Aufenthalt im Freien sollte Teil des Konzepts sein - Demenz Support ...
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Außenanlagen<br />
17<br />
Gärten für Menschen mit <strong>Demenz</strong><br />
<strong>Aufenthalt</strong> <strong>im</strong> <strong>Freien</strong> <strong>sollte</strong><br />
<strong>Teil</strong> <strong>des</strong> <strong>Konzepts</strong> <strong>sein</strong><br />
Eine gut gestalteter Garten kommt vor allem dann zur Wirkung, wenn<br />
He<strong>im</strong>leitung und Mitarbeiter <strong>sein</strong>e Nutzung systematisch in das Pflegeund<br />
Betreuungskonzept integrieren.<br />
Von Katharina Bäuerle<br />
Naturerleben hat gerade auf Menschen mit<br />
<strong>Demenz</strong> eine positive Wirkung.Viele Bewohner,<br />
die in den Räumen der Einrichtung unruhig oder teilnahmslos<br />
wirken, blühen <strong>im</strong> <strong>Freien</strong> auf, sind interessiert<br />
und mitteilsam und können Situationen richtig<br />
interpretieren.Auch wenn kognitive Fähigkeiten verloren<br />
gegangen sind, werden Menschen mit <strong>Demenz</strong><br />
auf einer tiefen emotionalen Ebene von Natur<br />
berührt. Eine natürliche Umgebung, die Ruhe und<br />
Schönheit ausstrahlt, wirkt ausgleichend und entspannend<br />
und regt positiv an.<br />
Internationale Studienergebnisse bestätigen diesen<br />
positiven Einfluss von Naturerleben und dem <strong>Aufenthalt</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Freien</strong> auf Befinden und Verhalten demenziell<br />
erkrankter Personen. So ergab eine vergleichende<br />
Langzeitstudie in fünf Einrichtungen mit und ohne<br />
Freibereich, dass die regelmäßige Nutzung <strong>des</strong><br />
Außenraums einen Rückgang von herausforderndem<br />
Verhalten bewirkte und damit auch Verbesserung <strong>im</strong><br />
Belastungserleben der Pflegenden brachte (Mooney,<br />
Nicell, 1992). Interessanterweise scheinen selbst wenige,<br />
gezielt eingesetzte natürliche Elemente einen Einfluss<br />
auf Erregungszustände bei <strong>Demenz</strong> zu haben:<br />
Bei einem Test erleichterten Vogelgezwitscher vom<br />
Band und Abbildungen von Tieren das sonst problematische<br />
Duschbad am Morgen (Mather et al. 1997).<br />
Forschungsergebnisse zeigen, dass Bewohner von<br />
Pflegehe<strong>im</strong>en <strong>im</strong> Durchschnitt bedeutend weniger<br />
natürliches Licht bekommen als vergleichbare Gruppen<br />
in einem nicht institutionalisierten Umfeld. Dieser<br />
Mangel an Licht wird von Experten dafür mitverantwortlich<br />
gemacht,dass die Bewohner oft apathisch und<br />
antriebslos sind. Die in Pflegehe<strong>im</strong>en übliche Beleuchtungsstärke<br />
von Kunstlicht ist nicht ausreichend, um<br />
dem Organismus Impulse zur Regulation der Hormonausschüttungen<br />
und <strong>des</strong> Biorhythmus zu geben.<br />
Nachweislich hat helles Tageslicht eine normalisierende<br />
Wirkung auf den Schlaf- wach- Rhythmus.Auch das<br />
für den Knochenstoffwechsel und zur Vorbeugung von<br />
Herzkrankheiten notwendige Vitamin D kann vom<br />
Körper nur unter dem Einfluss von Sonnenlicht gebildet<br />
werden. So bietet der regelmäßige <strong>Aufenthalt</strong> <strong>im</strong><br />
<strong>Freien</strong> eine natürliche Alternative zu Ansätzen, dem<br />
Lichtmangel der Bewohner durch Lichttherapie mit<br />
hochdosiertem Kunstlicht zu begegnen.<br />
Die Möglichkeit, sich frei bewegen zu können ist<br />
ein zentraler Bestandteil selbst best<strong>im</strong>mten Handelns,<br />
besonders für motorisch aktive Bewohner mit<br />
<strong>Demenz</strong>. Für sie ist es wichtig, dass sie ihren Bewegungsdrang<br />
ungehindert ausleben können. Körperliche<br />
Aktivität st<strong>im</strong>uliert die Funktionen <strong>des</strong> Immunsystems,<br />
wirkt blutdrucksenkend, verbessert die Leistungsfähigkeit<br />
<strong>des</strong> Herzens und trägt durch<br />
Verbesserung <strong>des</strong> Muskeltonus und Beanspruchung<br />
<strong>des</strong> Gleichgewichtsinns dazu bei, das Risiko von Stürzen<br />
zu reduzieren. Oftmals ist der Außenbereich einer<br />
Pflegeeinrichtung der einzige Ort <strong>im</strong> <strong>Freien</strong>, den<br />
Bewohner mit <strong>Demenz</strong> ungehindert aufsuchen können.<br />
Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt <strong>sein</strong>, damit<br />
dieser auch tatsächlich selbstständig genutzt werden<br />
kann: Der Freibereich muss von den Gemeinschaftsräumen<br />
aus einsehbar und ohne Umweg direkt und<br />
Im Garten <strong>des</strong><br />
Altenzentrums<br />
St. Marien in Köln<br />
finden die<br />
Bewohner viele<br />
Anregungen, um<br />
sich zu betätigen.<br />
Foto: Bonato,<br />
St. Marien<br />
Altenhe<strong>im</strong> 3|2006
18 Außenanlagen<br />
LEITKONZEPTE w<br />
• Der Szenariengarten ist so gestaltet, dass die Bewohner verschiedene<br />
vertraute Erfahrungen und Handlungen – Rosen pflegen, Wäsche<br />
aufhängen, Tiere füttern – wiederfinden können.<br />
• Der Phasengarten geht in <strong>sein</strong>en Unterteilungen auf verschiedene<br />
Stadien der <strong>Demenz</strong> ein, z. B. eine „aktiver“ Bereich und ein Bereich,<br />
der Ruhe und Geborgenheit bietet.<br />
• Ein Sinnesgarten ermöglicht durch Objekte und Installationen<br />
vielfältige Sinneserfahrungen.<br />
• Das Konzept „Begegnung zwischen Jung und Alt“ geht von der<br />
Erfahrung aus, dass für alte Menschen die Begegnung mit Kindern<br />
besonders beglückend ist.<br />
w „niederschwellig“ zu erreichen <strong>sein</strong>. Zum anderen<br />
muss er gefährdungsarm gestaltet <strong>sein</strong>. Nur dann können<br />
Pflegende verantworten, dass Bewohner ohne<br />
Begleitung hinausgehen. Die wichtigsten planerischen<br />
Aspekte für die Sicherheit der Nutzer wurden <strong>im</strong> voranstehenden<br />
Beitrag dargestellt.<br />
Alltag gestalten – auch <strong>im</strong> <strong>Freien</strong><br />
Aber nicht nur die Sicherheitsaspekte sind wichtig –<br />
auch der sicherste und schönste Garten wird nur dann<br />
intensiv genutzt, wenn dort Angebote und Aktivitäten<br />
stattfinden. Die Gartennutzung muss ein fester<br />
Bestandteil <strong>des</strong> Pflege- und Betreuungskonzeptes<br />
werden.Als Grundlage für eine Konzeptentwicklung<br />
<strong>sollte</strong> zunächst herausgearbeitet werden, welche therapeutischen<br />
Ziele mit der Gartennutzung verfolgt<br />
werden und wie der Freibereich genutzt werden soll.<br />
Wichtig ist die Frage, welches Ziel<br />
mit dem Garten angestrebt wird<br />
Weitere Überlegungen betreffen die Personalplanung<br />
sowie die potenziellen Nutzer. Haben externe Gruppen<br />
Interesse an einer Mitnutzung <strong>des</strong> Gartens? Die<br />
Begleitung der Bewohner <strong>im</strong> Garten ist eine gute<br />
Möglichkeit, bürgerschaftlich engagierte Helfer einzubinden.<br />
Kooperationen mit örtlichen Vereinen für<br />
die Gartenpflege oder externe Patenschaften für Tiere<br />
können eine Unterstützung für die Mitarbeiter <strong>sein</strong><br />
und unterstützen die Einbindung in der Gemeinde.<br />
Ein wichtiger therapeutischer Ansatz ist es,die Identität<br />
der demenziell erkrankten Bewohner durch vertraute<br />
Situationen und Handlungsmöglichkeiten zu stärken.<br />
Gemeinschaftliches Mittagessen auf der Terrasse,<br />
die Ruhepause <strong>im</strong> Liegestuhl, ein sommerliches Grillfest,solche<br />
alltagsnah gestalteten Situationen <strong>im</strong> <strong>Freien</strong><br />
vermitteln Geborgenheit und sprechen das Langzeitgedächtnis<br />
der Bewohner an.Die Kommunikation über<br />
Wetter, Pflanzen,Tiere und andere Gartenthemen eignet<br />
sich gut als Erinnerungspflege. Damit Gesprächsthemen<br />
und Betätigungsangebote entsprechend den<br />
Gewohnheiten und Neigungen gewählt werden können,<br />
ist es notwendig, sich mit dem biographischen und<br />
soziokulturellen Hintergrund der Bewohner zu beschäftigen.<br />
Auf Basis der Biographiearbeit werden Äußerungen<br />
und Verhaltensweisen der Bewohner besser verständlich.<br />
Einzel- und Gruppenaktivitäten können mit<br />
Themen aus dem früheren Leben gestaltet werden.<br />
Auch durch lebensgeschichtlich, regional oder kulturell<br />
bedeutungsvolle Schlüsselreize, z. B. <strong>im</strong> ländlichen<br />
Raum einem Arbeitsbereich mit Gartengeräten,<br />
einem Hühnerstall, einer Wäscheleine usw. werden<br />
Bezüge zur Lebensgeschichte hergestellt.<br />
Aktivitäten <strong>im</strong> Garten wie Pflanzen, Gießen oder<br />
Ernten sind Tätigkeiten, die zusammen mit Mitarbeitern<br />
oder Angehörigen ausgeübt werden können,<br />
wenn Pflanzflächen, z. B.Tischbeete, und Werkzeuge<br />
vorhanden sind. Nicht selten treten dabei auch bei<br />
demenziell erkrankten Bewohnern Kompetenzen<br />
zutage, von denen Betreuende lernen können.<br />
Die Elemente der Bepflanzung und Ausstattung<br />
können sich an traditionellen Gartenbildern orientieren,<br />
sie <strong>sollte</strong>n jedoch so angeordnet und ausgebildet<br />
werden, dass sie zu den Fähigkeiten der Nutzer<br />
passen und deren körperliche und kognitive Defizite<br />
möglichst kompensieren.<br />
Ein Garten, in dem man sich bewegen und<br />
beschäftigen kann<br />
Am Altenzentrum St. Marien in Köln wurde 2004 ein<br />
bis dahin wenig attraktiver Bereich der Außenanlagen<br />
zu einem „Garten der Wahrnehmung“ umgestaltet.<br />
Schwerpunkt <strong>des</strong> Gartenprojekts <strong>sollte</strong> dabei in<br />
der Beschäftigung und Aktivierung liegen. Mit tatkräftiger<br />
Unterstützung und Prozessbegleitung entstand<br />
auf etwa 200 Quadratmeter anstelle von Rasenflächen<br />
und Betonpflaster ein kleines Paradies mit<br />
Wiese,Teich, einem erhöhten Kräuterbeet, Obstbäumen<br />
und einem Pflanzbeet für Nutzpflanzen. Mit<br />
zusätzlichen Snoezelen-Elementen wie einem rollstuhlgerechten<br />
Tisch mit Tastmaterialien und einem<br />
Klangspiel sollen insbesondere Menschen mit Wahr-<br />
Altenhe<strong>im</strong> 3|2006
19<br />
Das anthroposophisch<br />
orientierte<br />
Haus<br />
Morgenstern in<br />
Stuttgart teilt<br />
sich den Garten<br />
mit einem<br />
Kindergarten und<br />
sorgt so für die<br />
Begegnung<br />
zwischen Jung<br />
und Alt.<br />
Foto: <strong>Demenz</strong> <strong>Support</strong><br />
Stuttgart<br />
nehmungsstörungen erreicht werden. Ein ebener<br />
Rundweg ermöglicht es, jederzeit selbstständig auf<br />
Entdeckungsreise zu gehen. Sitzgelegenheiten auf der<br />
großzügigen Terrasse und in einer kleinen Laube<br />
laden zum Ruhen und Verweilen ein. Je nach Fähigkeiten<br />
sind die Bewohner der Einrichtung eingeladen,<br />
an der Gartenpflege teilzunehmen oder einfach<br />
nur mit allen Sinnen zu genießen. Eine Gartenarbeitsgruppe,<br />
die sich während <strong>des</strong> Entstehungsprozesses<br />
formierte, kümmert sich nun intensiv und mit<br />
viel Spaß um die Bewirtschaftung <strong>des</strong> Nutzgartens.<br />
Die zuvor wenig beachtete Fläche ist damit zu einem<br />
lebendigen Raum geworden, der sich von den Bewohnern<br />
angeeignet werden kann und für viele eine Verbindung<br />
zu ihrem früheren Leben darstellt.<br />
Ein Garten, in dem man anderen<br />
begegnen kann<br />
Ein besonderes Konzept der Integration und Begegnung<br />
von Jung und Alt verfolgt das anthroposophisch<br />
orientierte Altenpflegehe<strong>im</strong> Haus Morgenstern in<br />
Stuttgart: Ein etwa 600 Quadratmeter großer <strong>Teil</strong>bereich<br />
<strong>des</strong> Außengelän<strong>des</strong> wurde so gestaltet, dass er<br />
gemeinsam von schwer demenziell erkrankten Bewohnern<br />
einer <strong>Demenz</strong>wohngruppe <strong>im</strong> Erdgeschoss (zwölf<br />
Plätze) sowie Kindergartenkindern <strong>des</strong> benachbarten<br />
Waldorfkindergartens genutzt werden kann. Be<strong>im</strong><br />
Erarbeiten eines Nutzungskonzepts galt es, Ideen und<br />
Vorstellungen beider Nutzergruppen in die Planung zu<br />
integrieren. Eine Arbeitsgruppe, der neben der He<strong>im</strong>leitung<br />
und Pflegenden der <strong>Demenz</strong>wohngruppe auch<br />
Vertreterinnen <strong>des</strong> Kindergartens angehörten, entwickelte<br />
gemeinsam mit einem Garten- und Landschaftsarchitekten<br />
sowie Spielplatzbauern die Planung.<br />
Fördermittel <strong>des</strong> Deutschen Hilfswerks ermöglichten<br />
die umfangreiche Umgestaltung <strong>des</strong> Gelän<strong>des</strong>.<br />
Vor dem <strong>Aufenthalt</strong>sraum der <strong>Demenz</strong>wohngruppe<br />
entstand ein sonniger Sitzplatz, von dem aus ein<br />
neu angelegter Rundweg durch den Garten und wieder<br />
zum Haus zurückführt. Das Gartentor, durch das<br />
die Kinder den Garten betreten, wurde optisch dem<br />
Zaun so angeglichen, dass es von den meisten Bewohner<br />
nicht wahrgenommen wird. Da die Mitarbeiter<br />
der Pflege Wert darauf legten, den Spielbereich mit<br />
Sandplatz, Wasserstelle, Spielhaus und Wippe ohne<br />
räumliche Abtrennung in den Garten zu integrieren,<br />
war die Sicherheit der Bewohner ausschlaggebend für<br />
die Gestaltung. So wurde beispielsweise entschieden,<br />
den Sandkasten zur Vermeidung von Stolpergefahr<br />
ohne Umrandung ebenerdig in die Rasenfläche einzufügen.<br />
Die Wippe kann arretiert werden, wenn nicht<br />
gespielt wird. Die Möglichkeit, an einem Pflanztisch<br />
auf der Terrasse leichte gärtnerische Arbeiten auszuführen,<br />
dient dem Kompetenzerhalt und ist <strong>Teil</strong> <strong>des</strong><br />
Betreuungskonzeptes. Ein erhöhtes Beet mit Duftpflanzen<br />
und Blütenstauden, ein „Naschgarten“ sowie<br />
ein Pavillon am entlegenen Ende <strong>des</strong> Gartens, der von<br />
den Kindern auch als „Märchenhaus“ genutzt wird,<br />
sind weitere Gestaltungselemente. Schon <strong>im</strong> ersten<br />
Sommer bestätigt sich der Erfolg <strong>des</strong> Konzeptes: Die<br />
rund 15 Kinder, die den Garten täglich für eine bis<br />
eineinhalb Stunden besuchen, werden von der<br />
Bewohnerschaft <strong>des</strong> He<strong>im</strong>s nicht als störend empfunden.<br />
Im Gegenteil zeigt sich, dass viele der Bewohner<br />
sich täglich auf den Besuch der Kinder freuen und<br />
den Garten zu den Spielzeiten gezielt aufsuchen. ¬<br />
Weitere Infos:<br />
be<strong>im</strong> Altenpflegehe<strong>im</strong> Haus Morgenstern, Frau<br />
Flebus, Gänshei<strong>des</strong>tr. 100, 70186 Stuttgart,<br />
Tel. (07 11) 1 64 04 00 und be<strong>im</strong> Altenzentrum<br />
St. Marien, Frau Bonato, Vereinsstr. 8, 51103 Köln,<br />
Tel. (02 21) 88 71-0<br />
Im Internet finden Sie Informationen unter der<br />
Adresse: www.demenz-support.de<br />
Katharina Bäuerle ist Architektin und<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin der<br />
<strong>Demenz</strong> <strong>Support</strong> Stuttgart:<br />
„Träger <strong>sollte</strong>n sich vor der Gestaltung<br />
<strong>im</strong> Klaren <strong>sein</strong>, für welche Zielgruppe<br />
der Garten best<strong>im</strong>mt ist.“<br />
Buchtipp<br />
Freiräume: Gärten<br />
für Menschen mit<br />
<strong>Demenz</strong>, Planungshilfe<br />
von Sibylle<br />
Heeg und Katharina<br />
Bäuerle, <strong>Demenz</strong><br />
<strong>Support</strong> Stuttgart<br />
2004. ISBN<br />
3-937605-01-0<br />
Altenhe<strong>im</strong> 3|2006