Artikel Gesundesleben.pdf
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Rhythmus hat vier Silben<br />
Die Beschreibung für den Kurs klingt verlockend: Spielend leicht Rhythmus lernen,<br />
den eigenen Körper zum Instrument machen… Wie geht denn das? Die<br />
Antwort: Ta – Ke – Ti – Na. Und diese vier Silben werden mit den Füßen gestampft,<br />
mit den Händen geklatscht und gleichzeitig gesprochen.<br />
<strong>Gesundesleben</strong>.at-Redakteurin Marlene Bienert hat's ausprobiert.<br />
Willkommen beim Kurs der vier Silben. "Sie haben keinen tieferen Sinn, außer<br />
dass sie alle gleich lang sind," erklärt TaKeTiNa-Rhythmustherapeut Gunnar<br />
Scharmüller. Sie sollen uns helfen elementare Körperrhythmen wie Puls, Atem<br />
oder Gehen mit musikalischen Rhythmen in Verbindung zu bringen.<br />
"Und bitte, keine Angst haben… Wer rausfällt, der steigt halt wieder ein… So<br />
einfach ist das. Nichts muss, alles darf sein… jeder bleibt bei dem Rhythmus, in<br />
dem er sich wohlfühlt, den er sozusagen im Schlaf kann … Wer falsch klatscht,<br />
seine Füße und Hände nicht im richtigen Takt bewegen kann… Ja mein Gott, es<br />
gibt keine Fehler…" beruhigt der Musiker, der TaKeTiNa (Reinklicken: Das Video<br />
zum Anschauen) vor 20 Jahren kennenlernte. "Wer schon alles kann, der ist<br />
hier sowieso falsch..."<br />
Vertrauen kann man lernen - durch Rhythmus<br />
Ungewohnt rau hört sich meine Stimme an: Ta – Ke – Ti – Na... murmle ich<br />
monoton vor mich hin. Gleichzeitig konzentriere ich mich auf mein rechtes<br />
Bein: ein Mal leicht aufstampfen und Ta sagen, zweites Mal rechts stampfen<br />
und Ke sagen. Fließender Wechsel zum linken Bein, ein drittes Mal stampfen<br />
und Ti sagen, viertes Mal links stampfen und Na sagen.<br />
Leise scheppern die Schellenbänder, die ich mir um beide Knöchel gebunden<br />
habe. Neben mir im Kreis klingeln die Glöckchen an den Beinen von weiteren
elf Rhythmus-Neulingen. Die meisten stieren konzentriert auf den Boden oder<br />
suchen an der Decke nach Erleuchtung.<br />
Ein Wiener ist der Vater von TaKeTiNa<br />
Reinhard Flatischler entwickelte 1970 die ganzheitliche Methode, Rhythmus zu<br />
lernen und zu verstehen. Der aus Wien gebürtige Musiker und Komponist suchte<br />
eine Antwort auf folgende Frage: Wie kann ein „Rhythmus-entwöhnter“<br />
Mensch authentisch und effektiv Rhythmus lernen, um damit sein kreatives,<br />
menschliches und musikalisches Potential zu entfalten?<br />
In der Mitte steht Michaela, die für uns auf der Basstrommel den Takt schlägt.<br />
Langsam kommt mehr Sicherheit in mein Stampfen und sprechen, aber o Gott,<br />
jetzt muss ich klatschen auch noch: Und zwar auf eine bestimmte Silbe. Ok,<br />
mit ein Mal klatschen bin ich noch dabei.<br />
Doch dann kommt ein zweites Mal klatschen dazu, ich konzentriere mich verbissen<br />
es richtig zu machen – und bin völlig draußen. Also wieder von vorne<br />
anfangen: Vier Mal stampfen, vier Silben sprechen. Je weniger mein Kopf sich<br />
einmischt, desto besser geht’s auch mit dem Klatschen. Bei den anderen ist es<br />
genauso, wir haben alle Spaß am gemeinsamen Rhythmus machen.<br />
Um mich herum sehe ich entspannte, lachende, frühliche Gesichter, die Anfangspanik<br />
ist verflogen. Dabei gestand eine Teilnehmerin noch kurz bevor es<br />
losging: „Ich hab’ richtig Angst“. Sie hatte vor allem die Angst davor, ihren eigenen<br />
Ansprüche des „gleich perfekt Könnens“ nicht gerecht zu werden…<br />
„Ich verspreche dir, du wirst es lernen, so wie Tausende andere, denen ich Ta-<br />
KeTiNa gezeigt habe“, beruhigte sie der Kursleiter. Und er hatte Recht.<br />
Jetzt wird es wirklich schwierig: Gunnar Scharmüller stimmt einen bestimmten<br />
Sprechsingsang an, den wir alle nachzumachen versuchen. Wieder konzentriere<br />
ich mich, damit ich ja alles richtig mache – und wieder bin ich binnen Tausendstelsekunden<br />
aus dem Rhythmus ausgestiegen.<br />
Diesmal muss ich über mich selber lachen – und fange wieder mit dem Schritte<br />
stampfen und Silben sprechen an. Jetzt bin ich im Takt, hab aufgehört daran<br />
zu denken, was ich alles gleichzeitig machen soll. Und wie durch Zauberei kann<br />
ich jetzt auch diesen schwierigen Singsang während ich mit den anderen im<br />
Kreis stampfe und klatschte. Einfach super!
Rhythmus zwischen Chaos und Ordnung<br />
TaKeTiNa wird heute weltweit an Musikuniversitäten und in Theaterschulen unterrichtet,<br />
in Kliniken, therapeutischen Praxen und im Training für Führungskräfte<br />
praktiziert. Auch in Österreich, zum Beispiel an der Musikuniversität in<br />
Wien mit 3.000 Studenten.<br />
"Die TaKeTiNa Rhythmuspädagogik leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung<br />
der Musikpädagogik und wird von unseren Studenten immer mit Begeisterung<br />
aufgenommen," bestätigt der Rektor, Professor Werner Hasitschka. Was<br />
passiert da bei TaKeTiNa?<br />
"Wir erleben uns gemeinsam in Beziehung zu den anderen TeilnehmerInnen",<br />
erklärt Gunnar Scharmüller wie TaKeTiNa "wirkt". Es kommt über Kontakt,<br />
Synchronisation und Resonanz zu wortloser Kommunikation und Kooperation.<br />
Die Beschäftigung mit Rhythmus lehrt uns auch etwas über den flexiblen Umgang<br />
mit dem Lebensfluss selbst und ist damit Alltagsleben von großem Nutzen.<br />
Indem wir Stress, Leistungsdruck, Kritik und Kontrolle Schritt für Schritt loslassen,<br />
entdecken wir unser ur-eigenes Rhythmusgefühl. Wir können uns der tragenden<br />
Kraft von Rhythmus anvertrauen, die der Musik und dem Leben zugrunde<br />
liegt.<br />
Wie verbindet Rhythmus, Chaos und Ordnung? Der gemeinsame Rhythmuskreis<br />
ist ein komplexer und dynamischer Prozess. Rasch wechseln die Phasen<br />
von Chaos und Ordnung, von „im Rhythmus sein“ und „Rausfallen“. Und irgendwie<br />
können Gegensätze, wie zum Beispiel Denken und Fühlen, die sich im<br />
Alltag oft ausschließen, miteinander in Verbindung treten. Dadurch weitet sich<br />
die Wahrnehmung und es entsteht Präsenz im Hier und Jetzt.<br />
Behindernde Haltungen wie Leistungsdruck oder Langeweile können erkannt<br />
und transformiert werden, erklärt Gunnar Scharmüller. "Die Tänzer koordinieren<br />
mehrere Ebenen zur gleichen Zeit, alles ist in permanenter Bewegung und<br />
Veränderung. Das Zusammenspiel wird zu einer zunehmenden Herausforderung,<br />
alle kommen an die Grenzen ihrer Kapazität und Leistungsfähigkeit, die<br />
rationale Kontrolle wird verunsichert."<br />
Der Umgang mit dem dabei entstehenden Stress ist ein zentrales Thema und<br />
dient auch als Modell für den Umgang mit Bewegung und Veränderung im täglichen<br />
Leben. Man lernen entspannt, präsent und heiter, mit turbulenten Veränderungen<br />
umzugehen und Herausforderungen flexibel und kreativ zu begegnen.<br />
Sie erhalten Feedback über ihr Tun und bekommen Anregungen, wie Sie sich<br />
ihrem persönlichen Leistungsoptimum annähern können. Sie probieren neue
Handlungs- und Verhaltensweisen aus, die helfen, Reibungsverluste zu vermeiden<br />
und so Zeit und Energie sparen. Diese neuen Fähigkeiten werden Schritt<br />
um Schritt körperlich integriert, sodass sie - wenn benötigt - auch im Alltag<br />
spontan wirksam können. (Marlene Bienert, Gunnar Scharmüller, focus.at)