Mobile Robotik im Berufsschulunterricht - Lehrstuhl für Pädagogik
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Unterricht<br />
> Unterricht<br />
Frank Motz, Alfred Riedl<br />
<strong>Mobile</strong> <strong>Robotik</strong> <strong>im</strong> <strong>Berufsschulunterricht</strong><br />
Automatisierungstechnik innovativ und lernfeldorientiert<br />
unterrichten<br />
Der Beitrag stellt erprobte Lernarrangements <strong>für</strong> den beruflichen Unterricht vor, die sich <strong>für</strong> den Bereich Automatisierungstechnik<br />
in den Berufsfeldern Elektrotechnik und auch Metalltechnik eignen. Die Lernarrangements zur mobilen <strong>Robotik</strong><br />
ermöglichen einen handlungsorientierten Unterricht, in dem Schüler in Kleingruppen mit einem fahrerlosen Transportsystem<br />
arbeiten. In berufstypischen Handlungssituationen aus der Automatisierungstechnik bearbeiten sie exemplarisch<br />
verschiedene Inhalte wie das Analysieren und Anpassen von Steuerungen, ihre Programmierung und Realisierung,<br />
die D<strong>im</strong>ensionierung von Antriebssystemen sowie die Ansteuerung des mobilen Roboters mit einer speicherprogrammierbaren<br />
Steuerung.<br />
Einleitung<br />
Automatisierung breitet sich in der Industrie – und zunehmend<br />
auch in privaten Haushalten – stark aus. Die Aufgaben<br />
von Fachkräften in der Automatisierungstechnik sind in<br />
den letzten Jahren erheblich umfangreicher und komplexer<br />
geworden. Berufliche Bildung ist hier gefordert, diesen Herausforderungen<br />
zu begegnen. Dieser Beitrag stellt konkrete<br />
Umsetzungsbeispiele <strong>für</strong> den Automatisierungstechnik-<br />
Unterricht in der Berufsschule anhand eines mobilen Robotersystems<br />
vor.<br />
Die hier dargestellten, komplexen Lernarrangements repräsentieren<br />
exemplarisch berufliche Handlungsfelder<br />
und berufstypische Handlungssituationen aus der Automatisierungstechnik.<br />
Sie wurden am <strong>Lehrstuhl</strong> <strong>für</strong> <strong>Pädagogik</strong><br />
der Technischen Universität München entwickelt und<br />
<strong>im</strong> Unterricht der Staatlichen Berufsschule Pfaffenhofen<br />
a. d. Ilm <strong>im</strong> Bereich Elektrotechnik erprobt. 1 Die vorgestellten<br />
Lernsituationen können in der dargestellten Form, oder<br />
auch einzelne Teile daraus, in einer Vielzahl von Lernfeldern<br />
in unterschiedlichen technischen Berufen zum Einsatz<br />
kommen.<br />
1 Mögliche Einsatzbereiche<br />
der Lernarrangements bei Elektronikern<br />
Die hier beschriebenen Lernsituationen beziehen sich auf<br />
das Lernsystem Robotino® von der Firma FESTO didactic. Die<br />
zentrale Hardwarekomponente ist der selbstfahrende, mobile<br />
Roboter (siehe Abb. 2). Seine Ansteuerung erfolgt mit<br />
der da<strong>für</strong> vorgesehenen Programmiersoftware (Robotino-<br />
View); die Datenübertragung über eine WLAN-Verbindung.<br />
Zum Lernsystem gehören darüber hinaus Lernunterlagen,<br />
wie sie nachfolgend beschrieben sind.<br />
Das Lernarrangement 1 „Robotino® als fahrerloses Transportsystem“<br />
ist zur Einführung in grundlegende Konzepte<br />
der Steuerungstechnik konzipiert. Gleichzeitig erschließt<br />
sich den Lernenden das industrienahe, komplexe Lernsystem<br />
<strong>für</strong> die weitere Unterrichtsarbeit, indem sie es explorieren<br />
und damit vertraut werden. Der hier dargestellte Einsatz<br />
bietet sich <strong>für</strong> das Berufsgrundbildungsjahr Elektrotechnik<br />
<strong>im</strong> Lernfeld „Steuerungen analysieren und anpassen“<br />
an. Hinsichtlich seiner beruflichen Relevanz <strong>für</strong> die<br />
Auszubildenden eignet sich der mobile Roboter besonders<br />
<strong>für</strong> die industriellen Elektroberufe. Für leistungsstarke<br />
Schüler aus Berufen des Elektrohandwerks lässt sich das<br />
Lernsystem z. B. in einem entsprechenden Wahlfach einsetzen.<br />
Aus dem Lernfeld „Steuerungen analysieren und anpassen“<br />
(basierend auf dem Rahmenlehrplan der KMK <strong>für</strong> das Berufsgrundbildungsjahr<br />
<strong>im</strong> Berufsfeld Elektrotechnik von<br />
2003, S. 11) lassen sich nahezu alle Zielformulierungen umsetzen.<br />
Lediglich die dort ebenfalls vorzufindende Zielformulierung<br />
zur Unterscheidung von Techniken zur Realisierung<br />
von Steuerungen und der Bewertung von Vor- und<br />
Nachteilen auch unter ökonomischen und sicherheitstechnischen<br />
Aspekten findet sich nur bedingt in den beiden dargestellten<br />
Lernarrangements wieder. Von den angeführten<br />
Inhalten dieses Lernfeldes können bis auf die verbindungsprogrammierte<br />
Signalverarbeitung mit dem Lernarrangement<br />
1 zum Analysieren und Anpassen von Steuerungen alle<br />
Inhalte abgedeckt werden.<br />
Das Lernarrangement 2 „Misch- und Abfüllanlage mit einem<br />
fahrerlosen Transportsystem (FTS)“ ist – gegenüber<br />
Lernarrangement 1 – deutlich komplexer. Hier sollen die<br />
Schüler eine bestehende Misch- und Abfüllanlage modernisieren,<br />
indem sie eine vorhandene, verbindungsprogrammierte<br />
Steuerung (VPS) durch eine speicherprogrammierbare<br />
Steuerung (SPS) ersetzen. Gleichzeitig soll die An- und<br />
Ablieferung von Behälterpaletten von und zu dieser Anlage<br />
mit einem fahrerlosen Transportsystem erfolgen. Abbildung<br />
1 zeigt mögliche Einsatzbereiche dieses Lernarrangements<br />
zu verschiedenen Lernfeldern aus unterschiedlichen<br />
Ausbildungsberufen.<br />
Die berufsbildende Schule (BbSch) 64 (2012) 7/8 235
<strong>Mobile</strong> <strong>Robotik</strong> <strong>im</strong> <strong>Berufsschulunterricht</strong><br />
Lernarrangement 1<br />
BGJ Elektrotechnik – 1. Ausbildungsjahr<br />
– Steuerungen analysieren und anpassen<br />
Lernarrangement 2<br />
Zum Beispiel:<br />
Elektroniker <strong>für</strong> Betriebstechnik – 2. Ausbildungsjahr<br />
– Steuerungen <strong>für</strong> Anlagen programmieren<br />
und realisieren<br />
– Antriebssysteme auswählen und integrieren<br />
Elektroniker <strong>für</strong> Automatisierungstechnik –<br />
2. Ausbildungsjahr<br />
– Steuerungen <strong>für</strong> Anlagen programmieren<br />
und realisieren<br />
Elektroniker <strong>für</strong> Geräte und Systeme –<br />
3. Ausbildungsjahr<br />
– Fertigungsanlagen einrichten<br />
Abb. 1: Mögliche Einsatzbereiche der Lernarrangements bei Elektronikern.<br />
2 Entwicklung und Erprobung<br />
der Lernarrangements<br />
Die am <strong>Lehrstuhl</strong> <strong>für</strong> <strong>Pädagogik</strong> der Technischen Universität<br />
München entwickelten Lernarrangements wurden parallel<br />
dazu <strong>im</strong> Unterricht der Staatlichen Berufsschule Pfaffenhofen<br />
a. d. Ilm <strong>im</strong> Bereich Elektrotechnik erprobt. Die Entwicklungs-<br />
und Erprobungszeit erstreckte sich über zwei Schuljahre<br />
(2009 bis 2011). Dabei erfolgte der Einsatz sowohl <strong>im</strong><br />
regulären Unterricht als auch in zusätzlich angebotenen<br />
Wahlfächern in verschiedenen elektrotechnischen Ausbildungsberufen.<br />
Die nachfolgend vorgestellten Lernarrangements eignen<br />
sich <strong>für</strong> einen Großteil der Ziele und Inhalte der herangezogenen<br />
Lernfelder, die je nach Ausbildungsberufen eine unterschiedliche<br />
Unterrichtszeit erfordern. Für Lernarrangement<br />
1 ist dabei je nach Intensität der Bearbeitung und Leistungsfähigkeit<br />
der Lernenden ein Zeitumfang von ca. 40 bis<br />
70 Unterrichtsstunden anzusetzen. Für Lernarrangement 2<br />
sind dies 30 bis 50 Unterrichtsstunden als Erfahrungswert<br />
<strong>für</strong> die komplette Bearbeitung des Lernarrangements. Jederzeit<br />
ist die Erweiterung oder die Bearbeitung ausgewählter<br />
Inhalte zur Verkürzung der jeweiligen Lernarrangements<br />
aufgrund von organisatorischen Vorgaben oder pädagogisch-didaktischen<br />
Überlegungen möglich bzw. schulspezifisch<br />
erforderlich.<br />
Der Staatlichen Berufsschule Pfaffenhofen a. d. Ilm stehen<br />
fünf mobile Roboter <strong>für</strong> die Verwendung <strong>im</strong> Unterricht zu<br />
Verfügung. Im regulären Fachunterricht wird das Lernsystem<br />
hauptsächlich in geteilten Klassen eingesetzt, damit<br />
max<strong>im</strong>al drei Schüler an einem Roboter arbeiten können.<br />
In einem zusätzlich <strong>für</strong> besonders interessierte Schüler angebotenen<br />
Unterricht arbeiten je zwei Auszubildende in<br />
Partnerarbeit an einem System. Da an der Berufsschule<br />
Pfaffenhofen <strong>für</strong> den Unterricht 15 Laptops zur Verfügung<br />
stehen, kann bei Programmieraufgaben somit jeder Lernende<br />
individuell sein eigenes Programm am Computer<br />
entwickeln. Lediglich <strong>für</strong> das Testen des Programms und die<br />
Montage zusätzlicher Hardware (z. B. Sensoren oder einen<br />
Greifer) müssen sich mehrere Schüler ein Lernsystem teilen.<br />
Die Gruppenzusammensetzung erfolgt <strong>im</strong> dargestellten<br />
Unterricht auf freiwilliger Basis, was sich erfahrungsgemäß<br />
positiv auf das Lern- und Arbeitskl<strong>im</strong>a auswirkt. Durch die<br />
freiwillige Gruppenbildung formieren sich zudem vorwiegend<br />
leistungshomogene Gruppen, was das Lern- und Arbeitsverhalten<br />
der Schüler <strong>für</strong> die dargestellten Lernarrangements<br />
offensichtlich begünstigt.<br />
Für die Lernarbeit der Gruppen am Lernsystem ist ihre möglichst<br />
unmittelbare Unterstützung bei auftretenden Fragen<br />
oder Problemen erforderlich. Dies begünstigt eine zumindest<br />
zeitweise anwesende zweite Lehrkraft <strong>im</strong> Unterricht.<br />
Der nachfolgende dargestellte Unterrichtsverlauf zu den<br />
beiden Lernarrangements ist exemplarisch zu sehen. Aufgezeigt<br />
ist eine Möglichkeit der Umsetzung, wie sie an einem<br />
Berufsschulstandort mit seinen spezifischen Rahmenbedingungen<br />
erfolgt. Es obliegt jeder Lehrkraft, Inhalte und<br />
Ablauf der Lernarrangements entsprechend ihren didaktischen<br />
Vorstellungen sowie der schulspezifischen Rahmenbedingungen<br />
anzupassen.<br />
2.1 Einführung in die Thematik der mobilen <strong>Robotik</strong><br />
Um die Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung mobiler <strong>Robotik</strong><br />
zu verdeutlichen, erfolgt die Einführung in die Thematik<br />
durch ein Lehrer-Schüler-Gespräch über aktuelle Einsatzgebiete<br />
mobiler Automatisierungstechniksysteme.<br />
Die Lernenden können so schnell erkennen, dass der Einsatz<br />
von mobilen Robotern als Transportsysteme bereits in<br />
großen Bereichen der Industrie Einzug gefunden hat und<br />
in Zukunft <strong>im</strong>mer mehr an Bedeutung insbesondere bei<br />
tagtäglichen Aufgaben <strong>im</strong> privaten Lebensumfeld gewinnen<br />
wird.<br />
Der erste Kontakt der Lernenden mit dem mobilen Roboter<br />
erfolgt anschließend über einen spielerischen Zugang zum<br />
Lernsystem. Dazu müssen die Lernenden einen Parcours auf<br />
einer vorgegebenen Route mit dem Roboter durchfahren.<br />
Wie bei vielen Computerspielen steuern sie das System mit<br />
einem Joystick an. Über diesen spielerischen Zugang können<br />
die Lernenden auf motivierende und gleichzeitig herausfordernde<br />
Art erste technische Details über das gesamte<br />
Robotersystem und seinen Antrieb erfahren (ausführlicher<br />
siehe Riedl, Weber, Schelten, Bliesener 2008, S. 31 ff.). Für<br />
diese Einführung in die Thematik der mobilen <strong>Robotik</strong> und<br />
Heranführung an das Lernsystem sind ca. zwei Unterrichtsstunden<br />
erforderlich.<br />
2.2 Einsatz des Lernarrangements 1 <strong>im</strong> Unterricht<br />
In Lernarrangement 1 soll Robotino® als fahrerloses Transportsystem<br />
Werkstücke transportieren. Das Lernarrangement<br />
sieht vor, dass sich die Lernenden die Inhalte in mehreren<br />
Lernsituationen erarbeiten. In der Lernsituation „Kundenpräsentation“<br />
lernen die Schüler das System genauer<br />
kennen. Hier<strong>für</strong> müssen sie anhand des Robotino®-Handbuchs<br />
und mit Hilfe von Fach- und Tabellenbuch die Be-<br />
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Die berufsbildende Schule (BbSch) 64 (2012) 7/8
Unterricht<br />
triebsmittelkennzeichnungen einzelner Komponenten ausfindig<br />
machen und der Hardware zuordnen. Anhand einer<br />
Kundenpräsentation stellen die Lernenden den Roboter anderen<br />
Schülern als möglichen „Kunden“ vor und beantworten<br />
Fragen zum System. Eine Vertiefung des Themas „Kundenpräsentation“<br />
bietet sich fächerübergreifend <strong>im</strong><br />
Deutschunterricht an.<br />
In der Lernsituation Inbetriebnahme des Robotersystems<br />
lernen die Schüler das EVA-Prinzip sowie den Unterschied<br />
zwischen einer Steuerung und einer Regelung kennen. Die<br />
Themengebiete erschließen sich die Auszubildenden mit<br />
Hilfe des zum Lernsystem gehörenden Handbuchs sowie des<br />
Fach- und Tabellenbuchs. Ergänzend kommt dazu Lernsoftware<br />
zum Einsatz, mit der die Lernenden diese Thematik vertiefen.<br />
In einer weiteren Lernsituation soll der Roboter um ein Diagnosesystem<br />
zu seinem Betriebszustand erweitert werden,<br />
das einen Startcheck mit anschließender Anzeige des<br />
aktuellen Betriebszustandes durchführen soll. Da<strong>für</strong> bieten<br />
sich verschiedene Varianten an, die sich je nach Ausstattung<br />
der Schule und vorhandener Lernzeit realisieren lassen<br />
(z. B. geätzte Platine oder Lochrasterplatine). Bevor das<br />
Diagnosesystem aufgebaut, angeschlossen und programmiert<br />
werden kann, müssen die Schüler die Erweiterungsschaltung<br />
planen. Hierbei lernen sie unterschiedliche<br />
Schaltplanarten sowie Betriebsmittel kennen und erstellen<br />
eine Werkzeug- und Materialliste. Abhängig von den vorhandenen<br />
Ressourcen (z. B. Ausstattung der Schule, verfügbare<br />
Lernzeit) erstellen die Schüler ihre Erweiterungsplatine<br />
selbst oder greifen auf eine vorgefertigte Platine zurück.<br />
Abb. 2: Schüler montieren einen Greifer am Roboter.<br />
2.3 Einsatz des Lernarrangements 2 <strong>im</strong> Unterricht<br />
In Lernarrangement 2 wird in einer existierenden Misch- und<br />
Abfüllanlage die vorhandene verbindungsprogrammierte<br />
Steuerung (VPS) durch eine speicherprogrammierbare<br />
Steuerung (SPS) ersetzt. Die An- und Ablieferung der Behälterpaletten<br />
erfolgt durch ein fahrerloses Transportsystem.<br />
Hierbei lernen die Schüler Grundlagen der speicherprogrammierbaren<br />
Steuerung (SPS) kennen, programmieren<br />
den mobilen Roboter und vernetzen beide Systeme zu einem<br />
komplexen automatisierten Gesamtsystem.<br />
Bei der Programmierung des Startchecks <strong>für</strong> das Diagnosesystem<br />
lernen die Schüler die Grundlagen der Digitaltechnik<br />
(UND, ODER, NICHT, RS-FF) kennen. Sie zeichnen die<br />
Normsymbole, erstellen Wertetabellen und Zeitablaufdiagramme.<br />
Auch hier eignet sich zur Vertiefung der Einsatz von<br />
Lernsoftware.<br />
Da die Schüler die Programmierung des Startchecks selbst<br />
durchführen sollen, bietet sich eine kurze Einführung in die<br />
Bedienung der Programmiersoftware durch die Lehrkraft an.<br />
Das erstellte Programm können die Schüler dann speichern<br />
und ausdrucken. Steht den Schülern kein Drucker zur Verfügung,<br />
sollten die Lösungsunterlagen (Funktionsplan und<br />
Schaltplan) auf jeden Fall in einer anderen geeigneten Weise<br />
schriftlich dokumentiert werden.<br />
Auf der Grundlage der vorausgegangenen Lernsituationen<br />
soll anschließend der Werkstücktransport realisiert werden.<br />
Hier<strong>für</strong> programmieren die Schüler den Antrieb des FTS <strong>für</strong><br />
unterschiedliche Fahrtrichtungen. Sie lernen verschiedene<br />
Sensoren kennen, mit deren Hilfe sich der Roboter orientieren<br />
und sich vor ungewollten Kollisionen schützen kann. Zur<br />
Aufnahme von Werkstücken ist ein Greifersystem erforderlich,<br />
mit dem sich die Lernenden vertraut machen müssen.<br />
Bevor die jeweiligen Sensoren und der Greifer montiert und<br />
anschließend programmiert werden, muss eine Arbeitsplanung<br />
mit Hilfe von Material- und Werkzeuglisten sowie<br />
Schaltplänen vorausgehen.<br />
Abb. 3: Einbindung eines mobilen Roboters in ein komplexes automatisiertes<br />
Gesamtsystem (SPS mit Drehstrommotor und Anschlusseinheit sowie FTS am<br />
Lager).<br />
In der Aufgabenstellung der ersten Lernsituation, in der die<br />
Auszubildenden eine vorhandene verbindungsprogrammierte<br />
Steuerung (VPS) durch eine speicherprogrammierte<br />
Steuerung (SPS) ersetzen sollen, knüpfen Sie an vorhandenem<br />
Wissen (Schütztechnik, Grundlagen der Digitaltechnik)<br />
aus dem ersten Lehrjahr an. Sie wandeln eine VPS in ein SPS-<br />
Programm um und lernen unterschiedliche Programmiersprachen<br />
einer SPS kennen.<br />
Bei der Einführung in die SPS-Technik können die Lernenden<br />
zum Teil auf bereits vorhandenes Unterrichtsmaterial aus<br />
dem früheren Automatisierungstechnik-Unterricht zurückgreifen.<br />
Die berufsbildende Schule (BbSch) 64 (2012) 7/8 237
<strong>Mobile</strong> <strong>Robotik</strong> <strong>im</strong> <strong>Berufsschulunterricht</strong><br />
Im nächsten Schritt ist die Kommunikation des Transportsystems<br />
mit der SPS zu realisieren. Dazu sollen die Schüler<br />
eine Spannungsüberwachung <strong>für</strong> den Akku des Roboters<br />
programmieren. Unterschreitet der Akku einen best<strong>im</strong>mten<br />
Spannungswert, so soll an der SPS eine Warnleuchte darüber<br />
informieren.<br />
Nötig dazu ist eine OPC 2 -Schnittstelle, die mit Hilfe des da<strong>für</strong><br />
erforderlichen SysLink Kabels (Fa. FESTO) und 4 mm Laborsteckern<br />
an die SPS angeschlossen wird. Je nach Schulausstattung<br />
sind auch andere Anschlussarten möglich, wie<br />
z. B. Schraubanschlüsse.<br />
Für die Anzeige der Kommunikation zwischen SPS und Roboter<br />
soll dieser bei betriebsbereiter Anlage durch eine blinkende<br />
LED auf sich aufmerksam machen. Dabei wird die<br />
Blinkfrequenz durch die SPS mittels des Taktmerkerbytes erzeugt<br />
und an den Roboter via OPC-Schnittstelle übertragen.<br />
Bevor die LED an der E/A-Schnittstelle des Roboters angeschlossen<br />
werden kann, ist eine Berechnung des Vorwiderstandes<br />
durch die Lernenden erforderlich. Um den Zeitaufwand<br />
be<strong>im</strong> Anschließen der LED gering zu halten, bietet es<br />
sich an, eine vorgefertigte Platine zu verwenden.<br />
Auf Anforderung durch die SPS soll Robotino® aus dem Lager<br />
eine Palette zur Mischstation bringen. Dazu ist der Roboter<br />
so zu programmieren, dass er mit Hilfe der induktiven<br />
und optischen Sensoren selbstständig die Palette aufn<strong>im</strong>mt<br />
und seinen Weg zur Mischstation entlang einer vordefinierten<br />
Wegstrecke anhand von Bodenmarkierungen findet.<br />
Neben der Programmierung der einzelnen Unterprogramme<br />
schließen die Lernenden die Sensoren an der E/A-Schnittstelle<br />
des Roboters elektrisch an. In diesem Zusammenhang<br />
lässt sich der Themenbereich der Sensorik mit Hilfe von E-<br />
Learning-Programmen vertiefen.<br />
Nach der Programmierung des fahrerlosen Transportsystems<br />
erfolgt die Programmierung der SPS zur Ansteuerung<br />
der Mischanlage. Die Auszubildenden erstellen einen Funktionsplan<br />
<strong>für</strong> die Befüllung des Tanks und den Stern-Dreieck-Anlauf<br />
des Mischmotors. In eine davon abgekoppelten<br />
Theorieschleife können die Schüler exemplarisch noch weitere<br />
Anlaufverfahren von Motoren kennenlernen und Motorberechnungen<br />
durchführen. Durch die Aufgabenstellung,<br />
einen zeitgeführten Stern-Dreieck-Anlauf zu programmieren,<br />
lässt sich der Themenkomplex der T<strong>im</strong>erbausteine<br />
mit bearbeiten.<br />
Für den Anschluss und die Programmierung der Mischanlage<br />
sind zwei unterschiedliche Vorgehensweisen <strong>im</strong> Unterricht<br />
denkbar. Ein bereits fertig verdrahtetes, vereinfachtes Modell<br />
der Mischanlage (siehe Abb. 4) ermöglicht, dass die Schüler lediglich<br />
die Anschlüsse mit der SPS verbinden müssen und unmittelbar<br />
mit der Programmierung beginnen können. Alternativ<br />
lässt sich aber auch <strong>im</strong> Sinne eines ganzheitlichen Unterrichts<br />
die Stern-Dreieck-Schaltung inklusive Schütze und<br />
Motor von den Lernenden selbst aufbauen und verdrahten<br />
(siehe Abb. 3). Im Sinne einer inneren Differenzierung können<br />
bevorzugt die leistungsstarken Schüler diesen Aufbau komplett<br />
selbst realisieren, während sich den Lernschwächeren die<br />
Möglichkeit bietet, sofort am Modell zu arbeiten und ihnen so<br />
mehr Lernzeit <strong>für</strong> die Programmierung zur Verfügung steht.<br />
Abb. 4: Modell der Mischanlage.<br />
Nach dem Mischvorgang holt das fahrerlose Transportsystem<br />
die Behälterpalette ab und bringt sie in das entsprechende<br />
Lager. Hierzu sollen die Lernenden mit Hilfe<br />
der angebauten Kamera eine Farberkennung programmieren.<br />
Für leistungsstarke Schüler bieten sich ergänzende Projekte<br />
zur Vertiefung der Themen Farberkennung und Bildbearbeitung<br />
an (z. B. Objekt- oder Linienverfolgung mittels der<br />
Kamera).<br />
Hat der Roboter die Palette <strong>im</strong> Lager abgeliefert, soll er eine<br />
Parkposition einnehmen. Dazu entwerfen die Schüler eine<br />
Regelung, mit der der Roboter einen fest definierten Abstand<br />
zu einer vorgegebenen Umrandung seiner Parkposition<br />
einhält.<br />
2.4 Weitere Einsatzmöglichkeiten<br />
der Lernarrangements <strong>im</strong> Unterricht<br />
Die dargestellten Lernarrangements lassen sich um zahlreiche<br />
Themenkomplexe erweitern. So kann z. B. eine Tempe-<br />
238<br />
Die berufsbildende Schule (BbSch) 64 (2012) 7/8
Unterricht/BLBS-Nachrichten<br />
raturregelung <strong>für</strong> den Mischbehälter mittels eines 2-Punkt-<br />
Reglers erfolgen. Oder die Orientierung des Roboters erfolgt<br />
mit Hilfe von Odometrie und eines Gyroskop-Sensors. Weiter<br />
ist eine Analogwertverarbeitung in Verbindung mit einer<br />
Füllstandsmessung (z. B. mittels kapazitiver Sensoren)<br />
denkbar. Somit lassen sich durch Erweiterungen der Lernarrangements<br />
nahezu alle Themenbereiche der Automatisierungstechnik<br />
abdecken. Dem Ideenreichtum der Lehrkraft<br />
sind hierbei keine Grenzen gesetzt.<br />
3 Einschätzungen zu den beschriebenen<br />
Lernarrangements<br />
Die Planung und Entwicklung von komplexen Lernarrangements<br />
einschließlich dem Erstellen von erforderlichen Unterrichtsmaterialien<br />
bedingt einen hohen Zeitaufwand. Die<br />
sehr vielfältigen und ebenso anspruchsvollen Anforderungen<br />
an die Lehrkräfte bei der Gestaltung und Realisierung<br />
von handlungsorientierten Lehr-Lern-Prozessen erfordern eine<br />
hohe fachliche Sicherheit 3 ebenso wie umfassende methodisch-didaktische<br />
Fähigkeiten. Für das Lernsystem Robotino®<br />
liegen verschiedene, didaktisch ausgearbeitete Vorschläge<br />
<strong>für</strong> den unmittelbaren Unterrichtseinsatz vor (siehe<br />
z. B. Motz, Riedl, Schelten 2011). Sie bieten Anregungen <strong>für</strong><br />
die curriculare Arbeit einer Schule und die Arbeit der Lehrkraft<br />
<strong>im</strong> Unterricht bei der Umsetzung vieler Lehrplaninhalte<br />
zu Lernfeldern der Automatisierungstechnik, was deren<br />
Arbeit erheblich erleichtern kann. Die mehrstündigen Lernsituationen,<br />
in denen Schüler weitgehend selbstgesteuert<br />
lernen und arbeiten können, greifen berufstypische Lernsituationen<br />
zur Automatisierungstechnik auf, die hinreichend<br />
komplex, weitgehend authentisch und in vollständigen Lernhandlungen<br />
bearbeitbar sind. Damit sind sie <strong>für</strong> die Berufsfelder<br />
Elektrotechnik und Metalltechnik hoch relevant.<br />
Durch die kompakte Bauweise kann der selbstfahrende Roboter<br />
– angesteuert z. B. durch einen Laptop, in jedem Klassenz<strong>im</strong>mer<br />
unabhängig von der technisch meist aufwändigen<br />
Ausstattung eines integrierten Fachunterrichtsraumes<br />
<strong>für</strong> Automatisierungstechnik eingesetzt werden. Die beschriebene<br />
Lernhardware kann zusammen mit der Programmiersoftware<br />
vorhandene Fachunterrichtsräume in ihrer<br />
technischen Ausstattung erheblich erweitern und zu einer<br />
qualitativ sehr hochwertigen Ausstattung beitragen.<br />
Die <strong>im</strong> Unterricht zu bearbeitenden Problemstellungen sind<br />
komplex und wenig vorstrukturiert. Im Lernverlauf zeigt<br />
sich durchgängig eine hohe Motivation und hohes Interesse<br />
der Lernenden bei der Arbeit an dem ansprechenden, aber<br />
auch anspruchsvollen Lernmedium. Auftretende Fragen,<br />
Fehler oder ein Opt<strong>im</strong>ierungsbedarf bei Steuerungslösungen<br />
erweitern das Lernpotenzial. Unverzichtbar ist die Begleitung<br />
der Arbeitsgruppen anhand von Fachgesprächen,<br />
die das Besprechen und Korrigieren von Schülerlösungen ermöglichen<br />
und erheblich verständnisfördernd wirken<br />
(siehe Riedl 2011, S. 204 ff.).<br />
Anmerkungen<br />
1 Die Entwicklungs- und Erprobungszeit erstreckte sich über zwei Schuljahre.<br />
Dabei erfolgte der Einsatz sowohl <strong>im</strong> regulären Unterricht als auch in<br />
zusätzlich angebotenen Wahlfächern in verschiedenen elektrotechnischen<br />
Ausbildungsberufen.<br />
2 OPC = Object linking and embedding for Process Control.<br />
3 Für die hier beschriebenen Lernarrangements ist eine vertiefte Einarbeitung<br />
in das Lernsystem Robotino® unumgänglich.<br />
Literatur<br />
Motz, F./Riedl, A./Schelten, A. 2011: Lernarrangements <strong>für</strong> den beruflichen Unterricht<br />
bei Elektronikern. Denkendorf: Festo Didactic (online unter www.paed.edu.tum.de<br />
Rubrik Publikationen)<br />
Riedl, A. 2011: Didaktik der beruflichen Bildung. Stuttgart.<br />
Riedl, A./Weber, D./Schelten, A./Bliesener, M. 2008: Automatisierungstechnik<br />
innovativ und lernfeldorientiert unterrichten. Handreichung zur Gestaltung<br />
von Lernsituationen mit dem mobilen Lernsystem Robotino® der Firma Festo<br />
Didactic. Denkendorf: Festo Didactic.<br />
> BLBS-Nachrichten<br />
Jahrespresseabend bei der<br />
KMK<br />
Die Präsident der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) <strong>im</strong> Jahr 2012, Ties Rabe,<br />
hatte zum Jahrespresseabend in die<br />
Vertretung der Freien und Hansestadt<br />
Hamburg be<strong>im</strong> Bund in Berlin geladen.<br />
Er hat damit eine gute Tradition fortgesetzt,<br />
um über Fragen der Bildungsund<br />
Kulturpolitik ins Gespräch zu kommen.<br />
Gekommen waren weit über<br />
fünfzig Redakteure bedeutender Presseorgane,<br />
Minister und Amtschefs der<br />
Bundesländer und Mitarbeiter der<br />
KMK.<br />
Erstmalig waren auch die Pressesprecher<br />
der Lehrerverbände eingeladen,<br />
worauf der KMK-Präsident in seiner<br />
Ansprache besonders hinwies. Dabei<br />
schnitt er auch die wichtigsten Themen,<br />
Ergebnisse und Ziele der KMK<br />
an, die gegenwärtig bearbeitet werden.<br />
Da sind die Zuordnungsproblematik<br />
be<strong>im</strong> Deutschen Qualifikationsrahmen<br />
(DQR), das Nachwuchsproblem<br />
bei best<strong>im</strong>mten Lehrämtern<br />
oder die nun verabschiedeten Bildungsstandards<br />
zu nennen. Hier<br />
müsse noch da<strong>für</strong> gesorgt werden,<br />
dass alle Bundesländer ihre Schulen<br />
über den Sachstand informieren. Interessant<br />
war sein vehementes Einstehen<br />
<strong>für</strong> den Bildungsföderalismus,<br />
da nur so die Vielfältigkeit <strong>im</strong> Bildungssystem<br />
in Deutschland erhalten<br />
bleiben könne und sich gegenseitig<br />
befruchte.<br />
Aus Sicht des BLBS war besonders interessant<br />
zu erfahren, dass Hamburg<br />
ein neues Konzept entwickelt hat, die<br />
Jugendlichen, die sich in der „Warteschleife“<br />
befinden, berufsreif zu machen.<br />
Ties Rabe konnte da<strong>für</strong> gewonnen<br />
werden, dieses Konzept demnächst<br />
in unserem Verbandsorgan<br />
„Die berufsbildende Schule“ darzustellen.<br />
Heiko Pohlmann<br />
Die berufsbildende Schule (BbSch) 64 (2012) 7/8 239