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KAFKA, SPRINGER UND ICH. Von Leon de Winter - Axel Springer AG

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<strong>KAFKA</strong>, <strong>SPRINGER</strong> <strong>UND</strong> <strong>ICH</strong><br />

<strong>Von</strong> <strong>Leon</strong> <strong>de</strong> <strong>Winter</strong><br />

Im Sommer 1974 war ich zum erstenmal im Ostblock. Ich sollte im September <strong>de</strong>s<br />

gleichen Jahres aus <strong>de</strong>m Provinzstädtchen Den Bosch nach Amsterdam umziehen<br />

und hatte beschlossen, das mit einem Besuch von Kafkas Grab in Prag zu feiern.<br />

Daß Kafkas Grab kein beliebtes Urlaubsziel war, war mir bewußt. Der Name Kafka<br />

war zum Synonym für eine unmenschliche, aberwitzige Bürokratie gewor<strong>de</strong>n – und<br />

für die Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r 68er-Generation somit zum Sinnbild für ein verhaßtes Phänomen.<br />

Weitere <strong>de</strong>r vielen Objekte <strong>de</strong>s Hasses waren Amerika (schon damals) und alles,<br />

was mit Geldverdienen, Amüsement, Ästhetik, Tradition et cetera zu tun hatte.<br />

Aber nicht weil Kafka Synonym für „irrsinnige Bürokratie“ war, wollte ich nach<br />

Prag. Mir ging es um Kafka als Schriftsteller. Auf <strong>de</strong>r weiterführen<strong>de</strong>n Schule hatte<br />

mich ein Lehrer auf die Bücher Kafkas aufmerksam gemacht, und ich hatte sie als<br />

Offenbarung empfun<strong>de</strong>n. In meiner romantischen jugendlichen Unschuld glaubte<br />

ich zu wissen, wer Kafka war. Er hatte geschrieben, um zu überleben, dachte ich,<br />

genau wie ich, als ich nach <strong>de</strong>m Tod meines Vaters mit zwölf die ersten Erzählungen<br />

verfaßt hatte.<br />

Meine Eltern hatten nie irgen<strong>de</strong>ine Ausbildung genossen und mußten schon mit<br />

dreizehn anfangen zu arbeiten, aber bei<strong>de</strong>, je<strong>de</strong>r auf eigene Weise, waren politisch<br />

engagiert. Sie hatten drei Tageszeitungen abonniert, und die wur<strong>de</strong>n sorgfältig<br />

gelesen. Meine Eltern bewun<strong>de</strong>rten Amerika, verabscheuten die Sowjetunion und<br />

liebten Israel. Sie hatten <strong>de</strong>n ZweitenWeltkrieg überlebt, ohne zynisch zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Sie glaubten an die Kraft <strong>de</strong>s Guten und zweifelten nicht an ihrem eigenen Urteilsvermögen.<br />

Bücher haben meine Eltern mir nie empfohlen, weil sie keine Bücher<br />

lasen, aber sie hatten ein untrügliches Gespür dafür, was gefährlich war. Der Kommunismus<br />

war gefährlich, da waren sie sich ganz sicher.<br />

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<strong>KAFKA</strong>, <strong>SPRINGER</strong> <strong>UND</strong> <strong>ICH</strong><br />

<strong>Leon</strong> <strong>de</strong> <strong>Winter</strong><br />

Und so jung ich auch war, mir war klar, daß sie sich die Gefahren <strong>de</strong>s Kommunismus<br />

nicht aus <strong>de</strong>n Finger sogen. Ich liebte meine Eltern. Nach <strong>de</strong>m Tod meines<br />

Vaters konnte ich mich nicht organisch von <strong>de</strong>r Pubertät mitreißen lassen, und ich<br />

konnte auch die Intuition meiner Mutter nicht einfach abtun. Ich konnte schlicht<br />

und ergreifend nicht rebellieren, wie es mir als Pubertieren<strong>de</strong>m, zumal En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

60er Jahre, zustand.<br />

Viele Ansichten <strong>de</strong>r 68er-Generation betrachte ich als tragisches Mißverständnis.<br />

So zum Beispiel die selektive Empörung über die Mißstän<strong>de</strong> im Kapitalismus. Die<br />

Revolten <strong>de</strong>r linken Stu<strong>de</strong>nten waren dank <strong>de</strong>r Freiheiten in Westeuropa möglich.<br />

Als sich Prag 1968 vom Ostblock befreien wollte, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Aufstand abgewürgt –<br />

man vergleiche das mal mit <strong>de</strong>r Art und Weise, in <strong>de</strong>r die Stu<strong>de</strong>ntenunruhen im<br />

Westen gedul<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.<br />

„Die Phantasie an die Macht“ lautete einer <strong>de</strong>r Slogans in Paris. Was das heißen<br />

sollte, mußte je<strong>de</strong>r selbst herausfin<strong>de</strong>n. Mich hat dieser Slogan immer nie<strong>de</strong>rgeschmettert.<br />

Er ist hohl, eine Formel, die alles suggeriert, aber letztlich nichts beinhaltet.<br />

In jenen Jahren freilich stand er für <strong>de</strong>n grenzenlosen Einfallsreichtum, <strong>de</strong>n<br />

die neue Generation auf die Einrichtung <strong>de</strong>r Gesellschaft verwen<strong>de</strong>n wollte. Gegen<br />

<strong>de</strong>rlei I<strong>de</strong>en bin ich genauso allergisch wie meine Eltern früher. Der Einfallsreichtum<br />

<strong>de</strong>s rechten und linken Faschismus hat monströse Staaten hervorgebracht,<br />

und <strong>de</strong>ssen war ich mir schon 1974 bewußt. Alexan<strong>de</strong>r Solschenizyn hatte gera<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>n ersten Band seines „Archipel GUL<strong>AG</strong>“ herausgebracht, <strong>de</strong>n ich sofort gelesen<br />

hatte. Das zwang mich, <strong>de</strong>m totalitären Ungeheuer ins Gesicht zu sehen. Ich wollte<br />

nach Prag.<br />

Inzwischen sind bereits wie<strong>de</strong>r 16 Jahre seit <strong>de</strong>m Fall <strong>de</strong>r Mauer vergangen, und<br />

es wächst eine Generation heran, für die <strong>de</strong>r Eiserne Vorhang ein abstrakter Begriff<br />

ist. Wer dagegen in <strong>de</strong>n 70er Jahren nach Prag reisen wollte, für <strong>de</strong>n war <strong>de</strong>r Übergang<br />

von West nach Ost eine traumatische Erfahrung. Der Faschismus hat einen<br />

geschärften Blick für Ästhetik, und seine grausame Arroganz wur<strong>de</strong> schon an <strong>de</strong>n<br />

Uniformen <strong>de</strong>r Grenzwachen <strong>de</strong>utlich. An ihrer Form und Farbe und <strong>de</strong>r Haltung<br />

<strong>de</strong>r Männer, die sich ihrer Kleidung angepaßt hatten. An <strong>de</strong>r Art und Weise, wie<br />

man angesehen wur<strong>de</strong>, wie <strong>de</strong>r Koffer durchsucht wur<strong>de</strong>. Alles war darauf ausgerichtet,<br />

<strong>de</strong>n Reisen<strong>de</strong>n zu <strong>de</strong>mütigen. Stun<strong>de</strong>nlang wur<strong>de</strong> mein Zug damals, in <strong>de</strong>r<br />

Hitze jenes Sommers, auf einem verlassenen Rangierbahnhof aufgehalten, und das<br />

ließ keinen Zweifel mehr am bizarren Charakter <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s, in das ich einreiste.<br />

Unzählige haben über die Farblosigkeit <strong>de</strong>s Ostblocks geschrieben, über die<br />

ersticken<strong>de</strong> Atmosphäre, die Repressionen. Ich war darauf vorbereitet. Doch die<br />

persönliche Erfahrung überbot alles. Daß man dieses System im Westen beschönigen<br />

konnte, war mir unvorstellbar. Es geschah auf breiterer Ebene aber schon.<br />

Pazifisten nannten sich die, die es taten, aber sie waren natürlich Kapitulanten. In<br />

künstlerischen und intellektuellen Kreisen imWesten gehörte es sich damals nicht,<br />

Antikommunist zu sein. Man konnte Antifaschist sein und Antikapitalist, aber<br />

nicht Antikommunist. Darüber rümpften die intellektuellen Eliten die Nase. Ja,<br />

vielleicht war es sogar noch schlimmer: Marxismus und Neomarxismus waren in<br />

jenen Jahren gefeierte I<strong>de</strong>ologien. Und für die kleinbürgerlichen Diktaturen im<br />

Ostblock brachte man in <strong>de</strong>n nämlichen Kreisen viel Verständnis und Sympathie<br />

auf. Man dachte in etwa wie folgt: Die Wirklichkeit mag zwar bizarre Züge haben,<br />

aber im Osten haben sie es wenigstens mit <strong>de</strong>m Sozialismus versucht, und wenn<br />

die rabiaten Kommunistenfresser nicht wären, wür<strong>de</strong> es dort gewiß besser aussehen.<br />

So dürfte in Pariser Brasserien und Amsterdamer Eckkneipen argumentiert wor<strong>de</strong>n<br />

sein, wo in aller Freiheit und ohne die geringste moralische Verantwortung über alles<br />

diskutiert wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

<strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong> bin ich nie begegnet, aber ich kannte seine Reputation: Ich wußte,<br />

daß er von einem Großteil <strong>de</strong>r linken Intelligenzija gehaßt wur<strong>de</strong>. Das machte<br />

ihn zu einer faszinieren<strong>de</strong>n Persönlichkeit, und ich kann nicht verhehlen, daß es<br />

ihn mir auch sympathisch machte. Wer in <strong>de</strong>n 60er und 70er Jahren im Ruf stand,<br />

ein Kommunistenhasser zu sein, hat sich, wie wir heute wissen, vorbildlich verhalten.<br />

Offenbar war es seinerzeit verführerisch, sich vom Rausch <strong>de</strong>r Jungen<br />

anstecken zu lassen und von Revolutionen und Drogen, Sex und Rock’n Roll zu<br />

schwärmen, doch auch damals schon hätte je<strong>de</strong>r wissen können, daß die Haltung<br />

<strong>Springer</strong>s die einzig vertretbare war, wenn man auch nur das geringste Gefühl für<br />

Vernunft und Wahrheit hatte. Vor 20 Jahren habe ich mich eine Zeitlang mit<br />

Rudi Dutschke befaßt, <strong>de</strong>m Stu<strong>de</strong>ntenführer, <strong>de</strong>r <strong>Axel</strong> <strong>Springer</strong>s Verlag enteignen<br />

wollte – die „<strong>Springer</strong>-Kampagne“ hieß das damals. Zurückblickend hat vieles<br />

von <strong>de</strong>m, was damals am linken Rand <strong>de</strong>r Gesellschaft gedacht und getan wur<strong>de</strong>,<br />

etwas Skurriles und Lächerliches, ja vor allem: Scheinheiliges. <strong>Springer</strong> ließ seinen<br />

Verlagsturm direkt an <strong>de</strong>r Mauer bauen, für je<strong>de</strong>n im Osten sichtbar, eine Bastion<br />

<strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>s Denkens – das zeugt noch stets von einer bewegen<strong>de</strong>n visionären<br />

Kraft.<br />

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<strong>KAFKA</strong>, <strong>SPRINGER</strong> <strong>UND</strong> <strong>ICH</strong><br />

So wie <strong>de</strong>r Name Kafka ist auch <strong>de</strong>r Name <strong>Springer</strong> für mich zum Symbol<br />

gewor<strong>de</strong>n. Der Name hat allen Stürmen und Attacken standgehalten. <strong>Springer</strong> hat<br />

sich we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n linksfaschistischen Massenmör<strong>de</strong>rn im Osten irremachen lassen<br />

noch von ihren weltfrem<strong>de</strong>n Apologeten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n „lunatic fringes“ im Westen.<br />

Wer Dutschke war, weiß bis auf irgen<strong>de</strong>inen melancholischen 68er, <strong>de</strong>r in seinem<br />

Ferienhaus in <strong>de</strong>r Toskana bei einem guten Glas Barolo über die Vergangenheit<br />

sinniert, heute niemand mehr. Die „<strong>Springer</strong>-Kampagne“ hat sich ganz an<strong>de</strong>rs<br />

ausgewirkt, als es sich die Jungrevoluzzer von 68 in ihren schlimmsten Alpträumen<br />

hätten ausmalen können. Zum Glück.<br />

<strong>Leon</strong> <strong>de</strong> <strong>Winter</strong><br />

(* 1954), nie<strong>de</strong>rländischer Schriftsteller,<br />

Drehbuchschreiber und Filmregisseur, u. a.<br />

Autor von „Malibu“, „Leo Kaplan“,<br />

„Der Himmel von Hollywood“, „Serena<strong>de</strong>“,<br />

„Hoffmans Hunger“, „Place <strong>de</strong> la Bastille“<br />

Aus <strong>de</strong>m Nie<strong>de</strong>rländischen von Hanni Ehlers<br />

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