar. Das verteilt sich dann auf solch eine Wahlkampfkommission.<br />
Ich komme jetzt zur internen und externen Kommunikation. Im Rahmen Ihrer Kampagne wurde ja über unterschiedliche<br />
Kommunikationskanäle mit dem Wähler kommuniziert. Da gab es zum Beispiel die öffentlichen<br />
Auftritte der Kandidaten, Seiten im Internet oder Plakate vor Ort. Aufgrund welcher Prämissen haben Sie denn<br />
die finanziellen Mittel auf die verschiedenen Kanäle aufgeteilt? Was war maßgeblich zu sagen, so viel für Internetseiten,<br />
so viel für Plakate und so weiter?<br />
Brauer: Wir hatten natürlich einen Wahlkampfhaushalt, den wir vorher aufgestellt haben. Da haben wir uns zum<br />
einen an vorhergehenden Wahlkampfetats orientiert, aber natürlich nicht ohne neue Entwicklungen in Betracht<br />
zu nehmen. Beispielsweise haben wir gerade im Bereich Internet-Wahlkampf dieses Mal deutlich mehr investiert<br />
und deutlich mehr gemacht, als das bei vorherigen Wahlkämpfen der Fall war. Ansonsten liegt natürlich, was<br />
Plakate etc. betrifft, einfach eine Schätzung zugrunde, weil das bei uns nicht zentral geregelt ist. Das wird vor<br />
allem über die Kreis- und Ortsverbände vor Ort abgewickelt. Das sind einfach Schätzwerte, die auf Basis vorhergehender<br />
Wahlkämpfe getroffen werden. Auch bei der Mediaplanung ist das ähnlich. Es ist schon überlegt,<br />
mit wie vielen Spots, in welchen Medien wir präsent sein wollen. Dann rechnet man aus, was man sich an dieser<br />
Stelle leisten kann.<br />
Wie haben Sie das gemacht? Was wurde zugrunde gelegt?<br />
Brauer: Auch da haben wir uns grob an den Werten der vorhergehenden Wahlkämpfe orientiert und nur den<br />
normalen Preiserhöhungszuschlag draufgehauen.<br />
Gab es zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit einer Media-Agentur, die Empfehlungen gegeben hat, wo und<br />
wann welche Sendeplätze am günstigsten sind?<br />
Brauer: Bei den Öffentlich-Rechtlichen gab es die Möglichkeit einiger Spots. Aber das war diesmal, glaube ich,<br />
sehr wenig. Wo wir mit einer Media-Agentur indirekt zusammengearbeitet haben, war bei der Kino-Schaltung.<br />
Das hat unsere Werbeagentur sozusagen in Kooperation mit denen gemacht. Es gab eine Empfehlung, in welchen<br />
Kinos wir welche Spots schalten. Bei Hörfunk und anderen Geschichten haben wir das aus eigener Erfahrung<br />
im Haus heraus gemacht.<br />
Gab es im Rahmen der Kampagnenplanung eine Analyse über regionale Besonderheiten bei vergangenen Wahlen?<br />
Hat man daraus resultierend seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auch individuelle Handlungsempfehlungen für<br />
einzelne Stadt- oder Kreisverbände gegeben?<br />
Brauer: Für einzelne Stadt- oder Kreisverbände nicht. Was schon eine Rolle gespielt hat, war die Stadt-Land-<br />
Problematik, gerade bei den Grünen. In den Großstädten oder mittelgroßen Städten haben wir immer einen sehr<br />
guten Wahlerfolg, und gerade in kleinen Kommunen und auf dem Land ist das schwieriger. Darauf achtet man<br />
bei einer Kampagne schon. Was das betrifft, achtet man natürlich schon darauf, dass man zum Beispiel Plakate<br />
produziert, die auch in ländlichen Gegenden aufgehängt werden können und gut ankommen. Das ist aber das<br />
Einzige. Wir hatten dieses Mal ein Sonderproblem mit dem Kreisverband Dortmund. Das ist uns erst recht spät<br />
aufgefallen. Wir haben Plakate gemacht, auf die wir „Schwarz-Gelb, nein danke!“ geschrieben haben, was der
XXXII<br />
Kreisverband Dortmund gar nicht gut fand, weil die Borussia Dortmund ja schwarz-gelb ist. Da gab es also eine<br />
regionale Besonderheit, aber eine, die dann im Laufe <strong>des</strong> Wahlkampfes aufgetaucht ist und nicht vorher abgefragt<br />
wurde.<br />
Inwieweit haben Sie sich mit dem Erfolg dieser Kommunikationsmaßnahmen auseinandergesetzt? Es wurde ja<br />
eine Menge an Maßnahmen ins Feld geschossen, inwieweit hat man überprüft, was im Einzelnen erfolgreich<br />
war?<br />
Brauer: Das ist ein bisschen die Frage, inwiefern man das überhaupt prüfen kann. Natürlich haben wir, was das<br />
Internet betrifft, eine Auswertung gemacht, wie solche Seiten genutzt wurden. Wie viele Hits hatten wir und so<br />
weiter. Wir haben, was unseren Kinospot betrifft, eine Reihe von parteiinternen Probevorführungen gemacht, um<br />
zu gucken, wie er ankommt. Bei Anzeigenschaltungen war das relativ schwierig. Da haben wir wenig Feedback<br />
bekommen. Aber das hat zumin<strong>des</strong>t im Landtagswahlkampf für uns nicht die Rolle gespielt wie vielleicht jetzt<br />
im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf.<br />
Das heißt, Sie haben das nicht näher evaluieren können, inwieweit Plakate, Touren und andere Aktionsformen<br />
letztlich erfolgreich gewesen sind?<br />
Brauer: Nein. Was wir natürlich in der Regel haben, sind gerade Reaktionen auf Plakate. Da bekommen wir<br />
immer eine ganze Reihe von Zuschriften, wie unsere Plakate aufgenommen werden - nicht nur parteiintern. Es<br />
gibt natürlich immer die klassischen Kreis- und Ortsverbände, die sich melden und sagen „Eure Plakate find ich<br />
aber total doof“ oder „…total gut“ oder wie auch immer. Es gibt aber auch eine Reihe von Zuschriften von Bürgerinnen<br />
und Bürgern. Aber auch das bildet nicht wirklich einen repräsentativen Schnitt, weil das in der Regel<br />
die Leute sind, die sich beschweren, die etwas nicht gut finden. Ob etwas gut ankommt, könnte man wahrscheinlich<br />
eher mit Fokusgruppen ermitteln. Aber dafür haben wir weder die Mittel noch die Zeit gehabt dieses Mal.<br />
Und das jetzt noch zu machen, ist kein Thema?<br />
Brauer: Nein.<br />
Jetzt komme ich noch einmal mit Ihrem Einverständnis auf die Zielgruppen zu sprechen. Sie haben ja bereits<br />
angesprochen, dass das in Ihrem Fall die für Sie die klassischen waren. Regionale Zielgruppen waren kein Thema?<br />
Brauer: Natürlich überlegt man sich immer, wo man zum Beispiel mit einer Großveranstaltung hingeht. Das<br />
spielt natürlich schon eine Rolle. Man versucht, eine regionale Ausgewogenheit hinzukriegen. Bei Joschka-<br />
Fischer-Terminen geht man natürlich nicht fünf Mal nach Köln oder fünf Mal nach Aachen, sondern da wird<br />
versucht, eine regionale Ausgewogenheit hinzukriegen. Und natürlich spielen die Lan<strong>des</strong>hauptstadt und auch<br />
Köln immer eine Rolle, wenn man Großveranstaltungen plant. Ansonsten versucht man natürlich auch in Städte<br />
oder Regionen zu gehen, die ansonsten eher ein bisschen außen vor sind. Es wird dann bewusst versucht, auch<br />
einmal in Bielefeld oder woanders etwas stattfinden zu lassen. Aber in diesem Sinne, wie das gemeint ist, eigene<br />
regionale Kampagnen aufzulegen, das entspricht einfach nicht der Größe unserer Partei, das machen eher andere<br />
Parteien. Ausnahme ist das Ruhrgebiet, dort hat es in Kooperation mit dem Bezirksverband ein eigenes Plakat<br />
gegeben.<br />
Wie haben Sie das gemacht, wie haben Sie Ihre Zielgruppen konkret angesprochen?<br />
Brauer: Wir haben eine Reihe von Veranstaltungen gemacht. Ein Beispiel wäre, wenn wir auf die Jugendlichen<br />
eingehen, da haben wir versucht, zielgruppenspezifische Materialien aufzulegen. Es gab zum Beispiel einen<br />
ErstwählerInnen-Brief, damit man direkt an diese Gruppe herankommt. Wir haben spezielle Flyer aufgelegt, um<br />
unsere jungen Kandidatinnen und Kandidaten zu präsentieren, um zu zeigen, dass wir eine junge Partei sind, in<br />
der junge Leute mitmachen. Wir haben Events gemacht, die speziell auf Jugendliche zugeschnitten waren. Als<br />
Lan<strong>des</strong>verband haben wir schon vor einiger Zeit eine Reihe aufgelegt, die sich „Green Beatz“ nennt. Das ist<br />
eben nicht das, was der Grüne normalerweise gerne an Musik hört, sondern wirklich etwas für junge Leute. Dafür<br />
haben wir im Übrigen auch eine externe Firma angeheuert, die das ausgerichtet hat. Das war damals in Bochum<br />
im Schauspielhaus, wo es auf verschiedenen Areas Musik gab und wo nur sehr unterschwellig Parteiwerbung<br />
stattfand. Sie wissen schon, dass sie auf einer Veranstaltung der Grünen sind, <strong>des</strong>wegen „Green Beatz“,<br />
aber da hängen jetzt nicht überall Plakate rum. Das soll wirklich eher ein Gefühl ansprechen, ein Lebensgefühl<br />
von jungen Leuten. Das, würde ich sagen, ist im Bereich Jugendliche gemacht worden. Dann haben wir auch mit<br />
dem Jugendverband zusammen einige Maßnahmen ergriffen und den Jugendverband aufgefordert, sich um junge
XXXIII<br />
Wählerinnen und Wähler zu bemühen. Die haben dann unter anderem eine Kampagne aufgelegt, in der es um<br />
den Bereich „Demokratie und Rechts“ ging, unter dem Titel „Unser Land bleibt tolerant.“ Das war eine Kampagne<br />
zum Mitmachen für die Kreis- und Ortsverbände vor Ort und die Jugendgruppen, wo es darum ging, mit<br />
einer grünen Hand ein Zeichen für Toleranz zu setzen. Die haben auch einige spezielle Materialien wie Postkarten,<br />
Tattoos etc. aufgelegt.<br />
Das heißt, Sie haben den Kreisverbänden etwas an die Hand gegeben - wie den ErstwählerInnenbrief, haben das<br />
aber nicht weiter gesteuert, in welchen Gegenden der verschickt werden soll, in welchen Straßenzügen er verteilt<br />
werden soll?<br />
Brauer: Nein. Wir sind da sehr auf unsere Kreisverbände angewiesen. Das muss man sagen, die müssen einfach<br />
mitziehen. Wir können sozusagen nur die Servicestelle sein, solche Dinge anstoßen und bewerben, aber die Leute<br />
vor Ort müssen konkret gucken, wie und ob sie damit umgehen. Es gibt auch Kreisverbände, die das sehr<br />
kritisch sehen, zum Beispiel so einen Erstwählerbrief. Deswegen machen wir das nur als Serviceangebot.<br />
Das heißt, Sie haben hier zentral keine Direct Mailings gemacht? Aus der Geschäftsstelle heraus Adressen gekauft<br />
und verschickt…<br />
Brauer: Nein, das ist auch bei den Grünen immer noch ein umstrittenes Feld, inwiefern man so etwas überhaupt<br />
tun sollte. Wir hatten zahlreiche solcher Angebote in diesem Landtagswahlkampf. Wir haben sie alle abgelehnt.<br />
Wer macht solche Angebote?<br />
Brauer: Diverse Firmen.<br />
Adressverlage…<br />
Brauer: Auch, ja.<br />
…die Ihnen Daten verkaufen wollten?<br />
Brauer: Ja. Wir haben das alles abgelehnt, weil wir dazu ein sehr kritisches Verhältnis haben. Zum einen aus<br />
datenschutzrechtlichen Gründen natürlich, aber wir versuchen auch immer noch ein Level zu halten, Wählerinnen<br />
und Wählern nicht zu sehr auf die Nerven zu gehen, wenn ich das mal so direkt sagen darf. Was wir schon<br />
gemacht haben in dem Zusammenhang, ist, unseren Kreisverbänden Handreichungen zu geben, wie man vor Ort<br />
so etwas analysieren kann. Wo kann man denn zielgruppenspezifischen Wahlkampf überhaupt machen. Auch<br />
zum Beispiel was das Verteilen von Wahlkampfzeitungen oder Briefen und ähnlichem betrifft.<br />
Waren das mehr generelle How-To-Do-Tipps oder wurde sehr konkret gesagt, in welche Gegend man …<br />
Brauer: Sehr generell.<br />
Man hört, dass andere Parteien da deutlich pragmatischer sind, was das Adressenkaufen angeht.<br />
Brauer: Ja, aber das wäre mit den Grünen nicht zu machen.<br />
Was würden Sie sagen, welchen Stellenwert die Zielgruppen bei der Kampagnenplanung hatten? War das eher<br />
ein Aspekt unter vielen, oder war das sehr zentral?<br />
Brauer: Der war schon herausragend.<br />
Wir sind jetzt schon beim letzten Punkt. Wenn Sie einmal ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne<br />
denken, was verbinden Sie mit den Begriffen <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Brauer: Ich verbinde damit, dass <strong>Marketing</strong> bei den Grünen eigentlich immer ein I-Wort war, weil es in der Geschichte<br />
der grünen Partei immer negativ belastet war, etwas zu verkaufen oder sich dem Wähler anzubiedern.<br />
Man wollte pur für seine Inhalte stehen und nichts anderes. Man muss sagen, dass es inzwischen mehr Einzug<br />
hält, aber nicht in dem Maße, wie ich das bei anderen Parteien beobachte. Wir machen uns schon viel mehr Gedanken<br />
darüber, wie ich schon in Bezug auf die Jugendlichen sagte, wie kommt man an die heran, was kommt<br />
bei denen an. Wir haben zum Beispiel auch ganz oft Materialien produziert, die uns selber oder eher älteren
XXXIV<br />
Grünen nicht so gefallen, die wir aber dennoch durchgesetzt haben, weil wir wussten, dass das bei jungen Leuten<br />
ankommt. Wenn es eben diese neuen grünen Bändchen sind oder irgendwelche Aufkleber mit flotten Sprüchen,<br />
die dann manch Altgrüner nicht so toll findet. Die Perspektive, vom Wähler aus zu denken, die hält schon immer<br />
mehr Einzug. Aber eben nicht in einem Sinne - ein Schlagwort ist Amerikanisierung - wie das vielleicht bei<br />
anderen Parteien der Fall ist. Grüne Wahlkämpfe sind deutlich professioneller geworden. Das muss man sagen.<br />
In allem, der Kampagnenplanung, der straffen Organisation und so weiter. Es gibt immer noch Besonderheiten<br />
und Sachen, wo wir noch immer lax und offener sind als andere und Dinge auch anders machen. Von der Kampagnendurchführung<br />
her sind wir inzwischen um einiges professioneller. Das würde ich mit dem Begriff <strong>Politisches</strong><br />
<strong>Marketing</strong> verbinden. Dass bei uns auch das Bewusstsein entstanden ist, dass es nicht nur um den tollen<br />
Inhalt geht, sondern dass man ihn auch so rüberbringen muss, dass er bei den Wählerinnen und Wählern entsprechend<br />
ankommt und man dafür tatsächlich Stimmen als Entgelt bekommt.<br />
Könnte man sagen, dass während es früher so war, dass man sehr produktorientiert gehandelt hat, also gemacht<br />
hat, was man für richtig hielt und das dann im Wahlkampf präsentiert hat, es heute so ist, dass man eher verkaufsorientiert<br />
vorgeht, also noch immer das Produkt so gestaltet, wie man es für richtig hält, aber eben genau<br />
überlegt, wie man das am besten verkaufen kann...<br />
Brauer: Ja.<br />
…wohingegen andere Parteien im Sinne einer <strong>Marketing</strong>orientierung noch deutlich stärker gucken, was erwartet<br />
der Wähler von der Partei, um ihm das auch zu geben? Das ist allerdings bei den Grünen nicht so?<br />
Brauer: Ja, dem würde ich zustimmen.<br />
Würden Sie denn sagen, dass es aus der Sicht einer Partei vor einer Wahl im Sinne eines guten Ergebnisses zielführend<br />
ist, alle Informationen über die Erwartung potenzieller Wähler in den Mittelpunkt der Kampagnenplanung<br />
zu stellen und…<br />
Brauer: Nein.<br />
Wieso nicht?<br />
Brauer: Nein. Das ist mir zu anbiedernd. So würden wir nicht operieren. Wir würden schon immer versuchen,<br />
ein Thema herauszuarbeiten und zu zeigen, was Wählerinnen und Wähler davon haben. Aber nur noch darauf zu<br />
fokussieren, was Wählerinnen und Wähler wollen, das ist nicht grüne Politik, weil es uns immer auch darum<br />
ging, Themen, die zunächst abseitig erschienen, präsent zu machen und nach vorne zu bringen. Die Leute sollen<br />
auch auf neue Dinge und Ideen gestoßen werden, auch auf Probleme, die bisher noch nicht in ihrem Bewusstsein<br />
waren.<br />
Sie haben also schon das Vorhaben, eine Art Framing zu machen, wie Dinge zu sehen sind? Nicht zu gucken,<br />
was die Wähler erwarten, sondern ihnen eher zu sagen, wie das aus Sicht der Grünen aussieht, was die beste<br />
Lösung ist?<br />
Brauer: Ja. Wobei natürlich die Wählerinnen und Wähler sehr pauschal gesagt ist. Wir unterscheiden schon<br />
zwischen, wen können wir überhaupt erreichen und wen können wir nicht erreichen. Man muss auch manchmal<br />
versuchen, mit unpopulären Themen nach vorne zu kommen. Genauso, wie wir auch versuchen, mit Themen, bei<br />
denen wir schon gepunktet haben, Sympathiewerte zu bekommen, gar keine Frage. Bei „Weg vom Öl“ zum<br />
Beispiel verbindet sich bei<strong>des</strong>, auch jetzt wieder im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf. Das ist zum einen ein Slogan gewesen,<br />
wo wir etwas Neues aufgezeigt haben, das noch nicht so im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger war,<br />
und das jetzt durch die explodierenden Benzinpreise auch tatsächlich aktuell geworden ist. Das hat den Leuten<br />
auch gezeigt, dass es durchaus in ihrem Interesse ist. Da hat sich bei<strong>des</strong> ein bisschen verbunden.<br />
Es gibt auch die gegenteilige Argumentation, die sagt, es ist sehr demokratisch, zu schauen, was der Wähler will<br />
und es dann so zu machen. Da würden Sie sagen, das ist nicht der Weg der Grünen?<br />
Brauer: Nein, das ist nicht unser Weg. Man kann zwar auch nicht alles gegen Wählerinnen und Wähler machen,<br />
aber man hat auch als politische Partei den Auftrag, über Themen aufzuklären und zu informieren. Das ginge ja<br />
davon aus, dass ein Wähler hundertprozentig informiert wäre, was er in der Regel nicht ist, wenn man ehrlich ist.<br />
Deswegen würde ich das wirklich nicht sehen, dass man sich nur nach Stammtischlaunen und Parolen, die beim<br />
Biertrinken entstanden sind, zu richten hat. Ganz im Gegenteil. Da verstehe ich unseren Auftrag anders.
XXXV<br />
Würden Sie sagen, dass es in der Realität so stattfindet bei anderen Parteien? Dass Parteien sehr marketingorientiert<br />
vorgehen und gucken, was der Wähler erwartet?<br />
Brauer: Ja. Ich würde schon sagen, dass es auch gerade in diesem Landtagswahlkampf, wenn man sich die Inszenierung<br />
der CDU angesehen hat, definitiv so ist. Gerade in den letzten Wahlkampfwochen und gerade bei den<br />
großen Parteien, würde ich sagen, dass es definitiv der Fall ist. Nachtzuschläge zum Beispiel - solche Themen<br />
werden instrumentell eingesetzt.<br />
Sie würden also dazu tendieren, zu sagen, dass das nicht besonders legitim ist, so vorzugehen?<br />
Brauer: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Im Sinne der Nachtzuschläge würde ich sagen, dass aus meiner<br />
ganz persönlichen Sicht etwas Gutes dabei herausgekommen ist. Ein gutes Versprechen. Aber wenn man Versprechen<br />
immer nur auftischt, um schnell noch ein paar Wählerstimmen zu bekommen, dann finde ich das in der<br />
Tat moralisch nicht sehr hoch stehend. Ich finde, man sollte schon ein konsistentes Programm haben, das man<br />
entsprechend durchzieht und das realistisch bleibt. Wenn man kurz vor dem Ziel noch Torschlusspanik kriegt<br />
und Gott und die Welt verspricht, finde ich das nicht sehr seriös.<br />
Wie würden Sie das bezüglich der Landtagswahl einschätzen? Waren da alle Parteien eher gleich an solchen<br />
Maßstäben orientiert, oder gab es Unterschiede? Sie haben es jetzt schon angedeutet, dass das bei den Grünen<br />
eher nicht so war, aber bei anderen Parteien vielleicht schon?<br />
Brauer: Das ist jetzt natürlich schon einige Zeit her, aber die CDU hat schon auch Versprechungen gebracht, bei<br />
denen sich bereits ein paar Monate später herausgestellt hat, dass die sehr substanzlos gewesen sind. Wenn man<br />
zum Beispiel an das Thema Studiengebühren denkt. Da gibt es schon einige Geschichten. Wobei die CDU ansonsten<br />
im Landtagswahlkampf eher durch eine Art „Mikado-Politik“ aufgefallen ist, wie man das immer so<br />
schön genannt hat: Also bloß kein heißes Eisen anzufassen. Die CDU hat sich eher herausgehalten, ohne mit den<br />
großen Themen zu punkten. Sie hat sich in die Regierung quasi reingemogelt. Die SPD hat schon mit allen Mitteln<br />
versucht, mit Versprechungen zum Schluss noch etwas herauszuholen. Aber da war es einfach zu spät.<br />
Die FDP?<br />
Brauer: Die FDP macht das, was sie immer macht. Ich habe das Gefühl, die fahren seit zehn Jahren die gleiche<br />
Kampagne und je nachdem, wie viel sie von der CDU kriegen, sind sie mal besser, mal schlechter gestellt. Ich<br />
habe sie nicht mit neuen Themen wahrgenommen. Aber die FDP hat erstaunlicherweise ganz massiv versucht,<br />
sich gegen uns zu profilieren. Das fand ich relativ interessant. Wenn man sich Wähleranalysen anguckt, gibt es<br />
da zwar eine Schnittmenge, aber die ist nicht so riesig.<br />
Das hat die FDP anders gesehen?<br />
Brauer: Das hat die FDP offensichtlich anders gesehen. Wobei ich sagen würde, dass sich das verändert. Im eher<br />
ländlichen Bereich ist das nicht so, aber in den Großstädten buhlen FDP und Grüne offensichtlich jetzt auch um<br />
eine junge Wählerschicht, die ein ähnliches Lebensgefühl hat. Da hat sich die FDP wirklich ganz massiv auf uns<br />
konzentriert. Wir hatten eigentlich das Gefühl, wir sind der Hauptgegner der FDP. Das haben wir nicht im gleichen<br />
Maße erwidert. Wir haben auch mal ein Flugblatt gegen die FDP gehauen, aber das war es im Prinzip auch.<br />
Frau Brauer, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch.
XXXVI<br />
A2.5) Transkription <strong>des</strong> Interviews mit dem Generalsekretär der SPD NRW, Michael Groschek<br />
Abschrift <strong>des</strong> Mitschnittes eines leitfadengestützten Interviews mit dem Generalsekretär der SPD NRW, Michael<br />
Groschek über die Planung der Wahlkampagne zur Landtagswahl 2005 in seiner Partei. Das Gespräch fand am<br />
28.10.2005 in Düsseldorf statt. Die Mitschrift wurde am 10.11.2005 von Herrn Groschek autorisiert und zur<br />
Verwendung im Rahmen <strong>des</strong> vorliegenden Vorhabens freigegeben. Die Fragen und Beiträge der Interviewerin<br />
sind durch Unterstreichung kenntlich gemacht.<br />
Erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Es soll etwa 60 Minuten dauern. In<br />
dieser Zeit möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, die sich auf die Organisation von Wahlkampagnen und insbesondere<br />
auf die Planung Ihrer Kampagne zur NRW-Landtagswahl 2005 beziehen. Insgesamt möchte ich mit<br />
Ihnen über folgende Themenbereiche sprechen:<br />
• Kommunikationsziele der Kampagne<br />
• Themenauswahl für die Kampagne<br />
• Die Rolle der Spitzenkandidaten<br />
• Kommunikation mit der Wählerschaft<br />
• Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen<br />
• Stellenwert von <strong>Marketing</strong><br />
Weil Sie in Ihrer Partei diesbezüglich eine einflussreiche Position bekleiden, wurden Sie als Experte ausgewählt<br />
und um dieses Gespräch gebeten. In den anderen Parteien stehen ähnliche Interviews bevor. Die aus den Interviews<br />
resultierenden Informationen dienen der politischen Grundlagenforschung. Es geht also nicht darum zu<br />
beurteilen, welche Kampagne besser und welche Kampagne schlechter gewesen ist, sondern um die rein wissenschaftliche<br />
Auseinandersetzung mit Wahlkampagnen. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, werde ich mit<br />
meiner ersten Frage beginnen.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Organisation der Kampagne zur letzten Landtagswahl zurückdenken, was würden<br />
Sie sagen, waren die zentralen Kommunikationsziele, die Sie verfolgt haben?<br />
Groschek: Es war unser Ziel, den Spitzenkandidaten als die Nummer Eins nicht nur der eigenen Partei, sondern<br />
auch als die Nummer Eins <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> herauszustellen. Darzustellen, dass Nordrhein-Westfalen bestimmte Qualitäten<br />
hat, die NRW-typisch sind, und die Familienpolitik im Rahmen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />
als Leitbild einer modernen Gesellschaftspolitik zu positionieren.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in heutigen Wahlkämpfen so<br />
wichtig ist. Wie war das denn bei Ihnen? Haben Sie sich beraten lassen?<br />
Groschek: Ja. Wir hatten neben einer klassischen Kampagnenagentur (Butter) eine Konzeptagentur (Becker/Kronacher),<br />
die auch geholfen hat, den Spitzenkandidaten als starken Ministerpräsidenten mit sozialdemokratischem<br />
Profil herauszustellen.<br />
Gab es auch so genannte Spin Doctors?<br />
Groschek: Neben diesen beiden Agenturberatungen gab es noch so etwas wie einen Runden Tisch beim Spitzenkandidaten,<br />
wo unterschiedliche Erfahrungen zusammengebunden wurden. Dieser Kreis war im Grunde ein<br />
ehrenamtliches, lockeres Beratungsgremium mit einigen Politikwissenschaftlern, Vertretern aus der Wirtschaft<br />
und einigen Journalisten.<br />
Wie viele Leute waren das insgesamt, eher 20 oder mehr in Richtung 50?<br />
Groschek: Nein, das waren unter 20 Personen. Sie haben Empfehlungen zur Positionierung in ganz bestimmten<br />
Schwerpunktthemen gegeben und auch versucht, ein zusätzliches Megathema zu definieren.<br />
Welches Thema hätte das werden können?<br />
Groschek: Es ist nach dem Thema gesucht worden, das alle anderen Themen wegdrückt. Das war jetzt im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf<br />
im Grunde die Auseinandersetzung um Sozialstaat und Solidarität. Ein vergleichbar emotionalisieren<strong>des</strong>,<br />
polarisieren<strong>des</strong> Thema ist von uns beim Landtagswahlkampf nicht gefunden worden.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die Sie im Rahmen der Kampagne<br />
verwendet haben, worauf kam es dabei an?
XXXVII<br />
Groschek: Wir wollten deutlich machen, dass Modernisierung, Reformen und auch unpopuläre Veränderungen<br />
notwendig sind, aber dass dies mit der SPD in sozialer Balance stattfinden könnte. Deswegen gab es den Rahmenslogan<br />
„Stärker werden, menschlich bleiben“, der das in einer natürlich wirkenden Sprache ausdrücken<br />
sollte.<br />
Haben Sie den vorher getestet, in Fokusgruppen?<br />
Groschek: Ja, der Slogan ist vorher in Fokusgruppen getestet worden.<br />
Wie sieht das aus, machen Sie das mit einer Agentur?<br />
Groschek: Ja. Das hat die Agentur Becker/Kronacher gemacht.<br />
…und die bilden dann eine Fokusgruppe aus 10 Leuten und testen dann verschiedene Formulierungen für Sie?<br />
Groschek: Ja. Die bilden unterschiedliche Fokusgruppen. Mit unterschiedlichen Zielgruppen, auch was Nähe<br />
oder Ferne zur SPD angeht. Becker/Kronacher haben große Erfahrung aus dem Bereich der Wirtschaftsberatung<br />
und haben als einen weiteren Strang die Politikberatung aufgebaut. Sie sind Experten in der qualitativen Forschung.<br />
Die Fokusgruppen waren so ausgewählt, befragt und durchgetestet, dass wir eine nach unserer Auffassung<br />
repräsentative Auswahl für NRW hatten.<br />
Wie hat man sich das vorzustellen? Sie gehen zur Agentur Butter und die unterbreitet Ihnen verschiedene Entwürfe,<br />
die Sie Becker/Kronacher übergeben, die diese dann für Sie testet, und dann schauen Sie, was dabei rauskommt?<br />
Groschek: Das war ein gemeinsamer Arbeitsprozess, der von mir als Wahlkampfleiter geführt wurde und in dem<br />
die Konzeptagentur nach gemeinsamen Diskussionen Vorschläge unterbreitet hat. Die wurden dann von Butter<br />
grafisch und kommunikativ als Kampagnenvorschlag umgesetzt. Und mit diesen Vorschlägen - sowohl Slogans<br />
als auch Motivvorschlägen - ist dann von der Konzeptagentur ein Diskussionsprozess in den Fokusgruppen an<br />
mehreren Standorten in NRW organisiert worden.<br />
Haben Sie in diesem Zusammenhang noch andere Studien in Auftrag gegeben, zum Beispiel Meinungsumfragen?<br />
Groschek: Ja, wir haben im Vorfeld der Landtagswahl intensiv demoskopische Untersuchungen angestellt zum<br />
Kompetenzprofil, sowohl thematisch als auch personell. Aufgrund dieser demoskopischen Bewertungen haben<br />
wir unsere Konsequenzen für den Kampagnenaufbau gezogen. Eine Konsequenz war beispielsweise, dass außer<br />
dem Spitzenkandidaten niemand eine herausragende personale Kompetenz zugemessen bekam. Von daher war<br />
klar, dass ein Team anstelle <strong>des</strong> herausgestellten Spitzenkandidaten ausschied und dass Programm und Person in<br />
der Person <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Steinbrück kumulieren mussten.<br />
Gab es da auch thematische Implikationen?<br />
Groschek: Ja, die Umfragen ergaben, dass die Kompetenzzumessung für die SPD in allen klassischen Bereichen<br />
im Vergleich zur vorausgegangenen Landtagswahl abgenommen hatte und dass wir gerade auf ganz wichtigen<br />
Feldern wie Wirtschaftspolitik, Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarktpolitik drastische Einbrüche hatten. Wir<br />
mussten uns <strong>des</strong>halb darauf konzentrieren, Kernkompetenzen zu verteidigen: zum Beispiel unseren Vorsprung<br />
vor der Union im Bereich soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, der sich auch schon abschmelzend darstellte. Bei<br />
der Parteikompetenz - einschließlich <strong>des</strong> sehr wichtigen Fel<strong>des</strong> der Schulpolitik - lagen wir in den meisten Feldern<br />
hinter der Union. Von daher war klar, dass die Auseinandersetzung mit der Union um Kompetenz und<br />
Kompetenzzumessung vor allen Dingen auf die Person <strong>des</strong> Ministerpräsidenten konzentriert werden musste, der<br />
in den Sachthemen als sehr kompetent eingeschätzt wurde und in allen Umfragen vor dem Herausforderer lag.<br />
Wenn Sie von Demoskopie reden, meinen Sie dann, dass Sie Politbarometer abonnieren, oder geben Sie selber<br />
was in Auftrag?<br />
Groschek: Nein, es gab eine Zusammenarbeit mit Forsa, die in unserem Auftrag Umfragen durchgeführt hat,<br />
und mit einem zweiten demoskopischen Institut. Letztere haben für uns Feldstudien gemacht. Darüber hinaus<br />
haben wir eigene Fragen an Umfragen anderer angehängt.
XXXVIII<br />
Wie hat man sich das vorzustellen? Entscheiden Sie das, sagen Sie, ich habe mir das angesehen, es in den Medien<br />
diese und jene Veröffentlichung und ich habe außerdem noch was gelesen, und auf dieser Grundlage würde<br />
ich sagen, machen wir doch mal das und das? Oder werden Sie beraten und sagt Ihnen jemand macht es doch so<br />
und so?<br />
Groschek: Wir haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten über die Kampagnenanlage geredet. Haben dann gesagt,<br />
was bräuchten wir eigentlich noch an differenzierten Analysen, haben darauf Kontakt aufgenommen zu den<br />
demoskopischen Instituten, haben uns von denen nach Gesprächen Fragenkataloge vorlegen lassen, uns dann für<br />
Alternativen entschieden, diese nachgebessert, Institute beauftragt und die Fragen im zweiten Durchlauf korrigiert,<br />
um den Erkenntniswert zu erhöhen. Das ist also eine dialoggestützte Situation. Letztendlich haben wir<br />
immer die Vorgaben gemacht und entschieden, welche Fragestellungen gemacht und wie die Ergebnisse genutzt<br />
werden, das heißt wir haben uns mal mehr mal weniger an die Ratschläge der Institute gehalten.<br />
Und Sie würden schon sagen, dass diese Maßnahmen sehr zentral waren im Rahmen der Kampagnenplanung?<br />
Groschek: Ja natürlich.<br />
Gab es denn auch Themen oder Aussagen im Rahmen Ihrer Kampagne, die Sie vor allem <strong>des</strong>halb betont haben,<br />
weil Sie vielleicht auch Wähler ansprechen wollten, die nicht unbedingt dazu tendieren, die SPD zu wählen?<br />
Groschek: Das war im Grunde die Schnittstelle Peer Steinbrück. Wir wussten, dass Peer Steinbrück weit über<br />
das Spektrum der klassischen SPD-Klientel hinaus Wähler überzeugt und angesprochen hat. Für die Kampagne<br />
der SPD gab es zusätzliche Schubkraft, die Personalisierung sehr stark zu betonen und den gesamten Wahlkampf<br />
zu personalisieren. Bei den Themen ist uns das weniger gelungen. Da gab es als einzigen wichtigen Anknüpfungspunkt<br />
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die vor allen Dingen bei jüngeren Familien und jüngeren<br />
Frauen als Thema Anklang gefunden hat - schichten- und klientelübergreifend. Ansonsten bot sich durch den<br />
starken Ansehens- und Kompetenzrückgang der Lan<strong>des</strong>regierung gegenüber der Wahl 2000, die auf uns unmittelbar<br />
übertragen wurden, kein Thema an, das einen Mobilisierungseffekt gehabt hätte.<br />
Stichwort Gegnerbeobachtung, gab es da Überlegungen zu sagen was macht denn die CDU, was müssen wir da<br />
ansprechen, was müssen wir da aufgreifen, wie müssen wir uns da abgrenzen? War das ein Thema?<br />
Groschek: Ja, Gegnerbeobachtung hat eine Rolle gespielt. Wir haben, um unsere Stärke - also die Stärke <strong>des</strong><br />
Ministerpräsidenten - weiter zu betonen, spiegelbildlich die Schwäche <strong>des</strong> Gegenkandidaten profiliert, unter<br />
anderem durch eine Kampagne, die sich ausdrücklich auf Rüttgers und seinen politischen Wankelmut bezog und<br />
die ein Schlagwort popularisiert hat, das von der „Rolle Rüttgers“. Deswegen kann man sagen: Die Gegnerbeobachtung<br />
mündete in einen Kampagnenteil, wo der schwache Spitzenkandidat der konkurrierenden Partei zu<br />
einem wichtigen Wahlargument für die SPD wurde.<br />
Stichwort Spitzenkandidat wäre auch mein nächstes Anliegen. Man hört, dass gerade auch die Kandidaten in<br />
Wahlkämpfen intensiv beraten und gecoacht werden. Sie haben gerade schon angesprochen, dass es bei Ihnen<br />
einen Runden Tisch gab. War dieser runde Tisch eher eine generelle Diskussionsunterstützung für Herrn<br />
Steinbrück oder wurde in diesem Zusammenhang auch eine intensivere Vorbereitung zum Beispiel im Hinblick<br />
auf die TV-Duelle geleistet?<br />
Groschek: Es gab bei<strong>des</strong>. Es gab einen Runden Tisch, der ein lockeres Brainstorming war, wo nach dem Bedürfnis<br />
von Peer Steinbrück Themen erörtert und Fragestellungen diskutiert wurden. Das war ein sehr lockerer Arbeitszusammenhang.<br />
Und dann gab es eine spezielle Vorbereitung für die TV-Duelle - separat von allen anderen<br />
Beratungsgremien. Und es gab parallel zur gesamten Kampagnenvorbereitung und zur Kampagne selbst über die<br />
Strategieberater Becker/ Kronacher auch eine persönliche Beratung <strong>des</strong> Ministerpräsidenten.<br />
Das heißt, Sie haben das schon sehr intensiv vorbereitet. Sowohl inhaltlich als auch kommunikativ.<br />
Groschek: Ja, bis hin zu unterschiedlichen Musterreden, die getestet wurden auf ausgesuchten Veranstaltungen,<br />
die dann nachjustiert wurden und die weitgehend entstanden sind in der Zusammenarbeit mit der Konzeptberatung.<br />
Inwiefern war es denn wichtig in Bezug auf den Spitzenkandidaten herauszufinden, was die Wähler von ihm<br />
erwarten? Sie haben schon gesagt, dass es eine Umfrage gegeben, in der man überprüft hat, wer ist noch bekannt
XXXIX<br />
und dann herausgefunden hat, dass Steinbrück allein das Zugpferd sein muss. Gab es diesbezüglich auch eine<br />
kampagnenbegleitende demoskopische Erörterung?<br />
Groschek: Ja, es gab einen Profilabgleich zum Herausforderer - mit Konsequenzen für den Auftritt und für die<br />
Standardrede <strong>des</strong> Wahlkampfes: Aus der demoskopischen Begleitung wussten wir, dass Steinbrück bei allen<br />
harten Fakten die Nase vorn hat. Dass er also unter dem Aspekt der Kompetenz uneinholbar vorne lag, aber dass<br />
zu Beginn der Kampagne Rüttgers bei den eher weichen Faktoren Menschlichkeit, warme Ausstrahlung im Verhältnis<br />
zu Steinbrück recht gut positioniert war. Deshalb hat Peer Steinbrück bei seinen öffentlichen Auftritten<br />
nachjustiert, sowohl bei den Inhalten der Standardrede als auch bei der Akzentuierung von ganz bestimmten<br />
Themen, aber auch was sein Auftreten angeht.<br />
Dann komme ich jetzt zu der internen und externen Kommunikation. Sie haben ja im Rahmen Ihrer Kampagne<br />
über ganz verschiedene Kommunikationskanäle kommuniziert. Es gab Internetseiten, Plakate, öffentliche Auftritte<br />
<strong>des</strong> Kandidaten. Auf welcher Basis haben Sie festgelegt, in welchen Kanal wie viel Geld fließt?<br />
Groschek: Im Grunde Erfahrung und Diskussionen darüber, was umsetzbar ist und was Priorität hat. Dadurch,<br />
dass wir den Wahlkampf sehr stark personalisiert, und entsprechend neue Veranstaltungsformen gewählt haben,<br />
um den Spitzenkandidaten zu präsentieren, war klar, dass ein vergleichsweise hoher Anteil <strong>des</strong> Etats in diesen<br />
Persönlichkeitswahlkampf gesteckt wurde. Das Veranstaltungsformat war hochwertig bei Ausstattung, Aufwand,<br />
Organisation sowie Begleitung und Betreuung. Parallel dazu wollten wir den massiven öffentlichen Auftritt<br />
unterstreichen durch eine hohe Anzahl von Wesselmanntafeln [Großflächen, redaktionelle Anmerkung], die<br />
ausschließlich auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten waren. Das war eine Grundsatzentscheidung. Dann gab<br />
es noch eine weitere Grundsatzentscheidung zur Medienplanung, wo uns die Flächenabdeckung durch Regionalund<br />
Programmzeitungen wichtiger war als der Auftritt in bun<strong>des</strong>weiten Leitmedien wie Spiegel oder Focus. Was<br />
unter dem Prestigegedanken vielleicht erwägenswert war, war für uns unter dem Gedanken der Erreichbarkeit<br />
von Wählerinnen und Wählern vernachlässigbar.<br />
Haben Sie diesbezüglich mit Media-Agenturen zusammengearbeitet?<br />
Groschek: Ja, wir hatten über Butter hinaus eine Media-Agentur, aber die war Teil der Kampagnenplanung. Sie<br />
hat uns gemeinsam mit Butter Vorschläge über die konkrete Mediaplanung unterbreitet, nachdem wir entschieden<br />
hatten: Wir wollen in die Fläche gehen, in die Anzeigenblätter, weg von den Top-Magazinen.<br />
Das sind ja in der Tat die am häufigsten gelesenen Zeitungen.<br />
Groschek: Eben. Das ist einfach auch Erfahrung, die man als bodenständiger Politiker eher sammelt und verinnerlicht<br />
als ein theoretischer Kampagnenplaner einer Agentur. Deshalb sind die Entscheidungen nach Diskussionsrunden<br />
und Beratungsgesprächen von uns als NRWSPD getroffen worden und die Umsetzung erfolgte dann<br />
über die Agenturen.<br />
Gab es hier aus dem Lan<strong>des</strong>verband heraus Handlungsempfehlungen für einzelne Kreis- oder Stadtverbände?<br />
Gab es beispielsweise eine Analyse die besagte, wo ist es besonders kapp, wo macht es besonders viel Sinn reinzugehen?<br />
Groschek: Wir haben Europawahl und Kommunalwahl als Probelauf für die Landtagswahl ausgewertet und sehr<br />
stark versucht, die Mitgliederstärke der SPD und das ehrenamtliche Engagement zu mobilisieren, auch kommunikativ<br />
zu nutzen, und haben <strong>des</strong>halb tradierte Wahlkampfformen in einer modernisierten Form popularisiert.<br />
Wir haben den klassischen Haustürwahlkampf als permanente und gezielte Vertrauensarbeit dargestellt, haben<br />
dazu auch spezielle Unterstützungsangebote aufgelegt und den Untergliederungen nahe gebracht. Durch eine<br />
bestimmte Veranstaltungsform, eine große Zeltpräsentation, haben wir versucht, klassische Wahlveranstaltungen<br />
in neuer Form zu den Menschen zu bringen, das heißt in ausgesuchten Stadtteilen Großveranstaltungen zu etablieren,<br />
unabhängig von vorhandenen Veranstaltungshallen. Das war dann unter dem Stichwort „mobile Stadthalle“<br />
ein spezifisches Angebot, um auch den Gedanken <strong>des</strong> Haustür- und Stadtteilwahlkampfes mit einer Wertschätzung<br />
zu unterlegen. Es wurde ein hochwertiges Rahmenprogramm angeboten in einer mobilen Halle, um<br />
deutlich zu signalisieren, wir nehmen das Engagement vor Ort verdammt ernst und wir halten es für zentral, dass<br />
wir die Menschen da erreichen, wo sie sind, weil die nicht mehr freiwillig zu Parteien kommen.<br />
Haben Sie Ihre Leute vor Ort unterstützt, zum Beispiel indem Sie ihnen gesagt haben, wo sie ihren Haustürwahlkampf<br />
am besten machen können?
XL<br />
Groschek: Ja.<br />
Auf welcher Datenbasis wird so etwas gemacht?<br />
Groschek: Wir haben das nicht selbst gemacht, sondern Forsa mit einer lan<strong>des</strong>weiten Stimmbezirksanalyse beauftragt.<br />
Und die Ergebnisse konnten Ihre Leute vor Ort als Serviceleistung in Anspruch nehmen?<br />
Groschek: Ja. Das haben die Leute vor Ort bekommen, für jeden Landtagswahlkreis - bis zu den einzelnen<br />
Stimmbezirken.<br />
Haben Sie auch Adressen gekauft?<br />
Groschek: Nein.<br />
Haben Sie Direct Mailings eingesetzt?<br />
Groschek: Nur als Direct E-Mail über das Internet.<br />
Was waren das für E-Mails?<br />
Groschek: Das waren Zielgruppen-E-Mails zu unterschiedlichen Politikschwerpunkten, also zu denen, die für<br />
uns positiv waren, im Wesentlichen zu Familie und Beruf, und bezogen auf die Veranstaltung mit Peer<br />
Steinbrück selbst. Die Einladungen zu den Veranstaltungen mit Peer Steinbrück waren bewusst so angelegt, dass<br />
die Zielgruppe nicht die eigene Partei war, sondern mit einer persönlichen, aufwändigen Einladung die wichtigen<br />
Multiplikatoren vor Ort - weit über die SPD hinaus erreicht wurden.<br />
Wo hatten Sie die Adressen her?<br />
Groschek: Die haben wir über die örtlichen Vertrauten bekommen, nach einer bestimmten Vorgabe. Wir haben<br />
ein Raster vorgegeben, welche Leute für uns interessant sein könnten und haben dann von unseren Untergliederungen<br />
aus dem kommunalen Bereich das entsprechende Adressenmaterial bekommen.<br />
Was war das für ein Raster? Haben Sie das selbst entwickelt?<br />
Groschek: Das war ein Raster, mit dem man die Multiplikatoren der gesellschaftlich relevanten Gruppen an<br />
einen Tisch versammelt. Also aus den Sozialverbänden, Gewerkschaften, Wirtschaftsorganisationen, Handwerksbereichen,<br />
all das, was in der Stadt Meinung macht.<br />
Inwieweit haben Sie sich denn mit dem Erfolg dieser ganzen Maßnahmen beschäftigt? Gab es Maßnahmen zu<br />
evaluieren, was erfolgreich verlaufen ist und was nicht?<br />
Groschek: Die Erfolgsparameter bei der Veranstaltung waren natürlich vor allen Dingen die Zuschauerzahlen<br />
und die Berichterstattung. Das war bei der Steinbrück-Tour herausragend und hing auch damit zusammen, dass<br />
wir im Grunde die Erfolgskontrolle delegiert haben auf die Lokalredakteure. Wir haben die Veranstaltung so<br />
aufgebaut, dass die jeweiligen Lokalredakteure vor Ort exklusiv eine halbe Stunde mit dem Ministerpräsidenten<br />
Interviews machen konnten. Es war für viele Lokalredakteure ein echtes Highlight, den Ministerpräsidenten<br />
dreißig Minuten lang nach Belieben zu befragen. Da gab es keine thematischen Tabus, sondern das war manchmal<br />
eher im familiär-bunten Bereich, manchmal aber auch knochenhart politisch. Und es war schon eine Voraussetzung<br />
dafür, dass die Berichterstattung sehr breit wurde, weil natürlich die jeweiligen Lokaljournalisten ein<br />
Interesse daran haben, die Wertstellung der lokalen Redaktion durch das persönliche Gespräch mit dem Ministerpräsidenten<br />
auch gegenüber den Lesern zum Ausdruck zu bringen. Entsprechend breit war dann auch die<br />
Berichterstattung über die Veranstaltungen selbst. Das heißt, wir haben im Grunde die Interessen der Lokaljournalisten<br />
als Unterstützung unserer Kampagnenplanung benutzt.<br />
Internetseiten oder Zeitungsanzeigen hätten ja dann anderer Erfolgsindikatoren bedurft. Haben Sie diesbezüglich<br />
Erfolgskontrollen durchgeführt?
Groschek: Ich persönlich halte Internetwahlkampf für überbewertet. In Wirklichkeit sind wir nach wie vor eine<br />
durch und durch papierorientierte Partei und Gesellschaft. Das, was an Internetkommunikation da ist, ist aus<br />
meiner Sicht eine identitätsstiftende Perspektive, die für einen Teil der Gesellschaft die Partei als modern erscheinen<br />
lässt. Aber was die Kommunikationswirkung angeht, so bin ich da sehr skeptisch, ob das Internet - über<br />
eine aktive Minderheit hinaus - Menschen mental erreicht, geschweige denn überzeugt. Aber der Internetwahlkampf<br />
gehört heute dazu. Würden wir darauf verzichten oder ihn rigoros zurückfahren, wäre das in der Kommunikation<br />
von Nachteil, weil wir dann als rückständig dargestellt würden. Eine reale Erfolgskontrolle ist schwer.<br />
Wir hatten zum Teil Nettigkeiten, die viele Leute angeklickt haben, aber einfach nur, um sich zu unterhalten, und<br />
nicht vornehmlich, um dort wirklich Argumentationen aufzunehmen. Das sieht man auch bei den dialoggestützten<br />
Internetangeboten. Hier ist die Resonanz - wenn man mal ehrlich ist - relativ mau. Die Teilnehmer sind eigentlich<br />
immer die gleichen. Das ist so eine neue Form von Leserbriefschreiberkultur, das sind interessierte<br />
meist junge Leute - aber auch manche Wichtigtuer, die eine interessierte Community bilden. Bei den Anzeigen<br />
haben wir versucht, den Erfolg zu messen, indem wir nach Anzeigenwellen zu ganz bestimmten Themen demoskopisch<br />
abgefragt haben, ob jetzt thematisch dies oder jenes „angekommen“ ist, aber das ist nur eine sehr grobe<br />
Pi-mal-Daumen-Messung.<br />
Und was waren die Ergebnisse?<br />
Groschek: Da muss ich jetzt auch wieder sagen: Man muss schon gläubig sein, um alle Erkenntnisse der Demoskopie<br />
eins zu eins zu übernehmen. Die Umfragen vor der Wahl haben uns bestätigt. Angeblich wurde die Veränderung<br />
<strong>des</strong> Meinungsklimas sehr stark an der Person <strong>des</strong> Ministerpräsidenten orientiert, angeblich die Profilierung<br />
erreicht wie von uns gewünscht: Dass er sich abgesetzt hat von seinem Konkurrenten, dass die Themensetzung<br />
richtig sei. Aber ich glaube, dass das alles etwas komplexer ist und dass man das so nicht exakt messen<br />
kann.<br />
Dann komme ich nun zum Thema Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen, sprich Segmentierung und<br />
Zielgruppenbildung. Haben Sie denn im Rahmen Ihrer Kampagne so etwas gemacht? Gab es so etwas wie einen<br />
Segmentierungsprozess?<br />
Groschek: Es gab da im Grunde drei Zielgruppenüberlegungen. Die erste war: Wir müssen unsere Stammklientel<br />
mobilisieren, weil das Kernproblem die mangelnde Mobilisierung unserer Stammwählerinnen und Stammwähler<br />
war. Da gab es sich überlagernde Effekte: Auf der einen Seite die Vertrauenskrise durch die gesamte Hartz-<br />
Diskussion auf Bun<strong>des</strong>ebene, die gerade in NRW mit Riesenenttäuschungen verbunden wurde, weil man den<br />
Betriebsrentnern in die Tasche gepackt und so im Ruhrgebiet ungeheuren Frust hervorgerufen hat. Die Menschen<br />
fragten sich: Warum soll ich die noch wählen, die mir jetzt die Betriebsrente kürzen? Deshalb auch ein<br />
sehr hoher Kampagnenaufwand, um unseren Haustür- und Stadtteilwahlkampf als Mundfunk zu forcieren und<br />
unsere eigenen Leute zu ermutigen, sich überhaupt der Diskussion zu stellen. Viele hätten sich ja auch am liebsten<br />
weggeduckt und hinterm Infostand verkrochen und wären gar nicht in die eigentlichen Problembereiche<br />
gegangen. Also ging es einerseits darum, die Stammklientel vom Sofa runterzuholen. Ich habe mich immer bemüht<br />
deutlich zu machen, dass die Sofapartei unser eigentlicher politischer Gegner ist und nicht CDU und FDP,<br />
weil wir die schwarz-gelben Wähler eh nicht bekommen. Wir mussten unsere eigene Klientel mobilisieren.<br />
Kernaufgabe der Kampagne in dieser spezifischen Situation waren unsere Stammwähler. Zweiter Punkt war, die<br />
zu erreichen, die möglicherweise sagen: Gut - weil ich Peer Steinbrück will, muss ich eben die SPD wählen,<br />
obwohl mir die SPD völlig fremd ist. Deswegen auch die Steinbrück-Veranstaltungen, die bewusst auch in Regionen<br />
gesetzt wurden, in denen die SPD in der Minderheit ist. Gerade dort waren sie ungeheuer erfolgreich, in<br />
Kleve beispielsweise. Sie hatten in Kombination mit einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit zu diesen Veranstaltungen<br />
eine hohe kommunikative Wirkung. Das hat sich dann leider nicht im Wahlergebnis niedergeschlagen,<br />
aber die Besucher- und Berichterstattungsresonanz war zum Teil phänomenal, da waren wir selbst überrascht.<br />
Ziel war, das Zugpferd zum Magneten zu machen, an dem manche kleben bleiben. Der dritte Bereich waren<br />
junge Familien und junge Frauen, weil Familienpolitik einer der wenigen Themenbereiche war, der durchgängig<br />
positiv bei der SPD verortet wurde. Also auch die Bun<strong>des</strong>-SPD, die ansonsten in Bausch und Bogen verdammt<br />
wurde, hatte da noch einen Bereich, wo gesagt wurde: Das haben die gut gemacht, vor allem wenn es um die<br />
Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Kinderbetreuung geht. Das waren also unsere Hauptzielgruppen:<br />
Stammwählerinnen und -wähler, Anhänger und Sympathisanten von Peer Steinbrück und junge Familien und<br />
junge Frauen. Hier haben wir versucht, Kampagnenmittel zu organisieren und zu spezifizieren.<br />
Feiner aufgegliedert haben Sie das aber nicht, denn Stammwähler bilden ja schon eine sehr heterogene Gruppe.<br />
Groschek: Für uns war wichtig - auch im Vergleich zum Mobilisierungsdefizit der vorangegangenen Wahlen -<br />
dass wir in unseren Hochburgen die Stammwähler mobilisieren. Vor allem in dem Städtedreieck Köln, Duisburg,<br />
XLI
XLII<br />
Dortmund, also Ruhrgebiet plus ein bisschen Köln, um etwas zu simplifizieren. Es war für uns entscheidend,<br />
hier die notwendige Mobilisierung zu schaffen, also die Menschen zu erreichen, die eigentlich ihr Leben lang<br />
SPD gewählt haben. Hierfür haben wir einen erheblichen Aufwand betrieben - auch über die Forsa-Anleitung,<br />
die Aufschluss darüber gab, wo wir die Stammwähler, die Traditionswähler finden für einen Haustürwahlkampf.<br />
Das ist dann unterschiedlich intensiv von den Kandidaten umgesetzt worden.<br />
Wie haben Sie dann Ihre Zielgruppen letzten En<strong>des</strong> angesprochen? Sie haben gerade gesagt, es gab dann Implikationen<br />
für die Kampagne. Waren das dann nur der Haustürwahlkampf und die Ansprache durch die Veranstaltung<br />
vor Ort, oder gab es da auch noch andere zielgruppenspezifische Maßnahmen?<br />
Groschek: Das hing dann unter anderem auch mit der Anzeigenplanung zusammen, von den Inhalten und von<br />
den Medien. Die Entscheidung in die Wochenblätter zu gehen, war auch eine Entscheidung, in die ganzen Lokalblätter<br />
<strong>des</strong> WAZ-Konzerns zu gehen, um zwischen Duisburg und Dortmund wirklich jeden über Anzeigen zu<br />
erreichen. Deshalb knüpften unsere Anzeigen thematisch an die vermeintlichen Bedürfnisse unserer Stammwähler<br />
im Ruhrgebiet an. Die zweite Geschichte war, dass wir die Haustürkampagnen wissenschaftlich untermauert<br />
haben durch die Forsa-Daten-Aufbereitung bis in die kleinen Stimmbezirke, also eine Priorisierung der Klientel,<br />
die anzusprechen und zu erreichen ist. Der dritte Punkt war, dass wir entsprechende Materialien aufbereitet haben,<br />
die zielgruppenspezifisch auch in der Formulierung waren, auch in der Auseinandersetzung mit dem politischen<br />
Gegner. Vierter Punkt war, dass wir unser Zeltveranstaltungs-Modul als ganz besondere Aktionsbühne<br />
speziell für die Stadtteilwahlkämpfer organisiert hatten. Und wir haben zum ersten Mal wirklich systematisch<br />
eine Endspurt-Kampagne umgesetzt. Wir haben sinngemäß gesagt: Jetzt geht gottverdammt wählen an diesem<br />
Tag und kommt vom Sofa hoch, kommt aus dem Schrebergarten und macht was. Also eine Schlussspurt-<br />
Kampagne für das Wochenende. Da waren Kneipentouren mit entsprechenden Materialien vorgeschlagen, und<br />
da waren Haustüraktionen am Sonntag, mit Türklinkenanhängern und Brötchen-Verteilen und solchen Dingen.<br />
Wie oft haben Sie diesbezüglich eigentlich mit Forsa zusammengearbeitet während der Kampagne? Hatten Sie<br />
da jede Woche Kontakt oder war das eher zu bestimmten, festgelegten Zeitpunkten?<br />
Groschek: Wir haben im Laufe der mehrmonatigen Kampagne mehrere Arbeitstreffen mit Professor Manfred<br />
Güllner gehabt, sowohl in Berlin als auch hier in Düsseldorf und haben dann in der heißen Phase mehrmals wöchentlich<br />
Kontakt gehabt. Wir haben nach jeder Befragungsrunde diskutiert, ob und wenn ja wo nachjustiert<br />
werden muss bei den Fragestellungen. Wir haben auch die Dateninterpretation intensiv miteinander diskutiert.<br />
Damit bin ich bei meinem letzten Punkt angekommen und zwar dem Stellenwert von <strong>Marketing</strong>. Wenn Sie mal<br />
ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden Sie da mit den Begriffen <strong>Marketing</strong><br />
oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Groschek: Ich verbinde damit im Grunde das planvolle Vorbereiten und Umsetzen der Kampagne. Ich glaube<br />
schon, dass <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> eine sehr spezifische Form von werblicher Kommunikation ist und dass <strong>des</strong>halb<br />
klassische Werbeagenturen alleine immer versagen würden. Da kommt es auf die Mischung derjenigen an,<br />
die die Kampagne planen und umsetzen. Hier liegt die eigentliche handwerkliche Herausforderung, die richtige<br />
Mischung zu finden.<br />
Würden Sie sagen, dass es im Sinne eines guten Wahlergebnisses zielführend ist, alle Informationen über die<br />
Erwartungen potentieller Wähler in den Mittelpunkt der Kampagnenplanung zu stellen, um das politische Angebot<br />
und zum Beispiel die Präsentation <strong>des</strong> Kandidaten danach auszurichten?<br />
Groschek: Das alleine reicht nicht. Nachträglich ist die demoskopische Katastrophe bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl ein<br />
Stück weit auch Beleg für die Grenzen der Demoskopie. Die Menschen äußern nur scheinbar Wahrhaftes und<br />
antworten vermeintlich bedürfnisorientiert auf den Fragesteller. Das Phänomen war schon sichtbar, als Ende der<br />
80er Jahre Leute im Westen nach rechtsradikalem Wahlverhalten befragt wurden. Eine finanzielle Entschädigung<br />
kann ich Ihnen leider nicht anbieten. Das hat dann niemand zugegeben, aber rechts gewählt wurde trotzdem<br />
in ganz bestimmten Regionen. Demoskopie kann politischen Instinkt nicht ersetzen. Bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl<br />
gab es durch die Medienwelle die Erwartungshaltung, dass die anderen gewinnen, also hat man sich bei<br />
Umfragen so geäußert: Ja klar, die werden gewinnen, die Merkel wird Kanzlerin und so weiter. Das reale Wahlergebnis<br />
hat letztendlich gezeigt, dass wichtige Wahlmotive ganz andere waren als die abgefragten. Und <strong>des</strong>halb<br />
wäre es eine Selbsttäuschung zu glauben, dass die demoskopische Wahrheit die einzige Wahrheit ist. Die Ergebnisse<br />
der Meinungsforschung muss man mit gesundem Menschenverstand und politischer Erfahrung gewichten<br />
und auf die zukünftige Entwicklung weiterdenken.
XLIII<br />
Finden Sie es denn legitim, wenn eine Partei so vorgeht?<br />
Groschek: Ja klar. Umfragen sind wichtige Anhaltspunkte - mehr nicht. Im Grunde ist das ja systematisierter,<br />
hierarchisierter Volkswille, der bei einer Wahl ausgedrückt wird. Man muss immer unterscheiden: Politik darf<br />
den Leuten nie nach dem Mund reden - aber den Leuten aufs Maul zu schauen, ist eminent wichtig.<br />
Glauben Sie, dass das in der Realität statt findet, dass Parteien gucken, was erwartet der Wähler von uns, um<br />
dann so Ihre Kampagne auch auszurichten, oder ist das eher eine hypothetische Frage?<br />
Groschek: Das ist Realität.<br />
Wie war das hier bei der Landtagswahl, wie schätzen Sie da die anderen Parteien ein?<br />
Groschek: Das war bei der FDP ganz eindeutig so. Die haben ihre Nische besetzt und gefunden. Die CDU hat im<br />
Grunde Anknüpfungspunkte gesucht, NRW schwarz zu malen. Dafür haben wir ihnen zum Teil selbst Vorwände<br />
geliefert. Dadurch, dass Peer Steinbrück in den ersten Monaten als neuer Ministerpräsident nicht in erster Linie<br />
die Vorzüge <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, sondern die Defizite Nordrhein-Westfalens thematisiert hat, hat er ein Kommunikationsfenster<br />
geöffnet und eine mediale Situation geschaffen, auf die Rüttgers aufbauen konnte. Der Versuch der<br />
CDU, NRW schlecht zu schreiben, ist gelungen. Der Versuch von Peer Steinbrück, sich als Erneuerer dadurch<br />
zu profilieren, dass er Defizite beim Koalitionspartner und zu lösende Probleme benannt hat, hat die Beißhemmung<br />
der Medien verringert. Wir haben uns nach dem „Düsseldorfer Signal“ neu positioniert und ab Herbst<br />
2003 gemeinsam mit Peer Steinbrück mit einer Vorkampagne „Starkes Land. NRW“ versucht gegenzusteuern<br />
Das war ein Stück <strong>des</strong> Prozesses, den Journalisten als „Sozialdemokratisierung <strong>des</strong> Ministerpräsidenten“ beschrieben<br />
haben.<br />
Herr Groschek, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.
XLIV<br />
A3) Auswertungen der Gesprächstranskriptionen der Interviews<br />
Die Fragen sind erneut durch Unterstreichung gekennzeichnet. Ankeraussagen sind durch eine gelbe Markierung<br />
hervorgehen. Die Auswertung der Interviews erfolgte auf der Basis <strong>des</strong> folgenden Protokollmusters:<br />
Dimension: Kommunikationspolitik<br />
Indikator: Ziele der Kampagnenkommunikation<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von Beratung im Rahmen der Kampagnenkommunikation<br />
Indikator: Formulierung der Slogans<br />
Fazit Dimension Kommunikationspolitik<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Indikator: Auswahl der Themen und Anbieterverhalten<br />
Indikator: Orientierung an Gegnern<br />
Indikator: Orientierung an Wählererwartungen<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Indikator: Auswahl <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Indikator: Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Indikator: Bedeutung von Beratung und Recherchemaßnahmen<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Dimension: Distributionspolitik<br />
Indikator: Verteilung <strong>des</strong> Budgets auf Kommunikationskanäle<br />
Indikator: Unterstützung der lokalen Einheiten<br />
Indikator: Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges<br />
Fazit Dimension Distributionspolitik<br />
Dimension: Segmentierung und Targeting<br />
Indikator: Bildung von Zielgruppen<br />
Indikator: Prämissen für ihre gezielte Ansprache
XLV<br />
Indikator: Welche Informationen lagen dafür zugrunde?<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> der Zielgruppenkommunikation<br />
Fazit Segmentierung und Targeting<br />
Dimension: Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Indikator: Begriffliche Bedeutung<br />
Indikator: Angemessenheit und Legitimität von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Fazit Dimension Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen
XLVI<br />
A3.1) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Chrisitan Lindner, FDP NRW<br />
Dimension: Kommunikationspolitik<br />
Indikator: Ziele der Kampagnenkommunikation<br />
Lindner gibt an, dass man im Rahmen der Kampagne vor der Landtagswahl 2005 drei zentrale<br />
Kommunikationsziele verfolgt habe: Einen Regierungswechsel mit CDU und FDP für NRW zu<br />
thematisieren, inhaltlich die Themen Wirtschaft und Bildung in den Vordergrund zu stellen und<br />
damit schließlich auch einen Wechsel auf der Bun<strong>des</strong>ebene zu fordern.<br />
Lindner: Wir hatten erstens das Ziel - als Funktionsargument - deutlich zu machen, dass ein Regierungswechsel<br />
hier in Nordrhein-Westfalen nur mit CDU und FDP möglich wird. Zweitens ging es<br />
darum zu betonen, dass das Land Nordrhein-Westfalen eine neue Prioritätensetzung benötigt, das<br />
heißt, dass mehr getan werden muss für Bildung und insbesondere auch für die wirtschaftliche Entwicklung<br />
dieses Lan<strong>des</strong>. Das waren die beiden wesentlichen Kommunikationsziele. Drittens wollten<br />
wir deutlich machen, dass Nordrhein-Westfalen die Voraussetzung dafür schaffen muss, dass auch ein<br />
Wechsel im Bund möglich wird.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von Beratung im Rahmen der Kampagnenkommunikation<br />
Lindner erklärt, dass die FDP beraten worden sei und zählt drei Bereiche auf: strategische Beratung,<br />
organisatorische Beratung und demoskopische Beratung. Die demoskopische Beratung<br />
sei, so Lindner, durch einen „befreundeten Dienstleister“ erfolgt.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen<br />
heutzutage von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden?<br />
Lindner: Ja. Die FDP ist beraten worden. Erstens durch eine strategisch arbeitende Werbeagentur, die<br />
Agentur Von Mannstein. Zweitens hat uns ein Unternehmen aus der Demoskopie bei der Auswahl der<br />
Themen und auch in der Werbewirkungsforschung beraten. Zum Dritten haben wir auf einen<br />
Dienstleister aus dem FDP-Umfeld zurückgegriffen, der die Wahlkämpfe der Partei logistisch begleitet.<br />
Stichwort demoskopische Beratung, was ist damit genau gemeint und wie sind sie dazu gekommen?<br />
Lindner: Wir haben einen bekannten und befreundeten Dienstleister. Das ist die dimap consult, ein<br />
Unternehmen, dass die FDP generell in diesen Angelegenheiten berät.<br />
Indikator: Formulierung der Slogans<br />
Laut Lindner habe man sich bemüht, in den Slogans Alleinstellungsmerkmale herauszustellen.<br />
Ferner habe die FDP ihre Slogans an einer Fokusgruppe getestet.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die im Rahmen der Kampagne<br />
eine Rolle gespielt haben, worauf kam es dabei an?<br />
Lindner: Erstens kam es drauf an, die Alleinstellungsmerkmale der FDP deutlich zu machen. Zweitens<br />
haben wir die Slogans im Rahmen einer Fokusgruppenuntersuchung dahingehend geprüft, ob die<br />
kommunikativen Erwartungen, die wir daran hatten, erfüllt werden.<br />
Das hieße, die folgende Frage - sie lautet `haben Sie die Wirkung oder den Wortlaut von bestimmten<br />
Slogans vorher getestet´ - wäre mit Ja zu beantworten?<br />
Lindner: Ja.<br />
Fazit Dimension Kommunikationspolitik<br />
Unter Betrachtung der hier ausgewählten Indikatoren wird bezüglich der vorliegenden Dimension<br />
im FDP-Interview ein Muster erkennbar, das einer Interpretation im Rahmen <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
zuträglich ist. Mit den Antworten Lindners lässt sich letztlich nicht beweisen, dass<br />
tatsächlich eine <strong>Marketing</strong>orientierung vorgelegen hat, die Informationen lassen lediglich auf<br />
die Möglichkeit schließen, dass <strong>Marketing</strong>prämissen bei der Kommunikationsplanung für die<br />
Kampagne in der FDP NRW eine Rolle gespielt haben. Dafür spricht konkret, dass Lindner<br />
strategische Kommunikationsziele genannt und angegeben hat, dass sich die Partei in drei zentralen<br />
Bereichen beraten hat lassen. Ferner spricht Lindner von der Herausstellung von Alleinstellungsmerkmalen,<br />
was, so ist es in dieser Arbeit dargestellt worden, eine klassische <strong>Marketing</strong>maßnahme<br />
ist.<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Indikator: Auswahl der Themen und Anbieterverhalten<br />
Lindner betont die Bedeutung von Themen, die als Alleinstellungsmerkmal für die FDP gelten
XLVII<br />
und beschreibt einen Prozess der Themenauswahl, bei dem man Themen, die von der Partei als<br />
wichtig erachtet worden sind, abgeglichen habe mit den Erwartungen der potentiellen Wählerschaft.<br />
Er gibt an, dass diese Entscheidungen auf den Ergebnissen von Studien und Analysen<br />
beruhten und äußert, dass es im Anschluss darum gegangen sei, dieses „politische Produkt“ zu<br />
verkaufen. In diesem Zusammenhang habe man sich Methoden aus der Werberwirkungsforschung<br />
bedient, allerdings sei dies aufgrund knapper finanzieller Ressourcen nur eingeschränkt<br />
möglich gewesen. Im Widerspruch dazu steht, dass Lindner die Frage, ob es zutreffend sei, dass<br />
man zunächst das politische Produkt in der Partei entwickelt habe, um sich dann professioneller<br />
Verkaufstechniken zu bedienen, was also eher einer Verkaufsorientierung entsprechen würde,<br />
mit Ja beantwortet. Er führt weiter aus, dass er es aus ethischen Gründen für fragwürdig hielte,<br />
wenn man sein Programm an den Erwartungshaltungen der Wählerschaft festmachen würde.<br />
Er sagt in diesem Zusammenhang: „Mein Grundsatz ist, man kann dem Volk aufs Maul schauen,<br />
aber man darf ihm nicht nach dem Mund reden.“<br />
Welche Faktoren waren denn entscheidend für die Auswahl der zentralen Themen der Kampagne?<br />
Lindner: Zum einen haben wir Themen ausgewählt, von denen wir glaubten, dass sie für das Land von<br />
besonderer Bedeutung sind und dass sie von den Wählergruppen, in denen eine besondere FDP-<br />
Affinität besteht, als wichtig empfunden werden. Zum anderen haben wir überprüft, wie hoch das<br />
Alleinstellungspotential der FDP bei diesen Themen ist. Zum Beispiel gab es eine Priorität für das<br />
Thema Bildung in Verbindung mit dem Thema Unterrichtsausfall. Die Priorität war hier zwar bei allen<br />
Parteien sehr hoch, gleichzeitig konnte die FDP aber eine hohe Glaubwürdigkeit im Bildungsbereich<br />
beanspruchen. Wir haben außerdem gemerkt, dass es eine hohe Glaubwürdigkeit der FDP im Bereich<br />
Subventionsabbau, insbesondere in der Frage <strong>des</strong> Steinkohleabbaus, gibt. Das ist verdichtet worden zu<br />
der Aussage "Kinder fördern statt Steinkohle". Ergebnisse aus der Werbewirkungsforschung haben<br />
dann gezeigt, dass 62 Prozent der Befragten einer repräsentativen Untersuchung gesagt haben, `das ist<br />
ein positives Ziel, das unterstütze ich´. Deshalb wurde diese Aussage auch breit plakatiert.<br />
Das heißt, man könnte sagen, dass Sie sich bei Ihrer Themenauswahl wirklich intensiv an den Ergebnissen<br />
von Studien und Analysen orientiert haben?<br />
Lindner: Ja, ganz genau. Aber wir haben uns auch gefragt, was aus der Sicht der FDP für das Land<br />
erforderlich ist. Das ist die programmatische Basis. Dann muss dieses politische Produkt natürlich<br />
verkauft werden. Wir fragen uns also, wie wir das, was wir als sinnvoll erachten, am besten darstellen<br />
können und suchen die beste Möglichkeit. Jetzt hört sich das vom Verfahren her sehr professionell an,<br />
selbstverständlich war das nicht durchgängig so möglich, sondern auf Grund der Budget-Restriktionen<br />
nur an einigen Stellen. Etwa diese Umfrage, die bei `Kinder fördern statt Steinkohle´ zugrunde lag,<br />
haben nicht etwa wir in Auftrag gegeben, sondern die hat der Focus veröffentlicht, weil man dort<br />
selbst mal schauen wollte, wie diese Aussage ankommt. Die Zahl '62 Prozent' ist also ex post entstanden.<br />
Aufgrund finanzieller Restriktionen konnten wir bei der Werbewirkungsforschung leider nicht<br />
das volle Programm durchziehen, sondern haben versucht, uns auf einige wenige zentrale Stellen zu<br />
beschränken.<br />
Würden Sie also sagen, ich greife da jetzt einmal ihre Worte auf, dass die Entwicklung <strong>des</strong> Produktes<br />
innerhalb der Partei stattgefunden hat und man sich dann hinterher überlegt hat, wie man das Ergebnis<br />
am besten verkauft?<br />
Lindner: Ja. Das wird allein schon aus dem zeitlichen Ablauf deutlich. Die Programmkommission der<br />
FDP hat ihre Arbeit im April/Mai 2004 aufgenommen und die operative Wahlkampfführung, im Zuge<br />
derer auch diese Fragen behandelt worden sind, ist erst nach der Kommunalwahl Ende September<br />
2004 aufgenommen worden. Da war das Wahlprogramm schon fast beschlossen. Das hielte ich auch,<br />
wenn ich das noch sagen darf, aus ethischen und politik-inhaltlichen Gründen, aus Gründen der politischen<br />
Kultur für fragwürdig, wenn man zunächst einmal schaut, was ankommt und dann das Programm<br />
entsprechend formuliert. Mein Grundsatz ist, man kann dem Volk aufs Maul schauen, aber<br />
man darf ihm nicht nach dem Mund reden.<br />
Indikator: Orientierung an Gegnern<br />
Lindner gibt an, dass eine Gegnerbeobachtung stattgefunden habe, allerdings nicht systematisch,<br />
weil dazu die finanziellen und personellen Ressourcen gefehlt hätten. Aus diesem Grund<br />
habe es auch keine Rapid-Response-Maßnahmen gegeben. Laut Lindner sei das Bewusstsein für<br />
die Notwendigkeit dieser Sache vorhanden und man werde das in kommenden Wahlkämpfen<br />
„professioneller machen.“<br />
Gab es Überlegungen oder hatten Sie Informationen, auf welche Themen und Aussagen die anderen<br />
Parteien insbesondere setzen würden? Wenn ja, haben diese Überlegungen zu einer Reaktion im Rahmen<br />
Ihrer Themenauswahl oder Betonung geführt?<br />
Lindner: Ja. Natürlich interagieren Parteien miteinander. Da wäre systematische und strategische
XLVIII<br />
Frühaufklärung notwendig gewesen, um genau zu analysieren, was die Wettbewerber machen. Eine<br />
solche Gegnerbeobachtung haben wir aber nur improvisieren können. Wir haben zu wenig Personal<br />
und Finanzkapazitäten gehabt, um zum Beispiel einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an dieses Projekt<br />
zu setzen. Man müsste dann ja eigentlich auch für jede Partei einen Referenten haben, der die Kampagnen<br />
der anderen begleitet und beobachtet. Das war nicht leistbar. Wir haben das auf der Ebene<br />
eines Praktikanten für alle Parteien machen müssen, mehr war nicht drin. Das heißt, wir haben das<br />
nicht systematisch machen können und wir haben auch nicht mit Rapid-Response arbeiten können, um<br />
die Argumente <strong>des</strong> Gegners sofort zu entkräften. Wir konnten auf Themen, die Gegner gesetzt haben,<br />
nicht so frühzeitig reagieren, wie es eigentlich im Rahmen einer professionellen Kampagne notwendig<br />
gewesen wäre. Dazu waren die Mittel diesmal nicht da. Ich habe die Funktion <strong>des</strong> Generalsekretärs<br />
auch erst Ende September [2004, red. Anmerkung] übernehmen können und habe die Kapazitäten so<br />
schnell nicht mehr zusammenstricken können. Sonst hätte man das vielleicht noch mit Ehrenamtlern<br />
und Freiwilligen machen können. Das Bewusstsein ist sicherlich vorhanden, in diesem Fall haben wir<br />
das aber nur improvisierend gelöst. Beim nächsten Mal werden wir das sicherlich professioneller machen.<br />
Indikator: Orientierung an Wählererwartungen<br />
Lindner erklärt, dass man von Potentialuntersuchungen ausgegangen sei, aus denen hervorgehe,<br />
dass ein Drittel der Grün-Wähler eine Zweitpräferenz für die FDP hätten. Diesem Potential<br />
habe man sich mit einer gesonderten Internetkampagne gewidmet. Lindner bezeichnet diese Art<br />
der Kampagnenführung als Below-the-Line-Maßnahmen. Auf eine diesbezügliche Nachfrage<br />
gibt Lindner an, dass man die hier zugrunde gelegte Zahl anhand einer dimap-Untersuchung<br />
verifiziert habe und sie bereits auch aus einer Nachwahlstudie zur Europawahl gekannt habe.<br />
Lindner erklärt ferner, dass man zur Überzeugung potentieller Grün-Wähler so genannte<br />
Testimonials eingesetzt habe.<br />
Gab es auch Themen oder Aussagen im Rahmen Ihrer Kampagne, die Sie vor allem <strong>des</strong>halb betont<br />
haben, damit sich auch Wähler angesprochen fühlen, die sonst vielleicht eher nicht dazu tendieren<br />
würden, die FDP zu wählen?<br />
Lindner: Ja. Aber nicht in der breiten Kampagne, sondern durch Below-the-Line-Maßnahmen, beziehungsweise<br />
durch eine Spezialkampagne im Internet. Da haben wir zum Beispiel die Webseite<br />
www.gelb-statt-gruen.de geschaltet, wo wir uns in ganz anderer Form mit den Wählern der Grünen<br />
auseinandergesetzt haben. Wir wissen aus Potentialuntersuchungen, dass in NRW ca. ein Drittel der<br />
Grün-Wähler eine Zweitpräferenz für die FDP hat, das sind ca. 300.000 Menschen.<br />
Woher stammt diese Zahl?<br />
Lindner: Aus einer repräsentativen Potentialanalyse im Rahmen einer dimap-Untersuchung. Beziehungsweise<br />
auch aus einer Wahlnachbefragung zur Europawahl 2004, wo diese Zahl schon einmal<br />
ermittelt worden ist. Deshalb haben wir uns in einer anderen Art und Weise mit den Grünen auseinandergesetzt.<br />
Wir haben in diesem Zusammenhang probiert, im Internet mit Argumenten zu arbeiten.<br />
Das heißt, die Seite, die man jetzt übrigens aufrufen kann, greift die zentralen Themen auf und stellt<br />
dar, was die Grünen wollen und was wir wollen. Sie geht also weg von polemischer Überheblichkeit,<br />
die ja wechselseitig auch stattgefunden hat, und hin zu einer argumentativen Auseinandersetzung.<br />
Dabei haben wir auch ehemalige Grüne, die jetzt in der FDP aktiv sind, als Testimonials gezeigt, so<br />
nach dem Motto: Der Kulturunterschied ist nicht so groß, wie man glauben könnte, oder wie glaubend<br />
gemacht wird.<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Für diese Dimension wird hinsichtlich <strong>des</strong> hier zu überprüfenden Konstruktes ein differenziertes<br />
Fazit gezogen. Zwar weisen zentrale Aussagen Lindners (beispielsweise sein Hinweis auf die<br />
Bedeutung so genannter Alleinstellungsmerkmale) auf eine mögliche <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
hin, andererseits widerspricht Lindner dieser Vermutung, in dem er zustimmt, dass seiner Partei<br />
die Entwicklung <strong>des</strong> Produktes oblag, und es im Folgenden vor allem um professionelle Verkaufsmaßnahmen<br />
gegangen sei, was eher einer Verkaufsorientierung, als einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
entspricht. Für die Gegnerbeobachtung gibt Lindner an, dass man sie aufgrund personeller<br />
Engpässe nur unzureichend habe wahrnehmen können. Bezüglich <strong>des</strong> Indikators „Orientierung<br />
an Wählererwartungen“ erklärt Lindner schließlich, dass es Potentialuntersuchungen<br />
gegeben habe, was wieder stärker dem Bild einer <strong>Marketing</strong>orientierung entspricht. Insgesamt<br />
ergibt sich somit ein nicht eindeutiges Bild, in dem einiges durchaus für eine <strong>Marketing</strong>orientierung,<br />
anderes jedoch deutlich für eine Verkaufsorientierung spricht.
XLIX<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Indikator: Auswahl <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Lindner führt aus, dass sich die Frage nach der Besetzung der Position <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
aus dem Lauf der Dinge heraus ergeben habe. Einen Gegenkandidaten habe es nicht gegeben.<br />
Lindner macht ferner darauf aufmerksam, dass die Wahl <strong>des</strong> Kandidaten nicht das Ergebnis<br />
rationalen Abwägens gewesen sei, man habe nicht ermittelt, wer beispielsweise die beste Wirkung<br />
erzielen könne.<br />
Dann komme ich jetzt auf die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Ingo Wolf zu sprechen. In welcher Weise<br />
wurde denn überhaupt bestimmt, wer die Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten übernimmt? Gab es im Vorfeld<br />
einen Auswahlprozess, oder war es von vornherein klar, wer antreten würde?<br />
Lindner: Das hat sich aus der Partei heraus ergeben. Dafür wurde nicht gecastet. Es war klar, dass der<br />
Lan<strong>des</strong>vorsitzende [Andreas Pinkwart, red. Anmerkung] das erste Zugriffsrecht hatte, der allerdings<br />
hatte andere Aufgabenvorstellungen für sich. Es gab daraufhin die pragmatische Überlegung, dass der<br />
führende Lan<strong>des</strong>politiker, der Fraktionsvorsitzende - auch angesichts der Möglichkeiten, die er in<br />
dieser Funktion hat - auch die Funktion <strong>des</strong> Spitzenkandidaten übernehmen soll. Es hat sich also aus<br />
dem Lauf der Dinge so ergeben.<br />
Gab es denn einen Gegenkandidaten?<br />
Lindner: Nein. Es gab keinen Gegenkandidaten. Es gab also, wenn ich das noch sagen darf, auch keine<br />
Untersuchung, wer den höchsten Bekanntheitsgrad hat, wer also die beste Wirkung erreichen könnte.<br />
Es gab keine Untersuchung dazu, wo die strategischen Angriffspunkte am geringsten waren und wo<br />
das Potential am größten. Dann hätte viel für den Lan<strong>des</strong>vorsitzenden Pinkwart gesprochen. Solche<br />
Untersuchungen gab es aber nicht. Wir haben nicht, wie die Grünen etwa, überlegt, "wir haben zwei<br />
Minister mit hohem Bekanntheitsgrad, das sind die Wirksamsten, also nehmen wir die".<br />
Indikator: Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Lindner gibt an, dass es im Vorfeld eine klare Entscheidung gegen eine Personalisierungskampagne<br />
gegeben habe, da man aus Wahlbefragungen wisse, dass die Person <strong>des</strong> Kandidaten im<br />
Fall der kleinen Parteien keine große Rolle spiele. Man habe eher aus Sachgründen - damit es<br />
nicht als Schwäche von Gegnern genutzt werden könne - als aus empfundener Notwendigkeit<br />
heraus den Kandidaten gezeigt.<br />
Im Vorfeld der Kampagne haben Sie sich ja bestimmt überlegt, in welcher Weise Ingo Wolf im Rahmen<br />
der Kampagne in Erscheinung treten sollte. Welche Faktoren waren dabei maßgeblich?<br />
Lindner: Wir haben von vornherein festgelegt - bzw. ich habe in der Anlage der Kampagne der Partei<br />
das so vorgeschlagen und das ist auch so bestätigt worden - keine Personalisierungskampagne zu machen.<br />
Wir wissen aus den Wahlnachbefragungen nach der Wahl 2000, wo wir ja mit Jürgen W. Möllemann<br />
ein sehr personalisiertes Szenario bei der FDP hatten, das trotzdem die Wähler eher aus Sachgründen<br />
und aus strategischen Gründen für die FDP votiert haben. Die Spitzenperson spielt traditionell<br />
bei den kleinen Parteien nicht die wesentliche Rolle, <strong>des</strong>halb haben wir uns auf Argumente konzentriert<br />
und die Person nur in der Vermittlung von Argumenten eingesetzt und präsentiert. Wir hätten<br />
Herrn Wolf sogar noch weniger gezeigt, wenn das nicht in der Interaktion mit den anderen Parteien zu<br />
Problemen geführt hätte. Die hätten dann gesagt, dass die FDP ihren Spitzenkandidaten verstecken<br />
wollte. Deshalb waren wir in der Verlegenheit, ihn zeigen zu müssen und wertvolle Plakatflächen<br />
dafür zu opfern, obwohl er keine zusätzliche Wirkung entfalten konnte, weil er nicht den Bekanntheitsgrad<br />
hatte. Die FDP ist aber eben auch keine Partei, die aus Personalgründen gewählt wird. Es<br />
war also nur in Vorwegnahme möglicher Reaktionen <strong>des</strong> Gegners, dass wir ihn gezeigt haben.<br />
Indikator: Bedeutung von Beratung und Recherchemaßnahmen<br />
Lindner will dazu keine Stellung beziehen und gibt lediglich an, dass es entsprechende Maßnahmen<br />
aus einem persönlichen Umfeld heraus gegeben habe. Eine Untersuchung bezüglich der<br />
strategischen Angriffspunkte negiert er allerdings an anderer Stelle im Interview.<br />
Man hört ja, dass Spitzenkandidaten in Wahlkämpfen heutzutage recht intensiv „gecoacht“ und unterstützt<br />
werden. Wie war das denn im Fall von Ingo Wolf? Ist er beraten worden?<br />
Lindner: Also, da will ich aus verschiedenen Gründen nicht allzu viel zu sagen. Soviel: Wir haben für<br />
alle wesentlichen Akteure im Landtagswahlkampf ein persönliches Umfeld geschaffen, wo beraten,<br />
unterstützt, gecoacht und qualifiziert worden ist.<br />
Lindner [an einer anderen Stelle im Interview]: Es gab also, wenn ich das noch sagen darf, auch keine<br />
Untersuchung, wer den höchsten Bekanntheitsgrad hat, wer also die beste Wirkung erreichen könnte.<br />
Es gab keine Untersuchung dazu, wo die strategischen Angriffspunkte am geringsten waren und wo<br />
das Potential am größten. Dann hätte viel für den Lan<strong>des</strong>vorsitzenden Pinkwart gesprochen. Solche<br />
Untersuchungen gab es aber nicht. Wir haben nicht, wie die Grünen etwa, überlegt, "wir haben zwei
L<br />
Minister mit hohem Bekanntheitsgrad, das sind die Wirksamsten, also nehmen wir die".<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Als zentral hinsichtlich der vorliegenden Dimension ist zunächst Lindners grundsätzliche Aussage,<br />
dass es eine klare Entscheidung gegen eine personalisierte Kampagne gegeben habe, zu<br />
werten. Es ist also im Fall der FDP von vorne herein schwierig, von einem Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
zu sprechen. Lindner erklärt weiter, dass dieser Entscheidung Überlegungen<br />
zugrunde gelegen haben, wonach der Spitzenkandidat für die Entscheidungen der potentiellen<br />
Wähler nicht von besonders großer Bedeutung sei. Diese Überlegungen sind durchaus als marketingkonform<br />
zu interpretieren. Auf die Frage nach der Bedeutung von Beratung und Coaching<br />
in diesem Zusammenhang wollte Lindner keine näheren Auskünfte geben. Hinsichtlich<br />
der Auswahl <strong>des</strong> Kandidaten beschreibt Lindner hingegen einen Prozess der bewusst produktorientierter<br />
Natur gewesen ist: Es habe sich aus dem Lauf der Dinge heraus so ergeben, man<br />
habe nicht untersucht, welche Person besonders geeignet sei.<br />
Dimension: Distributionspolitik<br />
Indikator: Verteilung <strong>des</strong> Budgets auf Kommunikationskanäle<br />
Lindner gibt an, dass zum einen Erfahrungswerte, zum anderen Prioritäten aus der Partei, sowie<br />
auch die Knappheit der Ressourcen den Ausschlag zu Verteilung der Mittel gegeben hätten.<br />
Grundpräsenz habe die FDP durch Außenwerbung herstellen wollen. Dafür sei, so Lindner,<br />
rund ein Drittel <strong>des</strong> Budgets aufgewendet worden. Bei den Plakaten habe man bewusst auf abstrakte<br />
Bildwelten verzichtet und statt<strong>des</strong>sen Textbotschaften vor gelbem Hintergrund platziert.<br />
Eine weitere Priorität habe man in der Multiplikation über Medien gesehen, denn dort sei die<br />
Wirksamkeit am größten. Das dritte Standbein habe schließlich die direkte Kommunikation mit<br />
dem Wähler gebildet, hier habe man sich zum einen auf das Internet konzentriert, zum anderen<br />
habe man im Rahmen von Targeting auf die direkte Ansprache bestimmter Wähler gesetzt.<br />
Diese Wähler habe man mit Hilfe von Daten aus der Werbewirkungsforschung ermittelt. Dazu<br />
habe die FDP Datenmaterial (konkret: Adressen) käuflich erworben und diese im Wahlkampf<br />
verwendet.<br />
Im Rahmen Ihrer Kampagne wurde ja über unterschiedliche Kommunikationskanäle mit dem Wähler<br />
kommuniziert. Da gab es zum Beispiel die öffentlichen Auftritte <strong>des</strong> Kandidaten, Seiten im Internet<br />
oder Plakate vor Ort. Aufgrund welcher Prämissen haben Sie denn die finanziellen Mittel <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong><br />
auf die verschiedenen Kanäle aufgeteilt?<br />
Lindner: Es gibt erstens natürlich Erfahrungswerte, zweitens haben wir unsere Prioritäten festlegen<br />
müssen, weil wir sehr knappe Ressourcen hatten. Da war es erstens wichtig, eine Grundpräsenz der<br />
FDP durch Außenwerbung herzustellen, um Awareness darzustellen, damit die FDP nicht abfällt gegenüber<br />
den Mitbewerbern. Deshalb war ein großer Budgetposten - etwa ein Drittel - die Außenwerbung.<br />
Dabei haben wir bewusst auf abstrakte Bildwelten verzichtet, und vor gelben Hintergrund Textbotschaften<br />
platziert, um allein durch die gelbe Strahlkraft der Plakate die Botschaft zu signalisieren,<br />
das hier ist die FDP, es gibt uns, wir sind keine Sekte. Zweite Priorität war es, möglichst viel Multiplikation<br />
über Medien zu erreichen, denn da ist die Wirksamkeit am größten. Deshalb haben wir die<br />
Berichterstattung durch Großveranstaltungen, und aber auch durch viele regionale Veranstaltungen,<br />
die die Lokalpresse erreichen sollten, angestrebt. Und zum Dritten gab es dann die direkte Wähleransprache.<br />
Hier haben wir uns erstens auf das Internet konzentriert, als Kanal der auch einen Dialog<br />
ermöglicht und zweitens - und das war ebenfalls ein großer Posten im Budget - haben wir die Wähler<br />
direkt angeschrieben, durch zielgruppenspezifische Mailings, bezogen zum Beispiel auf bestimmte<br />
Berufsgruppen, und auch durch spezielle Verteilaktionen in Wahlkreisen oder Straßenzügen innerhalb<br />
von Wahlkreisen, in denen die Wahrscheinlichkeit, dass für die FDP votiert wird am höchsten ist. Wir<br />
nennen das Targeting. Man kann ja aus der gewichteten Darstellung unterschiedlicher Wahlergebnisse<br />
bis auf das Wahllokal herunter feststellen, wo es Sinn macht, einen Euro einzusetzen. Und wenn man<br />
diese Targeting-Methode noch kreuzt mit den Daten der Werbewirkungsforschung, die bekannt sind,<br />
also dass zum Beispiel in einem Straßenzug die Wahrscheinlichkeit, dass man BMW fährt höher ist als<br />
im Straßenzug daneben, und das dann zusammenbringt, dann bekommt man ganz gute Ergebnisse.<br />
Werberwirkungsforschung? Was für Daten sind das, wo kommen die her?<br />
Lindner: Diese Daten kann man kaufen.<br />
Und das haben Sie gemacht?<br />
Lindner: Ja. Leider nicht in der Detailtiefe, in der ich es mir gewünscht hätte, aus Budgetgründen, aber<br />
wir haben das vielfach gemacht.
Indikator: Unterstützung der lokalen Einheiten<br />
Lindner bejaht, dass es individuelle Handlungsempfehlungen für regionale Parteigliederungen<br />
gegeben hat. Dies sei sowohl bei der Streuung der Großflächenplakate, als auch bei Verteilaktionen<br />
der Fall gewesen.<br />
Gab es im Rahmen der Kampagnenplanung Analysen über regionale Besonderheiten bei vergangenen<br />
Wahlen? Gab es daraus resultierend seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auch individuelle Handlungsempfehlungen<br />
für einzelne Stadt- oder Kreisverbände?<br />
Lindner: Absolut, ja. Wir haben sowohl die Streuung der Großflächenplakate, als auch die Verteilaktionen<br />
nicht mit der Gießkanne vorgenommen, sondern haben gezielt in Schwerpunktwahlkreisen Großflächen<br />
aufgestellt und in gezielt ausgesuchten Wahlkreisen zum Schluss noch einmal für eine Verteilaktion<br />
gesorgt.<br />
Lindner [an einer anderen Stelle im Interview]: Dritten gab es dann die direkte Wähleransprache. Hier<br />
haben wir uns erstens auf das Internet konzentriert, als Kanal der auch einen Dialog ermöglicht und<br />
zweitens - und das war ebenfalls ein großer Posten im Budget - haben wir die Wähler direkt angeschrieben,<br />
durch zielgruppenspezifische Mailings, bezogen zum Beispiel auf bestimmte Berufsgruppen,<br />
und auch durch spezielle Verteilaktionen in Wahlkreisen oder Straßenzügen innerhalb von Wahlkreisen,<br />
in denen die Wahrscheinlichkeit, dass für die FDP votiert wird am höchsten ist. Wir nennen<br />
das Targeting. Man kann ja aus der gewichteten Darstellung unterschiedlicher Wahlergebnisse bis auf<br />
das Wahllokal herunter feststellen, wo es Sinn macht, einen Euro einzusetzen. Und wenn man diese<br />
Targeting-Methode noch kreuzt mit den Daten der Werbewirkungsforschung, die bekannt sind, also<br />
dass zum Beispiel in einem Straßenzug die Wahrscheinlichkeit, dass man BMW fährt höher ist als im<br />
Straßenzug daneben, und das dann zusammenbringt, dann bekommt man ganz gute Ergebnisse.<br />
Indikator: Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges<br />
Lindner erörtert, dass man sich gegenwärtig in der Auswertung <strong>des</strong> Wahlkampfes befinde und<br />
diesen Prozess Ende 2006 abschließen wolle. Er begründet diese Dauer zum einen mit knappen<br />
personellen Ressourcen, zum anderen sei es zu einem Zeitraum, der lange nach der Wahl liege,<br />
kostengünstiger, demoskopische Daten von den Instituten zu bekommen. Ferner habe man einen<br />
12-seitigen Fragebogen entworfen, mit dem man sich an regionale Parteigliederungen und Direktkandidaten<br />
richte und die Wirkung der Kampagne und eine Beurteilung <strong>des</strong> Services <strong>des</strong><br />
Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> abfrage. Ferner gibt Lindner an, dass man derzeit mit einer qualitativen Medienanalyse<br />
für den Zeitraum <strong>des</strong> Landtagswahlkampfes beschäftigt sei.<br />
Haben Sie sich mit dem Erfolg der Kommunikation über die einzelnen Kanäle, die Sie im Wahlkampf<br />
genutzt haben, nach der Wahl beschäftigt? Gab es eine Evaluation <strong>des</strong> Erfolges?<br />
Lindner: Ja. Damit sind wir gerade jetzt beschäftigt. Wir haben diesbezüglich auch, für die FDP zumin<strong>des</strong>t,<br />
neue Methoden eingeleitet. Erstens befragen wir mit einem umfangreichen, 12seitigen Fragenkatalog<br />
alle Parteigliederungen und alle Kandidaten, wie sie den Service der Lan<strong>des</strong>partei und die<br />
Wirkung der Kampagne selbst eingeschätzt haben. Zweitens wird gerade hier nebenan von einer Praktikantin<br />
eine detaillierte Chronologie der Landtagswahl in der Medienberichterstattung, so eine Art<br />
Mini-Qualitative-Medienanalyse, mit den Maßnahmen die wir gemacht haben und den Maßnahmen<br />
der Mitbewerber erstellt, um dann zu schauen, wie haben wir uns mit unseren Aktionen platziert, und<br />
zum Dritten, allerdings werden wir da erst zum Ende diesen Jahres einsteigen, wollen wir uns mit den<br />
demoskopischen Aspekten beschäftigen. Wenn wir ein bisschen weiter weg sind vom Wahltag, kommen<br />
wir nämlich günstiger an die Ergebnisse der Institute ran. Auf der Grundlage wollen wir dann<br />
eine neue Strategie entwickeln, zum einen für die Kommunikation in der laufenden Legislaturperiode<br />
und zum zweiten für die Bun<strong>des</strong>tagswahl 2009 und die Landtagswahl 2010 hier in NRW. Das läuft<br />
also systematisch ab. Mein Ziel ist, dass wir strategische Ableitungen aus dem Wahlkampf irgendwann<br />
Ende 2006 ziehen können. So lange wird es dauern, um das Ganze aufzuarbeiten, neben dem<br />
Tagesgeschäft, angesichts der knappen Personalressourcen, die wir gegenwärtig haben.<br />
Fazit Dimension Distributionspolitik<br />
Wenn man über die Informationen blickt, die in diesem Kontext subsumiert worden sind, fällt<br />
das Urteil recht eindeutig aus. Die FDP hat, soweit dies auf der Basis der hier vorliegenden Informationen<br />
beurteilt werden kann, hinsichtlich der drei Indikatoren, die hier angeführt werden,<br />
die aus einer <strong>Marketing</strong>orientierung resultierenden Erwartungshaltung durchaus erfüllt:<br />
Lindner führte aus, dass man eine Fülle strategischer Überlegungen bei der Verteilung <strong>des</strong> Budgets<br />
zugrunde gelegt, regional individuelle Handlungsempfehlungen ausgesprochen und schließlich<br />
auch diverse Maßnahmen zur Erfolgskontrolle ergriffen habe.<br />
LI
Dimension: Segmentierung und Targeting<br />
Indikator: Bildung von Zielgruppen<br />
Lindner gibt an, dass man sich im Wahlkampf konkret an bestimmte Zielgruppen gewendet<br />
habe. Zum einen benennt er in diesem Zusammenhang formal hoch Gebildete, zum anderen<br />
Selbstständige und freiberuflich Tätige. Auf die Frage, woher das diesbezügliche Wissen resultiere,<br />
gab Lindner an, dass sich diese Erfahrungen zum einen aus der Tradition heraus erklären<br />
ließen, zum anderen aber auch durch Untersuchungsergebnisse belegt seien.<br />
Sie haben ja bereits angedeutet, dass sie bestimmte Zielgruppen unterschieden haben. Auf welcher<br />
Basis haben Sie entscheiden, wie die Zielgruppen sich zusammensetzen?<br />
Lindner: Wir wissen aus der Tradition, dass die Wahrscheinlichkeit, Grün oder Gelb zu wählen, mit<br />
dem Grad <strong>des</strong> letzten Bildungsabschlusses steigt. Zum anderen wissen wir, dass berufliche Selbstständigkeit<br />
oder freiberufliche Tätigkeit ebenfalls einen zusätzlichen Faktor bedeuten können. Man kann<br />
also sagen, dass jemand, der selbstständig tätig ist und einen akademischen Abschluss hat, überproportional<br />
häufig die FDP wählt.<br />
Woher wissen Sie das?<br />
Lindner: Aus allen Untersuchungen in der Tradition. Und auch aus der Intuition. Das hat sich auch<br />
jetzt bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl bestätigt. In der Nachbefragung, bei den Exit-Polls, ist ermittelt worden,<br />
dass 19,5 Prozent der Selbstständigen die FDP gewählt haben.<br />
Indikator: Prämissen für ihre gezielte Ansprache<br />
Lindner erklärt, man wisse, dass die FDP bei den Selbstständigen überproportional viel Erfolg<br />
habe. Ferner steige die Wahrscheinlichkeit, Gelb oder Grün zu wählen, mit der Höhe <strong>des</strong> Bildungsabschlusses.<br />
Auf dieser Basis habe die FDP Zielgruppen gebildet, entsprechende Adressdaten<br />
gekauft und 250.000 Direct Mailings verschickt. Ferner habe man den regionalen Parteistrukturen<br />
Musterbausteine für eine zielgruppengerechte Adressierung angeboten. An einer<br />
anderen Stelle im Interview gibt Lindner außerdem an, regional spezifische Targeting-<br />
Maßnahmen ergriffen zu haben. Zudem weißt Lindner darauf hin, dass man sich auch gezielt<br />
um die Besetzung von Nischenthemen bemüht habe und nennt in diesem Zusammenhang das<br />
Beispiel „Sonntagsöffnung der Videotheken“.<br />
Selbstständig ist ein dehnbarer Begriff. Das kann jemand sein der eine Pommesbude hat, oder einen<br />
Frisörsalon oder eine Zahnarztpraxis.<br />
Lindner: Ja natürlich. Absolut. Wir wissen zunächst, dass wir bei den Selbstständigen überproportional<br />
viel Erfolg haben. Und, je höher der Bildungsabschluss ist, <strong>des</strong>to höher ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
Gelb oder Grün zu wählen. Das zusammengenommen erlaubt es nun - mit knappen Mitteln und unter<br />
Berücksichtigung <strong>des</strong> Datenschutzes - bestimmte Zielgruppen zu bilden, die man adressieren kann.<br />
Zum Beispiel wird daraus deutlich, dass Ärzte und Apotheker, selbstständig tätige Rechtsanwälte,<br />
Ingenieurbüros und andere Einzelunternehmer und Freiberufler - im Sinne von beratenden Betriebswirten<br />
- für uns eine besonders interessante Zielgruppe sind. Und solche Daten kann man bei Adressverlagen<br />
gesondert kaufen. Die sind nach Berufsgruppen sortiert und nicht nach Bildungsabschlüssen.<br />
Deshalb haben wir uns behelfsmäßig bei den Direct Mailings so organisiert.<br />
Wie viele Direct Mailings haben Sie denn während der Landtagswahlkampfes rausgeschickt?<br />
Lindner: Etwa eine Viertel Million.<br />
Lindner [an einer anderen Stelle im Interview]: Dritten gab es dann die direkte Wähleransprache. Hier<br />
haben wir uns erstens auf das Internet konzentriert, als Kanal der auch einen Dialog ermöglicht und<br />
zweitens - und das war ebenfalls ein großer Posten im Budget - haben wir die Wähler direkt angeschrieben,<br />
durch zielgruppenspezifische Mailings, bezogen zum Beispiel auf bestimmte Berufsgruppen,<br />
und auch durch spezielle Verteilaktionen in Wahlkreisen oder Straßenzügen innerhalb von Wahlkreisen,<br />
in denen die Wahrscheinlichkeit, dass für die FDP votiert wird am höchsten ist. Wir nennen<br />
das Targeting. Man kann ja aus der gewichteten Darstellung unterschiedlicher Wahlergebnisse bis auf<br />
das Wahllokal herunter feststellen, wo es Sinn macht, einen Euro einzusetzen. Und wenn man diese<br />
Targeting-Methode noch kreuzt mit den Daten der Werbewirkungsforschung, die bekannt sind, also<br />
dass zum Beispiel in einem Straßenzug die Wahrscheinlichkeit, dass man BMW fährt höher ist als im<br />
Straßenzug daneben, und das dann zusammenbringt, dann bekommt man ganz gute Ergebnisse.<br />
War das alles [alle Direct Mails] zentral über den Lan<strong>des</strong>verband organisiert?<br />
Lindner: Das Gros ging sicher über den Lan<strong>des</strong>verband, wir haben daneben aber auch Mustertextbausteine<br />
und Briefe für unterschiedliche Berufsgruppen oder andere gesellschaftliche Gruppen, etwa<br />
Vorsitzende von Sportvereinen, in einen internen Bereich unseres Intranets - das mussten wir erst noch<br />
schaffen, das gab es bisher nicht bei der NRW-FDP - eingestellt.<br />
Lindner [an einer anderen Stelle im Interview]: Eine weitere Maßnahme war zum Beispiel die Unterstützung<br />
der Volksinitiative zur Sonntagsöffnung der Videotheken, wo man dann auch in diesem Um-<br />
LII
feld gezielt für die FDP geworben hat. Das trifft dann zwar keine spezielle soziodemografische Zielgruppe,<br />
aber wir haben die Nutzer in einer alltagsästhetischen Umgebung abgeholt und deutlich gemacht,<br />
'für dieses Thema setzt sich nur die FDP ein'.<br />
Indikator: Welche Informationen lagen dafür zugrunde?<br />
Lindner erklärt, dass die Informationen, die der Bildung von Zielgruppen zugrunde gelegt worden<br />
sind, zum einen aus Untersuchungen, zum anderen aus der Tradition und aus der Intuition<br />
stammen. Für die Adressierung in den Segmenten habe man Adressdaten gekauft.<br />
Sie haben ja bereits angedeutet, dass sie bestimmte Zielgruppen unterschieden haben. Auf welcher<br />
Basis haben Sie entscheiden, wie die Zielgruppen sich zusammensetzen?<br />
Lindner: Wir wissen aus der Tradition, dass die Wahrscheinlichkeit, Grün oder Gelb zu wählen, mit<br />
dem Grad <strong>des</strong> letzten Bildungsabschlusses steigt. Zum anderen wissen wir, dass berufliche Selbstständigkeit<br />
oder freiberufliche Tätigkeit ebenfalls einen zusätzlichen Faktor bedeuten können. Man kann<br />
also sagen, dass jemand, der selbstständig tätig ist und einen akademischen Abschluss hat, überproportional<br />
häufig die FDP wählt.<br />
Woher wissen Sie das?<br />
Lindner: Aus allen Untersuchungen in der Tradition. Und auch aus der Intuition. Das hat sich auch<br />
jetzt bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl bestätigt. In der Nachbefragung, bei den Exit-Polls, ist ermittelt worden,<br />
dass 19,5 Prozent der Selbstständigen die FDP gewählt haben.<br />
Selbstständig ist ein dehnbarer Begriff. Das kann jemand sein der eine Pommesbude hat, oder einen<br />
Frisörsalon oder eine Zahnarztpraxis.<br />
Lindner: Ja natürlich. Absolut. Wir wissen zunächst, dass wir bei den Selbstständigen überproportional<br />
viel Erfolg haben. Und, je höher der Bildungsabschluss ist, <strong>des</strong>to höher ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
Gelb oder Grün zu wählen. Das zusammengenommen erlaubt es nun - mit knappen Mitteln und unter<br />
Berücksichtigung <strong>des</strong> Datenschutzes - bestimmte Zielgruppen zu bilden, die man adressieren kann.<br />
Zum Beispiel wird daraus deutlich, dass Ärzte und Apotheker, selbstständig tätige Rechtsanwälte,<br />
Ingenieurbüros und andere Einzelunternehmer und Freiberufler - im Sinne von beratenden Betriebswirten<br />
- für uns eine besonders interessante Zielgruppe sind. Und solche Daten kann man bei Adressverlagen<br />
gesondert kaufen. Die sind nach Berufsgruppen sortiert und nicht nach Bildungsabschlüssen.<br />
Deshalb haben wir uns behelfsmäßig bei den Direct Mailings so organisiert.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> der Zielgruppenkommunikation<br />
Lindner bezeichnet die Kommunikation mit Zielgruppen zwar als wichtig, gibt jedoch gleichwohl<br />
an, dass speziell die Direct Mailings nicht ausschlaggebend für das Wahlergebnis gewesen<br />
seien, in diesem Zusammenhang hätten die klassischen Elemente Außenwerbung und Medienarbeit<br />
den entscheidenden Ausschlag gegeben.<br />
Sie haben es jetzt schon angedeutet: Meine nächste Frage wäre gewesen, welchen Stellenwert diese<br />
Zielgruppen bei der Planung der Kampagne hatten?<br />
Das war wichtig. Aber wir haben 500.000 Wähler und wir haben 250.000 Direct Mailings verschickt.<br />
Wenn man sagt, dass ein Fünftel gar nicht erst zur Wahl gegangen ist, sind 50.000 direkte Adressaten<br />
weg, dann sind wir bei 200.000 und von denen ist dann ein Drittel für die FDP erreichbar. Das heißt,<br />
wir reden über gut 64-65.000 Personen. Das heißt, für das Wahlergebnis war das Direct Mailing nicht<br />
entscheidend, da sind dann doch eher die klassischen Wege der politischen Kommunikation - Außenwerbung<br />
plus Medienberichterstattung - entscheidend.<br />
Fazit Segmentierung und Targeting<br />
Obwohl die Beurteilung der ergriffenen Maßnahmen im Bereich von Segmentierung und Targeting<br />
von Lindner nur als „wichtig unter anderen“ eingeschätzt werden, kann auf der Basis der<br />
Informationen, die in diesem Zusammenhang subsumiert worden sind, geurteilt werden, dass<br />
den fraglichen Anforderungen, die eine Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen in diesem Bereich<br />
mit sich bringen würde, insgesamt dennoch entsprochen worden zu sein scheint. Lindner gibt<br />
diesbezüglich an, dass einzelne Segmente gezielt ausgewählt und angesprochen wurden. Diesem<br />
Prozess habe eine Fülle strategischer Überlegungen zugrunde gelegen, die schließlich im Erwerb<br />
von Adressen und dem Versenden einer großen Anzahl von zielgruppenspezifischen Direct Mailings<br />
gipfelte. Ferner habe es regional spezifische Targeting-Maßnahmen gegeben, aus denen<br />
zum Beispiel Handlungsempfehlungen für bestimmte Straßenzüge hervorgegangen seien.<br />
LIII
Dimension: Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Indikator: Begriffliche Bedeutung<br />
Lindner setzt sich mit dem <strong>Marketing</strong>begriff eher kritisch auseinander. Wie er den Begriff genau<br />
deutet wird nicht ersichtlich. Er gibt an, dass man einige Aspekte zwar übernehmen könne,<br />
äußert allerdings auch gewisse ethische Bedenken. <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> sei eine Disziplin sui<br />
generis, erklärte Lindner in diesem Zusammenhang.<br />
Wenn Sie jetzt einmal ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden<br />
Sie dabei mit dem Begriff <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Lindner: Ich hege eine gewisse Skepsis, den Begriff dort einzusortieren. Politische Kommunikation ist<br />
komplizierter, als dass man sie auf den Begriff <strong>Marketing</strong>, Markenführung oder Public Relations reduzieren<br />
könnte. Das ist sehr viel schwieriger. Unsere Agentur hat auch gerne davon gesprochen, dass<br />
diese Formel „Das neue NRW“, mit der wir als Überschrift geworben haben, eine politische Marke<br />
beziehungsweise ein politischer Markenartikel gewesen sei. Ich glaube, diese Assoziation führt eher in<br />
die Irre, denn diese Verbindung zur Markenführung klappt auch systematisch nicht, von der wissenschaftlichen<br />
Definition einmal abgesehen. Insofern gibt es unterschiedliche Instrumente der politischen<br />
Kommunikation, die sich rekrutieren aus der klassischen PR, dem <strong>Marketing</strong> und Unterbereichen<br />
wie zum Beispiel Eventmarketing. Trotzdem ist <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> eine Disziplin sui generis.<br />
Alleine aus Gründen der Politischen Kultur verbieten sich bestimmte Maßnahmen, die man vielleicht<br />
in der klassischen Werbung vornehmen würde, auch all die Maßnahmen, die ich angedeutet habe -<br />
Direct Mailings und so weiter - sind ja heikel. Die Leute wollen ja in Deutschland nicht so direkt von<br />
Parteien angesprochen werden, <strong>des</strong>halb ist das alles mit einer gewissen Vorsicht zu sehen. Ich würde<br />
also sagen, <strong>Marketing</strong> spielt eine gewisse Rolle, entscheidend ist aber, dass die politische Substanz<br />
stimmt.<br />
Indikator: Angemessenheit und Legitimität von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Aus den Antworten Lindners zu diesem Kontext darf gefolgert werden, dass er <strong>Marketing</strong>, wie<br />
es im Rahmen der vorliegenden Arbeit definiert worden ist, zwar für zielführend, allerdings für<br />
ethisch bedenklich hält.<br />
Ist es aus der Sicht einer Partei vor der Wahl im Sinne eines guten Ergebnisses zielführend, alle Informationen<br />
über die Erwartung potentieller Wähler in den Mittelpunkt der Kampagnenplanung zu<br />
stellen und das politische Angebot, also die Präsentation <strong>des</strong> Kandidaten oder die Positionierung der<br />
Partei, hinsichtlich relevanter Sachfragen danach auszurichten? Sie haben es ja eben schon angedeutet,<br />
dass es zwar zielführend sein kann, aber nicht legitim ist?<br />
Lindner: Ganz genau.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Lindner verdeutlicht hier erneut, dass aus seiner Sicht eine gewisse Prinzipienfestigkeit vor einer<br />
reinen Verkaufsorientierung stehe. Er pflichtet der Aussage bei, dass es der FDP darum<br />
ginge, zwar sehr professionell den Verkauf ihres Produktes zu betreiben, die Entwicklung <strong>des</strong><br />
Produktes aber schon im eigenen Ermessen zu halten. Die Entwicklung <strong>des</strong> politischen Angebotes<br />
seiner Partei beschreibt Lindner insgesamt als komplexen Prozess, in dem auch die Rückkopplung<br />
mit dem Wählerwillen eine Rolle gespielt habe.<br />
Würden Sie sagen, dass so etwas in der Realität stattfindet zum Beispiel hier im Landtagswahlkampf?<br />
Hatten Sie das Gefühl, dass einige Parteien dieser Prämisse gefolgt sind?<br />
Lindner: Ja, das ist natürlich immer schwierig zu entscheiden, was da Henne, und was Ei ist. Politische<br />
Willensbildung soll sich ja auch vollziehen in Rückkopplung mit Wählerwillen. Insofern ist das sehr<br />
schwierig. Die eigene Überzeugung, Meinungsbildung, politische Formulierung ist ja geprägt dadurch,<br />
dass man Wissen aufnimmt, aggregiert und neu ordnet. Zu diesem Wissen gehört das Wissen um<br />
Sachfragen, aber auch das Wissen darum, was gewünscht ist in der Bevölkerung. Ich will es an einem<br />
Beispiel deutlich machen: Gewünscht in der Bevölkerung ist ein Steuersystem, das den deutschen<br />
Maßstäben von Gerechtigkeit genügt. International sachlich geboten wäre eine Flat Tax im Steuerwettbewerb,<br />
da braucht man ja nur mal über die Grenzen zu schauen. Daraufhin haben wir dann gesagt,<br />
okay, machen wir ein Stufenmodell, das eine steigende steuerliche Belastung vorsieht, aber nicht<br />
mehr eine linear progressive, sondern nur noch eine stufenweise Belastung, was das Steuersystem<br />
vereinfacht. Insofern kann man nicht chinesische Mauern ziehen - hier informiere ich mich, was die<br />
Menschen wollen, und hier kümmere ich mich nur um Sachfragen - und danach führe ich das Ganze<br />
zusammen. Es ist ein komplexer Prozess, der sich da vollzieht. Erst dann, wenn man vorsätzlich die<br />
eigene Überzeugung danach ausrichtet, wie sie ankommt, dann ist, glaube ich, die Grenze überschritten<br />
zwischen Überzeugung auf der einen Seite und reinem Verkaufen auf der anderen.<br />
LIV
Es gibt ja Autoren in der Politikwissenschaft, die sagen, Parteien handeln heute eine marketingorientiert,<br />
das heißt, sie gucken, was will der Wähler und ...<br />
Lindner: Professionelle Wählerparteien<br />
...und richten ihr Produkt danach aus. Das ist etwas Anderes, als hinzugehen und aufgrund eigener<br />
Kapazitäten ein Produkt zu entwickeln und sich dann zu überlegen, wie verkaufe ich das. Ihre These<br />
wäre es also eher, dass Parteien und speziell die FDP zwar sehr professionell den Verkauf ihres Produktes<br />
betreiben, dass sie die Entwicklung <strong>des</strong> Produktes aber schon noch selber steuern und nicht<br />
nach <strong>Marketing</strong>prämissen schauen, was will der Wähler?<br />
Lindner: Ja. Diese These würde ich mir zu Eigen machen, wobei hier jetzt natürlich sehr trennscharf -<br />
da nur verkaufen und da Prinzipienfestigkeit - unterschieden wurde. Auch das ist nicht die Realität. In<br />
der Realität vollzieht sich ja alles in einem iterativen Prozess: Man hat Rückkopplungen von einer<br />
Landtagswahl mit einer bestimmten politischen Agenda, die daneben gegangen ist, so dass man beim<br />
nächsten Mal anders akzentuiert, und vielleicht bestimmte Fragen auch in der Vermittlung anders<br />
betont. Es ist ja die Aufgabe von Parteien, die Stimmungen, die in der Bevölkerung vorherrschen,<br />
abzubilden. Insofern ist es falsch, was manche Autoren für ein pessimistisches Politikbild haben. Genauso<br />
naiv wäre es aber zu glauben, dass diese Überlegungen der Vermittelbarkeit und der Akzeptanz<br />
in der Bevölkerung völlig ausgeblendet werden. Das wäre so ein Honoratiorenverständnis von Politik,<br />
das mit Sicherheit auch nicht realistisch ist. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, aber eher näher<br />
bei der Prinzipienfestigkeit als bei der reinen Verkaufsorientierung.<br />
Fazit Dimension Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Für diese Dimension ergibt sich somit erneut ein durchwachsenes Bild: Aus seinen Antworten<br />
kann zwar gefolgert werden, dass seine Bedeutungszuweisung in etwa der hier zugrunde liegenden<br />
entspricht, davon ausgehend sind seine Antworten jedoch unmissverständlich: Verkaufsorientierung<br />
ja, <strong>Marketing</strong>orientierung allenfalls in Grenzen. Diese zu überschreiten, hält er aus<br />
ethischen Gründen für problematisch. Lindner argumentiert, dass sich Wahlkampfplanung<br />
diesbezüglich in einem iterativen Prozess vollziehe und die Wahrheit „irgendwo dazwischen“,<br />
aber eher bei der Prinzipienfestigkeit als bei der reinen Verkaufsorientierung liege. Für die<br />
vorliegende Dimension kann somit keine bewusste Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen gefolgert<br />
werden. Lindner ordnet die Kampagnenplanung einer Partei auf dem Kontinuum Produktorientierung,<br />
Verkaufsorientierung, <strong>Marketing</strong>orientierung zwischen Produkt und Verkaufsorientierung,<br />
mit tendenziell stärkerer Nähe zur Produktorientierung ein. Diese Selbsteinschätzung<br />
wird nicht durch die hier vorgenommene Beurteilung der vorangegangenen, impliziten<br />
Dimensionen gestützt.<br />
LV
LVI<br />
A3.2) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Hans-Joachim Reck, CDU NRW<br />
Dimension: Kommunikationspolitik<br />
Indikator: Ziele der Kampagnenkommunikation<br />
Reck gibt an, dass sich Kommunikationsziele seiner Auffassung nach in innere und äußere<br />
Kommunikationsziele unterteilen ließen. Der CDU NRW sei es konkret darum gegangen, thematische<br />
Kernbotschaften zu setzen und auch den Spitzenkandidaten entsprechend zu vermitteln.<br />
Reck beschreibt die Kampagnenplanung insgesamt als professionell. Er habe die Kampagne<br />
nicht verwaltet sondern gemanagt. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch die Schaffung<br />
einer Wahlkampfkultur gewesen, um die vielen ehrenamtlichen Helfer adäquat einbinden zu<br />
können.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Wahlkampagne für die vergangene Landtagswahl zurückdenken, worin,<br />
würden Sie sagen, lagen die zentralen Kommunikationsziele, die Sie im Rahmen Ihrer Kampagne<br />
verfolgt haben?<br />
Reck: Die zentralen Kommunikationsziele lagen darin, dass wir drei Elemente deutlich machen wollten:<br />
Wir wollten auf jeden Fall, was die äußere Kommunikation angeht, über eine Bilanzkampagne die<br />
wesentlichen Kernbotschaften <strong>des</strong> Angriffs rüberbringen. Wir wollten gleichzeitig unsere Kompetenz<br />
rüberbringen und drittens natürlich in der Endphase den Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers entsprechend<br />
vermitteln. Aber die Reduktion auf Kommunikationsziele - wenn ich das zur Kampagne einmal sagen<br />
darf - die ist mir zu reduziert. Ich weiß nicht, wie das Gespräch im Weiteren verlaufen soll, aber ich<br />
sage Ihnen jetzt gleich zu Beginn etwas, was aus meiner Sicht für die gesamte Grundanlage der Kampagne<br />
wichtig war: Wir haben die Wahlen, und das war ein historischer Wahlsieg für die CDU nach<br />
39 Jahren, <strong>des</strong>halb gewonnen, weil wir erstmals in der Geschichte der Partei auch ein professionelles<br />
Kampagnenmanagement geführt haben. Ich habe diese Kampagne nicht statisch verwaltet, sondern<br />
wir haben sie gemanagt. Wahlkämpfe sind ja etwas Hochkomplexes. Es ist, wenn Sie es so wollen, ein<br />
Großprojekt gewesen. Und da sind die Kommunikationsziele schon ganz entscheidend, aber als Einstieg<br />
in ein solches Interview ist die Reduktion auf die Kernziele doch ein wenig verkürzt. Wenn man<br />
über eine Kampagne spricht, gibt es - das werden wir gleich im Gespräch sicherlich noch vertiefen -<br />
eigentlich zwei wesentliche Kommunikationselemente: Die innere Kommunikation und die äußere<br />
Kommunikation. Das, was wir in der äußeren Kommunikation erreichen wollten, in insgesamt drei<br />
Phasen <strong>des</strong> Wahlkampfes, habe ich Ihnen gerade erläutert und das können wir ja gleich inhaltlich noch<br />
vertiefen. Aber die Kampagne hat bei uns mit einem ganz starken, auch sehr fokussiert vorangetriebenen<br />
Element der inneren Kommunikation begonnen, die bezogen auf die Landtagswahl schon eingebettet<br />
war in die Phase der Europawahl und der Kommunalwahl. Wenn man über Kommunikationsziele<br />
spricht, muss man übrigens meiner Ansicht nach auch über Kommunikationsmittel reden. Ich habe<br />
Ihnen ja schon gesagt, wir haben diese Wahl gemanagt. Was wirklich neu war an dieser Kampagne -<br />
und das werde ich Ihnen in weiteren Seminaren über diese historische Kampagnenführung auch immer<br />
wieder sagen: wir haben eine neue Kampagnenkultur entwickelt. Das Thema Unternehmenskultur ist<br />
ja ein sehr wichtiges Thema. Das wird von Außenstehenden oder von mittelständischen Strukturen<br />
häufig nicht verstanden. In Großunternehmen ist das etwas sehr Wichtiges. Und wenn Sie ein Großprojekt<br />
leiten, wie eine solche Kampagne, zumal wenn Sie das in semi-professionellen Strukturen tun,<br />
ist das unglaublich wichtig. In der CDU sind die meisten Helfer ehrenamtlich tätig. Deshalb haben wir<br />
einen besonderen Fokus auf die Entwicklung einer entsprechenden Wahlkampfkultur, einer Managementkultur<br />
für den Wahlkampf, gelegt und dabei sind wir neue Wege gegangen. In der Wirtschaft<br />
würde man von einem professionellen Prozessmanagement sprechen. Dahinter steht ja auch immer die<br />
Frage nach IT-Infrastrukturnutzung und der Nutzung neuer Medien und dergleichen. Das haben wir<br />
alles sehr systematisch angelegt. Soweit mein Einstieg. Kommunikationsziele sind eine Sache, aber<br />
vor der Klammer stehen eben auch ganz andere Fragestellungen.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Das heißt, Sie haben sich als Verantwortlicher für die Kampagne auch massiv als Pulsgeber gesehen,<br />
sowohl in die Partei rein zu kommunizieren: So haben wir uns das vorgestellt, wie könnt Ihr das Umsetzen,<br />
wie können wir Euch unterstützen, zum anderen aber nach außen an den Wähler…<br />
Reck: … sehen Sie, in Kampagnen ist es ganz wichtig, weil viele Ehrenamtliche mitwirken, dass die<br />
eigenen Leute an die Kampagnenfähigkeit der Partei glauben. Und da die CDU ja in Serie 39 Jahre<br />
lang Landtagswahlen verloren hat - war die Grundstimmung eher resignativer Art. Und als dann weitere<br />
Krisenmomente kamen, wie zum Beispiel nach dem Bun<strong>des</strong>parteitag im Dezember letzten Jahres<br />
Stichwort „Rücktritt <strong>des</strong> Generalsekretärs auf Bun<strong>des</strong>ebene“, da hat es sich zum Beispiel bewährt,<br />
dass wir eine sehr stabile Form der inneren Kommunikation aufgebaut haben. Beispielsweise haben<br />
wir mit einer inneren Schulung die Hauptträger <strong>des</strong> Wahlkampfes, die Kandidaten, sowie jene, die
LVII<br />
dienstleistungsmäßig für uns tätig gewesen sind, gestärkt. Das ist das A und O. Die Qualität der inneren<br />
Kommunikation, das ist auch die Erkenntnis <strong>des</strong> nordrein-westfälischen Wahlkampfes, how to run<br />
a campaign, würde man in Amerika sagen, also wie man eine Wahlkampagne macht, hängt ja entscheidend<br />
von den Kräften vor Ort ab. Das ist eine extrem wichtige Sache gewesen, die sicherlich 50<br />
Prozent unseres Erfolges ausgemacht hat. Aber um noch mal zu der Frage der Berater zurückzukommen:<br />
Ich habe vorhin gesagt, dass das immer dieser Lieschen-Müller-Vergleich in der Presse ist.<br />
Wenn da ein großer Name steht, wird immer gesagt, dass diese Person der Spin Doctor <strong>des</strong> Wahlkampfes<br />
gewesen ist. Berater sind wichtig, aber sie sollten auch nicht überschätzt werden. Bei uns<br />
waren Dienstleister am Werk, die sich in die Teamarbeit eingefügt haben. Und diese Teamarbeit hatte<br />
zwei ganz große Ziele: Erstens, die CDU zum Erfolg zu führen und zweitens Jürgen Rüttgers zum<br />
Ministerpräsidenten zu machen. Und das haben wir bei<strong>des</strong> geschafft.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von Beratung im Rahmen der Kampagnenkommunikation<br />
Reck erklärt, dass seine Partei diverse Dienstleistungen im Rahmen der Kampagnenplanung in<br />
Anspruch genommen habe, beschreibt den Beraterbegriff aber als eigendynamisch aufgeladen<br />
und betont, dass es vielmehr auf ein Agieren im Team ankomme. Ferner gibt Reck an, dass die<br />
Planung der Kampagne systematisch auf demoskopischen Fakten basiert habe. In diesem Zusammenhang<br />
habe man sich von fachkundiger Seite beraten und unterstützen lassen. Man sei<br />
stets über die Befindlichkeiten in der Bevölkerung informiert gewesen und habe eine Korrelation<br />
gebildet aus den Kernkompetenzen, die der Partei zugeschrieben worden seien, und den<br />
Themen, die in der Bevölkerung als zentral erachtet worden seien. Mit diesem <strong>Marketing</strong>instrument<br />
habe man Kommunikationsziele und -mittel festgelegt. Reck betont <strong>des</strong> Weiteren die<br />
Notwendigkeit, in bei der Wahlkampfplanung kleinen Teams zu arbeiten und gibt an, dass der<br />
Einsatz von <strong>Marketing</strong>techniken dabei zum modernen Standard gehöre.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen<br />
heutzutage von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden?<br />
Reck: Dieser Beraterbegriff ist etwas, was sich sehr eigendynamisch aufgeladen hat. Das sind Lieschen-Müller-Debatten<br />
in der Presse. Es wird immer so getan - und einige Berater suggerieren das<br />
auch so - dass sie gewissermaßen die Spin Doktors der Kampagnen sind. In der Tat waren eine Menge<br />
Dienstleister für uns tätig. Aber die würde ich nicht als Berater bezeichnen. Eine Agentur ist zunächst<br />
mal eine Agentur. Dass sie in den Werkstattgesprächen, die man miteinander führt, um Corporate<br />
Identity zu entwickeln oder auch Plakate in der Tonalität festzulegen, immer auch eine gewisse Beratungsfunktion<br />
haben, ist doch selbstverständlich, schließlich kann in einer guten Wahlkampfführungskultur<br />
jeder seine Meinung sagen. Natürlich haben wir auch demoskopie-erfahrene Leute am Tisch<br />
gehabt. Das waren zum Beispiel Leute, die sich mit Fokusgruppen auskennen und gewisse Dinge in<br />
Fokusgruppen für uns getestet haben.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Reck: [...] Aber um noch mal zu der Frage der Berater zurückzukommen: Ich habe vorhin gesagt, dass<br />
das immer dieser Lieschen-Müller-Vergleich in der Presse ist. Wenn da ein großer Name steht, wird<br />
immer gesagt, dass diese Person der Spin Doctor <strong>des</strong> Wahlkampfes gewesen ist. Berater sind wichtig,<br />
aber sie sollten auch nicht überschätzt werden. Bei uns waren Dienstleister am Werk, die sich in die<br />
Teamarbeit eingefügt haben. Und diese Teamarbeit hatte zwei ganz große Ziele: Erstens, die CDU<br />
zum Erfolg zu führen und zweitens Jürgen Rüttgers zum Ministerpräsidenten zu machen. Und das<br />
haben wir bei<strong>des</strong> geschafft.<br />
Sie haben Kampagnenbestandteile in Fokusgruppen getestet?!<br />
Reck: Ja, natürlich, ganz systematisch. Wir haben sehr systematisch mit Demoskopie gearbeitet, mit<br />
Fokusgruppen beispielsweise, und waren insofern, was die Befindlichkeit der Bevölkerung angeht,<br />
immer sehr gut auf dem Laufenden. Als wir die Kampagne geführt haben, gab es auch noch nicht<br />
diese demoskopieabweichenden Ausschläge, die wir jetzt bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl festgestellt haben.<br />
Wir haben genau abgefragt, wo die Kernkompetenzen unserer Partei liegen und wie die Kernthemen<br />
der Bevölkerung lauten und haben dann eine Korrelation zwischen der Wählererwartung und dem<br />
Kompetenzprofil der Partei gebildet und auf dieser Basis die Kommunikationsziele und die Kommunikationsmittel<br />
festgelegt. Das ist ein <strong>Marketing</strong>instrument, das ist Gang und Gäbe, eine Selbstverständlichkeit<br />
sozusagen, wenn man einen Wahlkampf professionell führen will. Das tut die Bun<strong>des</strong>partei<br />
ja im Übrigen auch in dieser Weise.<br />
In der Fokusgruppe, was waren das für Leute? Haben Sie das alles selber arrangiert und durchgeführt?<br />
Reck: Nein, wir haben diesbezüglich mit einem Herrn Jung von der GMS in Hamburg zusammengearbeitet,<br />
das ist ein sehr erfahrener Mann. Er kommt aus der Parteikommunikation - Adenauer-<br />
Stiftung. Mit dem haben wir übrigens auch das Coaching der Kandidaten gemacht. Aber um noch
LVIII<br />
einmal auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich persönlich bin ein großer Anhänger von immanent<br />
geführten Wahlkämpfen. Ich halte nichts von solchen Kampa-Modellen. Eine Partei wie unsere<br />
hat eine gegliederte, hauptamtliche Struktur und man muss solche Kampagnen aus diesem Körper<br />
heraus führen. Das ist meine Überzeugung und ich mache das ja nicht zum ersten Mal. Am besten<br />
macht man das mit kleinen hauptamtlichen Teams. Wir waren insgesamt nur 18 Leute und 20 Studenten.<br />
Hinzukam insbesondere im Bereich der inhaltlichen Arbeit noch die Landtagsfraktion, und dann<br />
war es das auch schon. In der Fläche haben wir 54 Hauptgeschäftsführer, die dann mit den ehrenamtlich<br />
tätigen Kreisvorständen und den Mandatsträgern die Kampagne getragen haben. Und wenn Sie<br />
mit solchen Strukturen arbeiten, das sind ja semiprofessionelle Strukturen, dann kommen Sie gar nicht<br />
umhin, sich eine Menge Gedanken zu machen, was den Einsatz der knappen Mittel angeht und dann<br />
landen Sie schnell bei modernen Mitteln - Tools - Werkzeugen, wie der Marktforschung und der<br />
Marktbearbeitung.<br />
Indikator: Formulierung der Slogans<br />
Reck gibt an, bei der Kampagnenplanung in vielen Bereichen mit Fokusgruppen gearbeitet zu<br />
haben.<br />
Sie beantworten ja meine Fragen, bevor ich Sie stellen kann. Haben Sie denn auch konkrete Slogans in<br />
Fokusgruppen getestet?<br />
Natürlich. Auch Plakatmotive - alles.<br />
Fazit Dimension Kommunikationspolitik<br />
Für die Dimension der Kommunikationspolitik kann anhand der hier zu begutachtenden Indikatoren<br />
ein eindeutiges Resümee gezogen werden: In seinen Antworten betont Reck stets vor<br />
allem solche Elemente, die auch im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung zu erwarten sind:<br />
Reck beschreibt die Kampagnenplanung als professionell, er habe die Kampagne nicht verwaltet<br />
sondern gemanagt. Er verdeutlicht, dass es ein intensives Bemühen gegeben habe, sich über<br />
die Befindlichkeiten in der Bevölkerung zu informieren. Ferner beschreibt er eine strategische<br />
Auswertung dieser Informationen, eine Vorgehensweise, die mit den hier definierten <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
durchaus übereinstimmt: Man habe eine Korrelation gebildet aus den Kernkompetenzen,<br />
die der Partei zugeschrieben worden sind, und den Themen, die in der Bevölkerung<br />
als zentral erachtet worden sind. Mit diesem <strong>Marketing</strong>instrument habe man Kommunikationsziele<br />
und -mittel festgelegt. Reck betont <strong>des</strong> Weiteren, dass der Einsatz von <strong>Marketing</strong>techniken<br />
für ihn zum Standard moderner Wahlkampfführung gehöre.<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Indikator: Auswahl der Themen und Anbieterverhalten<br />
Reck beschreibt die Themenauswahl für die hier fokussierte Wahlkampagne als Prozess, der<br />
stark an den Erwartungshaltungen der Wählerschaft orientiert gewesen sei. Man habe sich vor<br />
allem darauf konzentriert, solche Themen zu setzen, in denen die CDU eine hohe Kompetenzbeimessung<br />
in der Öffentlichkeit erfahren hätte. Bei der Formulierung der Slogans habe man<br />
bereits auf die gezielte Ansprache bestimmter Zielgruppen geachtet. Auf die Frage, woher diesbezügliche<br />
Informationen stammen, gibt Reck an, amerikanische Wahlkampfliteratur weniger,<br />
dafür aber deutsche Literatur über Wahlkämpfe zu lesen. Des Weiteren gäbe es bezüglich der<br />
theoretischen Untermauerung der Kampagnenführung eine Zusammenarbeit mit der Konrad-<br />
Adenauer-Stiftung.<br />
Sie haben zum Beispiel angedeutet, dass sie bei der Themenauswahl der Kampagne versucht haben,<br />
eine Schnittmenge zu finden zwischen dem, was die Partei umsetzen kann und möchte und dem, was<br />
der Wähler erwartet...<br />
Reck: Wir haben die Hauptkompetenzfelder der CDU immer gemonitort, also gefragt, wo spricht uns<br />
die Bevölkerung Kompetenz zu, und das war im Landtagswahlkampf ganz eindeutig das Feld der<br />
Arbeitsmarktpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Sicherheitspolitik, aber auch der<br />
Schul- und Bildungspolitik. Und <strong>des</strong>halb haben wir ja auch die Kurzfassung unseres Slogans „Mehr<br />
Arbeit, mehr Bildung, weniger Staat“ gewählt. Das korrelierte ganz eindeutig aus der Erkenntnis, dass<br />
die Bevölkerung einmal das Thema Arbeitslosigkeit als das dominante Sachthema identifiziert hatte<br />
und wenn man dann obendrein noch weiß, dass die Lösungskompetenz einem selber zugebilligt wird,<br />
dann ist es geradezu folgerichtig, dass man auf seinem Akzeptanzschwerpunkt auch den Wahlkampf<br />
führt, auf seinem Playground sozusagen. Das Bildungsthema und das Innovationsthema korrelieren
natürlich mit einer prosperierenden Wirtschaftspolitik, aber auch mit dem Thema Abbau der Arbeitslosigkeit.<br />
Ein zweites zentrales Thema, zumal es auch ein lan<strong>des</strong>politisches Thema ist, war das Thema<br />
Schule. „Weniger Staat“ hat zudem das Unwohlsein der Bevölkerung über die übermächtige Bürokratie<br />
angesprochen. Die Sozialdemokraten verkürzen die Diskussion diesbezüglich ja immer auf<br />
„Gleichheit und Gerechtigkeit“. Entbürokratisierung ist aber auch immer ein Freiheitsprogramm. Mit<br />
der Forderung „weniger Staat“ haben wir unsere Zielgruppen in der Mittelschicht, im Bürgertum und<br />
vor allem auch in der Wirtschaft angesprochen, die uns - das wussten wir wiederum - diesbezüglich<br />
auch die nötige Kompetenz zugebilligt haben. Und so haben wir korreliert. Wir haben durch unsere<br />
empirische Feldarbeit die Hauptsorgen der Menschen aufgegriffen und haben sie politisch, inhaltlich,<br />
konzeptionell und programmatisch unseren Kompetenzen zugeordnet. Und genau über diese Schiene<br />
haben wir dann auch kommuniziert, indem wir eine Angriffskampagne gefahren haben, die, was die<br />
werbliche Seite angeht, in einer sehr aggressiven, schwarzen Tonalität gehalten war. So haben wir<br />
Arbeitslosigkeit thematisiert, Sicherheitspolitik thematisiert, Unterrichtsausfall thematisiert, und dann<br />
haben wir daran anknüpfend in Positivbotschaften übergeleitet, die in einer freundlichen Tonalität<br />
gehalten waren. Und das Ganze haben wir dann noch unterlegt mit der Wechselstimmung. Die Wechselstimmung<br />
war da, das haben wir gemessen. Wir haben das Arbeitsmarktthema auch noch einmal<br />
auf Kernthesen verkürzt und gesagt „Jobs statt Bürokratie“. Was wir aber auch wissen ist: Plakatierung<br />
greift häufig nicht. Wir sind dabei übrigens, nach meiner Einschätzung, was die kommerzielle<br />
Plakatierung und die Plakatierung überhaupt angeht, mit einem Drittel Aufwand wie die SPD ausgekommen.<br />
Uns ist es aber gelungen, durch die sehr prägnante Form der Darstellung, unsere Botschaft<br />
rüber zu bringen. Und das habe ich übrigens jenseits von empirischen Messungen in Wahlkampfveranstaltungen<br />
immer wieder erlebt, dass Leute mir gesagt haben, „Ihr habt Eure Botschaft, mehr Arbeit,<br />
mehr Bildung, weniger Staat, rübergebracht.“<br />
Sie sagten vorhin „how to run a campaign“, Lesen Sie so etwas? Ich meine, lesen Sie amerikanische<br />
Wahlkampfliteratur?<br />
Reck: Es gibt da ja auch Magazine auf Deutsch. In Amerika ist das ja ein professioneller Studiengang<br />
- Campaign Management. Und es gibt auch in der europäischen Volkspartei entsprechende Arbeitskreise<br />
von <strong>Marketing</strong>leuten. Ich war ja mal vor 10 Jahren, bevor ich in die Wirtschaft gegangen bin,<br />
Bun<strong>des</strong>geschäftsführer der CDU. Es gibt in diesen Kreisen einen wirklich sehr professionellen Meinungsaustausch.<br />
Jetzt im Oktober veranstaltet die Adenauer-Stiftung auch wieder ein Seminar zu diesem<br />
Thema. In der CDU wird das sehr professionell betrieben. Die Besonderheit hier in Deutschland,<br />
im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ist, dass alles von Leuten gemacht wird, die aus anderen<br />
Feldern kommen und dann in diese Managementfunktion hineingewachsen sind. In Amerika sind das<br />
richtig professionell ausgebildete Leute aus den entsprechenden Studiengängen, die es mittlerweile<br />
gibt.<br />
Indikator: Orientierung an Gegnern<br />
Reck erklärt, dass man eine systematische Gegnerbeobachtung im Rahmen der Kampagnenvorbereitung<br />
betrieben habe. Die daraus resultierenden Informationen hätten aber nicht dazu<br />
gedient, Themen im Wahlkampf aufzugreifen, die von gegnerischen Parteien dominiert worden<br />
sind, vielmehr habe man sich um eine bewusste Vermeidung solcher Themen bemüht. Reck<br />
nennt hier das Beispiel Familienpolitik, das von der SPD dominiert worden sei.<br />
Das wäre meine nächste Frage gewesen: Haben Sie auch geguckt, was die anderen Parteien so machen<br />
und auch diesbezüglich abgestimmt, wie die eigene Vorgehensweise aussehen muss?<br />
Reck: Ja, das haben wir sehr systematisch gemacht. Wir haben sicher auch das Glück gehabt, dass die<br />
Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen einfach Nichts gemacht haben. Sie haben vor allem auch<br />
nichts richtig gemacht. Ihr Kampagnenmanagement erschein <strong>des</strong>aströs. Bei uns war von vornherein<br />
ein Team und eine Führung da. Und die war eben hier in der Wasserstrasse [Anschrift der Lan<strong>des</strong>geschäftsstelle<br />
der CDU NRW, red. Anmerkung]. Sehr arbeitsteilig, sehr nahe an Jürgen Rüttgers. Die<br />
entscheidenden Weichenstellungen hat Jürgen Rüttgers auch selbst gesetzt, strategisch gesetzt, immer<br />
in Kenntnis <strong>des</strong>sen, was alles an Empirie vorgelegen hat. Denn angesichts der sehr starken personalen<br />
Zuspitzung von Kampagnen in der heutigen Medienzeit muss es zwischen der Kampagne selber und<br />
dem Spitzenkandidaten immer eine gewisse Symbiose geben. Und das haben wir auch hinbekommen.<br />
Noch eine Frage zu den Themen: gab es auch Themen - Sie haben eben angedeutet, dass Sie im Prinzip<br />
die Themen genommen haben, von denen Sie wussten, da sind wir stark und da weist man uns in<br />
der Bevölkerung eine hohe Kompetenz zu - gab es denn auch Themen oder Aussagen, auf die Sie<br />
gesetzt haben, weil Sie dachten, dass sich dadurch auch Wähler motiviert fühlen könnten, die CDU zu<br />
wählen, die sonst typischer Weise eher nicht die CDU wählen?<br />
Reck: Nein, das haben wir nicht gemacht, das wäre ja auch unprofessionell. Zum Beispiel haben wir -<br />
das ist den Sozialdemokraten schon gelungen, obwohl ich meine, dass wir eine bessere Familienpolitik<br />
LIX
machen und eine ordnungspolitisch konsistentere - aber den Sozialdemokraten ist es schon gelungen,<br />
bei der Abfrage der Kompetenz im Bereich der Familienpolitik einen Kompetenzvorsprung im Vergleich<br />
mit uns zu erreichen. Deswegen haben wir das Thema Familienpolitik, obwohl gewisse Christdemokraten<br />
immer danach schreien, dass wir das unbedingt in den Vordergrund stellen müssten, ganz<br />
bewusst nicht verwendet, weil wir wussten, davon profitiert dann im Zweifelsfall die SPD. Wir haben<br />
statt<strong>des</strong>sen versucht, dieses Thema komplementär mit dem Bildungsthema anzugehen.<br />
Indikator: Orientierung an Wählererwartungen<br />
Reck erklärt bereits in vorangegangenen Ausführungen ausführlich, dass man sich bei der<br />
Kampagnenplanung intensiv auf die Erwartungshaltung in der Bevölkerung konzentriert habe,<br />
um die Betonung auf solche Themen zu legen, in denen der CDU Hauptkompetenzen beigemessen<br />
werden.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Sie haben zum Beispiel angedeutet, dass sie bei der Themenauswahl der Kampagne versucht haben,<br />
eine Schnittmenge zu finden zwischen dem, was die Partei umsetzen kann und möchte und dem, was<br />
der Wähler erwartet...<br />
Reck: Wir haben die Hauptkompetenzfelder der CDU immer gemonitort, also gefragt, wo spricht uns<br />
die Bevölkerung Kompetenz zu, und das war im Landtagswahlkampf ganz eindeutig das Feld der<br />
Arbeitsmarktpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Sicherheitspolitik, aber auch der<br />
Schul- und Bildungspolitik. Und <strong>des</strong>halb haben wir ja auch die Kurzfassung unseres Slogans „Mehr<br />
Arbeit, mehr Bildung, weniger Staat“ gewählt. Das korrelierte ganz eindeutig aus der Erkenntnis, dass<br />
die Bevölkerung einmal das Thema Arbeitslosigkeit als das dominante Sachthema identifiziert hatte<br />
und wenn man dann obendrein noch weiß, dass die Lösungskompetenz einem selber zugebilligt wird,<br />
dann ist es geradezu folgerichtig, dass man auf seinem Akzeptanzschwerpunkt auch den Wahlkampf<br />
führt, auf seinem Playground sozusagen. Das Bildungsthema und das Innovationsthema korrelieren<br />
natürlich mit einer prosperierenden Wirtschaftspolitik, aber auch mit dem Thema Abbau der Arbeitslosigkeit.<br />
Ein zweites zentrales Thema, zumal es auch ein lan<strong>des</strong>politisches Thema ist, war das Thema<br />
Schule. „Weniger Staat“ hat zudem das Unwohlsein der Bevölkerung über die übermächtige Bürokratie<br />
angesprochen. Die Sozialdemokraten verkürzen die Diskussion diesbezüglich ja immer auf<br />
„Gleichheit und Gerechtigkeit“. Entbürokratisierung ist aber auch immer ein Freiheitsprogramm. Mit<br />
der Forderung „weniger Staat“ haben wir unsere Zielgruppen in der Mittelschicht, im Bürgertum und<br />
vor allem auch in der Wirtschaft angesprochen, die uns - das wussten wir wiederum - diesbezüglich<br />
auch die nötige Kompetenz zugebilligt haben. Und so haben wir korreliert. Wir haben durch unsere<br />
empirische Feldarbeit die Hauptsorgen der Menschen aufgegriffen und haben sie politisch, inhaltlich,<br />
konzeptionell und programmatisch unseren Kompetenzen zugeordnet. Und genau über diese Schiene<br />
haben wir dann auch kommuniziert, indem wir eine Angriffskampagne gefahren haben, die, was die<br />
werbliche Seite angeht, in einer sehr aggressiven, schwarzen Tonalität gehalten war. So haben wir<br />
Arbeitslosigkeit thematisiert, Sicherheitspolitik thematisiert, Unterrichtsausfall thematisiert, und dann<br />
haben wir daran anknüpfend in Positivbotschaften übergeleitet, die in einer freundlichen Tonalität<br />
gehalten waren. Und das Ganze haben wir dann noch unterlegt mit der Wechselstimmung. Die Wechselstimmung<br />
war da, das haben wir gemessen. Wir haben das Arbeitsmarktthema auch noch einmal<br />
auf Kernthesen verkürzt und gesagt „Jobs statt Bürokratie“. Was wir aber auch wissen ist: Plakatierung<br />
greift häufig nicht. Wir sind dabei übrigens, nach meiner Einschätzung, was die kommerzielle<br />
Plakatierung und die Plakatierung überhaupt angeht, mit einem Drittel Aufwand wie die SPD ausgekommen.<br />
Uns ist es aber gelungen, durch die sehr prägnante Form der Darstellung, unsere Botschaft<br />
rüber zu bringen. Und das habe ich übrigens jenseits von empirischen Messungen in Wahlkampfveranstaltungen<br />
immer wieder erlebt, dass Leute mir gesagt haben, „Ihr habt Eure Botschaft, mehr Arbeit,<br />
mehr Bildung, weniger Staat, rübergebracht.“<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Die Themenauswahl im Rahmen der Kampagnenplanung kann auf der Basis der hier eingeordneten<br />
Antworten durchaus als marketingorientiert beschrieben werden. Die Antworten Recks<br />
erwecken den Eindruck, dass man den beiden, im Rahmen dieser Arbeit definierten Hauptkriterien,<br />
Orientierung an Wählererwartungen und diesbezüglich strategische Informationsbeschaffung<br />
und -auswertung, in vollem Umfang gerecht geworden ist.<br />
LX<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Indikator: Auswahl <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Reck erklärt, dass man sich auf Basis vorangegangener Entwicklungen für den Kandidaten
entschieden habe. Einen Gegenkandidaten habe es nicht gegeben.<br />
Wie war das denn eigentlich, bezüglich der Spitzenkandidatenfrage: War es von vornherein klar, dass<br />
Jürgen Rüttgers Spitzenkandidat wird?<br />
Reck: Ja, klar. Immer.<br />
Da gab es keine Diskussion?<br />
Reck: [lacht] Der Wettbewerb in der Partei ist min<strong>des</strong>tens ebenso hart wie der mit dem politischen<br />
Gegner.<br />
Gab es denn einen Gegenkandidaten?<br />
Reck: Nein, das sicher nicht. Das war eine Schrittfolge. Die offizielle Ausrufung zum Kandidaten<br />
erfolgte ja mit der Aufstellung der Liste, und das war im Dezember 2004. Wenn wir die Europawahl<br />
und Kommunalwahl vergeigt hätten, dann hätte es da unter Umständen auch eine andere Debatte gegeben.<br />
Die CDU ist bei diesen Fragen nicht sehr zimperlich. Insofern war das schon eine ganz wichtige<br />
Erfolgsstrecke, die wir 2004 zurückgelegt haben. Und das war letztendlich natürlich ausschlaggebend<br />
für die unangefochtene Nominierung von Jürgen Rüttgers.<br />
Indikator: Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Reck führt aus, dass man sich intensiv um eine demoskopiegestützte Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten<br />
bemüht habe. Die eigenen Stärken zu stärken sei dabei die Maxime gewesen. Dazu habe man<br />
vor allem auf Medienveröffentlichungen demoskopischer Ergebnisse zurückgegriffen und diese<br />
dann für eigene Zwecke ausgewertet und darüber hinaus auch eigene Analysen in Auftrag gegeben.<br />
Sie haben eben gesagt, dass Sie bei der Themenplanung intensiv verglichen haben, was die Wähler<br />
erwarten und wo die Kompetenzen der CDU gesehen werden. Haben Sie das in Bezug auf das Kandidatenprofil<br />
auch gemacht? Sind Sie da auch hingegangen und haben beispielsweise ermittelt, wie<br />
bekannt er ist, welche Kompetenzen im zugeordnet werden und so weiter?<br />
Reck: Ja, natürlich. Natürlich haben wir das auch immer gemessen. Die Demoskopen haben ja immer<br />
nach der fiktiven Sonntagsfrage gefragt, also unterstellt, die Bürger könnten die Kandidaten direkt<br />
wählen. Da hatte Steinbrück immer einen Vorsprung. Steinbrück galt auch als kompetent, aber wir<br />
wussten eben auch sehr genau, dass Steinbrück kein Charisma hat und vor allen Dingen von der eigenen<br />
Mitgliedschaft nicht voll unterstützt wurde. In diese Schneise sind wir rein gegangen. Wir hatten<br />
einen sehr guten Überblick über das, was die Bevölkerung dem jeweiligen Spitzenkandidaten zutraute<br />
und was nicht. Und auch da gilt die Maxime, dass man die eigenen Stärken stärken muss.<br />
Woher kam dieses Wissen, welche Daten haben Sie da konkret im Sinn?<br />
Reck: Wir haben gar nicht so viel Geld in die Hand genommen. Der WDR hat zum Beispiel eine<br />
Menge solcher Fragen gestellt. Das machen die Medien ja häufig.<br />
Das heißt, Sie recherchieren das auf der Grundlage der Medienberichterstattung und bilden sich dann<br />
in eigener Regie ein Urteil, was das für die CDU bedeutet?!<br />
Reck: Ja. Gerade die Kompetenzprofile von allen möglichen Instituten sind ja auch dauernd veröffentlicht<br />
worden. Aber wir verfügen darüber hinaus natürlich auch über eigene demoskopische Erkenntnisse.<br />
Sie geben also selbst gewisse Umfragen in Auftrag?<br />
Reck: Natürlich.<br />
Indikator: Bedeutung von Beratung und Recherchemaßnahmen<br />
Reck betont, dass man sich bemüht habe, die eigenen Stärken zu stärken und skizziert diesbezüglich<br />
einen intensiven demoskopisch fundierten Rechercheprozess. Bei der Vorbereitung <strong>des</strong><br />
Spitzenkandidaten auf die TV-Duelle habe man darüber hinaus auch mit Beratern zusammengearbeitet.<br />
Sie haben eben gesagt, dass Sie bei der Themenplanung intensiv verglichen haben, was die Wähler<br />
erwarten und wo die Kompetenzen der CDU gesehen werden. Haben Sie das in Bezug auf das Kandidatenprofil<br />
auch gemacht? Sind Sie da auch hingegangen und haben beispielsweise ermittelt, wie<br />
bekannt er ist, welche Kompetenzen im zugeordnet werden und so weiter?<br />
Reck: Ja, natürlich. Natürlich haben wir das auch immer gemessen. Die Demoskopen haben ja immer<br />
nach der fiktiven Sonntagsfrage gefragt, also unterstellt, die Bürger könnten die Kandidaten direkt<br />
wählen. Da hatte Steinbrück immer einen Vorsprung. Steinbrück galt auch als kompetent, aber wir<br />
wussten eben auch sehr genau, dass Steinbrück kein Charisma hat und vor allen Dingen von der eigenen<br />
Mitgliedschaft nicht voll unterstützt wurde. In diese Schneise sind wir rein gegangen. Wir hatten<br />
einen sehr guten Überblick über das, was die Bevölkerung dem jeweiligen Spitzenkandidaten zutraute<br />
und was nicht. Und auch da gilt die Maxime, dass man die eigenen Stärken stärken muss.<br />
Woher kam dieses Wissen, welche Daten haben Sie da konkret im Sinn?<br />
LXI
LXII<br />
Reck: Wir haben gar nicht so viel Geld in die Hand genommen. Der WDR hat zum Beispiel eine<br />
Menge solcher Fragen gestellt. Das machen die Medien ja häufig.<br />
Das heißt, Sie recherchieren das auf der Grundlage der Medienberichterstattung und bilden sich dann<br />
in eigener Regie ein Urteil, was das für die CDU bedeutet?!<br />
Reck: Ja. Gerade die Kompetenzprofile von allen möglichen Instituten sind ja auch dauernd veröffentlicht<br />
worden. Aber wir verfügen darüber hinaus natürlich auch über eigene demoskopische Erkenntnisse.<br />
Sie geben also selbst gewisse Umfragen in Auftrag?<br />
Reck: Natürlich.<br />
Um noch einmal auf Jürgen Rüttgers selbst zurückzukommen: Man hört ja auch immer wieder, dass<br />
Spitzenkandidaten heutzutage sehr intensiv gecoacht werden, Stichwort TV-Duell zum Beispiel. Wie<br />
war das denn im Fall von Jürgen Rüttgers?<br />
Reck: Natürlich hat es da eine sehr professionelle Unterstützung gegeben. So etwas muss man ja inhaltlich<br />
vorbereiten. Das muss man entsprechend vorbilden und auch nachbilden und da kann man<br />
nichts dem Zufall überlassen. Das hat bei uns Willy Hausmann gemacht, in Zusammenarbeit mit einem<br />
Team von Experten. Man muss zum Beispiel mit den Sendern die Kausalitäten der Aufnahme<br />
vereinbaren. Das wird heute ja auch genau unter dem Stichwort der Chancengleichheit festgelegt,<br />
denn eines muss man ja sagen: TV-Duelle entscheiden nicht die Wahlen, aber Fehler in TV-Duellen<br />
können verheerende Wirkungen haben. Vor allem was die Innenmotivation der eigenen Wahlkämpfer<br />
angeht. Aber das hat Jürgen Rüttgers mit Bravour gemacht, und zwar in beiden Duellen. Das letzte<br />
Duell hat er aus meiner Sicht sogar gewonnen. Wir hatten dann zwar immer das Phänomen - und das<br />
ist auch jetzt beim Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf zu sehen gewesen - dass die Amtsinhaber mit einem Bonus<br />
bei den Umfragen versehen werden. Dann wird immer unterstellt, sie hätten das TV-Duell gewonnen.<br />
In Wirklichkeit ist es Herrn Steinbrück aber nicht gelungen, über das TV-Duell den Durchbruch zu<br />
erzielen, den er gebraucht hätte. Rüttgers hat ihn in dieser Angelegenheit neutralisiert, und das war<br />
auch genau unser Ziel in der Wahlkampfführung.<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Wie für die beiden vorangegangenen Dimensionen auch, wird für die vorliegende Dimension<br />
erneut ein positives Resümee bezüglich der Frage nach dem Vorliegen einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
gezogen. Reck erklärt hier, dass die Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten, für <strong>des</strong>sen Person man<br />
sich aus dem Laufe der Dinge heraus entschieden habe, massiv auf einer strategischen, demoskopiegestützten<br />
Recherche basierte. Ferner habe man die Leistung professioneller Berater bei<br />
der Vorbereitung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten auf die TV-Duelle in Anspruch genommen.<br />
Dimension: Distributionspolitik<br />
Indikator: Verteilung <strong>des</strong> Budgets auf Kommunikationskanäle<br />
Reck beschreibt das Budget, das für den Wahlkampf zur Verfügung gestanden hat, als zu knapp<br />
bemessen. Er betont hier vor allem die Notwendigkeit einer mediengerechten Inszenierung und<br />
gibt an, insbesondere diesen Faktor bei der Verteilung der Mittel berücksichtigt zu haben. Des<br />
Weiteren hebt Reck die Notwendigkeit einer profunden IT-Infrastruktur für die Organisation<br />
einer Kampagne hervor und gibt an, dass man insbesondere auch darauf Wert gelegt habe, den<br />
Bereich der Adressverwaltung zu optimieren. Reck verwendet in diesem Zusammenhang die<br />
Bezeichnung Customer-Relation-Management.<br />
Gut. Nun würde ich gern auf die Frage nach der Nutzung der Kommunikationskanäle zu sprechen<br />
kommen. Es gab Plakate vor Ort, die Internetseiten, es gab öffentliche Auftritte <strong>des</strong> Spitzenkandidaten.<br />
Nach welchen Kriterien haben Sie denn festgelegt, in welchen Bereich wie viel Geld fließt? Welche<br />
Faktoren waren denn in dieser Angelegenheit ausschlaggebend?<br />
Reck: Ausschlaggebend war, dass wir ein viel zu kleines Budget hatten und eigentlich das, was man<br />
marketingmäßig gebraucht hätte, gar nicht hat machen können. Ich hätte zum Beispiel gerne mehr<br />
Großflächen gehabt, aber das war finanziell nicht möglich. Ich hätte auch gerne, allerdings sehr ausgesucht,<br />
kommerzielle Inserate geschaltet. Das haben wir überhaupt nicht gemacht, weil wir dafür kein<br />
Geld hatten. Gemacht haben wir haben aber beispielsweise eine neue Form von Kultveranstaltung mit<br />
Jürgen Rüttgers, die den in Amerika bekannten City-Hall-Talks von Spitzenpolitikern nachgebildet<br />
worden ist. Das heißt, wir haben Jürgen Rüttgers zu Beginn der Kampagne gar nicht unter dem Label<br />
und dem Brand der CDU, sondern statt<strong>des</strong>sen Jürgen Rüttgers privat, Jürgen Rüttgers persönlich,<br />
Jürgen Rüttgers mit seiner Ehefrau gezeigt. Am Anfang waren da ungefähr 50 bis 150 Leute. Aber<br />
hinterher waren es 700 bis 800. Und das haben wir mit einer hohen Schlagzahl - ich weiß gar nicht,<br />
wie viele Veranstaltungen wir durchgeführt haben, 25 Veranstaltungen haben wir gemacht - umge-
LXIII<br />
setzt. Und wir haben, nachdem wir gemerkt haben, dass das medial gut rüberkommt, weil es durch die<br />
redaktionelle Berichterstattung aufgeladen wird, unseren absoluten Wahlkampfschwerpunkt auch<br />
materiell auf eine sehr gute Veranstaltungsserie gelegt. Damit meine ich Veranstaltungen wie Wahlkampferöffnung,<br />
Parteitage, diese Art von Veranstaltung. Dann die klassischen Wahlkampfveranstaltungen,<br />
die wir auch in einer neuen Qualität medial aufgelegt haben. Das war aufwändig, das können<br />
Sie auch in unserer Dokumentation sehen, aber weil unsere Veranstaltungen sehr mediengerecht inszeniert<br />
gewesen sind, haben sie schließlich auch die entsprechenden TV-Bilder rübergebracht. TV-<br />
Spots in der Parteienwerbung bringen dem gegenüber nämlich gar nichts, entscheidend ist vielmehr<br />
die mediale Berichterstattung darüber, und zwar nicht nur über die Inhalte, sondern auch über die<br />
Form. Und diesen beiden Ansprüchen konnten wir auch gerecht werden. In der Form muss man vermitteln:<br />
Die CDU ist zuversichtlich, kampfesbereit und positiv. The winner takes it all. Viele Wähler,<br />
die zweifeln und unsicher sind, was sie wählen sollen, entscheiden sich schließlich für den, der aus<br />
ihrer Sicht am deutlichsten die notwendige Stärke zeigt. Und die haben wir mit unserer Kampagne<br />
gezeigt. Wo wir eine völlig neue Qualität entwickelt haben - das hat auch etwas mit meiner Biographie<br />
zu tun - ist der Bereich der elektronischen Wahlkampfführung. Als ich vor zwei Jahren hierher kam,<br />
gab es so gut wie keine IT-Infrastruktur. Heute sind wir da allerdings so gestellt wie je<strong>des</strong> Unternehmen<br />
auch: Mit eigenen Servern, Homepages, einer ganz stabilen Internetpflege, und vor allen Dingen<br />
auch mit einem - das ist das Entscheidende in der Parteiarbeit und auch in Wahlkämpfen - optimierten<br />
Adressenmanagement, was mich zu einer weiteren Zukunftsaufgabe führt, Stichwort Customer-<br />
Relation-Management. Darin liegt die Zukunft, wenn es um die Ansprache der Bürger und auch um<br />
die Interaktion mit den Bürgern geht. Dieses Medium ist noch nicht ansatzweise in seiner Konvergenzfähigkeit<br />
zu anderen Medien ausgereizt, und <strong>des</strong>wegen wird es sicherlich weiterentwickelt werden.<br />
Und wenn es in unserer Kampagne einen ganz signifikanten Schwerpunkt gegeben hat, dann lag<br />
der in der Entwicklung und Nutzung <strong>des</strong> Internets und Intranets, sowie in der SMS- und der Telefon-<br />
Kommunikation. Dabei war es ganz entscheidend, dass jeder Wahlkämpfer ein Blackberry bekommen<br />
hat, das heißt, wir haben auch mobiles Internet praktiziert.<br />
Indikator: Unterstützung der lokalen Einheiten<br />
Reck bejaht, dass regionale Besonderheiten bei der Kampagnenplanung berücksichtigt worden<br />
seien. Zum einen nennt er in diesem Zusammenhang eine Analyse über die Lokalisation so genannter<br />
„Schwarzer Dächer“, zum anderen beschreibt er eine Strategie, die er als „stille Wahlkampfführung“<br />
und „passive Strategie“ betitelt: Man habe sich vor allem im Ruhrgebiet bemüht,<br />
nicht mit einer konfrontativen Kampagne am Ende die Wähler der SPD zu mobilisieren.<br />
Gab es regionale Besonderheiten im Wahlkampf? Also gab es Empfehlungen an Kreisverbände wo<br />
gesagt wurde, hier ist es total knapp, hier müssen wir …<br />
Reck:… Ja. Das gab es schon. Vor allem hatten wir eine entsprechende Analyse von schwarzen Dächern.<br />
Das weiß man ja, wo unsere Wählerpotentiale - immer unter der Wahrung <strong>des</strong> Datenschutzes<br />
versteht sich - sind. Die Leute werden sicher nicht personenscharf adressiert, aber durchaus durch<br />
Straßenwahlkämpfe. Da haben wir ganz gezielt versucht, unsere Hochburgen zu mobilisieren. Es ist<br />
uns auch gelungen, zwar nicht überall, aber meistens schon. Das ist ein Instrument, was die Partei<br />
schon lange kennt und auch im Kommunalwahlkampf teilweise mit Erfolg eingesetzt hat. Das heißt,<br />
die regionalen Besonderheiten ganz eindeutig vorhanden. Das Positive an unserer Gesamtstrategie war<br />
ja - und das war letztlich ja auch der Schlüssel zum Wahlerfolg - wir haben eine Million Stimmen<br />
mehr bekommen als bei der letzten Wahl. Uns ist es gelungen, die sozialdemokratischen Wähler nicht<br />
zu mobilisieren. Das ist auch vielleicht der große Unterschied zur jetzigen Bun<strong>des</strong>tagswahl. Man lebt<br />
ja, genau wie im Sport - zum Beispiel wenn man Tennis spielt - auch immer von den Fehlern der Gegner.<br />
Wir haben unsere Leute mobilisiert, und die Sozialdemokragen haben ihre nicht mobilisiert. Und<br />
der Erfolg von Adolf Sauerland in Duisburg oder der von Peter Jung in Wuppertal bei der Kommunalwahl,<br />
in alten sozialdemokratischen Hochburgen, ist genauso zustande gekommen. Weil die dortigen<br />
sozialdemokratischen Wähler insbesondere aufgrund der Arbeitsmarktsituation völlig frustriert<br />
waren - Stichwort Hartz-IV-Debatte - und die CDU diese Wähler nicht durch aggressive Adressierungen<br />
mobilisiert hat. Da macht man stille Wahlkämpfe. Und das ist uns in der regionalen Adressierung<br />
im Ruhrgebiet auch hervorragend gelungen. Leider mit der Konsequenz, dass sich, weil das Ruhrgebiet<br />
kaum Listenplätze hat, und weil Direktwahlmandate zu erzielen dort nach wie vor für Christdemokraten<br />
recht schwierig ist, diese passive Strategie nicht durch entsprechende Mandate ausgezahlt<br />
hat. Das ist also die andere Seite der Medaille.<br />
Indikator: Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges<br />
Reck erklärt, dass es eine Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges, im Sinne von Marktforschung, wie sie in Unternehmen<br />
üblich ist, nicht gegeben habe und begründet dies vor allem mit dem finanziellen<br />
Engpass. Den Kampagnenerfolg messe man an Wahlergebnissen und in dieser Hinsicht sei man
LXIV<br />
durchaus erfolgreich gewesen. Das örtliche Wahlergebnis sei das beste Benchmark, um zu kontrollieren,<br />
ob etwas funktioniert habe oder nicht. Ferner beschreibt Reck die Funktionsträger in<br />
seiner Partei als „beste Messlatte“ um Erfolg festzustellen. In diesem Kontext bezahlte Marktforschung<br />
zu betreiben, hält Reck für unnötig, weil die genannten Kriterien eine ausreichende<br />
Basis zur Interpretation <strong>des</strong> Erfolges der Kampagnenmaßnahmen anbieten würden.<br />
Inwieweit haben Sie denn eine Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges vorgenommen? Sie haben da ja relativ viel ins<br />
Feld geschossen an Materialien, an Aktionen, an Plakaten, an Internetseiten. Gab es denn im Anschluss<br />
eine Kontrolle, wie erfolgreich diese Maßnahmen jeweils waren?<br />
Reck: Nein. Dafür haben Parteien kein Geld. Wenn ich Manager in einem Unternehmen wäre und<br />
<strong>Marketing</strong>mittel einsetzen würde, würde ich das auch monitoren. Das ist ja aus der Marktforschung<br />
bekannt, wie man so etwas macht. Das haben wir aber nicht gemacht. Wie erfolgreich Sie sind, misst<br />
man in der Politik an den Wahlergebnissen. Und da gibt es ja bei uns wirklich besondere Zuwächse.<br />
Wir haben gerade die beiden Städte diskutiert, Wuppertal und Duisburg, wo auch die Gesamtstrategie<br />
natürlich eine Rolle gespielt hat. Aber da war eben auch ein Gesamtklima, eine Wechselbereitschaft,<br />
die man dann sehr professionell ausgesteuert hat, auch vor Ort. Es gibt aber durchaus auch Städte. Ich<br />
denke da etwa an Bonn oder Köln oder auch Aachen, wo man die Potentiale nicht genutzt hat. Das<br />
örtliche Wahlergebnis ist eigentlich der beste Benchmark, ob etwas funktioniert hat. Und wenn das<br />
Ergebnis örtlich unter dem Lan<strong>des</strong>durchschnitt lag, dann hatte das meistens auch örtliche Gründe, die<br />
nicht unbedingt etwas mit Personen zu tun haben, aber wenn das Ergebnis weit unter dem Lan<strong>des</strong>durchschnitt<br />
lag, dann spiegelt das letztlich häufig doch auch die Unzufriedenheit der Wählerschichten<br />
mit den örtlichen Akteuren wider. Beispielsweise das Kölner Ergebnis können Sie deutlich so interpretieren.<br />
Da wendet sich das bürgerliche Lager von einer fortgesetzten, nicht bereinigten Querele ab,<br />
weil es dort - um es mal salopp zu formulieren - teilweise auch gestunken hat, beispielsweise, was so<br />
Themen wie Vorteilsnahme und Interessenkollisionen angeht. Bonn ist auch so ein Pflaster, wo ich<br />
mich natürlich frage: Was war da los? Das analysieren wir schon, aber dafür geben wir jetzt nicht groß<br />
Studien auf. Das Dritte ist natürlich, wenn eine Partei wie meine 183.000 Mitglieder hat, und 12.000<br />
meinungsbildende Mandatsträger und Funktionäre, dann ist das die beste Messlatte. Glauben Sie mal,<br />
wenn in einer Partei etwas schlecht läuft, dann findet das entsprechende Artikulation. Nun gut, wir<br />
haben einen historischen Wahlsieg erzielt, insofern war die Kritik in der Tat gering. Aber im Allgemeinen<br />
wird durch die Mitglieder und die Funktionsträger sehr hart, um nicht zu sagen hammerhart,<br />
Kritik artikuliert. Da brauchen Sie gar kein Geld in die Hand zu nehmen, um das über kommerzielle<br />
Marktforschungsinstitute abgreifen zu lassen.<br />
Fazit Dimension Distributionspolitik<br />
Die Verdichtung zu den einzelnen Indikatoren, die hier subsumiert worden sind, entsprechen<br />
analog zu den vorangegangenen Dimensionen erneut dem, was bei einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
zu erwarten ist. So betont Reck als Prämisse für die Verteilung <strong>des</strong> Budgets insbesondere die<br />
Notwendigkeit einer mediengerechten Inszenierung. Des Weiteren hebt Reck die Notwendigkeit<br />
einer profunden IT-Infrastruktur für die Organisation einer Kampagne hervor und gibt an,<br />
dass man insbesondere auch darauf Wert gelegt habe, im Bereich der Adressverwaltung zu<br />
optimieren. Reck verwendet in diesem Zusammenhang die Bezeichnung Customer-Relation-<br />
Management. Bezüglich der Berücksichtigung regionaler Besonderheiten gibt Reck an, dass<br />
man zum einen eine Analyse betrieben habe, die Auskunft über so genannte „Schwarze Dächer“<br />
geben sollte, und dass man zum anderen insbesondere im Ruhrgebiet eine passive, stille Wahlkampfstrategie<br />
verfolgt habe. Beide Maßnahmen lassen sich aus marketingtheoretischer Sicht<br />
interpretieren und treffen die im Rahmen dieser Arbeit zugrunde gelegte idealtypische Vorgehensweise<br />
einer <strong>Marketing</strong>orientierung. Zur Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges gibt Reck zwar zunächst an,<br />
dass man diesbezüglich keine mit Unternehmen vergleichbaren Schritte erwogen habe, nennt<br />
aber dennoch im Anschluss das Wahlergebnis als Maßstab und gibt an, dass man sich mit den<br />
örtlichen Ergebnissen durchaus auseinandergesetzt habe. Seine zurückhaltende Antwort in<br />
diesem Zusammenhang unterstützt die Vermutung einer <strong>Marketing</strong>orientierung nicht besonders,<br />
widerspricht ihr andererseits aber auch nicht, so dass auch für diese Dimension insgesamt<br />
das Fazit einer dem <strong>Marketing</strong>konzept zusprechenden Vorgehensweise gezogen werden soll.<br />
Dimension: Segmentierung und Targeting<br />
Indikator: Bildung von Zielgruppen<br />
Reck führt an, dass man sich bei der Wähleransprache vor allem auf die Kommunikation solcher<br />
Positionen konzentriert habe, die den ermittelten zentralen Kompetenzbereichen der CDU<br />
entsprochen hätten. Idealtypisch könnte das einer psychografischen Segmentierungsstrategie
LXV<br />
entsprechen. Reck erklärt in diesem Zusammenhang, dass beispielsweise in der Zielgruppe der<br />
über 50jährigen (demografische Segmentierung) die gleichen Themen von Bedeutung seien, wie<br />
in anderen demografischen Gruppen. Er äußert diesbezüglich, dass es in sofern keine Zielgruppenkampagne<br />
gegeben habe. An einer anderen Stelle im Interview erklärt er allerdings, dass er<br />
sich bezüglich der Zielgruppenkommunikation mehr hätte vorstellen können, dass es aber letztlich<br />
aus finanziellen Gründen nicht dazu gekommen sei.<br />
War die Kommunikation mit Zielgruppen im Rahmen der Kampagne ein Thema?<br />
Zielgruppen haben wir adressiert, beispielsweise durch ein Mailing an über 50jährige. Rentner waren<br />
also eine wichtige Zielgruppe, zum Beispiel auch in der Sprache der Veranstaltungen. Ansonsten ist es<br />
so, dass die Themen, die wir aufgegriffen haben, die gesamte Bevölkerung angesprochen haben. Für<br />
die CDU ist es strategisch wichtig, die Senioren zu adressieren, also die älteren Mitbürgerinnen und<br />
Mitbürger. Und die adressieren sie nicht nur über die relevanten Seniorenthemen, wie Pflege im Alter.<br />
Im Gegenteil, die haben Enkel, und Sie adressieren diese Zielgruppe mit dem Bildungsthema genauso,<br />
wie mit dem Arbeitsplatzthema, weil sich die Generation der Großväter natürlich auch Sorgen macht,<br />
um die Zukunft der Familie. Insofern brauchen wir da gar nicht an eine Zielgruppenkampagne zu<br />
denken.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Wir haben die Hauptkompetenzfelder der CDU immer gemonitort, also gefragt, wo spricht uns die<br />
Bevölkerung Kompetenz zu, und das war im Landtagswahlkampf ganz eindeutig das Feld der Arbeitsmarktpolitik,<br />
der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Sicherheitspolitik, aber auch der<br />
Schul- und Bildungspolitik. Und <strong>des</strong>halb haben wir ja auch die Kurzfassung unseres Slogans „Mehr<br />
Arbeit, mehr Bildung, weniger Staat“ gewählt. Das korrelierte ganz eindeutig aus der Erkenntnis, dass<br />
die Bevölkerung einmal das Thema Arbeitslosigkeit als das dominante Sachthema identifiziert hatte<br />
und wenn man dann obendrein noch weiß, dass die Lösungskompetenz einem selber zugebilligt wird,<br />
dann ist es geradezu folgerichtig, dass man auf seinem Akzeptanzschwerpunkt auch den Wahlkampf<br />
führt, auf seinem Playground sozusagen. Das Bildungsthema und das Innovationsthema korrelieren<br />
natürlich mit einer prosperierenden Wirtschaftspolitik, aber auch mit dem Thema Abbau der Arbeitslosigkeit.<br />
Ein zweites zentrales Thema, zumal es auch ein lan<strong>des</strong>politisches Thema ist, war das Thema<br />
Schule. „Weniger Staat“ hat zudem das Unwohlsein der Bevölkerung über die übermächtige Bürokratie<br />
angesprochen. Die Sozialdemokraten verkürzen die Diskussion diesbezüglich ja immer auf<br />
„Gleichheit und Gerechtigkeit“. Entbürokratisierung ist aber auch immer ein Freiheitsprogramm. Mit<br />
der Forderung „weniger Staat“ haben wir unsere Zielgruppen in der Mittelschicht, im Bürgertum und<br />
vor allem auch in der Wirtschaft angesprochen, die uns - das wussten wir wiederum - diesbezüglich<br />
auch die nötige Kompetenz zugebilligt haben. Und so haben wir korreliert. Wir haben durch unsere<br />
empirische Feldarbeit die Hauptsorgen der Menschen aufgegriffen und haben sie politisch, inhaltlich,<br />
konzeptionell und programmatisch unseren Kompetenzen zugeordnet. Und genau über diese Schiene<br />
haben wir dann auch kommuniziert, indem wir eine Angriffskampagne gefahren haben, die, was die<br />
werbliche Seite angeht, in einer sehr aggressiven, schwarzen Tonalität gehalten war. So haben wir<br />
Arbeitslosigkeit thematisiert, Sicherheitspolitik thematisiert, Unterrichtsausfall thematisiert, und dann<br />
haben wir daran anknüpfend in Positivbotschaften übergeleitet, die in einer freundlichen Tonalität<br />
gehalten waren. Und das Ganze haben wir dann noch unterlegt mit der Wechselstimmung. Die Wechselstimmung<br />
war da, das haben wir gemessen. Wir haben das Arbeitsmarktthema auch noch einmal<br />
auf Kernthesen verkürzt und gesagt „Jobs statt Bürokratie“.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Reck: [...]Ich habe Ihnen vorhin ja bereits gesagt, dass ich mir zum Beispiel bei der zielgruppenorientierten<br />
Inserierung mehr gewünscht hätte. Der Print-Bereich ist stark diversifiziert und man könnte<br />
darüber sehr gezielt Zielgruppen - nicht wahr, Jäger, Sportler, Frauen - ansprechen. Man könnte in<br />
diesem Bereich sehr viel mehr machen, aber das war eben aus Kostengründen nicht möglich.<br />
Indikator: Prämissen für ihre gezielte Ansprache<br />
Reck nennt als eine wesentliche Zielgruppe der CDU NRW die über 50jährigen, erklärt aber,<br />
dass man bei ihrer gezielten Ansprache auf die generell als zentral erachteten Themen gesetzt<br />
habe. Man sei davon ausgegangen, dass diese Zielgruppe mit diesen Themen und Positionen gut<br />
erreicht werden könne. Reck gibt darüber hinaus an, dass man zur gezielten Wähleransprache<br />
auch Adressen gekauft habe. An einer anderen Stelle im Interview hatte er zuvor bereits auf<br />
eine Analyse so genannter „Schwarzer Dächer“ hingewiesen.<br />
War die Kommunikation mit Zielgruppen im Rahmen der Kampagne ein Thema?<br />
Zielgruppen haben wir adressiert, beispielsweise durch ein Mailing an über 50jährige. Rentner waren
LXVI<br />
also eine wichtige Zielgruppe, zum Beispiel auch in der Sprache der Veranstaltungen. Ansonsten ist es<br />
so, dass die Themen, die wir aufgegriffen haben, die gesamte Bevölkerung angesprochen haben. Für<br />
die CDU ist es strategisch wichtig, die Senioren zu adressieren, also die älteren Mitbürgerinnen und<br />
Mitbürger. Und die adressieren sie nicht nur über die relevanten Seniorenthemen, wie Pflege im Alter.<br />
Im Gegenteil, die haben Enkel, und Sie adressieren diese Zielgruppe mit dem Bildungsthema genauso,<br />
wie mit dem Arbeitsplatzthema, weil sich die Generation der Großväter natürlich auch Sorgen macht,<br />
um die Zukunft der Familie. Insofern brauchen wir da gar nicht an eine Zielgruppenkampagne zu<br />
denken.<br />
Was war das für ein Mailing? Haben sie das zentral über den Lan<strong>des</strong>verband rausgeschickt?<br />
Ja.<br />
Woher hatten Sie denn die Adressen?<br />
Von der Post.<br />
Haben Sie die dort gekauft?<br />
Ja klar.<br />
Gut. Ich sehe, es ist angezeigt, Sie an dieser Stelle nicht weiter zu löchern.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Gab es regionale Besonderheiten im Wahlkampf? Also gab es Empfehlungen an Kreisverbände wo<br />
gesagt wurde, hier ist es total knapp, hier müssen wir …<br />
Reck:… Ja. Das gab es schon. Vor allem hatten wir eine entsprechende Analyse von schwarzen Dächern.<br />
Das weiß man ja, wo unsere Wählerpotentiale - immer unter der Wahrung <strong>des</strong> Datenschutzes<br />
versteht sich - sind. Die Leute werden sicher nicht personenscharf adressiert, aber durchaus durch<br />
Straßenwahlkämpfe. Da haben wir ganz gezielt versucht, unsere Hochburgen zu mobilisieren. Es ist<br />
uns auch gelungen, zwar nicht überall, aber meistens schon. Das ist ein Instrument, was die Partei<br />
schon lange kennt und auch im Kommunalwahlkampf teilweise mit Erfolg eingesetzt hat. Das heißt,<br />
die regionalen Besonderheiten ganz eindeutig vorhanden. Das Positive an unserer Gesamtstrategie war<br />
ja - und das war letztlich ja auch der Schlüssel zum Wahlerfolg - wir haben eine Million Stimmen<br />
mehr bekommen als bei der letzten Wahl. Uns ist es gelungen, die sozialdemokratischen Wähler nicht<br />
zu mobilisieren. Das ist auch vielleicht der große Unterschied zur jetzigen Bun<strong>des</strong>tagswahl. Man lebt<br />
ja, genau wie im Sport - zum Beispiel wenn man Tennis spielt - auch immer von den Fehlern der Gegner.<br />
Wir haben unsere Leute mobilisiert, und die Sozialdemokragen haben ihre nicht mobilisiert. Und<br />
der Erfolg von Adolf Sauerland in Duisburg oder der von Peter Jung in Wuppertal bei der Kommunalwahl,<br />
in alten sozialdemokratischen Hochburgen, ist genauso zustande gekommen. Weil die dortigen<br />
sozialdemokratischen Wähler insbesondere aufgrund der Arbeitsmarktsituation völlig frustriert<br />
waren - Stichwort Hartz-IV-Debatte - und die CDU diese Wähler nicht durch aggressive Adressierungen<br />
mobilisiert hat. Da macht man stille Wahlkämpfe. Und das ist uns in der regionalen Adressierung<br />
im Ruhrgebiet auch hervorragend gelungen. Leider mit der Konsequenz, dass sich, weil das Ruhrgebiet<br />
kaum Listenplätze hat, und weil Direktwahlmandate zu erzielen dort nach wie vor für Christdemokraten<br />
recht schwierig ist, diese passive Strategie nicht durch entsprechende Mandate ausgezahlt<br />
hat. Das ist also die andere Seite der Medaille.<br />
Indikator: Welche Informationen lagen dafür zugrunde?<br />
Dieses Sachverhalt wurde im Interview nicht exakt angesprochen.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> der Zielgruppenkommunikation<br />
Reck fokussiert bei seinen Ausführungen vor allem die Zielgruppe der über 50jährigen, erklärt<br />
allerdings, dass es keine Zielgruppenkampagne gegeben habe und begründet dies mit der Themenpräferenz,<br />
die in allen Segmenten in etwa die selbe sei.<br />
War die Kommunikation mit Zielgruppen im Rahmen der Kampagne ein Thema?<br />
Zielgruppen haben wir adressiert, beispielsweise durch ein Mailing an über 50jährige. Rentner waren<br />
also eine wichtige Zielgruppe, zum Beispiel auch in der Sprache der Veranstaltungen. Ansonsten ist es<br />
so, dass die Themen, die wir aufgegriffen haben, die gesamte Bevölkerung angesprochen haben. Für<br />
die CDU ist es strategisch wichtig, die Senioren zu adressieren, also die älteren Mitbürgerinnen und<br />
Mitbürger. Und die adressieren sie nicht nur über die relevanten Seniorenthemen, wie Pflege im Alter.<br />
Im Gegenteil, die haben Enkel, und Sie adressieren diese Zielgruppe mit dem Bildungsthema genauso,<br />
wie mit dem Arbeitsplatzthema, weil sich die Generation der Großväter natürlich auch Sorgen macht,<br />
um die Zukunft der Familie. Insofern brauchen wir da gar nicht an eine Zielgruppenkampagne zu<br />
denken.<br />
Fazit Segmentierung und Targeting<br />
Dass Reck ein Szenario beschreibt, bei dem die gezielte Ansprache bestimmter Segmente eine<br />
untergeordnete Rolle gespielt habe, entspricht eher nicht der im Rahmen dieser Arbeit vertrete-
LXVII<br />
nen Auslegung einer <strong>Marketing</strong>orientierung. Denn hier wird davon ausgegangen, dass die Bildung<br />
und gezielte Ansprache von Zielgruppen ein sehr zentraler Bestandteil einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
ist. Die Maßnahmen, die Reck in Bezug auf das Targeting nennt, gehen dann aber<br />
durchaus wieder konform mit dem <strong>Marketing</strong>konzept, so dass für diese Dimension bezüglich<br />
der Frage nach einer <strong>Marketing</strong>orientierung ein gemischtes Resümee gezogen werden soll. Unter<br />
Umständen könnte die konsequente Orientierung an den so genannten Hauptkompetenzen<br />
auch als psychografische Segmentierungsstrategie interpretiert werden, so dass insgesamt<br />
durchaus gewisse Merkmale erkennbar werden, die auf eine tendenzielle <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
schließen lassen.<br />
Dimension: Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Indikator: Begriffliche Bedeutung<br />
Reck führt in diesem Kontext erneut die innere und die äußere Kommunikation an, bezieht den<br />
<strong>Marketing</strong>begriff dann aber vor allem auf die Verkaufsseite und lässt offen, inwieweit <strong>Marketing</strong><br />
nach seinem Verständnis auch Einflüsse auf die Angebotsgestaltung selbst nimmt. Klar<br />
wird lediglich, dass er die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dadurch wesentlich gesteuert sieht.<br />
Wenn Sie jetzt einmal ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden<br />
Sie mit den Begriffen <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Eine Menge. <strong>Marketing</strong> steuert ja wesentlich die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die man machen<br />
muss, um sowohl nach außen als auch nach innen erfolgreich zu kommunizieren. Und ich meine, dass<br />
man die Methoden, die man in der werbenden Wirtschaft diesbezüglich einsetzt, auch weitgehend<br />
übernehmen kann, aus Kostengründen, weil die Etats der politischen Parteien traditionell natürlich viel<br />
kleiner sind, aber letztlich nur sehr eingeschränkt. Ich habe Ihnen vorhin ja bereits gesagt, dass ich mir<br />
zum Beispiel bei der zielgruppenorientierten Inserierung mehr gewünscht hätte. Der Print-Bereich ist<br />
stark diversifiziert und man könnte darüber sehr gezielt Zielgruppen - nicht wahr, Jäger, Sportler,<br />
Frauen - ansprechen. Man könnte in diesem Bereich sehr viel mehr machen, aber das war eben aus<br />
Kostengründen nicht möglich. Was wichtig ist, ist die kommerzielle Plakatierung, insbesondere um<br />
Sprachregelungen und Kernbegriffe rüberzubringen. Zunächst wirkt so etwas nach innen und dann<br />
auch nach außen. Das läuft hier genauso ab, wie in einer guten Produktwerbung und daher kommt ja<br />
auch mein Satz: Dienstleistungsunternehmen mit Verfassungsauftrag. So muss man das nämlich sehen.<br />
Und insofern sagt mir der Begriff <strong>Marketing</strong> eine Menge. Man muss in einer politischen Partei<br />
<strong>Marketing</strong> betreiben, um in der heutigen Zeit bei Wahlen erfolgreich zu sein.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Reck: [...] Customer-Relation-Management und Wählerorientierung, im Sinne durchaus auch von<br />
Kundenorientierung, standen klar im Vordergrund<br />
Indikator: Angemessenheit und Legitimität von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Reck erklärt, bezüglich der Frage nach der Legitimität der Anwendung von <strong>Marketing</strong> durch<br />
Parteien keine Probleme zu sehen und beschreibt im Gegenteil eine demokratiezuträgliche Wirkungsweise.<br />
„Demokratie braucht so etwas.“ Ferner bejaht Reck, dass eine maßgebliche Orientierung<br />
an <strong>Marketing</strong>prämissen, so wie sie im Rahmen dieser Arbeit verstanden worden ist, bei<br />
der Kampagnenplanung vor der Landtagswahl in seiner Partei stattgefunden hat.<br />
Sie haben da in demokratietheoretischer Hinsicht keine Bedenken, nehme ich an? Sie halten es für<br />
absolut legitim, so zu verfahren?<br />
Absolut. Damit habe ich gar keine Probleme. Im Gegenteil, das ist eine Errungenschaft der Demokratie<br />
und das Zeichen demokratischer, offener Gesellschaften, begründet durch die Antike, ich denke da<br />
vor allem an die Polis in Athen. Wahlkampf ist in diesem Sinne eine Auseinandersetzung auf einem<br />
Marktplatz. Und dort, insbesondere, wenn Dinge versteigert werden, geht es nun mal zugespitzt und<br />
laut zu. Insofern sehe ich da überhaupt gar kein Problem. Das kann man selbst politikverdrossenen<br />
Bürgern erläutern: Man erklärt denen, Leute, ihr müsst euch das so vorstellen, das ist ein großer kommunikativer<br />
Marktplatz, wo jeder um seinen Standpunkt streiten kann. Wenn die Leute dieses Bild<br />
sehen, dann haben sie auch Verständnis für diese Sichtweise. Im Norden pflege ich in diesem Zusammenhang<br />
den Hamburger Fischmarkt als Beispiel, eines durchaus lauten, teilweise auch lustigen und<br />
provozierenden Ereignisses, anzuführen. Demokratie braucht so etwas. Auch wenn das immer als<br />
politikfern oder als Imageverlust formuliert wird: Letztlich ist es aber doch so gewesen, dass das TV-<br />
Duell ein Straßenfeger gewesen ist. Dass ein Fünftel der deutschen Bevölkerung zugeschaut hat.<br />
Das heißt, Sie haben bei der Vorbereitung ihrer Kampagne zur Landtagswahl schon massiv geguckt, a)
LXVIII<br />
wo sind unsere Wähler und b) wie können wir die erreichen?!<br />
Exakt.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Wie würden Sie denn die Kampagnen der anderen Parteien in dieser Angelegenheit einschätzen?<br />
In der <strong>Marketing</strong>sprache würde man sagen, wir haben ein sehr intensives Customer-Relation-<br />
Management betrieben. Wir haben den Kunden angepeilt, cocoon the customer, nennen die <strong>Marketing</strong>experten<br />
das, und dabei haben wir sowohl den internen Kunden, den Wahlkämpfer, als auch den<br />
externen Kunden, den Bürger, umworben. Das sind Methoden, die halte ich für absolut gut und richtig<br />
und auch sowieso für legitim.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Reck räumt für die Organisation der entsprechenden Wahlkampagne in seiner Partei ein, dass<br />
es eine maßgebliche Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen gegeben habe. „Customer-Relation-<br />
Management und Wählerorientierung, im Sinne durchaus auch von Kundenorientierung, standen<br />
klar im Vordergrund.“ Im Weiteren schätzt er auch die Kampagnen der anderen Parteien<br />
zur Landtagswahl 2005 ein, es wird daraus aber nicht klar ersichtlich, inwieweit er dort eine<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung verortet, oder nicht.<br />
Das heißt, Sie haben bei der Vorbereitung ihrer Kampagne zur Landtagswahl schon massiv geguckt, a)<br />
wo sind unsere Wähler und b) wie können wir die erreichen?!<br />
Exakt.<br />
Wie würden Sie denn die Kampagnen der anderen Parteien in dieser Angelegenheit einschätzen?<br />
In der <strong>Marketing</strong>sprache würde man sagen, wir haben ein sehr intensives Customer-Relation-<br />
Management betrieben. Wir haben den Kunden angepeilt, cocoon the customer, nennen die <strong>Marketing</strong>experten<br />
das, und dabei haben wir sowohl den internen Kunden, den Wahlkämpfer, als auch den<br />
externen Kunden, den Bürger, umworben. Das sind Methoden, die halte ich für absolut gut und richtig<br />
und auch sowieso für legitim. Und darin liegt mit Sicherheit auch die Zukunft, übrigens auch die Zukunft<br />
der Volkspartei. Die Volksparteien müssen es schaffen - wenn ich diesen kleinen Ausblick einmal<br />
geben darf - die CDU als Volkspartei muss im Bereich der Großstadt Attraktivität, Ansprechfähigkeit<br />
und Interaktionsfähigkeit bewahren, sonst geht sie verloren. Dann bekämen wir Partikularparteien,<br />
was die Stabilität <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> und die politische Durchschlagkraft für eine gute Zukunft schwierig<br />
machen würde. Insofern ist das ein absolut wichtiger Ansatz. Customer-Relation-Management und<br />
Wählerorientierung, im Sinne durchaus auch von Kundenorientierung, standen klar im Vordergrund.<br />
Und da haben wir, glaube ich, auch keine gravierenden Fehler gemacht. Die Schwäche der SPD ist<br />
natürlich auch begründet gewesen durch einen sehr negativen Bun<strong>des</strong>trend. Wir wussten schon, dass<br />
diese Wahlentscheidung zu 50 Prozent auch eine bun<strong>des</strong>politische Entscheidung war. Davon haben<br />
wir natürlich eindeutig profitiert. Es gab eine große Bewegung, den Wechsel zu wählen, auch hier in<br />
Nordrhein-Westfalen. Aber dann muss ich sagen, habe ich aufseiten der SDP schlicht auch handwerkliche<br />
Fehler empfunden. Es ist der SPD ja gar nicht gelungen, ihre Kernbotschaft durchzusetzen. Und<br />
die reine Reduktion in der Kampagne auf „er oder ich“, also dieser Versuch der Personalisierung über<br />
Steinbrück ist letztlich auch nicht gelungen, weil Steinbrück, der sicherlich ein sehr kompetenter<br />
Mann ist, einfach kein sympathischer Mann ist. Und vor allem ist er kein Mann, mit dem sich die<br />
SPD-Wähler und die SPD-Funktionäre identifiziert haben. Diesbezüglich gab es eine strategische<br />
Lücke, einen strategischen Bruch bei der SPD. Das hat sich durch die ganze Kampagne gezogen und<br />
das führte, und das ist ganz entscheidend, bei der SPD, wo man natürlich auch von Ehrenamtlichen<br />
lebt, dazu, dass eine Motivation der Wahlkämpfer nicht mehr stattgefunden hat. Ich glaube, das war<br />
deren Hauptproblem. Im Übrigen habe ich den Eindruck gehabt, ich habe da ja keine Inneneinblicke,<br />
aber ich glaube, dass da viele externe Akteure zu Werke waren, die Nordrhein-Westfalen nicht kannten.<br />
Es gab da teilweise sehr wuchtige Auftritte, wo man merken konnte, da ist ein Riesengeld da, aber<br />
man lag trotzdem daneben. Die haben zum Beispiel dreimal so viele Großplakate gebucht wie wir.<br />
Wir hatten 2.000, die hatten 6.000. Das entsprach meinem gesamten Wahlkampfetat. Da hätte ich gar<br />
nicht mitziehen können. Aber das war alles nur ein Wuchten ins Lehre. Also, ich muss sagen, das hat<br />
mich alles nicht so überzeugt. Zu den Kampagnen der kleinen Parteien, beispielsweise zur FDP, die ja<br />
von Coordt von Mannstein betreut worden ist, muss ich sagen, dass man da viele CDU-Module in der<br />
Wahlkampfführung wieder finden konnte, insbesondere im optischen Bereich: Ich habe geschmunzelt,<br />
denn Coordt von Mannstein pflegt nach wie vor die deutsche Flagge zu verwenden, mit mehr gelb<br />
diesmal zwar, aber das findet man regelmäßig in seinen Kampagnen. Insgesamt muss man sagen, dass<br />
die FDP, dafür dass sie eine sehr kleine Partei ist, da wirklich eine gute Handschrift hingelegt hat.<br />
Optisch, wie auch in den Kernbotschaften, die ja durchaus auch komplementär zu unseren Botschaften<br />
waren, ist das gut rüber gekommen. Natürlich war das in erster Linie auch auf die FDP-Zielgruppe
LXIX<br />
ausgerichtet. Und die Grünen, die zwar nicht so ein tolles Wahlergebnis erzielt haben, haben natürlich<br />
eine feste Zielsgruppe und für ihre Verhältnisse machen sie eigentlich auch fortlaufend ganz ordentliche<br />
Wahlkämpfe: Witzig, intelligent, mehr sophisticated, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die<br />
Grünen sind zu einer Partei der Akademiker und der Besserverdienenden geworden und das merkt<br />
man ihren Kampagnen auch an.<br />
Fazit Dimension Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Das Resümee, das für die vorliegende Dimension gezogen werden kann, fällt hinsichtlich einer<br />
bewussten <strong>Marketing</strong>orientierung erneut eindeutig und positiv aus. Reck interpretiert das <strong>Marketing</strong>konzept<br />
in demokratiezuträglicher Weise, sieht dementsprechend keine Legitimitätsprobleme<br />
und gibt an, dass man sich massiv an diesen Prämissen orientiert habe. Diese Aussage passt<br />
somit gut in das Bild, dass durch die Beurteilung der vorangegangen Dimension gezeichnet worden<br />
ist.
LXX<br />
A3.3) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Sabine Brauer, Bündnis 90/Die Grünen<br />
NRW<br />
Dimension: Kommunikationspolitik<br />
Indikator: Ziele der Kampagnenkommunikation<br />
Brauer gibt an, dass es bei der Kampagnenplanung ihrer Partei keine Festlegung von Kommunikationszielen<br />
im Vorfeld gegeben habe.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Wahlkampagne für die vergangene Landtagswahl zurückdenken, worin,<br />
würden Sie sagen, lagen die zentralen Kommunikationsziele, die Sie im Rahmen Ihrer Kampagne<br />
verfolgt haben?<br />
Brauer: Zentrale Kommunikationsziele, das ist schwer zu sagen. Das erste wäre vielleicht aus der<br />
Sicht unserer Partei, dass wir nicht so an eine Kampagne herangehen, wie das vielleicht in manchen<br />
Fachbüchern über Kommunikation oder Wahlkampforganisation beschrieben ist. Wir sind eigentlich<br />
sehr schnell thematisch in die Sache eingestiegen und haben eher überlegt, mit welchen Themen wir<br />
Wählerinnen und Wähler gewinnen können. In dem Sinne hatten wir keine übergeordneten Kommunikationsziele,<br />
wir haben zumin<strong>des</strong>t keine von vorneherein festgelegt.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von Beratung im Rahmen der Kampagnenkommunikation<br />
Brauer erklärt, dass Beratung in ihrer Partei keine große Rolle gespielt habe und begründet dies<br />
mit finanziellen Engpässen. Man habe mit einer Agentur zusammengearbeitet und ferner auch<br />
eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben. Dort habe man abgefragt, welche Kompetenzen der<br />
Partei zugeschrieben werden und unter anderem erfahren, dass die Spitzenkandidatin sich großer<br />
Beliebtheit im Land erfreue.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in Wahlkämpfen<br />
heutzutage von besonderer Bedeutung ist. Wie war das denn bei Ihnen? Sind Sie beraten worden?<br />
Brauer: Das hat in unserem Fall keine große Rolle gespielt, da wir als kleine Partei einfach nicht über<br />
die finanziellen Mittel verfügen, uns beraten zu lassen. Wir haben natürlich eine Agentur gehabt. Bei<br />
der Auswahl haben wir großen Wert darauf gelegt, dass die nicht einfach normale <strong>Marketing</strong>konzepte<br />
machen, sondern auch ein bisschen Ahnung vom politischen Geschäft haben. Wir haben mit der Agentur<br />
Zum Goldenen Hirschen zusammengearbeitet, die auch schon Kampagnen für den Bun<strong>des</strong>verband<br />
gemacht hat. Das ist also eine Agentur, die sich gut im politischen Geschäft auskennt. Von deren Seite<br />
ist natürlich auch Beratung bei der Kampagnenkonzeptionierung erfolgt. Und wir haben - aber das ist<br />
keine klassische Beratung - einmal eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben. Ansonsten haben wir<br />
keinerlei externe Beratungsleistung in Anspruch genommen. Aber das hängt, wie gesagt, in erster<br />
Linie auch mit knappen finanziellen Ressourcen zusammen.<br />
Was war das für eine Meinungsumfrage?<br />
Brauer: Wir haben bei der Forschungsgruppe Wahlen eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben.<br />
Auch schon einige Zeit vor der Wahl, um im Vorfeld schon einmal Themen abzutesten und zu gucken,<br />
wo Kompetenzen für unsere Partei gesehen werden, wie die Beliebtheit von Politikern im Land ist und<br />
so weiter.<br />
Wie viele Fragen waren das? Eher fünf oder eher 50?<br />
Brauer: Eher 20 würde ich sagen.<br />
Was haben Sie mit diesen Informationen gemacht?<br />
Brauer: Die haben wir als Grundlage genommen für unsere Diskussion rund um die Kampagnenbildung,<br />
wobei man sagen muss, dass die Umfrage sehr früh gelaufen ist. Man konnte das nicht eins zu<br />
eins in eine Kampagne umsetzen. Aber es war schon ganz interessant, an diversen Punkten zu sehen,<br />
welche Kompetenzen uns in bestimmten inhaltlichen Feldern zugeschrieben werden. Was damals auch<br />
herauskam - das war natürlich auch handlungsleitend für uns - war, dass Bärbel Höhn zumin<strong>des</strong>t zu<br />
dem Zeitpunkt als beliebteste Politikerin in NRW galt. Ein Novum in der Geschichte, denn das ist<br />
noch keiner kleinen Partei gelungen, dass ihre Ministerin die beliebteste Politikerin im Land war. Das<br />
war kurz nachdem Steinbrück Ministerpräsident geworden ist. Er hat danach an Sympathiewerten<br />
deutlich zugelegt.<br />
Indikator: Formulierung der Slogans<br />
Auf die Frage, ob man bei der Formulierung der Slogans mit Fokusgruppen zusammengearbeitet<br />
habe, gibt Brauer erneut den Hinweis, dass es aufgrund zu knapper Finanzressourcen keine<br />
diesbezüglichen Bemühungen gegeben habe. Man habe sich in einer parteiinternen Wahlkampfkommission<br />
über die Slogans geeinigt.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die auf den Plakaten gestanden<br />
haben. Haben Sie in diesem Zusammenhang mit Fokusgruppen gearbeitet?<br />
Brauer: Nein. Das ist alles eine einzige Frage <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>. Als kleine Partei kann man sich solche Din-
LXXI<br />
ge auch nicht unbedingt leisten.<br />
Wie wichtig war es in Bezug auf die Slogans, die Wähler dort abzuholen, wo sie stehen?<br />
Brauer: Sehr wichtig. Das war uns wirklich sehr wichtig. Die Slogans bis hin zum Claim der Kampagne<br />
waren Thema diverser Diskussionen, bis wir dann das Endgültige wirklich festgelegt haben. Darum<br />
wurde viel gerungen. Wir haben ein Wahlkampfteam gehabt, eine große Wahlkampfkommission - dort<br />
wurde sehr lange darüber diskutiert.<br />
Das heißt, es war eine interne Angelegenheit festzulegen, was der Wähler erwartet. Es wurde also<br />
nicht aufgrund demoskopischer Erkenntnisse…<br />
Brauer: Nein.<br />
…sondern intern in der Wahlkampfkommission im Konsens entschieden, wie verfahren werden soll?<br />
Brauer: Es gab mehrere Vorschläge von der Agentur. Daran schloss sich unsere Diskussion an, deren<br />
Ergebnis die Auswahl <strong>des</strong> Claims und der Slogans gewesen ist.<br />
Fazit Dimension Kommunikationspolitik<br />
Die Tatsache allein, dass Bündnis 90/Die Grünen NRW eine Meinungsumfrage vor der Wahl in<br />
Auftrag gegeben und die daraus resultierenden Informationen bei ihrer weiteren Planung<br />
zugrunde gelegt haben, kann eine <strong>Marketing</strong>orientierung hinsichtlich der vorliegenden Dimension<br />
nicht stützen. Brauer gab an, dass man keine übergeordneten Kommunikationsziele im<br />
Vorfeld vereinbart habe und erklärte unter Verweis auf knappe Finanzressourcen, dass man<br />
Beratungsleistungen oder Fokusgruppenuntersuchungen nicht habe in Anspruch nehmen können.<br />
Vielmehr sei es Aufgabe der parteiinternen Wahlkampfkommission gewesen, festzulegen,<br />
welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, was somit insgesamt eher einer produkt- bis verkaufsorientierten<br />
Herangehensweise entsprechen würde.<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Indikator: Auswahl der Themen und Anbieterverhalten<br />
Brauer erklärt, dass die Auswahl der Themen im Rahmen der parteiinternen Wahlkampfkommission<br />
erfolgt sei. Dort habe man auch aktuelle Entwicklungen diskutiert und im Verlauf der<br />
Kampagne sich bemüht, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren.<br />
Meine nächste Frage lautet, welche Faktoren für die Auswahl der zentralen Themen der Kampagne<br />
entscheidend waren. Zum einen die interne Debatte, das haben Sie bereits gesagt, zum anderen die<br />
Erkenntnisse aus der Meinungsumfrage, die Sie gestartet haben?<br />
Brauer: Ja, die haben bestimmt einen Einfluss gespielt. Aber in erster Linie war es die Diskussion in<br />
der Wahlkampfkommission. Wobei man vielleicht noch sagen muss, dass wir die Kampagne parteiintern<br />
auch unseren Kreisverbänden präsentiert haben, woraufhin es noch kleine Änderungen gab. Wir<br />
mussten die Kampagne zudem insgesamt noch einmal umsteuern nach der Visa-Affäre. Da sind dann<br />
einige Plakate rausgeflogen und andere neu dazugekommen.<br />
Waren das Fischer-Plakate, die in diesem Rahmen rausgeflogen sind?<br />
Brauer: Nein. Da war aber zum Beispiel ein Plakat dabei, auf dem es um die Frage „Visa/Offenes<br />
Land…“ ging. Das war eigentlich ein sehr witziges Plakat, das aber dann aufgrund der politischen<br />
Lage von uns so nicht mehr gehängt werden konnte. Die politische Lage hatte sich auch ansonsten<br />
sehr gedreht. Die Umfragewerte sackten ab. Deswegen mussten wir gucken, wie wir die Kampagne<br />
ganz neu machen. Insofern haben wir zum Schluss eine nicht ganz typische Kampagne gehabt mit<br />
Plakaten der ersten Phase - wo alles noch gut und rosig aussah - und dann zum Schluss einen Teil, der<br />
sehr politisch zugespitzt war. Es ist sozusagen keine Kampagne aus einem Guss gewesen.<br />
Das heißt, es wurde schon sehr bewusst gemonitort, in die Kampagne eingegriffen, modifiziert, verbessert?<br />
Brauer: Ja.<br />
Indikator: Orientierung an Gegnern<br />
Brauer gibt an, dass man vor allem hinsichtlich <strong>des</strong> großen Koalitionspartners SPD überlegt<br />
habe, wie eine Abgrenzung erfolgen könne. Ferner sei es darum gegangen, sich bewusst gegen<br />
eine Schwarz-Gelbe Politik zu positionieren.<br />
Gab es Überlegungen, auf Themen und Aussagen, die andere Parteien setzen würden, zu reagieren,<br />
Sachen anders zu machen?<br />
Brauer: Ja, das gab es schon.<br />
Zum Beispiel?
LXXII<br />
Brauer: Das gab es vor allem hinsichtlich unseres Koalitionspartners, der SPD. Wir haben uns gefragt,<br />
wo grenzen wir uns gegen die ab. Wir wollten nicht in der gleichen Art und Weise und mit den gleichen<br />
Themen daherkommen. Da wurde schon überlegt. Zum Beispiel beim Thema Soziales, wobei das<br />
letztendlich nicht die entscheidende Rolle gespielt hat. Ich sag das jetzt nur als Beispiel. Was setzen<br />
wir da als eigenständige Kraft in diesem Bereich, womit würde die SPD sich da hervortun wollen?<br />
Das hat auch eine Rolle gespielt.<br />
Stichwort Alleinstellungsmerkmal?<br />
Brauer: Ja, genau. Das zum einen und natürlich in Abgrenzung zu den damaligen Oppositionsparteien.<br />
Wir haben auch eine Reihe von Plakaten gemacht, wo wir uns ganz bewusst gegen Schwarz-Gelb<br />
positioniert haben. In dem Zusammenhang haben wir uns natürlich auch Gedanken darüber gemacht.<br />
Indikator: Orientierung an Wählererwartungen<br />
Brauer erklärt, dass es im Rahmen der Kampagnenplanung in ihrer Partei insbesondere um die<br />
Aktivierung von Zielgruppen gegangen sei. Sie nennt die aus ihrer Sicht für die Grünen klassischen<br />
Zielgruppen.<br />
Gab es auch Themen oder Aussagen im Rahmen der Kampagne, die vor allem <strong>des</strong>halb betont wurden,<br />
damit sich auch Wähler angesprochen fühlen, zum Beispiel Menschen, die tendenziell eher nicht dazu<br />
neigen, Grün zu wählen? Gab es solche Überlegungen?<br />
Brauer: Die gab es bestimmt. Wir haben je<strong>des</strong> Plakat durchdiskutiert. Nicht nur in der Wahlkampfkommission,<br />
auch schon vorher im Wahlkampfteam, auf der Arbeitsebene im Haus. Da haben solche<br />
Fragen eine Rolle gespielt, aber keine sehr vordergründige. In erster Linie ging es uns schon darum,<br />
unsere eigenen Zielgruppen zu aktivieren.<br />
Was waren das für Zielgruppen?<br />
Brauer: Das ist für die Grünen klassisch. Zum einen thematisch, Fragen zur Ökologie beispielsweise.<br />
Dann ist natürlich eine weitere klassische Zielgruppe Frauen, weil wir einen überproportionalen Wählerinnenanteil<br />
haben. Jugendliche sind uns außerdem besonders wichtig. Da lagen wir Grünen auch<br />
immer ganz gut. Es schwankt inzwischen ein bisschen. Das sind die ganz klassischen Zielgruppen.<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Zwei Sachen werden deutlich: Erstens zeichnet Brauer ein Bild, in dem vor allem die Wahlkampfkommission<br />
wahlkampfrelevante Entscheidungen getroffen hat, ohne dass es nennenswerte<br />
Einflüsse von außen gegeben hat. Zweitens macht Brauer die Themendiskussion sehr stark an<br />
den Entwicklungen der konkreten Wahlkampfmaterialien fest. Im Sinne einer <strong>Marketing</strong>orientierung,<br />
die im Rahmen dieser Arbeit als Orientierung an Wählererwartungen zum einen, und<br />
an Recherchemaßnahmen zum anderen definiert worden ist, kann das von Brauer Gesagte<br />
kaum interpretiert werden. Als Fazit soll hier eine produkt- bis verkaufsorientierte Herangehensweise<br />
festgestellt werden.<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Indikator: Auswahl <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Dass die Partei mit zwei Spitzenkandidaten angetreten sei, begründet Brauer aus der Parteitradition<br />
heraus. Brauer erklärt darüber hinaus, dass es in der Partei keine Debatte darüber gegeben<br />
habe: Es sei allen klar gewesen, dass Höhn und Vesper antreten und es habe auch keine<br />
Gegenkandidaturen gegeben.<br />
Jetzt komme ich zu der Rolle der Spitzenkandidaten. Das waren im Fall von Bündnis 90/Die Grünen<br />
NRW bemerkenswerter Weise gleich zwei. Gab es parteiintern einen Prozess zu überlegen, dass das<br />
gemacht wird? Oder war das von vorneherein klar?<br />
Brauer: Das war relativ klar. Die beiden sind als Minister angetreten, und natürlich geht man mit zwei<br />
Ministern, die gute Arbeit geleistet haben in knapp zehn Jahren Koalition, auch in den nächsten Wahlkampf.<br />
Das war sozusagen der ganzen Partei klar, dass man die beiden Personen auf Platz eins und<br />
zwei setzt. Gleichermaßen war klar, auch wenn das jetzt bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl anders war, dass wir<br />
hier in NRW zwei Spitzenkandidaten haben. Nach guter grüner Tradition von Doppelspitzen war das<br />
sehr selbstverständlich.<br />
Gab es Gegenkandidaten?<br />
Brauer: Nein.<br />
Indikator: Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten
LXXIII<br />
Brauer gibt an, dass man sich bemüht habe, die Kompetenzen der Spitzenkandidaten herauszustellen.<br />
Zuständig für Entscheidungen in diesem Kontext sei erneut die Wahlkampfkommission<br />
der Partei gewesen. Eine Beratung im Sinne von Coaching habe es nicht gegeben. Begleitende<br />
demoskopische Maßnahmen nennt Brauer nicht.<br />
Im Vorfeld der Kampagne hat sich die Partei bestimmt überlegt, in welcher Weise die Spitzenkandidaten<br />
in Erscheinung treten sollen. Welche Faktoren waren denn dabei maßgeblich?<br />
Brauer: Wir wollten natürlich ihre Kompetenzen herausstellen und die Erfolge, die sie zuvor in der<br />
Koalition errungen haben. Dabei war ziemlich klar, dass Bärbel Höhn natürlich mit Umwelt- und<br />
Verbraucherschutzfragen identifiziert wird und Michael Vesper eher mit Kultur, Sport und Städtebau.<br />
Das haben wir von vorneherein versucht, so umzusetzen. Wir haben den beiden Touren und auch<br />
spezielle Wagen zur Verfügung gestellt, so dass wir eine „Bärbel-Höhn-Tour“ und eine „Michael-<br />
Vesper-Tour“ hatten.<br />
Man hört, dass auch speziell die Spitzenkandidaten in Wahlkämpfen recht intensiv gecoacht werden.<br />
Wie war das im Fall von Bärbel Höhn und Michael Vesper?<br />
Brauer: Das haben wir nicht gemacht. Coachs haben wir nicht. Man könnte höchstens sagen, dass sie<br />
natürlich eine gewisse Rückkopplung in der Wahlkampfkommission hatten, wo man noch mal über<br />
zentrale Auftritte spricht. Wie ist das gelaufen, habt Ihr das gut gemacht, waren Stärken und Schwächen<br />
dabei, was kann man anders machen. Aber wirklich professionelle externe Coachs haben wir<br />
nicht.<br />
Das heißt, Sie haben das hausintern im Rahmen Ihrer Wahlkampfkommission geleistet und abgedeckt?<br />
Brauer: Ja. Aber um das gleich noch einmal zu sagen, das fand natürlich nicht in einem Umfang statt,<br />
wie das ein professioneller Coach machen würde. Das ist klar. Das verteilt sich dann auf solch eine<br />
Wahlkampfkommission.<br />
Indikator: Bedeutung von Beratung und Recherchemaßnahmen<br />
Brauer gibt an, dass es abgesehen von einer Umfrage zu einem Zeitpunkt neun Monate vor der<br />
Wahl keine weiteren demoskopischen Maßnahmen in diesem Bereich gegeben hat.<br />
Haben Sie ermittelt, wie die Erwartungshaltung der Wählerschaft an die Spitzenkandidaten ausgesehen<br />
hat? War das ein Thema, was erwarten die Wähler von den Kandidaten? Hat man da beispielsweise<br />
Umfragen gemacht?<br />
Brauer: Nein. Umfragen haben wir nicht gemacht. Wie gesagt, wir haben diese eine Umfrage damals<br />
gemacht. Da wurde abgefragt, wie bekannt Bärbel Höhn und Michael Vesper im Land sind. Das war<br />
knapp neun Monate vor der Wahl. Dabei kam heraus, dass Bärbel Höhn die bekannteste Politikerin im<br />
Land ist. Und Michael Vesper kam immerhin auf Rang fünf oder sechs. Damit war uns einfach klar,<br />
wir haben eine genügend große Öffentlichkeit, um auf die beiden als Zugpferde im Wahlkampf zu<br />
setzen.<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Im Fall von Bündnis 90/Die Grünen sind zwei Spitzenkandidaten angetreten, Brauer begründet<br />
dies aus der Parteitradition heraus. Insgesamt ergibt sich auch für die vorliegende Dimension<br />
nicht die Vermutung einer <strong>Marketing</strong>orientierung. Erneut wird klar, wie ausgeprägt der Einfluss<br />
der Wahlkampfkommission auf zentrale Entscheidungsprozesse, so auch auf die Entwicklung<br />
<strong>des</strong> Kandidaten gewesen sein muss. Eine demoskopische Begleitung oder eine professionelle<br />
Beratung habe es, so Brauer, in diesem Bereich nicht gegeben, so dass bezüglich der vorliegenden<br />
Dimension erneut eine produkt- bis verkaufsorientierte Herangehensweise festgestellt werden<br />
kann. Für eine Produktorientierung spricht dabei vor allem die von Brauer erneut betonte<br />
starke Rolle der parteiintern besetzten Wahlkampfkommission. Dass eine gewisse Verkaufsorientierung<br />
vorgelegen haben könnte, wird vor allem durch die Rechercheansätze, die erkennbar<br />
werden, unterstützt. Weil es sich dabei nicht um einen strategisch geplanten und dynamisch<br />
organisierten Prozess gehandelt zu haben scheint, wird diese Komponente hier nicht als Signal<br />
für eine <strong>Marketing</strong>orientierung interpretiert.<br />
Dimension: Distributionspolitik<br />
Indikator: Verteilung <strong>des</strong> Budgets auf Kommunikationskanäle<br />
Brauer gibt an, dass man sich zum einen an Vergangenheitswerten orientiert, zum anderen aber<br />
auch neue Entwicklungen in Betracht genommen habe. Für die Schaltung von Kino-Spots habe<br />
man mit einer Media-Agentur zusammengearbeitet, während man Hörfunkschaltungen aus der
LXXIV<br />
Erfahrung im eigenen Haus heraus gemacht habe.<br />
Im Rahmen Ihrer Kampagne wurde ja über unterschiedliche Kommunikationskanäle mit dem Wähler<br />
kommuniziert. Da gab es zum Beispiel die öffentlichen Auftritte der Kandidaten, Seiten im Internet<br />
oder Plakate vor Ort. Aufgrund welcher Prämissen haben Sie denn die finanziellen Mittel auf die verschiedenen<br />
Kanäle aufgeteilt? Was war maßgeblich zu sagen, so viel für Internetseiten, so viel für<br />
Plakate und so weiter?<br />
Brauer: Wir hatten natürlich einen Wahlkampfhaushalt, den wir vorher aufgestellt haben. Da haben<br />
wir uns zum einen an vorhergehenden Wahlkampfetats orientiert, aber natürlich nicht ohne neue Entwicklungen<br />
in Betracht zu nehmen. Beispielsweise haben wir gerade im Bereich Internet-Wahlkampf<br />
dieses Mal deutlich mehr investiert und deutlich mehr gemacht, als das bei vorherigen Wahlkämpfen<br />
der Fall war. Ansonsten liegt natürlich, was Plakate etc. betrifft, einfach eine Schätzung zugrunde,<br />
weil das bei uns nicht zentral geregelt ist. Das wird vor allem über die Kreis- und Ortsverbände vor<br />
Ort abgewickelt. Das sind einfach Schätzwerte, die auf Basis vorhergehender Wahlkämpfe getroffen<br />
werden. Auch bei der Mediaplanung ist das ähnlich. Es ist schon überlegt, mit wie vielen Spots, in<br />
welchen Medien wir präsent sein wollen. Dann rechnet man aus, was man sich an dieser Stelle leisten<br />
kann.<br />
Wie haben Sie das gemacht? Was wurde zugrunde gelegt?<br />
Brauer: Auch da haben wir uns grob an den Werten der vorhergehenden Wahlkämpfe orientiert und<br />
nur den normalen Preiserhöhungszuschlag draufgehauen.<br />
Gab es zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit einer Media-Agentur, die Empfehlungen gegeben hat,<br />
wo und wann welche Sendeplätze am günstigsten sind?<br />
Brauer: Bei den Öffentlich-Rechtlichen gab es die Möglichkeit einiger Spots. Aber das war diesmal,<br />
glaube ich, sehr wenig. Wo wir mit einer Media-Agentur indirekt zusammengearbeitet haben, war bei<br />
der Kino-Schaltung. Das hat unsere Werbeagentur sozusagen in Kooperation mit denen gemacht. Es<br />
gab eine Empfehlung, in welchen Kinos wir welche Spots schalten. Bei Hörfunk und anderen Geschichten<br />
haben wir das aus eigener Erfahrung im Haus heraus gemacht.<br />
Indikator: Unterstützung der lokalen Einheiten<br />
Brauer erklärt, dass es keine individuellen Handlungsempfehlungen für einzelne Stadt- oder<br />
Kreisverbände gegeben hat.<br />
Gab es im Rahmen der Kampagnenplanung eine Analyse über regionale Besonderheiten bei vergangenen<br />
Wahlen? Hat man daraus resultierend seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> auch individuelle Handlungsempfehlungen<br />
für einzelne Stadt- oder Kreisverbände gegeben?<br />
Brauer: Für einzelne Stadt- oder Kreisverbände nicht. Was schon eine Rolle gespielt hat, war die<br />
Stadt-Land-Problematik, gerade bei den Grünen. In den Großstädten oder mittelgroßen Städten haben<br />
wir immer einen sehr guten Wahlerfolg, und gerade in kleinen Kommunen und auf dem Land ist das<br />
schwieriger. Darauf achtet man bei einer Kampagne schon. Was das betrifft, achtet man natürlich<br />
schon darauf, dass man zum Beispiel Plakate produziert, die auch in ländlichen Gegenden aufgehängt<br />
werden können und gut ankommen. Das ist aber das Einzige. Wir hatten dieses Mal ein Sonderproblem<br />
mit dem Kreisverband Dortmund. Das ist uns erst recht spät aufgefallen. Wir haben Plakate gemacht,<br />
auf die wir „Schwarz-Gelb, nein danke!“ geschrieben haben, was der Kreisverband Dortmund<br />
gar nicht gut fand, weil die Borussia Dortmund ja schwarz-gelb ist. Da gab es also eine regionale Besonderheit,<br />
aber eine, die dann im Laufe <strong>des</strong> Wahlkampfes aufgetaucht ist und nicht vorher abgefragt<br />
wurde.<br />
[An einer anderen Stelle im Interview]<br />
Waren das mehr generelle How-To-Do-Tipps oder wurde sehr konkret gesagt, in welche Gegend man<br />
…<br />
Brauer: Sehr generell.<br />
Man hört, dass andere Parteien da deutlich pragmatischer sind, was das Adressenkaufen angeht.<br />
Brauer: Ja, aber das wäre mit den Grünen nicht zu machen.<br />
Indikator: Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges<br />
Brauer erklärt, dass es aus ihrer Sicht schwierig sei, eine Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges zu leisten. Man<br />
habe zwar Feedback bekommen, allerdings verfüge man in diesem Bereich nicht über repräsentatives<br />
Material.<br />
Inwieweit haben Sie sich mit dem Erfolg dieser Kommunikationsmaßnahmen auseinandergesetzt? Es<br />
wurde ja eine Menge an Maßnahmen ins Feld geschossen, inwieweit hat man überprüft, was im Einzelnen<br />
erfolgreich war?<br />
Brauer: Das ist ein bisschen die Frage, inwiefern man das überhaupt prüfen kann. Natürlich haben wir,<br />
was das Internet betrifft, eine Auswertung gemacht, wie solche Seiten genutzt wurden. Wie viele Hits
LXXV<br />
hatten wir und so weiter. Wir haben, was unseren Kinospot betrifft, eine Reihe von parteiinternen<br />
Probevorführungen gemacht, um zu gucken, wie er ankommt. Bei Anzeigenschaltungen war das relativ<br />
schwierig. Da haben wir wenig Feedback bekommen. Aber das hat zumin<strong>des</strong>t im Landtagswahlkampf<br />
für uns nicht die Rolle gespielt wie vielleicht jetzt im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf.<br />
Das heißt, sie haben das nicht näher evaluieren können, inwieweit erfolgreich Plakate, Touren und<br />
andere Aktionsformen letztlich gewesen sind?<br />
Brauer: Nein. Was wir natürlich in der Regel haben, sind gerade Reaktionen auf Plakate. Da bekommen<br />
wir immer eine ganze Reihe von Zuschriften, wie unsere Plakate aufgenommen werden - nicht<br />
nur parteiintern. Es gibt natürlich immer die klassischen Kreis- und Ortsverbände, die sich melden und<br />
sagen „Eure Plakate find ich aber total doof“ oder „…total gut“ oder wie auch immer. Es gibt aber<br />
auch eine Reihe von Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern. Aber auch das bildet nicht wirklich<br />
einen repräsentativen Schnitt, weil das in der Regel die Leute sind, die sich beschweren, die etwas<br />
nicht gut finden. Ob etwas gut ankommt, könnte man wahrscheinlich eher mit Fokusgruppen ermitteln.<br />
Aber dafür haben wir weder die Mittel noch die Zeit gehabt dieses Mal.<br />
Und das jetzt noch zu machen, ist kein Thema?<br />
Brauer: Nein.<br />
Fazit Dimension Distributionspolitik<br />
Wie ist diese Dimension hinsichtlich einer <strong>Marketing</strong>orientierung einzuschätzen? Dem Bild<br />
entsprechend, das die Einschätzung der vorherigen Dimensionen gezeigt hat, ist auch hier nur<br />
schwer eine <strong>Marketing</strong>orientierung hineinzulesen. Dort, wo Brauer <strong>Marketing</strong>prämissen als<br />
sinnvoll erachtet und benannt hat, gab sie an, mangels finanzieller Ressourcen die Möglichkeiten<br />
nicht habe nutzen können. Die Antworten von Brauer in diesem Bereich lassen keine große<br />
Bedeutungsbeimessung bezüglich einer Erfolgsauswertung der Kampagnenbestandteile erkennen.<br />
Individuelle Handlungsempfehlungen für einzelne Stadt- oder Kreisverbände habe es nicht<br />
gegeben. Welche alternativen Idealtypen hier in Frage kommen, kann auf der Basis der hier<br />
gesammelten Antworten nicht klar gesagt werden, so dass hier abschließend eine Herangehensweise<br />
festgehalten werden soll, die nicht <strong>Marketing</strong>-geprägt ist.<br />
Dimension: Segmentierung und Targeting<br />
Indikator: Bildung von Zielgruppen<br />
Brauer erklärt, dass man sich an die für die Grünen klassischen Zielgruppen gewendet habe.<br />
Diesbezüglich habe es allerdings keine Beratungsmaßnahmen oder eine datengestützte Vorgehensweise<br />
gegeben.<br />
Jetzt komme ich noch einmal mit Ihrem Einverständnis auf die Zielgruppen zu sprechen. Sie haben ja<br />
bereits angesprochen, dass das in Ihrem Fall die für Sie klassischen waren. Regionale Zielgruppen<br />
waren kein Thema?<br />
Brauer: Natürlich überlegt man sich immer, wo man zum Beispiel mit einer Großveranstaltung hingeht.<br />
Das spielt natürlich schon eine Rolle. Man versucht, eine regionale Ausgewogenheit hinzukriegen.<br />
Bei Joschka-Fischer-Terminen geht man natürlich nicht fünf Mal nach Köln oder fünf Mal nach<br />
Aachen, sondern da wird versucht, eine regionale Ausgewogenheit hinzukriegen. Und natürlich spielen<br />
die Lan<strong>des</strong>hauptstadt und auch Köln immer eine Rolle, wenn man Großveranstaltungen plant.<br />
Ansonsten versucht man natürlich auch in Städte oder Regionen zu gehen, die ansonsten eher ein<br />
bisschen außen vor sind. Es wird dann bewusst versucht, auch einmal in Bielefeld oder woanders<br />
etwas stattfinden zu lassen. Aber in diesem Sinne, wie das gemeint ist, eigene regionale Kampagnen<br />
aufzulegen, das entspricht einfach nicht der Größe unserer Partei, das machen eher andere Parteien.<br />
Ausnahme ist das Ruhrgebiet, dort hat es in Kooperation mit dem Bezirksverband ein eigenes Plakat<br />
gegeben.<br />
[An einer anderen Stelle im Interview]<br />
Gab es auch Themen oder Aussagen im Rahmen der Kampagne, die vor allem <strong>des</strong>halb betont wurden,<br />
damit sich auch Wähler angesprochen fühlen, zum Beispiel Menschen, die tendenziell eher nicht dazu<br />
neigen, Grün zu wählen? Gab es solche Überlegungen?<br />
Brauer: Die gab es bestimmt. Wir haben je<strong>des</strong> Plakat durchdiskutiert. Nicht nur in der Wahlkampfkommission,<br />
auch schon vorher im Wahlkampfteam, auf der Arbeitsebene im Haus. Da haben solche<br />
Fragen eine Rolle gespielt, aber keine sehr vordergründige. In erster Linie ging es uns schon darum,<br />
unsere eigenen Zielgruppen zu aktivieren.<br />
Was waren das für Zielgruppen?<br />
Brauer: Das ist für die Grünen klassisch. Zum einen thematisch, Fragen zur Ökologie beispielsweise.
LXXVI<br />
Dann ist natürlich eine weitere klassische Zielgruppe Frauen, weil wir einen überproportionalen Wählerinnenanteil<br />
haben. Jugendliche sind uns außerdem besonders wichtig. Da lagen wir Grünen auch<br />
immer ganz gut. Es schwankt inzwischen ein bisschen. Das sind die ganz klassischen Zielgruppen.<br />
Indikator: Prämissen für ihre gezielte Ansprache<br />
Auf die Frage, wie Zielgruppen angesprochen worden sind, zählt Brauer eine Reihe von Maßnahmen<br />
auf. Man habe Veranstaltungen organisiert und zielgruppenspezifische Wahlkampfmaterialien<br />
entwickelt. Ferner habe man zur Ansprache der Zielgruppe „Jugendliche“ den Jugendverband<br />
der Partei eingebunden.<br />
Wie haben Sie das gemacht, wie haben Sie Ihre Zielgruppen konkret angesprochen?<br />
Brauer: Wir haben eine Reihe von Veranstaltungen gemacht. Ein Beispiel wäre, wenn wir auf die<br />
Jugendlichen eingehen, da haben wir versucht, zielgruppenspezifische Materialien aufzulegen. Es gab<br />
zum Beispiel einen ErstwählerInnen-Brief, damit man direkt an diese Gruppe herankommt. Wir haben<br />
spezielle Flyer aufgelegt, um unsere jungen Kandidatinnen und Kandidaten zu präsentieren, um zu<br />
zeigen, dass wir eine junge Partei sind, in der junge Leute mitmachen. Wir haben Events gemacht, die<br />
speziell auf Jugendliche zugeschnitten waren. Als Lan<strong>des</strong>verband haben wir schon vor einiger Zeit<br />
eine Reihe aufgelegt, die sich „Green Beatz“ nennt. Das ist eben nicht das, was der Grüne normalerweise<br />
gerne an Musik hört, sondern wirklich etwas für junge Leute. Dafür haben wir im Übrigen auch<br />
eine externe Firma angeheuert, die das ausgerichtet hat. Das war damals in Bochum im Schauspielhaus,<br />
wo es auf verschiedenen Areas Musik gab und wo nur sehr unterschwellig Parteiwerbung stattfand.<br />
Sie wissen schon, dass sie auf einer Veranstaltung der Grünen sind, <strong>des</strong>wegen „Green Beatz“,<br />
aber da hängen jetzt nicht überall Plakate rum. Das soll wirklich eher ein Gefühl ansprechen, ein Lebensgefühl<br />
von jungen Leuten. Das, würde ich sagen, ist im Bereich Jugendliche gemacht worden.<br />
Dann haben wir auch mit dem Jugendverband zusammen einige Maßnahmen ergriffen und den Jugendverband<br />
aufgefordert, sich um junge Wählerinnen und Wähler zu bemühen. Die haben dann unter<br />
anderem eine Kampagne aufgelegt, in der es um den Bereich „Demokratie und Rechts“ ging, unter<br />
dem Titel „Unser Land bleibt tolerant.“ Das war eine Kampagne zum Mitmachen für die Kreis- und<br />
Ortsverbände vor Ort und die Jugendgruppen, wo es darum ging, mit einer grünen Hand ein Zeichen<br />
für Toleranz zu setzen. Die haben auch einige spezielle Materialien wie Postkarten, Tattoos etc. aufgelegt.<br />
Das heißt, Sie haben den Kreisverbänden etwas an die Hand gegeben - wie den ErstwählerInnenbrief,<br />
haben das aber nicht weiter gesteuert, in welchen Gegenden der verschickt werden soll, in welchen<br />
Straßenzügen er verteilt werden soll?<br />
Brauer: Nein. Wir sind da sehr auf unsere Kreisverbände angewiesen. Das muss man sagen, die müssen<br />
einfach mitziehen. Wir können sozusagen nur die Servicestelle sein, solche Dinge anstoßen und<br />
bewerben, aber die Leute vor Ort müssen konkret gucken, wie und ob sie damit umgehen. Es gibt auch<br />
Kreisverbände, die das sehr kritisch sehen, zum Beispiel so einen Erstwählerbrief. Deswegen machen<br />
wir das nur als Serviceangebot.<br />
Indikator: Welche Informationen lagen dafür zugrunde?<br />
Brauer äußert, dass man es abgelehnt habe, Adressdaten zu kaufen. Zum einen habe man diesbezüglich<br />
in ihrer Partei datenschutzrechtliche Bedenken, zum anderen sei zweifelhaft, ob eine<br />
direkte Wähleransprache vom Wähler gewünscht sei.<br />
Das heißt, Sie haben hier zentral keine Direct Mailings gemacht? Aus der Geschäftsstelle heraus Adressen<br />
gekauft und verschickt…<br />
Brauer: Nein, das ist auch bei den Grünen immer noch ein umstrittenes Feld, inwiefern man so etwas<br />
überhaupt tun sollte. Wir hatten zahlreiche solcher Angebote in diesem Landtagswahlkampf. Wir<br />
haben sie alle abgelehnt.<br />
Wer macht solche Angebote?<br />
Brauer: Diverse Firmen.<br />
Adressverlage…<br />
Brauer: Auch, ja.<br />
…die Ihnen Daten verkaufen wollten?<br />
Brauer: Ja. Wir haben das alles abgelehnt, weil wir dazu ein sehr kritisches Verhältnis haben. Zum<br />
einen aus datenschutzrechtlichen Gründen natürlich, aber wir versuchen auch immer noch ein Level zu<br />
halten, Wählerinnen und Wählern nicht zu sehr auf die Nerven zu gehen, wenn ich das mal so direkt<br />
sagen darf. Was wir schon gemacht haben in dem Zusammenhang, ist, unseren Kreisverbänden Handreichungen<br />
zu geben, wie man vor Ort so etwas analysieren kann. Wo kann man denn zielgruppenspezifischen<br />
Wahlkampf überhaupt machen. Auch zum Beispiel was das Verteilen von Wahlkampfzeitungen<br />
oder Briefen und ähnlichem betrifft.
LXXVII<br />
Waren das mehr generelle How-To-Do-Tipps oder wurde sehr konkret gesagt, in welche Gegend man<br />
…<br />
Brauer: Sehr generell.<br />
Man hört, dass andere Parteien da deutlich pragmatischer sind, was das Adressenkaufen angeht.<br />
Brauer: Ja, aber das wäre mit den Grünen nicht zu machen.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> der Zielgruppenkommunikation<br />
Brauer bezeichnet den Stellenwert von Zielgruppen im Rahmen der Kampagnenplanung als<br />
herausragend.<br />
Was würden Sie sagen, welchen Stellenwert die Zielgruppen bei der Kampagnenplanung hatten? War<br />
das eher ein Aspekt unter vielen, oder war das sehr zentral?<br />
Brauer: Der war schon herausragend.<br />
Fazit Segmentierung und Targeting<br />
Brauer erklärt, dass man sich an die für die Grünen klassischen Zielgruppen gewendet habe.<br />
Diesbezüglich habe es allerdings keine Beratungsmaßnahmen oder eine datengestützte Vorgehensweise<br />
gegeben. Hinsichtlich der Frage, wie Zielgruppen angesprochen worden sind, gibt<br />
Brauer eine Reihe von Maßnahmen an und erklärt ferner, dass Zielgruppen im Rahmen der<br />
Kampagnenplanung von herausragender Bedeutung gewesen seien. Hier stellt sich allerdings die<br />
Frage, ob diesbezüglich tatsächlich von Segmentierung und Targeting im Sinne <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
gesprochen werden kann, da es bezüglich <strong>des</strong> Segmentierungsprozesses gar keine<br />
detaillierten Recherchemaßnahmen gegeben zu haben scheint. Von einer ausgeprägten <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
soll somit auch für diese Dimension der Wahlkampfplanung nicht ausgegangen<br />
werden. Diese Vermutung wird von der Tatsache untermauert, dass Brauer angab, bewusst<br />
keine Adressdaten käuflich erworben zu haben, weil man diesbezüglich datenschutzrechtliche<br />
Bedenken hege. Der Tatsache Rechnung tragend, dass Brauer der Zielgruppenkommunikation<br />
eine große Bedeutung beigemessen hat, soll für diese Dimension das Fazit einer Verkaufsorientierung<br />
gezogen werden. Weil die <strong>Marketing</strong>orientierung einen strategisch fundierteren Planungsprozess<br />
in diesem Bereich erfordert hätte, eine Produktorientierung die Verkaufseite idealtypisch<br />
nicht genauer spezifiziert, entspricht diese Beurteilung am ehesten den Informationen<br />
in den hier zugeordneten Antworten.<br />
Dimension: Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Indikator: Begriffliche Bedeutung<br />
Brauer erklärt, dass die Wahlkampfplanung in ihrer Partei heute deutlich professioneller vonstatten<br />
gehe. Im Vergleich zu anderen Parteien schätzt sie es allerdings so ein, dass man sich<br />
eher weniger an <strong>Marketing</strong>prämissen orientiere. Sie erklärt, dass es diesbezüglich gewisse Vorbehalte<br />
gäbe. Auf eine diesbezüglich detaillierte Nachfrage stimmt Brauer der Interpretation zu,<br />
dass ihre Partei heute verkaufsorientiert agiere, während andere Parteien stärker im Sinne einer<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung handelten.<br />
Wenn Sie einmal ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden Sie<br />
mit den Begriffen <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Brauer: Ich verbinde damit, dass <strong>Marketing</strong> bei den Grünen eigentlich immer ein I-Wort war, weil es<br />
in der Geschichte der grünen Partei immer negativ belastet war, etwas zu verkaufen oder sich dem<br />
Wähler anzubiedern. Man wollte pur für seine Inhalte stehen und nichts anderes. Man muss sagen,<br />
dass es inzwischen mehr Einzug hält, aber nicht in dem Maße, wie ich das bei anderen Parteien beobachte.<br />
Wir machen uns schon viel mehr Gedanken darüber, wie ich schon in Bezug auf die Jugendlichen<br />
sagte, wie kommt man an die heran, was kommt bei denen an. Wir haben zum Beispiel auch<br />
ganz oft Materialien produziert, die uns selber oder eher älteren Grünen nicht so gefallen, die wir aber<br />
dennoch durchgesetzt haben, weil wir wussten, dass das bei jungen Leuten ankommt. Wenn es eben<br />
diese neuen grünen Bändchen sind oder irgendwelche Aufkleber mit flotten Sprüchen, die dann manch<br />
Altgrüner nicht so toll findet. Die Perspektive, vom Wähler aus zu denken, die hält schon immer mehr<br />
Einzug. Aber eben nicht in einem Sinne - ein Schlagwort ist Amerikanisierung - wie das vielleicht bei<br />
anderen Parteien der Fall ist. Grüne Wahlkämpfe sind deutlich professioneller geworden. Das muss<br />
man sagen. In allem, der Kampagnenplanung, der straffen Organisation und so weiter. Es gibt immer<br />
noch Besonderheiten und Sachen, wo wir noch immer lax und offener sind als andere und Dinge auch<br />
anders machen. Von der Kampagnendurchführung her sind wir inzwischen um einiges professioneller.
LXXVIII<br />
Das würde ich mit dem Begriff <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> verbinden. Dass bei uns auch das Bewusstsein<br />
entstanden ist, dass es nicht nur um den tollen Inhalt geht, sondern dass man ihn auch so rüberbringen<br />
muss, dass er bei den Wählerinnen und Wählern entsprechend ankommt und man dafür tatsächlich<br />
Stimmen als Entgelt bekommt.<br />
[An einer anderen Stelle im Interview]<br />
Könnte man sagen, dass während es früher so war, dass man sehr produktorientiert gehandelt hat, also<br />
gemacht hat, was man für richtig hielt und das dann im Wahlkampf präsentiert hat, es heute so ist,<br />
dass man eher verkaufsorientiert vorgeht, also noch immer das Produkt so gestaltet, wie man es für<br />
richtig hält, aber eben genau überlegt, wie man das am besten verkaufen kann...<br />
Brauer: Ja.<br />
…wohingegen andere Parteien im Sinne einer <strong>Marketing</strong>orientierung noch deutlich stärker gucken,<br />
was erwartet der Wähler von der Partei, um ihm das auch zu geben? Das ist allerdings bei den Grünen<br />
nicht so?<br />
Brauer: Ja, dem würde ich zustimmen.<br />
Sie haben also schon das Vorhaben, eine Art Framing zu machen, wie Dinge zu sehen sind? Nicht zu<br />
gucken, was die Wähler erwarten, sondern ihnen eher zu sagen, wie das aus Sicht der Grünen aussieht,<br />
was die beste Lösung ist?<br />
Brauer: Ja. Wobei natürlich die Wählerinnen und Wähler sehr pauschal gesagt ist. Wir unterscheiden<br />
schon zwischen, wen können wir überhaupt erreichen und wen können wir nicht erreichen. Man muss<br />
auch manchmal versuchen, mit unpopulären Themen nach vorne zu kommen. Genauso, wie wir auch<br />
versuchen, mit Themen, bei denen wir schon gepunktet haben, Sympathiewerte zu bekommen, gar<br />
keine Frage. Bei „Weg vom Öl“ zum Beispiel verbindet sich bei<strong>des</strong>, auch jetzt wieder im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf.<br />
Das ist zum einen ein Slogan gewesen, wo wir etwas Neues aufgezeigt haben, das<br />
noch nicht so im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger war, und das jetzt durch die explodierenden<br />
Benzinpreise auch tatsächlich aktuell geworden ist. Das hat den Leuten auch gezeigt, dass es durchaus<br />
in ihrem Interesse ist. Da hat sich bei<strong>des</strong> ein bisschen verbunden.<br />
Indikator: Angemessenheit und Legitimität von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Brauer gibt in diesem Zusammenhang unmissverständlich zu verstehen, dass sie eine <strong>Marketing</strong>orientierung,<br />
wie sie im Sinne dieser Arbeit verstanden wird, für nicht legitim hält. Sie empfinde<br />
diese Vorgehensweise als anbiedernd und verstehe den Auftrag der Wählerschaft an ihre<br />
Partei anders.<br />
Würden Sie denn sagen, dass es aus der Sicht einer Partei vor einer Wahl im Sinne eines guten Ergebnisses<br />
zielführend ist, alle Informationen über die Erwartung potenzieller Wähler in den Mittelpunkt<br />
der Kampagnenplanung zu stellen und…<br />
Brauer: Nein.<br />
Wieso nicht?<br />
Brauer: Nein. Das ist mir zu anbiedernd. So würden wir nicht operieren. Wir würden schon immer<br />
versuchen, ein Thema herauszuarbeiten und zu zeigen, was Wählerinnen und Wähler davon haben.<br />
Aber nur noch darauf zu fokussieren, was Wählerinnen und Wähler wollen, das ist nicht grüne Politik,<br />
weil es uns immer auch darum ging, Themen, die zunächst abseitig erschienen, präsent zu machen und<br />
nach vorne zu bringen. Die Leute sollen auch auf neue Dinge und Ideen gestoßen werden, auch auf<br />
Probleme, die bisher noch nicht in ihrem Bewusstsein waren.<br />
[An einer anderen Stelle im Interview]<br />
Es gibt auch die gegenteilige Argumentation, die sagt, es ist sehr demokratisch, zu schauen, was der<br />
Wähler will und es dann so zu machen. Da würden Sie sagen, das ist nicht der Weg der Grünen?<br />
Brauer: Nein, das ist nicht unser Weg. Man kann zwar auch nicht alles gegen Wählerinnen und Wähler<br />
machen, aber man hat auch als politische Partei den Auftrag, über Themen aufzuklären und zu informieren.<br />
Das ginge ja davon aus, dass ein Wähler hundertprozentig informiert wäre, was er in der Regel<br />
nicht ist, wenn man ehrlich ist. Deswegen würde ich das wirklich nicht sehen, dass man sich nur<br />
nach Stammtischlaunen und Parolen, die beim Biertrinken entstanden sind, zu richten hat. Ganz im<br />
Gegenteil. Da verstehe ich unseren Auftrag anders.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Brauer äußert die Vermutung, dass andere Parteien <strong>Marketing</strong>muster angewendet haben könnten.<br />
Insgesamt wird in diesem Zusammenhang erneut eine Geringwertschätzung bezüglich dieser<br />
Vorgehensweise deutlich.<br />
Würden Sie sagen, dass es in der Realität so stattfindet bei anderen Parteien? Dass Parteien sehr marketingorientiert<br />
vorgehen und gucken, was der Wähler erwartet?
LXXIX<br />
Brauer: Ja. Ich würde schon sagen, dass es auch gerade in diesem Landtagswahlkampf, wenn man sich<br />
die Inszenierung der CDU angesehen hat, definitiv so ist. Gerade in den letzten Wahlkampfwochen<br />
und gerade bei den großen Parteien, würde ich sagen, dass es definitiv der Fall ist. Nachtzuschläge<br />
zum Beispiel - solche Themen werden instrumentell eingesetzt.<br />
Sie würden also dazu tendieren, zu sagen, dass das nicht besonders legitim ist, so vorzugehen?<br />
Brauer: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Im Sinne der Nachtzuschläge würde ich sagen, dass aus<br />
meiner ganz persönlichen Sicht etwas Gutes dabei herausgekommen ist. Ein gutes Versprechen. Aber<br />
wenn man Versprechen immer nur auftischt, um schnell noch ein paar Wählerstimmen zu bekommen,<br />
dann finde ich das in der Tat moralisch nicht sehr hoch stehend. Ich finde, man sollte schon ein konsistentes<br />
Programm haben, das man entsprechend durchzieht und das realistisch bleibt. Wenn man kurz<br />
vor dem Ziel noch Torschlusspanik kriegt und Gott und die Welt verspricht, finde ich das nicht sehr<br />
seriös.<br />
Wie würden Sie das bezüglich der Landtagswahl einschätzen? Waren da alle Parteien eher gleich an<br />
solchen Maßstäben orientiert, oder gab es Unterschiede? Sie haben es jetzt schon angedeutet, dass das<br />
bei den Grünen eher nicht so war, aber bei anderen Parteien vielleicht schon?<br />
Brauer: Das ist jetzt natürlich schon einige Zeit her, aber die CDU hat schon auch Versprechungen<br />
gebracht, bei denen sich bereits ein paar Monate später herausgestellt hat, dass die sehr substanzlos<br />
gewesen sind. Wenn man zum Beispiel an das Thema Studiengebühren denkt. Da gibt es schon einige<br />
Geschichten. Wobei die CDU ansonsten im Landtagswahlkampf eher durch eine Art „Mikado-Politik“<br />
aufgefallen ist, wie man das immer so schön genannt hat: Also bloß kein heißes Eisen anzufassen. Die<br />
CDU hat sich eher herausgehalten, ohne mit den großen Themen zu punkten. Sie hat sich in die Regierung<br />
quasi reingemogelt. Die SPD hat schon mit allen Mitteln versucht, mit Versprechungen zum<br />
Schluss noch etwas herauszuholen. Aber da war es einfach zu spät.<br />
Die FDP?<br />
Brauer: Die FDP macht das, was sie immer macht. Ich habe das Gefühl, die fahren seit zehn Jahren die<br />
gleiche Kampagne und je nachdem, wie viel sie von der CDU kriegen, sind sie mal besser, mal<br />
schlechter gestellt. Ich habe sie nicht mit neuen Themen wahrgenommen. Aber die FDP hat erstaunlicherweise<br />
ganz massiv versucht, sich gegen uns zu profilieren. Das fand ich relativ interessant. Wenn<br />
man sich Wähleranalysen anguckt, gibt es da zwar eine Schnittmenge, aber die ist nicht so riesig.<br />
Das hat die FDP anders gesehen?<br />
Brauer: Das hat die FDP offensichtlich anders gesehen. Wobei ich sagen würde, dass sich das verändert.<br />
Im eher ländlichen Bereich ist das nicht so, aber in den Großstädten buhlen FDP und Grüne offensichtlich<br />
jetzt auch um eine junge Wählerschicht, die ein ähnliches Lebensgefühl hat. Da hat sich<br />
die FDP wirklich ganz massiv auf uns konzentriert. Wir hatten eigentlich das Gefühl, wir sind der<br />
Hauptgegner der FDP. Das haben wir nicht im gleichen Maße erwidert. Wir haben auch mal ein Flugblatt<br />
gegen die FDP gehauen, aber das war es im Prinzip auch.<br />
Fazit Dimension Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Es darf vermutet werden, dass die Bedeutungszuweisung Brauers zum <strong>Marketing</strong>begriff und<br />
zur Konstellation <strong>des</strong> Politischen <strong>Marketing</strong> in etwa dem hier angeführten Verständnis entspricht,<br />
denn Brauer äußert sich sowohl in der eigenen Einschätzung als auch in ihrer Stellungnahme<br />
zu der hier vorliegenden Sichtweise kritisch bis ablehnend, so dass auch hinsichtlich<br />
dieser expliziten Dimension festgestellt werden kann, dass man im Fall von Bündnis 90/Die<br />
Grünen NRW – auf der Basis der hier vorliegenden Fakten – insgesamt nicht von einer bewussten<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung sprechen kann. Teilbereiche der hier gesammelten Antworten sprechen<br />
eher für eine Produktorientierung, so zum Beispiel die Feststellung Brauers, dass auch<br />
Themen im Wahlkampf kommuniziert werden müssten, die der Wähler nicht von vorneherein<br />
auf seiner Agenda hat. Für eine Verkaufsorientierung spricht in diesem Zusammenhang vor<br />
allem, dass Brauer eine dahingehende Nachfrage bejaht. Insgesamt soll <strong>des</strong>halb auch für diese<br />
Dimension ein Orientierungsmuster festgestellt werden, das sich zwischen den Idealtypen der<br />
Produkt- und der Verkaufsorientierung bewegt.
LXXX<br />
A3.4) Auswertung der Gesprächstranskription <strong>des</strong> Interviews mit Michael Groschek, SPD NRW<br />
Dimension: Kommunikationspolitik<br />
Indikator: Ziele der Kampagnenkommunikation<br />
Groschek benennt insgesamt drei strategische Kommunikationsziele, die bei der Kampagnenplanung<br />
eine Rolle gespielt hätten: Erstens sei es um die Herausstellung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
gegangen, zweitens sollten NRW-spezifische Qualitäten betont werden und drittens habe man<br />
sich auf einen familienpolitischen Themenschwerpunkt konzentriert.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Organisation der Kampagne zur letzten Landtagswahl zurückdenken,<br />
was würden Sie sagen, waren die zentralen Kommunikationsziele, die Sie verfolgt haben?<br />
Groschek: Es war unser Ziel, den Spitzenkandidaten als die Nummer Eins nicht nur der eigenen Partei,<br />
sondern auch als die Nummer Eins <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> herauszustellen. Darzustellen, dass Nordrhein-<br />
Westfalen bestimmte Qualitäten hat, die NRW-typisch sind, und die Familienpolitik im Rahmen von<br />
Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Leitbild einer modernen Gesellschaftspolitik zu positionieren.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von Beratung im Rahmen der Kampagnenkommunikation<br />
Bezüglich der Frage nach der Rolle von Beratung gibt Groschek an, dass die SPD NRW bei der<br />
Planung der Wahlkampagne mit zwei Agenturen, einer Kampagnen- und einer Konzeptagentur,<br />
zusammengearbeitet habe. Darüber hinaus habe es ein ehrenamtliches Beratergremium gegeben,<br />
das vor allem zur Unterstützung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten gedient habe. Zur demoskopischen<br />
Untermauerung der Kampagnenplanung habe man mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa<br />
sowie mit einem anderen Meinungsforschungsinstitut zusammengearbeitet.<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in heutigen Wahlkämpfen<br />
so wichtig ist. Wie war das denn bei Ihnen? Haben Sie sich beraten lassen?<br />
Groschek: Ja. Wir hatten neben einer klassischen Kampagnenagentur [Butter, red. Anmerkung] eine<br />
Konzeptagentur [Becker/Kronacher, red. Anmerkung], die auch geholfen hat, den Spitzenkandidaten<br />
als starken Ministerpräsidenten mit sozialdemokratischem Profil herauszustellen.<br />
Gab es auch so genannte Spin Doctors?<br />
Groschek: Neben diesen beiden Agenturberatungen gab es noch so etwas wie einen Runden Tisch<br />
beim Spitzenkandidaten, wo unterschiedliche Erfahrungen zusammengebunden wurden. Dieser Kreis<br />
war im Grunde ein ehrenamtliches, lockeres Beratungsgremium mit einigen Politikwissenschaftlern,<br />
Vertretern aus der Wirtschaft und einigen Journalisten.<br />
Wie viele Leute waren das insgesamt, eher 20 oder mehr in Richtung 50?<br />
Groschek: Nein, das waren unter 20 Personen. Sie haben Empfehlungen zur Positionierung in ganz<br />
bestimmten Schwerpunktthemen gegeben und auch versucht, ein zusätzliches Megathema zu definieren.<br />
Welches Thema hätte das werden können?<br />
Groschek: Es ist nach dem Thema gesucht worden, das alle anderen Themen wegdrückt. Das war jetzt<br />
im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf im Grunde die Auseinandersetzung um Sozialstaat und Solidarität. Ein<br />
vergleichbar emotionalisieren<strong>des</strong>, polarisieren<strong>des</strong> Thema ist von uns beim Landtagswahlkampf nicht<br />
gefunden worden.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Wenn Sie von Demoskopie reden, meinen Sie dann, dass Sie Politbarometer abonnieren, oder geben<br />
Sie selber was in Auftrag?<br />
Groschek: Nein, es gab eine Zusammenarbeit mit Forsa, die in unserem Auftrag Umfragen durchgeführt<br />
hat, und mit einem zweiten demoskopischen Institut. Letztere haben für uns Feldstudien gemacht.<br />
Darüber hinaus haben wir eigene Fragen an Umfragen anderer angehängt.<br />
Wie hat man sich das vorzustellen? Entscheiden Sie das, sagen Sie, ich habe mir das angesehen, es in<br />
den Medien diese und jene Veröffentlichung und ich habe außerdem noch was gelesen, und auf dieser<br />
Grundlage würde ich sagen, machen wir doch mal das und das? Oder werden Sie beraten und sagt<br />
Ihnen jemand macht es doch so und so?<br />
Groschek: Wir haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten über die Kampagnenanlage geredet. Haben<br />
dann gesagt, was bräuchten wir eigentlich noch an differenzierten Analysen, haben darauf Kontakt<br />
aufgenommen zu den demoskopischen Instituten, haben uns von denen nach Gesprächen Fragenkataloge<br />
vorlegen lassen, uns dann für Alternativen entschieden, diese nachgebessert, Institute beauftragt<br />
und die Fragen im zweiten Durchlauf korrigiert, um den Erkenntniswert zu erhöhen. Das ist also eine<br />
dialoggestützte Situation. Letztendlich haben wir immer die Vorgaben gemacht und entschieden, welche<br />
Fragestellungen gemacht und wie die Ergebnisse genutzt werden, das heißt wir haben uns mal<br />
mehr mal weniger an die Ratschläge der Institute gehalten.
LXXXI<br />
Und Sie würden schon sagen, dass diese Maßnahmen sehr zentral waren im Rahmen der Kampagnenplanung?<br />
Groschek: Ja natürlich.<br />
Indikator: Formulierung der Slogans<br />
Bei der Formulierung der im Rahmen der Kampagne verwendeten Slogans habe man, so Groschek,<br />
mit Fokusgruppen zusammengearbeitet. Diese Tests seien durch die Agentur Becker/Kronacher,<br />
die, so geht es an anderer Stelle im Interview hervor, die SPD strategisch und<br />
konzeptionell beraten habe, durchgeführt worden. In der Zusammenarbeit mit der Agentur<br />
Becker/Kronacher, die eine ausgeprägte Expertise im Bereich der qualitativen Forschung aufgebaut<br />
habe, seien, so Groschek weiter, Vorschläge erarbeitet worden, die dann von der Kampagnenagentur<br />
Butter grafisch und kommunikativ in Kampagnenvorschläge umgesetzt worden<br />
seien.<br />
Wenn Sie jetzt einmal an die Formulierung der zentralen Slogans denken, die Sie im Rahmen der<br />
Kampagne verwendet haben, worauf kam es dabei an?<br />
Groschek: Wir wollten deutlich machen, dass Modernisierung, Reformen und auch unpopuläre Veränderungen<br />
notwendig sind, aber dass dies mit der SPD in sozialer Balance stattfinden könnte. Deswegen<br />
gab es den Rahmenslogan „Stärker werden, menschlich bleiben“, der das in einer natürlich wirkenden<br />
Sprache ausdrücken sollte.<br />
Haben Sie den vorher getestet, in Fokusgruppen?<br />
Groschek: Ja, der Slogan ist vorher in Fokusgruppen getestet worden.<br />
Wie sieht das aus, machen Sie das mit einer Agentur?<br />
Groschek: Ja. Das hat die Agentur Becker/Kronacher gemacht.<br />
…und die bilden dann eine Fokusgruppe aus 10 Leuten und testen dann verschiedene Formulierungen<br />
für Sie?<br />
Groschek: Ja. Die bilden unterschiedliche Fokusgruppen. Mit unterschiedlichen Zielgruppen, auch<br />
was Nähe oder Ferne zur SPD angeht. Becker/Kronacher haben große Erfahrung aus dem Bereich der<br />
Wirtschaftsberatung und haben als einen weiteren Strang die Politikberatung aufgebaut. Sie sind Experten<br />
in der qualitativen Forschung. Die Fokusgruppen waren so ausgewählt, befragt und durchgetestet,<br />
dass wir eine nach unserer Auffassung repräsentative Auswahl für NRW hatten.<br />
Wie hat man sich das vorzustellen? Sie gehen zur Agentur Butter und die unterbreitet Ihnen verschiedene<br />
Entwürfe, die Sie Becker/Kronacher übergeben, die diese dann für Sie testet, und dann schauen<br />
Sie, was dabei rauskommt?<br />
Groschek: Das war ein gemeinsamer Arbeitsprozess, der von mir als Wahlkampfleiter geführt wurde<br />
und in dem die Konzeptagentur nach gemeinsamen Diskussionen Vorschläge unterbreitet hat. Die<br />
wurden dann von Butter grafisch und kommunikativ als Kampagnenvorschlag umgesetzt. Und mit<br />
diesen Vorschlägen - sowohl Slogans als auch Motivvorschlägen - ist dann von der Konzeptagentur<br />
ein Diskussionsprozess in den Fokusgruppen an mehreren Standorten in NRW organisiert worden.<br />
Fazit Dimension Kommunikationspolitik<br />
Die Dimension Kommunikationspolitik soll, so ist es im Rahmen dieser Arbeit festgelegt worden,<br />
auf der Basis von drei Indikatoren begutachtet werden. Kann auf der Grundlage der hier zugeordneten<br />
Antworten hinsichtlich der Kommunikationspolitik bei der Planung der SPD-<br />
Kampagne zur Landtagswahl eine implizite Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen festgestellt<br />
werden? Hinsichtlich der Summe an Indizien, die sich aus Groscheks diesbezüglichen Ausführungen<br />
ergeben, kann man in der Tat zu dieser Feststellung gelangen. Bezüglich der Kommunikationsziele<br />
nannte Groschek im Gespräch drei: Eines bezog sich auf die Herausstellung <strong>des</strong><br />
Spitzenkandidaten, das zweite auf die bisher in NRW geleistete Regierungsarbeit und das dritte<br />
Kommunikationsziel fokussierte ein inhaltliches Element: die Familienpolitik. Bei der Planung<br />
der Kampagne sei die SPD, so Groschek, von einer Konzeptagentur und von einer Kampagnenagentur<br />
beraten worden. Ferner habe es um den Spitzenkandidaten ein ehrenamtliches Beraterkomitee<br />
gegeben, und man habe mit zwei Meinungsforschungsinstituten zusammengearbeitet.<br />
Die Art dieser Zusammenarbeit, die vom letzten hier relevanten Indikator in der Hinsicht aufgegriffen<br />
wird, als dass dort nach der Formulierung der Slogans gefragt wird, habe sich, so Groschek,<br />
in intensiver Zusammenarbeit mit der Konzeptagentur gestaltet, woraus dann Vorschläge<br />
hervorgegangen seien, die dann von der Kampagnenagentur umgesetzt worden seien.
LXXXII<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Indikator: Auswahl der Themen und Anbieterverhalten<br />
Groschek gibt an, dass man im Rahmen der Kampagnenplanung intensiv demoskopische Untersuchungen<br />
zum thematischen und personellen Kompetenzprofil angestellt und die daraus resultierenden<br />
Ergebnisse dann bei der Kampagnenplanung zugrunde gelegt habe. Diese demoskopische<br />
Untermauerung habe man zum einen in der Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut<br />
Forsa, zum anderen in Zusammenarbeit mit einem anderen Meinungsforschungsinstitut<br />
erarbeitet, das Feldstudien im Auftrag der SDP durchgeführt habe. An einer<br />
anderen Stelle im Interview erklärt Groschek zudem, dass es im Rahmen der Konsultationen<br />
mit dem Beratergremium um Steinbrück im Vorfeld der Landtagswahl gleichwohl nicht gelungen<br />
sei, „ein emotionalisieren<strong>des</strong>, polarisieren<strong>des</strong>, alle anderen wegdrücken<strong>des</strong> Megathema“ zu<br />
finden.<br />
Haben Sie in diesem Zusammenhang noch andere Studien in Auftrag gegeben, zum Beispiel Meinungsumfragen?<br />
Groschek: Ja, wir haben im Vorfeld der Landtagswahl intensiv demoskopische Untersuchungen angestellt<br />
zum Kompetenzprofil, sowohl thematisch als auch personell. Aufgrund dieser demoskopischen<br />
Bewertungen haben wir unsere Konsequenzen für den Kampagnenaufbau gezogen. Eine Konsequenz<br />
war beispielsweise, dass außer dem Spitzenkandidaten niemand eine herausragende personale Kompetenz<br />
zugemessen bekam. Von daher war klar, dass ein Team anstelle <strong>des</strong> herausgestellten Spitzenkandidaten<br />
ausschied und dass Programm und Person in der Person <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Steinbrück<br />
kumulieren mussten.<br />
Gab es da auch thematische Implikationen?<br />
Groschek: Ja, die Umfragen ergaben, dass die Kompetenzzumessung für die SPD in allen klassischen<br />
Bereichen im Vergleich zur vorausgegangenen Landtagswahl abgenommen hatte und dass wir gerade<br />
auf ganz wichtigen Feldern wie Wirtschaftspolitik, Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarktpolitik drastische<br />
Einbrüche hatten. Wir mussten uns <strong>des</strong>halb darauf konzentrieren, Kernkompetenzen zu verteidigen:<br />
zum Beispiel unseren Vorsprung vor der Union im Bereich soziale Sicherheit und Gerechtigkeit,<br />
der sich auch schon abschmelzend darstellte. Bei der Parteikompetenz - einschließlich <strong>des</strong> sehr wichtigen<br />
Fel<strong>des</strong> der Schulpolitik - lagen wir in den meisten Feldern hinter der Union. Von daher war klar,<br />
dass die Auseinandersetzung mit der Union um Kompetenz und Kompetenzzumessung vor allen Dingen<br />
auf die Person <strong>des</strong> Ministerpräsidenten konzentriert werden musste, der in den Sachthemen als<br />
sehr kompetent eingeschätzt wurde und in allen Umfragen vor dem Herausforderer lag.<br />
Wenn Sie von Demoskopie reden, meinen Sie dann, dass Sie Politbarometer abonnieren, oder geben<br />
Sie selber was in Auftrag?<br />
Groschek: Nein, es gab eine Zusammenarbeit mit Forsa, die in unserem Auftrag Umfragen durchgeführt<br />
hat, und mit einem zweiten demoskopischen Institut. Letztere haben für uns Feldstudien gemacht.<br />
Darüber hinaus haben wir eigene Fragen an Umfragen anderer angehängt.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Gab es auch Spin Doctors?<br />
Groschek: Neben diesen beiden Agenturberatungen gab es noch so etwas wie einen Runden Tisch<br />
beim Spitzenkandidaten, wo unterschiedliche Erfahrungen zusammengebunden wurden. Dieser Kreis<br />
war im Grunde ein ehrenamtliches, lockeres Beratungsgremium mit einigen Politikwissenschaftlern,<br />
Vertretern aus der Wirtschaft und einigen Journalisten.<br />
Wie viele Leute waren das insgesamt, eher 20 oder mehr in Richtung 50?<br />
Groschek: Nein, das waren unter 20 Personen. Sie haben Empfehlungen zur Positionierung in ganz<br />
bestimmten Schwerpunktthemen gegeben und auch versucht, ein zusätzliches Megathema zu definieren.<br />
Welches Thema hätte das [- ein Schwerpunktthema -] werden können?<br />
Groschek: Es ist nach dem Thema gesucht worden, das alle anderen Themen wegdrückt. Das war jetzt<br />
im Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf im Grunde die Auseinandersetzung um Sozialstaat und Solidarität. Ein<br />
vergleichbar emotionalisieren<strong>des</strong>, polarisieren<strong>des</strong> Thema ist von uns beim Landtagswahlkampf nicht<br />
gefunden worden.<br />
Indikator: Orientierung an Gegnern<br />
Groschek erklärt, dass die Gegnerbeobachtung vor allem in Bezug auf den Spitzenkandidaten<br />
von Bedeutung gewesen sei. Hier habe man sich um eine spiegelbildliche Profilierung in Anlehnung<br />
an die Schwächen <strong>des</strong> Gegners bemüht.<br />
Stichwort Gegnerbeobachtung, gab es da Überlegungen zu sagen was macht denn die CDU, was müssen<br />
wir da ansprechen, was müssen wir da aufgreifen, wie müssen wir uns da abgrenzen? War das ein
LXXXIII<br />
Thema?<br />
Groschek: Ja, Gegnerbeobachtung hat eine Rolle gespielt. Wir haben, um unsere Stärke - also die<br />
Stärke <strong>des</strong> Ministerpräsidenten - weiter zu betonen, spiegelbildlich die Schwäche <strong>des</strong> Gegenkandidaten<br />
profiliert, unter anderem durch eine Kampagne, die sich ausdrücklich auf Rüttgers und seinen<br />
politischen Wankelmut bezog und die ein Schlagwort popularisiert hat, das von der „Rolle Rüttgers“.<br />
Deswegen kann man sagen: Die Gegnerbeobachtung mündete in einen Kampagnenteil, wo der schwache<br />
Spitzenkandidat der konkurrierenden Partei zu einem wichtigen Wahlargument für die SPD wurde.<br />
Indikator: Orientierung an Wählererwartungen<br />
Bereits in den Antworten, die den vorangegangenen Indikatoren zu dieser Dimension zugeordnet<br />
worden sind, wird von Groschek betont, dass man sich intensiv um eine demoskopische Untermauerung<br />
der Kampagnenplanung bemüht habe. Mit der Kampagne habe man vor allem<br />
durch den Kandidaten Peer Steinbrück auch solche Wähler erreicht, die sonst weniger für die<br />
SDP erreichbar seien, bei den Themen sei dies gleichwohl weniger gut gelungen. An einer anderen<br />
Stelle im Interview erklärt Groschek, dass man auch während der Kampagne zu unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten neue demoskopische Untersuchungen einbezogen und auf deren Basis<br />
nachjustiert habe. Diese Maßnahmen, die Groschek als sehr zentral für die Kampagnenplanung<br />
einstuft, seien dabei federführend aus der Partei heraus gesteuert worden.<br />
Gab es denn auch Themen oder Aussagen im Rahmen Ihrer Kampagne, die Sie vor allem <strong>des</strong>halb<br />
betont haben, weil Sie vielleicht auch Wähler ansprechen wollten, die nicht unbedingt dazu tendieren,<br />
die SPD zu wählen?<br />
Groschek: Das war im Grunde die Schnittstelle Peer Steinbrück. Wir wussten, dass Peer Steinbrück<br />
weit über das Spektrum der klassischen SPD-Klientel hinaus Wähler überzeugt und angesprochen hat.<br />
Für die Kampagne der SPD gab es zusätzliche Schubkraft, die Personalisierung sehr stark zu betonen<br />
und den gesamten Wahlkampf zu personalisieren. Bei den Themen ist uns das weniger gelungen. Da<br />
gab es als einzigen wichtigen Anknüpfungspunkt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die vor<br />
allen Dingen bei jüngeren Familien und jüngeren Frauen als Thema Anklang gefunden hat - schichtenund<br />
klientelübergreifend. Ansonsten bot sich durch den starken Ansehens- und Kompetenzrückgang<br />
der Lan<strong>des</strong>regierung gegenüber der Wahl 2000, die auf uns unmittelbar übertragen wurden, kein Thema<br />
an, das einen Mobilisierungseffekt gehabt hätte.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Wenn Sie von Demoskopie reden, meinen Sie dann, dass Sie Politbarometer abonnieren, oder geben<br />
Sie selber was in Auftrag?<br />
Groschek: Nein, es gab eine Zusammenarbeit mit Forsa, die in unserem Auftrag Umfragen durchgeführt<br />
hat, und mit einem zweiten demoskopischen Institut. Letztere haben für uns Feldstudien gemacht.<br />
Darüber hinaus haben wir eigene Fragen an Umfragen anderer angehängt.<br />
Wie hat man sich das vorzustellen? Entscheiden Sie das, sagen Sie, ich habe mir das angesehen, es in<br />
den Medien diese und jene Veröffentlichung und ich habe außerdem noch was gelesen, und auf dieser<br />
Grundlage würde ich sagen, machen wir doch mal das und das? Oder werden Sie beraten und sagt<br />
Ihnen jemand macht es doch so und so?<br />
Groschek: Wir haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten über die Kampagnenanlage geredet. Haben<br />
dann gesagt, was bräuchten wir eigentlich noch an differenzierten Analysen, haben darauf Kontakt<br />
aufgenommen zu den demoskopischen Instituten, haben uns von denen nach Gesprächen Fragenkataloge<br />
vorlegen lassen, uns dann für Alternativen entschieden, diese nachgebessert, Institute beauftragt<br />
und die Fragen im zweiten Durchlauf korrigiert, um den Erkenntniswert zu erhöhen. Das ist also eine<br />
dialoggestützte Situation. Letztendlich haben wir immer die Vorgaben gemacht und entschieden, welche<br />
Fragestellungen gemacht und wie die Ergebnisse genutzt werden, das heißt wir haben uns mal<br />
mehr mal weniger an die Ratschläge der Institute gehalten.<br />
Und Sie würden schon sagen, dass diese Maßnahmen sehr zentral waren im Rahmen der Kampagnenplanung?<br />
Groschek: Ja natürlich.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Haben Sie in diesem Zusammenhang noch andere Studien in Auftrag gegeben, zum Beispiel Meinungsumfragen?<br />
Groschek: Ja, wir haben im Vorfeld der Landtagswahl intensiv demoskopische Untersuchungen angestellt<br />
zum Kompetenzprofil, sowohl thematisch als auch personell. Aufgrund dieser demoskopischen<br />
Bewertungen haben wir unsere Konsequenzen für den Kampagnenaufbau gezogen. Eine Konsequenz
LXXXIV<br />
war beispielsweise, dass außer dem Spitzenkandidaten niemand eine herausragende personale Kompetenz<br />
zugemessen bekam. Von daher war klar, dass ein Team anstelle <strong>des</strong> herausgestellten Spitzenkandidaten<br />
ausschied und dass Programm und Person in der Person <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Steinbrück<br />
kumulieren mussten.<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf die Themenauswahl und Positionierung der Partei<br />
Die Bedeutung der Themen stand im Rahmen der SPD-Kampagnenplanung klar hinter der<br />
<strong>Relevanz</strong> <strong>des</strong> Spitzenkandidaten zurück, die Produktpolitik konzentrierte sich Groscheks Angaben<br />
zufolge also vor allem auf den Spitzenkandidaten. Hinsichtlich der Themenauswahl gab<br />
Groschek zunächst an, intensiv demoskopische Untersuchungen zum thematischen und personellen<br />
Kompetenzprofil angestellt und diese dann bei der Kampagnenplanung zugrunde gelegt<br />
zu haben. An einer anderen Stelle im Interview erklärt Groschek, dass man auch während der<br />
Kampagne zu unterschiedlichen Zeitpunkten neue demoskopische Untersuchungen einbezogen<br />
und auf deren Basis nachjustiert habe. Diese Maßnahmen, die Groschek als sehr zentral für die<br />
Kampagnenplanung einstuft, seien dabei federführend aus der Partei heraus gesteuert worden.<br />
Das Gesagte wird somit dem hier definierten Verständnis einer <strong>Marketing</strong>orientierung gerecht.<br />
Man habe sich im beratungsgestützten Rahmen der Kampagnenplanung allerdings auch die<br />
Findung eines „Megathemas“ versprochen, was letztlich nicht gelungen sei. Vor allem bezüglich<br />
der Positionierung <strong>des</strong> Spitzenkandidaten habe man sich am politischen Gegner orientiert. E-<br />
benfalls über den Kandidaten habe man schließlich auch versucht, solche Wähler anzusprechen,<br />
die grundsätzlich eher nicht dazu tendieren, die SPD zu wählen.<br />
Dimension: Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Indikator: Auswahl <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Wurde im Interview nicht angesprochen.<br />
Indikator: Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten<br />
Groschek erörtert in diesem Zusammenhang, dass man einen Profilabgleich zum Herausforderer<br />
vorgenommen habe, woraus beispielsweise Konsequenzen für Wahlkampfauftritte und die<br />
Wahlkampfreden <strong>des</strong> Spitzenkandidaten gezogen worden seien. Ferner gibt er an, dass es eine<br />
unterstützende Beratung seitens der Agenturen bezüglich <strong>des</strong> Profils <strong>des</strong> Spitzenkandidaten<br />
gegeben habe. Insgesamt habe es zudem auch eine intensive demoskopische Begleitung der personellen<br />
Kompetenzentwicklung gegeben.<br />
Inwiefern war es denn wichtig in Bezug auf den Spitzenkandidaten herauszufinden, was die Wähler<br />
von ihm erwarten? Sie haben schon gesagt, dass es eine Umfrage gegeben, in der man überprüft hat,<br />
wer ist noch bekannt und dann herausgefunden hat, dass Steinbrück allein das Zugpferd sein muss.<br />
Gab es diesbezüglich auch eine kampagnenbegleitende demoskopische Erörterung?<br />
Groschek: Ja, es gab einen Profilabgleich zum Herausforderer - mit Konsequenzen für den Auftritt<br />
und für die Standardrede <strong>des</strong> Wahlkampfes: Aus der demoskopischen Begleitung wussten wir, dass<br />
Steinbrück bei allen harten Fakten die Nase vorn hat. Dass er also unter dem Aspekt der Kompetenz<br />
uneinholbar vorne lag, aber dass zu Beginn der Kampagne Rüttgers bei den eher weichen Faktoren<br />
Menschlichkeit, warme Ausstrahlung im Verhältnis zu Steinbrück recht gut positioniert war. Deshalb<br />
hat Peer Steinbrück bei seinen öffentlichen Auftritten nachjustiert, sowohl bei den Inhalten der Standardrede<br />
als auch bei der Akzentuierung von ganz bestimmten Themen, aber auch was sein Auftreten<br />
angeht.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in heutigen Wahlkämpfen<br />
so wichtig ist. Wie war das denn bei Ihnen? Haben Sie sich beraten lassen?<br />
Groschek: Ja. Wir hatten neben einer klassischen Kampagnenagentur [Butter, red. Anmerkung] eine<br />
Konzeptagentur [Becker/Kronacher, red. Anmerkung], die auch geholfen hat, den Spitzenkandidaten<br />
als starken Ministerpräsidenten mit sozialdemokratischem Profil herauszustellen.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Haben Sie in diesem Zusammenhang noch andere Studien in Auftrag gegeben, zum Beispiel Meinungsumfragen?<br />
Groschek: Ja, wir haben im Vorfeld der Landtagswahl intensiv demoskopische Untersuchungen ange-
LXXXV<br />
stellt zum Kompetenzprofil, sowohl thematisch als auch personell. Aufgrund dieser demoskopischen<br />
Bewertungen haben wir unsere Konsequenzen für den Kampagnenaufbau gezogen. Eine Konsequenz<br />
war beispielsweise, dass außer dem Spitzenkandidaten niemand eine herausragende personale Kompetenz<br />
zugemessen bekam. Von daher war klar, dass ein Team anstelle <strong>des</strong> herausgestellten Spitzenkandidaten<br />
ausschied und dass Programm und Person in der Person <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Steinbrück<br />
kumulieren mussten.<br />
Indikator: Bedeutung von Beratung und Recherchemaßnahmen<br />
Groschek nennt hier zunächst ein Beraterkomitee, das dem Spitzenkandidaten zur Seite gestanden<br />
und nach seinem Bedürfnis Themen erörtert habe. Ferner habe es eine Vorbereitung auf die<br />
TV-Duelle von Seiten der Agentur Becker/Kronacher gegeben. Bezüglich der Agentur hat Groschek<br />
bereits an einer anderen Stelle im Interview angegeben, dass sie vor allem auch zur Herausarbeitung<br />
<strong>des</strong> sozialdemokratischen Profils <strong>des</strong> Spitzenkandidaten beigetragen habe. Auch<br />
habe man den Spitzenkandidaten bei der Formulierung seiner Reden unterstützt und entsprechende<br />
Tests durchgeführt. An einer anderen Stelle im Interview hat Groschek bereits erklärt,<br />
dass die Position <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Gegenstand einer intensiven demoskopischen Auseinandersetzung<br />
gewesen sei.<br />
Man hört, dass gerade auch die Kandidaten in Wahlkämpfen intensiv beraten und gecoacht werden.<br />
Sie haben gerade schon angesprochen, dass es bei Ihnen einen Runden Tisch gab. War dieser runde<br />
Tisch eher eine generelle Diskussionsunterstützung für Herrn Steinbrück oder wurde in diesem Zusammenhang<br />
auch eine intensivere Vorbereitung zum Beispiel im Hinblick auf die TV-Duelle geleistet?<br />
Groschek: Es gab bei<strong>des</strong>. Es gab einen Runden Tisch, der ein lockeres Brainstorming war, wo nach<br />
dem Bedürfnis von Peer Steinbrück Themen erörtert und Fragestellungen diskutiert wurden. Das war<br />
ein sehr lockerer Arbeitszusammenhang. Und dann gab es eine spezielle Vorbereitung für die TV-<br />
Duelle - separat von allen anderen Beratungsgremien. Und es gab parallel zur gesamten Kampagnenvorbereitung<br />
und zur Kampagne selbst über die Strategieberater Becker/ Kronacher auch eine persönliche<br />
Beratung <strong>des</strong> Ministerpräsidenten.<br />
Das heißt, Sie haben das schon sehr intensiv vorbereitet. Sowohl inhaltlich als auch kommunikativ.<br />
Groschek: Ja, bis hin zu unterschiedlichen Musterreden, die getestet wurden auf ausgesuchten Veranstaltungen,<br />
die dann nachjustiert wurden und die weitgehend entstanden sind in der Zusammenarbeit<br />
mit der Konzeptberatung.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Man hört ja immer wieder, dass die Beratung durch professionelle Politikberater in heutigen Wahlkämpfen<br />
so wichtig ist. Wie war das denn bei Ihnen? Haben Sie sich beraten lassen?<br />
Groschek: Ja. Wir hatten neben einer klassischen Kampagnenagentur [Butter, red. Anmerkung] eine<br />
Konzeptagentur [Becker/Kronacher, red. Anmerkung], die auch geholfen hat, den Spitzenkandidaten<br />
als starken Ministerpräsidenten mit sozialdemokratischem Profil herauszustellen.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Haben Sie in diesem Zusammenhang noch andere Studien in Auftrag gegeben, zum Beispiel Meinungsumfragen?<br />
Groschek: Ja, wir haben im Vorfeld der Landtagswahl intensiv demoskopische Untersuchungen angestellt<br />
zum Kompetenzprofil, sowohl thematisch als auch personell. Aufgrund dieser demoskopischen<br />
Bewertungen haben wir unsere Konsequenzen für den Kampagnenaufbau gezogen. Eine Konsequenz<br />
war beispielsweise, dass außer dem Spitzenkandidaten niemand eine herausragende personale Kompetenz<br />
zugemessen bekam. Von daher war klar, dass ein Team anstelle <strong>des</strong> herausgestellten Spitzenkandidaten<br />
ausschied und dass Programm und Person in der Person <strong>des</strong> Spitzenkandidaten Steinbrück<br />
kumulieren mussten.<br />
Fazit Dimension Produktpolitik mit Fokus auf den Spitzenkandidaten<br />
Weil es zum ersten Indikator dieser Dimension keine Zuordnung gegeben hat, erfolgt die Begutachtung<br />
dieser Dimension auf der Basis von nur zwei Indikatoren. Durch die Betonung der Bedeutung<br />
der Rolle <strong>des</strong> Spitzenkandidaten in den vorangegangen Dimensionen erfährt dieser Teil<br />
der SPD-Kampagne eine hohe Bedeutungszuweisung seitens <strong>des</strong> Interviewten. Die Informationen,<br />
die hier subsumiert worden sind, sind dabei durchaus im Rahmen <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
interpretierbar. Groschek nennt eine Vielzahl von Elementen, die man zur strategischen Unterstützung<br />
und positiven Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten unternommen habe. So habe man sich um<br />
die Stärkung <strong>des</strong> sozialdemokratischen Profils <strong>des</strong> Kandidaten bemüht, seine Stärken auf der
LXXXVI<br />
Basis der gegnerischen Schwächen betont und diesen Prozess demoskopisch begleitet. Dabei<br />
habe man sich von einem Beraterkomitee und den Agenturen beraten lassen, was ebenfalls für<br />
eine marketingkonforme Entwicklung <strong>des</strong> Kandidaten spricht.<br />
Dimension: Distributionspolitik<br />
Indikator: Verteilung <strong>des</strong> Budgets auf Kommunikationskanäle<br />
Als ausschlaggebend nennt Groschek bezüglich der Frage nach der Verteilung der Mittel zwei<br />
Faktoren: Erfahrung und Prioritätensetzung in der Partei. Darüber hinaus habe auch die personalisierte<br />
Kampagnenstrategie zur Wahl bestimmter Veranstaltungsformen geführt. Ferner<br />
führt Groschek eine zentrale Grundsatzentscheidung bezüglich der Medienplanung an, bei der<br />
man zugunsten der Flächenabdeckung auf eine Präsenz in Top-Magazinen verzichtet habe. In<br />
diesem Zusammenhang sei man über die Agentur Butter auch von einer Media-Agentur beraten<br />
worden. Insgesamt seien die diesbezüglichen Entscheidungen nach entsprechenden Beratungen<br />
und Diskussionsrunden in der Parteiführung erfolgt.<br />
Sie haben ja im Rahmen Ihrer Kampagne über ganz verschiedene Kommunikationskanäle kommuniziert.<br />
Es gab Internetseiten, Plakate, öffentliche Auftritte <strong>des</strong> Kandidaten. Auf welcher Basis haben Sie<br />
festgelegt, in welchen Kanal wie viel Geld fließt?<br />
Groschek: Im Grunde Erfahrung und Diskussionen darüber, was umsetzbar ist und was Priorität hat.<br />
Dadurch, dass wir den Wahlkampf sehr stark personalisiert, und entsprechend neue Veranstaltungsformen<br />
gewählt haben, um den Spitzenkandidaten zu präsentieren, war klar, dass ein vergleichsweise<br />
hoher Anteil <strong>des</strong> Etats in diesen Persönlichkeitswahlkampf gesteckt wurde. Das Veranstaltungsformat<br />
war hochwertig bei Ausstattung, Aufwand, Organisation sowie Begleitung und Betreuung. Parallel<br />
dazu wollten wir den massiven öffentlichen Auftritt unterstreichen durch eine hohe Anzahl von Wesselmanntafeln<br />
[Großflächen, redaktionelle Anmerkung], die ausschließlich auf den Spitzenkandidaten<br />
zugeschnitten waren. Das war eine Grundsatzentscheidung. Dann gab es noch eine weitere Grundsatzentscheidung<br />
zur Medienplanung, wo uns die Flächenabdeckung durch Regional- und Programmzeitungen<br />
wichtiger war als der Auftritt in bun<strong>des</strong>weiten Leitmedien wie Spiegel oder Focus. Was unter<br />
dem Prestigegedanken vielleicht erwägenswert war, war für uns unter dem Gedanken der Erreichbarkeit<br />
von Wählerinnen und Wählern vernachlässigbar.<br />
Haben Sie diesbezüglich mit Media-Agenturen zusammengearbeitet?<br />
Groschek: Ja, wir hatten über Butter hinaus eine Media-Agentur, aber die war Teil der Kampagnenplanung.<br />
Sie hat uns gemeinsam mit Butter Vorschläge über die konkrete Mediaplanung unterbreitet,<br />
nachdem wir entschieden hatten: Wir wollen in die Fläche gehen, in die Anzeigenblätter, weg von den<br />
Top-Magazinen.<br />
Das sind ja in der Tat die am häufigsten gelesenen Zeitungen.<br />
Groschek: Eben. Das ist einfach auch Erfahrung, die man als bodenständiger Politiker eher sammelt<br />
und verinnerlicht als ein theoretischer Kampagnenplaner einer Agentur. Deshalb sind die Entscheidungen<br />
nach Diskussionsrunden und Beratungsgesprächen von uns als NRW SPD getroffen worden<br />
und die Umsetzung erfolgte dann über die Agenturen.<br />
Indikator: Unterstützung der lokalen Einheiten<br />
Groschek führt in diesem Kontext aus, dass es ein den Haustürwahlkampf unterstützen<strong>des</strong> Angebot<br />
für die örtlichen Parteigliederungen seitens <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> gegeben habe. Zudem<br />
habe man den Wahlkampf vor Ort standortunabhängig mit in Zelten durchgeführten Großveranstaltungen<br />
unterstützt. Ferner habe man den örtlichen Parteistrukturen Daten an die Hand<br />
gegeben, auf deren Basis Entscheidungen bezüglich der Anwendung von Haustürwahlkampf-<br />
Maßnahmen in den einzelnen Stimmbezirken getroffen werden konnten. In dieser Angelegenheit<br />
habe man das Meinungsforschungsinstitut Forsa beauftragt, entsprechen<strong>des</strong> Datenmaterial<br />
zu entwickeln. Direct Mailings habe man nur auf elektronischem, nicht auf postalischen Weg<br />
versendet. Adressmaterial habe man selbst in den örtlichen Strukturen erhoben und nicht käuflich<br />
erworben. Mit der Versendung von Emails habe man sich, so Groschek, bemüht, vor allem<br />
örtliche Meinungsmacher wie beispielsweise Gewerkschaftsvertreter oder Sozialverbandaktivisten<br />
zu erreichen.<br />
Gab es hier aus dem Lan<strong>des</strong>verband heraus Handlungsempfehlungen für einzelne Kreis- oder Stadtverbände?<br />
Gab es beispielsweise eine Analyse die besagte, wo ist es besonders kapp, wo macht es<br />
besonders viel Sinn reinzugehen?<br />
Groschek: Wir haben Europawahl und Kommunalwahl als Probelauf für die Landtagswahl ausgewertet<br />
und sehr stark versucht, die Mitgliederstärke der SPD und das ehrenamtliche Engagement zu mobi-
LXXXVII<br />
lisieren, auch kommunikativ zu nutzen, und haben <strong>des</strong>halb tradierte Wahlkampfformen in einer modernisierten<br />
Form popularisiert. Wir haben den klassischen Haustürwahlkampf als permanente und<br />
gezielte Vertrauensarbeit dargestellt, haben dazu auch spezielle Unterstützungsangebote aufgelegt und<br />
den Untergliederungen nahe gebracht. Durch eine bestimmte Veranstaltungsform, eine große Zeltpräsentation,<br />
haben wir versucht, klassische Wahlveranstaltungen in neuer Form zu den Menschen zu<br />
bringen, das heißt in ausgesuchten Stadtteilen Großveranstaltungen zu etablieren, unabhängig von<br />
vorhandenen Veranstaltungshallen. Das war dann unter dem Stichwort „mobile Stadthalle“ ein spezifisches<br />
Angebot, um auch den Gedanken <strong>des</strong> Haustür- und Stadtteilwahlkampfes mit einer Wertschätzung<br />
zu unterlegen. Es wurde ein hochwertiges Rahmenprogramm angeboten in einer mobilen Halle,<br />
um deutlich zu signalisieren, wir nehmen das Engagement vor Ort verdammt ernst und wir halten es<br />
für zentral, dass wir die Menschen da erreichen, wo sie sind, weil die nicht mehr freiwillig zu Parteien<br />
kommen.<br />
Haben Sie Ihre Leute vor Ort unterstützt, zum Beispiel indem Sie ihnen gesagt haben, wo sie ihren<br />
Haustürwahlkampf am besten machen können?<br />
Groschek: Ja.<br />
Auf welcher Datenbasis wird so etwas gemacht?<br />
Groschek: Wir haben das nicht selbst gemacht, sondern Forsa mit einer lan<strong>des</strong>weiten Stimmbezirksanalyse<br />
beauftragt.<br />
Und die Ergebnisse konnten Ihre Leute vor Ort als Serviceleistung in Anspruch nehmen?<br />
Groschek: Ja. Das haben die Leute vor Ort bekommen, für jeden Landtagswahlkreis - bis zu den einzelnen<br />
Stimmbezirken.<br />
Haben Sie auch Adressen gekauft?<br />
Groschek: Nein.<br />
Haben Sie Direct Mailings eingesetzt?<br />
Groschek: Nur als Direct E-Mail über das Internet.<br />
Was waren das für E-Mails?<br />
Groschek: Das waren Zielgruppen-E-Mails zu unterschiedlichen Politikschwerpunkten, also zu denen,<br />
die für uns positiv waren, im Wesentlichen zu Familie und Beruf, und bezogen auf die Veranstaltung<br />
mit Peer Steinbrück selbst. Die Einladungen zu den Veranstaltungen mit Peer Steinbrück waren bewusst<br />
so angelegt, dass die Zielgruppe nicht die eigene Partei war, sondern mit einer persönlichen,<br />
aufwändigen Einladung die wichtigen Multiplikatoren vor Ort - weit über die SPD hinaus erreicht<br />
wurden.<br />
Wo hatten Sie die Adressen her?<br />
Groschek: Die haben wir über die örtlichen Vertrauten bekommen, nach einer bestimmten Vorgabe.<br />
Wir haben ein Raster vorgegeben, welche Leute für uns interessant sein könnten und haben dann von<br />
unseren Untergliederungen aus dem kommunalen Bereich das entsprechende Adressenmaterial bekommen.<br />
Was war das für ein Raster? Haben Sie das selbst entwickelt?<br />
Groschek: Das war ein Raster, mit dem man die Multiplikatoren der gesellschaftlich relevanten Gruppen<br />
an einen Tisch versammelt. Also aus den Sozialverbänden, Gewerkschaften, Wirtschaftsorganisationen,<br />
Handwerksbereichen, all das, was in der Stadt Meinung macht.<br />
Indikator: Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges<br />
Groschek bezieht zunächst die Messung <strong>des</strong> Erfolges auf die Wahlkampfveranstaltungen und<br />
führt als Beurteilungsfaktor die Zuschauerzahlen ins Feld. Ferner habe man sich um die intensive<br />
Einbindung der örtlichen Journalisten bemüht, indem man ihnen exklusive Interviews eingeräumt<br />
habe. Ferner äußert sich Groschek kritisch bezüglich der Bedeutung von Internetseiten.<br />
Er führt an, dass dies zwar unverzichtbarer Bestandteil eines professionellen Wahlkampfes<br />
sei und eine identitätsstiftende und multiplizierende Wirkung entfalten könne, letztlich aber<br />
allenfalls eine Minderheit überzeugen könne. Hinsichtlich der Anzeigen, die lan<strong>des</strong>weit in Zeitungen<br />
geschaltet worden seien, habe man eine demoskopische Begleitung versucht, deren Erfolg<br />
von Groschek allerdings selbst als fragwürdig bezeichnet wird.<br />
Inwieweit haben Sie sich denn mit dem Erfolg dieser ganzen Maßnahmen beschäftigt? Gab es Maßnahmen<br />
zu evaluieren, was erfolgreich verlaufen ist und was nicht?<br />
Groschek: Die Erfolgsparameter bei der Veranstaltung waren natürlich vor allen Dingen die Zuschauerzahlen<br />
und die Berichterstattung. Das war bei der Steinbrück-Tour herausragend und hing auch<br />
damit zusammen, dass wir im Grunde die Erfolgskontrolle delegiert haben auf die Lokalredakteure.<br />
Wir haben die Veranstaltung so aufgebaut, dass die jeweiligen Lokalredakteure vor Ort exklusiv eine<br />
halbe Stunde mit dem Ministerpräsidenten Interviews machen konnten. Es war für viele Lokalredakteure<br />
ein echtes Highlight, den Ministerpräsidenten dreißig Minuten lang nach Belieben zu befragen.
LXXXVIII<br />
Da gab es keine thematischen Tabus, sondern das war manchmal eher im familiär-bunten Bereich,<br />
manchmal aber auch knochenhart politisch. Und es war schon eine Voraussetzung dafür, dass die<br />
Berichterstattung sehr breit wurde, weil natürlich die jeweiligen Lokaljournalisten ein Interesse daran<br />
haben, die Wertstellung der lokalen Redaktion durch das persönliche Gespräch mit dem Ministerpräsidenten<br />
auch gegenüber den Lesern zum Ausdruck zu bringen. Entsprechend breit war dann auch die<br />
Berichterstattung über die Veranstaltungen selbst. Das heißt, wir haben im Grunde die Interessen der<br />
Lokaljournalisten als Unterstützung unserer Kampagnenplanung benutzt.<br />
Internetseiten oder Zeitungsanzeigen hätten ja dann anderer Erfolgsindikatoren bedurft. Haben Sie<br />
diesbezüglich Erfolgskontrollen durchgeführt?<br />
Groschek: Ich persönlich halte Internetwahlkampf für überbewertet. In Wirklichkeit sind wir nach wie<br />
vor eine durch und durch papierorientierte Partei und Gesellschaft. Das, was an Internetkommunikation<br />
da ist, ist aus meiner Sicht eine identitätsstiftende Perspektive, die für einen Teil der Gesellschaft<br />
die Partei als modern erscheinen lässt. Aber was die Kommunikationswirkung angeht, so bin ich da<br />
sehr skeptisch, ob das Internet - über eine aktive Minderheit hinaus - Menschen mental erreicht, geschweige<br />
denn überzeugt. Aber der Internetwahlkampf gehört heute dazu. Würden wir darauf verzichten<br />
oder ihn rigoros zurückfahren, wäre das in der Kommunikation von Nachteil, weil wir dann als<br />
rückständig dargestellt würden. Eine reale Erfolgskontrolle ist schwer. Wir hatten zum Teil Nettigkeiten,<br />
die viele Leute angeklickt haben, aber einfach nur, um sich zu unterhalten, und nicht vornehmlich,<br />
um dort wirklich Argumentationen aufzunehmen. Das sieht man auch bei den dialoggestützten Internetangeboten.<br />
Hier ist die Resonanz - wenn man mal ehrlich ist - relativ mau. Die Teilnehmer sind<br />
eigentlich immer die gleichen. Das ist so eine neue Form von Leserbriefschreiberkultur, das sind interessierte<br />
meist junge Leute - aber auch manche Wichtigtuer, die eine interessierte Community bilden.<br />
Bei den Anzeigen haben wir versucht, den Erfolg zu messen, indem wir nach Anzeigenwellen zu ganz<br />
bestimmten Themen demoskopisch abgefragt haben, ob jetzt thematisch dies oder jenes „angekommen“<br />
ist, aber das ist nur eine sehr grobe Pi-mal-Daumen-Messung.<br />
Und was waren die Ergebnisse?<br />
Groschek: Da muss ich jetzt auch wieder sagen: Man muss schon gläubig sein, um alle Erkenntnisse<br />
der Demoskopie eins zu eins zu übernehmen. Die Umfragen vor der Wahl haben uns bestätigt. Angeblich<br />
wurde die Veränderung <strong>des</strong> Meinungsklimas sehr stark an der Person <strong>des</strong> Ministerpräsidenten<br />
orientiert, angeblich die Profilierung erreicht wie von uns gewünscht: Dass er sich abgesetzt hat von<br />
seinem Konkurrenten, dass die Themensetzung richtig sei. Aber ich glaube, dass das alles etwas komplexer<br />
ist und dass man das so nicht exakt messen kann.<br />
Fazit Dimension Distributionspolitik<br />
Das sich für die Dimension der Distributionspolitik ergebende Bild ist hier erneut differenziert<br />
zu beurteilen. Groschek gibt an, dass die Verteilung der Mittel auf der Basis von Erfahrungen<br />
und den von der Partei gewünschten Prioritäten erfolgt sei, was eher nicht einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
entspricht. Im gleichen Zug deutet Groschek allerdings eine Überlegung an, die wieder<br />
ohne weiteres im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung interpretierbar wäre: Man habe<br />
bezüglich der Mediaplanung eine Entscheidung zu Gunsten der Flächenpräsenz, zu Lasten der<br />
Präsenz in Top-Magazinen getroffen. Hinsichtlich <strong>des</strong> zweiten Indikators kann in<strong>des</strong> klarer eine<br />
marketingkonforme Herangehensweise diagnostiziert werden. In den Antworten Groscheks<br />
wird deutlich, dass der Lan<strong>des</strong>verband gegenüber den örtlichen Parteigliederungen eine gewisse<br />
Servicefunktion eingenommen und eine fachliche Unterstützung der örtlichen Wahlkampfplanung<br />
bereitgestellt hat. Für den dritten Indikator muss bezüglich der Frage nach einer möglichen<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung festgestellt werden, dass es keine strategisch zusammenhängende<br />
Kontrolle <strong>des</strong> Erfolges gegeben zu haben scheint. Groschek gibt an, dass man bezüglich der<br />
Anzeigenschaltungen eine demoskopische Begleitung versucht habe, hält die Interpretationsmöglichkeiten<br />
aber selber für begrenzt. Hier wäre sicherlich im Rahmen einer <strong>Marketing</strong>orientierung<br />
mehr möglich gewesen. Für diese Dimension soll somit insgesamt ein gemischtes Fazit<br />
gezogen werden: Eine <strong>Marketing</strong>orientierung klingt zwar in einigen Punkten an, lässt sich aber<br />
nicht einheitlich über alle Indikatoren hinweg feststellen, so dass hier vor allem auch eine Verkaufsorientierung<br />
vermutet werden soll.<br />
Dimension: Segmentierung und Targeting<br />
Indikator: Bildung von Zielgruppen<br />
Groschek erörtert eine vor allem behaviouristisch geprägte Marktsegmentierung, wobei man<br />
sich insbesondere um die Mobilisierung der eigenen Stammwählerschaft bemüht habe. Insbe-
LXXXIX<br />
sondere habe man dabei nicht um CDU-Wähler, sondern um potentielle Nicht-Wähler gebuhlt,<br />
so Groschek weiter. Ein demografisch-psychografischer Segmentierungsansatz wird in<strong>des</strong> in der<br />
von Groschek vielfach im Interview betonten Stellungnahme seiner Partei in Bezug auf die Familienpolitik<br />
erkennbar. Für diese Zielgruppe habe man auch spezielle Kampagnenmaterialien<br />
angelegt, so Groschek weiter. Auch in geografischer Hinsicht habe man sich um eine Schwerpunktsetzung<br />
bemüht: Dabei sei es vor allem um die Mobilisierung der Wählerschaft in traditionellen<br />
SPD-Hochburgen gegangen. An einer anderen Stelle im Interview hat Groschek zudem<br />
erklärt, dass man sich auch um die konkrete Adressierung von Meinungsmultiplikatoren vor<br />
Ort bemüht habe.<br />
Dann komme ich nun zum Thema Kommunikation mit bestimmten Wählergruppen, sprich Segmentierung<br />
und Zielgruppenbildung. Haben Sie denn im Rahmen Ihrer Kampagne so etwas gemacht? Gab es<br />
so etwas wie einen Segmentierungsprozess?<br />
Groschek: Es gab da im Grunde drei Zielgruppenüberlegungen. Die erste war: Wir müssen unsere<br />
Stammklientel mobilisieren, weil das Kernproblem die mangelnde Mobilisierung unserer Stammwählerinnen<br />
und Stammwähler war. Da gab es sich überlagernde Effekte: Auf der einen Seite die Vertrauenskrise<br />
durch die gesamte Hartz-Diskussion auf Bun<strong>des</strong>ebene, die gerade in NRW mit Riesenenttäuschungen<br />
verbunden wurde, weil man den Betriebsrentnern in die Tasche gepackt und so im Ruhrgebiet<br />
ungeheuren Frust hervorgerufen hat. Die Menschen fragten sich: Warum soll ich die noch wählen,<br />
die mir jetzt die Betriebsrente kürzen? Deshalb auch ein sehr hoher Kampagnenaufwand, um unseren<br />
Haustür- und Stadtteilwahlkampf als Mundfunk zu forcieren und unsere eigenen Leute zu ermutigen,<br />
sich überhaupt der Diskussion zu stellen. Viele hätten sich ja auch am liebsten weggeduckt und hinterm<br />
Infostand verkrochen und wären gar nicht in die eigentlichen Problembereiche gegangen. Also<br />
ging es einerseits darum, die Stammklientel vom Sofa runterzuholen. Ich habe mich immer bemüht<br />
deutlich zu machen, dass die Sofapartei unser eigentlicher politischer Gegner ist und nicht CDU und<br />
FDP, weil wir die schwarz-gelben Wähler eh nicht bekommen. Wir mussten unsere eigene Klientel<br />
mobilisieren. Kernaufgabe der Kampagne in dieser spezifischen Situation waren unsere Stammwähler.<br />
Zweiter Punkt war, die zu erreichen, die möglicherweise sagen: Gut - weil ich Peer Steinbrück will,<br />
muss ich eben die SPD wählen, obwohl mir die SPD völlig fremd ist. Deswegen auch die Steinbrück-<br />
Veranstaltungen, die bewusst auch in Regionen gesetzt wurden, in denen die SPD in der Minderheit<br />
ist. Gerade dort waren sie ungeheuer erfolgreich, in Kleve beispielsweise. Sie hatten in Kombination<br />
mit einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit zu diesen Veranstaltungen eine hohe kommunikative Wirkung.<br />
Das hat sich dann leider nicht im Wahlergebnis niedergeschlagen, aber die Besucher- und Berichterstattungsresonanz<br />
war zum Teil phänomenal, da waren wir selbst überrascht. Ziel war, das Zugpferd<br />
zum Magneten zu machen, an dem manche kleben bleiben. Der dritte Bereich waren junge Familien<br />
und junge Frauen, weil Familienpolitik einer der wenigen Themenbereiche war, der durchgängig<br />
positiv bei der SPD verortet wurde. Also auch die Bun<strong>des</strong>-SPD, die ansonsten in Bausch und Bogen<br />
verdammt wurde, hatte da noch einen Bereich, wo gesagt wurde: Das haben die gut gemacht, vor<br />
allem wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Kinderbetreuung geht. Das waren also<br />
unsere Hauptzielgruppen: Stammwählerinnen und -wähler, Anhänger und Sympathisanten von Peer<br />
Steinbrück und junge Familien und junge Frauen. Hier haben wir versucht, Kampagnenmittel zu organisieren<br />
und zu spezifizieren.<br />
Feiner aufgegliedert haben Sie das aber nicht, denn Stammwähler bilden ja schon eine sehr heterogene<br />
Gruppe.<br />
Groschek: Für uns war wichtig - auch im Vergleich zum Mobilisierungsdefizit der vorangegangenen<br />
Wahlen - dass wir in unseren Hochburgen die Stammwähler mobilisieren. Vor allem in dem Städtedreieck<br />
Köln, Duisburg, Dortmund, also Ruhrgebiet plus ein bisschen Köln, um etwas zu simplifizieren.<br />
Es war für uns entscheidend, hier die notwendige Mobilisierung zu schaffen, also die Menschen<br />
zu erreichen, die eigentlich ihr Leben lang SPD gewählt haben. Hierfür haben wir einen erheblichen<br />
Aufwand betrieben - auch über die Forsa-Anleitung, die Aufschluss darüber gab, wo wir die Stammwähler,<br />
die Traditionswähler finden für einen Haustürwahlkampf. Das ist dann unterschiedlich intensiv<br />
von den Kandidaten umgesetzt worden.<br />
An einer anderen Stelle im Interview:<br />
Haben Sie Direct Mailings eingesetzt?<br />
Groschek: Nur als Direct E-Mail über das Internet.<br />
Was waren das für E-Mails?<br />
Groschek: Das waren Zielgruppen-E-Mails zu unterschiedlichen Politikschwerpunkten, also zu denen,<br />
die für uns positiv waren, im Wesentlichen zu Familie und Beruf, und bezogen auf die Veranstaltung<br />
mit Peer Steinbrück selbst. Die Einladungen zu den Veranstaltungen mit Peer Steinbrück waren bewusst<br />
so angelegt, dass die Zielgruppe nicht die eigene Partei war, sondern mit einer persönlichen,
aufwändigen Einladung die wichtigen Multiplikatoren vor Ort - weit über die SPD hinaus erreicht<br />
wurden.<br />
Wo hatten Sie die Adressen her?<br />
Groschek: Die haben wir über die örtlichen Vertrauten bekommen, nach einer bestimmten Vorgabe.<br />
Wir haben ein Raster vorgegeben, welche Leute für uns interessant sein könnten und haben dann von<br />
unseren Untergliederungen aus dem kommunalen Bereich das entsprechende Adressenmaterial bekommen.<br />
Was war das für ein Raster? Haben Sie das selbst entwickelt?<br />
Groschek: Das war ein Raster, mit dem man die Multiplikatoren der gesellschaftlich relevanten Gruppen<br />
an einen Tisch versammelt. Also aus den Sozialverbänden, Gewerkschaften, Wirtschaftsorganisationen,<br />
Handwerksbereichen, all das, was in der Stadt Meinung macht.<br />
Indikator: Prämissen für ihre gezielte Ansprache<br />
Groschek nennt in diesem Zusammenhang unterschiedliche Maßnahmen. Zum einen habe man<br />
bei der Annoncierung in Zeitungen klar auf die Flächenpräsenz mit thematisch an die Stammwählerschaft<br />
adressierten Anzeigen gesetzt. Im Bezug auf Haustürkampagnen habe man der<br />
örtlichen Parteigliederung eine Priorisierung der Klientel an die Hand gegeben, die auf Datenmaterial<br />
<strong>des</strong> Meinungsforschungsinstitutes Forsa basierte. Ferner habe man bei der Erstellung<br />
der Kampagnenmaterialien zielgruppenspezifische Formulierungen verwendet.<br />
Wie haben Sie dann Ihre Zielgruppen letzten En<strong>des</strong> angesprochen? Sie haben gerade gesagt, es gab<br />
dann Implikationen für die Kampagne. Waren das dann nur der Haustürwahlkampf und die Ansprache<br />
durch die Veranstaltung vor Ort, oder gab es da auch noch andere zielgruppenspezifische Maßnahmen?<br />
Groschek: Das hing dann unter anderem auch mit der Anzeigenplanung zusammen, von den Inhalten<br />
und von den Medien. Die Entscheidung in die Wochenblätter zu gehen, war auch eine Entscheidung,<br />
in die ganzen Lokalblätter <strong>des</strong> WAZ-Konzerns zu gehen, um zwischen Duisburg und Dortmund wirklich<br />
jeden über Anzeigen zu erreichen. Deshalb knüpften unsere Anzeigen thematisch an die vermeintlichen<br />
Bedürfnisse unserer Stammwähler im Ruhrgebiet an. Die zweite Geschichte war, dass wir die<br />
Haustürkampagnen wissenschaftlich untermauert haben durch die Forsa-Daten-Aufbereitung bis in<br />
die kleinen Stimmbezirke, also eine Priorisierung der Klientel, die anzusprechen und zu erreichen ist.<br />
Der dritte Punkt war, dass wir entsprechende Materialien aufbereitet haben, die zielgruppenspezifisch<br />
auch in der Formulierung waren, auch in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Vierter<br />
Punkt war, dass wir unser Zeltveranstaltungs-Modul als ganz besondere Aktionsbühne speziell für die<br />
Stadtteilwahlkämpfer organisiert hatten. Und wir haben zum ersten Mal wirklich systematisch eine<br />
Endspurt-Kampagne umgesetzt. Wir haben sinngemäß gesagt: Jetzt geht gottverdammt wählen an<br />
diesem Tag und kommt vom Sofa hoch, kommt aus dem Schrebergarten und macht was. Also eine<br />
Schlussspurt-Kampagne für das Wochenende. Da waren Kneipentouren mit entsprechenden Materialien<br />
vorgeschlagen, und da waren Haustüraktionen am Sonntag, mit Türklinkenanhängern und Brötchen-Verteilen<br />
und solchen Dingen.<br />
Indikator: Welche Informationen lagen dafür zugrunde?<br />
Bereits in den vorangegangenen Antworten stellte Groschek die in diesem Zusammenhang maßgebliche<br />
Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa heraus. Die Kampagne sei<br />
von regelmäßigen Konsultationen begleitet worden, die eine Nachjustierung zum Ziel hatten.<br />
Wie oft haben Sie diesbezüglich eigentlich mit Forsa zusammengearbeitet während der Kampagne?<br />
Hatten Sie da jede Woche Kontakt oder war das eher zu bestimmten, festgelegten Zeitpunkten?<br />
Groschek: Das hing dann unter anderem auch mit der Anzeigenplanung zusammen, von den Inhalten<br />
und von den Medien. Die Entscheidung in die Wochenblätter zu gehen, war auch eine Entscheidung,<br />
in die ganzen Lokalblätter <strong>des</strong> WAZ-Konzerns zu gehen, um zwischen Duisburg und Dortmund wirklich<br />
jeden über Anzeigen zu erreichen. Deshalb knüpften unsere Anzeigen thematisch an die vermeintlichen<br />
Bedürfnisse unserer Stammwähler im Ruhrgebiet an. Die zweite Geschichte war, dass wir die<br />
Haustürkampagnen wissenschaftlich untermauert haben durch die Forsa-Daten-Aufbereitung bis in<br />
die kleinen Stimmbezirke, also eine Priorisierung der Klientel, die anzusprechen und zu erreichen ist.<br />
Der dritte Punkt war, dass wir entsprechende Materialien aufbereitet haben, die zielgruppenspezifisch<br />
auch in der Formulierung waren, auch in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Vierter<br />
Punkt war, dass wir unser Zeltveranstaltungs-Modul als ganz besondere Aktionsbühne speziell für die<br />
Stadtteilwahlkämpfer organisiert hatten. Und wir haben zum ersten Mal wirklich systematisch eine<br />
Endspurt-Kampagne umgesetzt. Wir haben sinngemäß gesagt: Jetzt geht gottverdammt wählen an<br />
diesem Tag und kommt vom Sofa hoch, kommt aus dem Schrebergarten und macht was. Also eine<br />
Schlussspurt-Kampagne für das Wochenende. Da waren Kneipentouren mit entsprechenden Materia-<br />
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XCI<br />
lien vorgeschlagen, und da waren Haustüraktionen am Sonntag, mit Türklinkenanhängern und Brötchen-Verteilen<br />
und solchen Dingen.<br />
Groschek: Wir haben im Laufe der mehrmonatigen Kampagne mehrere Arbeitstreffen mit Professor<br />
Manfred Güllner gehabt, sowohl in Berlin als auch hier in Düsseldorf und haben dann in der heißen<br />
Phase mehrmals wöchentlich Kontakt gehabt. Wir haben nach jeder Befragungsrunde diskutiert, ob<br />
und wenn ja wo nachjustiert werden muss bei den Fragestellungen. Wir haben auch die Dateninterpretation<br />
intensiv miteinander diskutiert.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> der Zielgruppenkommunikation<br />
Von herausragender Bedeutung, so wird es in den Antworten, die im Rahmen dieser Dimension<br />
subsumiert worden sind, deutlich, ist vor allem die Mobilisierung der Stammwählerschaft gesehen<br />
worden. In diesem Bereich habe man, so Groschek, erheblichen Aufwand betrieben.<br />
Feiner aufgegliedert haben Sie das aber nicht, denn Stammwähler bilden ja schon eine sehr heterogene<br />
Gruppe.<br />
Groschek: Für uns war wichtig - auch im Vergleich zum Mobilisierungsdefizit der vorangegangenen<br />
Wahlen - dass wir in unseren Hochburgen die Stammwähler mobilisieren. Vor allem in dem Städtedreieck<br />
Köln, Duisburg, Dortmund, also Ruhrgebiet plus ein bisschen Köln, um etwas zu simplifizieren.<br />
Es war für uns entscheidend, hier die notwendige Mobilisierung zu schaffen, also die Menschen<br />
zu erreichen, die eigentlich ihr Leben lang SPD gewählt haben. Hierfür haben wir einen erheblichen<br />
Aufwand betrieben - auch über die Forsa-Anleitung, die Aufschluss darüber gab, wo wir die Stammwähler,<br />
die Traditionswähler finden für einen Haustürwahlkampf. Das ist dann unterschiedlich intensiv<br />
von den Kandidaten umgesetzt worden.<br />
Fazit Segmentierung und Targeting<br />
Die hier zugeordneten Antworten rechtfertigen ohne Widersprüche die Vermutung einer impliziten<br />
<strong>Marketing</strong>orientierung. Groschek skizziert eine vielschichtige Segmentierung <strong>des</strong> Marktes,<br />
so werden behaviouristische, psychografische, demografische und geografische Elemente erkennbar,<br />
und beschreibt bezüglich verschiedener Ebenen Targeting-Maßnahmen, die sich zum<br />
Teil auf demoskopische Erkenntnisse gestützt hätten. Der klare Fokus der Segmentierung habe<br />
gemäß Groscheks Ausführungen klar auf der Mobilisierung der Stammwähler gelegen, dort<br />
habe man einen erheblichen Aufwand betrieben.<br />
Dimension: Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Indikator: Begriffliche Bedeutung<br />
Groschek verbindet den <strong>Marketing</strong>begriff mit dem planvollen Vorbereiten und Umsetzen einer<br />
Wahlkampagne, betont aber gleichzeitig, dass es sich nicht um klassische Werbung handelt.<br />
Vielmehr käme es auf eine günstige Mischung aus Planung und Umsetzung an, worin letztlich<br />
auch die wesentliche Herausforderung zu sehen sei.<br />
Wenn Sie mal ganz generell an die Organisation einer Wahlkampagne denken, was verbinden Sie da<br />
mit den Begriffen <strong>Marketing</strong> oder <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong>?<br />
Groschek: Ich verbinde damit im Grunde das planvolle Vorbereiten und Umsetzen der Kampagne. Ich<br />
glaube schon, dass <strong>Politisches</strong> <strong>Marketing</strong> eine sehr spezifische Form von werblicher Kommunikation<br />
ist und dass <strong>des</strong>halb klassische Werbeagenturen alleine immer versagen würden. Da kommt es auf die<br />
Mischung derjenigen an, die die Kampagne planen und umsetzen. Hier liegt die eigentliche handwerkliche<br />
Herausforderung, die richtige Mischung zu finden.<br />
Indikator: Angemessenheit und Legitimität von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Sich bei der Wahlkampfplanung allein an der Erwartung der Wählerschaft zu orientieren sei, so<br />
Groschek, nicht ausreichend. Auch die Demoskopie habe ihre Grenzen und könne politischen<br />
Instinkt nicht ersetzen, so Groschek weiter. Es bedürfe einer Gewichtung demoskopischer Erkenntnisse<br />
um auf Entwicklungen angemessen reagieren zu können. Die Erwartungshaltung in<br />
der Wählerschaft abzufragen hält Groschek für legitim. Das seien wichtige Anhaltspunkte. Dabei<br />
gelte jedoch stets der Grundsatz: Dem Volk aufs Maul zu schauen, ihm aber nicht nach dem<br />
Mund zu reden.<br />
Würden Sie sagen, dass es im Sinne eines guten Wahlergebnisses zielführend ist, alle Informationen<br />
über die Erwartungen potentieller Wähler in den Mittelpunkt der Kampagnenplanung zu stellen, um<br />
das politische Angebot und zum Beispiel die Präsentation <strong>des</strong> Kandidaten danach auszurichten?<br />
Groschek: Das alleine reicht nicht. Nachträglich ist die demoskopische Katastrophe bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl<br />
ein Stück weit auch Beleg für die Grenzen der Demoskopie. Die Menschen äußern nur
XCII<br />
scheinbar Wahrhaftes und antworten vermeintlich bedürfnisorientiert auf den Fragesteller. Das Phänomen<br />
war schon sichtbar, als Ende der 80er Jahre Leute im Westen nach rechtsradikalem Wahlverhalten<br />
befragt wurden. Eine Finanzielle Entschädigung kann ich Ihnen leider nicht anbieten. Das hat<br />
dann niemand zugegeben, aber rechts gewählt wurde trotzdem in ganz bestimmten Regionen. Demoskopie<br />
kann politischen Instinkt nicht ersetzen. Bei der Bun<strong>des</strong>tagswahl gab es durch die Medienwelle<br />
die Erwartungshaltung, dass die anderen gewinnen, also hat man sich bei Umfragen so geäußert: Ja<br />
klar, die werden gewinnen, die Merkel wird Kanzlerin und so weiter. Das reale Wahlergebnis hat<br />
letztendlich gezeigt, dass wichtige Wahlmotive ganz andere waren als die abgefragten. Und <strong>des</strong>halb<br />
wäre es eine Selbsttäuschung zu glauben, dass die demoskopische Wahrheit die einzige Wahrheit ist.<br />
Die Ergebnisse der Meinungsforschung muss man mit gesundem Menschenverstand und politischer<br />
Erfahrung gewichten und auf die zukünftige Entwicklung weiterdenken.<br />
Finden Sie es denn legitim, wenn eine Partei so vorgeht?<br />
Groschek: Ja klar. Umfragen sind wichtige Anhaltspunkte - mehr nicht. Im Grunde ist das ja systematisierter,<br />
hierarchisierter Volkswille, der bei einer Wahl ausgedrückt wird. Man muss immer unterscheiden:<br />
Politik darf den Leuten nie nach dem Mund reden - aber den Leuten aufs Maul zu schauen,<br />
ist eminent wichtig.<br />
Indikator: <strong>Relevanz</strong> von <strong>Marketing</strong> im Wahlkampf<br />
Groschek bezeichnet eine Orientierung an <strong>Marketing</strong>prämissen als Realität und führt beispielhaft<br />
dafür die Vorgehensweise von FDP und CDU an.<br />
Glauben Sie, dass das in der Realität statt findet, dass Parteien gucken, was erwartet der Wähler von<br />
uns, um dann so Ihre Kampagne auch auszurichten, oder ist das eher eine hypothetische Frage?<br />
Groschek: Das ist Realität.<br />
Wie war das hier bei der Landtagswahl, wie schätzen Sie da die anderen Parteien ein?<br />
Groschek: Das war bei der FDP ganz eindeutig so. Die haben ihre Nische besetzt und gefunden. Die<br />
CDU hat im Grunde Anknüpfungspunkte gesucht, NRW schwarz zu malen. Dafür haben wir ihnen<br />
zum Teil selbst Vorwände geliefert. Dadurch, dass Peer Steinbrück in den ersten Monaten als neuer<br />
Ministerpräsident nicht in erster Linie die Vorzüge <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, sondern die Defizite Nordrhein-<br />
Westfalens thematisiert hat, hat er ein Kommunikationsfenster geöffnet und eine mediale Situation<br />
geschaffen, auf die Rüttgers aufbauen konnte. Der Versuch der CDU, NRW schlecht zu schreiben, ist<br />
gelungen. Der Versuch von Peer Steinbrück, sich als Erneuerer dadurch zu profilieren, dass er Defizite<br />
beim Koalitionspartner und zu lösende Probleme benannt hat, hat die Beißhemmung der Medien verringert.<br />
Wir haben uns nach dem „Düsseldorfer Signal“ neu positioniert und ab Herbst 2003 gemeinsam<br />
mit Peer Steinbrück mit einer Vorkampagne „Starkes Land. NRW“ versucht gegenzusteuern Das<br />
war ein Stück <strong>des</strong> Prozesses, den Journalisten als „Sozialdemokratisierung <strong>des</strong> Ministerpräsidenten“<br />
beschrieben haben.<br />
Fazit Dimension Stellenwert von <strong>Marketing</strong>prämissen<br />
Die aus den hier zugeordneten Antworten ersichtliche Begriffsinterpretation <strong>des</strong> <strong>Marketing</strong>konzeptes<br />
lässt sich durchaus mit der im Rahmen dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition überein<br />
bringen. Groschek gibt an, eine <strong>Marketing</strong>orientierung für legitim zu halten und bewertet<br />
dies unter Einbezug <strong>des</strong> politischen Instinktes auch als angemessen. Demoskopie allein sei allerdings<br />
nicht ausreichend. Allerdings formuliert Groschek in dieser Hinsicht auch, dass man dem<br />
Volk zwar aufs Maul schauen, jedoch nicht nach dem Mund reden dürfe. Im Bezug auf das<br />
zuvor Gesagte ist das min<strong>des</strong>tens als Einschränkung, wenn nicht sogar als Widerspruch zu interpretieren.<br />
Die Frage, ob eine <strong>Marketing</strong>orientierung in der Praxis vorliege, beantwortet Groschek<br />
positiv, er führt als Beispiele allerdings die Kampagnenprozesse von FDP und CDU an,<br />
ohne auf eigene Prozesse zu verweisen. Daraus muss gefolgert werden, dass eine <strong>Marketing</strong>orientierung,<br />
die im Fall der SPD hinsichtlich der vorangegangenen Dimensionsbeurteilungen implizit<br />
durchaus erkennbar wird, scheinbar nicht explizit wahrgenommen worden ist. Die Antworten,<br />
die dieser Dimension zugeordnet worden sind, sollen somit insgesamt dem Idealtyp der<br />
Verkaufsorientierung zugeordnet werden, denn Groschek räumt ein, dem zentrale Aufmerksamkeit<br />
beizumessen, legt aber ebenso Wert auf die Einflüsse von Erfahrungswerten aus der<br />
Partei heraus.