Artikel Frank Rihm.pdf
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Rhythmus – Bewusstsein – Heilung<br />
TaKeTiNa an einer Fachklinik für Psychosomatische Medizin<br />
Lieber Leser,<br />
während Sie jetzt gerade vor Ihrem Bildschirm sitzen und diese Zeilen lesen, fühlen Sie sich<br />
höchstwahrscheinlich einigermaßen stabil. Vielleicht spüren Sie am Rande Ihres momentanen<br />
Bewusstseins, dass Sie es sind, der da gerade liest. Möglicherweise nehmen Sie auch wahr, wie<br />
der Stuhl oder eine andere Sitzauflage unter Ihnen Sie und ihr Körpergewicht trägt. Vielleicht<br />
erleben Sie sogar, wie ihre Gedanken plötzlich abschweifen und Sie auf eine „innere Reise“<br />
mitnehmen, wie Sie an etwas anderes denken: den letzten Urlaub, die gestrige Fernsehsendung<br />
oder die Worte ihres Geliebten heute morgen beim Frühstück. Wie ein Navigator können Sie ihr<br />
Bewusstsein von dort aus vermutlich auch wieder zurück steuern zum Bildschirm und diesen<br />
Text weiter lesen. Außerdem verfügen Sie höchstwahrscheinlich auch über ein Gefühl der<br />
Sicherheit und Gewissheit - selbst wenn Sie nicht unbedingt wissen, was da genau in Ihrem<br />
Geist geschieht, damit Sie sich in der Situation jetzt einigermaßen sicher und vertraut fühlen<br />
können, sich als handlungsfähig, kompetent, oder um eine Modewort der aktuellen<br />
Psychotherapie zu gebrauchen „selbstwirksam“, empfinden zu können.<br />
TaKeTiNa mit Patienten einer Fachklinik<br />
Viele der Patienten, die während ihrer stationären Therapie an den Heiligenfeld-Kliniken zwei<br />
Mal wöchentlich am Nachmittag zum TaKeTiNa kommen (oder einige Male im Jahr auch für 4<br />
ganze Tage), verfügen in ihrem Alltag nicht verlässlich und kontinuierlich über derartige<br />
Qualitäten: Vielleicht wähnen sie sich immer wieder oder ständig bedroht (und das wider<br />
besseren kognitiven Wissens). Wenn sie die Augen schließen, fühlen sich diese Menschen<br />
manchmal so, als würden sie wie in eine dunkle, unendliche Tiefe fallen, ohne jeglichen Halt,<br />
ohne die Chance einen stabilen und sie stabilisierenden Zipfel ergreifen zu können. Vielleicht<br />
leiden sie unter Depersonalisation oder Derealisation und können sich in der Folge davon selbst<br />
nicht (als) wirklich wahrnehmen und spüren. Die Umwelt und andere Menschen kommen ihnen<br />
irgendwie unwirklich, unkonkret, nicht fassbar vor. Oder sie leiden darunter, dass ihre Gefühle,<br />
Gedanken oder Handlungsimpulse mit ihnen Achterbahn fahren. Ganz zu schweigen vom<br />
quälenden und über lange Zeiträume sich hinziehenden Druck, sich selbst zu verletzen, um<br />
damit die so belastende und dauerhafte Spannung im eigenen Körper los zu werden (und doch<br />
zu wissen, dass dies nicht wirklich eine endgültige Lösung bringen würde).<br />
Und dennoch, wenn diese Menschen am Ende einer TaKeTiNa-Reise auf dem Boden des<br />
Großes Saales der Fachklinik Heiligenfeld liegen, und das gerade Erlebte nachwirken lassen,<br />
lächeln sie vielleicht, weil sie plötzlich mit sich einverstanden und in Frieden sind. Oder sie<br />
kommen endlich einmal zur Ruhe, fühlen sich „in Ordnung“, genießen das sachte Strömen durch<br />
den ihnen sonst so fremden oder auch gehassten Körper. Die quälenden – manchmal zwanghaft<br />
kreisenden – Gedanken sind vielleicht plötzlich verschwunden und der Kopf ist angenehm leer.<br />
Vielleicht auch fühlen sie sich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder sicher und geborgen, und<br />
das obwohl sie inmitten anderer Menschen am Boden liegen und die Augen geschlossen halten.<br />
Oder sie werden sich plötzlich bewusst, dass die sonst so belastende Fremdheit zwischen ihnen<br />
und ihrer Umwelt für Momente dem Gefühl der Verbundenheit gewichen ist.<br />
Innere Strukturen: wie wir ticken<br />
„Frühe Störungen“, „Strukturelle Störungen“, „Ich-strukturelle Störungen“, „Strukturdefizite“ sind<br />
nur einige Bezeichnungen, mit denen in Fachkreisen die entsprechenden Probleme und<br />
Schwierigkeiten dieser Menschen, so wie wir sie weiter oben angedeutet haben, zusammen-
gefasst werden. Dabei fällt auf, dass das Wörtchen „Struktur“ immer wieder auftaucht. Während<br />
es im TaKeTiNa ja tatsächlich auch teilweise um äußere Strukturen geht, meinen wir hier mit<br />
„Struktur“ jedoch „innere Strukturen“, wir könnten auch sagen: „innerpsychische Strukturen“.<br />
Diese inneren Strukturen sind es letztlich, die darüber entscheiden, wie ich mich selbst und<br />
meine Umwelt erlebe, aber auch, wie ich mit mir und mit der Umwelt umgehe. Wenn diese<br />
inneren Strukturen nicht oder nicht ausreichend entwickelt werden konnten, spricht man<br />
manchmal auch von „frühen“ Störungen, weil man davon ausgeht, dass diese Strukturen in einer<br />
normalen menschlichen Entwicklung früh, eben zu Anfang unseres Lebens, gebildet werden. Ihr<br />
Fehlen oder ihre ungenügende Entwicklung wird quasi zum Stolperstein im modernen,<br />
vielschichtigen Leben mit all seinen inneren und äußeren Anforderungen und Notwendigkeiten.<br />
Aber auch wenn wir die Chance hatten, diese inneren Strukturen einigermaßen stabil und<br />
verlässlich zu bilden und auszubauen, kann es zu Problemen kommen. Nun, auf dem mehr oder<br />
weniger tragenden Fundament von einigermaßen stabilen inneren Strukturen kann es auch in<br />
der weiteren Entwicklung des Kindes zu schwierigen und negativen Beziehungserfahrungen<br />
kommen (z.B. verachtet, bestraft, negiert zu werden). Damit werden grundsätzliche Bedürfnisse<br />
des Kindes in seiner Entwicklung frustriert. Diese Bedürfnisse werden nun jedoch zusammen mit<br />
den aus der Frustration dieser Bedürfnisse erwachsenden (teils heftigen) Gefühlen (Angst,<br />
Scham, Schmerz, Wut, Schuld etc.) verdrängt. Das Kind findet keinen anderen Umgang. Unter<br />
diesem Eindruck wird möglicherweise eine Persönlichkeitsentwicklung mit ungünstigen<br />
Verhaltensweisen in Gang gesetzt. Es entsteht beispielsweise eine Persönlichkeit, die ständig<br />
anderen helfen muss und die ständig ihre eigenen (wahren) Bedürfnisse und ihre Grenzen<br />
übergeht, um gemocht zu werden. Der zugrundeliegende Konflikt ist nach außen nicht sichtbar,<br />
allenfalls zu erahnen. Wie er im TaKeTiNa plötzlich deutlich wahrnehmbar und spürbar wird,<br />
werden wir etwas später sehen.<br />
Strukturdefizite in ihren unterschiedlichen Ausmaßen einerseits, innere Konflikte mit ihren<br />
vielschichtigen Aspekten andererseits, all dies hat tatsächlich irgendwie auch immer mit den<br />
oben zitierten inneren Strukturen zu tun. Wenn man in einem Modell die „Inneren Konflikte“ den<br />
Strukturdefiziten folgen lässt und diese Entwicklung weiter zeichnet, verlässt man eigentlich den<br />
Bereich, für den sich die traditionelle Psychotherapie zuständig fühlt. Man kann jedoch in der Tat<br />
modellhaft die Entwicklung weiter betrachten und weiterführende Entwicklungsstufen<br />
formulieren. Das hat Dr. Joachim Galuska (Ärztlicher Direktor und Klinikleiter der Heiligenfeld<br />
Kliniken) in der Ausformulierung des Behandlungskonzeptes seiner Kliniken getan. Und hierauf<br />
werde ich immer wieder Bezug nehmen.<br />
Wenn das Ich-Bewusstsein einigermaßen ausgereift ist, wenn die inneren Konflikte überwunden<br />
sind, hört das menschliche Streben nach Wachstum und Differenzierung nicht einfach auf. Doch<br />
dazu, und wie sich während einer TaKeTiNa-Reise prozesshaft ganz natürlich und organisch für<br />
die unterschiedlichen Ebenen eigene (Erlebnis-) Räume entfaltet und anbieten, und wie<br />
gleichzeitig die Vielschichtigkeit doch auf einmalige Art und Weise eingebunden wird in eine<br />
Ganzheit, später mehr. Und damit zurück zum Wesen der Strukturen.<br />
Strukturen im Bewusstsein<br />
Es lässt sich relativ leicht nachvollziehen, wie im TaKeTiNa äußere Strukturen über ein<br />
bestimmtes Tun (Gehen, Klatschen, Singen) entstehen. Wie kommt es allerdings in unserer<br />
menschlichen Entwicklung zu „inneren Strukturen“? Es sind die allerersten Erfahrungen und<br />
Interaktionen mit unserer Umwelt, die (einmal abgesehen davon, was wir als „kompetenter<br />
Säugling“ schon an potentiellen Möglichkeiten mitbringen) dafür sorgen, dass in unserem<br />
Bewusstsein diese inneren Strukturen angelegt und ständig ausdifferenziert werden.<br />
Wir reden hier von Strukturen, die darüber entscheiden, wie wir als Menschen all die unzähligen<br />
Eindrücke und Inhalte, die tagtäglich in unserem Bewusstsein ankommen organisieren. Damit
haben wir nun aber gesagt, dass es einerseits wesentlich auch um das menschliche<br />
Bewusstsein geht, wir andererseits darin aber zweierlei vorfinden: da gibt es auf der einen Seite<br />
Inhalte: Körperempfindungen, Gefühle, Gedanken und Kognitionen (also Bilder und Begriffe) und<br />
all die Sinneseindrücke aus der Außenwelt. Transpersonale Therapeuten würden hier dann auch<br />
noch all die subtilen, energetischen und spirituellen Erfahrensmöglichkeiten anfügen.<br />
Andererseits stehen diesen Wahrnehmungsinhalten aber auch Organisationsprinzipien<br />
gegenüber: wie organisiere, wie strukturiere ich die Unmenge an Inhalten und Informationen?<br />
Denn schließlich wollen wir nicht in der unendlichen Fülle von Eindrücken verloren gehen,<br />
sondern die erdrückende Anzahl an Einzelheiten so in eine (innere) Ordnung bringen, dass unser<br />
gegenwärtiges Erleben für uns einen Sinn macht. Dann, wenn ich das alles zu einem in sich<br />
schlüssigen Konzept vereint habe, kann ich mich innerlich zurücklehnen: ich kann mich<br />
einigermaßen stabil fühlen (sicher mit mir selbst) und von dort aus ein Gefühl entwickeln, mit den<br />
Anforderungen des Lebens schon irgendwie zurechtkommen zu können.<br />
Wer aber ist eigentlich dieses „Ich“, das sich während einer Rhythmusreise zusammen mit all<br />
den anderen „Ich´s“ im Rhythmus bewegt, das rhythmisch geht und klatscht, das aus dem<br />
Rhythmus fällt, darüber wütend wird oder lacht und vieles mehr? Wer ist dieses aus Inhalten und<br />
inneren Strukturen bestehende „Ich-Bewusstsein“ - von dem wir behauptet haben, es würde all<br />
die mannigfachen Eindrücke ordnen und strukturieren. Wenn erwachsene Menschen über ihr<br />
Erleben sprechen, können wir ziemlich leicht erkennen, dass ihr Bewusstsein eigentlich<br />
weitestgehend einen Ich-Charakter hat, ich-haft ist, könnte man auch sagen. Immer schwingt<br />
also irgendwie ein „Ich“ mit. Es sind ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Gefühle, von denen<br />
sie uns berichten und wir denken uns unseren Teil dazu, fühlen dabei unsere Gefühle, machen<br />
uns unsere Bilder. Irgendwie geht es dabei also immer um „mein“ und „dein“.<br />
Nun tun wir im Alltag gerne so, als wäre dieses „Ich“ etwas Gegebenes, etwas Festes, Fixes,<br />
Immerwährendes oder Stabiles. Die modernen Entwicklungspsychologen (unter anderem<br />
Objektbeziehungstheoretiker wie Otto Kernberg) zeigen uns aber schon seit geraumer Zeit, dass<br />
dieses Ich so gegeben, so fest gar nicht ist. Bei näherer Betrachtung entdeckt man nämlich, dass<br />
ganz grundsätzlich beim Entstehen dieses Ich´s ein ständiges sich-Identifizieren beteiligt ist. Ein<br />
Teil des Bewusstseins, könnte man sagen, identifiziert sich im Rahmen des oben beschriebenen<br />
Organisationsprozesses mit bestimmten Inhalten (es sind nicht irgendwie Gedanken, sondern<br />
„meine“ Gedanken) und andererseits identifiziert es andere Inhalte im Bewusstsein als „nicht<br />
ich“ („Das sind Deine Gefühle!“). Und das ist nun schon eine erste einfache<br />
Organisationsstruktur: „Ich“ versus „Nicht-Ich“ oder anders: „innen“ versus „außen“.<br />
Erst dieses Identifizieren und Zuordnen – das in unserem Bewusstsein geschieht und das in<br />
alltäglichen Situationen genauso wie in einem TaKeTiNa-Setting in der Regel unbemerkt von uns<br />
selbst vonstatten geht - macht letztendlich aus der Fülle an Eindrücken unser Ich. Und dieser<br />
Prozess des Konzeptualisierens geschieht ständig neu: während Sie im TaKeTiNa vielleicht aus<br />
dem Rhythmus fallen, oder am Ende auf dem Boden liegen und dem Erlebten nachspüren, oder<br />
wenn Sie hinterher von Ihren Erfahrungen berichten, ständig wählt in Ihrem Bewusstsein etwas<br />
Informationen heraus, identifiziert sich damit (oder grenzt sich bewusst ab) und erschafft somit<br />
jeden Moment neu dieses „Ich“ - stabil und flüssig zugleich, könnte man sagen.<br />
Deswegen sprachen wir weiter oben auch vom Ich-Chrakter oder von der Ich-Haftigkeit und<br />
meinen damit eine Art „inneres Bild“, eine Art „inneres Wissen“, eine Identität, etwas, was in<br />
einem mentalen Prozess ständig neu erschaffen wird. Das „Ich“, könnten wir so auch<br />
formulieren, wird jeden Moment neu geboren; allerdings stirbt es so gesehen auch jeden<br />
Moment neu. Und das ist auch gut so. Denn gerade weil dieses „Ich“ gar nichts Gegebenes oder<br />
Festes im ursprünglichen Sinn ist – sondern ein lebendiger Prozess eben – können wir es auch<br />
verändern; vielleicht sollten wir treffender und bescheidener sagen: kann es sich auch<br />
verändern.
Archetypisches<br />
Die Inhalte in unserem Bewusstsein – beispielsweise das, was ich während einer TaKeTiNa-<br />
Reise erlebe - werden in ihrer Bedeutung mitbestimmt und geformt durch vielerlei Faktoren.<br />
Kultur, Rasse, Religionen, Familientraditionen und Schlussfolgerungen aus individuellen<br />
Erfahrungen stricken dabei mit. Der Mechanismus hingegen, wie wir aus den Inhalten über<br />
Identifikation zu einem einigermaßen stabil und integriert sich anfühlenden Ich-Gefühl kommen,<br />
ist etwas, was uns alle eint. Wir teilen diesen Aspekt unseres Bewusstseins miteinander. Wir<br />
machen das alle so. Strukturen, die derart grundlegend mit dem Menschlichen verbunden sind,<br />
nennen wir gerne archetypisch. Und in der Tat können wir auch diesen grundlegenden Prozess,<br />
wie wir durch Identifikation mit bestimmten Bewusstseinsinhalten zu einem „Ich-Gefühl“ kommen,<br />
archetypisch nennen. Noch einmal, damit es zu keiner Verwechslung kommt: die Inhalte haben<br />
mit der archetypischen Welt nichts zu tun, der Formgebungsprozess in unserem menschlichen<br />
Bewusstsein sehr wohl. Also: dass wir über die Technik des uns-mit-etwas-Identifizierens zu<br />
einem Ich-Gefühl kommen ist allgemein menschlich (archetypisch), wie in meinem oder Ihren<br />
Fall diese Identifizierung konkret aussieht („Das bin ich!“ - „Das bin ich nicht“) ist sehr individuell<br />
und persönlich.<br />
Wenn die Patienten in Heiligenfeld sich am Ende eines TaKeTiNa-Settings „klar“, „aufgeräumt“,<br />
„endlich wieder einmal (in einer) Ordnung“ fühlen können, dann hat das zu einem großen Teil<br />
auch damit zu tun, dass das Spielen mit Rhythmusarchetypen, wie es im TaKeTiNa ständig und<br />
in fortschreitender Differenzierung geschieht, ebenfalls auf dieser grundlegenden Ebene des<br />
menschlichen Bewusstseins stattfindet. Die rhythmischen Bausteine mit denen der Leiter, der<br />
Surdospieler und die Teilnehmer während einer Rhythmusreise spielen und jonglieren, finden<br />
ihren Niederschlag im Bewusstsein des einzelnen Teilnehmers. Sie hinterlassen dort Spuren und<br />
wirken damit auf unser Bewusstsein ein. Plötzlich spüren wir eine innere Dynamik und fühlen uns<br />
vielleicht getragen (hier wirkt das Pulsieren des Rhythmus), oder wir fühlen uns gehalten und in<br />
Orientierung (dort wirkt die Dynamik innerhalb von Zyklen). Der Formgebungsprozess hin zu<br />
einem Ich-Bewusstsein (das Identifizieren) und der Formgebungsprozess hin zu einem<br />
rhythmischen Bewusstsein sind auf dieser tiefen, vielleicht untersten, Bewusstseinsebene gar<br />
nicht mehr wirklich zu trennen, sie sind, da eben archetypisch, mindestens aufs Engste<br />
miteinander verbunden, wahrscheinlich sogar ein und dasselbe.<br />
Und genau dieser Umstand macht Rhythmus (nicht in seiner kulturellen oder individuellen<br />
Ausformung, sondern in seiner archetypischen Art) so charmant, so elegant, wenn man<br />
menschliche Bewusstseinsprozesse (und dazu gehören auch Heilungsprozesse) anstoßen,<br />
verändern, modifizieren will. Er transportiert hier keine ideologischen, religiösen oder<br />
weltanschaulichen Inhalte. Er ist einfach nur Rhythmus in seiner puren Form, vielleicht einfach<br />
Ausdruck des Lebendigen in seinem elementaren Aspekt. Und so wie er den grundlegenden<br />
Prozess hin zu einem stabil wirkenden Ich-Gefühl begleiten, anregen, und unterstützen kann, so<br />
kann er dieses Ich (-Bewusstsein) auch noch darüber hinaus begleiten, wenn es nämlich<br />
plötzlich konfrontiert wird mit den eher ungereimten Seiten in sich, mit dem sich<br />
Widersprechenden und Konflikthaftem. Und selbst noch weiter: wenn wir den persönlichen und<br />
individuellen Bereich hinter uns lassen wollen, das Ich (-Bewusstsein) überschritten wird und wir<br />
ein „transpersonales“ Gespür in uns entwickeln und finden.<br />
Doch eins nach dem anderen. So wie Sie im TaKeTiNa-Prozess immer wieder einmal den<br />
sicheren Boden des Einfachen und des Grundlegenden verlassen und sich auf die Unsicherheit<br />
des Komplexeren einlassen können, so sind Sie vielleicht auch mir jetzt gefolgt bis in etwas<br />
kompliziertere Gefilde. Und so wie Sie dann vom TaKeTiNa-Leiter plötzlich wieder zurückgeführt<br />
werden auf das Einfache, Grundlegende, so möchte auch ich Sie jetzt wieder zurückführen zum<br />
Elementaren. Lassen Sie uns also bitte wieder Boden unter die Füße bekommen.<br />
Entwicklungsqualitäten und persönliche Themen
Neben dem rein rhythmisch-archetypischen Aspekt des TaKeTiNa-Prozesses, und dem damit<br />
verbundenen (innere) struktur-bildenden Prozess im menschlichen Bewusstsein, öffnen und<br />
entfalten sich zunächst einmal auf bestechend natürliche und organische Art und Weise einige<br />
wenige grundlegende Themen, beispielsweise: Getragensein, Erdung, Orientierung,<br />
Verbundensein, Kofrontation etc.. Diese haben ursächlich mit der Wirkung von Rhythmus auf das<br />
menschliche Bewusstsein zu tun. Noch etwas differenzierter können wir formulieren: die<br />
unterschiedlichen Aspekte von Rhythmus lösen in unserem menschlichen Bewusstsein ganz<br />
bestimmte Eigenschaften und Qualitäten aus. Da diese für die menschliche Entwicklung (der<br />
Entwicklung unseres Bewusstseins) grundlegend und bedeutsam sind, können wir sie auch<br />
Entwicklungs-Qualitäten nennen. In gewisser Hinsicht handelt es sich dabei um Wirkfaktoren<br />
oder auch um Heil- oder Heilungsqualitäten.<br />
Dadurch, dass sie die direkte Folge von Rhythmus auf das menschliche Bewusstsein sind, sind<br />
die Entwicklungsqualitäten derart eng mit dem archetypischen Bereich verbunden, dass man<br />
beinahe geneigt ist, sie diesem zuzuordnen. Andererseits sind diese von jedem Teilnehmer<br />
spürbaren Qualitäten (Themen) aber auch schon Inhalte im menschlichen Bewusstsein. Inhalte,<br />
hatten wir weiter oben jedoch gesagt, sind gerade nicht mehr dem Archetypischen zuzuordnen.<br />
Aus Gründen der Einfachheit begnügen wir uns hier, von einer Schnittstelle zwischen<br />
archetypischer und persönlicher Ebene zu sprechen und gedanklich zuzulassen, dass dieses Set<br />
von Entwicklungsqualitäten (-themen) einerseits auf´s Engste mit den Wirkungen von Rhythmus<br />
im menschlichen Bewusstsein zu tun hat; andererseits aber auch schon der Welt der Inhalte<br />
angehört. Wir könnten auch formulieren: die archetypische Welt reicht hier ins Persönliche<br />
hinein.<br />
Diese Entwicklungsqualitäten werden in jedem Teilnehmer in bestimmten Momenten des<br />
TaKeTiNa-Prozesses relevant. Sie wirken auf ihn, sie ergreifen ihn, und das ist nicht unbedingt<br />
davon abhängig, dass er sich dessen gerade bewusst ist. Sie erscheinen weitgehend in<br />
Abhängigkeit davon, wie sich der Rhythmus-Prozess vom Einfachen zum Komplexen entwickelt<br />
und welche grundlegenden Qualitäten er damit im (Ich-) Bewusstsein des Teilnehmers auslöst.<br />
Archetyp sind die Entwicklungsqualitäten (-themen) insofern, als sie in jedem teilnehmenden<br />
Patienten zu einem bestimmten Zeitpunkt des Prozesses und in einer vom Prozess abhängigen<br />
Reihenfolge ausgelöst werden. Individuell sind sie jedoch insofern, als jeder Teilnehmer auf<br />
diese Entwicklungsqualitäten (-themen) vor dem Hintergrund seiner Biographie reagiert. Er erlebt<br />
sie gewissermaßen durch die getönte Brille seiner bisherigen Erfahrungen. Außerdem werden<br />
wir noch etwas später sehen, wie mit dem Erscheinen der Entwicklungsqualitäten auch noch<br />
ganz andere, rein persönliche und individuelle Themen auftauchen. Und damit wird dieser<br />
Prozess für Patienten, die sich auf einem psychotherapeutischen Weg befinden, doppelt<br />
interessant und gewinnbringend.<br />
Um in einem einfachen Bild zu sprechen: einerseits wirkt die fokussierte und konzentrierte Arbeit<br />
mit den Rhythmus-Archetypen (also mit den elementaren Bausteine des Rhythmischen) wie eine<br />
Einladung, den eigenen archetypischen Bereich ins sich aufzusuchen. Damit lädt sie uns dazu<br />
ein, jenseits des Persönlichen liegende Erlebnismöglichkeiten zuzulassen, gewissermaßen über<br />
das Persönliche hinauszuwachsen. Andererseits stoßen wir, wenn wir dieser Einladung folgen,<br />
nicht selten erst einmal auf unsere persönlichen Themen, egal ob in Form der Entwicklungsqaulitäten<br />
(-themen) oder der sich daraus weiter ergebenden individuellen Themen.<br />
Es sind dies hinderliche Muster in unserem Erleben und Verhalten; es sind dies in bestimmten<br />
Zeiten unserer Geschichte als Notlösung kreierte Strukturen, die sich uns im heutigen<br />
gegenwärtigen Leben wie Stolpersteine in den Weg schieben und an denen wir selbst (und<br />
manchmal auch unsere Umwelt) leiden. Sie erzeugen Reibung, ärgern uns, frustrieren uns,<br />
beschämen uns, kränken uns, trennen uns von uns selbst und von anderen und vieles mehr. Es<br />
sind einerseits Themen, die mit einem Defizit an inneren Strukturen zu tun haben (Ich habe<br />
beispielsweise nicht gelernt, mich ausreichend von anderen Menschen abzugrenzen),
andererseits Themen, die auf dem Boden von genügend inneren Strukturen in uns Konflikte<br />
auslösen (Ich traue mich beispielsweise nicht, mich meine Wut auf jemanden spüren zu lassen,<br />
obwohl ich grundsätzlich dazu in der Lage wäre).<br />
So wie diese Themen uns im Alltag von einem guten (persönlichen) Leben fernhalten, so<br />
verhindern sie nun während der rhythmischen Reise das „gute Leben“, welches in Form des<br />
genussvollen in-Fluß-seins winkt. Insofern begreifen unsere Patienten sehr schnell, dass<br />
TaKeTiNa auf sie auch wie ein riesengroßer Spiegel wirkt, der ihnen ihre ganz eigenen<br />
Stolpersteine vor Augen führt und darüber hinaus auch dazu einlädt, diese hinter sich zu lassen<br />
– zunächst innerhalb des geschützten und spielerischen Rahmens von TaKeTiNa, später aber<br />
auch im Klinikalltag und Zuhause.<br />
Desintegration im Bewusstsein<br />
Aber wir wollten ja zum Einfachen zurückkehren. Wenn unsere Patienten am Anfang der<br />
Rhythmusreise aus dem Stehen heraus über die rhythmische Stimme zunächst in einen<br />
„elementaren Grundschritt“ geführt werden, beginnt sich in ihrem Bewusstsein das erste<br />
grundlegende Thema langsam aufzubauen: das Gefühl „getragen zu sein“. Über unzählige<br />
körperliche Informationen, die dabei in ihrem sensomotorischen System einerseits durch das<br />
Handeln (efferente Nervenbahnen) andererseits durch das gleichzeitige Spüren und Erleben<br />
(afferente Nervenbahnen) generiert und transportiert werden, und die hauptsächlich mit dem<br />
rhythmischen Phänomen „Pulsieren“ zu tun haben, wird es den Patienten so möglich,<br />
Getragensein wieder zu spüren. Vielleicht knüpfen sie an ganz frühe – rudimentäre -<br />
Erfahrungen mit dieser Erlebnisqualität an. Vielleicht aber auch, weil dieses Anknüpfen nicht<br />
(mehr) möglich ist, müssen sie die Erfahrung von „Getragensein“ ganz neu im Bewusstsein<br />
aufbauen. Als Erlebnisqualität steht „Getragensein“ ganz am Anfang des Strukturbildungsprozesses.<br />
Ohne diese Erfahrung können wir innere Strukturen nur äußerst schlecht, lückenhaft<br />
und brüchig aufbauen und eine Folge davon könnte sein, dass wir „Vertrauen“ und „Sicherheit“<br />
nur unzureichend und unzuverlässig erleben können.<br />
Bei Neugeborenen nehmen wir an, dass ihr Bewusstsein noch größtenteils nicht integriert ist,<br />
also auch noch nicht über viel an internen Strukturen verfügt. Andererseits erleben wir aber auch,<br />
dass das Bewusstsein erwachsener Menschen unter dem Eindruck von besonderen internen<br />
und externen Belastungssituationen (z.B. während und nach Trauma-Erfahrungen) an<br />
Integrationskraft und an inneren Strukturen verlieren kann und damit zunehmend desintegrierter<br />
wird. Psychotische Episoden sind dabei nur die äußerste Speerspitze von dem, was uns<br />
Menschen widerfahren kann, wenn sich unser Bewusstsein aufzulösen beginn, sich mehr in<br />
Richtung Desintegration bewegt.<br />
Ob man, wie Otto Kernberg von einem „psychotischen Organisationsniveau der Persönlichkeit“<br />
sprechen mag, oder mit der OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik) ein<br />
modernes Diagnosemanual heranzieht will, um dann von einem „desintegierten Strukturniveau“<br />
zu sprechen, ob und wie eng man dies in Abhängigkeit oder Anlehnung an eine wie auch immer<br />
ausformulierte Entwicklungspsychologie tun mag: das desintegrierte Strukturniveau ist so etwas<br />
wie ein Ausgangspunkt. Von ihm aus lassen sich mit zunehmender Integration der Persönlichkeit<br />
verschiedene Schichten oder Stadien in fortschreitender Linie formulieren, und dies immer in<br />
Abhängigkeit der Integrationskraft und Strukturiertheit im jeweiligen Bewusstsein.<br />
Getragensein ist damit – wie bereits erwähnt – die wichtigste Entwicklungsqualität, mit der wir<br />
dem desintegrierten Bewusstsein begegnen können. Die Patienten, die gerade dieses<br />
„Getragensein“ nicht mehr, beziehungsweise nicht ausreichend genug erleben können, kommen<br />
im TaKeTiNa-Prozess also ziemlich schnell mit dieser Qualität in Berührung. Dabei wirkt gerade<br />
diese elementare Ebene auch dann weiter, wenn sich das Bewusstsein des Teilnehmers schon<br />
wieder mit ganz anderen Dingen (beispielsweise dem Klatschen) beschäftigt, oder<br />
„Getragensein“ für ihn überhaupt nicht das hauptsächliche Problem war und er im Prozess an
dieser Stelle deshalb schnell voranschreiten konnte.<br />
Tatsächlich wird „Getragensein“ zunächst einmal dadurch im Bewusstsein des Teilnehmers<br />
spürbar, dass er – gemeinsam mit den anderen Teilnehmern im Kreis – in den Schritten eine<br />
pulsierende Kraft aufbaut und aufrechterhält und dies dann in sein Bewusstsein zurückwirken<br />
kann. Diese Dynamik wird dann später - durch die rhythmische Konfrontation in weiteren Verlauf<br />
- auch in Frage gestellt, geprüft und letztendlich dadurch intensiviert und verstärkt; und das bis<br />
hinein in die Endphase des Rhythmusreise. Damit ist „Getragensein“ die grundlegende Kraft, die<br />
am längsten während der Rhythmusreise auf die Patienten und deren Bewusstsein einwirkt.<br />
Geringe bis mäßige Integration im Bewusstsein<br />
Mit den Schritten und mit dieser ersten grundlegenden Kraft ist eine weitere Qualität verbunden:<br />
das Gefühl „geerdet zu sein“, „Boden unter den Füßen zu spüren“, über ein „grounding“ zu<br />
verfügen. Auch diese Qualität kann man noch als Heilungsqualität für das erste – noch<br />
desintegrierte Strukturniveau - werten. Allerdings reicht sie bereits in die zweite Ebene oder<br />
Schicht hinein („Borderline-Persönlichkeitsorganisation“ bei Kernberg, „gering bis mäßiges<br />
Strukturniveau“ in der OPD). Während „Getragensein“ noch eher etwas damit zu tun hat, dass<br />
andere (oder etwas größeres) mit mir etwas machen - eben mich tragen - bezieht sich die<br />
Erfahrung, geerdet zu sein, noch deutlicher auf den eigenen Körper und vor allen Dingen auf<br />
dessen Aktivität: mein Stehen (noch gravierender: mein Gehen) ruft in meinem Bewusstsein das<br />
Gefühl hervor, geerdet zu sein. Das Bewusstsein schwebt eben nicht irgendwie in der Luft,<br />
sondern ist über das Körpergefühl und den Körper „geerdet“.<br />
Vom Gefühl „getragen zu sein“ sind wir zur Qualität „geerdet“ gelangt, und sind damit immer<br />
noch bei den Entwicklungsqualitäten. Aber lassen Sie uns an dieser Stelle einen kleinen Ausflug<br />
machen, um zumindest erahnen zu können, wie mit den hier genannten grundlegenden Themen<br />
sich nun ein ganzer Fächer von individuellen Themen, eben aus der Biographie des einzelnen<br />
Teilnehmers heraus auftun kann. Wenn das Gefühl, Erde unter den Füßen zu haben, so integral<br />
mit dem eigenen Körper (Körperbewusstsein) verbunden ist, so ist es leicht vorstellbar, wie der<br />
mangelhafte Aufbau eines Körpergefühls (etwa in einer körperfeindlichen Umgebung) oder aber<br />
auch der Rückzug aus dem Körpergefühl infolge einer Traumatisierung, letztendlich verhindern,<br />
Boden unter den Füßen spüren zu können. Dabei sind ein mangelndes Körperbewusstsein und<br />
Körperschemastörungen nur ein Beispiel für weiterführende – aus den Entwicklungsqualitäten<br />
heraus entstehende - Themen.<br />
Doch damit zurück zur zweiten Schicht. Die geringe bis mäßige Integration im Bewusstsein der<br />
Patienten erfordert hier zweierlei: einerseits muss es darum gehen, über den Aufbau von inneren<br />
Strukturen „Halt“ und „Orientierung“ (und damit letztendlich Autonomie) zu erwirken. Nach<br />
„Getragensein“ und „Grounding“ wird damit nun der Strukturbildungsprozess immer aktiver und<br />
vor allen Dingen mit immer mehr aktiver Eigenbeteiligung des teilnehmenden Patienten.<br />
Andererseits kann es aber auch schon bei diesem Integrationsniveau des Bewusstseins<br />
notwendig werden, sich selbst in seinem Erleben und Verhalten in Frage zu stellen, sich zu<br />
konfrontieren. Da „Konfrontation“ die vornehmliche Entwicklungsqualität der dritten Schicht ist,<br />
verweise ich an dieser Stelle auf die dortigen Ausführungen und wir beschäftigen uns hier nun<br />
weiter mit der Strukturbildung.<br />
Betrachten wir zunächst die rhythmische Ebene für sich, dann können wir sehen, wie die<br />
Teilnehmer, teils noch mit dem Schrittaufbau, dann aber auch verstärkt durch den daran<br />
anschließenden Aufbau des Klatschens zwei weitere rhythmische Ebenen in ihrem Bewusstsein<br />
verankern: „Zyklus“ und die „Gestaltung der Zwischenräume“ zwischen den Pulsen. Die wie ins<br />
Unendliche hineinwirkenden Pulse bekommen nun eine Struktur, eine Ordnung. Damit erscheint<br />
im Bewusstsein die Qualität von Orientierung.<br />
Weil sie nicht über genügend innere Strukturen verfügen und ihr Erleben in der Folge davon
instabil ist, leiden Patienten, die hauptsächlich mit Themen dieser Ebene konfrontiert sind,<br />
darunter, dass ihre Gefühle und inneren Zustände oft instabil, wechselhaft und intensiv sind und<br />
sie sich ausgeliefert fühlen. Ihnen fehlt oft die Fähigkeit zur Abgrenzung von anderen. Weil sie<br />
über diese innere Struktur nicht verfügen, können sie sich nur mangelhaft selbst kontrollieren,<br />
leiden an einer (manchmal geradezu extremen) Selbstwertproblematik und neigen auch in ihrem<br />
Handeln zu Extremen und dazu, das eigene Tun nicht hinsichtlich seiner Wirkung vorausdenken<br />
(antizipieren) zu können. Folglich sind sie in ihrer Beziehungsgestaltung oder in ihrem Verhalten<br />
in Schule, Studium oder Beruf oft chaotisch. Das sind nur einige Beispiele, die zeigen sollen,<br />
unter welchen Problemen Menschen leiden können, wenn sie nicht „gelernt“ haben innere<br />
Strukturen in zumindest ausreichendem Maße aufzubauen.<br />
Diese Patienten erfahren nun im TaKeTiNa, wie sie selbst über den archetypisch-rhythmischen<br />
Prozess in ihrem Bewusstsein Orientierung erwirken können. Über die rhythmische Kraft und<br />
Dynamik „Zyklus“ können sie so beispielsweise in ihrem Bewusstseinsraum erleben, dass etwas<br />
einen Anfang und ein Ende haben kann, und dass dazwischen ein Spannungsbogen verläuft,<br />
den man „aushalten“ oder „innerlich mittragen“ kann. Das alles erleben sie direkt und körperlich<br />
und sie können später – wenn sie ähnliche Erfahrungen immer wieder machen und damit die<br />
Kraft der Wiederholung ihre Wirkung entfaltet – dieses Gefühl abrufen. Außer an Rhythmus ist<br />
dieses Gefühl nun jedoch nicht gebunden an einen weiteren Inhalt. Eigentlich ist die Erfahrung<br />
schon so etwas wie eine Abstraktion, die für den Einsatz in vielen Gebieten „abgerufen“ werden<br />
kann.<br />
Patienten lernen auf dieser Ebene aber auch, wie sie in diesem Prozess der Strukturbildung<br />
zunächst von außen angeleitet werden (wie zunächst von außen auf ihr Bewusstsein eingewirkt<br />
wird) ehe sie in der Lage sind, sich selbst zu führen und sich selbst anzuleiten.<br />
Selbstverständlich ist es möglich, dass ein Patient, der in seiner Biographie mit dem Thema<br />
„Geführt-Werden“ schwierige Erfahrungen gemacht hat, hier mit einem damit<br />
zusammenhängenden persönlichen Thema konfrontiert wird – ein weiteres Beispiel dafür, wie<br />
aus einer Entwicklungsqualität (einem grundlegenden Thema) ein persönliches Thema<br />
herauskommen kann.<br />
Aus der Regulierung durch das außen wird die eigene Aktivität der Patienten im Ausbauen von<br />
inneren Strukturen initiiert. In der Tat beginnen unsere Patienten eigentlich immer bereits in<br />
diesem Stadium. Da sie ihr Leben bis zum Klinikaufenthalt ja auch irgendwie „auf die Reihe“<br />
gebracht haben, können wir davon ausgehen, dass sie zumindest über rudimentäre oder<br />
einfache Erfahrungen im Strukturbildungsprozess verfügen und ihnen die Selbststeuerung (als<br />
einer wichtigen inneren Struktur) bis zu einem gewissen Maß schon gelingt. Deshalb setzen wir<br />
im klinischen TaKeTiNa auch weitgehend in diesem Stadium ein und versuchen Situationen zu<br />
schaffen, die von hier aus zum Ausbauen dieser unzureichenden Strukturen einladen.<br />
Damit dieser Prozess zu einer zunehmenden Autonomie der Patienten führen kann, müssen<br />
sowohl bei den grundsätzlichen Strukturen des Settings als auch auf Seiten des Leiters die<br />
Signale auf „selbständig lernen“ und „Entscheidungsfreiheit“ gestellt sein. Denn zum<br />
anfänglichen „von außen gesteuert werden“ (durch das Setting und den Leiter) und das<br />
Verinnerlichen dieser Strukturen, sollte mehr und mehr das eigenständige Entscheiden der<br />
Patienten kommen und – dort wo möglich – auch die Reflexion über diese eigenen<br />
Entscheidungen und ihre Wirkungen und Konsequenzen. Und so fordern wir unsere Patienten<br />
ständig dazu auf, im sich durch weitere Angebote ausdifferenzierenden rhythmischen Prozess<br />
Entscheidungen über den nächsten Schritt, den sie tun, bewusst zu entscheiden und wählen.<br />
Damit dieser Schritt gelingen kann, brauchen Patienten jedoch auch einen gewissen Abstand<br />
zum eigenen Erleben und Verhalten. Und gerade auf diesen Abstand können sie - wie weiter<br />
oben geschildert - nicht immer, oder nicht ausreichend oder nicht in allen Bereichen ihres<br />
Erlebens und Verhaltens zurückgreifen. TaKeTiNa bietet immer wieder und zahlreich gute<br />
Gelegenheiten, die Patienten mit ihrem Erleben in einen unmittelbaren und spürbaren Kontakt zu
ingen. Schritte setzen, Klatschen, rhythmisches Sprechen oder Singen und schließlich auch<br />
ein darüber hinausgehendes Körpererleben können in jedem Moment gespürt und<br />
wahrgenommen werden.<br />
Wenn die Teilnehmer darüber hinaus jedoch auch noch dahin geführt werden, den Teil ins sich<br />
zu spüren, der dies alles gerade wahrnimmt, wächst im Inneren des Patienten langsam eine<br />
Struktur, die wir auch den „Inneren Beobachter“ nennen können, also jener Teil, der wahrnimmt,<br />
dass er wahrnimmt und der damit vom Beobachteten (also von den Inhalten im Bewusstsein)<br />
unterschieden werden kann. Wenn diese innerpsychische Instanz des „Inneren Beobachters“<br />
geweckt und stabilisiert ist, was während des TaKeTiNa-Prozesses immer wieder sehr leicht<br />
geschehen kann, dann erst kann der Patient aus einer „sicheren inneren Entfernung“ gleichzeitig<br />
auf sein Erleben blicken. Er ist auf eine bestimmte Art und Weise distanziert, nicht identifiziert<br />
damit – ein erster Schritt in Richtung Unabhängigkeit von den Inhalten in seinem Bewusstsein.<br />
Bewusste Entscheidungen treffen zu können ist die Türe, die mitten hinein in den Aufbau von<br />
Inneren Strukturen führt. Wenn diese Verinnerlichungsprozesse im TaKeTiNa über unzählige<br />
konkrete Entscheidungen angestoßen werden, wird der Patient tatsächlich immer selbständiger<br />
und autonomer. Er lernt, wie er gute, innere Strukturen aufbauen kann (wie sich das anfühlt) und<br />
wie er von dort aus weiter selbständig Schritte setzen kann.<br />
Mäßige bis gute Struktur im Bewusstsein<br />
Doch verlassen wir an dieser Stelle den Prozess, wie aus der Verinnerlichung von Erfahrung<br />
innere Strukturen werden. Wenn nämlich genügend innere Struktur vorhanden ist, nimmt der<br />
Prozess beim Patienten einen etwas anderen Verlauf. Jetzt geht es nicht mehr so sehr um ein<br />
geduldiges Aufbauen von inneren Strukturen, sondern darum, dass unter dem Eindruck der<br />
Länge der körperlichen Aktivität und auch des dichter werdenden musikalischen Prozesses im<br />
Inneren der Teilnehmer konflikthaft „abgespeicherte“ Themen mobilisiert werden. Kernberg<br />
spricht angesichts solcher innerpsychischer Dynamiken von einem „neurotischen<br />
Organisationsniveau“, die OPD von einer „mäßigen bis guten“ Integration.<br />
Die im musikalischen Gruppenprozess entstehende Dynamik und Intensität ist neben der<br />
zeitlichen Länge der körperlichen Aktivität auch Folge des gezielt eingesetzten Gesangs,<br />
besonders dann, wenn verschiedene Rhythmuslinien aufeinandertreffen und dadurch eine ganz<br />
eigene Wirkung entfalten. Einerseits gestaltet der am TaKeTiNa teilnehmende Patient hier mit<br />
(indem er die Melodiebögen des Leiter mit allen anderen nachsingt), andererseits wirken<br />
Dynamik und Intensität, die als gemeinsame (Gruppen-) Leistung dadurch entstehen, auf ihn<br />
zurück und mobilisieren diese inneren Themen. Teilweise geschieht dies, weil das körperliche<br />
Substrat der Konflikte (Wilhelm Reich sprach hier vom sogenannten „Charakterpanzer“) mit der<br />
Zeit angeregt und (teilweise) aufgelöst wird. Die rhythmische Aktivität wirkt hier - bildhaft<br />
gesprochen - wie eine kontinuierliche und beharrliche Massage auf den Körper, manchmal direkt<br />
lösend, entspannend und befreiend, manchmal jedoch auch dadurch, dass chronisch<br />
verkrampfte Körperpartien und -bereiche bis hinein ins Innerste des Körpers über Schmerzen<br />
bewusst werden und sich über diesen Weg erst langsam lösen können.<br />
Andererseits erleben sich die Patienten während der Rhythmusreise aber auch ständig in<br />
Beziehung zu den anderen teilnehmenden Patienten. Sie erleben (manchmal auch durch die<br />
fokussierende Unterstützung der Leiter), wie dieses „miterleben“ der anderen in ihrem<br />
Bewusstsein wirkt und welche inneren Reaktionen dies in ihnen auslöst. Auch dieser Umstand<br />
kann sehr leicht zum plötzlichen oder allmählichen Wahrnehmen innerer konflikthafter Themen<br />
beitragen.<br />
In den umfangreichen tiefenpsychologischen Beschreibungen der letzten Jahrzehnte werden<br />
Konflikte immer wieder auch in leicht veränderter Form dargestellt. Die OPD kennt im<br />
Wesentlichen 7 längerwährende Konfliktkonstellationen. Sie alle können während einer<br />
TaKeTiNa-Reise in Teilaspekten oder in ihrem Kern – manchmal scheinbar plötzlich und<br />
unvermittelt – im Erleben des teilnehmenden Patienten auftauchen und spürbar werden:
„Indiviudation versus Abhängigkeit“, „Unterwerfung versus Kontrolle“, „Versorgung versus<br />
Autarkie“, „Selbstwertkonflikt“, „Schuldkonflikt“, „Ödipaler Konflikt“, „Identitätskonflikt“. Die<br />
detaillierte Darstellung dieser verschiedenen Konfliktdynamiken würde hier zu weit führen.<br />
Beispielhaft sei jedoch kurz eine Episode genannt, die eine Patientin mit einem sogenannten<br />
„Versorgung versus Autarkie“-Konflikt im TaKeTiNa erlebte. An diesem Beispiel wird deutlich,<br />
dass die Konfrontation (mit eigenen inneren, konflikthaften Themen) die zentrale<br />
Entwicklungsqualität auf dieser Stufe ist.<br />
Die Patientin war in der Vergangenheit durch eine deutlich nach außen gebrachte<br />
Bescheidenheit und Selbstgenügsamkeit aufgefallen. Gleichzeitig hatte sie ständig das Gefühl,<br />
denjenigen Teilnehmern, die während des Settings in der Mitte lagen und eine „Pause machten“,<br />
helfen zu müssen. Weil sie dies jedoch selbst als unpassend empfand, hielt sie sich damit<br />
zurück, fand aber für sich eine Möglichkeit, den in der Mitte liegenden, „hilflosen“ Mitpatienten<br />
dadurch zu helfen, dass sie sich im Außenkreis besonders anstrengte, den Rhythmus auf alle<br />
Fälle zu halten, besonders schön (für ihre Nachbarn leider manchmal auch sehr laut) zu singen<br />
und so ein „gutes Umfeld“ für die in der Mitte liegenden Mitpatienten zu schaffen. Bis ihr dann<br />
eines Tages auffiel, dass sie enorm neidisch auf die in der Mitte liegenden Patienten wurde („Die<br />
bekommen so viel – ich bekomme gar nichts!“). Neid- und Wutgefühle (über diese Tatsache)<br />
ließen die Patientin dann mit der Zeit (also über mehrere Settings verteilt) erkennen, dass der<br />
Hunger in ihr, etwas zu bekommen, versorgt zu werden und Zuwendung zu bekommen, enorm<br />
groß war. Gleichzeitig erkannte sie aber auch, dass sie diesen Wunsch in der Vergangenheit<br />
hinter ihrem betont bemühten Engagement für andere (Patienten) vor sich selbst versteckt hatte.<br />
In ihrem letzten TaKeTiNa-Setting vor ihrem Abschied erlaubte sie sich, selbst einmal in die Mitte<br />
zu liegen und sich durch die anderen und durch die von diesen gestaltete Musik „versorgen zu<br />
lassen“. Wir können annehmen, dass das Thema für die Patientin damit noch nicht endgültig<br />
gelöst war, aber sie war damit einen großen Schritt vorangekommen, hatte sogar etwas neues<br />
gewagt und versucht und damit den Weg in eine neue Richtung eingeschlagen.<br />
Am Ende der Entwicklungsdynamik durch diese dritte Schicht hindurch würde dann die wirklich<br />
„gut integrierte“ Persönlichkeitsorganisation stehen. Sie wird in der OPD beschrieben als ein<br />
„relativ autonomes Selbst mit einem strukturiertem psychischer Binnenraum, in dem sich<br />
intrapsychische Konflikte abspielen können, mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion und<br />
realitätsgerechten Wahrnehmung des anderen und der Fähigkeit zur Selbststeuerung, einer<br />
Empathiefähigkeit, ausreichend gute innere Objekte (Anmerkung: inneren Bildern von<br />
bedeutsamen anderen Menschen), vielleicht noch mit der zentralen Angst, die Zuneigung des<br />
Objektes (Anmerkung: anderer Menschen) verlieren zu können.“<br />
Von „desintegrierten“ über „gering integrierte“ zu „mäßig integriert“ und „gut integriert“ sind wir<br />
damit in unserer Beschreibung vorangeschritten und erinnern an dieser Stelle noch einmal<br />
daran, dass sich diese Schichten mit ihren Entwicklungsqualitäten parallel zur Entwicklung des<br />
TaKeTiNa-Prozesses entfalten und auseinander hervorgehen. Psychotherapeutische Modelle<br />
enden hier an dieser Stelle, machen also keine Aussage darüber, wie eine Entwicklung hier<br />
weiter verlaufen könnte. Unser Klinikkonzept, das einerseits in tiefenpsychologischen<br />
Betrachtungen und Modellen fußt, andererseits aber auch einige grundlegende Überlegungen<br />
von Ken Wilber miteinbezieht, kennt noch zwei weitere Ebenen oder Schichten.<br />
Gut bis sehr gut integriertes Bewusstsein<br />
Wenn die Entwicklung des Ich-Bewusstseins strukturelle Defizite und konflikthafte Themen hinter<br />
sich gelassen hat - man könnte sagen, wenn die Ich-Struktur integriert ist - dann tauchen im<br />
menschlichen Bewusstsein oft Themen auf, die darauf hinweisen, dass wir im Grunde<br />
genommen eine Ganzheit oder eine Einheit sind, also nicht nur aus einzelnen Ebenen und<br />
Schichten bestehen. Im Heiligenfelder Klinikkonzept wird hier von der „personalen Ebene“<br />
gesprochen.
Meiner Erfahrung nach benennen Patienten die damit zusammenhängenden Erfahrungen und<br />
Erkenntnisse meist nicht so direkt. Wenn sie jedoch nach der eigentlichen Rhythmusreise von<br />
Ihren Erlebnissen und Erkenntnissen berichten, kann man hinter ihren Aussagen immer wieder<br />
heraushören, dass sie während der Rhythmuserfahrung wohl Momente des Ganzseins (des sich<br />
als „ganz und unteilbar Fühlens“) erlebt haben müssen. Manchmal taucht dieses Thema dann<br />
jedoch auch mehr in Form einer Suche oder Sehnsucht nach diesem erlebbaren Gefühl, diesem<br />
erlebbaren Zustand aus.<br />
Immer wieder verbergen sich diese Themen in Aussagen über die eigene Identität, gelegentlich<br />
auch hinter Bemerkungen, die einen Bezug des einzelnen zur Gruppe oder zum Ganzen<br />
beschreiben. Und tatsächlich lädt die rhythmische Reise während des TaKeTiNa ja auch dazu<br />
ein, sich in dieser grundsätzlich menschlichen Spannung wiederzufinden: einerseits ganz der<br />
eigenen Entdeckung und Entwicklung der Eigenart „verpflichtet“ zu sein – andererseits bezogen,<br />
abhängig und verpflichtet zu seinem einem Du gegenüber.<br />
Die entscheidende Entwicklungsqualität auf dieser Stufe kann man daher auch als „dialogische<br />
Qualität“ bezeichnen. Der individuelle Entwicklungsprozess im TaKeTiNa ist ohne die Gruppe,<br />
die Gemeinschaft, ohne die „anderen“ nicht möglich. Patienten erleben sich überwiegend auf die<br />
ein oder andere Art und Weise aus der Gemeinschaft oder der Gesellschaft herausgefallen. Hier<br />
erleben sie nun, wie sie gleichzeitig geben und nehmen können, wie sie das Ganz nähren und im<br />
selben Moment vom Ganzen etwas bekommen. Vor dem Hintergrund dieser<br />
Erlebnismöglichkeiten erfahren die Patienten, die sich oft wie „aus dem Rahmen gefallen“ fühlen,<br />
ein Wir-Gefühl. Und manchmal sprechen sie dann hinterher vom Gefühl, sich wie in einem<br />
„Stamm“ zu befinden.<br />
Das transpersonale Bewusstsein<br />
In sich ein wirkliches „Wir-Gefühl“ abbilden zu können, ist an sich schon eine Ausweitung des<br />
Ich-Bewusstseins. Ich kann mich damit zugehörig fühlen zu etwas, was größer ist als Ich.<br />
Vielleicht noch ein Schritt weiter sind Patienten gegangen, die vor allen Dingen in den letzten<br />
Phasen des TaKeTiNa-Prozesses, möglicherweise aber auch ganz am Schluss, wenn die<br />
Bewegungen kleiner und feiner werden, oder noch später, wenn sie am Boden liegen, ihr<br />
Bewusstsein so von ihrer Ich-Haftigkeit lösen können, dass sie mit ursprünglichen Seins-<br />
Qualitäten oder Wesensqualitäten in Tuchfühlung kommen (Stille, Leere, Weite, Hingabe an<br />
etwas Größeres u.ä.).<br />
Sie haben dann möglicherweise über eine längere Zeit des Getragenseins und des<br />
Verwurzeltseins eine innere Festigkeit gewonnen, so dass sie ihr Ich-Bewusstsein zeitweise<br />
auch loslassen können und sich – dann allerdings meist auf eine als subtiler empfundene Art und<br />
Weise identifizieren können mit etwas, was über dieses Ich-Bewusstsein hinausreicht. Die<br />
Schlüsselqualität scheint hier auf dieser Ebene zentral mit dem Wesen des Beobachters<br />
gekoppelt zu sein. Die wesentliche Entwicklungsqaulität ist hier nämlich die „Präsenz“, die<br />
„Gegenwärtigkeit“.<br />
Gemeinsam ein Feld der Entwicklung und Heilung kreieren<br />
Wie weit und tief ein Patient in die gerade geschilderte Ausweitung seines Bewusstseins<br />
eintauchen kann, ist bestimmt von einigen Faktoren abhängig und sehr wahrscheinlich gehört<br />
auch noch ein Quäntchen Glück oder Gnade dazu, um mit dieser Ebene intensiv in Kontakt<br />
kommen zu können. Auch wenn die Erfahrung hier noch so subtil sein mag, sie erscheint mir für<br />
den Prozess des Patienten erstrebenswert und wichtig. Denn durch die verschiedenen Schichten<br />
hindurch erlebt der Patient eine Art kohärenter Entwicklungsrichtung bis hinein in diese letzten<br />
Schicht (obschon er von vielen Dingen auf diesem Weg noch nicht einmal etwas bewusst<br />
mitbekommen muss). Er durchläuft damit – und dies jedes Mal wieder von vorne – einen Weg,<br />
der letztlich darauf angelegt ist, über die eigenen Schwierigkeiten und Probleme und Themen
(auf welcher Ebene auch immer sie angesiedelt sein mögen) relativierend hinauszureichen. Und<br />
er wird damit praktisch nonverbal aufgefordert nicht beim Krankhaften, beim Pathologischen,<br />
beim Engen und Kleinen stehen zu bleiben; sondern einfach sich weiter zu entwickeln.<br />
Wenn wir hier über die individuellen Wege und Prozesse von Patienten innerhalb einer<br />
TaKeTiNa-Reise reflektiert haben, dann mag das vielleicht so wirken, als verliefe der innere<br />
Prozess jedes Patienten in einer sauber geordneten, eindimensionalen Richtung. In der Tendenz<br />
tut er dies in den allermeisten Fällen auch, aber eben nur in der Tendenz. Auch das gibt es:<br />
solche Qualitäten, die sich eher später im Prozess entfalten (wie beispielsweise Verbundenheit,<br />
Leere, Ganzheit, Kontakt mit etwas Größerem etc.) wirken auf Themen aus früheren<br />
Prozessphasen ein und helfen somit dem Patienten, enge Fixierungen an bestimmte<br />
Bewusstseinsinhalte zu relativieren und aufzulösen. Patienten sind immer wieder verblüfft, dass<br />
sie am Ende des TaKeTiNa´s in den allermeisten Fällen in irgend einer Art von gutem und<br />
stimmigen Zustand ankommen, die Wege dort hin können jedoch sehr, sehr unterschiedlich sein.<br />
Aber auch wenn prinzipiell alles irgendwie aufeinander einwirken kann, es bleibt der<br />
darunterliegende Entwicklungsstrom, der den Patienten wie in einem Korridor zum Ende der<br />
Rhythmusreise führt. Wenn die Patienten dort angekommen sind, dann haben sie eine<br />
gemeinsame Reise erlebt und eine individuelle Reise gleichermaßen, eine Reise, die sie<br />
gleichzeitig in ein ganz persönliches und individuelles Erleben geführt hat und in die<br />
Verbundenheit mit den anderen. Gerade diese Verbundenheit ist Voraussetzung dafür und<br />
Resultat davon, dass sie gemeinsam ein eigenes Entwicklungsfeld und Heilungsfeld aufgebaut<br />
und aufrechterhalten haben. Mit Hilfe der rhythmischen Stimme und mittels rhythmischer<br />
Körperbewegung haben sie zunächst ein rhythmisches Feld aufgebaut, dass sie dann selbst<br />
durch die verschiedenen Schichten des Bewusstseins hat schreiten lassen und das so zum<br />
Heilungsfeld, zum Entwicklungsfeld für jeden einzelnen wurde. Ich glaube, dass darin einer der<br />
vielen Gründe liegt, dass die große Mehrzahl der Patienten die Rhythmustherapie sehr mögen<br />
und schätzen. Und dies obwohl sie relativ bald verstehen, dass dieser Weg zwar enorm kräftig<br />
auf ihre Entwicklung einwirken kann, andererseits aber auch keine Abkürzung bietet. Mit all der<br />
Unterstützung, die TaKeTiNa bietet, wollen die eigenen Problempunkte immer wieder<br />
„angeschaut“ werden, bis sie schließlich überwunden und transzendiert werden können.<br />
<strong>Frank</strong> <strong>Rihm</strong> ist Leitender Therapeut an der Fachklinik Heiligenfeld. Er ist ausgebildet in TaKeTiNa<br />
(Advanced), Gestalttherapie, Somtaic Experiencing und ist Dipl. Musiktherapeut.<br />
Die Heiligenfeld Kliniken in Bad Kissingen und Waldmünchen behandeln Patienten aus dem<br />
gesamten Spektrum der Psychosomatik und der Psychiatrie, sofern ein psychotherapeutischer<br />
Zugang möglich ist. Indikationen sind insbesondere alle Formen neurotischer Erkrankungen,<br />
reaktiver Störungen, Persönlichkeitsstörungen, auch schwereren Ausmaßes, wie narzisstische<br />
Störung und Borderlinestörungen, psychosomatische Erkrankungen, Essstörungen und<br />
psychovegetative Syndrome, affektive und schizophrene Psychosen und Syndrome, die durch<br />
religiöse, spirituelle oder paranormale Erfahrung ausgelöst werden. Das Behandlungskonzept<br />
der Klinik basiert auf einer Integration tiefenpsychologischer Psychotherapie mit verhaltens- und<br />
erlebnisorientierten, gestalttherapeutischen Ansätzen, kreativen und körperbezogenen<br />
Therapien, meditativen und relaxierenden Methoden, Milieu- und Soziotherapie und medizinischpsychiatrischen<br />
Behandlungsverfahren.<br />
frankrihm@googlemail.com<br />
frank.rihm@heiligenfeld.de<br />
www.heiligenfeld.de