Grußwort von Dr. h. c. Lothar de Maizière - bei der Preußischen ...
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<strong>Grußwort</strong> <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. h. c. <strong>Lothar</strong> <strong>de</strong> <strong>Maizière</strong><br />
letzter DDR-Premier und Bun<strong>de</strong>sministers a. D.,<br />
auf <strong>de</strong>m Neujahrsempfang <strong>de</strong>r <strong>Preußischen</strong> Gesellschaft<br />
Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg e.V. am 13. Januar 2008 im HILTON<br />
Sehr geehrter Herr Präsi<strong>de</strong>nt Tschapke,<br />
sehr geehrte Mitglie<strong>de</strong>r und Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>Preußischen</strong> Gesellschaft<br />
Berlin-Bran<strong>de</strong>nburg,<br />
meine Damen und Herren,<br />
erlauben Sie mir bitte zunächst, Ihnen im noch jungen Jahr 2008 alles Gute,<br />
Gesundheit und Glück für die Zeit bis zum 31. Dezember und darüber hinaus zu<br />
wünschen. Seufzen wir gemeinsam über die leidvolle Erfahrung <strong>von</strong> Wilhelm Busch,<br />
<strong>de</strong>ssen 100. To<strong>de</strong>stages wir am 9. Januar gedachten:<br />
„Eins, zwei, drei im Sauseschritt, eilt die Zeit, wir eilen mit.“<br />
Und freuen wir uns mit kleinen Schlucken seines Trostes:<br />
„Rotwein ist für alte Knaben<br />
eine <strong>von</strong> <strong>de</strong>n besten Gaben.“<br />
Beziehungsweise für die Damen, die nicht unbedingt Helene heißen und fromm sein<br />
müssen:<br />
„Wer Sorgen hat, hat auch Likör“<br />
Nun stellen wir das Hausbuch <strong>von</strong> Busch wie<strong>de</strong>r ins Regal und widmen uns<br />
ernsthafteren Dingen.<br />
Gern komme ich <strong>de</strong>r Bitte um ein <strong>Grußwort</strong> auf <strong>de</strong>m Neujahrsempfang <strong>de</strong>r<br />
<strong>Preußischen</strong> Gesellschaft nach. Er nötigt nicht nur mir Respekt ab. Wenn es je eines<br />
äußeren Zeichens bedurft hätte, dass die preußische I<strong>de</strong>e lebt, Ihre alljährliche<br />
Veranstaltung in zeitlicher Nähe <strong>de</strong>s Jahrestages <strong>de</strong>r Preußen-Gründung am 18.<br />
Januar 1701 setzt dieses Zeichen. Es wird verstan<strong>de</strong>n, wie ich <strong>de</strong>r großen Zahl<br />
illustrer Teilnehmer glaube entnehmen zu können. Die wie<strong>de</strong>rum gäbe es nicht,<br />
blühte die Preußische Gesellschaft als blaues Veilchen im Verborgenen. Nein, sie ist<br />
in <strong>de</strong>n zwölf Jahren ihres Bestehens und engagierten Einsatzes für preußisches<br />
Gedankengut zu Nutz und Frommen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Vaterlan<strong>de</strong>s zu einem festen<br />
Bestandteil <strong>de</strong>s geistig-kulturellen Lebens gewor<strong>de</strong>n. Dazu gratuliere ich Ihnen und<br />
uns allen, die wir die schwarz-weiße Preußenfahne hochhalten.<br />
Ich kann mir <strong>de</strong>nken, dass die Preußische Gesellschaft ein gut Teil ihrer Inspiration<br />
<strong>de</strong>m Genius loci, <strong>de</strong>m Geist <strong>de</strong>s Ortes verdankt. Der wun<strong>de</strong>rschöne Platz mit seinem<br />
einzigartigen Bauensemble atmet förmlich preußische Geschichte vom Allerfeinsten.<br />
Architektur und Stadtlandschaft befin<strong>de</strong>n sich hier in einer so tiefen Harmonie, dass<br />
sie selbst in Stadtrundfahrtbussen wahrgenommen wird und die Vorüberfahren<strong>de</strong>n<br />
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eeindruckt. Erst recht können Flaneure <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s Ortes genießen, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>n<br />
Winkel <strong>de</strong>s Platzes erfüllt. Doch kein Stadtbild-Erklärer vermag diese erhabene und<br />
die Seele bereichern<strong>de</strong> Atmosphäre zu zeigen. Sie erschließt sich <strong>de</strong>m Wissen<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>m Empfindsamen. Wie uns Antoine <strong>de</strong> Saint-Exupery in seiner Erzählung „Der<br />
kleine Prinz“ lehrte:<br />
„Man sieht nur mit <strong>de</strong>m Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“<br />
Dass <strong>de</strong>r Genius loci im beson<strong>de</strong>rer Weise <strong>von</strong> <strong>de</strong>m <strong>Dr</strong>eigestirn Französische<br />
Friedrichstadt-Kirche, Schauspielhaus, das heute lei<strong>de</strong>r Konzerthaus genannt<br />
wer<strong>de</strong>n muss, und Deutsche Kirche bestimmt wird, brauche ich in diesem erlauchten<br />
Kreis <strong>von</strong> Preußen-Kennern nicht hervorzuheben.<br />
Vielleicht aber <strong>de</strong>n Hinweis, dass sich Goethe mit <strong>de</strong>n Zeilen<br />
"Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in <strong>de</strong>r Mitten"<br />
nicht auf das Gendarmenmarkt-Ensemble bezog, wie mitunter angenommen wird. Er<br />
beschrieb die Teilnehmer vom "Diner zu Coblenz" im Sommer 1774. Da<strong>bei</strong> fungierte<br />
<strong>de</strong>r Dichterfürst als Weltkind in <strong>de</strong>r Mitten.<br />
Den Geist <strong>de</strong>s Ortes bestimmten neben <strong>de</strong>n dominieren<strong>de</strong>n auch die <strong>de</strong>n Platz<br />
säumen<strong>de</strong>n Bauten, in <strong>de</strong>nen sich Adlige und Bürger in Salons, Wohnungen und<br />
Stätten Bacchus und Lukullus zu Gesprächen und zur Disputation trafen. Erwähnt<br />
seien das berühmte Café Stehely und die Weinhandlung Lutter & Wegner. In eben<br />
dieser Tradition befin<strong>de</strong>t sich das Stammquartier <strong>de</strong>r Preußische Gesellschaft an<br />
einem angemessenen historischen Ort. Zu dieser Ortswahl kann man Vorstand und<br />
Beirat gratulieren.<br />
Wenn sich Städte erster Adressen rühmen, dann steht <strong>de</strong>r Gendarmenmarkt für<br />
Berlin an vor<strong>de</strong>rer Stelle. Entsprechend illuster fällt die Liste <strong>de</strong>r Namen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r<br />
Persönlichkeiten aus, die mit <strong>de</strong>m Platz verbun<strong>de</strong>n waren. Einige mögen für alle<br />
genannt sein. Zuför<strong>de</strong>rst selbstre<strong>de</strong>nd bran<strong>de</strong>nburgisch-preußische Herrscher.<br />
Friedrich Wilhelm, <strong>de</strong>r Große Kurfürst, steht am Beginn <strong>de</strong>s Platzes. Als er seine<br />
Resi<strong>de</strong>nzstadt in eine wehrhafte Festung ausbauen wollte, benötigte man viel Holz.<br />
Das wur<strong>de</strong> hinter <strong>de</strong>r südöstlichen Stadtgrenze eingeschlagen. Die solchermaßen<br />
entstan<strong>de</strong>ne Waldlichtung entwickelte sich zu <strong>de</strong>m Berliner Platz, <strong>de</strong>n wir lobpreisen.<br />
Auf Einladung <strong>de</strong>s Großen Kurfürsten sie<strong>de</strong>lten sich hier nach seinem berühmten<br />
Toleranz-Edikt zahlreiche <strong>de</strong>r in ihrer Heimat aus Glaubensgrün<strong>de</strong>n verfolgten<br />
Hugenotten an – darunter befan<strong>de</strong>n sich Vorfahren meiner Familie.<br />
Kurfürst Friedrich III., <strong>de</strong>r spätere erste Preußenkönig, ließ ab 1688 nach Plänen <strong>von</strong><br />
Johann Arnold Nering <strong>de</strong>n Platz mit <strong>de</strong>n <strong>bei</strong><strong>de</strong>n genannten Kirchen als Teil <strong>de</strong>r<br />
Friedrichstadt anlegen. Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. verpasste <strong>de</strong>m schon<br />
recht ansehnlichen Ort unansehnliche Wach- und Stallgebäu<strong>de</strong> rund um die<br />
Gotteshäuser und <strong>de</strong>n Namen „Gens d'armes“. Sein Sohn schließlich, Friedrich <strong>de</strong>r<br />
Große, gab <strong>de</strong>n Auftrag zum Abriss <strong>de</strong>r Baracken und zum Bau <strong>de</strong>r <strong>bei</strong><strong>de</strong>n<br />
imposanten Kuppeltürme. In seiner Zeit entstand auch das Weltkind in <strong>de</strong>r Mitten: ein<br />
französisches Komödienhaus als erstes festes Theater Berlins.<br />
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Lang ist die Namensliste <strong>von</strong> Bau- und Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Künstlern, die <strong>de</strong>n Platz<br />
vere<strong>de</strong>lten. Grünberg, Cayart, Boumann, Unger, Langhans, Schinkel, Tieck, Begas<br />
und weitere. Vom berühmten Eckfenster aus sah Schriftsteller E.T.A. Hoffmann 1817<br />
das Theater brennen. Gemeinsam mit seinem Schauspielerfreund Ludwig Devrient<br />
traf er sich regelmäßig zu weinseligen Sitzungen <strong>bei</strong> Lutter & Wegner. Dort kreierte<br />
<strong>de</strong>r große Mime das Wort Sekt für Champagner, als er <strong>de</strong>n Küfer mit <strong>de</strong>m Falstaff-<br />
Ausspruch anherrschte:<br />
„Gib mir ein Glas Sekt, Schurke!<br />
Ist keine Tugend mehr auf Er<strong>de</strong>n?“<br />
Es wird <strong>von</strong> Harald Juhnke, o pardon, <strong>von</strong> Ludwig Devrient erzählt, dass er<br />
trunkenen Zustan<strong>de</strong>s auf die Bühne geschleppt wur<strong>de</strong>, dann aber auf Stichwort<br />
göttlich spielte. Eines Tages soll er allerdings das Stichwort <strong>de</strong>r Souffleuse mit <strong>de</strong>n<br />
Worten zurückgewiesen haben: „Kein Detail, bitteschön, das Stück! das Stück.“<br />
Friedrich Schiller feierte mit seinen rebellischen Werken am Gendarmenmarkt wahre<br />
Triumphe. Das Genie musste es aber hinnehmen, dass <strong>de</strong>r zweitklassige Autor Carl<br />
Martin Plümicke in seinen „Räubern“ herumfuhrwerkte und – wie das Berliner<br />
Theaterjournal berichtete - „meisterhaft <strong>de</strong>n Schluss <strong>de</strong>s Stückes geän<strong>de</strong>rt hat“. Wer<br />
sagt da, Verhunzungen <strong>von</strong> Theaterstücken seien eine neumodische Angelegenheit?<br />
Im Roten Zimmer <strong>de</strong>s Cafés Stehely trafen sich Junghegelianer zu politischen<br />
Debatten über Probleme ihrer Zeit. Einer <strong>von</strong> ihnen wur<strong>de</strong> mit diesen Worten<br />
charakterisiert: „Du bist ein Magazin <strong>von</strong> Gedanken, ein Ar<strong>bei</strong>tshaus o<strong>de</strong>r – um<br />
berlinerisch zu re<strong>de</strong>n – ein Ochsenkopf voll <strong>von</strong> I<strong>de</strong>en.“ Der solchermaßen<br />
charakterisierte war ein gewisser Karl Marx.<br />
Viele solcher Gendarmenmarkt-Geschichten könnten erzählt wer<strong>de</strong>n. Doch Wilhelm<br />
Busch mahnt, wie schnell die Zeit eilt. Zu<strong>de</strong>m hat mich das Signal eines knurren<strong>de</strong>n<br />
Magens erreicht.<br />
Der Zweite Weltkrieg hatte <strong>de</strong>m Gendarmenmarkt und <strong>de</strong>m Genius loci<br />
unermesslichen Scha<strong>de</strong>n zugefügt. Mit einem immensen Kostenaufwand setzte ihn<br />
die arme DDR peu à peu wie<strong>de</strong>r instand. Sie hat also nicht allein die Reste <strong>de</strong>s<br />
Hohenzollern-Schlosses gesprengt, son<strong>de</strong>rn auch ein einzigartiges preußisches<br />
Bauensemble <strong>de</strong>r Stadt, <strong>de</strong>m Land und <strong>de</strong>m Erdkreis wie<strong>de</strong>rgegeben. Selbst auf die<br />
Gefahr hin, dass hier ein Geist <strong>de</strong>s Ortes wie<strong>de</strong>r lebendig wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r ihren<br />
Vorstellungen so gar nicht entsprach.<br />
Zum Abschluss doch noch diese klitzekleine Geschichte: Unter uns weilt jemand, <strong>de</strong>r<br />
vom Gendarmenmarkt aus das Preußische so engagiert und tief verbun<strong>de</strong>n bis hin<br />
nach Chile, Australien und in die USA vermittelt, dass er <strong>von</strong> einem<br />
Botschaftsmitar<strong>bei</strong>ter zum Attaché <strong>von</strong> Preußen ernannt wur<strong>de</strong>. Wer könnte es<br />
an<strong>de</strong>res sein als Präsi<strong>de</strong>nt Volker Tschapke.<br />
Ja, die preußische I<strong>de</strong>e lebt. Und das ist gut so.<br />
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