An die Macht, für Putin, fürs Vaterland - Московская немецкая ...
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Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
w w w . m d z - m o s k a u . e u<br />
UNABHÄNGIGE ZEITUNG FÜR POLITIK, WIRTSCHAFT UND KULTUR • GEGRÜNDET 1870<br />
Von oben<br />
In einem Sommercamp am<br />
malerischen Seliger-See<br />
erzieht <strong>die</strong> russische Regierung<br />
<strong>die</strong> Elite von morgen -<br />
samt Morgenappell<br />
03<br />
und<br />
Haferbrei.<br />
Von Unten<br />
Zum 11. Mal treffen sich<br />
Akteure der Zivilgesellschaft<br />
aus Russland und Deutschland<br />
beim Petersburger Dialog.<br />
Manchmal werden dabei<br />
auch Träume wahr.<br />
Незабываемый<br />
Гальбштадт<br />
Немецкий национальный<br />
район Алтайского края<br />
отметил 20-летие<br />
08 V<br />
StichWorte<br />
Tino Künzel<br />
„Die Zahl solcher alten Kähne, <strong>die</strong><br />
bei uns im Einsatz sind, sprengt<br />
jedes Maß. Was gestern noch gutgegangen<br />
ist, muss heute nicht<br />
mehr gutgehen.“<br />
Präsident Dmitrij Medwedew zum<br />
Untergang des 1955 gebauten Kreuzfahrtschiffs<br />
„Bulgarija“, das auf der<br />
Wolga bei schlechtem Wetter Schlagseite<br />
bekam und 130 Menschen in<br />
den Tod riss.<br />
„Berechenbarkeit gepaart mit Stehvermögen,<br />
Verlässlichkeit gepaart<br />
mit Kommunikationsfähigkeit<br />
machen Charakter und Person von<br />
Wladimir <strong>Putin</strong> aus. Im Inneren<br />
schaffte und schafft er Stabilität<br />
durch das Zusammenspiel von<br />
Wohlstand, Wirtschaft und Identität.<br />
Im Äußeren definierte er Spielräume<br />
durch <strong>die</strong> Fokussierung auf<br />
Zweiseitigkeit, Multipolarität und<br />
Respekt.“<br />
Aus der Begründung des vom Verein<br />
„Werkstatt Deutschland“ gestifteten<br />
Preises Quadriga an Wladimir <strong>Putin</strong><br />
zum Tag der Deutschen Einheit –<br />
damit sollen, so heißt es, <strong>Putin</strong>s Ver<strong>die</strong>nste<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> deutsch-russischen<br />
Beziehungen gewürdigt werden.<br />
„Um ehrlich zu sein, halte ich auch<br />
<strong>Putin</strong> <strong>für</strong> jemanden, der Russland<br />
in schwerer Zeit vom Schicksal<br />
und dem Allmächtigen geschickt<br />
wurde, zum Wohle unserer großen,<br />
gemeinsamen Nation.“<br />
Präsidentenberater Wladislaw Surkow<br />
in einem Interview <strong>für</strong> das<br />
tschetschenische Fernsehen.<br />
„Im Film wird das Russland der<br />
Zukunft gezeigt, von dem <strong>Putin</strong><br />
und Surkow träumen: feudale<br />
<strong>Macht</strong>vertikale, Standesschichten,<br />
Hochtechnologien.“<br />
Der russische Schriftsteller Wladimir<br />
Sorokin in der Tageszeitung „Moskowskije<br />
Nowosti“ zur Premiere des<br />
Films „Mischen“ (Zielscheibe“), <strong>für</strong><br />
den er das Drehbuch geschrieben<br />
hat.<br />
Verluste an der Heimatfront<br />
In russischen Kasernen sterben jedes Jahr Rekruten, weil ihre Kameraden<br />
oder Vorgesetzten sie ausnehmen, misshandeln, in den Selbstmord<br />
treiben. „Dedowschtschina“ nennen es <strong>die</strong> Russen, Herrschaft der Großväter.<br />
Seit der Verkürzung der Wehrpflicht auf ein Jahr haben <strong>die</strong> Fälle<br />
gar zugenommen – auf das Doppelte, wie <strong>die</strong> Militärstaatsanwaltschaft<br />
kürzlich mitteilte. Alexander Ussatschow aus dem nordwestrussischen<br />
Juschnyj kam im November 2009 zum Militär. Im März 2010 schoss er<br />
sich in den Kopf. Aus Verzweiflung? Geldnot, weil er keine 750 Euro<br />
mehr <strong>für</strong> seinen Offizier auftreiben konnte? Seine Mutter Natalja zerbricht<br />
an den Fragen. Und verspürt Genugtuung, weil der Peiniger ihres<br />
„Sascha“ mittlerweile im Gefängnis sitzt. Fast ein Glücksfall in einem<br />
Land, das dem Tod in der Armee kaum Bedeutung beimisst.<br />
„Schließ <strong>die</strong> Augen“. Die Steinchen<br />
sind ordentlich aufgereiht,<br />
nebeneinander geklebt. Der Satz<br />
funkelt auf Natalja Ussatschowas<br />
T-Shirt. Schließ <strong>die</strong> Augen – auf<br />
Deutsch. Natalja Ussatschowa<br />
versteht <strong>die</strong> Worte nicht. Sie versteht<br />
ohnehin wenig in <strong>die</strong>sen<br />
Tagen. Wie auch? Ihr Sohn ist<br />
weg. Getötet. Sich selbst? Vom<br />
Vorgesetzten? Die Fragen bleiben.<br />
Von Inna Hartwich<br />
Wie auch <strong>die</strong> Tatsache: Alexander,<br />
ihr „Sascha“, kommt nie mehr aus<br />
seiner Moskauer Kaserne zurück.<br />
Natalja Ussatschowa sitzt in<br />
ihrer Küche, Galja ist gekommen,<br />
ihre Nachbarin, Freundin. Es ist<br />
oft so, hier in Juschnyj, einem<br />
Dorf an der Wolga etwa 250<br />
Kilometer nördlich von Moskau.<br />
Die Leute gehen einfach hinein,<br />
essen ein Brot, reden. „Die Vorladung<br />
zu den medizinischen<br />
Untersuchungen ist da. Wie soll<br />
ich meinen Sohn vor der Armee<br />
retten?“, fragt Galja. Die Armee,<br />
immer wieder <strong>die</strong> Armee. Im<br />
Leben von Natalja Ussatschowa<br />
gibt es scheinbar nichts anderes<br />
mehr. Sie bestimmt ihr Denken,<br />
ihr Leben. Die 47-Jährige nennt<br />
es nur noch „Existenz“. Sie rührt<br />
in ihrem Tee, wieder einmal hat<br />
sie zu viel Zucker hineingekippt,<br />
starrt in den kleinen Fernseher<br />
ihrer viel zu kleinen Wohnung.<br />
„Du musst alles tun, damit er<br />
nicht dahin kommt. Alles, hörst<br />
du?“, sagt sie. Galja und sie sind<br />
still.<br />
„Die Armee Russlands – traditionell<br />
eine der tragenden Säulen<br />
des Staates – ist immer noch<br />
ein typisches Straflager hinter<br />
Stacheldraht <strong>für</strong> <strong>die</strong> jungen Bürger<br />
des Landes, <strong>die</strong> man ohne<br />
Recht auf Gegenwehr dorthin<br />
Grüne Botschaft<br />
auf rotem Ziegel<br />
Eine Hauswand in Jurjew-Polskij, einer<br />
Kleinstadt im Gebiet Wladimir. Wo<br />
Handwerker<strong>die</strong>nste ihre Leistungen anpreisen,<br />
hat jemand eine Kinderzeichnung aufgehängt,<br />
<strong>die</strong> zur Selbsthilfe aufruft – <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erde.<br />
Es ist ein brennender Baum zu sehen, eine<br />
weggeworfene Flasche. Ein Schriftzug<br />
appelliert ans Gewissen: „Geht sorgsam<br />
mit dem Planeten um.“ Die MDZ wünscht<br />
ihren Lesern hiermit einen entspannten und<br />
sonnigen Sommerurlaub im Einklang mit der<br />
Natur. Warum nicht auch in Russland? Die<br />
Redaktion macht ebenfalls Ferien. Unsere<br />
nächste Ausgabe wird Mitte August an den<br />
bekannten Vertriebsstellen ausgelegt.<br />
Die Zahl der Gewaltopfer in Russlands Armee steigt. Ein Soldatenschicksal.<br />
verfrachtete“, schrieb <strong>An</strong>na Politkowskaja<br />
einst, <strong>die</strong> mittlerweile<br />
tote russische Journalistin. Die<br />
Armee Russlands ist <strong>die</strong> fünftgrößte<br />
der Welt, hat fast 1,2 Millionen<br />
<strong>An</strong>gehörige. Auch Sascha<br />
Ussatschow ging hin. Sein Großvater<br />
hat ge<strong>die</strong>nt, sein Vater. Er<br />
wollte – und musste. Polizist war<br />
sein Traumberuf. Oder wenigstens<br />
Feuerwehrmann, wenn das<br />
mit dem Traum nichts werden<br />
sollte. Beide Jobs verlangen nach<br />
abgeleistetem Dienst. Und ein<br />
Jahr, was ist das schon? Vor dem<br />
1. Januar 2008 waren es noch<br />
zwei Jahre, in den 60ern gar drei.<br />
Sascha kannte keinen Mann, der<br />
nicht beim Militär war.<br />
Am 6. November 2009 trat er<br />
seinen Dienst an. Kaserne Nummer<br />
61988, Tjoplyj Stan, Moskau.<br />
07<br />
A u s g a b e v o m 1 4 . J u l i b i s 11 . A u g u s t
02<br />
Moskauer<br />
impressum<br />
Herausgeber<br />
Olga Martens,<br />
Heinrich Martens<br />
Redaktion<br />
Dr. Olga Silantjewa<br />
Stellv. Chefredakteurin<br />
Inna Hartwich<br />
(Politik, Netzwelten, Gesellschaft,<br />
Feuilleton)<br />
Tino Künzel<br />
(Titelseite, Sport, Regionen,<br />
Leben in Moskau, Letzte Seite)<br />
Diana Laarz (ifa-Redakteurin)<br />
(Wirtschaft, Zeitgeschehen, Freizeit,<br />
Letzte Seite)<br />
Lena Steinmetz (Moskowskaja<br />
Nemezkaja Gaseta)<br />
Korrektur<br />
Marina Lischtschinskaja ,<br />
Alexander Paissow<br />
Computersatz<br />
<strong>An</strong>drej Morenko<br />
Designentwurf: Hans Winkler<br />
MDZ-Online<br />
(www.mdz-moskau.eu)<br />
Tino Künzel<br />
politik<br />
„MaWi Group“<br />
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Die Strategie-31-Aktionen rufen stets mehr Sicherheitskräfte auf den Plan als Demonstranten.<br />
Start: Am 31. Juli 2009 startete<br />
<strong>die</strong> Serie unbefristeter Protestaktionen<br />
<strong>für</strong> den Artikel 31 der<br />
russischen Verfassung. Er garantiert<br />
<strong>die</strong> Versammlungsfreiheit. Es<br />
wurden 47 Demonstranten festgenommen.<br />
Bereits am 31. Januar<br />
und 31. Mai vor dem offiziellen<br />
Start der „Strategie-31“ hatten<br />
einige <strong>An</strong>hänger des Skandalautors<br />
Eduard Limonow <strong>für</strong> <strong>die</strong> Versammlungsfreiheit<br />
demonstriert.<br />
Der Gründer: Eduard Limonow,<br />
Jahrgang 1943, ist ein russischer<br />
Schriftsteller und leitete<br />
<strong>die</strong> mittlerweile verbotene national-bolschewistische<br />
Partei. Zwischen<br />
1974 und 1991 lebte er im<br />
New Yorker und Pariser Exil. Die<br />
russische Justiz erklärte <strong>die</strong> National-Bolschewisten<br />
2007 <strong>für</strong> extremistisch<br />
und verbot sie. Limonow<br />
gründete daraufhin <strong>die</strong> Bewegung<br />
„<strong>An</strong>deres Russland“.<br />
Mitstreiter: Hinter „Strategie-31“<br />
stehen unter anderem<br />
Limonows Organisation „<strong>An</strong>deres<br />
Russland“, <strong>die</strong> Menschenrechtsorganisation<br />
„Memorial“, <strong>die</strong> Helsinki<br />
Gruppe Moskau, <strong>die</strong> Bewegung<br />
„Für das Recht des Menschen“<br />
und <strong>die</strong> „Linke Front“. Die Aktion<br />
versteht sich als bürgerliche und<br />
überparteiliche Organisation.<br />
Ljudmila Alexejewa: Die<br />
Grande-Dame, der russischen<br />
Menschenrechtsbewegung. Die<br />
83-Jährige ist <strong>die</strong> Mitbegründerin<br />
der Moskauer Helsinki-Gruppe,<br />
seit 2002 Mitglied des Rates <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Entwicklung der Zivilgesellschaft<br />
und <strong>für</strong> Menschenrechte<br />
beim Präsidenten der Russischen<br />
Föderation.<br />
Lew Ponomarjow: Duma-<br />
Abgeordneter der ersten Wahlperiode,<br />
Mitbegründer von Memorial<br />
und „Das Recht des Menschen“,<br />
Mitglied der liberalen Bewegung<br />
„Solidarnost“, bekannter Menschenrechtler.<br />
Konstantin Kossjakin: Ehemaliges<br />
Mitglied des Moskauer<br />
Stadtkomitees der Kommunistischen<br />
Partei (Jahrgang 1947),<br />
bekannter Oppositioneller und<br />
Repräsentant der „Linken Front“.<br />
Motto: Ein Datum (jeder 31.<br />
eines Monats), eine Uhrzeit (18<br />
Uhr), ein Platz (Triumphplatz in<br />
Moskau), ein Ziel (Durchsetzung<br />
von Artikel 31 der russischen Verfassung).<br />
Artikel 31: „Bürger der Russischen<br />
Föderation haben das<br />
Recht, sich friedlich und ohne<br />
Waffen zu versammeln, Versammlungen,<br />
Kundgebungen und<br />
Demonstrationen, Märsche und<br />
Streiks abzuhalten.“<br />
Geschichtsträchtig: Friedliche<br />
Versammlungen auf dem<br />
Moskauer Triumphplatz, dem<br />
früheren Majakowskij-Platz,<br />
haben Tradition. Seit der Einweihung<br />
des Majakowskij-Denkmals<br />
1958 fanden unregelmäßig,<br />
ungeliebt bei den Behörden und<br />
oft spontan, Gedichtlesungen<br />
statt. Die Menschen lasen auch<br />
Gedichte verbotener Autoren. Die<br />
Tradition hat sich bis heute gehalten<br />
– Gedichte am Denkmal des<br />
russischen Dichters gibt es jeden<br />
letzten Sonntag des Monats.<br />
Polizeischutz: Jede der vergangen<br />
Aktionen in Moskau ist<br />
von <strong>An</strong>fang an sowohl von regulärer<br />
Polizei als auch von Sondereinheiten<br />
des OMON behindert<br />
und aufgelöst worden, aber noch<br />
nie offiziell verboten.<br />
Belegt: Meist fanden am 31.<br />
„zufällig“ bereits andere Veranstaltungen<br />
auf dem Triumphplatz<br />
statt. Die vom Moskauer Bürgermeister<br />
vorgeschlagenen alternativen<br />
Plätze lehnten <strong>die</strong> Organisatoren<br />
stets ab.<br />
Online: Seit 19. April 2010 gibt<br />
es <strong>die</strong> Homepage strategy-31.ru<br />
Ausbreitung: Seit 31. Januar<br />
2010 ist <strong>die</strong> Strategie-31 eine nationale<br />
Bewegung. Im Mai 2011<br />
gab es außer in Moskau und<br />
St. Petersburg in mehr als siebzig<br />
weiteren russischen Städten<br />
Kundgebungen, dazu kamen Aktionen<br />
in Litauen, Kirgisien und der<br />
Ukraine.<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Ein Artikel, Dutzende Demos<br />
31 Fakten zur „Strategie-31“ – dem Protest <strong>für</strong> Versammlungsfreiheit<br />
Und wieder hat der Monat 31 Tage. Für <strong>die</strong> Aktivisten von „Strategie-31“<br />
heißt es: Demonstrieren <strong>für</strong> <strong>die</strong> Versammlungsfreiheit. So, wie<br />
es im Artikel 31 der russischen Verfassung garantiert ist. Zum 20. Mal<br />
gehen sie am 31. Juli auf <strong>die</strong> Straße. Seit der Gründung der Aktion vor<br />
zwei Jahren hat sich viel getan – <strong>die</strong> Aktivisten ließen sich in Polizeibussen<br />
abtransportieren, haben sich zerstritten und haben an Aufmerksamkeit<br />
nicht eingebüßt. Ein Abriss in 31 Punkten.<br />
Weltweit: Mahnwachen und<br />
Solidaritätsbekundungen finden<br />
auch im Ausland statt, in Berlin,<br />
Brüssel, Prag, Tel Aviv und<br />
Helsinki. In Peking gab es dazu<br />
bereits einen Flashmob.<br />
Friedlich: In den Städten<br />
Astrachan, Archangelsk, Krasnojarsk<br />
und Jaroslawl verlaufen<br />
<strong>die</strong> Demonstrationen stets im<br />
Einverständnis mit den Behörden<br />
und ohne Repressionen seitens<br />
der Polizei.<br />
Kritik: Große internationale<br />
Aufmerksamkeit erhielt <strong>die</strong> Aktion<br />
vom 31. Dezember 2009, bei<br />
der <strong>die</strong> damals 82-jährige Ljudmila<br />
Alexejewa festgenommen wurde.<br />
Das Europäische Parlament und<br />
der Nationale Sicherheitsrat der<br />
USA übten Kritik. Die Zeitung<br />
„The New York Times“ veröffentlichte<br />
einen Artikel darüber auf<br />
der ersten Seite.<br />
Schwere Registrierung: 2009<br />
kündigte Limonow seine Präsidentschaftskandidatur<br />
an und<br />
startete seine Wahlkampagne. Im<br />
Sommer 2010 hat das russische<br />
Justizministerium „<strong>An</strong>deres Russland“<br />
<strong>die</strong> Registrierung als Partei<br />
verweigert. Seitdem hat er sein<br />
Vorhaben aufgegeben.<br />
Finanzierung: Dem Pressesprecher<br />
von „<strong>An</strong>deres Russland“, Alexander<br />
Awerin, zufolge kostet <strong>die</strong><br />
Organisation jeder Aktion bis zu<br />
20 000 Rubel (umgerechnet etwa<br />
500 Euro). Das Geld werde <strong>für</strong> den<br />
Druck von Broschüren und Flyern<br />
ausgegeben.<br />
Quelle: „<strong>An</strong>deres Russland“ ist<br />
der Hauptförderer der „Strategie-31“,<br />
dazu kommen Spenden<br />
und der Verkauf von Souvenirs<br />
auf der Homepage. Tassen mit<br />
dem schwarz-weißen Emblem<br />
der Bewegung kosten bis zu zehn<br />
Euro, T-Shirts bis zu 20 Euro.<br />
Blutspenden: Die Jugendbewegung<br />
„Junges Russland“ (Rossija<br />
Molodaja) lädt gern am 31. eines<br />
Monats zum Blutspenden auf den<br />
Triumphplatz.<br />
Vorsprung: „Junges Russland“<br />
machte den Organisatoren der<br />
„Strategie-31“ bei der <strong>An</strong>meldung<br />
der Protestaktion den Platz streitig.<br />
Baustelle: Im August 2010 wurde<br />
der Triumphplatz wegen Rekonstruktionsarbeiten<br />
ge schlossen.<br />
Den Berichten von russischen<br />
Me<strong>die</strong>n zufolge wird bisher keine<br />
Arbeit dort geleistet.<br />
Rekord: Im Mai 2010 gab es<br />
ungefähr 2000 Teilnehmer in<br />
Moskau. Sie demonstrierten zwei<br />
Stunden lang. Es waren 700 Polizisten<br />
anwesend, 200 Aktivisten<br />
nahmen <strong>die</strong> Beamten fest.<br />
Limonow und <strong>die</strong> Miliz: Im<br />
Laufe der Aktionen wurde Eduard<br />
Limonow bereits mehr als zehn<br />
Mal festgenommen. Im Dezember<br />
2010 musste er 15 Tage in Haft<br />
verbringen.<br />
Erlaubt: Am 31. Oktober 2010<br />
wurde <strong>die</strong> Aktion zum ersten Mal<br />
erlaubt – unter der Bedingung,<br />
<strong>die</strong> Zahl der Teilnehmer auf 800<br />
zu begrenzen. Es kamen allerdings<br />
mehr.<br />
Spaltung: Ljudmila Alexejewa<br />
akzeptierte <strong>die</strong> Bedingung der<br />
Stadt, Konstantin Kossjakin und<br />
Eduard Limonow taten das nicht.<br />
Es kam zur Spaltung der Bewegung.<br />
Die <strong>An</strong>hänger Limonows<br />
führen ihre nicht erlaubten Proteste<br />
fort. Ihre Argumentation<br />
klingt ungefähr so: Wir kämpfen<br />
nicht <strong>für</strong> <strong>die</strong> „Strategie-31“, sondern<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Versammlungsfreiheit,<br />
<strong>die</strong> eine unbegrenzte Teilnehmerzahl<br />
vorsieht.<br />
Zwei Aktionen: Am 31. Oktober<br />
2010 fanden denn so zwei<br />
Protestaktionen <strong>für</strong> den Artikel 31<br />
gleichzeitig statt.<br />
Zwang: Die Miliz versuchte<br />
an eben <strong>die</strong>sem Tag, Limonow<br />
gewaltsam dazu zu bringen, an<br />
der erlaubten Protestaktion teilzunehmen.<br />
Durchsuchung: In <strong>die</strong>sem Jahr<br />
ist der Stab von „<strong>An</strong>deres Russland“<br />
bereits zwei Mal durchsucht<br />
worden – immer kurz vor der<br />
Protestaktion.<br />
Debatte: Am 4. Dezember 2010<br />
fand im Moskauer Sacharow-<br />
Zent rum eine Debatte zum Thema<br />
„Sollte <strong>die</strong> Opposition mit den<br />
Mächtigen verhandeln?“ Ohne ein<br />
klares Ergebnis. Die Organisation<br />
bleibt gespalten.<br />
Gesund: Zu den Veranstaltungen,<br />
<strong>die</strong> am 31. eines Monats<br />
auf dem Triumphplatz stattfanden,<br />
gehörten das Festival „Wähle<br />
Gesundheit, werde wie wir“ und<br />
das Sportfest der Jugend.<br />
Zusammengestellt von Marika<br />
Schweiger und Alisa Iwanizkaja.<br />
Wikipedia
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
<strong>An</strong> <strong>die</strong> <strong>Macht</strong>, <strong>für</strong> <strong>Putin</strong>, <strong>für</strong>s <strong>Vaterland</strong><br />
Am Seliger-See stählt sich <strong>die</strong> künftige Elite Russlands in einem Sommercamp voller Drill<br />
politik<br />
03<br />
Inna Hartwich (5)<br />
Noch bis August durchlaufen 20 000 Jugendliche aus allen Teilen Russlands<br />
und der Welt in fünf unterschiedlichen Schichten das Seliger-<br />
Lager der russischen Regierung. Das neuntägige Sommercamp in einem<br />
Seengebiet bei Twer bietet neben Lagerfeuer-Romantik vor allem streng<br />
getaktete Lehrstunden in Sachen Politik und Wirtschaft – direkt unter<br />
den Konterfeis des russischen Führungsduos Dmitrij Medwedew und<br />
Wladimir <strong>Putin</strong>. Was treibt <strong>die</strong> Jugendlichen hin?<br />
Sie ist eine „Auserwählte“, eine<br />
„Siegerin“. Mit Sonnenblume im<br />
Haar und dunklem Pferdeschwanz.<br />
Mit einem Lächeln auf den Lippen<br />
– und ganz klaren Vorstellungen,<br />
was sie will. Im Leben, im Beruf.<br />
Rimma Tuktassynowa ist 22 Jahre<br />
alt. Sie stu<strong>die</strong>rt Fernsehjournalistik<br />
im fernen Sibirien. „Das Leben ist<br />
eine Rolltreppe. Ich fahre schnurstracks<br />
nach oben.“ So steht sie da<br />
zwischen hohen Kiefern und Tausenden<br />
von bunten Zelten in einem<br />
Wald auf halber Strecke zwischen<br />
Moskau und St. Petersburg – in<br />
der Ferne funkeln <strong>die</strong> Zwiebeltürme<br />
eines Klosters – und lässt sich triezen,<br />
drillen, überwachen. Für ihren<br />
Traum vom Erfolg.<br />
Das Leben von Auserwählten ist<br />
hart. Rimma hat es bereits vor<br />
Tagen begriffen. Da packte sie ihre<br />
Koffer in ihrem Heimatstädtchen<br />
Tausende von Kilometern von Moskau<br />
entfernt. Viel gibt es nicht in<br />
Jugorsk. Eine Nähfabrik und einen<br />
Fernsehsender. Auch ein Museum<br />
<strong>für</strong> Stadtgeschichte. Vor allem aber<br />
gibt es Pipelines – <strong>für</strong> den Erdgastransport<br />
des russischen Staatsunternehmens<br />
Gasprom. Mehr als<br />
zwei Tage war sie an <strong>die</strong> malerische<br />
Seenlandschaft mit 160 Inseln<br />
unterwegs. „Mein Sieg.“<br />
Ruhe hat sie hier nicht gefunden.<br />
Sie hat sie auch nicht gesucht.<br />
Pünktlich um 8 Uhr morgens ertönt<br />
<strong>die</strong> russische Hymne. Sie dröhnt<br />
aus den Lautsprechern im Wald.<br />
Plärrende Bässe folgen. „Los, Russland,<br />
los. Noch 15 Minuten bis<br />
zur Morgengymnastik, noch zehn.“<br />
Rimma rennt zum Metallcontainer,<br />
einem provisorischen Toilettenhäuschen,<br />
einem Waschbecken<br />
aus Plastik davor. Ihr Zelt steht am<br />
Rande des Lagers, zur Hauptbühne<br />
dauert es zehn Minuten. Dort<br />
kreist <strong>die</strong> <strong>An</strong>imateurin mit den<br />
Hüften. Aerobic <strong>für</strong> <strong>die</strong> Mädchen,<br />
ein Vier-Kilometer-Waldlauf <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Jungen. „Ich hasse Sport“, wird<br />
Rimma später sagen. Ein schwerer<br />
Sturm hat <strong>die</strong> orange Plane hinter<br />
ihr umgeworfen. Premier <strong>Putin</strong><br />
beschwört darauf das „prosperierende<br />
Russland, das beste Land<br />
der Welt <strong>für</strong> <strong>die</strong> talentiertesten,<br />
selbstbewusstesten Bürger“, neben<br />
dem Bild des Präsidenten Medwedew<br />
steht schlicht „Russland – ein<br />
einzigartiges Land“. Behelfsmäßig<br />
haben <strong>die</strong> Camper <strong>die</strong> Plane auf<br />
zwei Holzstäbe gestützt. Sie hält<br />
nicht. <strong>Putin</strong> und Medwedew schweben<br />
provisorisch über dem Boden.<br />
Sechs Menschen hat der Sturm verletzt,<br />
zwei Mädchen davon schwer.<br />
Die Organisatoren sprechen nicht<br />
gern darüber, sie lassen <strong>die</strong> Patienten<br />
aus dem Krankenhaus direkt<br />
auf <strong>die</strong> Leinwand an der Hauptbühne<br />
projizieren. „Wir sind bei euch“,<br />
rufen sie in <strong>die</strong> Masse.<br />
Seit 2005 versammeln sich Tausende<br />
von Jugendlichen im Seliger-<br />
Lager, das <strong>die</strong> kremlnahe Jugendorganisation<br />
„Naschi“ (Die Unsrigen)<br />
gegründet hat. Die Ursprungsidee:<br />
sich nicht nur ideologisch, sondern<br />
auch <strong>für</strong> den Straßenkampf zu stählen.<br />
„Naschi“ sind ein polittechnologisches<br />
Projekt der Ära <strong>Putin</strong>,<br />
eine raffinierte Kopfgeburt des<br />
Staates vor dem Hintergrund der<br />
Von Inna Hartwich<br />
farbigen Revolutionen in der Ukraine<br />
und in Georgien. Aus <strong>An</strong>gst vor<br />
einer Massenmobilisierung gegen<br />
das bestehende Regime rief <strong>die</strong><br />
Regierung, allen voran der Kreml-<br />
Ideologe Wladislaw Surkow, <strong>die</strong><br />
„demokratische, antifaschistische<br />
Jugendbewegung“ ins Leben und<br />
pumpte Milliarden Rubel in deren<br />
Wachstum. „Faschistisch“ ist bei<br />
den „Naschi“ alles, was sich gegen<br />
das Erstarken Russlands richtet – in<br />
ihrem Manifest spricht <strong>die</strong> Organisation<br />
von einer „vaterlandsfeindlichen<br />
Koalition von Oligarchen,<br />
„Entweder du lernst oder du fährst heim!”<br />
<strong>An</strong>tisemiten, Nazis und Liberalen“.<br />
Kritiker nennen <strong>die</strong> Jugendlichen<br />
„Naschisten“ – wegen ihrer Gewaltbereitschaft.<br />
<strong>An</strong> der damaligen Spitze:<br />
Wassilij Jakemenko, ein schneidiger<br />
Mittdreißiger, der einst in der<br />
Kreml-Administration aushalf.<br />
Mittlerweile hat sich das Lager<br />
geöffnet. Dieses Jahr gibt es <strong>die</strong><br />
Sektionen „Unternehmen“, „Politik“,<br />
„Internationales“, „Informationskanäle“,<br />
„Technologie der Wohltat“.<br />
Organisiert wird es nun von der<br />
staatlichen Agentur <strong>für</strong> Jugendbelange.<br />
Der Leiter: wieder Wassilij<br />
Jakemenko. Seliger 2011 preist sich<br />
als Bildungs- und Innovationsforum,<br />
schreibt auf seiner Homepage<br />
vom „wichtigsten Ereignis des Sommers“,<br />
will auch Ausländern ein<br />
fröhliches Gesicht zeigen. Kosten:<br />
rund fünf Millionen Euro. Die Teilnehmer<br />
zahlen umgerechnet 60<br />
Euro. Ein günstiger Ausflug.<br />
Die 21-jährige Brasilianerin Sarah<br />
Teixera Morello will vor allem Kontakte<br />
knüpfen. Noch aber fehlen ihr<br />
<strong>die</strong> Worte. „Hier spricht ja kaum<br />
ein Russe Englisch.“ Sie selbst kann<br />
nicht entziffern, dass auf den Plakaten<br />
quer durch den Wald von der<br />
Besonderheit des russischen Volkes<br />
<strong>die</strong> Rede ist, das sich durch Klugheit<br />
und Stärke von allen anderen<br />
unterscheide. Sie sieht nicht, dass<br />
alle zwei Meter bunte Planen mit<br />
Sprüchen von <strong>Putin</strong> und Medwedew<br />
zwischen den Bäumen hängen,<br />
erkennt nicht <strong>die</strong> „Heldenallee“ entlang<br />
des Holzsteges, auf dem sich<br />
ein gewisser Sascha <strong>für</strong> verlorene<br />
Die Hüter des Feuers: Jugendliche gedenken stramm der gefallenen Soldaten.<br />
Inna Hartwich<br />
37 Kilogramm feiern lässt oder ein<br />
Nikita seinen „nordischen Charakter“<br />
offenlegt.<br />
„Seliger ist ein Russland im Kleinen.<br />
Hier gibt es Leute aus unterschiedlichen<br />
Nationen, Künstler,<br />
Wissenschaftler, Unternehmer,<br />
Politiker. Hier herrscht eine gesunde<br />
Lebenseinstellung, kein Alkohol,<br />
keine Drogen“, sagt Irina Narykowa<br />
(20) aus dem zentralrussischen<br />
Brjansk. Die „Naschi“-Kommissarin<br />
ist zum vierten Mal dabei, ein alter<br />
Hase. Sie sitzt vor dem „Ewigen<br />
Feuer“, zusammengelegten Hölzern,<br />
<strong>die</strong> in einem roten Stern brennen,<br />
wacht darüber, dass es nicht ausgeht.<br />
Vor ihr ein dickes Buch: „Die<br />
Erinnerung an <strong>die</strong> großen Taten<br />
der glorreichen Sowjetunion“ steht<br />
in goldenen Lettern darauf. „Wir<br />
müssen <strong>die</strong> Geschichte in unserem<br />
Herzen tragen“, sagt sie. Eine<br />
Geschichte der hellen Seiten. „Es<br />
ist gut, Stalins Taten zu rühmen.<br />
Er hat viel <strong>für</strong> unser <strong>Vaterland</strong><br />
getan.“ Die national-patriotische<br />
Verherrlichung der Vergangenheit<br />
ist das Grundmotiv der „Naschi“.<br />
„Jeder, der mit Kritik kommt, ist<br />
unser Feind.“<br />
Nach einzelnen regionalen Sektionen<br />
geordnet, stehen <strong>die</strong> Zelte<br />
dicht an dicht im Wald. Es werden<br />
Brei serviert und dünner Tee.<br />
Immerhin: In <strong>die</strong>sem Jahr müssen<br />
<strong>die</strong> Jugendlichen nicht selbst überm<br />
Feuer kochen, es gibt auch keine<br />
Plumpsklos mehr. Das Essen kommt<br />
aus der Feldküche. Es gibt Kletterparcours<br />
und Kanu-Wettbewerbe,<br />
Volleyballfelder und Fußballspiele.<br />
Ein Internetcafé und Plasma-Bildschirme,<br />
<strong>die</strong> an den Bäumen hängen,<br />
spiegeln <strong>die</strong> Absurdität <strong>die</strong>ser<br />
Mischung aus Lagerfeuer-Romantik<br />
und hartem Programm. „Ich gehe<br />
am liebsten baden“, sagt Rimma,<br />
<strong>die</strong> Ehrgeizige. „Aber das ist streng<br />
reglementiert.“ Wachposten sorgen<br />
da<strong>für</strong>, dass <strong>die</strong> Jugendlichen<br />
ihre Vorlesungen besuchen, meist<br />
kommen Unternehmer und Politiker,<br />
berichten von ihrem Erfolg.<br />
Verstoßen <strong>die</strong> Camper gegen <strong>die</strong><br />
Lagerregeln – das Gelände allein<br />
verlassen, Alkohol hineinschmuggeln,<br />
nicht zur Morgengymnastik<br />
erscheinen – gibt es ein Loch im<br />
Lagerausweis. Drei Löcher bedeuten<br />
den Rausschmiss. „Drill gehört<br />
dazu“, sagt Rimma. Und gewisse<br />
Werte. Familie, Kinder, Erfolg. „Sex<br />
ist schön und nützlich“, heißt es<br />
im Lager. Neun Paare geben sich<br />
in Seliger in einer Massenhochzeit<br />
das Ja-Wort.<br />
„Manches ist wirklich fragwürdig,<br />
<strong>die</strong> patriotischen Lieder, <strong>die</strong><br />
Duschen mit der Naschi-Symbolik“,<br />
sagt der 23-jährige Pjotr Gussatschenko<br />
aus St. Petersburg. „Aber<br />
ich habe gelernt, vor allem Zweifelhaften<br />
<strong>die</strong> Augen zu verschließen,<br />
alles Negative zu verdrängen.“ Auch<br />
er – ein „Auserwählter“, auf den<br />
Russland baut.<br />
Seliger 2011 setzt auf Gäste aus dem Ausland. Der 30-jährige Sebastian Kiefer aus<br />
Berlin berichtet von der internationalen Sektion:<br />
Aufstehen, Frühsport, Morgenappell auf dem „Roten Platz“. Den meisten ausländischen Teilnehmern steht <strong>die</strong> Skepsis<br />
ins Gesicht geschrieben. Sie kommen aus 81 Ländern und sind nun neun Tage lang zu Gast im russischen Kiefernwald.<br />
Viele von ihnen beobachten <strong>die</strong> morgendliche „Russendisko“ vom Rande aus, ins Englische übersetzt wird wieder nur<br />
das Nötigste.<br />
Später vor dem „Weißen Haus“, einer Nachbildung des Moskauer Regierungssitzes von Premierminister Wladimir<br />
<strong>Putin</strong>, komme ich mit Kathrin und Marion aus Deutschland ins Gespräch. Nach einem zweistündigen Vortrag über<br />
<strong>die</strong> Segnungen der Atomkraft sind beide geladen. „Ich wollte mal nach Russland fahren“, sagt Kathrin, <strong>die</strong> sich zu<br />
Hause <strong>für</strong> <strong>die</strong> Grünen engagiert. „Ich habe mir was ganz anderes darunter vorgestellt.“ Marion ist geschockt über <strong>die</strong><br />
markante Darstellung des russischen Premierministers an der Hauptbühne. Sie nennt es „Hitlerbild“. „Das hat doch<br />
nichts mit Demokratie zu tun.“ Als sich eines Abends der Direktor des Lagers in knappen russischen Sätzen mit der<br />
offenen Drohung an <strong>die</strong> internationalen „Gäste“ richtet, dass jeder Verstoß und jede Verspätung hart bestraft würden<br />
und genügend „Lagerpolizei“ <strong>für</strong> <strong>die</strong> ständige Kontrolle zur Verfügung stehe, kann ich zunächst gar nicht glauben,<br />
was ich da höre. Die Stimmung ist mittlerweile im Keller, <strong>die</strong> zunehmenden Löcher im Lagerausweis beherrschen <strong>die</strong><br />
Gespräche, und viele denken daran, früher abzureisen. „Entweder du lernst oder du fährst heim!“, steht in großen<br />
Buchstaben neben einem Medwedew-Bild geschrieben.<br />
Am Seliger See spreche ich mit Russen aus den entlegensten Winkeln des Landes. Sie stu<strong>die</strong>ren an<br />
Provinzuniversitäten in Samara, Stawropol und Sotschi. Das „International Youth Forum“ ist <strong>für</strong> sie ein Tor zur Welt.<br />
Ausländer treffen, Englisch ausprobieren, <strong>für</strong> Olga, <strong>An</strong>ja und Lisa war das der Grund, sich zu bewerben. Für Politik<br />
interessieren sie sich nicht, was „Naschi“ machen – keine Ahnung.<br />
Am Luftgewehrschießstand am Seeufer treffe ich zwei „Instruktoren“, <strong>die</strong> Bewacher Katja und Mischa. Sie laden mich<br />
an <strong>die</strong>sem Abend zu sich ein, während nebenan <strong>die</strong> Schoko-Schaum-Party <strong>für</strong> ausgelassene Ballermann-Stimmung<br />
sorgt. Ihre Geschichte ist eine andere, als es <strong>die</strong> täglich mehr werdenden Medwedew- und <strong>Putin</strong>-Zitate suggerieren<br />
sollen. Beide haben <strong>die</strong> Nase voll vom harten Leben in der russischen Provinz. Mischas Mutter ist nach Italien<br />
ausgewandert, weil sie es in ihrer russischen Kleinstadt nicht mehr ertragen hat. Mit ihrer Arbeit am Schießstand<br />
finanzieren sich Katja und Mischa ihr Studium im fernen Sotschi. <strong>An</strong> <strong>die</strong>sem Abend sitze ich mit Menschen aus dem<br />
russischen Süden an einem Tisch, werde mit Dosenfisch bewirtet, man bietet mir Kaffee an. Business und Patriotismus<br />
sind sehr weit weg. Ich bin dankbar <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Pause.<br />
Rimma Tuktassynowa, 22, Jugorsk,<br />
Autonomer Kreis der Chanten und<br />
Mansen: „Jeder, der bei Seliger mitmacht,<br />
ist ein Auserwählter. Wir<br />
sind jetzt schon Sieger. Ich will in<br />
allem, was ich anpacke, erfolgreich<br />
sein. Das lerne ich hier. Disziplin ist<br />
wichtig. Für Politik interessiere ich<br />
mich nicht. Hauptsache, ich komme<br />
weiter im Leben.“<br />
Pjotr Gussatschenko, 23,<br />
St. Petersburg: „Das Seliger-Camp<br />
ist eine günstige Gelegenheit, nette<br />
und interessante Leute zu treffen.<br />
Manches ist fragwürdig. Aber ich<br />
habe gelernt, vor allem Zweifelhaften<br />
<strong>die</strong> Augen zu verschließen,<br />
alles Negative zu verdrängen.“<br />
Sarah Teixera Morello, 21,<br />
Brasilien: „Seliger bietet ein solch<br />
hohes Potenzial an Ideen. Irgendwann<br />
einmal werden wir Jungen an<br />
der Spitze unserer Länder stehen.<br />
Da ist es gut, schon heute Kontakte<br />
zu knüpfen, das wird später<br />
<strong>für</strong> besseres Verständnis sorgen.<br />
Momentan setze ich hier <strong>die</strong> Körpersprache<br />
ein, kaum ein Russe<br />
spricht Englisch.“<br />
Laure Boisseux, 22, Frankreich:<br />
„Ich bin zum ersten Mal in Russland,<br />
habe mich nie mit <strong>die</strong>sem<br />
Land beschäftigt. Ich hätte nicht<br />
gedacht, dass es hier so si cher ist.<br />
Es gibt Toiletten, es ist nicht kalt,<br />
<strong>die</strong> Menschen sind freundlich. Die<br />
Landschaft ist wunderschön. Ich<br />
komme auf jeden Fall wieder.“<br />
Irina Nyrkowa, 20, Brjansk,<br />
Zentralrussland: „In Seliger erfährt<br />
man, welch großartige Geschichte<br />
Russland hat, was es geleistet hat.<br />
Wir betonen nur <strong>die</strong> positiven Seiten,<br />
man soll sich nicht allzu sehr<br />
vom Negativen aufhalten lassen.<br />
Russland wird wieder auferstehen.<br />
Wladimir <strong>Putin</strong> ist der beste Mann<br />
da<strong>für</strong>.“
04<br />
Moskauer<br />
WIRTSCHAFT<br />
Recht<br />
Kurz u n d Knapp<br />
Schutz des<br />
Vermögens<br />
Laut eines Erlasses des Präsidiums<br />
des Obersten Arbitragegerichts der<br />
Russischen Föderation von Mitte Juni<br />
ist <strong>die</strong> Entnahme von Gesellschaftsvermögen<br />
auf Basis von Schiedsgerichtsbeschlüssen<br />
zu unterbinden.<br />
Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters<br />
hindern <strong>die</strong> verbleibenden<br />
Gesellschafter dem Ausscheidenden<br />
oft am Erhalt des <strong>die</strong>sem zustehenden<br />
<strong>An</strong>teils am Gesellschaftsvermögen. Die<br />
Gesellschafter versuchen insbesondere,<br />
Reinvermögen von der Gesellschaft auf<br />
unter ihrer Kontrolle stehende Firmen<br />
zu übertragen, und zwar auf Basis<br />
von Beschlüssen von Schiedsgerichten,<br />
<strong>die</strong> als Alternative zum staatlichen<br />
Gerichtssystem geschaffen wurden.<br />
Dadurch können <strong>die</strong> Arbitragegerichte,<br />
<strong>die</strong> <strong>für</strong> genannte Schiedsgerichte keine<br />
übergeordnete Instanz darstellen,<br />
deren Beschlüsse nicht in Berufungsoder<br />
Kassationsverfahren prüfen.<br />
Derartige Beschlüsse von Schiedsgerichten<br />
sind laut Erlass des Präsidiums<br />
des Obersten Arbitragegerichts<br />
der Russischen Föderation aufzuheben.<br />
Wettbewerb<br />
verschärft<br />
<strong>An</strong>fang Juni unterzeichnete Präsident<br />
Dmitrij Medwedjew ein Gesetz,<br />
welches Änderungen in <strong>die</strong> Föderalen<br />
Gesetze über <strong>die</strong> staatliche Registrierung<br />
von Rechten an Immobilienvermögen<br />
und über das staatliche<br />
Immobilienkataster einbringt.<br />
Das Gesetz präzisiert das Verfahren der<br />
staatlichen Erfassung von Gebäuden,<br />
Bauten, Räumlichkeiten sowie <strong>An</strong>lagen<br />
im Bau <strong>für</strong> den Übergangszeitraum der<br />
<strong>An</strong>wendung des Föderalen Gesetzes<br />
„Über das staatliche Immobilienkataster“.<br />
Es gilt bis zum 1. Januar 2013.<br />
Laut Gesetz erfolgt <strong>die</strong> Erstellung<br />
von Unterlagen, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> staatliche<br />
Erfassung genannter Objekte<br />
erforderlich sind, nicht nur durch <strong>die</strong><br />
Behörden der Technischen Inventarisierung<br />
(BTI) sondern auch durch<br />
Katasteringenieure. Dieser Umstand<br />
führt zu Wettbewerb auf dem Markt<br />
<strong>für</strong> technische Inventarisierung und zu<br />
Preissenkungen in <strong>die</strong>sem Bereich.<br />
Bestechung<br />
lohnt nicht<br />
Mitte Mai 2011 ist ein Änderungsgesetz<br />
in Kraft getreten, welches das<br />
Strafgesetzbuch und das Ordnungswidrigkeitengesetzbuch<br />
in Hinblick<br />
auf <strong>die</strong> Korruptionsbekämpfung optimieren<br />
soll. Die Änderungen betreffen<br />
insbesondere <strong>die</strong> Belangung <strong>für</strong><br />
Bestechung und <strong>die</strong> Zahlung oder<br />
<strong>An</strong>nahme von Bestechungsgeldern.<br />
Neben Einschränkungen und Freiheitsentzug<br />
ist als alternative Strafe durch<br />
<strong>die</strong> Gesetzgebung <strong>die</strong> Verhängung<br />
von Bußgeldern vorgesehen, <strong>die</strong> als<br />
Vielfaches des Bestechungsbetrages<br />
berechnet werden.<br />
Die strafrechtliche Belangung differenziert<br />
in Abhängigkeit von der Höhe<br />
des Bestechungsgelds: in geringer<br />
Höhe (bis 25000 Rubel), wesentlicher<br />
Höhe (über 25000 Rubel),<br />
großer Höhe (über 150000 Rubel)<br />
und besonders großer Höhe (über 1<br />
Million Rubel).<br />
Dieser Info<strong>die</strong>nst wird unterstützt von<br />
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater,<br />
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Elektrosawodskaja Uliza 27,<br />
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Urlaubsstimmung in<br />
Russland:<br />
Billigflieger im Vergleich:<br />
Russen werden ärmer<br />
16,1 Prozent leben unter dem Existenzminimum<br />
Allen positiven Wirtschaftsprognosen<br />
zum Trotz rutschen immer<br />
mehr Russen unter <strong>die</strong> Armutsgrenze.<br />
Laut <strong>An</strong>gaben des Moskauer<br />
Statistikamtes bekamen <strong>An</strong>fang<br />
Juli 22,9 Millionen Russen weniger<br />
als das Existenzminimum von 6473<br />
Rubel pro Monat, im Jahr zuvor<br />
waren es 2,3 Millionen Menschen<br />
weniger gewesen. Niedrige Löhne<br />
sind <strong>die</strong> Hauptursache <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Armutsfalle. Laut Stu<strong>die</strong> haben in<br />
gut der Hälfte der armen Haushalte<br />
<strong>die</strong> Menschen einen Job.<br />
Auch <strong>die</strong> Schere zwischen Arm<br />
und Reich wird immer größer.<br />
Die Einkommen von zehn Prozent<br />
der reichsten Russen sind um das<br />
18-fache höher als das von zehn<br />
Prozent der ärmsten Russen. „In<br />
der Tat ist <strong>die</strong> Ungleichheit noch<br />
größer, weil der <strong>An</strong>teil der unberücksichtigten<br />
Einnahmen sehr<br />
hoch ist“, sagte Wjatscheslaw Bobkow,<br />
Generaldirektor des Instituts<br />
zur Erforschung des Lebensstandards,<br />
der russischen Nachrichtenagentur<br />
RIA Nowosti. dia<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Einerseits & <strong>An</strong>dererseits<br />
Gegründet<br />
2006 2009<br />
Besitzverhältnisse<br />
Heimat-Flughafen<br />
Passagierzahlen 2010<br />
Flugziele innerhalb<br />
Russlands<br />
2009 kaufte der Unternehmer Witalij Wanzew, Teilhaber des<br />
Flughafens Wnukowo, 75 Prozent der SkyExpress-Aktien.<br />
Inzwischen haben <strong>die</strong> Aktien wieder den Besitzer gewechselt,<br />
über <strong>die</strong> genaue Verteilung schweigt sich das Unternehmen<br />
aus. Fest steht, dass <strong>die</strong> Investmentgesellschaft „Basel“ des<br />
Oligarchen Oleg Deripaska <strong>An</strong>teile hält. Seit <strong>An</strong>fang Juli ist<br />
Denis Iljin Generaldirektor bei SkyExpress, er leitet auch <strong>die</strong><br />
Flugzeugabteilung bei „Basel“.<br />
Zu „Basel“ gehört unter anderem <strong>die</strong> Fluggesellschaft Kuban<br />
Airlines. Im vergangen Jahr wurde <strong>die</strong> Unternehmensverschmelzung<br />
von SkyExpress und Kuban Airlines beschlossen.<br />
Seitdem können Kunden von SkyExpress auf Flugzeuge von<br />
Kuban umgeleitet werden. Bis 2015 sollen jedoch <strong>die</strong> Marken<br />
der beiden Fluglinien eigenständig bleiben.<br />
Moskau-Wnukowo<br />
1,14 Millionen<br />
Platz 18 auf der Rangliste der erfolgreichsten russischen Fluggesellschaften<br />
14 Städte, unter anderem St. Petersburg, Kaliningrad, Jekaterinburg,<br />
Orenburg, Sotschi, Murmansk, Tscheljabinsk<br />
Die Aktien gehören zu 51 Prozent der A1 Investment-Gruppe<br />
der russischen Alfa-Group, zu 49<br />
Prozent der US-Investmentgesellschaft Indigo<br />
Partners. Generaldirektor ist Wladimir Gorbunow<br />
von A1. Ende Juni gerieten <strong>die</strong> Teilhaber ineinander.<br />
A1 beschuldigte den CEO <strong>An</strong>drew Pyne, der<br />
<strong>die</strong> Interessen von Indigo Partners vertrat, seine<br />
Vollmachten überschritten zu haben. Pyne hatte<br />
<strong>die</strong> strategische Führung der Airline inne. Pyne<br />
erfuhr von seiner Absetzung, als man ihm am<br />
Morgen den Zugang zu seinem Büro verwehrte.<br />
Mit ihm wurden zwei weitere ausländische Top-<br />
Manager gefeuert. <strong>An</strong> Pynes Stelle wurde Konstantin<br />
Teterin, Ex-Chef der Fluglinie Red Wings, als<br />
CEO eingesetzt.<br />
Moskau-Scheremetjewo und Krasnodar<br />
(seit Januar 2011)<br />
1,33 Millionen<br />
Platz 17 auf der Rangliste der erfolgreichsten russischen<br />
Fluggesellschaften<br />
21 Städte, unter anderem <strong>An</strong>apa, Archangelsk,<br />
Wolgograd, Jekaterinburg, Kaliningrad, Krasnodar,<br />
Perm, Rostow am Don, Samara, St. Petersburg, Ufa<br />
Flugziele im Ausland Keine Simferopol auf der Krim/Ukraine<br />
Beispielbuchung <strong>für</strong> den<br />
16. Juli 2011,<br />
Moskau-Krasnodar<br />
Die Flotte:<br />
Verspätungen<br />
Kundenmeinung:<br />
<strong>An</strong>drej Miroschnitschenko,<br />
21, Politikstudent aus<br />
Kaliningrad<br />
Fünf Flüge im <strong>An</strong>gebot:<br />
Der billigste: 3 500 Rubel (87 Euro) inklusive Gebühren<br />
Der teuerste: 5 300 Rubel (131 Euro) inklusive Gebühren<br />
2 Boeing 737-300<br />
7 Boeing 737-500<br />
Baujahr: 1990-1992<br />
SkyExpress<br />
www.skyexpress.ru<br />
Platz 1 Forbes Ranking der Verspätungen im russischen Flugverkehr<br />
2010<br />
„Von vier Flügen mit SkyExpress waren drei um mehrere Stunden<br />
verspätet, einer davon wurde im Laufe des Tages gleich<br />
mehrfach verschoben, letztlich sind wir erst am nächsten<br />
Tag gestartet. Da<strong>für</strong> habe ich dann allerdings einen Freiflug<br />
bekommen, der Passagieren bei Verspätung ab drei Stunden<br />
zusteht. Einmal wurde <strong>die</strong> Boeing, mit der wir planmäßig<br />
hätten fliegen sollen, ohne Begründung durch eine alte<br />
sowjetische Jak ersetzt. Erklärt wird in solchen Fällen grundsätzlich<br />
nichts. Unhöflich bin ich zwar nie behandelt worden,<br />
aber man hat den Eindruck, dass es bei SkyExpress einfach<br />
unprofessionell zugeht. Entsprechend ist das Echo in diversen<br />
Internetforen – nahezu einhellig negativ.“<br />
3 199 Rubel (79 Euro)<br />
Avianova<br />
www.avianova.ru<br />
Zum Vergleich Aeroflot: 20 525 Rubel (509 Euro)<br />
1 Airbus A320-212<br />
5 Airbus A320-232<br />
Baujahr: 1997 bis 2004<br />
Geleast und registriert in Irland<br />
Platz 4 Forbes Ranking der Verspätungen im russischen<br />
Flugverkehr 2010<br />
„Meine Erfahrungen sind im Großen und Ganzen<br />
positiv. Die Flüge waren fast schon überpünktlich<br />
– mit einer Ausnahme, als ich eine Woche vorher<br />
informiert wurde, dass sich der Flug um einen<br />
Tag verschiebt. Nach den Berichten im Internet<br />
zu urteilen, scheint das eine verbreitete Praxis<br />
zu sein: Bei schwacher Auslastung werden Flüge<br />
zusammengelegt. Die Meinungen über Avianova<br />
sind aus <strong>die</strong>sen und anderen Gründen geteilt. <strong>An</strong><br />
den Flugzeugen habe ich nichts auszusetzen, der<br />
Airbus scheint auch geräumiger und damit komfortabler<br />
zu sein als <strong>die</strong> Boeing von SkyExpress. Als<br />
ich mich in einem halbleeren Flieger einmal über<br />
eine Sitzreihe ausgestreckt habe, hat keiner etwas<br />
gesagt.“<br />
Zusammengestellt von Julia Brand, Tino Künzel, Fotos: 59travel.ru, airliners.net
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Bitte warten<br />
Die russische Post warnt vor längeren Lieferzeiten<br />
Neues Ungemach <strong>für</strong> <strong>die</strong> russische<br />
Post. Eine Verordnung des russischen<br />
Zolls macht den Bemühungen,<br />
internationale Sendungen<br />
schneller auszuliefern, einen Strich<br />
durch <strong>die</strong> Rechnung. Es drohen<br />
wieder längere Wartezeiten.<br />
Von Diana Laarz<br />
So ganz weiß <strong>die</strong> Geschäftsleitung<br />
der Post wohl selbst noch nicht,<br />
wie sich <strong>die</strong> neue Verordnung des<br />
russischen Zolls ab Mitte Juli auf<br />
ihr Alltagsgeschäft auswirken wird.<br />
Die Wartezeit bei internationalen<br />
Sendungen werde sich verlängern,<br />
hieß es kurz nach Bekanntwerden<br />
des Beschlusses. Wenig später verbreitete<br />
<strong>die</strong> russische Presse beruhigende<br />
Nachrichten: Problem<br />
gelöst. Man werde <strong>die</strong> Arbeitsabläufe<br />
einfach anpassen.<br />
Auch wenn es manchem, der<br />
ungeduldig auf sein Paket aus<br />
Deutschland wartete, nicht so<br />
vorgekommen sein mag: Internationale<br />
Sendungen waren in den<br />
Postzentren bislang auf einer Art<br />
Autobahn unterwegs. Sie nahmen<br />
einen gesonderten Weg, <strong>die</strong> Päckchen<br />
aus dem Ausland wurden<br />
schneller als andere abgefertigt.<br />
Das sei unzulässig, befand <strong>die</strong> russische<br />
Zollbehörde und legte fest:<br />
Pakete, <strong>die</strong> nicht innerhalb von<br />
drei Stunden nach dem Eintreffen<br />
im Postzentrum den Zoll durchlaufen<br />
haben, müssen in ein Lager<br />
geschafft werden.<br />
Drei Stunden vom Eintreffen bis<br />
zur Deklarierung – das sei vollkommen<br />
unrealistisch, teilte <strong>die</strong><br />
Die russische Post hat nicht zum ersten Mal Schwierikeiten mit den Lieferzeiten.<br />
Post mit. Die Päckchen müssten<br />
also zwangsläufig zwischengelagert<br />
werden. Die Folgen: Mehr Papierkram,<br />
längere Wartezeiten. „Die<br />
Verordnung widerspricht unserem<br />
Ziel, <strong>die</strong> bürokratischen Hürden zu<br />
senken und das Leben der Bürger<br />
angenehmer zu machen“, hieß es<br />
in einer Mitteilung des Staatsunternehmens.<br />
Es ist nicht das erste Mal, dass<br />
<strong>die</strong> Post wegen Verzögerungen<br />
bei internationalen Sendungen<br />
Schlagzeilen macht. Im Frühjahr<br />
vergangenen Jahres waren Probleme<br />
mit mehreren Internetshops<br />
publik geworden. Unter anderem<br />
wurden Russen vom Auktionsportal<br />
ebay ausgeschlossen, weil<br />
sich <strong>die</strong> Geschäftsbedingungen<br />
nicht mit den langen Lieferzeiten<br />
vereinbaren ließen. Statt wie vorgesehen<br />
zwei Wochen war manch<br />
eine Lieferung zwei Monate untwerwegs.<br />
Die Post steuerte daraufhin<br />
gegen. In den Verteilzentren<br />
wurden mehr Zollbeamte eingesetzt,<br />
sie arbeiteten in Schichten<br />
rund um <strong>die</strong> Uhr. Darüber hinaus<br />
wurden neue Zentren bei Moskau<br />
und in den Regionen eröffnet.<br />
Mit ähnlich pragmatischen Mitteln<br />
will das Staatsunternehmen<br />
jetzt der Verordnung des Zolls<br />
begegnen. Laut der russischen<br />
Zeitung Kommersant haben sich<br />
Zoll und Post schon auf ein vereinfachtes<br />
Zollverfahren geeinigt.<br />
Nach <strong>An</strong>gaben des Post-Generaldirektors<br />
Alexander Kisseljow hat<br />
der Zoll zugestimmt, dass von nun<br />
an, nicht mehr Dokumente <strong>für</strong> jede<br />
einzelne Sendung, sondern nur<br />
noch containerweise ausgefertigt<br />
werden müssen. Damit könne das<br />
Drei-Stunden-Ziel wohl erreicht<br />
werden. Laut Kommersant werden<br />
<strong>die</strong> neuen Regelungen auf den<br />
Logistikkonzern DHL keine Auswirkungen<br />
haben.<br />
russianpost.ru<br />
WIRTSCHAFT<br />
05<br />
Keine Verschwendung<br />
Ölförderer sollen Begleitgas verwerten<br />
Russland verliert jährlich gewaltige<br />
Summen durch das Abfackeln von<br />
Begleitgas bei der Ölförderung. Das<br />
soll sich ändern. Das Umweltministerium<br />
hat den Rohstoffkonzernen<br />
eine Frist bis 2012 eingeräumt.<br />
Ab <strong>die</strong>sem Zeitpunkt dürfen sie<br />
nur noch fünf Prozent des Gases<br />
verbrennen, den Rest müssen sie<br />
wirtschaftlich nutzen. Da<strong>für</strong> sind<br />
Investitionen von rund 7,4 Milliarden<br />
Euro in Kompressorstationen,<br />
Gasspeicher, Transportpipelines und<br />
Kraftwerke nötig.<br />
Von Gerit Schulze (gtai)<br />
Von dem ausgegebenen Ziel sind<br />
<strong>die</strong> russischen Ölkonzerne noch<br />
weit entfernt. Derzeit kommen<br />
sie lediglich auf eine Quote von<br />
75 Prozent bei der Nutzung von<br />
Begleitgas. Im Jahr 2010 haben<br />
sie über 15 Milliarden Kubikmeter<br />
einfach abgefackelt. Das entsprach<br />
einem Sechstel des deutschen Erdgas-Jahresverbrauchs.<br />
Die Gründe <strong>für</strong> den sorglosen<br />
Umgang mit der Ressource sind<br />
vielfältig. Zum einen fehlt in den<br />
unwirtlichen Regionen der russischen<br />
Ölförderung oft <strong>die</strong> Infrastruktur<br />
zur Gewinnung, Speicherung<br />
und Weiterverarbeitung des<br />
Begleitgases. Zum anderen sind<br />
<strong>die</strong> potenziellen Abnehmer des<br />
Rohstoffes weit entfernt und <strong>die</strong><br />
Transportkosten verhältnismäßig<br />
hoch. Es ist in Russland in der<br />
Regel billiger, Erdgas zu fördern als<br />
das Fackelgas aufzubereiten.<br />
Doch das soll nun anders werden.<br />
Ursprünglich drängten <strong>die</strong> Ölkonzerne<br />
<strong>die</strong> Regierung wegen der<br />
Wirtschaftskrise und der daraus<br />
resultierenden niedrigeren Einnahmen<br />
zu einem Aufschub bis<br />
2014. Doch Umweltminister Jurij<br />
Trutnjew bleibt hart und hält am<br />
bisherigen Termin fest. Rohstoff-<br />
Unternehmen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Quote unterlaufen,<br />
drohen drastische Strafen.<br />
Das Umweltministerium hat<br />
errechnet, dass zwischen 2010 bis<br />
2015 Investitionen von 300 Milliarden<br />
Rubel (7,4 Milliarden Euro)<br />
nötig sind, um <strong>die</strong> strengeren<br />
<strong>An</strong>forderungen zu erfüllen. Besonders<br />
<strong>die</strong> Konzerne Rosneft und<br />
Gasprom Neft haben noch Nachholbedarf.<br />
Sie verwerten bislang<br />
nur knapp über <strong>die</strong> Hälfte ihres<br />
Begleitgases. Sollten sie bis 2012<br />
nicht <strong>die</strong> geforderten Grenzwerte<br />
erreichen, müssten sie zusammen<br />
bis zu 283 Millionen Euro Strafen<br />
zahlen, berichteten russische<br />
Wirtschaftszeitungen.<br />
Vorreiter bei der Fackelgas-<br />
Nutzung ist Surgutneftegas. Das<br />
Unternehmen betreibt zwei große<br />
Wärmekraftwerke in Surgut.<br />
Außerdem hat es mehrere kleinere<br />
Gaskraftwerke gebaut, in dem<br />
der Rohstoff zum Einsatz kommt<br />
und zur eigenen Stromversorgung<br />
<strong>die</strong>nt. Nur vier Prozent des Begleitgases<br />
bei Surgutneftegas wurden<br />
2010 abgefackelt.<br />
Diesem Beispiel folgen immer<br />
mehr russische Ölförderer. Sie<br />
werden in den nächsten Jahren<br />
kleinere Gaskraftwerke in der Nähe<br />
der Ölfelder bauen, um ihren eigenen<br />
Stromverbrauch zu decken.<br />
Was ist und was sein sollte<br />
Michael Harms<br />
Vorstandsvorsitzender AHK<br />
Michael Harms, Vorstandsvorsitzender der<br />
AHK berichtet in <strong>die</strong>ser Kolumne regelmäßig<br />
über Entwicklungen in der russischen<br />
Wirtschaft und über Neuigkeiten aus der<br />
Auslandshandelskammer.<br />
Unser und mein Mitgefühl und Beileid<br />
gelten den Opfern und den <strong>An</strong>gehörigen<br />
der Schiffskatastrophe auf der Wolga.<br />
In <strong>die</strong>sem Fall ist <strong>die</strong> Verbundenheit jedoch<br />
noch stärker gefühlt. Zur genau gleichen<br />
Zeit erlebte meine Familie ein wundervolles<br />
Abschlusskonzert auf einem Schiff auf dem<br />
Ladogasee. Unsere Kinder waren begeistert.<br />
Die Besatzung des Schiffes war zuvorkommend,<br />
kompetent und verantwortungsbewusst.<br />
Es war der gelungene Abschluss<br />
einer rundum gelungenen einwöchigen<br />
Schiffsreise von Moskau nach Petersburg.<br />
Umso tiefer war der Schock, als wir von<br />
der Tragö<strong>die</strong> auf der Wolga erfuhren, und<br />
wie so oft drängte sich <strong>die</strong> Frage auf: Wie<br />
können sich in einem Land, das über so<br />
großartige, talentierte und begeisterungsfä-<br />
hige Menschen verfügt, <strong>die</strong> gut ausgebildet<br />
und engagiert sind, immer wieder solche<br />
Katastrophen ereignen? Die <strong>An</strong>twort ist<br />
ebenso grausam wie ernüchternd. Die Ursache<br />
der meisten Unglücke ist eine Mischung<br />
aus Inkompetenz, Verantwortungslosigkeit<br />
und hemmungsloser Gier.<br />
Jeder, der längere Zeit in Russland lebt oder<br />
arbeitet, liebt <strong>die</strong>ses Land, seine Menschen<br />
und das, was Ausländer gern mit „russischer<br />
Seele“ umschreiben. Aber jenseits <strong>die</strong>ser<br />
romantischen Verklärung werden schnell<br />
wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen<br />
als Ursachen sichtbar, <strong>die</strong> wir<br />
als AHK nur allzu oft thematisiert haben.<br />
Es mangelt an Transparenz, an ausgebildeten<br />
Facharbeitern und an Wettbewerb.<br />
Im konkreten Fall ist der Wettbewerb<br />
bei Kreuzfahrten zwar groß, aber auf<br />
Grund der drastischen Preissteigerungen<br />
<strong>für</strong> Schiffs<strong>die</strong>sel, <strong>die</strong> Marge extrem niedrig<br />
und damit <strong>die</strong> Bereitschaft zu notwendigen<br />
Reparaturen oder Inspektionen gering. Hier<br />
wirkt sich der mangelnde Wettbewerb auf<br />
dem Ölmarkt direkt aus. Verschärft wird<br />
<strong>die</strong> Situation dadurch, dass Genehmigungen<br />
auch in <strong>die</strong>ser Wirtschaftssphäre gegen<br />
Zahlung ausgestellt werden; dass dadurch<br />
Menschen zu schaden kommen können,<br />
spielt dabei leider keine Rolle.<br />
Die umgehende <strong>An</strong>ordnung des Präsidenten,<br />
alle Verkehrsmittel auf ihre Verkehrstauglichkeit<br />
zu prüfen und im Notfall<br />
aus dem Verkehr zu ziehen, ist natürlich<br />
richtig, wird solche Katastrophen jedoch<br />
nicht verhindern. Wir alle wollen, dass<br />
Russland zu dem Land wird, das es nach<br />
seinen Möglichkeiten sein könnte. Doch<br />
dazu ist es notwendig, <strong>die</strong> oft angekündigten<br />
Reformen auch endlich in <strong>An</strong>griff<br />
zu nehmen. Die AHK und damit <strong>die</strong><br />
deutsche Wirtschaft werden nicht müde<br />
werden, auf <strong>die</strong>sem Weg ihre aktive Hilfe<br />
anzubieten.<br />
Werden Sie fündig!<br />
Hier finden Sie <strong>die</strong><br />
aktuelle Ausgabe<br />
der MDZ:<br />
Deutsch-Russisches Haus Moskau, ul. Malaja<br />
Pirogowskaja 5; Deutsche Botschaft Moskau,<br />
ul. Mosfilmowskaja 56; Goethe-Institut, Leninskij<br />
Prospekt 95a; Deutsche Wohnsiedlung<br />
Wernadskogo, Prospekt Wernadskogo 103;<br />
Deutsches Historisches Institut, Nachimowskij<br />
Prospekt 51/52; Verband der Deutschen<br />
Wirtschaft, 1. Kasatschij Per. 5; Fluglinie Aeroflot,<br />
Flughafen Scheremetjewo 2; Flughafen<br />
Domodedowo<br />
Hotels<br />
National, Mochowaja 15/1; Metropol, Teatralnyj<br />
Per. 1/4; President Hotel, Bolschaja<br />
Jakimanka 24; Renaissance Hotel, Olimpiskij<br />
Prospekt 18/1; Radisson Slawjanskaja,<br />
Bereschkowskaja Nab. 2; Art Hotel, 3. Peschtschanaja<br />
ul. 2; Swiss-Hotel Krasnyje Cholmy,<br />
Kosmodamianskaja Nab. 52; Baltschug-<br />
Kempinski, ul. Baltschug 1; Marriott Aurora,<br />
Petrowka 11/20; Marriott Grand, Twerskaja<br />
26; Korston Hotel, Kossygina 15; Holiday<br />
Inn, ul. Lesnaja, 15; Sheraton Palace Hotel,<br />
1. Twerskaja-Jamskaja 19; Aquamarine Hotel,<br />
Oserkowskaja 26; Renaissance Moscow<br />
Monarch Centre Hotel, Leningradskij Prospekt<br />
31a, Gebäude 1<br />
Business-Zentren<br />
Business-Center ul. Bachrushina 32/1, Dukat<br />
Plaza 2, Gascheka 7; Olimpique Plaza, Prospekt<br />
Mira 33/1; Legion, Bolschaja Ordynka<br />
40; Proton, Nowozawodskaja ul. 22; World<br />
Trade Center, Krasnopresnenskaja Nab. 12;<br />
Business Center na Mochowoj, Mochowaja<br />
4/7, Gebäude 2; Business Center na Serebrjakowa,<br />
Pr. Serebrjakowa, 6<br />
Cafés, Restaurants<br />
Coffee Bean, Ul. Pjatnitskaja 5, Ul. Pokrowka<br />
18/3; Ul. Sretenka 22/1; Restaurant Deutsches<br />
Eck, Prospekt Wernadskogo, 103; Restaurant<br />
Starina Müller, Bolschaja Suharewskaja<br />
Ploschtschad, 9; Restaurant Mjasnoj Club,<br />
Kuznezkij Most, 19
06<br />
Moskauer<br />
.RU<br />
Sprechen<br />
lernen<br />
NETZWELTEN<br />
<strong>An</strong>deres Russland<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Bei „eRepublik“ bauen sich <strong>die</strong> User ihre eigene Welt – samt Krieg und Kommunisten<br />
Russland ist im Krieg mit Litauen, Lettland und der Türkei, hat <strong>die</strong> Chinesen<br />
mit einem Wirtschaftsembargo belegt. Die Kommunisten stellen<br />
zusammen mit der Mafia <strong>die</strong> Mehrheit in der Duma, Kaliningrad nennt<br />
sich Russlands Hauptstadt und <strong>die</strong> „Prawda“ ist eine oppositionelle Zeitung.<br />
Eine verkehrte Welt. Allerdings nur in der Online-Version des digitalen<br />
Strategiespiels „eRepublik.com“. MDZ-Autorin Yulia Abdullaeva<br />
hat mitgespielt – und so einige erstaunliche Erkenntnisse gewonnen.<br />
wiki.erepublik.com<br />
podfm.ru<br />
Wer gern Geschichten hört, mehr<br />
über Nachrichtenlage in der Welt<br />
erfahren will oder auch einmal zwei<br />
Russen bei einem Gespräch über<br />
typisch deutsche Gewohnheiten<br />
zuhören will, dem bietet <strong>die</strong> Seite<br />
podfm.ru so einiges an Unterhaltung,<br />
<strong>die</strong> nicht selten zum Schmunzeln<br />
bringt. Unter Rubriken wie Politik,<br />
Business, Technologie, Reise, Kino,<br />
Meinungen, Kultur & Kunst finden<br />
sich so genannte Podcasts <strong>für</strong> jeden<br />
Geschmack. Mal kommen sie ganz<br />
professionell daher, wie der täglich<br />
erscheinende Podcast von BBC<br />
Russland, mal mit einem Augenzwinkern<br />
wie der „Informelle Reiseführer<br />
durch Europa“. Die meist<br />
halbstündigen Beiträge lassen sich<br />
entweder direkt auf der Homepage<br />
anhören oder im MP3-Format herunterladen.<br />
Umsonst, versteht sich.<br />
Wen <strong>die</strong> Kreativität packt, hat <strong>die</strong><br />
Möglichkeit, unter <strong>An</strong>leitung sogar<br />
seinen eigenen Podcast zu erstellen<br />
und zu veröffentlichen. Mit einem<br />
Abo liefert <strong>die</strong> Seite podfm.ru den<br />
Lieblingspodcast auch frei Haus auf<br />
den Rechner. <br />
mari<br />
Essen wie <strong>die</strong><br />
Vorfahren<br />
syrnikov.ru<br />
Schon sein Name klingt wie eine<br />
Speise. Mit Quark angerührt, in der<br />
Pfanne gebraten. Doch Maxim Syrnikow<br />
kann sicher nicht nur Syrniki auf<br />
den Tisch bringen, <strong>die</strong>se russischen<br />
Quarkküchlein. Auf seiner Homepage<br />
syrnikov.ru liefert der Profi-Koch den<br />
Beweis – und bringt allerlei Essbares<br />
in <strong>die</strong> digitale Welt. Eigentlich ist<br />
der 45-Jährige Wachmann an einer<br />
Tankstelle. Zumindest ist das in seinen<br />
Arbeitsunterlagen verzeichnet.<br />
Doch seine Leidenschaft gilt dem<br />
Kochen, Backen, Würzen. Eines Tages<br />
setzte er sich ins Auto und fuhr drauf<br />
los – zu den Babuschkas, <strong>die</strong> ihm <strong>die</strong><br />
alten russischen Kochrezepte verraten<br />
sollten. Solch Nationalgerichte<br />
wie Kalitotschka aus Karelien (sie<br />
sollen an <strong>die</strong> russischen Piroschki<br />
erinnern), <strong>die</strong> Brötchen namens<br />
Schaneschki oder <strong>die</strong> Suppe „Botwinja“<br />
wären vielleicht ohne ihn verloren<br />
gewesen. Nun stehen sie in Syrnikows<br />
Kochbuch – und auf der Seite, <strong>die</strong><br />
sehr schlicht gehalten ist. Manche<br />
Gerichte werden mit Bildern versehen,<br />
das Aussehen anderer ließe sich<br />
wohl nur durchs eigene Kochen und<br />
Backen erfahren. Um dem Ganzen<br />
einen altertümlichen <strong>An</strong>strich zu verpassen,<br />
hat Syrnikow einige Wörter<br />
ins Altrussische gesetzt. Das tut der<br />
Lust, <strong>die</strong> Rezepte nachkochen zu<br />
wollen, keinen Abbruch. Also ran an<br />
<strong>die</strong> Töpfe! <br />
inn<br />
Es geht um ein Massen-Online-<br />
Spiel, das seit Oktober 2008 existiert.<br />
Der Franzose Alexis Bonte,<br />
der Gründer der „eRepublik“<br />
beschreibt seine Schöpfung so:<br />
„Wir bieten den Menschen einen<br />
Platz, wo sie eine schnelle Testversion<br />
des realen Lebens ausprobieren<br />
können.“ Jeder Spieler wählt<br />
selbst, womit er sich beschäftigen<br />
will: Politik, Wirtschaft, Journalistik<br />
oder Militär. Das Land ist<br />
auch frei wählbar. Doch Achtung:<br />
Einige Teile des Landes könnten<br />
okkupiert sein. Es gibt zwei große<br />
Herausforderungen, <strong>die</strong> zu überleben<br />
helfen: Handel und Krieg.<br />
Freunde und <strong>An</strong>hänger lassen sich<br />
in politischen Parteien finden.<br />
Im Gegensatz zu den meisten<br />
digitalen Spielen verlangt „eRepublik“<br />
einem weniger Zeit ab.<br />
Zehn Minuten am Tag reichen<br />
vollkommen aus, um alle Aufgaben<br />
– vom Essen über Sport bis<br />
hin zur Teilnahme an Parteisammlungen<br />
– zu erfüllen. Doch kaum<br />
ist man Neubürger der Republik<br />
geworden, steckt man auch schon<br />
drin. Schließlich wollen <strong>die</strong> eigenen<br />
Ideen realisiert werden. „Viele<br />
User bringen in der eRepublik<br />
ihre echten Leidenschaften und<br />
Wünsche ein“, sagt Bonte. Beispiel:<br />
Russland hat bereits zweimal <strong>die</strong><br />
USA angegriffen. Mit Erfolg. Seit<br />
März 2011 befinden sich mehr als<br />
20 eLänder im Krieg. Im fünften!<br />
Russland und <strong>die</strong> USA gehören zu<br />
einer Koalition. „Terra“ nennt sie<br />
sich. Deutschland und Japan sind<br />
auch dabei. Glücklicherweise nur<br />
in der digitalen Welt.<br />
Der 34-jährige Bonte hat in seinem<br />
Spiel seine eigenen Ambitionen<br />
verwirklicht: Zu Beginn<br />
gründete er eine Partei und ließ<br />
sich zum Präsidenten von „eFrankreich“<br />
wählen. Nach seiner „Amtszeit“<br />
stellt er ernüchtert fest: „Als<br />
Unternehmer glaube ich an niedrige<br />
Steuern und Konkurrenz. In<br />
dem Spiel habe ich alle meine<br />
Ideen realisiert, und Frankreich<br />
schlitterte in <strong>die</strong> Staatspleite. Ich<br />
war ein schrecklicher Präsident.<br />
Das Parlament hat eine Klage<br />
gegen mich erhoben. Meine Partei<br />
fiel bei den nächsten Wahlen bei<br />
den Leuten komplett durch.“<br />
„eRepublik“ bestimmt nicht,<br />
welche politischen und gesellschaftlichen<br />
Systeme aufgebaut<br />
werden sollen, erzählt Bonte. Es<br />
gibt erfolgreiche kommunistische<br />
Gesellschaften. In Pakistan wollte<br />
ein Spieler „göttlicher Imperator“<br />
werden. Und er wurde gewählt.<br />
Jeder kann hier einiges auf <strong>die</strong><br />
Beine stellen. Im echten Leben<br />
können <strong>die</strong> Menschen nur selten<br />
<strong>die</strong> Weltgeschichte beeinflussen,<br />
bei „eRepublik“ funktioniert das<br />
wunderbar.<br />
Die oppositionelle Presse ist laut<br />
und spricht ganz offen. Täglich<br />
erscheinen Aufrufe à la „Alle, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Übermacht der Dummköpfe<br />
in unserem Kabinett satt haben,<br />
können sich unserer Koalition<br />
anschließen. Befreie Russland!“.<br />
Dieser Artikel ist mit Aufnahmen<br />
Trickfilmfiguren wie der „Briefträger Petschkin“ mischen bei „eRepublik“ auch mit.<br />
von echten Kundgebungen illustriert.<br />
Trotz der großen Zahl der<br />
Nicht-Einverstandenen hat der<br />
gewählte Präsident mit dem hübschen<br />
Namen „Axithe“ mehr als 60<br />
Prozent aller Stimmen geholt. Um<br />
satt und sicher zu leben, schließt<br />
man sich am besten der regierenden<br />
Partei an. Wie in der Realität.<br />
Die Gründer der „eRepublik“<br />
meinen, ihr Projekt sei auch <strong>für</strong><br />
Psychologen interessant: Schließlich<br />
lasse sich daran sehen, wie<br />
idealistisch <strong>die</strong> Träume der Menschen<br />
seien.<br />
Die „eRepublik“ hat sogar ihr eigenes<br />
Wikipedia. Die Wiki-basierte,<br />
mehrsprachige Enzyklopä<strong>die</strong> existiert<br />
seit 2008 und hat mittlerweile<br />
mehr als 16 000 Artikel in 36 Sprachen.<br />
Runet bietet außerdem einige<br />
Seiten <strong>für</strong> <strong>die</strong> russischsprachigen<br />
Spieler. Die größte, www.erespublika.ru,<br />
berichtet täglich über alles,<br />
was in „eRussland“ passiert. Auf<br />
der Titelseite gibt es drei Rubriken:<br />
wirtschaftliche und geopolitische<br />
Nachrichten, Bestimmungen des<br />
Verteidigungsministeriums und<br />
eine Liste von Schlüsselfiguren in<br />
der Regierung. Es gibt auch zahlreiche<br />
Artikel und <strong>An</strong>weisungen<br />
<strong>für</strong> Neulinge.<br />
2011 hat <strong>die</strong> britische Zeitung<br />
„The Daily Telegraph“ <strong>die</strong> Onlinewelt<br />
von Alexis Bonte zu einem der<br />
besten Start-Up Projekte des Jahres<br />
ernannt. Das Spiel wird auch<br />
von den Spielern hoch geschätzt:<br />
„eRussland hat ein dramatisches<br />
Schicksal. Es hat heftigen Aufschwung<br />
erfahren und vernichtende<br />
Schläge, unsterbliche Helden<br />
und erbärmliche Verräter erlebt.<br />
Der Hauptwert <strong>die</strong>ses Spiels sind<br />
<strong>die</strong> Menschen, ihre Individualität<br />
kann sich hier mehr als irgendwo<br />
anders im Netz zeigen. Unabhängig<br />
davon, wer man ist, kann man<br />
in eRepublik zur Legende werden“,<br />
schreibt einer.<br />
Das virtuelle Russland scheint<br />
paradox und absurd. Doch unterscheidet<br />
es sich nicht so sehr von<br />
seinem realen Urbild. Sciencefiction-Autor<br />
Sergej Djatschenko<br />
schrieb in seinem Roman „Hinrichtung“:<br />
„Diejenigen, <strong>die</strong> wirklich ein<br />
warmes Plätzchen finden können,<br />
finden das in jeder Welt. Sie spielen<br />
große Politik und wirtschaften<br />
mit Millionen – und glauben<br />
nicht an Märchen.“ Die digitale<br />
Welt der „eRepublik“ hat <strong>die</strong>selben<br />
Werte: Brot, Waffen und mächtige<br />
Bekannte. Seinen Weg wählt jeder<br />
selbst.<br />
Gegen Schwule gewettert – vom Posten geflogen<br />
Der Erfinder einer digitalen Utopie: der Franzose Alexis Bonte.<br />
Journalist wünschte in seinem Blog „allen Schwuchteln“ den Tod, nun sucht er einen neuen Job<br />
Er schrieb über „Verbrecher“, über<br />
menschliche Abweichungen und<br />
Gefahren auf den Flugplätzen <strong>die</strong>ser<br />
Erde. Über Laserangriffe auf<br />
Flugzeuge, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Piloten bei der<br />
Landung blenden. Nikolaj Troizkij<br />
verfasste <strong>die</strong>se Meldung <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> russische Nachrichtenagentur<br />
RIA Nowosti. Es war seine letzte.<br />
Denn <strong>die</strong> staatliche Agentur hat<br />
sich in <strong>die</strong>sem Monat von Troizkij<br />
getrennt – wegen Aufwiegelung zur<br />
Gewalt gegen Homosexuelle und<br />
Verstoßes gegen den Ethik-Kodex<br />
der Nachrichtenagentur.<br />
Eine Bombe müsste gebaut werden,<br />
„<strong>die</strong> nur Schwuchteln tötet.<br />
Wenn <strong>die</strong>se perversen Schweine<br />
verrecken würden, wäre <strong>die</strong> Erde<br />
viel sauberer“, schrieb Troizkij und<br />
bezog sich dabei auf <strong>die</strong> Gay-Parade<br />
in Berlin. Natürlich nicht als politischer<br />
Korrespondent, sondern in<br />
seinem Blog „kutuzov.livejournal.<br />
com“. „Ich wiederhole: Das hat<br />
weder mit Freiheit noch mit Demokratie<br />
zu tun. Das sind Viecher, <strong>die</strong><br />
das menschliche <strong>An</strong>tlitz verloren<br />
haben. In Russland wird es so<br />
etwas Abscheuliches nicht geben.“<br />
Er meinte das ernst, wie auch sein<br />
mittlerweile ehemaliger Arbeitgeber<br />
es ernst mit der Kündigung Troizkijs<br />
meint. „Wir unterziehen <strong>die</strong><br />
Blogs unserer Journalisten keinerlei<br />
Zensur, dennoch müssen sie ihre<br />
Meinung auf zivilisierte Weise zum<br />
Ausdruck bringen“, sagte <strong>die</strong> RIA-<br />
Nowosti-Chefredakteurin Swetlana<br />
Mironjuk.<br />
Der Skandal löste zahlreiche Reaktionen<br />
im Runet aus. Die einen<br />
beharren darauf, Troizkij habe<br />
lediglich seine persönliche Meinung<br />
ausgedrückt, <strong>die</strong> rein gar nichts<br />
mit seinem Job zu tun habe. Die<br />
anderen setzen sich vehement da<strong>für</strong><br />
ein, sowohl im Privaten als auch im<br />
Beruflichen müsse man „aufrichtig<br />
und verantwortlich“ reagieren, wie<br />
es Wladimir Warfolomejew vom<br />
Radiosender „Echo Moskwy“ nannte.<br />
Der Journalist Sergej Parchomenko<br />
teilte auf der Seite „Snoba“<br />
mit: „Jeder, egal ob professioneller<br />
Journalist oder Blogger, muss sich<br />
dessen bewusst sein, dass er unter<br />
seinem eigenen Namen schreibt.<br />
Also muss er auch dazu stehen, was<br />
er da verfasst hat, sich dem stellen.“<br />
Auch Troizkij steht zu seinen Äußerungen<br />
– und weiterhin zu seiner<br />
homophoben Meinung. „Man hat<br />
mich der political correctness und<br />
den europäischen Werten geopfert“,<br />
schrieb er in seinem Blog. inn<br />
Grundstück zu verkaufen,<br />
14,36 Hektar<br />
Noworischskoje Chaussee,<br />
45 km vom MKAD,<br />
Grundstück erschlossen,<br />
<strong>für</strong> industriellen Gebrauch<br />
Alle Dokumente geschäftsfertig<br />
Tel: +7 (910) 44 11 22 9
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Verluste an der Heimatfront<br />
01<br />
Er war einer der 279 000 Einberufenen<br />
im ganzen Land. Und ist<br />
einer der neun Toten von mehr als<br />
3 000 „nicht statutgemäßen Beziehungen“,<br />
wie <strong>die</strong> Armeesprache<br />
<strong>die</strong> Verbrechen beim russischen<br />
Militär nennt. Statistiken. Militärstaatsanwalt<br />
Sergej Fridinskij<br />
legt sie jedes Jahr vor. Seit Jahren<br />
steigen <strong>die</strong> Zahlen. Dabei hätten sie<br />
abnehmen sollen, sagt Fridinskij.<br />
Das sagten auch <strong>die</strong> Be<strong>für</strong>worter<br />
der Reformen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Zahl von<br />
Berufssoldaten, der „Kontraktniki“,<br />
auf bis zu 15 Prozent aller Armeeangehörigen<br />
anheben wollen. Die<br />
Dienstzeit sei doch nun kürzer.<br />
Es seien auch offizielle Stellen<br />
geschaffen worden – wenn auch zu<br />
wenige, an <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Gepeinigten<br />
in ihrer Not wenden könnten.<br />
Warum also schwindet <strong>die</strong> Zahl<br />
der Opfer nicht? Die Zahl der<br />
Geschundenen, Drangsalierten,<br />
Gedemütigten? Der Toten? Er findet<br />
keine <strong>An</strong>twort. Nur Statistiken.<br />
2009 seien es 2 663 Fälle gewesen,<br />
2010 um ein Drittel mehr. 1 400<br />
Soldaten und Offiziere seien im<br />
vergangenen Jahr verurteilt worden,<br />
doppelt so viel wie noch ein<br />
Jahr zuvor. Auch in den ersten<br />
Monaten <strong>die</strong>ses Jahres habe es<br />
bereits zwei Tote gegeben.<br />
„Das Armeesystem Russlands<br />
ist ein wahres Schachspiel. Die<br />
jungen Soldaten sind <strong>die</strong> Bauern,<br />
sie fliegen als Erste. Sie werden<br />
bei der kleinsten Störung umgeworfen,<br />
gebrochen. Und ist einer<br />
erst mal weg, kräht kein Hahn<br />
mehr nach ihm. Es gibt ja weitere<br />
Bauern. Es ist eine grausame<br />
Tradition.“ Veronika Martschenko<br />
wählt drastische Worte, hier in<br />
ihrem vollgestellten Büro im Moskauer<br />
Zentrum. Die 42-Jährige ist<br />
<strong>die</strong> Vorsitzende der Stiftung „Das<br />
Recht der Mutter“, einer aus dem<br />
Ausland finanzierten Organisation,<br />
<strong>die</strong> sich um <strong>die</strong> Familien der<br />
in der Armee getöteten Soldaten<br />
kümmert. Martschenko hat zu viel<br />
gesehen, zu viel gehört, als dass<br />
sie zimperlich mit ihren Sätzen<br />
umgehen könnte. Seit 1989 kämpft<br />
sie den Kampf. Seit eine Mutter sie<br />
anrief und von ihrem toten Sohn<br />
sprach. Martschenko fuhr hin,<br />
sammelte Materialien, veröffentlichte<br />
schließlich in der Zeitschrift<br />
„Junost“ ihren Text. „Rost“ hatte<br />
sie ihn genannt, beschrieb darin<br />
<strong>die</strong> Qualen, <strong>die</strong> Demütigungen des<br />
Soldaten Sascha Alurdos. Nach<br />
sechs Monaten nahm er den Strick.<br />
Sascha Ussatschow schoss sich<br />
nach vier Monaten in den Kopf.<br />
Wie sagte doch Lenin 1918? „Das<br />
Militärwesen auf echte Weise kennen<br />
lernen!“ Ein Satz, den im flächengrößten<br />
Staat der Erde jeder<br />
kennt. Die systematische Misshandlung<br />
der Soldaten, <strong>die</strong> brutale<br />
Herrschaft der Älteren über <strong>die</strong><br />
Jüngeren, der Stärkeren über <strong>die</strong><br />
Schwächeren gehört seit Jahrhunderten<br />
zur <strong>Macht</strong>konstruktion in<br />
der russischen Armee. „Dedowschtschina“,<br />
<strong>die</strong> Herrschaft der<br />
Großväter, findet sich in jedem<br />
modernen russischen Wörterbuch.<br />
Das Wort schreibt sich längst ohne<br />
<strong>An</strong>führungszeichen, es ist jedem<br />
ein Begriff. „Es herrscht das Faustrecht.<br />
Ein wahrer Darwinismus“,<br />
sagt Veronika Martschenko. Häufig<br />
konfiszieren <strong>die</strong> Offiziere den<br />
privaten Besitz ihrer Soldaten, sie<br />
„Das Armeesystem Russlands ist ein Schachspiel. Die<br />
jungen Soldaten sind <strong>die</strong> Bauern, sie fliegen als Erste.“<br />
Veronika Martschenko, Vorsitzende der Stiftung<br />
„Das Recht der Mutter“<br />
„Viele Männer verlassen <strong>die</strong> Armee mit<br />
Traumata“, sagt Veronika Martschenko<br />
von „Das Recht der Mutter“.<br />
Inna Hartwich<br />
nehmen sich ihre Essensrationen,<br />
nehmen sich den Sold. Sie missbrauchen<br />
sie als Arbeitssklaven,<br />
mag der Job noch so sinnlos und<br />
demütigend sein, verleihen sie<br />
gar als Fremdarbeiter an Firmen<br />
– gegen Geld. Sie quälen, prügeln,<br />
vergewaltigen. Bereits im 19.<br />
Jahrhundert tauchten <strong>die</strong> ersten<br />
„Dedowschtschina“-Fälle auf. 1919<br />
quälten drei Soldaten in der Roten<br />
Armee einen Kameraden zu Tode.<br />
Erst seit 1982 werden <strong>die</strong> Gewaltfälle<br />
untersucht. „Mittlerweile bilden<br />
sich nicht mehr so schnell <strong>die</strong><br />
Hierarchien heraus. Heutzutage<br />
sind es nicht nur Offiziere, <strong>die</strong><br />
ihre Untergebenen misshandeln,<br />
es können auch Soldaten ihre<br />
Kameraden oder Soldaten ihre<br />
Vorgesetzen quälen. Das Recht<br />
des Stärkeren siegt. Das Problem<br />
bleibt aber. Viele Männer verlassen<br />
<strong>die</strong> Armee mit Traumata jeglicher<br />
Art“, sagt Veronika Martschenko<br />
und geht ans Telefon. Es ist wieder<br />
eine Mutter, <strong>die</strong> ihr Kind verloren<br />
hat, <strong>die</strong> nach Hilfe sucht. <strong>An</strong> der<br />
Wand neben ihr hängt ein Plakat.<br />
„Das Schwierige ist etwas, das man<br />
sofort erledigen kann, das Unmögliche<br />
wird einige Zeit in <strong>An</strong>spruch<br />
nehmen“, steht darauf. „Ich bin<br />
froh, dass ich eine Tochter habe“,<br />
sagt sie später.<br />
Dedowschtschina<br />
Manchmal schließt Natalja<br />
Ussatschowa wirklich <strong>die</strong> Augen,<br />
träumt sich weg. Sie versucht<br />
es, immer und immer wieder. Es<br />
gelingt ihr nicht. Es gibt keinen Ort,<br />
an den sie fliehen könnte, alles hinter<br />
sich lassen, <strong>die</strong> Erinnerungen,<br />
<strong>die</strong> Tränen, <strong>die</strong> Schmerzen. Ihre<br />
Tabletten. Es gibt nichts, das sie<br />
aus <strong>die</strong>ser Ein-Zimmer-Wohnung<br />
mit einem Mini-Balkon in <strong>die</strong>sem<br />
fünfstöckigen grauen Backsteinbau<br />
katapultieren könnte, aus <strong>die</strong>sem<br />
Dorf, das sich einst vom Holzverarbeitungswerk<br />
ernährte und im<br />
Kulturhaus 200 Meter weiter laute<br />
Feste feierte. Zwei Straßen sind<br />
geblieben, staubige Wege mit einer<br />
Bushaltestelle. Keiner hier nennt<br />
den Ort Juschnyj, jeder spricht<br />
nur von Dok, dem Werk. Doch <strong>die</strong><br />
Fabrik hat längst zugemacht, der<br />
Klub bröckelt vor sich hin.<br />
Zu viert haben sie in der Wohnung<br />
gelebt. Vater, Mutter, Tochter,<br />
Sohn. Das Ehebett hatten sie mit<br />
einem Vorhang abgetrennt, <strong>die</strong><br />
Kinder schliefen auf dem Sofa. Die<br />
Kinder machten ohnehin vieles<br />
gemeinsam. In <strong>die</strong> Schule laufen,<br />
zu den Verwandten fahren, auf der<br />
Datscha helfen. Natalja Ussatschowa<br />
schaut sich gern <strong>die</strong> Bilder an.<br />
Fotos von früher, von glücklichen<br />
Zeiten. Sascha, der schüchtern<br />
dreinblickende Junge. Sascha, der<br />
Schaschlik kauende Sohn. Sascha<br />
mit Marina, der Schwester. Sie<br />
posieren vor der Kamera, sie umarmen<br />
den Vater, stoßen mit der<br />
Mutter auf das Neue Jahr an. Natalja<br />
Ussatschowa lächelt, streicht<br />
über das Gesicht ihres Sohnes.<br />
Sie strich ihm auch über den<br />
Kopf, als sie ihn aus der Kaserne<br />
brachten. Tot. „Warum?“ Die<br />
Tränen laufen ihr über <strong>die</strong> Wangen.<br />
Er hinterließ nichts, keinen<br />
Abschiedsbrief, keine Erklärungen.<br />
Es bleiben nur <strong>die</strong> Gedanken. Ihre<br />
Erinnerungen an <strong>die</strong> Besuche bei<br />
den Verwandten in Tambow. Ihre<br />
Vorstellungen von der Zukunft.<br />
„Er wäre Polizist geworden, ein<br />
guter Ehemann, ein sich sorgender<br />
Vater.“ Ihr Mann Wladimir spricht<br />
nicht gern über den Tod. Er arbeitet,<br />
um seinen Schmerz loszuwerden.<br />
Es hilft nicht.<br />
Suizid ist eine der häufigsten<br />
Ursachen, aus der Armee auszuscheiden,<br />
ein Drittel wählt den<br />
Freitod. <strong>An</strong>dere 30 Prozent der<br />
Militärs erkranken schwer, werden<br />
entlassen. Und ein weiteres Drittel<br />
verletzt sich bei Unachtsamkeiten<br />
– weil es eine Waffe nicht benutzen<br />
kann, <strong>die</strong> Instruktion nicht richtig<br />
befolgt hat. „Immer noch versucht<br />
<strong>die</strong> Armee, viele Fälle zu vertuschen“,<br />
sagt Veronika Martschenko.<br />
„Meist wird der Tod eines Soldaten<br />
als Unfall vermeldet. Manche Militärärzte<br />
verschließen <strong>die</strong> Augen,<br />
untersuchen den Fall nicht weiter.<br />
In vielen Fällen ist es Mord.“<br />
Am 29. März 2010 riefen sie an,<br />
morgens um 10. Irgendein Mann,<br />
später noch einer. Sie sagten, was<br />
Natalja Ussatschowa nie hören<br />
wollte. Sie fiel um. Vier Mal hatte<br />
sie ihren Sascha gesehen, seit er in<br />
der Kaserne war. Die Haare kurz<br />
unter der grauen Armeemütze.<br />
„Es geht mir gut, Mama“, sagte er,<br />
bei den Besuchen zu Hause, am<br />
Telefon. Sie gab ihm Geld. Immer<br />
wieder 150 Rubel, dann 8 000 Rubel<br />
– <strong>für</strong> den Führerschein. 30 000<br />
Rubel konnte er nicht mehr aufbringen.<br />
30 000, von denen sie erst<br />
später hörte, im Gericht. Da sah sie<br />
den Offizier ihres Sohnes wieder,<br />
den 24-jährigen Wladimir Frisen.<br />
Die Herrschaft der „Deds“, der Großväter, nennt sich das hierarchische System in der russischen Armee, das <strong>die</strong> Misshandlung<br />
von Rekruten bezeichnet. In der offiziellen Militärsprache heißt es „nicht statutgemäße Beziehungen“ und bezeichnet damit<br />
alle Fälle, <strong>die</strong> nicht in den Regularien der Armee beschrieben werden. Meist geht es dabei um <strong>die</strong> Misshandlung von Jüngeren<br />
durch <strong>die</strong> Älteren. Mittlerweile wird der Begriff auch verwendet, um alle Fälle von Gewalt zwischen Militärangehörigen in der<br />
Armee zu bezeichnen.<br />
Der Begriff stammt aus dem Militärslang. Als <strong>die</strong> Dienstzeit noch bei zwei Jahren lag, wurden <strong>die</strong> jungen Männer, <strong>die</strong> kurz vor<br />
der Einberufung standen, als „Gerüche“ bezeichnet. „Igel“ oder „Spatzen“ hießen <strong>die</strong> Soldaten, <strong>die</strong> weniger als ein halbes Jahr<br />
ge<strong>die</strong>nt haben, „Raben“ waren solche, <strong>die</strong> seit einem halben Jahr dabei waren. „Fasanen“ hießen Soldaten, <strong>die</strong> seit einem Jahr<br />
<strong>die</strong>nten. Und „Großväter“, <strong>die</strong> mehr als 1,5 Jahre in der Armee waren. Die erste und wichtigste Regel in <strong>die</strong>sem System: „Der<br />
Großvater hat immer Recht“.<br />
Am 1. Januar 2008 wurde <strong>die</strong> Dienstzeit in Russland auf ein Jahr verkürzt.<br />
Laut <strong>die</strong>sjähriger Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums in Moskau wollen 54 Prozent aller Befragten ihre Verwandten<br />
nicht in der russischen Armee sehen. 41 Prozent von ihnen suchen nach Mitteln, nicht hingehen zu müssen. Die meisten zahlen<br />
Schmiergelder. Die Soziologen befragten 1600 Menschen ab 18 Jahren in 130 Orten aus 45 Regionen Russlands.<br />
Zwei besonders schwere Dedowschtschina-Fälle wurden auch international bekannt. Fall <strong>An</strong>drej Sytschow: In der Neujahrsnacht<br />
2006 prügeln mehrere Rekruten in Tscheljabinsk stundenlang auf den 19-jährigen Sytschow ein. Die Ärzte amputieren<br />
ihm später beide Beine, Teile des rechten Armes und <strong>die</strong> Genitalien. Im September 2006 verurteilt das Garnisongericht in<br />
Tscheljabinsk den Hauptangeklagten Alexander Siwjakow zu vier Jahren Haft. Zwei weitere <strong>An</strong>geklagte bekommen eine<br />
Freiheitsstrafe von 1,5 Jahren. Sie wird auf Bewährung ausgesetzt.<br />
Fall Roman Suslow: Im Mai 2010 macht sich der junge Soldat Suslow aus Omsk in seine Kaserne in Bikin an der chinesischen<br />
Grenze auf. Er kommt nie dort an. Die Eltern werden über den Tod ihres Sohnes informiert. Er habe sich umgebracht, heißt es.<br />
Die Suslows werfen der Armee vor, ihrem Roman seien Organe entnommen worden. Die Stiftung „Das Recht der Mutter“ kann<br />
<strong>die</strong> Organentnahme nicht bestätigen. Die Verhandlungen dauern weiter an. <br />
inn<br />
GESELLSCHAFT<br />
07<br />
Alexander Ussatschow (oben) trug nur kurz seine Armee-Uniform. Nach vier<br />
Monaten brachte das Militär seine Leiche zu seiner Mutter Natalja nach Juschnyj.<br />
„Er war immer so nett zu Sascha.“<br />
Frisen saß auf der <strong>An</strong>klagebank<br />
– wegen Misshandlung ihres<br />
Sohnes. Soldaten erzählten von<br />
systematischen Geldforderungen<br />
Frisens, von Streit mit Alexander<br />
Ussatschow. Keiner hatte den<br />
Schuss gehört. Einer der Befehlshaber<br />
hatte am Morgen <strong>die</strong> Leiche<br />
gefunden.<br />
Sieben Monate und 17 Tage nach<br />
Alexander Ussatschows Beerdigung<br />
sprach der Richter sein Urteil:<br />
„4,5 Jahre Strafkolonie wegen<br />
Korruption und Überschreitung<br />
der Kompetenzen mit schwerwiegenden<br />
Folgen“. Natalja Ussatschowa<br />
schließt <strong>die</strong> Augen. Sie weint.<br />
autor.info<br />
Eine dicke Scheibe Brot, eine<br />
genau solche Schicht Butter<br />
und Wurst darauf. Wurst! Natalja<br />
Ussatschowa ist besorgt.<br />
Jemand, der reist, müsse gut<br />
essen, sagt sie. Das „Butterbrot“<br />
liegt vor mir, ich beiße hinein.<br />
Auch wenn ich seit Jahren keine<br />
Wurst mehr zu mir genommen<br />
habe. Erst dann fängt sie<br />
an zu erzählen. Sie erlebt <strong>die</strong><br />
Geschichte noch einmal, <strong>die</strong>se<br />
Geschichte, <strong>die</strong> sie ihre Außenwelt<br />
nur noch mit Tabletten<br />
ertragen lässt – den Tod ihres<br />
Sohnes bei der russischen<br />
Armee. Natalja Ussatschowa<br />
weint, sie entschuldigt sich, geht<br />
immer wieder ins Bad. Dann<br />
fragt sie: „Haben Sie noch Fragen?“<br />
Höflich, leise. Wie beendet<br />
man das Gespräch, wie verlässt<br />
man einen Menschen, der noch<br />
einmal das Schrecklichste in<br />
seinem Leben ertragen musste?<br />
Stille. Was ist da schon ein<br />
Wurstbrot! Inna Hartwich<br />
privat, Inna Hartwich
08<br />
Moskauer<br />
Von Petersburger Träumen<br />
<strong>An</strong>ne Hofinga ist einen großen<br />
Schritt weiter. Wieder ein bisschen<br />
näher an einem sozialeren Russland.<br />
In <strong>die</strong>sem Jahr nimmt beim<br />
Petersburger Dialog das von ihr<br />
initiierte Sozialforum <strong>die</strong> Arbeit<br />
auf.<br />
Hofinga hat ganz klein angefangen.<br />
Sie wollte Russischlehrerin<br />
werden und verbrachte deshalb ein<br />
Jahr ihres Studiums in der Sowjetunion.<br />
Nach dem Zusammenbruch<br />
des Systems baten ehemalige Stu<strong>die</strong>nkollegen<br />
aus Russland um<br />
humanitäre Hilfe. Hofinga startete<br />
daraufhin in Deutschland einen<br />
Spendenaufruf – und sammelte<br />
prompt mehr, als sie gehofft<br />
hatte. Den Spendern verpflichtet<br />
ging sie als junge Frau nach Russland.<br />
Ge plant waren zwei Jahre<br />
– daraus sind inzwischen mehr als<br />
20 geworden. Noch 1990 gründete<br />
sie den Verein „Russlandhilfe“,<br />
1998 das russische Pendant „Zentrum<br />
Perspektive“ in Moskau, das<br />
seither zahlreiche russische NGOs<br />
koordiniert und fördert.<br />
Seit einigen Jahren ist <strong>An</strong>ne<br />
Hofinga, 52 Jahre alt, auch beim<br />
Petersburger Dialog in der Arbeitsgruppe<br />
<strong>für</strong> Zivilgesellschaft aktiv.<br />
Jahrelang warb sie <strong>für</strong> ihre Idee<br />
eines Sozialforums. Unterstützung<br />
habe sie besonders bei russischen<br />
Vertretern bekommen. „<strong>An</strong>ders<br />
als manch einer vielleicht denken<br />
mag, ging gerade auf der russischen<br />
Seite alles ziemlich schnell und<br />
unkomp liziert“, sagt Hofinga. 2010<br />
wurde das Sozialforum offiziell mit<br />
sechs Gründer-NGOs ins Leben<br />
gerufen, in <strong>die</strong>sem Jahr nimmt das<br />
Forum seine Arbeit auf.<br />
Das Sozialforum hat es sich<br />
zur Aufgabe gemacht, den Fachaustausch<br />
zu fördern und neue<br />
Themen anzupacken, und zwar<br />
sowohl auf russischer als auch auf<br />
deutscher Seite. Als Plattform <strong>für</strong><br />
das Sozialforum wird weiterhin<br />
der Petersburger Dialog <strong>die</strong>nen,<br />
ab <strong>An</strong>fang Juli zudem eine eigene<br />
Homepage. Interesse an dem<br />
Forum hätten bereits über 120<br />
meist russische, aber auch deutsche<br />
Organisationen angemeldet,<br />
sagt <strong>An</strong>ne Hofinga. Zu den Themen<br />
des Forums gehören zum<br />
Beispiel <strong>die</strong> Erwachsenenförderung<br />
von geistig behinderten Menschen,<br />
<strong>die</strong> Wiedereingliederung<br />
von jugendlichen Strafgefangenen,<br />
<strong>die</strong> Integration und Begleitung von<br />
Migranten und <strong>die</strong> Arbeit mit verhaltensauffälligen<br />
Kindern.<br />
Dem Petersburger Dialog<br />
schreibt Hofinga eine sehr wichtige<br />
Rolle zu. Nicht unbedingt<br />
wegen der Ergebnisse, <strong>die</strong> er hervorbringt,<br />
sondern vor allem aufgrund<br />
des Zugangs, den er kleinen<br />
Nichtregierungsorganisationen<br />
zu höheren staatlichen Ebenen<br />
in Russland verschafft und seiner<br />
konkreten Wirkung auf <strong>die</strong><br />
Politik. Russische Organisationen<br />
hätten oft mit Behörden zu kämpfen,<br />
<strong>die</strong> ihnen beispielsweise willkürlich<br />
das kostenlose Nutzungsrecht<br />
von Räumen entzögen, so<br />
Hofinga. Unterstützer mit Einfluss<br />
seien schwer zu finden. Dank des<br />
Petersburger Dialogs bewege sich<br />
allerdings etwas, und zwar auch<br />
auf höchster Ebene.<br />
In seiner Rede an <strong>die</strong> Nation<br />
2009 habe Dmitrij Medwedew<br />
im <strong>An</strong>schluss an den Dialog vom<br />
Sommer 2009 zum ersten Mal in<br />
aller Ausführlichkeit soziale Probleme<br />
angesprochen und Begriffe,<br />
<strong>die</strong> beim Petersburger Dialog<br />
geprägt worden seien, übernommen,<br />
sagt <strong>An</strong>ne Hofinga. Aber<br />
auch im kleineren Maßstab habe<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Unter dem Motto „Bürger, Gesellschaft und Staat – Partner<br />
im Modernisierungsprozess“ treffen sich in <strong>die</strong>sem Jahr<br />
Experten aus Deutschland und Russland zum 11. Petersburger<br />
Dialog in Wolfsburg und Hannover. Zum Abschlussplenum<br />
werden <strong>An</strong>gela Merkel und Dmitrij Medwedew erwartet.<br />
Der Dialog ist zuallererst eine Diskussionsplattform<br />
– acht Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Themen wie<br />
den Rohstoffmarkt, der Fußball-WM 2018 und Sicherheitspolitik.<br />
Das Treffen ist aber auch ein Marktplatz der<br />
Träume. Davon erzählen <strong>die</strong> folgenden drei Beispiele.<br />
Von Yulia Abdullayeva, Marika Schweiger, Diana Laarz<br />
Wie auf dem Petersburger Dialog ein Traum wahr wurde – und Russland ein bisschen sozialer<br />
<strong>An</strong>ne Hofinga nimmt 2008 den Friedrich-Joseph-Haass-Preis entgegen.<br />
der Petersburger Dialog seine Wirkung:<br />
Eine kleine Initiative in der<br />
Region Rjasan kämpfte seit mehr<br />
als zehn Jahren vergeblich um<br />
Räume – bis Hofinga einen Brief<br />
an den Gouverneur schrieb und in<br />
einem Nebensatz <strong>die</strong> Verbindung<br />
zum Petersburger Dialog erwähnte.<br />
„Danach ging alles ganz schnell.<br />
Innerhalb eines halben Jahres hatten<br />
<strong>die</strong> Leute ihre Räume.“<br />
Deutsche und russische NGOs,<br />
<strong>die</strong> im sozialen Bereich tätig sind,<br />
können sich auf der Homepage des<br />
Sozialforums zu registrieren.<br />
ввв.cоциальныйдиалог.рф<br />
www.socialdialogue.ru<br />
Privat<br />
Wie auf dem Petersburger Dialog ein Traum zerplatzte –<br />
und es dennoch ein Happy End in den tschetschenischen Bergen gab<br />
Abdula Istamulow ist kein<br />
Unbekannter auf der politischen<br />
Bühne des Nordkaukasus. Übersetzt<br />
aus dem Arabischen bedeutet<br />
sein Name „Gottes<strong>die</strong>ner“. Doch<br />
Istamulow ist vielmehr als Menschen<strong>die</strong>ner<br />
bekannt. Er leitet das<br />
Forschungszentrum „SK-Strategija“<br />
zur Entwicklung der Zivilgesellschaft<br />
im Nordkaukasus. Der<br />
ausgebildete Politologe hat einen<br />
Traum: Die Spirale der Gewalt, <strong>die</strong><br />
Tschetschenien nach zwei Kriegen<br />
immer noch beherrscht, zu durchbrechen.<br />
Mit <strong>die</strong>sem Traum fuhr er<br />
2007 zum St. Petersburger Dialog<br />
nach Wiesbaden, als Mitglied der<br />
Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“.<br />
Istamulow suchte einen deutschen<br />
Städtepartner <strong>für</strong> <strong>die</strong> tschetschenische<br />
Hauptsstadt Grosnyj.<br />
Grosnyj ist ohne Zweifel ein<br />
schwieriger Partner. Kein europäisches<br />
Städtchen mit roten Ziegeldächern,<br />
lächelnden Einwohnern<br />
und intakter Gesellschaft<br />
– das Idealbild von Westeuropa.<br />
Allein schon der Name: „grosnyj“<br />
heißt übersetzt „schrecklich“ oder<br />
„drohend“. Wer will so einen Partner?<br />
Grosnyj braucht das Vorbild<br />
des Westens, davon ist Istamulow<br />
überzeugt. Aber der Westen<br />
braucht Grosnyj nicht. Das musste<br />
Istamulow erst lernen.<br />
„Für Tschetschenien setzt man<br />
extra strenge Maßstäbe an. Westeuropa<br />
nimmt unser Land negativ<br />
wahr. Man hat ein festes Vorurteil:<br />
Alle Tschetschenen sind Banditen“,<br />
sagt Istamulow. Kaum hatte Istamulow<br />
in der Arbeitsgruppe das<br />
Thema Städtepartnerschaft angesprochen,<br />
da war es auch schon<br />
wieder beendet. „Die deutschen<br />
Kollegen schauten mich an, als ob<br />
ich etwas Peinliches vorgeschlagen<br />
hätte.“ Er wollte das Thema dann<br />
noch einmal während der Plenarsitzung<br />
am letzten Tag des Petersburger<br />
Dialoges ansprechen. Doch<br />
ihm wurde nicht das Wort erteilt.<br />
Einige Monate später kamen<br />
trotzdem ein paar Deutsche nach<br />
Grosnyj ist wieder aufgebaut. Eine Partnerstadt in Deutschand hat <strong>die</strong> Verwaltung trotzdem nicht gefunden.<br />
Tino Künzel<br />
Grosnyj, erinnert sich der Sprecher<br />
der Stadtverwaltung. Es wurde viel<br />
geredet, und es wurden sogar einige<br />
Dokumente verfasst. Danach<br />
verlief das Vorhaben im Sande.<br />
„Das ist ein Traum längst vergangener<br />
Tage“, sagt Abdula Istamulow<br />
nachdenklich.<br />
Grosnyj hat schon elf Partnerstädte,<br />
alle Kontakte wurden vor den<br />
Kriegen mit Russland geknüpft.<br />
Die Stadtverwaltung sucht derzeit<br />
keine neuen Partner mehr. Auf der<br />
Tagesordnung des neuen Chefs,<br />
Muslim Chutschijew, stehen Fragen,<br />
<strong>die</strong> wichtiger sind, als <strong>die</strong><br />
internationale Freundschaft. Eine<br />
deutsch-tschetschenische Städtepartnerschaft<br />
war Istamulows<br />
Traum, es ist nicht seiner.<br />
Sein bislang einziger Besuch<br />
beim Petersburger Dialog war <strong>für</strong><br />
Abdula Istamulow dennoch kein<br />
Reinfall. Ein anderes seiner Projekte<br />
fand Unterstützung. Dabei<br />
geht es um <strong>die</strong> Verhinderung von<br />
Gewalt in Familien und zwischen<br />
Jugendlichen. Mit Psychologen<br />
und Pädagogen hat „SK-Strategija“<br />
gefährdete Kinder vor Ort<br />
aufgesucht. Istamulow stellte das<br />
Projekt im deutschen Außenministerium<br />
vor und erhielt 28 000<br />
Euro Unterstützung. „Mit <strong>die</strong>sem<br />
Geld haben wir Seminare<br />
<strong>für</strong> mehr als 300 Jugendliche in<br />
schwer zugänglichen Bergregionen<br />
organisiert.“<br />
Seit 2007 ist Istamulow nicht<br />
mehr zum Petersburger Dialog<br />
eingeladen worden. Doch er hofft<br />
sehr darauf, bei einem der kommenden<br />
Treffen wieder dabei zu<br />
sein. Der Bürgerrechtler schwört<br />
auf <strong>die</strong> positiven Effekte der Veranstaltung:<br />
„Für mich ist es das<br />
Wichtigste, Kontakte zu knüpfen.<br />
Ich habe damals viele interessante<br />
Leute beider Seiten kennen gelernt,<br />
<strong>die</strong>se Bekanntschaften helfen mir<br />
bis heute bei meiner Arbeit.“<br />
Dieser Traum<br />
könnte <strong>die</strong>ses Mal<br />
wahr werden<br />
Alle Jahre wieder wird <strong>die</strong><br />
Unterzeichnung des deutsch-russischen<br />
Filmabkommens auf dem<br />
Petersburger Dialog angekündigt.<br />
Auch in <strong>die</strong>sem Jahr. Allerdings<br />
stehen <strong>die</strong> Chancen gut, dass nun<br />
den Worten auch Taten folgen.<br />
„Sowohl <strong>die</strong> russische als auch <strong>die</strong><br />
deutsche Seite haben bestätigt,<br />
dass unterschrieben wird", sagt<br />
Simone Baumann, verantwortlich<br />
<strong>für</strong> Osteuropa beim Filmmarketingzentrum<br />
German Films. Laut<br />
Baumann liegen <strong>die</strong> Dokumente<br />
derzeit beim Übersetungs<strong>die</strong>nst<br />
des Außenministeriums.<br />
Seit zehn Jahren laufen <strong>die</strong> Verhandlungen<br />
<strong>für</strong> das Abkommen,<br />
das deutsch-russische Kino-Co-<br />
Produktionen erleichtern soll.<br />
Immer wieder entdeckten <strong>die</strong><br />
zuständigen Ministerien auf beiden<br />
Seiten Haken im ausgearbeiteten<br />
Dokument. „Die Rahmenbedingungen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Filmförderung<br />
sind in beiden Ländern<br />
unterschiedlich“, sagt Simone<br />
Baumann. Deshalb verstießen<br />
einzelne Punkte des Abkommens<br />
gegen nationale Gesetze.<br />
Der Petersburger Dialog hat<br />
sich des Themas 2006 angenommen,<br />
nachdrücklich eine Unterzeichnung<br />
gefordert und <strong>die</strong>s<br />
auch stets prominent im Protokoll<br />
platziert. „Einen direkten<br />
Einfluss hatte der Petersburger<br />
Dialog nicht“, sagt Simone Baumann.<br />
„Aber als Lobby hat er<br />
sehr geholfen.“<br />
Baumann selbst ist regelmäßige<br />
Teilnehmerin beim Dialog<br />
in der Arbeitsgruppe Kultur. Sie<br />
habe Glück gehabt, findet sie.<br />
„Wir arbeiten an sehr konkreten<br />
Projekten und damit auch sehr<br />
intensiv", sagt Baumann. „In<br />
anderen Gruppen verläuft <strong>die</strong><br />
Arbeit sicherlich etwas zäher."
№ 14 (309) Июль 2011<br />
w w w . m d z - m o s k a u . e u<br />
НЕЗАВИСИМАЯ ГАЗЕТА О ПОЛИТИКЕ, ЭКОНОМИКЕ И КУЛЬТУРЕ • ОСНОВАНА В 1870 ГОДУ<br />
С собой надежду<br />
на решение<br />
О т р е д а к ц и и<br />
Ф<br />
орум гражданских<br />
обществ России и Германии<br />
«Петербургский<br />
диалог» – одиннадцатый по счету<br />
– проходит в этом году в Вольфсбурге<br />
и Ганновере. В нынешнем<br />
форуме участие примут более<br />
120 деятелей в сфере экономики,<br />
культуры и политики с обеих<br />
сторон. Среди заявленных тем:<br />
оказание помощи душевнобольным<br />
людям, реабилитация молодых<br />
заключенных, интеграция<br />
мигрантов.<br />
Участница «Петербургского<br />
диалога» 2010, директор фонда<br />
«Сострадание» Елизавета Джирикова<br />
говорит, что ее ожидания<br />
в прошлый раз не оправдались.<br />
Несмотря на неоднократные<br />
обращения к «Петербургскому<br />
диалогу», был закрыт российский<br />
фонд «Взаимопонимание и<br />
примирение», а его гуманитарные<br />
программы в пользу жертв<br />
нацизма прекращены. Кроме того,<br />
говорит Джирикова, так и не<br />
дошло до визовых послаблений<br />
для волонтеров. «Видимо, наши<br />
цели слишком мелки для такого<br />
важного мероприятия и не<br />
достойны внимания», – подчеркивает<br />
она. И в то же время уверяет,<br />
что это не повод для разочарования.<br />
Джирикова уверена: «Успех<br />
складывается из малых шагов, и<br />
в этом мы находим общий язык<br />
с нашими немецкими друзьями и<br />
партнерами». А с ними у нее не<br />
только совместная деятельность,<br />
но и общие убеждения.<br />
Тем не менее неоправданные<br />
надежды на «Петербургском диалоге»<br />
– это, скорее, исключение.<br />
Одна из участниц российско-германского<br />
форума, председатель<br />
правления союза «Руссландхильфе»<br />
Анна Хофинга считает, что<br />
форум играет большую роль. И о<br />
ней говорят не столько результаты,<br />
сколько масштабное осуществление<br />
доступа маленьких организаций<br />
к организациям более<br />
высокого уровня в России. Есть<br />
и конкретный пример в пользу<br />
форума, которым оперирует<br />
Анна Хофинга: небольшое общественное<br />
объединение в Рязанской<br />
области смогло получить<br />
помещение благодаря одному<br />
лишь упоминанию «Петербургского<br />
диалога» в письме госпожи<br />
Хофинга губернатору области.<br />
До этого письма организация<br />
более десяти лет безуспешно<br />
обивала чиновничьи пороги.<br />
В этом году участники форума<br />
берут с собой как минимум<br />
надежду. Надежду на то, что<br />
проблемы, с которыми они приедут,<br />
будут услышаны и в идеале<br />
– решены.<br />
Тянем-потянем, вытянуть сможем! Немецкий национальный район Алтайского края отметил в начале июля свое 20-летие.<br />
«Мы можем гордиться тем, что весь период своего существования наш район был единственным в крае, кто всегда имел и<br />
имеет положительную демографию за счет естественного прироста населения. Безусловно, главное наше богатство – это<br />
люди, которыми было сделано много добрых дел и о которых можно говорить бесконечно», –<br />
отметил в юбилейной речи глава района Федор Эккерт. Подробнее на стр. 5.<br />
Олимпийская сказка, прощай!<br />
Мюнхен проиграл право проведения Олимпиады 2018 года Пхёнчану<br />
Мюнхен долго и напряженно боролся за титул столицы зимней<br />
Олимпиады 2018 года. По мнению немецких политиков и спортивных<br />
деятелей, у главного города Баварии были все шансы на победу.<br />
Однако уже по итогам первого тура голосования на 123-й сессии<br />
Международного олимпийского комитета (МОК) в южноафриканском<br />
Дурбане в начале июля, стало ясно, что 23-ю Белую олимпиаду<br />
примет не Мюнхен и тем более не французский Анси, а<br />
южнокорейский город Пхёнчхан.<br />
Блестящая финальная презентация,<br />
которой Германия<br />
надеялась окончательно завоевать<br />
сердца жюри в Дурбане,<br />
сопровождалась выступлением<br />
всемирно известного экс-футболиста,<br />
тренера и футбольного<br />
деятеля Франца Бекенбауэра:<br />
«Во время чемпионата мира по<br />
футболу в 2006 году мы доказали,<br />
что умеем организовывать<br />
настоящий праздник, объединяющий<br />
людей всех поколений.<br />
Летняя сказка состоялась. Я<br />
хочу пригласить вас на зимнюю<br />
сказку в Мюнхен».<br />
Однако оказалось, что «зимней<br />
сказке» 2018 года не суждено<br />
осуществиться. Точнее,<br />
проходить она будет совсем в<br />
Екатерина Келлер<br />
других декорациях. А между<br />
тем Мюнхен мог поставить<br />
рекорд и стать первым городом<br />
в мире, где проводились и<br />
летние (в 1972 году), и зимние<br />
Олимпийские игры. Германия<br />
75 лет ждала участия в зимней<br />
Олимпиаде – с 1936 года, когда<br />
соревнования проводились в<br />
Гармиш-Партенкирхене.<br />
Организаторам не стоит<br />
кусать локти и искать недостатки<br />
в своей собственной<br />
заявке, поданной на рассмотрение<br />
МОК. Специалисты подтверждают,<br />
что технически это<br />
была самая продуманная заявка.<br />
Основной ошибкой можно<br />
разве что считать соревнование<br />
с таким соперником, как Южная<br />
Корея: Пхёнчхан уже в третий<br />
раз борется за право проводить<br />
Олимпиаду. Для проведения<br />
олимпиад 2010-го и 2014 годов<br />
ему не хватало лишь нескольких<br />
голосов членов жюри, и вероятность,<br />
что на этот раз он пройдет,<br />
была немалая. На одной<br />
чаше весов была давняя спортивная<br />
традиция, представляемая<br />
ФРГ, на другой – возможность<br />
экспансии на восток и<br />
перспектива сделать Пхёнчхан<br />
новым центром зимнего спорта<br />
в Азии. Впрочем, решение<br />
жюри опробовать новую территорию,<br />
несомненно, связано<br />
с некоторым риском. Три четверти<br />
необходимых для проведения<br />
Олимпиады сооружений<br />
уже существуют в Мюнхене и<br />
окрестностях, Пхёнчхану же<br />
только предстоит стать спортивным<br />
центром будущего. До<br />
настоящего момента, если не<br />
считать Японию, Олимпийские<br />
игры на азиатском континенте<br />
еще не проводились.<br />
Несмотря на сильного конкурента,<br />
общественность до самого<br />
последнего момента была<br />
убеждена, что победа Мюнхена<br />
гарантирована. Дело в том,<br />
что участие в предвыборном<br />
марафоне обошлось ФРГ в 33<br />
миллиона евро, из них 6,5 миллиона<br />
– деньги налогоплательщиков.<br />
Разочарование велико,<br />
но большинство организаторов<br />
уверено, что надо продолжать. У<br />
Мюнхена есть неплохие шансы<br />
стать столицей Олимпиады<br />
в следующий раз. Федеральный<br />
министр внутренних дел<br />
Ханс-Петер Фридрих считает<br />
затраченные средства хорошим<br />
вложением. «Даже если вторая<br />
попытка будет стоить столько<br />
же, федеральное правительство<br />
наверняка пойдет на эти<br />
затраты. Но, разумеется, подача<br />
новой заявки – это прерогатива<br />
деятетлей спорта», – отмечает<br />
он.<br />
Вопрос только в том, насколько<br />
спорт, экономика и политика<br />
сойдутся на новой кандидатуре.<br />
II<br />
Д. Лаарц<br />
Потомственный<br />
лидер<br />
Губернатор Виктор Кресс дает открытое,<br />
живое интервью о себе, Томске и<br />
российских немцах<br />
Редкий<br />
свидетель<br />
Очевидец вторичной депортации<br />
российских немцев – на рыбные<br />
промыслы – делится воспоминаниями<br />
Убежденный<br />
славист<br />
В советском плену Вольфганг Казак<br />
почувствовал внутреннюю близость к<br />
русским – и стал славистом<br />
III IV VI
II<br />
<strong>Московская</strong><br />
Г е р м а н и я<br />
Добровольцы, ау!<br />
В Германии вступил в силу закон об отмене воинской повинности<br />
Итак, свершилось. То, вокруг чего долго и подчас весьма болезненно<br />
ломали копья немецкие политики, профессиональные военные,<br />
социальные активисты, ни в чем не повинное население,<br />
журналисты и прочие заинтересованные лица ФРГ, стало фактом:<br />
с 1 июля сего года вступил в силу закон об отмене в стране<br />
воинской повинности.<br />
<strong>немецкая</strong> газета № 14 (309) Июль 2011<br />
wikipedia<br />
Отныне немецкие вооруженные<br />
силы станут пополняться<br />
добровольцами, пожелавшими<br />
стать рядовыми солдатами на<br />
срок от одного года до 23 месяцев<br />
– по выбору новобранцев.<br />
Новое положение о формировании<br />
личного состава немецкой<br />
армии внедряется в рамках<br />
осуществляемой в Германии<br />
реформы вооруженных сил и<br />
идет под лозунгом, который провозгласил<br />
недавно вступивший<br />
в должность (после скандальной<br />
отставки министра-плагиатора<br />
Карла-Теодора цу Гуттенберга)<br />
федеральный министр обороны<br />
Томас де Мезьер: «Армия<br />
должна быть ориентирована на<br />
решение новых задач и иметь<br />
возможность успешно противостоять<br />
вызовам современности<br />
и завтрашнего дня».<br />
При этом сторонниками нового<br />
порядка пополнения бундесвера<br />
подчеркивается, что отныне<br />
Германия наконец присоединяется<br />
к прогрессивному клану<br />
демо кратических стран–членов<br />
НАТО (в частности, США, Великобритании,<br />
Франции, Нидерландов<br />
и др.), уже давно сделавших<br />
подобный шаг – к добровольной<br />
армии. Теперь, кстати, из 28<br />
стран–членов НАТО осталось<br />
только четыре, в которых еще<br />
сохранен обязательный призыв в<br />
армию: Греция, Турция, Эстония<br />
и Норвегия.<br />
Теперь в немецких вооруженных<br />
силах будут служить, помимо<br />
профессиональных военных,<br />
лишь добровольцы, которых,<br />
как уже известно, потребуется<br />
15 тысяч, причем каждый год<br />
будет необходимо примерно по<br />
5 тысяч добровольцев. Общая<br />
численность армии ФРГ сокра-<br />
Григорий Крошин<br />
тится с нынешних 250 тысяч<br />
человек до 185. Это сокращение<br />
обосновано правительством: в<br />
целях ограничения роста государственной<br />
задолженности в<br />
федеральном бюджете предусмотрено<br />
радикальное сокращение<br />
расходов на оборону: на нее<br />
в ближайшие четыре года будет<br />
выделено на 8 миллиардов евро<br />
меньше обычного.<br />
Альтернативы нет?<br />
Впрочем, реформа бундесвера<br />
принесет с собой не только<br />
финансовую выгоду. Она вызовет<br />
серьезные изменения в системе<br />
трудовой занятости гражданского<br />
населения в стране. Так,<br />
реформой предусматривается<br />
закрытие 10–15 мест дислокации<br />
воинских частей, что ставит<br />
под угрозу 122 тыс. рабочих<br />
мест, занятых вольнонаемными<br />
гражданскими лицами — рабочими,<br />
служащими и чиновниками.<br />
Помимо этого, куска хлеба<br />
лишатся многие работники<br />
закусочных, парикмахерских,<br />
салонов татуировок, булочных,<br />
иных предприятий социального<br />
сектора, специализирующихся<br />
на обслуживании солдат срочной<br />
службы. Оскудеет казна<br />
ряда городов, финансовое благополучие<br />
которых зависит от<br />
бундесвера — одного из главных<br />
работодателей в стране.<br />
Но проблемы подстерегают<br />
страну не только в сфере занятости.<br />
Как предсказывают критики<br />
реформы, в самое кратчайшее<br />
время будут – и уже наблюдаются<br />
– трудности с обеспечением<br />
необходимого количества<br />
новобранцев-добровольцев. Еще<br />
одна серьезная проблема сильно<br />
Добровольцем может стать каждый, ведь ощущение полноты жизни – это понимание того, что ты комуто<br />
нужен». Агитационный плакат кампании<br />
беспокоит тех, кто отвечает в<br />
целом за социальную работу<br />
в стране: с ликвидацией воинской<br />
повинности исчезает и<br />
привычная уже, доселе хорошо<br />
отлаженная в Германии система<br />
так называемой альтернативной<br />
службы. То есть той остро<br />
необходимой обществу – тем<br />
более нынешнему, неуклонно<br />
стареющему – социальной службы<br />
помощи, весьма эффективно<br />
использовавшей многие годы<br />
труд молодых людей, приходящих,<br />
взамен военной службе, в<br />
организации по уходу за старыми,<br />
больными, по обслуживанию<br />
нуждающихся в помощи людей, а<br />
также в больницы, на транспорт,<br />
в торговлю и проч., где они оказывали<br />
большую помощь людям<br />
и государству и – что, кстати,<br />
было большим подспорьем<br />
экономике – за сравнительно<br />
невысокую зарплату.<br />
Уже сегодня ряд предприятий<br />
по уходу за больными и пожилыми<br />
испытывает трудности<br />
с заполнением своих рабочих<br />
мест, освобождающихся после<br />
ухода альтернативщиков. Придумываются<br />
всевозможные акции<br />
для привлечения этой дешевой,<br />
но столь необходимой рабочей<br />
силы. Так, с целью привлечения<br />
на эту работу молодежи нынешний<br />
год объявлен в Германии<br />
Добровольным социальным<br />
годом («Das Freiwillige Soziale<br />
Jahr, FSJ)». Уже есть некоторые<br />
позитивные результаты, правда,<br />
пока скромные. Например, по<br />
данным Diakonie земли Северный<br />
Рейн-Вестфалия, на сегодняшний<br />
день поступило около<br />
750 заявлений от юношей и<br />
девушек (потребность, правда,<br />
составляет 3000 человек). Есть<br />
и нечто более обнадеживающее:<br />
по данным Немецкого Красного<br />
Креста той же земли СРВ, каждый<br />
четвертый из 850-ти молодых,<br />
проходящих в настоящее<br />
время альтернативную службу,<br />
выразил желание продлить ее.<br />
А федеральный министр по<br />
делам семьи Кристина Шрёдер<br />
вообще настроена оптимистично:<br />
«Наше министерство исходит<br />
из того, что совершенно<br />
реально достичь установленного<br />
нами уровня 35 000 добровольцев,<br />
которые займутся альтернативной<br />
службой в социальной<br />
сфере за «карманные» 330 евро.<br />
Мы создадим для этого привлекательные<br />
стимулы».<br />
Видимо, в качестве одного<br />
из этих стимулов Шрёдер еще<br />
16 мая запустила рекламную<br />
кампанию под девизом: «Ощущение<br />
полноты жизни – это<br />
ощущение, что вы востребованы!».<br />
Подействует ли этот стимул на<br />
кого-нибудь – покажет время.<br />
Пока же ситуация с потенциальными<br />
добровольцами – как<br />
для службы в новой армии, так<br />
и для бывшей альтернативной<br />
службы – весьма туманна. По<br />
словам Мартина Шульце, руководителя<br />
федеральной рабочей<br />
группы FSJ, «в Восточной Германии<br />
сегодня практически не<br />
выявлено добровольцев, а в<br />
экономически более сильных<br />
землях – Баден-Вюртемберге,<br />
Баварии – результаты все же<br />
получше».<br />
Берлинский долгострой<br />
Огромная зеленая лужайка<br />
в центре немецкой столицы,<br />
напротив Берлинского собора<br />
и музейного острова, может,<br />
еще в этом десятилетии преобразится,<br />
и на ней появится<br />
дворец – почти точная копия<br />
того дворца, что был еще при<br />
курфюстах, королях и кайзерах,<br />
а в 1950-м был взорван как<br />
символ прусского милитаризма.<br />
В начале июля бундестаг согласился<br />
с выросшей суммой на<br />
восстановление исторического<br />
здания. Правда, выросла она не<br />
так, как затраты на реконструкцию<br />
Большого театра в Москве<br />
(они увеличились по ходу дела<br />
в 16 раз), зато общая сумма<br />
вполне сопоставима: по словам<br />
министра культуры А.А.<br />
Авдеева на март 2011 года она<br />
превысила 20 млрд. рублей (500<br />
млн. евро), тогда как на восстановление<br />
Берлинского дворца<br />
планируют потратить 590 млн.<br />
евро. Изначально речь шла о 552<br />
миллионах.<br />
У немецкого проекта, еще не<br />
обретшего видимые формы,<br />
интересная история. Лет двадцать<br />
шли горячие дебаты сторонников<br />
строительства дворца<br />
Дворец пока существует только в планах и макетах, а стоимость его<br />
строительства уже растет<br />
и его противников. В 2007 году<br />
было принято решение о строительстве<br />
и финансировании.<br />
Полтора года спустя завершился<br />
снос Дворца республики, построенного<br />
в 1976 году на месте<br />
кайзеровского дворца, и объявлено<br />
имя архитектора нового<br />
здания, выигравшего конкурс. В<br />
2010-м бундестаг принял решение<br />
отложить строительство до<br />
следующей легислатуры. Вместо<br />
строения, которое уже рассматривается<br />
как фактор, формирующий<br />
немецкую идентичность,<br />
пока облагороженный пустырь.<br />
Яна Фриц<br />
О.Силантьева<br />
Олимпийская<br />
сказка, прощай!<br />
I<br />
На сегодняшний день речь идет<br />
либо о том, чтобы выдвинуть<br />
другой немецкий город (под<br />
вопросом Гамбург или Берлин)<br />
для участия в летних Олимпийских<br />
играх либо повторно<br />
предложить кандидатуру<br />
Мюнхена на зимних играх 2022<br />
года. Второй вариант для большинства<br />
предпочтительнее. Как<br />
отмечает на основании собственного<br />
опыта Карлос Артур<br />
Нузман, организатор летних<br />
игр 2016 года в Рио-де-Жанейро<br />
(сумевший осуществить свою<br />
мечту лишь с третьей попытки),<br />
«когда подается заявка и в<br />
случае поражения цель не преследуется<br />
дальше, можно считать<br />
потерянными и вложенные<br />
денежные средства, и позицию,<br />
утвердившуюся в общественном<br />
мнении и в средствах массовой<br />
информации».<br />
Голосов в поддержку Берлина<br />
или Гамбурга меньше. Однако<br />
здесь большинство сторонников<br />
выдвижения немецкого<br />
города на летнюю Олимпиаду<br />
сходятся в одном: «Мечта о<br />
заявке на Олимпиаду без солидного<br />
фундамента бессмысленна»<br />
(слова Гюнтера Плоса,<br />
председателя Гамбургского<br />
спортивного союза). Обоим<br />
городам потребуется много<br />
месяцев на постройку этого<br />
самого фундамента. Депутат<br />
бундестага Франк Штеффель и<br />
председатель спортивного объединения<br />
по гандболу «Berliner<br />
Füchse» предлагает Берлину<br />
подать заявку не на Олимпиаду<br />
2020-го, а 2024 года – к этому<br />
сроку <strong>немецкая</strong> столица успеет<br />
без спешки подготовиться.<br />
Кто бы ни стал следующим<br />
кандидатом от ФРГ, в одном<br />
эксперты сходятся: Мюнхен<br />
открыл ему двери. В том числе<br />
благодаря возглавившей заявку<br />
очаровательной бывшей фигуристке<br />
Катарине Витт, сменившей<br />
менее удачливого Вилли<br />
Богнера и ставшей лицом кампании.
<strong>Московская</strong> <strong>немецкая</strong> газета № 14 (309) Июль 2011<br />
Грядут юбилейные мероприятия<br />
2012–2013 годов, приуроченные<br />
к 250-летию манифеста<br />
Екатерины Второй и переселения<br />
немцев в Россию. Планирует<br />
ли Томская область участвовать<br />
в этих мероприятиях?<br />
Безусловно. Надо продумать<br />
и определенную концепцию.<br />
Томск, особенно наши университеты,<br />
многим обязаны<br />
немцам. Первым ректором<br />
классического университета<br />
был немец. Это был первый<br />
университет за Уралом. И после<br />
него немцы не раз становились<br />
ректорами этого университета.<br />
Восемь губернаторов в Томской<br />
губернии, которая была основана<br />
в 1804 году, были немцами.<br />
Я – девятый немец–губернатор<br />
Томской области. Сегодня<br />
у нас российские немцы вносят<br />
немалый вклад в развитие экономики,<br />
политики, социальной<br />
сферы. В сельском хозяйстве в<br />
прошлом у нас работало много<br />
руководителей немецкой национальности.<br />
Работали хорошо.<br />
Есть немцы-фермеры и сегодня.<br />
Я думаю, будет правильно, если<br />
мы отметим эту дату. Но как, я<br />
скажу честно, еще не думал.<br />
Двухлетняя программа юбилейных<br />
российско-германских совместных<br />
мероприятий пройдет<br />
по всей России. Уверена, что<br />
Томская область будет в общем<br />
списке на видном месте.<br />
Нам сам Бог велел. У нас есть<br />
такие места, как Кожевниково,<br />
Молчаново, Александровский<br />
район, где проживает много<br />
немцев, правда, выселенных в<br />
1941 году из Республики немцев<br />
Поволжья. Они привезли в<br />
Александровское, а это самый<br />
север области, оборудование<br />
для рыбоконсервного комбината.<br />
Организовали комбинат,<br />
который работал до последнего<br />
времени. Качество консервов<br />
было очень хорошим.<br />
Что я точно сделаю, и хочу<br />
сделать для себя, не как губернатор<br />
области, а как российский<br />
немец Виктор Кресс, я<br />
обязательно хочу побывать<br />
на родине отца, в Одесской<br />
области, в 25 км от Одессы и,<br />
насколько я помню по рассказам<br />
бабушки, в 12 км от Днестра,<br />
на запад к Молдавии. Был<br />
там Овидиопольский район,<br />
один из нескольких немецких<br />
районов Украины. На Украине, я<br />
читал об этом в литературе, до<br />
войны немцев проживало больше,<br />
чем в Республике немцев<br />
Поволжья.<br />
У Вас в области большой кадровый<br />
резерв, в который входит<br />
много российских немцев.<br />
Как реагируют на это жители<br />
области?<br />
Я выбираю людей не по национальному<br />
признаку, а по профессиональному.<br />
Когда я работал<br />
в «Сельхозхимии» был у<br />
меня первый заместитель Эдуард<br />
Владимирович Калинин. До<br />
этого он работал в Кожевниково,<br />
возглавлял «Сельхозтехнику».<br />
Однажды, стоя в магазине<br />
в Кожевниково за хлебом, он<br />
услышал, как женщины говорили<br />
о том, что кто-то работает<br />
в Западном Берлине. Спросил<br />
потом у коллег, что называют<br />
у них Западным Берлином.<br />
Оказалось, «Сельхозтехнику»<br />
и называют. «У тебя же 80%<br />
немцев работают», – пояснили<br />
коллеги. Попросил ведомость,<br />
принесли: смотрит, и, правда,<br />
одни немцы. А он просто подбирал<br />
работяг. Я тоже подбираю<br />
профессионалов.<br />
Вы не единственный немец<br />
среди губернаторов Российской<br />
Федерации. Но только на<br />
Вашем сайте указано, что вы –<br />
российский немец.<br />
А чего скрывать? (смеется)<br />
На недавней Межправкомиссии<br />
Вы высказывали озабоченность<br />
по поводу плохого знания<br />
немецкого языка. Вы имели в<br />
виду у российских немцев или<br />
вообще ситуацию с изучением<br />
немецкого языка, в частности, в<br />
Томской области?<br />
На комиссии я имел в виду<br />
прежде всего российских<br />
немцев. Но в целом, немецкий<br />
язык уступает свои позиции.<br />
Для этого есть объективные<br />
причины. Сейчас я инициирую<br />
введение китайского и испанского<br />
языков в школах. У нас<br />
в городе есть специализированная<br />
школа № 6 с изучением<br />
немецкого языка. У меня там<br />
в 3-м классе учится внучка,<br />
Марта Кресс. Мой сын также<br />
неплохо знает немецкий, когдато<br />
побеждал на олимпиадах.<br />
Вы осознанно отдаете своих<br />
детей и внуков в школы с изучением<br />
немецкого языка?<br />
У меня дочь замужем за русским.<br />
Сын женат на русской. У<br />
сына фамилия Кресс, а у дочери<br />
– русская фамилия. Поэтому<br />
насчет дочери я не настаиваю.<br />
Но считаю, что Кресс Марта<br />
должна знать немецкий язык.<br />
Ее назвали в честь моей мамы.<br />
В идеале, я считаю, они должны<br />
знать английский, немецкий и,<br />
естественно, русский.<br />
Как развиваются отношения<br />
Томской области с Германией?<br />
Сотрудничество на политическом<br />
уровне развивается хорошо.<br />
Мы знаем друг друга. Я знаю<br />
многих министров-президентов<br />
Германии, был в резиденции<br />
у канцлера Ангелы Меркль.<br />
В Томске в 2006 году было все<br />
правительство Меркель. С 1997<br />
года мы участвуем в Ганноверской<br />
ярмарке, уже несколько<br />
лет и на «Зеленой неделе» в<br />
Берлине. Я считаю, что нужно<br />
системно работать, поэтому мы<br />
ежегодно участвуем в подобных<br />
мероприятиях. Наши университеты<br />
хорошо сотрудничают<br />
с немецкими: например,<br />
Политехнический – с университетом<br />
города Карлсруэ, классический<br />
– с Гумбольдтским<br />
университетом Берлина. Есть<br />
партнеры и у бизнес-структур.<br />
Предприятие Ивана Кляйна,<br />
гендиректора ОАО «Томское<br />
пиво», полностью работает на<br />
немецком оборудовании. У него<br />
есть консультанты из Германии,<br />
которые контролируют качество<br />
продукции.<br />
Что бы Вы хотели улучшить в<br />
двухсторонних отношениях?<br />
У нас до сих пор нет городапобратима<br />
в Германии. Есть предложения,<br />
но мы ищем по братима<br />
среди административных и университетских<br />
центров, а их не так<br />
много – ведь земель всего 16. И,<br />
конечно, хотелось бы инвестиций<br />
больше.<br />
А что Вы можете предложить? У<br />
Вас хороший инвестиционный<br />
климат?<br />
Конечно. По оценкам рейтингового<br />
агентства Ernst&Young,<br />
Томская область входит в первую<br />
пятерку регионов России<br />
с наиболее благоприятным<br />
инвестиционным климатом с<br />
точки зрения самих бизнесменов.<br />
Германия хочет инвестировать<br />
в топливно-энергетический<br />
комплекс. Мы же<br />
предпочли инновационные<br />
сферы производства. Я бы не<br />
сказал, что нам надо начинать<br />
с чистого листа. У нас<br />
есть инновационные предприятия,<br />
которые сотрудничают с<br />
немцами. Например, Институт<br />
микрохирургии, директором<br />
которого является профессор<br />
Владимир Байтингер, сотрудничает<br />
с рядом медицинских<br />
учреждений Германии. Но мы<br />
хотим не только покупать оборудование,<br />
но и производить<br />
его вместе с партнерами. Возможно,<br />
сотрудничество нашего<br />
инновационного предприятия<br />
«Микран» с Nokia Siemens станет<br />
первой ласточкой в этом<br />
направлении.<br />
Немецкая фамилия помогает<br />
на переговорах с германскими<br />
партнерами?<br />
Наверное.<br />
Вы по-немецки говорите?<br />
На бытовом уровне (смеется).<br />
Вообще, это первый язык,<br />
на котором я начал говорить.<br />
Мы жили большой семьей, с<br />
бабушкой и дедушкой. Бабушка<br />
окончила церковно-приходскую<br />
школу в Мариентале в том<br />
самом Овидиопольском районе.<br />
Мой прадед был бессменным<br />
р о с с и я – г е р м а н и я<br />
«Будет плохо для России, если немцы уедут»<br />
Губернатор Виктор Кресс о Томске и о российских немцах<br />
Томск не раз становился местом проведения больших форумов, в<br />
том числе на межгосударственном уровне. В 2006 году город принимал<br />
российско-германские межправительственные консультации<br />
на высшем уровне, в 2011-м – российско-германскую межправительственную<br />
комиссию по проблемам российских немцев. По<br />
инициативе губернатора город объявлен инновационной площадкой<br />
для диалога власти, науки и бизнеса. В ноябре 2010 года Кресс<br />
удостоился награды германского правительства – большого креста<br />
со звездой за огромный вклад в развитие германо-российских<br />
отношений. Принимая награду, Кресс говорит о том, что он – российский<br />
немец и его долг – это служение России. Его коллеги в<br />
правительстве России говорят, что Виктор Мельхиорович Кресс<br />
один из тех, на ком держится вся Россия. Сегодня губернатор Кресс<br />
– гость МНГ и беседа с ним издателя Ольги Мартенс получилась<br />
нестандартной, живой и очень открытой.<br />
Виктор Кресс (справа) проявляет уважение и заботу о ветеранах Великой<br />
Отечественной войны<br />
wikipedia<br />
III<br />
старостой в этой деревне. Отец<br />
с матерью были в трудармии в<br />
Костромской области. Там они<br />
поженились, там я и родился в<br />
1948 году. Родители отца были<br />
сосланы в Яшкинский район<br />
Кемеровской области, и в 1949<br />
году моим родителям разрешили<br />
туда переехать. Там они<br />
встали на учет в спецкомендатуре,<br />
там же родились мои<br />
шесть братьев и сестра.<br />
Ваша семья не уехала в Германию?<br />
Моя нет. Братья и сестра уехали<br />
в 90-х годах. Почти все, имея<br />
высшее образование, работали в<br />
сельском хозяйстве, а там была<br />
тяжелая ситуация. Два брата<br />
были директорами совхозов.<br />
Если бы Вы не были губернатором,<br />
Вы бы уехали?<br />
Я себя чувствую там комфортно,<br />
но, честно скажу, жить бы<br />
я там не хотел. Отношение к<br />
российским немцам там мне<br />
не нравится. Российский образ<br />
жизни мне нравится больше.<br />
Я считаю, что будет плохо для<br />
России, если все немцы уедут.<br />
Сейчас надо думать о том, как<br />
их возвращать, например, привлекать<br />
бесплатной землей,<br />
как Екатерина Вторая. Но нам<br />
нужны и специалисты – медики,<br />
гуманитарии, специалисты<br />
по переработке.<br />
Путин Первый<br />
Премьеру вручат «Квадригу»<br />
Российскому премьеру присудили одну из самых престижных<br />
немецких премий «Квадригу». Она будет вручена Владимиру<br />
Путину в День немецкого единства — 3 октября. Комитет отметил<br />
особые заслуги Путина в «придании российско-немецким отношениям<br />
стабильности и надежности». В распоряжении немецкой<br />
«Süddeutsche Zeitung» оказалось обоснование попечительского<br />
совета «Квадриги». В нем говорится, что «Путин уже сегодня<br />
достоин отдельной главы в книге Истории. Этот политик в традициях<br />
Петра Первого прокладывает вехи на пути к будущему».<br />
Несмотря на то, что, по словам<br />
пресс-секретаря оргкомитета<br />
премии «Квадрига» Штефана<br />
Клаузена, проголосовали члены<br />
жюри почти единогласно, в<br />
адрес российского политика<br />
была высказана острая критика.<br />
Председатель партии зеленых<br />
Джем Оздермир воздержался<br />
от голосования. Он сообщил,<br />
что признает вклад Владимира<br />
Путина в развитие экономики,<br />
но обращает внимание на<br />
проблемы, связанные с нарушением<br />
прав человека. Оздемир<br />
не единственный политик,<br />
выступивший против вручения<br />
премии Владимиру Путину. Его<br />
поддержал глава Внешнеполитического<br />
комитета бундестага<br />
Рупхерт Поленц. Он, иронизируя,<br />
предложил пригласить<br />
на вручение экс-канцлера ФРГ<br />
Герхарда Шрёдера, назвавшего<br />
Путина «демократом чистой<br />
воды». По мнению уполномоченного<br />
правительства по<br />
правам человека Маркуса<br />
Ленинга, Путин во время<br />
своего правления занимался<br />
«разрушением демократии»,<br />
«ограничением свобод»<br />
и «отдал Россию на откуп<br />
коррупции».<br />
Самой жесткой оказалось<br />
реакция депутата Европар-<br />
Светлана Андреева<br />
ламента от партии зеленых<br />
Вернера Шульца, который распространил<br />
заявление с требованием<br />
отменить решение<br />
о присуждении премии Путину.<br />
Но на экстренном собрании<br />
комитет подтвердил свое<br />
решение наградить российского<br />
премьера. Тогда политик в<br />
знак протеста решил выйти из<br />
попечительского состава. Он<br />
аргументировал свою позицию<br />
«различием во взглядах<br />
на заслуги Владимира Путина<br />
в развитии демократии и правового<br />
государства» и назвал<br />
присуждение премии «издевательством»,<br />
«политическим<br />
промахом» и «плевком в лауреатов<br />
прошлых лет».<br />
Премия «Квадрига» вручается<br />
с 2003 года выдающимся<br />
политическим, экономическим<br />
и культурным деятелям,<br />
обладающим «духом первопроходца<br />
и стремлением к<br />
торжеству общественного<br />
блага». Лауреатам вручают<br />
уменьшенную копию<br />
квадриги, стоящей на Бранденбургских<br />
воротах, и чек<br />
на сумму 100 тысяч евро. В<br />
разное время премии были<br />
удостоены Гельмут Коль,<br />
Михаил Горбачев, Герхард<br />
Шрёдер и Вацлав Гавел.<br />
wikipedia
IV<br />
<strong>Московская</strong><br />
н е м ц ы Р о с с и и<br />
Союз слов и красок<br />
В Переделкино встретились писатели и художники–<br />
российские немцы<br />
<strong>немецкая</strong> газета № 14 (309) Июль 2011<br />
Нарисованная история<br />
Готовится выставка потретов<br />
трудармейцев<br />
Тандем искусств, работающих в плоскостях визуального и вербального<br />
творчества, имеет давнюю и неразрывную традицию.<br />
Эта связь сложилась исторически, поэтому органичным явлением<br />
стал опыт совместного проведения рабочего семинара представителей<br />
немецкого творческого авангарда, позиционирующего себя<br />
в области литературы и визуальных видов искусств (художникистанковисты,<br />
прикладники, декораторы). Местом проведения<br />
семинара в конце июня стал Дом творчества в Переделкино, где<br />
ранее встречались те, чьи имена давно стали хрестоматийными<br />
для русской и советской литературы.<br />
Главной установкой организаторов<br />
семинара в Переделкино<br />
явилось желание не просто объединить<br />
два вида искусства, а<br />
помочь им обрести в лице друг<br />
друга компаньонов, которые в<br />
дальнейшем будут работать синхронно<br />
в одном направлении.<br />
«Мы берем два разных слова<br />
или две разных краски, при смешении<br />
которых в первом случае<br />
получается новое значение, а во<br />
втором – новый цвет, – говорила<br />
в первый день встречи, обращаясь<br />
к ее участникам, Елена<br />
Зейферт, руководитель литературного<br />
клуба «Мир внутри<br />
слова», под эгидой которого и<br />
проходил семинар. – У художника<br />
и литератора гораздо больше<br />
общего, чем может показаться<br />
с первого взгляда».<br />
Участниками семинара стали<br />
разножанровые поэты и прозаики<br />
из Москвы, Санкт-Петербурга,<br />
Рязани, Самары, Сыктывкара,<br />
Екатеринбурга, Тюмени, а<br />
также художники-иллюстраторы<br />
из Москвы, Сыктывкара,<br />
Челябинской области, Нижнего<br />
Тагила, Тюмени. Они слушали<br />
лекции и произведения друг<br />
друга, встречались с гостями,<br />
посещали мастер-классы, вели<br />
дискуссии и беседы, ходили в<br />
музеи и к памятным местам<br />
писательского городка.<br />
Художники-иллюстраторы<br />
неслучайно были приглаше-<br />
Ирина Вейс, Анна Апостолова<br />
ны для совместной работы с<br />
писателями. Возникли новые<br />
проекты. Художники обсудили<br />
возможность иллюстрирования<br />
книги стихов Роберта<br />
Вебера, ушедшего из жизни в<br />
2009 году. Рукопись его стихов<br />
в Международный союз немецкой<br />
культуры передала вдова<br />
поэта Тамара Вебер (Аугсбург),<br />
и в текущем году она уже может<br />
быть издана. В этом же году<br />
готовится к печати сказочная<br />
повесть Елены Зейферт для<br />
детей, авторами иллюстраций<br />
к которой станут художницы,<br />
сестры-близнецы Анна и Варвара<br />
Кендель из Челябинска.<br />
Кстати, в сказке Елены, которая<br />
называется «Зеркальные чары»,<br />
речь идет о двух принцессахблизнецах.<br />
А Аня и Варя, рисуя<br />
друг друга, могут писать автопортреты.<br />
Предыдущее выездное заседание<br />
клуба «Мир внутри слова»<br />
прошло в декабре 2010 года<br />
в Ясной Поляне. Ее участник<br />
из Тюмени, литературовед<br />
Александр Шуклин в январе<br />
создал в своем родном городе<br />
одноименный филиал «Мира<br />
внутри слова». В Переделкино<br />
приехали два гостя из Тюмени –<br />
Юлия Град и Владислав Фомин,<br />
которые провели обстоятельную<br />
презентацию полугодовой<br />
деятельности тюменского<br />
филиала и представили его<br />
сайт. Недавно возник второй<br />
филиал литературного клуба –<br />
на Алтае (руководитель – литератор<br />
Валентина Шартнер). А<br />
после семинара в Переделкино<br />
организацией филиала московского<br />
литклуба в Питере решил<br />
заняться поэт и филолог Павел<br />
Вануйто (Блюме).<br />
Елена Зейферт (слева) обсуждает с сестрами Анной и Варварой Кендель<br />
иллюстрации к своей сказке<br />
МСНК<br />
Тишина. Пенье птиц. Шорох<br />
карандашей. И тихий голос<br />
Георгия Георгиевича Флейшмана,<br />
31-го года рождения. Георгий<br />
Георгиевич – основатель<br />
движения российских немцев в<br />
Тобольске. Он пришел в гости<br />
к участникам артлаборатории –<br />
проекта Международного союза<br />
немецкой культуры и Творческого<br />
объединения российских<br />
немцев, который проходит с<br />
8-го по 17 июля в Тобольске.<br />
Он рассказывает о своей жизни<br />
– о родном Ленинграде, переселении<br />
в Сибирь, о нынешней<br />
жизни. Рядом художники<br />
рисуют его портрет, фотографы<br />
делают снимки, оператор<br />
снимает. Все вместе стремятся<br />
запечатлеть историю – уловить<br />
интересный момент, черты<br />
лица, настроение, атмосферу<br />
времени.<br />
«Я видел дорогу жизни, ямы<br />
от бомбежек, стоящие на обочинах<br />
зенитки, – говорит Георгий<br />
Георгиевич. – Нас везли сначала<br />
на автобусах, затем долго-долго<br />
по железной дороге. На остановках<br />
одна женщина открывала<br />
засовы, трясла бельем и<br />
говорила, что ее «муж воюет с<br />
фашистами на войне, а она тут<br />
со вшами». Когда мы приехали<br />
на место, то местное население<br />
очень удивлялось: нам говорили,<br />
что немцы с рогами, а<br />
вы такие, как и мы. Вот такая<br />
была пропаганда немецкого<br />
народа России». В Тобольске<br />
Георгий Георгиевич ходил в<br />
школу, окончил ее хорошо, но<br />
немецкий сдал на «три». «Я не<br />
хотел учить этот язык, не хотел<br />
его знать».<br />
История оживает, когда человек<br />
рассказывает о том, что<br />
он пережил сам. Художники<br />
и фотографы, которые сами<br />
не понаслышке знают о ней,<br />
пытаются запечатлеть уходящие<br />
мгновения, чтобы донести<br />
их до потомков. По итогам<br />
артлаборатории, которая<br />
проводится в рамках рабочего<br />
поля «Авангард», планируется<br />
организовать выставку портретов<br />
трудармейцев и пейзажей<br />
тобольской земли, выставку<br />
фотографий, а также сделать<br />
фильм о судьбах репрессированных<br />
немцев и трудармейцев.<br />
Наталья Хречкова<br />
М. Миллер<br />
Потерянная родина<br />
Воспоминания о вторичной депортации – на рыбные промыслы<br />
От его малой родины ничего<br />
почти не осталось. Вместо<br />
домов – полуразрушенный фундамент,<br />
вместо улиц – пыль и<br />
бурьян, вместо счастливых безмятежных<br />
картин детства –<br />
отрывочные и обжигающие<br />
душу воспоминания.<br />
Валентина Дорн<br />
Спустя почти семьдесят лет<br />
мой отец – Эрик Эдуардович<br />
Дорн – все-таки вернулся в<br />
родное село Вальтер, которое<br />
после войны стало именоваться<br />
Гречихино. О прежних временах<br />
здесь напоминала только<br />
каким-то чудом уцелевшая<br />
кирха. Поблекшие облупившиеся<br />
купола бесстрастно взирали<br />
в небо.<br />
Он и не мог помнить родину:<br />
когда советских немцев вывезли<br />
отсюда, отцу было всего лишь<br />
три года. Позже родные рассказывали,<br />
что весть о выселении<br />
для них была, как гром<br />
среди ясного неба. Сентябрь для<br />
земледельцев – это то время,<br />
когда день год кормит. Еще не<br />
собрали весь урожай, не намололи<br />
муки.<br />
Накануне отъезда в страшной<br />
суматохе женщины старались<br />
напечь побольше хлеба в дорогу,<br />
а мужчины забивали свиней.<br />
Коровы, бычки, козы, куры –<br />
вся эта живность осталась на<br />
произвол судьбы. Во дворах<br />
страшно выли собаки.<br />
С собой много не возьмешь,<br />
но мама отца – Лидия Ивановна<br />
ни за что не захотела оставлять<br />
швейную машинку «Зингер».<br />
Позже эта машинка помогла им<br />
выжить на Севере: поскольку не<br />
было обуви, из старой одежды<br />
тетушка шила толстые «бурки».<br />
Иногда принимала заказы, за<br />
которые платили едой. Но это<br />
было уже потом, когда их привезли<br />
в поселок Горки Ямало-<br />
Ненецкого автономного округа,<br />
где помимо коренных жителей<br />
– хантов – жили, а точнее выживали,<br />
только всякие ссыльные.<br />
До этого вся семья – мама<br />
Лидия, отец Эдуард и двое сыновей<br />
Эрик и Володя – целый<br />
год прожили в селе Паново, на<br />
постое у русской семьи. Потом<br />
отца забрали в трудармию,<br />
на лесозаготовки где-то под<br />
Омском, а мать с сыновьями<br />
посадили на теплоход, который<br />
плыл по Оби около десяти дней.<br />
Когда они прибыли на место,<br />
их разместили в местном клубе.<br />
Сдвинули скамьи сиденьями<br />
вместе, спинками врозь, чтобы<br />
на них можно было лежать. Одно<br />
из самых ярких воспоминаний<br />
детства: женщины, а вместе с<br />
ними и мама, ушли на работу,<br />
а в клубе остались дети под<br />
присмотром пожилой немки.<br />
Неожиданно началась гроза.<br />
Гром гремел и молнии сверкали<br />
так, как будто наступил конец<br />
света. Испуганная ребятня забилась<br />
под скамейки, некоторые<br />
громко плакали. Конец света не<br />
наступил: просто это был конец<br />
их относительно спокойной и<br />
размеренной жизни. Им предстояло<br />
пережить самую страшную<br />
и суровую зиму в их жизни<br />
и не умереть от голода.<br />
Из клуба нужно было куда-то<br />
расселяться, и женщины на склоне<br />
холма начали рыть землянки.<br />
В наспех обустроенной «норе»<br />
жили по пять–шесть человек,<br />
спали на чем придется.<br />
Немецкие семьи привезли сюда<br />
на рыбный промысел. Женщины<br />
сами гребли, вытаскивали<br />
сети. После двух лет работы на<br />
веслах заболела ревматизмом<br />
тетка, слегла, а вскоре и умерла.<br />
Матери повезло больше: ее<br />
поставили поваром в детский<br />
сад. Но вечером она вместе с<br />
другими шла грузить рыбу. Один<br />
раз по шатким мосткам она не<br />
удержала тачку, которая резко<br />
потянула ее в сторону, и упала<br />
прямо в холодную воду. Будучи<br />
в теплой одежде, мать все-таки<br />
сумела доплыть до берега. Вернулась<br />
домой мокрая, озябшая.<br />
«Ничего страшного», – успокаивала<br />
она мальчишек, едва шевеля<br />
посиневшими губами.<br />
Рыбы ловили и грузили много,<br />
но ее под страхом смерти брать<br />
было нельзя. Только иногда тайком<br />
рыбу приносили русские<br />
ссыльные, да из столовой матери<br />
разрешали взять рыбьи головы<br />
и кости, из которых она варила<br />
холодец. Иногда кто-нибудь<br />
полулегально приносил из зверосовхоза<br />
замерзшие тушки<br />
лис. Теперь и они считались<br />
деликатесом. Если уж совсем<br />
ничего не было, ели картофельные<br />
очистки. Особенно тяжело<br />
пришлось, когда мать потеряла<br />
продуктовые карточки, которые<br />
выдавали переселенцам. Это<br />
мучительное чувство голода,<br />
которое не покидает даже во<br />
сне. Лучше не думать о еде, но в<br />
воображении рисуется тарелка с<br />
галушками, ломоть ароматного<br />
хлеба с вареньем…<br />
В Горки с большой земли пароход<br />
с провизией прибывал только<br />
один раз в год повесне. Это был<br />
настоящий праздник: взрослые<br />
и дети таскали мешки и коробки.<br />
Иногда, уже после войны, в<br />
коробках оказывались помидоры<br />
и огурцы. После распределения<br />
витаминное лакомство<br />
съедалось очень быстро. Самая<br />
распространенная болезнь, от<br />
которой страдали все переселенцы,<br />
– цинга. Многие умирали,<br />
не выдержав столь суровых<br />
испытаний голодом и холодом.<br />
В этом отношении детям было<br />
проще. Их запаса жизненной<br />
энергии и устремленности в<br />
будущее вполне хватало для того<br />
чтобы не падать духом. В Горках<br />
семья прожила до 1956 года. К<br />
тому времени они уже построили<br />
свой дом, о котором стали<br />
задумываться, когда приехал<br />
отец…
<strong>Московская</strong> <strong>немецкая</strong> газета № 14 (309) Июль 2011<br />
Яркие моменты праздника<br />
в честь 20-летнего юбилея<br />
Немецкого национального<br />
района Алтайского края. День<br />
начался с праздничного шествия<br />
(вверху). На день рождения к<br />
жителям района и его главе<br />
Федору Эккерту (2-е фото<br />
сверху, в центре) прибыли<br />
представители Германии,<br />
Министерства регионального<br />
развития РФ, администрации<br />
области и федеральных структур<br />
российских немцев. За день до<br />
этого Генрих Мартенс поздравил<br />
молодоженов Евгения и Наталью<br />
Мартенс с бракосочетанием<br />
(внизу, посередине).<br />
Крепкие связи<br />
Это было совпадением, но очень приятным. 1 июля, за день до<br />
20-летия Немецкого национального района Алтайского края, недалеко<br />
от границы района отмечали российско-немецкую свадьбу. В<br />
ЗАГСе города Яровое Евгений Мартенс и Наталья Берг сказали в<br />
присутствии свидетелей и гостей заветное «да».<br />
«Моя Наташа», – говорит<br />
свежеиспеченный муж о своей<br />
юной супруге. Наташа познакомилась<br />
с Евгением Мартенсом<br />
– ну где же еще – в Центре<br />
немецкой культуры Ярового.<br />
Женя тогда, в 2005 году, был<br />
руководителем молодежного<br />
клуба «Первая звезда» при<br />
ЦНК. Наташа регулярно приходила<br />
на заседания клуба.<br />
Сегодня семьи Мартенс и Берг<br />
вместе отмечают Рождество<br />
и Пасху – четыре раза в год,<br />
соответственно по немецким<br />
обычаям и по русским.<br />
«Я думаю, это наша особенная<br />
культура, которую мы обязательно<br />
должны сохранить», –<br />
Диана Лаарц<br />
говорит Евгений Мартенс.<br />
Его прапрадедушка приехал<br />
в Славгород с семьей в начале<br />
прошлого века с Поволжья.<br />
Уже тогда в этом районе<br />
компактно селились немцы. 4<br />
июля 1927 года ЦИК РСФСР<br />
принял решение о создании в<br />
Славгородском округе Сибирского<br />
края немецкого района<br />
с центром в селе Гальбштадт.<br />
В 1938 году он был ликвидирован.<br />
После развала Союза<br />
район был восстановлен в его<br />
исторических границах. Евгений<br />
Мартенс много времени<br />
уделяет изучению истории<br />
семьи и народа. Это одна из<br />
причин, почему он так ценит<br />
н е м ц ы Р о с с и и<br />
Двойной повод для праздника: юбилей и свадьба<br />
V<br />
Центр немецкой культуры. На<br />
Рождество он с ребятами из<br />
молодежного клуба посещал<br />
трудармейцев, слушал их рассказы,<br />
приносил сладости и пел<br />
с ними рождественские песни.<br />
Их он выучил в том же ЦНК,<br />
«Stille Nacht» – его любимая.<br />
Сейчас Евгений Мартенс уже<br />
не в молодежном клубе. Ему<br />
25 лет, он – учитель немецкого<br />
языка и руководитель Центра<br />
немецкой культуры.<br />
Со своей женой Наташей Мартенс<br />
хочет сохранять немецкие<br />
традиции, которые ему<br />
привили еще в семье. Может,<br />
даже чуть углубить их. Родители<br />
Жени почти не говорят на<br />
немецком, парень выучил его в<br />
Центре и за несколько поездок<br />
в Германию. Со своими детьми<br />
– у Евгении и Натальи Мартенс<br />
это в планах – они хотят<br />
как можно больше говорить<br />
по-немецки.<br />
Д. Лаарц (8)<br />
Незабываемый Гальбштадт<br />
Многие переселенцы проводят летний отпуск на своей родине<br />
Они покинули Немецкий национальный район много лет назад – и тем не менее приезжают сюда<br />
снова и снова. Каждое лето немцы, эмигрировавшие в Германию, возвращаются на родину – в<br />
Гальбштадт и близлежащие села. Некоторые ради того, чтобы провести отпуск в родных местах,<br />
едут через пол-Европы и Азии пять дней на машине. Три «возвращенца» рассказывают о том, что<br />
именно они так ценят в Немецком национальном районе. Одно слово повторяется в рассказе каждого<br />
из них – свобода.<br />
Сергей Ульрих<br />
ранее: Дегтярка<br />
сейчас: Хамм<br />
Переезд: 14 лет назад<br />
Что хорошего в Гальбштадте:<br />
Гальбштадт и мое село Дегтярка<br />
значат для меня свободу. Здесь<br />
я могу рыбачить, разводить<br />
костер, где угодно ездить на<br />
велосипеде. Поэтому я приезжают<br />
сюда каждое лето.<br />
Что хорошего в Германии: В<br />
Хамме нет комаров. Здесь же<br />
просто тихий ужас.<br />
Йозеф Шиндлер<br />
ранее: Шумановка<br />
сейчас: Зёст<br />
переезд: 18 лет назад<br />
Что хорошего в Гальбштадте:<br />
Здесь живут мои родители, я<br />
знаю людей. И я чувствую себя<br />
свободно. Я могу везде гулять<br />
– в лесу, в поле. В Германии это<br />
запрещено, все кому-то принадлежит,<br />
все – частная собственность.<br />
Что хорошего в Германии: Мне<br />
действительно нравится Зёст.<br />
Это очень красивый старинный<br />
город. Я себя хорошо там чувствую,<br />
потому что там живет моя<br />
семья, там выросли мои дети.<br />
Александр Цих<br />
ранее: Дегтярка<br />
сейчас: Хамм<br />
Переезд: 4 года назад<br />
Что хорошего в Гальбштадте:<br />
Столько свободного времени,<br />
сколько здесь, у меня в Германии<br />
не бывает никогда. Я хожу<br />
на шашлыки, на речку, в походы.<br />
И это все – бесплатно!<br />
Что хорошего в Германии:<br />
В Германии я – рабочий на складе.<br />
Работа оплачивается там<br />
лучше, чем в России. А здесь<br />
в районе и так мало рабочих<br />
мест.<br />
Разница – небо и земля!<br />
Петер Кюммель отмечает<br />
происшедшие перемены в ННР<br />
15 лет назад Хайко Кюммель<br />
вместе с тогдашним главой<br />
района Шмалькальден-Майнинген<br />
(Тюрингия) впервые<br />
отправился в Немецкий национальный<br />
район на Алтае, чтобы<br />
скрепить партнерские связи<br />
двух районов. По случаю<br />
20-летнего юбилея Нацрайона<br />
Кюммель снова прибыл в<br />
Алтайский край и удивился<br />
тому, сколько перемен произошло<br />
за полтора десятка<br />
лет.<br />
Г-н Кюммель, какие изменения<br />
прежде всего бросаются в<br />
глаза?<br />
Конечно, дороги.<br />
Но они все равно с ямами и колдобинами.<br />
Разница, что было и что стало<br />
– небо и земля! В первый раз я<br />
ехал через Новосибирск. Километров<br />
10 было заасфальтировано,<br />
остальное вообще нельзя<br />
было назвать улицей.<br />
Школа, построенная в Гальбштадте<br />
в 2007 году, является<br />
другим примером развития<br />
инфраструктуры в районе.<br />
Здесь действительно очень<br />
много детей. И в районном<br />
центре проживает примерно<br />
столько же жителей, сколько<br />
в районе в целом. Если сравнивать<br />
наш район с Гальбштадтом,<br />
то у нас, думаю, и пятой<br />
части детей не наберется. У<br />
меня создается впечатление,<br />
что поля здесь обрабатываются<br />
лучше. В соседних районах поля<br />
находятся в более безалаберном<br />
состоянии.<br />
На что еще обратили внимание?<br />
15 лет назад я воспринимал<br />
местных жителей как крестьян.<br />
Не подумайте, что я говорю об<br />
этом с пренебрежением. Люди<br />
были самодостаточными, особенно<br />
представители старшего<br />
поколения не особенно обращали<br />
внимание на то, как они<br />
выглядят. А сейчас – посмотрите<br />
на людей, которые пришли на<br />
праздник, особенно на женщин.<br />
Они модно одеты. Попади они<br />
в любой город мира, они бы<br />
мало чем отличались от окружающих.<br />
Повлияли ли эти изменения<br />
на ваше общение с жителями<br />
района?<br />
Люди стали более открытыми.<br />
У них есть гордость и достоинство.<br />
Я думаю, у них есть для<br />
этого основания: они могут гордиться<br />
тем, чего они достигли<br />
за 20 лет.<br />
Беседовала Диана Лаарц
VI<br />
<strong>Московская</strong><br />
и с т о р и я и к у л ь т у р а<br />
Вольфганг Казак, по его словам,<br />
«имел счастье вырасти в<br />
совершенно антифашистской,<br />
антинацистской писательской<br />
семье». Его отец – выдающийся<br />
немецкий писатель Герман<br />
Казак, который стал известным<br />
после падения Третьего<br />
рейха, а с 1953 года в течение<br />
последующих десяти лет избирался<br />
президентом Немецкой<br />
академии литературы и языка.<br />
Его главный роман «Город за<br />
рекой», изданный в 1947 году,<br />
был переведен вскоре на многие<br />
языки. Русский перевод<br />
появился только при Горбачеве:<br />
советская цензура понимала,<br />
что его критика нацистского<br />
тоталитаризма может быть<br />
применима и к советской системе.<br />
В 1943 году 16-летнего Вольфганга,<br />
как и других ребят его<br />
возраста, призвали на военную<br />
службу: сначала в противоздушные<br />
войска в качестве<br />
помощника люфтваффе, а<br />
в начале 1945-го – в армию,<br />
где ему удалось стать санитаром.<br />
Он оказался на фронте<br />
под Берлином 24 апреля, а уже<br />
30-го попал в плен к полякам,<br />
которые передали его советским<br />
войскам.<br />
Казак считает, что он выжил<br />
в советском плену благодаря<br />
русскому офицеру, оперу<br />
НКВД по фамилии Гришечкин.<br />
В критический для пленного,<br />
истощенного немца момент<br />
Гришечкин вдруг вызвал его,<br />
полуживого, из лагерной больницы<br />
к себе, узнав от кого-то,<br />
что Казак к тому времени уже<br />
Григорий Крошин<br />
немного владел русским языком.<br />
Вольфганг Казак поведал<br />
мне, почему вообще стал изучать<br />
русский: находясь в этом<br />
жутком состоянии в лагере,<br />
он понял, что чтобы выжить<br />
физически, у него есть лишь<br />
один шанс – овладеть русским<br />
языком. И он поставил себе<br />
эту задачу. Узнал, что у одного<br />
из пленных были русская<br />
грамматика и словарь. За пару<br />
дней переписал то, что ему<br />
было нужно, и стал самостоятельно<br />
учить русский. А через<br />
6 недель выяснилось, что освободилось<br />
место переводчика<br />
на кухне. Две или три недели<br />
Вольфганг работал там переводчиком,<br />
питался нормально,<br />
даже мог помочь друзьям<br />
своей пайкой. А через какоето<br />
время его вызвали к оперу<br />
Гришечкину. На вопрос боялся<br />
ли он допроса, Казак поясняет:<br />
«Этого я как раз совсем<br />
не боялся, так как у меня, с<br />
политической точки зрения<br />
(отношения к нацистам и т.<br />
п.), совесть была чиста: мой<br />
папа в 1933-м сразу же потерял<br />
свою работу».<br />
Допрос велся по-русски,<br />
и для полуживого пленного<br />
немца Казака этот экзамен<br />
стал первой возможностью<br />
проверить прежде всего<br />
самого себя, может ли он уже<br />
общаться по-русски. Оказалось<br />
– может!<br />
А еще спустя месяц этот же<br />
офицер спас Казака от «подписки»,<br />
то есть согласия на<br />
сотрудничество в качестве<br />
Вольфганг Казак дает интервью<br />
гэбэшного сексота. Произошло<br />
это так. Однажды пленного<br />
как владеющего русским снова<br />
вызвали в кабинет, где уже,<br />
кроме Гришечкина, сидели еще<br />
несколько офицеров. Они о<br />
чем-то спрашивали Казака, он<br />
что-то мямлил. Все это время<br />
Гришечкин молчал, и вдруг<br />
говорит офицерам: «Вы что,<br />
не видите, что он еще недостаточно<br />
владеет русским, не<br />
стоит с ним терять время,<br />
вызовем его позже». И вдруг<br />
– как заорет на пленного: «Воо-он<br />
отсюда!!!». Это явно была<br />
показная грубость, рассчитанная<br />
на офицеров. Просто, как<br />
Казак потом понял, Гришечкин<br />
таким образом решил его<br />
спасти. А через четыре месяца<br />
был транспорт на родину:<br />
часть самых слабых пленных,<br />
к каковым можно было<br />
отнести и Казака, отпускали<br />
в Германию. Но Вольфганга<br />
в алфавитном списке не оказалось.<br />
Зато в самом конце<br />
списка неожиданно были приписаны<br />
фамилии Казака и еще<br />
троих пленных, отправляемых<br />
<strong>немецкая</strong> газета № 14 (309) Июль 2011<br />
«Русский язык спас мне жизнь»<br />
В советском плену Вольфганг Казак почувствовал внутреннюю близость к русским – и стал славистом<br />
Он уже не возразит из скромности в ответ на эту оценку его труда:<br />
пожалуй, никто на Западе не сделал столько полезного для русской<br />
литературы в XX веке, сколько сделал он. Но мало кто знает, что<br />
крупнейший из послевоенных немецких ученых-славистов, тончайший<br />
знаток русского языка, директор Института славистики Кёльнского<br />
университета, автор первого в мире «Лексикона русской<br />
литературы ХХ века», профессор Вольфганг Казак (1927–2003) обязан<br />
своему выбору жизненного пути пребыванию в советском плену.<br />
в Германию (было ясно, кто<br />
эту приписку сделал, защищая<br />
фамилию Вольфганга еще<br />
тремя другими). Сам Гришечкин<br />
ехал в этом же эшелоне<br />
начальником и взял его в свой<br />
вагон. Вагон был товарный,<br />
как и все остальные, но с печкой,<br />
кроватями для офицеров<br />
и... одними огромными нарами<br />
– для Казака. И все две<br />
недели, пока они ехали из Кузнецка<br />
(под Пензой) до Франкфурта-на-Одере,<br />
он работал<br />
переводчиком, его кормили.<br />
И вот таким образом он был<br />
освобожден из плена, вернулся<br />
домой, в Германию. Потому<br />
он и убежден, что русский<br />
язык спас ему жизнь.<br />
Прибыв в родной Потсдам,<br />
он решил посвятить свою<br />
жизнь русскому языку. Выбрал<br />
профессию переводчика, сдал<br />
в том же Потсдаме экзамен<br />
на аттестат зрелости, затем в<br />
Гейдельберге с помощью отца<br />
поступил в Институт переводчиков<br />
университета, по окончании<br />
которого в 1951-м сдал<br />
экзамен на синхрониста. А<br />
Г. Крошин<br />
еще через два года, уже в Гёттингенском<br />
университете стал<br />
доктором филологии, написав<br />
работу о Гоголе.<br />
Погружаясь в русский язык,<br />
он стал не просто переводчиком,<br />
а ученым-славистом,<br />
авторитетным исследователем<br />
и популяризатором русской<br />
литературы. Из 900 публикаций<br />
В. Казака – около 20 переводов<br />
книг русских писателей,<br />
от Достоевского до современных<br />
авторов.<br />
В 1955–1968 годах он работал<br />
в немецком МИДе: был<br />
одним из переводчиков в<br />
делегации канцлера Конрада<br />
Аденауэра, первым переводчиком<br />
посольства ФРГ в<br />
Москве, организовал первую<br />
немецкую выставку в СССР и<br />
обмен учеными между нашими<br />
странами, внеся важный вклад<br />
в развитие культурных связей<br />
между ФРГ и СССР. Однако<br />
затем в течение 17 лет ему не<br />
выдавали визу для въезда в<br />
СССР. Это и понятно: ведь в<br />
то время профессор публично<br />
говорил о настоящей русской<br />
литературе. Он включил<br />
в свой «Лексикон» статьи о<br />
запрещенных тогда в СССР<br />
писателях – Иване Шмелеве,<br />
Дмитрии Мережковском,<br />
Зинаиде Гиппиус, Гумилеве,<br />
Ахматовой, Мандельштаме,<br />
Клюеве и др. С момента выхода<br />
в свет «Лексикона» в 1976<br />
году и вплоть до начала перестройки<br />
его главный труд был<br />
в СССР запрещен. Только в<br />
1996-м в переводе на русский<br />
он вышел в России.<br />
«Короче говоря, без моего<br />
плена в СССР и без капитана<br />
Гришечкина, – улыбается<br />
доктор Казак, – мы бы с вами<br />
сейчас не беседовали... Будучи<br />
в плену, я пережил то, что<br />
заронило в моей душе доверие<br />
и внутреннюю близость к русским».<br />
Немецкий взгляд на собственное прошлое<br />
В Москве открыта выставка о подневольных рабочих при нацистах<br />
В конце июня исполнилось 70 лет с начала Великой Отечественной<br />
войны. К этой скорбной дате немецкие фонды Мемориальных<br />
комплексов Бухенвальд и Миттельбау-Дора при поддержке германского<br />
фонда «Память, ответственность и будущее» привезли в<br />
Москву выставку «Принудительный труд. Немцы, подневольные<br />
рабочие и война». Выставка впервые освещает всю историю самого<br />
массового преступления нацистов: более 20 миллионов человек<br />
были привлечены к принудительным работам на территории Германской<br />
империи и в оккупированных вермахтом странах.<br />
То, что выставка проходит<br />
под патронажем Федерального<br />
президента Германии<br />
Кристиана Вульфа, является<br />
знаковым символом немецкого<br />
отношения к истории.<br />
Несмотря на то, что нынешнее<br />
поколение немцев не<br />
повинно в деяниях Третьего<br />
рейха, оно признает свою<br />
историческую ответственность<br />
в этом вопросе. В<br />
качестве жеста примирения<br />
Германия через созданный<br />
в 2000 году в Берлине фонд<br />
«Память, ответственность и<br />
будущее» частично компенсировала<br />
бывшим узникам<br />
фашизма их физические и<br />
моральные страдания.<br />
Лилия Козлова<br />
На сегодняшний день выплаты<br />
денег уже завершены, и<br />
основная функция фонда<br />
заключается в финансовой<br />
поддержке гуманитарных программ,<br />
целью которых обозначены<br />
документация фактов<br />
принудительного труда при<br />
национал-социализме и увековечение<br />
памяти об этом. В<br />
этом ракурсе и была инициирована<br />
международная передвижная<br />
выставка «Принудительный<br />
труд. Немцы, подневольные<br />
рабочие и война».<br />
Ознакомить широкую общественность<br />
с нелегкой судьбой<br />
подневольных рабочих при<br />
национал-социализме – по<br />
мнению председателя фонда<br />
«Память, ответственность<br />
и будущее» Мартина Зальма,<br />
это является главной целью<br />
выставки. «Представители<br />
данных общественных групп<br />
должны пользоваться уважением,<br />
– говорит Мартин Зальм<br />
и подчеркивает – нельзя допустить<br />
замалчивания выпавших<br />
на их долю страданий».<br />
Основу экспозиции составляют<br />
уникальные архивные<br />
документы, фотографии,<br />
трофейные плакаты, личные<br />
вещи, карточки, трудовые<br />
книжки, письма, оригиналы<br />
приказов и распоряжений<br />
деятелей СС и администраций<br />
концлагерей. В общей сложности<br />
представлено около<br />
450 исторических фотографий,<br />
более 500 документов,<br />
более 60 репрезентативных<br />
сюжетов, основанных на биографиях<br />
конкретных людей.<br />
При сборе документов были<br />
исследованы сотни частных и<br />
музейных хранилищ, мемориальных<br />
комплексов, а также<br />
региональные и государственные<br />
архивы 18 стран.<br />
Выставка из Германии с большим<br />
сочувствием показывает<br />
трагедию тех людей, на чью<br />
долю пришлись плен и бесчеловечные<br />
условия в военных<br />
концлагерях. Вот молодой<br />
советский военнопленный<br />
лег в грязь и пьет воду из<br />
лужи! А вот – старый ботинок,<br />
глядя на который чувствуешь<br />
присут ствие его невидимого<br />
хозяина, узника концлагеря.<br />
Подобные элементы позволяют<br />
посетителям выставки<br />
ощутить чувство сопричастности<br />
к тому далекому ужасному<br />
прошлому. И в этом<br />
заслуга ее организаторов.<br />
Авторы экспозиции подошли<br />
к своей работе не формально,<br />
а с душевным вниманием,<br />
желанием сделать ее понятной<br />
любому посетителю.<br />
Выставка «Принудительный<br />
труд. Немцы, подневольные<br />
работники и война» можно<br />
увидеть в Центральном музее<br />
Великой Отечественной войны<br />
1941–1945 гг. на Поклонной<br />
горе до 23 октября 2011 года.<br />
Ушел из жизни<br />
Адам Шмидт<br />
В субботу, 9 июля на 91-м<br />
году жизни в Ярославле в<br />
своей мастерской скоропостижно<br />
скончался художник<br />
Адам Шмидт. Большую часть<br />
своей жизни этот художник<br />
от Бога с нелегкой судьбой<br />
российского немца проработал<br />
декоратором в театре.<br />
И все это время он писал<br />
картины. Последняя персональная<br />
выставка прошла в<br />
начале этого года в Музее<br />
истории города Ярославля.<br />
Приносим искренние соболезнования<br />
родным и близким<br />
художника.<br />
МСНК
<strong>Московская</strong> <strong>немецкая</strong> газета № 14 (309) Июль 2011<br />
Р е г и о н ы Г е р м а н и и<br />
VII<br />
«Второй Рим», мозельское вино и… Карл Маркс<br />
В Рейнланд-Пфальце находится старейший город Германии – Трир<br />
В 1793 году Гёте, проезжая через Трир, записал: «Город внутри стен<br />
переполнен, нет, задавлен церквями, часовнями, монастырями,<br />
церковными общинами и зданиями, которые принадлежат рыцарским<br />
и монашеским орденам, не говоря уже об аббатствах, картезианских<br />
обителях и богадельнях, которые покрывают, нет, загромождают<br />
его». Сегодня Трир – город мозельских виноделов, церковников<br />
и студентов – живет своей тихой провинциальной жизнью,<br />
полной воспоминаниями о былом расцвете на закате римской<br />
эпохи.<br />
Первое поселение было основано<br />
императором Августом<br />
более двух тысячелетий назад.<br />
В 18-м году до н.э. римляне возвели<br />
мост через реку Мозель.<br />
Жившее в этом месте племя<br />
треверов, обустраивая проходивший<br />
по реке торговый путь,<br />
вбило в ее дно первые дубовые<br />
сваи. Однако и треверы не были<br />
первыми жителями этих мест:<br />
брод через Мозель существовал<br />
здесь еще в каменном веке.<br />
Можно понять жителей Трира,<br />
которые на Рыночной площади<br />
в центре города на известном<br />
здании Красного дома вывели<br />
надпись на латыни: «<strong>An</strong>te<br />
Romam Treveris stetit annis mille<br />
Trecentis», что переводится<br />
примерно так: «До Рима Трир<br />
стоял тысячу и триста лет».<br />
Это, конечно, некое преувеличение,<br />
однако цифры, с которыми<br />
здесь сталкиваешься, поражают<br />
воображение. Например,<br />
на той же Рыночной площади<br />
можно увидеть крест, поставленный<br />
там еще в 958 году в<br />
честь данных городу торговых<br />
привилегий, и Фонтан Петра,<br />
украшающий ее с 1595-го.<br />
При рождении город треверов<br />
получил имя Augusta<br />
Treverorum, позже название<br />
трансформировалось в Трир.<br />
В течение сотни лет этот<br />
город был столицей Западной<br />
Рим ской империи, «вторым<br />
Римом», как называл его император<br />
Диоклетиан. Здесь последовательно<br />
правили шесть<br />
В этом мало чем отличающемся<br />
от своих соседей доме на<br />
Симеонштрассе родился вождь<br />
международного пролетариата<br />
Карл Маркс<br />
императоров, размещались<br />
имперские монетные дворы.<br />
Число жителей города достигало<br />
80 тысяч. Во время набегов<br />
варваров он был разграблен и<br />
разрушен. Позже Трир переживал<br />
периоды расцвета и упадка,<br />
а после наполеоновских войн<br />
стал самым бедным пограничным<br />
пунктом Прусской империи.<br />
Но это не помешало ему<br />
сохранить уникальный архитектурный<br />
ансамбль древнеримского<br />
поселения. В этом легко<br />
убедиться, посетив городской<br />
Гр. Крошин<br />
«Дом трех святых королей»<br />
со входной дверью на уровне<br />
второго этажа<br />
wikipedia<br />
Возведенные в 180 году ворота Порта Нигра являются символом Трира<br />
Григорий Крошин<br />
Музей Simeonstift в древнем<br />
монастыре Cв. Симеона.<br />
От римских времен в городе<br />
сохранились возведенная в 310<br />
году Константином Великим<br />
базилика, построенный в 152-м<br />
Римский мост, по которому<br />
сегодня проходит автодорога,<br />
и купальни – термы, сооружение<br />
которых завершилось<br />
также при императоре Константине.<br />
А самый впечатляющий<br />
памятник – Порта Нигра<br />
(с латинского – черные ворота)<br />
– является символом Трира.<br />
Эти ворота, построенные в 180<br />
году без применения цемента,<br />
являются самыми большими<br />
(высота 29,3 м) и наиболее<br />
хорошо сохранившимися<br />
антич ными воротами во всем<br />
мире. От Черных ворот начинается<br />
улица Симеонштрассе. Она<br />
является стержнем, на который<br />
нанизаны практически все<br />
достопримечательности Трира.<br />
Исторические памятники города<br />
являются объектами Всемирного<br />
наследия и находятся<br />
под защитой ЮНЕСКО.<br />
Жители Трира не зря гордятся<br />
древностью своего города,<br />
чрезвычайно богатого с туристической<br />
точки зрения. Впечатлений<br />
здесь хватит на всех<br />
– любителей ренессанса барокко<br />
или рококо, увлекающихся<br />
раннехристианской или еврейской<br />
историей, а еще и тех, кто<br />
интересуется началом биографии…<br />
автора «Капитала». Факт<br />
рождения в этом городе Карла<br />
Маркса считался, кстати, главной<br />
достопримечательностью<br />
в Трире для редких туристов<br />
из СССР.<br />
От Черных ворот по Симеонштрассе<br />
в сторону городского<br />
рынка – дорога, по которой<br />
ходил в школу Карл Маркс.<br />
В доме №10 по Брюккенштрассе,<br />
где 5 мая 1818 года родился<br />
немецкий философ, экономист<br />
и общественный деятель, ныне<br />
располагается Дом-музей Маркса.<br />
Почему Маркс пришел к идее<br />
социализма именно в Трире?<br />
Ведь, казалось бы, в этом городке<br />
и поныне не могло быть никакого<br />
пролетариата. Историки<br />
доказали, что это впечатление<br />
ошибочно. После присоединения<br />
Трира к Пруссии город<br />
обнищал. Верхний слой жителей,<br />
к которому принадлежал и<br />
Маркс – дворянство, духовенство,<br />
чиновники, – сократился.<br />
Нижний слой – ремесленники,<br />
торговцы, виноградари – вырос<br />
числом и стал беднее. Рабочим,<br />
которые трудились на виноградниках,<br />
зарплату часто выдавали<br />
не деньгами, а… вином и водкой.<br />
Возрастала преступность.<br />
В Трире не было городского<br />
пролетариата, никаких фабрик.<br />
Однако имелся другой, земельный<br />
пролетариат. Маркс, уже<br />
будучи редактором «Рейнской<br />
газеты», в своих статьях много<br />
внимания уделял этому земельному<br />
пролетариату – трирским<br />
виноградарям, черпая из этого<br />
опыта свои идеи.<br />
Улица Брюккенштрассе – от<br />
Дома-музея Маркса и до реки<br />
Мозель – названа теперь именем<br />
Карла Маркса. Забавно то,<br />
что сегодня на этой улице расположены<br />
бордели, ночные<br />
клубы, порновидеосалоны и<br />
другие прелести капиталистического<br />
мира. Но назвать<br />
ее типичной улицей красных<br />
фонарей все же нельзя – здесь<br />
есть и совершенно обыкновенные<br />
магазинчики, кафе,<br />
турбюро и другие благопристойные<br />
заведения. Не грех<br />
заглянуть и в один из многочисленных<br />
винных погребков,<br />
расположенных по соседству,<br />
и по пробовать знаменитые<br />
мозельские вина, которыми<br />
славится регион.<br />
На улице достопримечательностей<br />
– Симеонштрассе – расположен<br />
«Дом трех святых королей»,<br />
один из немногих сохранившихся<br />
домов-крепостей. В<br />
раннее Средневековье из соображений<br />
безопасности единственным<br />
входом в дом была<br />
дверь на уровне второго этажа,<br />
куда поднимались по выдвижной<br />
лестнице. Предчув ствуя опасность,<br />
жители дома прятали лестницу<br />
и тем самым защищали<br />
свое добро. Возведенное изначально<br />
в 1230 году здание было<br />
полностью перестроено в XVIII<br />
веке, появились входные двери<br />
на нижнем этаже.<br />
Еще одним магнитом для<br />
туристов в городе является<br />
трирский собор Святого Петра<br />
– старейший по времени основания<br />
собор Германии. Храм был<br />
заложен в 320-е годы по повелению<br />
императора Константина.<br />
По размерам (112,5 м на 41-м)<br />
собор является крупнейшим<br />
церковным зданием города.<br />
Изначально интерьер Трирско-<br />
wikipedia<br />
Трир<br />
го собора согласно романскому<br />
стилю был довольно мрачным,<br />
но в XVIII веке были добавлены<br />
элементы барокко. В частности,<br />
появился украшенный<br />
богатой резьбой алтарь, а также<br />
покрытая рельефами алтарная<br />
преграда. В Трирском соборе<br />
хранится целый ряд христианских<br />
святынь: Хитон Господень,<br />
мощевик с главой Святой<br />
Елены, часть цепи, которой был<br />
скован Апостол Павел, сандалия<br />
и гвоздь Cвятого Андрея<br />
Первозванного, а также частицы<br />
мощей Святых праведных<br />
Иоакима и Анны.<br />
Интересна история возникновения<br />
в Трире современного<br />
университета. Первоначально<br />
университет Трира был основан<br />
в 1473 году, а в 1798 под<br />
давлением французов, которые<br />
к тому времени командовали<br />
в городе, он прекратил свое<br />
По античному Римскому мосту сегодня ездят современные автомобили<br />
существование. Спустя целых<br />
172 года университет был вновь<br />
восстановлен как часть университета<br />
Трир-Кайзерслаутерн, а<br />
с 1975-го он существует уже как<br />
самостоятельное учреждение.<br />
Учиться вы поедете в Трир или<br />
просто любоваться его видами,<br />
восторг от древнейшего города<br />
Германии вам гарантирован,<br />
поверьте.<br />
Самыми представительными из сохранившихся купален являются Императорские термы, построенные при<br />
императоре Константине<br />
wikipedia<br />
Гр. Крошин
VIII<br />
<strong>Московская</strong><br />
н е м е ц к и й я з ы к<br />
<strong>немецкая</strong> газета № 14 (309) Июль 2011<br />
Warum spielen <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n so eine große Rolle in unserem<br />
Leben? Mit <strong>die</strong>ser Frage beschäftigten sich <strong>die</strong> Teilnehmer<br />
des Sprachlagers „Meine Infowelt“/ „Mobile Akademie“<br />
vom 1. bis 14. Juli 2011 in Udelnaja, Gebiet Moskau. Die<br />
Jugendlichen, <strong>die</strong> aus verschiedenen Regionen Russlands<br />
kamen, setzten sich intensiv mit der Welt der Me<strong>die</strong>n auseinander<br />
und erfuhren dabei so einiges. Zum Beispiel,<br />
dass der deutsche Bauingenieur und Unternehmer Konrad<br />
Zuse als Erfinder des Computers gilt und dass <strong>die</strong> allererste<br />
Ausgabe der Moskauer Deutschen Zeitung am 1.<br />
Juni 1865 erschien.<br />
Außerdem konnten sich <strong>die</strong> jungen Teilnehmer des Sprachlagers<br />
als Redakteure, Fotografen oder Layouter versuchen<br />
und sich dabei der großen Me<strong>die</strong>nwelt zugehörig<br />
fühlen. Hier erfährst du, was deine Altersgenossen über<br />
ihre Infowelt zu sagen und zu zeichnen haben.<br />
Bereits seit 15 Jahren haben junge Russlanddeutsche <strong>die</strong><br />
Möglichkeit, <strong>die</strong> Sprache ihrer Vorfahren in einer entspannten<br />
und lockeren Atmosphäre zu lernen. Die Jugendsprachlager<br />
des Internationalen Verbands der deutschen Kultur<br />
(IVDK) sind mittlerweile zur Tradition geworden. In <strong>die</strong>sem<br />
Jahr organisiert der IVDK mit Unterstützung des Bundesministeriums<br />
des Innern der Bundesrepublik Deutschland und<br />
des Ministeriums <strong>für</strong> Regionalentwicklung der Russischen<br />
Föderation drei Sprachlager auf föderaler Ebene – zwei im<br />
Gebiet Moskau und eines in Wolgograd.<br />
Diana Usikowa, Maxim Grischokin<br />
Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert<br />
der neuen Technologien. Heute kann ich<br />
es mir nur schwer vorstellen, dass ich<br />
vor fünf Jahren noch ohne Internet lebte<br />
und dass es vor zehn Jahren noch keine<br />
Mobiltelefone gab.<br />
Die Welt bleibt nicht stehen und entwickelt<br />
sich immer weiter. Es kommen<br />
immer wieder neue Technologien und<br />
Informationsquellen dazu.<br />
Wie viele andere Jugendliche verbringe<br />
auch ich den größten Teil meiner Freizeit<br />
im Internet. Das Internet hat mir mein<br />
Schülerdasein und überhaupt mein Leben<br />
erleichtert. Um neue Informationen zu<br />
bekommen, gehe ich meistens sofort<br />
online.<br />
Der größte Teil von Informationen <strong>für</strong><br />
meine Vorträge und Präsentationen <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Schule stammt aus dem Internet. Ich<br />
kann aber auch in unsere Schulbib liothek<br />
gehen, obwohl es mehr Zeit in <strong>An</strong>spruch<br />
nimmt. Man kann natürlich auch in einer<br />
Internetbibliothek nach Büchern suchen,<br />
aber es ist umständlich, das ganze Werk<br />
online zu lesen. Man muss mehrmals <strong>die</strong><br />
Seite aufsuchen und dabei immer den<br />
Absatz finden, den man zuletzt gelesen<br />
hat. Das ist anstrengend. Deshalb ist es<br />
gut zu wissen, dass man immer noch in<br />
eine gewöhnliche Bibliothek gehen kann.<br />
So werden auch <strong>die</strong> Bücher nicht vergessen.<br />
Außerdem tut man auf <strong>die</strong>se Weise<br />
auch etwas Gutes <strong>für</strong> seine Gesundheit.<br />
Denn es ist bekannt, dass das lange Sitzen<br />
vor dem Computer den Augen und dem<br />
ganzen Körper schaden kann. Man sollte<br />
auf jeden Fall darauf aufpassen, dass man<br />
nicht lange vor dem PC sitzt.<br />
Alle Neuigkeiten kann man in erster Linie<br />
aus dem Internet erfahren. Aber in meiner<br />
Meine Infowelt<br />
Familie ist es zur Tradition geworden, Zeitungen<br />
und Zeitschriften zu abonnieren.<br />
Ich lese sie auch mit großem Interesse.<br />
Da ich noch Schüler bin, entwickelt sich<br />
meine Infowelt zum größten Teil dank<br />
der Informationen, <strong>die</strong> ich in der Schule<br />
bekomme. Im Unterricht gewinne ich<br />
viele neue und interessante Kenntnisse<br />
und so kann man <strong>die</strong> Schule auch als eine<br />
wichtige Informationsquelle betrachten.<br />
Im Gegensatz zum Internet, sind <strong>die</strong><br />
Informationen, <strong>die</strong> uns unsere Lehrer im<br />
Unterricht vermitteln, lebendig. In der<br />
Klasse kann ich <strong>die</strong> neuen Kenntnisse<br />
mit meinen Klassenkameraden sofort und<br />
direkt besprechen.<br />
Unsere Infowelt bildet sich außerdem<br />
aus den Informationen, <strong>die</strong> wir zu Hause<br />
bekommen. Es beginnt mit den ersten<br />
Stunden, <strong>die</strong> wir mit unseren Eltern verbringen.<br />
Ich erinnere mich an <strong>die</strong> Erzählungen<br />
und Märchen meiner Mutter, als<br />
ich noch klein war. Ich hörte sie und mein<br />
Herz blieb fast stehen, so spannend war<br />
das <strong>für</strong> mich.<br />
Ich erinnere mich, wie ich zum ersten<br />
Mal in <strong>die</strong> Musikschule im Zentrum der<br />
deutschen Kultur kam. Ich wollte immer<br />
mehr und mehr erfahren. Auch heute<br />
gehe ich noch hin und erfahre dort immer<br />
mehr Neues und Interessantes.<br />
Das Internet spielt zwar <strong>die</strong> größte Rolle<br />
in meiner Infowelt, aber nicht weniger<br />
wichtig sind <strong>für</strong> mich Menschen in<br />
meiner Umgebung. Wenn ich mit ihnen<br />
rede und diskutiere, wird meine Infowelt<br />
reicher. Und je reicher <strong>die</strong> Infowelt ist,<br />
desto gebildeter ist der Mensch!<br />
Alexej Kurilo, 15 Jahre<br />
Romanowo, Region Altai<br />
Wollt ihr meine Infowelt kennenlernen?<br />
Ich bin immer auf dem Laufenden. Ich<br />
mag alles Neue und Interessante. Darum<br />
lese ich viel.<br />
Zeitschriften, Zeitungen, Filme, Internet<br />
– das alles ist meine Infowelt. Meine Eltern<br />
abonnieren <strong>für</strong> mich verschiedene Jugendmagazine.<br />
Es gibt eine Zeitschrift, <strong>die</strong> ich<br />
besonders gern lese. Diese Zeitschrift<br />
heißt „Die Welt der Kinder und Teenager“.<br />
Dort erfahre ich über <strong>die</strong> wichtigsten Probleme<br />
und Ereignisse im Leben anderer<br />
Kinder, Neues aus den Bereichen Kultur,<br />
Wissenschaft, Literatur und Sport.<br />
Meine Freundin Ella gibt mir <strong>die</strong> Illustrierte<br />
„Alle Stars“ zum Lesen, weil ich mich<br />
auch <strong>für</strong> Mode und Stars interessiere. Es<br />
gibt dort schöne Poster mit Stars, <strong>die</strong> unter<br />
Jugendlichen sehr populär sind.<br />
Spannend finde ich auch <strong>die</strong> Jugendzeitschrift<br />
„Ich bin 15“. Manchmal schreibe<br />
ich sogar selbst an <strong>die</strong> Redaktion der Zeitschrift<br />
und erzähle über meine Freunde<br />
und meine Schule, auch über meine<br />
Lieblingsfilme. Auch darüber, dass ich<br />
Gedichte schreibe und ein wenig Gitarre<br />
spiele. Die anderen Leserbriefe finde ich<br />
auch immer interessant.<br />
Nützliche Informationen bekomme<br />
ich aus der Zeitschrift „Marussja“. Dort<br />
gibt es psychologische Tests, Koch- und<br />
Backrezepte, Horoskope, Strickmuster,<br />
Schönheits- und Gesundheitstipps sowie<br />
weitere Informationen über das Leben<br />
der bekannten Menschen, über Reisen<br />
und Berufe. Das Abo <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Zeitschrift<br />
bekam ich von meiner Mutter zum 12.<br />
Geburtstag geschenkt und seitdem lese<br />
ich sie regelmäßig.<br />
Für <strong>die</strong> Schule lese ich andere Zeitschriften.<br />
Mein Lieblingsmagazin ist<br />
Hallo liebe Freunde!<br />
„GEO“. Dort gibt es viele Reisereportagen<br />
über verschiedene Länder. Besonders<br />
spannend finde ich <strong>die</strong> Fotoreihen. Im<br />
Erdkundeunterricht liegt <strong>die</strong>ses Magazin<br />
immer neben mir auf der Schulbank.<br />
Ich habe ein großes Interesse <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
deutsche Sprache und möchte <strong>die</strong> Sprache<br />
so gut lernen, dass ich später bessere<br />
Berufsmöglichkeiten habe. Die Zeitschriften<br />
in deutscher Sprache, <strong>die</strong> in<br />
Russland erscheinen, helfen mir dabei.<br />
Eine davon ist „Schrumdirum“. Ich vergesse<br />
alles um mich herum, wenn ich<br />
<strong>die</strong>se Zeitschrift lese. In der Schule haben<br />
wie einen Lesezirkel <strong>für</strong> „Schrumdirum“<br />
gegründet. Wir treffen uns einmal im<br />
Monat und diskutieren über <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Themen und Artikel aus „Schrumdirum“.<br />
Auch im Internet sind meine Hauptinteressen<br />
Lesen und Deutsch. Ich kann stundenlang<br />
am Computer sitzen und mich<br />
mit der Multimediabibliothek beschäftigen.<br />
Außerdem habe ich einen Freund<br />
in Deutschland, mit dem ich oft chatte.<br />
Er schreibt mir interessante E-Mails, ich<br />
antworte ihm – das hilft mir, meine<br />
Deutschkenntnisse zu verbessern.<br />
Unter uns Jugendlichen ist das Fernsehen<br />
das am intensivsten genutzte Medium.<br />
Was mich angeht, so interessieren<br />
mich vor allem Unterhaltungssendungen<br />
und besonders <strong>die</strong> Castingshow „Star-<br />
Fabrik“.<br />
Also, ich finde meine Infowelt ziemlich<br />
vielfältig. Ich möchte noch mehr lesen,<br />
hören und sehen. Man muss nur Zeit<br />
da<strong>für</strong> finden, Lust dazu habe ich immer.<br />
Nadeschda Browina, 13 Jahre<br />
Slatoust, Gebiet Tscheljabinsk<br />
Kennst du dich mit der Me<strong>die</strong>nwelt aus? Kannst du<br />
alle Fragen richtig beantworten? Viel Erfolg!<br />
1. Wodurch wurde der deutsche Bauingenieur und<br />
Unternehmer Konrad Zuse berühmt?<br />
a) Er hat den Computer erfunden.<br />
b) Er hat <strong>die</strong> Computermaus erfunden.<br />
c) Er hat Flashmob und Bookcrossing veranstaltet.<br />
2. E-Mails aus Deutschland enden...<br />
a) auf „.dt“<br />
b) auf „.de“<br />
c) auf „.ger“<br />
3. Die Abkürzung<br />
ZDF bedeutet…<br />
a) Zur deutschen<br />
Freiheit<br />
b) Zweites Deutsches<br />
Fernsehen<br />
c) Zweite deutsche<br />
Fußball-Liga<br />
„Meine Infowelt“ – das Quiz<br />
4. Wie lautet in Deutschland <strong>die</strong> umgangssprachliche<br />
Bezeichnung <strong>für</strong> das @-Zeichen?<br />
a) Hund<br />
b) Hundeschwanz<br />
c) Klammeraffe<br />
5. Im Jahre 1729 wurde <strong>die</strong> erste deutschsprachige<br />
Zeitung in Russland herausgegeben. In welcher<br />
Stadt?<br />
a) Orenburg<br />
b) Moskau<br />
c) St. Petersburg<br />
6. Was ist das Synonym von „der Monitor“?<br />
a) der Speicher<br />
b) der Bildschirm<br />
c) <strong>die</strong> Arbeitsfläche<br />
7. Wer ist hauptberuflich mit der Verbreitung und<br />
Veröffentlichung von Informationen durch Massenme<strong>die</strong>n<br />
beschäftigt?<br />
a) der Journalist<br />
b) der Schriftsteller<br />
c) der Korrektor<br />
8. Was war das<br />
erste elektronische<br />
Massenmedium?<br />
a) der Fernseher<br />
b) der Hörfunk<br />
c) der Computer<br />
9. Wann erschien<br />
<strong>die</strong> allererste Ausgabe der Moskauer Deutschen<br />
Zeitung?<br />
a) am 1. Juni 1865<br />
b) am 1. Mai 1966<br />
c) am 1. Juli 1964<br />
10. Welches „Tier“ gehört neben dem Monitor und<br />
der Tastatur zur externen Ausstattung eines Computers?<br />
a) Hund<br />
b) Katze<br />
c) Maus<br />
Lösungen:<br />
1a; 2b; 3b; 4c; 5c; 6b; 7a; 8b; 9a; 10c<br />
Leonid Schulz (2)<br />
Адрес редакции: 119 435, Москва, ул. Малая Пироговская, д. 5, оф. 54. E-mail: redaktion@martens.ru Тел.: +7 (495) 937 65 44, +7 ( 495) 246 94 48.<br />
Отпечатано в типографии: ОАО «Издательский дом «Красная Звезда», 123007, Москва, Хорошевское ш., 38.
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
RUSSLANDS NACHBARN<br />
09<br />
Das Schweigen wird lauter<br />
Immer mittwochs auf <strong>die</strong> Straße: Stummer Protest gibt Weißrussen endlich eine Stimme<br />
Not macht erfinderisch. In Weißrussland hat <strong>die</strong> Wirtschaftskrise<br />
junge Leute mobilisiert, gegen <strong>die</strong> Staatsführung zu demonstrieren –<br />
ohne Transparente, ohne Sprechchöre, ohne Forderungen. Es wird<br />
nur geklatscht. Die Teilnehmer verabreden sich mit Hilfe von Twitter,<br />
Facebook und Vkontakte. Seit <strong>An</strong>fang Juni sind bei <strong>die</strong>ser so genannten<br />
„Revolution über <strong>die</strong> Sozialnetzwerke“ in weißrussischen Städten jeden<br />
Mittwoch zwischen ein paar Dutzend und mehreren Hundert Menschen<br />
auf <strong>die</strong> Straße gegangen. Mit ihrer wortlosen Aktion blamieren sie das<br />
Regime, das den subversiven Widerstand von Polizei in Zivil bekämpfen<br />
lässt und wahllos verhaftet – Me<strong>die</strong>nvertreter eingeschlossen.<br />
Weißrussland steckt in der<br />
schwersten Krise seit 15 Jahren.<br />
Die Nationalwährung wurde im<br />
Mai um 56 Prozent abgewertet,<br />
<strong>die</strong> Inflationsrate liegt bei 34 Prozent.<br />
Devisen werden knapp, was<br />
den Import von Waren aus dem<br />
Ausland bremst. Die Preise <strong>für</strong><br />
Lebensmittel, Zigaretten und Sprit<br />
ändern sich jeden Tag. Noch 2010<br />
ging es der Bevölkerung wirtschaftlich<br />
vergleichsweise sehr<br />
gut – dank billigem Öl und Gas<br />
aus Russland. Heute wird auf <strong>die</strong><br />
Ersparnisse zurückgegriffen und<br />
auf Vorrat eingekauft, falls Zucker,<br />
Salz oder Sonnenblumenöl knapp<br />
werden sollten.<br />
Die Regierung hofft auf neue<br />
Kredite von IWF und Russland.<br />
Es heißt, <strong>die</strong> Situation werde sich<br />
Von Maryna Rakhlei (n-ost)<br />
innerhalb eines Monats stabilisieren.<br />
Doch wie das gehen soll,<br />
weiß keiner. Die Europäische<br />
Union scheint genauso hilflos zu<br />
sein. Sie verhängte Sanktionen<br />
gegen weißrussische Firmen, <strong>die</strong><br />
das Regime unterstützen. Mehr<br />
als 100 Beamte dürfen nicht in <strong>die</strong><br />
EU einreisen, da ihnen Menschenrechtsverletzungen<br />
vorgeworfen<br />
werden. Doch schon 2008 erklärte<br />
Brüssel <strong>die</strong> Politik der Sanktionen<br />
gegenüber Minsk <strong>für</strong> gescheitert.<br />
Offenbar ist man nicht in der<br />
Lage, eine langfristige Strategie<br />
im Verhältnis zum Nachbarland<br />
zu entwickeln.<br />
Auch Moskau wartet ab – und<br />
festigt in der Zwischenzeit seine<br />
Wirtschaftskontrolle über Weißrussland.<br />
Die Verhandlungen über<br />
den Kauf strategisch wichtiger<br />
Betriebe sind genauso intransparent<br />
wie <strong>die</strong> Bedingungen <strong>für</strong><br />
Russlands Kredite. Das russische<br />
Staatsfernsehen berichtet täglich<br />
über Weißrussland: über <strong>die</strong><br />
marode Wirtschaft, <strong>die</strong> aggressive<br />
Polizei und das machtlose Volk.<br />
Doch <strong>die</strong>ses Volk wehrt sich<br />
nun auf kreative Weise gegen<br />
<strong>die</strong> Bevormundung. Es klatscht<br />
auf öffentlichen Plätzen in <strong>die</strong><br />
Hände – ein Beifall, von dem<br />
jeder weiß, wie er gemeint ist. Die<br />
Menschen riskieren ihre Freiheit,<br />
aber sie bekämpfen <strong>die</strong> <strong>An</strong>gst. Das<br />
Potenzial der Straßenaktionen ist<br />
schwer einzuschätzen. Aber noch<br />
vor einem halben Jahr waren sie<br />
undenkbar. Und nun gibt ausgerechnet<br />
das Schweigen den Weißrussen<br />
eine Stimme.<br />
Die Staatsmacht reagiert so, wie<br />
man sie kennt: Treffpunkte der<br />
Protestler werden abgeriegelt,<br />
Klatschen auf der Straße wird<br />
neuerdings offiziell als Störung<br />
der öffentlichen Ordnung behandelt.<br />
Während des Nationalfeiertags<br />
am 3. Juli nahmen Polizisten<br />
in Zivil rund 400 Menschen fest,<br />
darunter ein Kleinkind. Die Verhaftungen<br />
erfolgten ohne jede<br />
Moskau klatscht mit<br />
Vor der weißrussischen Botschaft in Moskau solidarisierten sich rund 30<br />
Menschen mit den Demonstranten im Nachbarland und klatschten ebenfalls<br />
in <strong>die</strong> Hände. Aufgerufen dazu hatte <strong>die</strong> Oppositionsbewegung „Solidarnost“.<br />
Miese Werte <strong>für</strong> Lukaschenko – aber wenig Proteststimmung<br />
Das 1992 in Weißrussland gegründete Unabhängige Institut <strong>für</strong> sozialökonomische<br />
und politische Stu<strong>die</strong>n ist seit geraumer Zeit in Litauen<br />
registriert. Deshalb kann es auch Ergebnisse veröffentlichen, <strong>die</strong><br />
kaum im Sinne von Präsident Alexander Lukaschenko sein dürften.<br />
Eine aktuelle Umfrage vom Juni vermittelt eine Vorstellung von der<br />
Stimmungslage in der Bevölkerung.<br />
Erstmals seit vielen Jahren hat<br />
nur noch eine Minderheit Vertrauen<br />
zu Lukaschenko, nämlich<br />
35,7 Prozent.<br />
Die Zahl derer, <strong>die</strong> heute bei<br />
Präsidentschaftswahlen <strong>für</strong> Lukaschenko<br />
stimmen würden, sank<br />
zum ersten Mal seit 2003 unter<br />
30 Prozent und liegt bei 29,3 Prozent.<br />
Im Dezember 2010, also im<br />
Wahlmonat, waren es nach Erhebungen<br />
des Instituts 53 Prozent.<br />
Lukaschenko gewann <strong>die</strong> Wahlen<br />
mit offiziell 79,6 Prozent.<br />
Dass Lukaschenko de facto alle<br />
<strong>Macht</strong> auf sich vereinigt, „davon<br />
hat Weißrussland nichts“, sagen<br />
59,1 Prozent.<br />
Ob Lukaschenkos Sieg bei den<br />
Präsidentschaftswahlen <strong>die</strong> weißrussische<br />
Gesellschaft noch mehr<br />
geeint oder noch mehr gespalten<br />
habe, wollten <strong>die</strong> Meinungsforscher<br />
wissen. 44,9 Prozent antworteten<br />
„gespalten“ – <strong>die</strong> Mehrheit.<br />
Vor drei Monaten waren es<br />
nur 38,7 Prozent und damit eine<br />
Minderheit.<br />
73,4 Prozent gaben an, dass sich<br />
ihr materieller Lebensstandard im<br />
letzten Vierteljahr verschlechtert<br />
habe.<br />
Dass sich <strong>die</strong> weißrussische<br />
Wirtschaft in der Krise befindet,<br />
bejahen 81,5 Prozent. Die Schuld<br />
da<strong>für</strong> geben sie vor allem dem Präsidenten<br />
(44,5 Prozent) und der<br />
Regierung (36,7 Prozent), weniger<br />
den Weltmärkten (27 Prozent)<br />
oder Spekulanten (16,6 Prozent).<br />
Einen merklichen <strong>An</strong>stieg des<br />
Protestpotenzials oder gar eine<br />
„revolutionäre“ Gesinnung, von<br />
der Oppositionsführer und politische<br />
Beobachter sprechen, bestätigte<br />
<strong>die</strong> Umfrage jedoch nicht.<br />
Nur 25,9 Prozent bezeichnen sich<br />
als „oppositionell eingestellt“.<br />
Lediglich zehn Prozent haben<br />
bereits an öffentlichen Kundgebungen<br />
teilgenommen, rund<br />
20 Prozent sagen, sie könnten sich<br />
eine Teilnahme vorstellen.<br />
26,6 Prozent heißen <strong>die</strong> Oppositionsaktionen<br />
nach dem Wahlsieg<br />
Erklärung und ohne Rechtsgrundlage.<br />
Die weißrussische Opposition<br />
ist derweil zerschlagen und<br />
hält sich zurück. Der Protest hat<br />
Lukaschenkos im vergangenen<br />
Dezember gut. 43,7 Prozent lehnen<br />
sie ab, 24,4 Prozent äußerten<br />
sich gleichgültig.<br />
68,4 Prozent der Befragten glauben,<br />
dass „alle oder viele“ Weißrussen<br />
<strong>An</strong>gst hätten, ihre politischen<br />
<strong>An</strong>sichten zu artikulieren.<br />
Im Herbst 2007 waren es nur<br />
46,8 Prozent.<br />
Außenpolitisch hat sich <strong>die</strong> Einstellung<br />
der Weißrussen zuletzt<br />
kaum verändert. Bei einer Volksbefragung<br />
wären 45,1 Prozent <strong>für</strong><br />
einen Beitritt zur EU (im März<br />
waren es 48,6 Prozent), 31,4 Prozent<br />
<strong>für</strong> einen Staatenbund mit<br />
Russland (im März 29,2 Prozent).<br />
Auf <strong>die</strong> Frage, was wichtiger ist,<br />
<strong>die</strong> Verbesserung der wirtschaftlichen<br />
Situation oder <strong>die</strong> Unabhängigkeit<br />
des Landes, votierten<br />
keine <strong>An</strong>führer und kein Reformprogramm.<br />
Der Spielraum <strong>für</strong><br />
<strong>An</strong>dersdenkende ist eng. Schon<br />
das Schweigen wird den <strong>Macht</strong>habern<br />
zu laut.<br />
65 Prozent <strong>für</strong> <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />
Lage.<br />
53,3 Prozent charakterisieren<br />
<strong>die</strong> weißrussischen Me<strong>die</strong>n als<br />
„abhängig“.<br />
Das Internet wird von 40 Prozent<br />
der Befragten „regelmäßig“<br />
genutzt, also täglich oder mehrmals<br />
pro Woche. Vor allem inländische<br />
Quellen haben dabei an<br />
Popularität zugelegt. Im März<br />
2009 besuchten nur 18,3 Prozent<br />
weißrussische Seiten, heute sind<br />
es 33,3 Prozent.<br />
20 Prozent der Befragten haben<br />
eine Seite beim russischen Sozialnetzwerk<br />
Vkontakte, 17,9 Prozent<br />
bei Odnoklassniki und 8,5 Prozent<br />
bei Facebook.<br />
Zusammengestellt von<br />
Tino Künzel.<br />
RIA Nowosti<br />
Minsker Kopfstände<br />
Weißrussland-Kolumne von Alexandra Romanowa<br />
Die Krim war einst das<br />
beliebteste Ferienziel <strong>für</strong> Sommerurlauber<br />
aus allen Teilen der<br />
Sowjetunion. Das Publikum ist<br />
seitdem mehr oder weniger dasselbe<br />
geblieben, nur dass <strong>die</strong> Krim<br />
mittlerweile in der Ukraine liegt<br />
und damit <strong>für</strong> viele Touristen,<br />
<strong>die</strong> jedes Jahr wiederkommen,<br />
inzwischen Ausland ist. Wie sehr<br />
Ausland, das sticht derzeit vor<br />
allem uns Weißrussen ins Auge.<br />
In den Geschäften gibt es Zucker,<br />
Joghurt und Shampoo im Überfluss.<br />
Niemand lädt damit ganze<br />
Einkaufswagen voll, um sich <strong>für</strong><br />
schwere Zeiten zu wappnen, wie<br />
das in Minsk oder Brest der Fall<br />
ist.<br />
Der Weißrusse möchte sich<br />
während seines Urlaubs auf der<br />
Krim den Nachbarn aus anderen<br />
ehemaligen Sowjetrepubliken<br />
mitteilen. Er möchte ihnen von<br />
der Devisenkrise erzählen, von<br />
den Milizionären, den stummen<br />
Protesten. Doch nach einiger<br />
Zeit stellt er fest: Man versteht<br />
ihn nicht. Die Urlaubsbekanntschaften<br />
haben einen anderen<br />
Blick auf <strong>die</strong> Lage in Weißrussland<br />
als er selbst, als ob sie durch<br />
ein Kaleidoskop schauen, dass<br />
ein Bild in seine Einzelteile zerlegt<br />
und völlig neu zusammensetzt.<br />
Wer versucht, etwa mit den<br />
Einwohnern der Krim zu den<br />
weißrussischen Straßenaktionen<br />
ins Gespräch zu kommen, der<br />
wird angeschaut wie ein kleines<br />
Kind. Die Leute können sich<br />
keinen Reim darauf machen,<br />
warum sich jemand statt Alexander<br />
Lukaschenko einen<br />
anderen Präsidenten wünschen<br />
sollte. In den Jahren der eigenen<br />
Unabhängigkeit haben sie aufgehört,<br />
daran zu glauben, dass sich<br />
<strong>Macht</strong> und <strong>An</strong>stand vertragen.<br />
<strong>An</strong> Lukaschenko gefällt ihnen,<br />
dass er den Beamten und Unternehmern<br />
nicht erlaubt, sich zu<br />
bereichern. Sie halten ihn <strong>für</strong><br />
einen Robin Hood, der von den<br />
Reichen nimmt und den Armen<br />
gibt. Sie würden so einen selber<br />
wählen. Zumal auf der Krim <strong>die</strong><br />
Geschäfte noch immer nicht viel<br />
anders laufen als in den kriminellen<br />
90er Jahren.<br />
Es führt zu nichts, der örtlichen<br />
Bevölkerung zu erklären, dass<br />
Lukaschenko den Arbeitern vor<br />
den letzten Präsidentschaftswahlen<br />
den Lohn auf 500 Dollar<br />
erhöht hat, damit sie <strong>für</strong> ihn stimmen.<br />
Und dass gerade einmal ein<br />
halbes Jahr später der weißrussische<br />
Rubel abgestürzt ist und<br />
sich 500 Dollar in 200 verwandelten.<br />
Ich frage <strong>die</strong> Leute, was<br />
sie denn dazu sagen. „Es hat sich<br />
gezeigt, dass ein einfacher Arbeiter<br />
im postsowjetischen Raum<br />
nicht mehr als 200 Dollar ver<strong>die</strong>nen<br />
kann“, antwortet mir mit<br />
trauriger Stimme ein Turntrainer.<br />
„Aber Lukaschenko als Idealist<br />
wollte einfach ein besseres Leben<br />
<strong>für</strong> euch.“<br />
Die Weißrussen haben bei den<br />
Einheimischen einen Stein im<br />
Brett. Sie sind korrekt, geduldig,<br />
nie anmaßend – ideale Urlaubsgäste<br />
also. Der Ruf der Nation ist<br />
so gut, dass seit Jahren mitten in<br />
Jalta im Pavillon des Passagierhafens<br />
eine Ausstellung namens<br />
„Belarus“ läuft. Dort werden Textilien<br />
aus Brest verkauft – angeblich.<br />
Wir Weißrussen merken<br />
natürlich auf den ersten Blick,<br />
dass es sich nicht um Waren aus<br />
Brest handelt. Was nach türkischem<br />
Import aussieht, geht<br />
jedoch unter dem Label „Weißrussland“<br />
viel besser weg.<br />
Die Bewohner der Krim schütteln<br />
mitfühlend den Kopf: „Ach,<br />
<strong>die</strong> armen Weißrussen“. Und<br />
wenn man sich umdreht, rufen<br />
sie einem nach: „Was <strong>für</strong> ein<br />
Land wir doch verloren haben.“<br />
Sie glauben nach wie vor, <strong>die</strong><br />
Sowjetunion sei noch am Leben.<br />
Und der Kern <strong>die</strong>ser Überzeugung<br />
ist mein armes, kriselndes<br />
Weißrussland.<br />
Alexandra Romanowa (28) ist<br />
Journalistin und lebt in Minsk.<br />
Sie schreibt <strong>für</strong> russische<br />
Me<strong>die</strong>n und in ihrem Blog unter<br />
sasharomanova.livejournal.com.
10<br />
Moskauer<br />
LEBEN IN MO SKAU<br />
Der Moskauer Größen-Wahn hat manchmal auch sein Gutes. Zum Glück<br />
macht er vor der Naherholung nicht Halt. Der eine oder andere Park<br />
der Elfeinhalb-Millionen-Stadt kann sich in seinen Dimensionen mit<br />
Kleinstaaten messen. Für <strong>die</strong> letzte Folge unseres Park-Führers sind <strong>die</strong><br />
MDZ-Redakteure in <strong>die</strong>se Waldgebiete eingetaucht.<br />
Bitza-Park (Бицевский парк)<br />
Basics: Grüne Insel am südlichen Stadtrand, umgeben von Wohnvierteln<br />
aus sowjetischem Massenbau. 2 208 Hektar Fläche, Nord-<br />
Süd-Ausdehnung bis zu zehn Kilometer. Im Frühmittelalter zunächst<br />
von finno-ugrischen Stämmen besiedelt, ab dem 10. Jahrhundert von<br />
heidnischen Slawen. Erste Dörfer entstanden im 13. Jahrhundert. 1994<br />
auf Initiative von <strong>An</strong>wohnern unter Naturschutz gestellt. Erlangte<br />
nach der Jahrtausendwende zweifelhafte Berühmtheit auch außerhalb<br />
Moskaus, weil hier ein Serienmörder seine Opfer erschlug, von den<br />
Me<strong>die</strong>n „Bitzewskij Manjak“ (Bitza-Psychopath) getauft. 2006 gefasst,<br />
wurde Alexander Pitschuschkin, der 48 Morde und drei Mordversuche<br />
auf dem Gewissen hat, zu lebenslänglicher Haft verurteilt.<br />
Fixpunkte: Drei Landgüter aus dem 18. und 19. Jahrhundert in Randbereichen<br />
des Parks. Sieben Kurgane – steinerne slawische Hügelgräber<br />
aus vorchristlicher Zeit. Holzskulpturen heidnischer Gottheiten – im<br />
Jahr 2000 auf dem Wiesenplateau „Nackter Berg“ (Lyssaja Gora) im<br />
Nordwesten aufgestellt. Mehrere Mineralwasserquellen. Reitsportzentrum<br />
„Bitza“, gebaut <strong>für</strong> <strong>die</strong> Olympischen Sommerspiele 1980.<br />
Wintersportanlage „Uskoje“ mit Abfahrts- und Rodelpisten, Skilift und<br />
Skiverleih. „Ökopfad“ im Süden, bei der Metrostation Nowojassenewskaja.<br />
Sehr sehenswertes Paläontologisches Museum (www.paleo.ru)<br />
auf halber Strecke zwischen den Metrostationen Konkowo und Tjoplyj<br />
Stan, am westlichen Parkende.<br />
Wald und Wiese satt. Landschaft mit Höhen und Tiefen, reiche<br />
+<br />
Pflanzen- und Tierwelt. Gute Wahl <strong>für</strong> ausgedehnte Spaziergänge,<br />
Radtouren, Picknicks mit Kind und Kegel. Beliebtes Skigebiet, sowohl<br />
<strong>für</strong> Lang- als auch <strong>für</strong> Abfahrtsläufer.<br />
Adelsgüter entweder verfallen oder – als Sanatorium „Uskoje“ der<br />
– Akademie der Wissenschaften – anderweitig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />
unzugänglich. Wenn überhaupt, dann nur grobe Übersichtskarten, <strong>die</strong><br />
auf dem riesigen Gelände kaum Orientierung ermöglichen. Wer nicht<br />
weiß, wo er das Flüsschen Tschertanowka überqueren kann, das quer<br />
durch den Park verläuft, holt sich mindestens nasse Füße oder versinkt<br />
bis zu den Knöcheln im Schlamm.<br />
Öffnungszeiten: ohne Einschränkung<br />
Eintritt: frei<br />
<strong>An</strong>bindung: Zahlreiche Zugangsmöglichkeiten. Empfehlenswert: Von<br />
der Metrostation Beljajewo am Einkaufszentrum „Kapitolij“ vorbei<br />
20 Minuten zu Fuß <strong>die</strong> Miklucho-Maklaja-Straße hinunter zum Sewastopol-Prospekt,<br />
hinter dem der Park mit der Lichtung „Nackter Berg“<br />
beginnt. Zum Wintersportzentrum „Uskoje“ am Sewastopol-Prospekt am<br />
besten mit dem Bus 642 oder dem Trolleybus 85 (Haltestelle „Sportbasa<br />
Uskoje“) von den Metrostationen Kaluschskaja oder Jassenjewo.<br />
Infos: www.bitsevskipark.ru<br />
Natur ••• Besichtigung ••• Aktivitäten ••• Zustand •••<br />
Wald-Meister<br />
Moskau, deine Parks<br />
Teil 4<br />
5<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Kuskowo (Кусково)<br />
Basics: Ehemaliges <strong>An</strong>wesen der Bojarenfamilie Scheremetjew. Graf Pjotr Scheremetjew begann im<br />
18. Jahrhundert mit dem Bau einer Vorstand-Residenz. Mehr als 50 Jahre ließ er Palast und Park anlegen.<br />
Jeden Sommer gab es prunkvolle Empfänge <strong>für</strong> bis zu 30 000 Gäste. Nach der Oktoberrevolution verstaatlicht.<br />
<strong>An</strong> den Schlosspark grenzt der 310 Hektar große Stadtwald mit Birken, Linden und Eichen an.<br />
Fixpunkte: Denkmalgeschütztes Architektur-Ensemble mit klassizistischem Schloss direkt am Großen<br />
Teich, umrahmt von hübsch angelegten Alleen, Blumenbeeten und Skulpturen. Die Orangerie zeigt<br />
Meißner Porzellan, das Holländische Häuschen Tausende von kleinen Figuren, Krüge und Teller, das<br />
Italienische Häuschen antike Skulpturen sowie Modelle von Kirchen aus Jerusalem und Bethlehem. Im<br />
Keramikmu seum sind 30 000 Objekte von der <strong>An</strong>tike bis heute ausgestellt.<br />
+<br />
Ausgedehntes Wegenetz im Stadtwald <strong>für</strong> Stunden voller Erkundungen. Jogger, Radfahrer und – auf<br />
dem Asphalt – auch Skater kommen auf ihre Kosten. Senioren und Jungfamilien freuen sich über <strong>die</strong><br />
vielen Bänke. Sommerkonzerte im Palast und Park. Museen auf dem Landsitz-Gelände geben einen Einblick<br />
in vergangene Jahrhunderte, freundliche Museumsfrauen dürstet es geradezu danach, Besucher in <strong>die</strong> Porzellan-Kunst<br />
einzuführen.<br />
–<br />
Einstiger Prunk unter Grauschleier nur noch zu erahnen. Historische Gebäude bröckeln teils vor sich<br />
hin. Eine Bahnlinie direkt am Stadtwald lässt erholsame Stille erst gar nicht aufkommen. Regen verwandelt<br />
Wege schnell in Pfützen.<br />
Öffnungszeiten: <strong>An</strong>wesen Kuskowo mittwochs bis sonntags 10 bis 18 Uhr (im Winter nur bis 16 Uhr).<br />
Stadtwald ohne Beschränkung zugänglich.<br />
Eintritt: Kuskowo-Park 40 Rubel, Museen ab 150 Rubel. Stadtwald frei.<br />
<strong>An</strong>bindung: Von der Metrostation Rjasanskij Prospekt sechs Stationen mit den Bussen 133 oder 208 bis<br />
zur Haltestelle „Kuskowo“.<br />
Infos: www.kuskovo.ru<br />
Natur • • • Besichtigung • • • Aktivitäten ••• Zustand •••<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Elcheninsel<br />
Ismajlowo-Park<br />
Kuskowo<br />
Kusminki<br />
Bitza-Park<br />
Inna Hartwich Tino Künzel (8)
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Elcheninsel (Лосиный остров)<br />
LEBEN IN MOSKAU<br />
11<br />
Basics: Die Taiga von Moskau. 116 Quadratkilometer groß, dabei im Südwesten nur acht Kilometer vom<br />
Kreml entfernt. Einer der ersten Nationalparks in Russland, 1983 gegründet. Knapp ein Drittel der Fläche<br />
gehört zur Stadt Moskau, der Rest zum Moskauer Umland. Dazwischen verläuft <strong>die</strong> Ringautobahn MKAD.<br />
Schon im Mittelalter Jagdrevier <strong>für</strong> Fürsten und Zaren. 1799 in Staatsbesitz überführt. Im Zweiten Weltkrieg<br />
zu großen Teilen abgeholzt und später neu bepflanzt. 83 Prozent des Geländes sind bewaldet, fünf Prozent<br />
entfallen auf Sümpfe. Auf der Elcheninsel entspringt <strong>die</strong> Jausa, ein Zufluss der Moskwa.<br />
Fixpunkte: Zwei Besucherzentren, eines in Moskau („Russischer Alltag“) und eines im Umland („Teetrinken<br />
in Mytischtschi“). Museum „Alte russische Jagd“. Ökozentren <strong>für</strong> Kinder und Erwachsene. „Biostation“,<br />
in der Elche gehalten werden und wo Gäste alles über <strong>die</strong> Namensgeber des Parks erfahren können.<br />
Moskau zum Vergessen: Steinwüsten, Menschenmassen und Verkehr – alles ganz weit weg. Teils geradezu<br />
surreale Landschaften im Sumpfgebiet der Jausa, wo sich Möwen, Schwalben und andere Vogelar-<br />
+<br />
ten zu Hause fühlen. Und ja: Es soll auf der Elcheninsel auch in Freiheit lebende Elche geben. Allerdings wird<br />
ihnen nachgesagt, sehr scheu zu sein und sich vom Menschen fern zu halten.<br />
Einrichtungen <strong>für</strong> Besucher wenden sich offenbar vor allem an organisierte Gruppen und machen es<br />
– Ausflüglern nicht leicht, sie wenigstens zu finden. Ausschilderung entweder schlecht oder nicht vorhanden.<br />
Im Moskauer Teil des Parkes Wald ohne größere „Höhepunkte“, im Umland häufig Dickicht und<br />
Gestrüpp links und rechts der Wege. Rund <strong>die</strong> Hälfte des Territoriums als „besonders schützenswert“ eingestuft<br />
und nicht zugänglich.<br />
Öffnungszeiten: ohne Einschränkung<br />
Eintritt: frei<br />
<strong>An</strong>bindung: Auf vielfältige Weise. Eine praktische Variante ist der Bus 333 von der Metrostation WDNCh<br />
bis zur Endhaltestelle am Einkaufszentrum „XL“, einen Kilometer nach der MKAD an der Jaroslawler Chaussee.<br />
Am Kaufhaus vorbei führt ein Weg direkt in den Wald und damit in den Teil des Parks, der sich auf dem<br />
Territorium des Moskauer Landkreises befindet. Wer lieber in Moskau bleiben will, fährt mit der Elektritschka<br />
vom Jaroslawler Bahnhof zur Station Loss (20 Minuten) und wendet sich nach Südosten. Der Park liegt<br />
jenseits von Wohnbebauung und der Jaroslawler Chaussee.<br />
Infos: www.elkisland.ru<br />
Natur • • • Besichtigung • • • Aktivitäten ••• Zustand • ••<br />
Ismajlowo-Park (Измайловский Парк)<br />
Basics: Ismajlowo war ein Dorf, das ab Mitte des 17. Jahrhunderts<br />
dem Zarengeschlecht der Romanows gehörte. Im Laufe der Zeit<br />
vergrößerte <strong>die</strong> Familie ihren Besitz und betrieb dort unter anderem<br />
Jagd, Landwirtschaft, Pflanzenzucht und einen Tiergarten. 1812 wurde<br />
das <strong>An</strong>wesen bei Napoleons Russland-Feldzug fast völlig zerstört.<br />
1931 entstand hier der „Stalin-Park“, in den 50er Jahren umbenannt in<br />
„Ismajlowo-Park“. Heute einer der größten Moskauer Parks.<br />
Fixpunkte: Von der westlichen Parkgrenze bis zur so genannten<br />
Hauptallee reicht der „Park <strong>für</strong> Kultur und Erholung“ mit Riesenrad,<br />
Fahrgeschäften, Vergnügungszentrum „Western City“, Konzerten,<br />
Tanzveranstaltungen und Sportanlagen. Außerdem können Fahrräder,<br />
Skates und Ruderboote ausgeliehen oder Kutschtouren gebucht<br />
werden. Weiter östlich wird es waldig: dichter Baumbestand, mehrere<br />
Teiche (Badestelle am Krasnyj Prud), drei ausgewiesene Picknickpunkte,<br />
Kinderspielplätze, Reiterhof. Im Herzen des Waldes liegt <strong>die</strong><br />
alte Zaren-Imkerei. Außer Bienen gibt es dort Freigehege <strong>für</strong> Tiere des<br />
Waldes und einen Kräutergarten. Das Ökozentrum bietet Exkursionen<br />
an. Von der Metrostation Partisanskaja ist es nur ein Katzensprung zum<br />
beliebten Ismajlowskij-Flohmarkt.<br />
Abwechslung <strong>für</strong> lange Stunden und alle Geschmäcker. Breite,<br />
+<br />
asphaltierte Wege wie geschaffen <strong>für</strong> Skater und Fahradfahrer.<br />
Ausreichend Bänke zur Rast. Parkverwaltung sorgt <strong>für</strong> Sauberkeit.<br />
Orientierungssinn gefragt, denn auf Hinweistafeln und Wegweiser<br />
– wurde weitgehend verzichtet. Frost und Wurzeln haben dem<br />
Asphalt zugesetzt – Stolperfallen <strong>für</strong> Skater. Viele Fahrgeschäfte atmen<br />
den Charme der Sowjetjahre.<br />
Öffnungszeiten: Durchgehend. Fahrgeschäfte und Leihstationen<br />
schließen um 20 Uhr, einige erst um 21 Uhr.<br />
Eintritt: frei<br />
<strong>An</strong>bindung: Metrostationen Partisanskaja und Chaussee Entusiastow<br />
(Vergnügungspark), Metrostation Ismajlowskaja (Wald).<br />
Infos: www.izmailovsky-park.ru, www.izmailovo-park.ru<br />
Natur ••• Besichtigung ••• Aktivitäten ••• Zustand •••<br />
Diana Laarz<br />
Kusminki (Парк Кузьминки)<br />
Basics: Das größte ehemalige Adelsgut in den Grenzen des heutigen Moskaus. Peter der Große schenkte<br />
das Gelände, auf dem sich zunächst nur eine Mühle befand, 1702 dem Kaufmann Grigorij Stroganow –<br />
aus Dankbarkeit <strong>für</strong> dessen Finanzierung des Großen Nordischen Krieges gegen <strong>die</strong> Schweden. Von den<br />
Stroganows ging das Land 1757 an <strong>die</strong> Fürstenfamilie Golizyn über. Weil im 18. Jahrhundert zunächst das<br />
französische Barock mit seiner geometrischen Strenge <strong>die</strong> Gartenkultur prägte, aber danach englische<br />
Landschaftsparks mit ihrer Orientierung an der gewachsenen Natur in Mode kamen, vereint Kusminki<br />
beide Schulen. Das historische <strong>An</strong>wesen gilt als Paradebeispiel des russischen Empire und wurde im<br />
19. Jahrhundert gern mit Peterhof und Pawlowsk bei St. Petersburg verglichen. Erfreute sich zu allen Zeiten<br />
großer Beliebtheit: Zu den Gästen zählten Zaren, Schriftsteller wie Tschechow und Dostojewskij, der<br />
Feldherr Suworow und Revolutionsführer Lenin, der hier im Sommer 1894 eine seiner bekanntesten vorrevolutionären<br />
Schriften verfasste. 1918 verstaatlicht und dem Institut <strong>für</strong> experimentelle Veterinärmedizin<br />
übergeben. 1929 wurde <strong>die</strong> orthodoxe Kirche auf dem Territorium geschlossen und später als Wohnheim<br />
genutzt. 1941 beherbergte Kusminki eine Panzereinheit und musste als Verteidigungsstellung gegen <strong>die</strong><br />
Deutschen herhalten. Seit 1974 ein Naturdenkmal von staatlichem Rang mit knapp 1 200 Hektar Fläche. In<br />
den letzten Jahren wird <strong>die</strong> erhaltene Bausubstanz des Guts sukzessive restauriert.<br />
Fixpunkte: Drei miteinander verbundene Teiche, angelegt 1740. „Haus auf dem Damm“ zwischen Oberem<br />
und Unterem Kusminki-Teich nebst Straßencafés. Reiterhof mit Musikpavillon. Hauptgebäude des <strong>An</strong>wesens,<br />
heute ein Museum <strong>für</strong> russische Gutskultur, und Hauptallee, jeden Sommer gesäumt durch aufwändige<br />
Blumenbeete, <strong>die</strong>ses Jahr zum Thema „Kosmos und Sport“. Kirche von 1716. Französischer Park. Moskauer<br />
Väterchen-Frost-Residenz, daneben liebevoll gemachter Umweltlehrpfad. Spiel- und Sportanlagen. Verleih<br />
von Ruderbooten im Sommer und von Rodelreifen im Winter. Kart. Eis- und Tischtennishalle am Eingang<br />
von Seiten der Metrostation Kusminki. Der Reitklub organisiert Reitkurse und Kutschfahrten, unter anderem<br />
<strong>für</strong> Frischvermählte.<br />
Riesiges Gelände mit vielen unterschiedlichen Facetten. Häufig Open-Air-Konzerte. Nah am Wasser<br />
+<br />
gebaut: Rund um <strong>die</strong> Teiche spielt sich das Leben im Park ab. Wer sich hier nicht zu beschäftigen weiß<br />
oder wenigstens mit offenem Mund <strong>die</strong> malerische Landschaft und <strong>die</strong> eingesprenkelten Gutshäuser<br />
bestaunt, ist selbst schuld.<br />
Baden in den Teichen verboten (wenn auch toleriert). Beliebige Gastronomie wird dem Ambiente einer<br />
– altrussischen Residenz nicht gerecht. Teils laute Musikbeschallung aus Cafés. Kaum Toiletten.<br />
Öffnungszeiten: Durchgängig. Bootsverleih bis 22 Uhr, Museen schließen 18 Uhr und früher.<br />
Eintritt: Frei. Gebühr <strong>für</strong> Exkursionen, Kurse, Museenbesuch und Ausleihe von Sportgeräten.<br />
<strong>An</strong>bindung: Von der Metrostation Rjasanskij Prospekt mit dem Bus 29 oder der Marschrutka 429 bis zur<br />
Endhaltestelle direkt am Haupteingang. Von der Metrostation Kusminki 15 Minuten zu Fuß bis zum Eingang<br />
am Kino „Wysota“. Ein weiterer Eingang befindet sich direkt an der Metrostation Wolschskaja.<br />
Infos: www.kuzminky.ru, kuzpark.ru<br />
Natur ••• Besichtigung ••• Aktivitäten ••• Zustand •••<br />
Unsere Lieblingsparks<br />
Empfehlungen der MDZ-Redakteure<br />
Tino Künzel<br />
1. Sokolniki<br />
2. Kolomenskoje<br />
3. WWZ<br />
4. Siegespark<br />
5. Krylatskije Cholmy<br />
Diana Laarz<br />
1. Bitza-Park<br />
2. Timirjasew-Park<br />
3. Sokolniki<br />
4. Skulpturen-Park<br />
5. WWZ<br />
Inna Hartwich<br />
1. Kolomenskoje<br />
2. Sperlingsberge<br />
3. Sokolniki<br />
4. Troparjowo<br />
5. Silberwäldchen
12<br />
Moskauer<br />
Mobiltelefone. Uhren. DVDs. Wer<br />
zum Jaroslawler oder Leningrader<br />
Bahnhof wollte und aus der Metrostation<br />
Komsomolskaja nach oben<br />
gespült wurde, der erblickte noch<br />
bis vor kurzem als Erstes einen<br />
Basar, zu beiden Seiten flankiert<br />
von einer langen Reihe Imbissstände.<br />
Nebenan schliefen Obdachlose<br />
und posierten Prostituierte. Mit<br />
<strong>die</strong>sem Milieu kämpfte angeblich<br />
schon Ex-Bürgermeister Jurij<br />
Luschkow. Doch damals schien<br />
es förmlich mit dem Asphalt verwachsen<br />
zu sein.<br />
Jetzt brauchte es eine einzige<br />
Nacht, um aufzuräumen. Wenige<br />
Stunden, bevor Bürgermeister<br />
Sergej Sobjanin und Bahn-<br />
Chef Wladimir Jakunin zu einem<br />
Ortstermin vorfuhren, wurden<br />
alle Kioske zwischen den beiden<br />
LEBEN IN MOSKAU<br />
Bahn macht sich den Hof<br />
Grünanlage statt Markt: Ein Verkehrsknotenpunkt wird entknotet<br />
Die Stadt Moskau hat das Gelände rings um <strong>die</strong> drei am Komsomol-<br />
Platz gelegenen Bahnhöfe an <strong>die</strong> Russische Bahn (RschD) verpachtet.<br />
Im Gegenzug soll der Monopolist schon bis zum Stadtgeburtstag am<br />
3. September da<strong>für</strong> sorgen, dass <strong>die</strong> Flächen bedeutend attraktiver<br />
<strong>für</strong> Reisende werden. Als erste Maßnahme verschwanden Ende Juni<br />
im Übergangsbereich zwischen Jaroslawler und Leningrader Bahnhof<br />
über Nacht sämtliche Marktbuden. Dort ist eine Grünfläche mit<br />
Springbrunnen geplant.<br />
Von Yulia Abdullaeva<br />
Bahnhöfen abgerissen. Um <strong>die</strong><br />
Neugestaltung der frei gewordenen<br />
Fläche will sich Stadtarchitekt<br />
Alexander Kusmin höchstpersönlich<br />
kümmern. Die Rede ist<br />
von einer Grünanlage mit Springbrunnen<br />
und Skulpturen – sauber<br />
und ästhetisch.<br />
Aber darin soll sich <strong>die</strong> Verschönerungskur<br />
längst nicht erschöpfen.<br />
Der Leningrader Bahnhof<br />
bekommt zwischen Komsomol-<br />
Platz und Haupteingang eine<br />
Marmortreppe, schmiedeeiserne<br />
Gitter und altertümliche Laternen.<br />
Vor dem Kasaner Bahnhof<br />
gegenüber wird eine stilisierte<br />
Lokomotive aufgestellt und <strong>die</strong><br />
Bahnhofsfassade mit einer Sonnenuhr<br />
geschmückt. Auch unter<br />
dem Dach ist an alles gedacht: In<br />
den Bahnhöfen werden <strong>die</strong> Fahrgäste<br />
den Plänen zufolge ausführliche<br />
Informationen zur jeweiligen<br />
Geschichte des Gebäudes und seinen<br />
Architekten vorfinden. Ein<br />
breites <strong>An</strong>gebot an Gastronomie<br />
und Geschäften <strong>für</strong> Reisebedarf<br />
soll nicht zuletzt den Wegfall der<br />
bisherigen Händler kompensieren.<br />
Für jeden Geschmack und jede<br />
Geldbörse sei etwas dabei, heißt<br />
es beim RschD-Presse<strong>die</strong>nst.<br />
Ordnung geschaffen werden soll<br />
schon bei der <strong>An</strong>fahrt zum Bahnhof.<br />
Bisher gab es am Komsomol-<br />
Platz kaum Parkplätze. Haltende<br />
Autos in mehreren Reihen behinderten<br />
ständig den Verkehr. Nun<br />
hat Nikolaj Ljamow, Vizebürgermeister<br />
<strong>für</strong> Transport und Straßenbau,<br />
angekündigt, solche Probleme<br />
mit einem großen Parkhaus<br />
und einer Zone <strong>für</strong> Kurzparker<br />
ausmerzen zu wollen. Auch Busspuren<br />
und Stände <strong>für</strong> „offizielle“<br />
Taxis sollen eingerichtet werden.<br />
Leider gehen nicht alle Veränderungen<br />
so schnell vonstatten wie<br />
jetzt <strong>die</strong> Beseitigung der Marktbuden.<br />
Der überirdische Haupteingang<br />
zur Metrostation Komsomolskaja<br />
ist schon seit 2007 „bis<br />
auf Weiteres“ gesperrt.<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Guckle mal!<br />
Das deutsche Google hat auf nette Weise den 450. Geburtstag<br />
der Moskauer Basilius-Kathedrale gewürdigt. Es<br />
bildete <strong>die</strong> berühmtesten Zwiebeltürme der Welt auf<br />
seiner Startseite ab.<br />
Aus Moskau wird New Moskau<br />
to-the-future.livejournal.com<br />
Große Leere: Hinter <strong>die</strong>sen Mauern herrschte viele Jahre lang dichtes Gedränge um Markt- und Imbissstände. Jetzt sind sie weg.<br />
Tino Künzel (2)<br />
Moskau wächst und wächst. Mal in <strong>die</strong> Höhe, mal in <strong>die</strong> Breite. Jetzt bereitet<br />
sich <strong>die</strong> Stadt sogar auf einen Wachstumsschub vor, wie er in ihrer Geschichte<br />
noch nie vorgekommen ist. Im Südosten soll <strong>die</strong> administrative Grenze so<br />
tief ins Moskauer Umland hinein verschoben werden, dass sich Fläche der<br />
Hauptstadt auf einen Schlag von 1 070 auf 2 510 Quadratkilometer mehr als<br />
verdoppelt. Das besagte Territorium reicht von der Kiewer bis zur Warschauer<br />
Chaussee und bis zum so genannten Großen Eisenbahnring. Es schließt<br />
bisherige Moskauer Vororte wie Podolsk, Troizk und Schtscherbinka ein.<br />
Präsident Dmitrij Medwedew hat <strong>die</strong> Idee – eine gemeinsame Initiative von<br />
Stadt und Oblast – bereits gutgeheißen. Hintergrund des Vorhabens ist eine<br />
beabsichtigte „Dezentralisierung“ von Moskau. Ins Umland sollen unter<br />
anderem Behörden, Universitätseinrichtungen und das geplante Internationale<br />
Finanzzentrum ausgelagert werden. Davon versprechen sich <strong>die</strong> Autoren eine<br />
drastische Senkung der Bevölkerungsdichte, <strong>die</strong> heute fast dreimal so hoch ist<br />
wie in Berlin. Auch der Verkehrsbelastung soll so zu Leibe gerückt werden.<br />
Als bisherige Stadtgrenze gilt seit 1961 der Moskauer Autobahnring. Allerdings<br />
war <strong>die</strong> Stadt schon in der jüngeren Vergangenheit an mehreren Stellen<br />
„übergeschwappt“. Wie Bürgermeister Sergej Sobjanin beim Treffen mit<br />
Medwedew sagte, seien <strong>die</strong> Entwicklungsmöglichkeiten Moskaus in seiner<br />
jetzigen Form „erschöpft“.<br />
tk<br />
Mit dem Rollstuhl angeeckt<br />
Auf einer Moskauer Messe suchen Behinderte aus Deutschland den Dialog – und stoßen an Grenzen<br />
Erstmals fand <strong>An</strong>fang Juli in Moskau <strong>die</strong> Messe „Integration.Leben.<br />
Gesellschaft.2011“ rund um das Thema Behinderung statt. Als Vorbild<br />
<strong>die</strong>nte <strong>die</strong> Rehacare International in Düsseldorf. Nicht zuletzt deshalb<br />
war <strong>die</strong> deutsche Beteiligung groß. Das im Vorjahr gegründete<br />
Deutsch-Russische Jugendforum nutzte <strong>die</strong> Veranstaltung, um Behinderte<br />
und Nichtbehinderte aus beiden Ländern zusammenzubringen. Aus<br />
Deutschland reiste dazu eine 16-köpfige Gruppe an. In der MDZ ziehen<br />
<strong>die</strong> gehbehinderte Alina Huerkamp, Studentin der Sozialwissenschaften<br />
aus Düsseldorf, und Cheforganisator Jurij Nikitin von der Düsseldorfer<br />
Bildungsakademie INTAMT Bilanz.<br />
Wie ist <strong>die</strong> Resonanz auf das<br />
Jugendforum ausgefallen?<br />
Nikitin: Es ist schade, dass es auf<br />
russischer Seite so wenige Teilnehmer<br />
ohne Behinderung gab.<br />
Das liegt daran, dass <strong>die</strong> russische<br />
Gesellschaft noch nicht so sensibilisiert<br />
<strong>für</strong> das Thema ist. Behinderte<br />
Russen waren mehr da, oder<br />
Alina?<br />
Huerkamp: Vier, würde ich<br />
sagen. Wir haben sie leider nicht<br />
persönlich kennen gelernt. Manche<br />
waren nur ganz kurz da oder<br />
sind später dazu gekommen.<br />
Nikitin: Das liegt daran, dass sie<br />
es schwer hatten, zur Messe zu<br />
kommen. Öffentlicher Nahverkehr<br />
in Moskau ist <strong>für</strong> Behinderte völlig<br />
unzugänglich. Obwohl man in<br />
letzter Zeit angefangen hat, zum<br />
Beispiel in neue Metrostationen<br />
Lifte einzubauen. Nur funktionieren<br />
<strong>die</strong> leider meistens nicht.<br />
Frau Huerkamp, sind Ihnen <strong>die</strong>se<br />
Einschränkungen auch aufgefallen?<br />
Huerkamp: Sogar in der Umgebung<br />
des Messegeländes. Ich bin<br />
kurz aus dem Expocentre rausgefahren,<br />
um frische Luft zu schnappen.<br />
Nach 100 Metern musste ich<br />
aber schon umdrehen, weil ich mit<br />
meinem Rollstuhl nicht durch eine<br />
Absperrung gekommen bin. In der<br />
Gegenrichtung war es auch nicht<br />
besser.<br />
Nikitin: Da muss noch viel passieren.<br />
Aber das Problem ist erkannt,<br />
zumindest auf politischer Ebene.<br />
Vor fünf Jahren war das überhaupt<br />
noch kein Thema. Ich sehe zwei<br />
wichtige Punkte: <strong>die</strong> extrem eingeschränkte<br />
Mobilität <strong>für</strong> Behinderte<br />
in Moskau und <strong>die</strong> Tatsache, dass<br />
sich Nichtbetroffene dessen überhaupt<br />
nicht bewusst sind.<br />
Huerkamp: Das muss viel mehr<br />
in <strong>die</strong> Öffentlichkeit gebracht werden,<br />
zum Beispiel mit Umfragen.<br />
Es wäre gut, wenn <strong>die</strong> Diskussion<br />
vom Theoretisch-Politischen<br />
mehr ins Konkrete gehen würde.<br />
Wie kann man etwa Busse behindertengerecht<br />
machen? Die drei<br />
Stufen, <strong>die</strong> ich da gestern gesehen<br />
habe, sind mit dem Rollstuhl auf<br />
jeden Fall unüberwindbar.<br />
Wird im Bereich Öffentlichkeitsarbeit<br />
in Moskau etwas unternommen?<br />
Nikitin: Unsere Zusammenarbeit<br />
mit dem Institut <strong>für</strong> moderne<br />
Kunst in Moskau geht in <strong>die</strong>se<br />
Richtung. Da gab es einen Wettbewerb<br />
<strong>für</strong> so genannte soziale<br />
Plakate und auch eine Ausstellung<br />
dazu.<br />
Ist denn in Deutschland alles ideal?<br />
Dieser Eindruck wurde hier manchmal<br />
erweckt.<br />
Huerkamp: Vorhin hat jemand<br />
im Vortrag gemeint, dass es in<br />
Deutschland überhaupt keine<br />
Akzeptanzprobleme <strong>für</strong> körperliche<br />
Behinderungen gibt. Das ist<br />
mir zu pauschal. Inklusion heißt ja,<br />
dass alle Menschen gleich akzeptiert<br />
sind – mit und ohne Behinderung.<br />
Ich kann ein bisschen laufen.<br />
Einmal wollte mir jemand den<br />
Rollstuhl „abgewöhnen“. Das heißt<br />
dann <strong>für</strong> mich, dass mich derjenige<br />
nicht so annehmen kann, wie ich<br />
bin.<br />
Herr Nikitin, wie ist das Projekt<br />
Deutsch-Russisches Jugendforum<br />
entstanden?<br />
Nikitin: Wir haben 2007 angefangen,<br />
mit der Rehacare in Düsseldorf<br />
zu arbeiten. INTAMT bietet Schulungen<br />
und Fachstu<strong>die</strong>nreisen <strong>für</strong><br />
deutsche und russische Fachkräfte,<br />
Unternehmer und Geschäftsleute<br />
an, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Gepflogenheiten auf<br />
der jeweils anderen Seite besser<br />
kennen lernen möchten. Deshalb<br />
hatten wir auf dem Gebiet Dialog<br />
schon viel Erfahrung. Außerdem<br />
gibt es einen Vertrag über den<br />
deutsch-russischen Austausch, der<br />
vom ehemaligen deutschen Botschafter<br />
in Moskau angestoßen<br />
wurde. Da freuen wir uns sehr,<br />
dass es uns gelungen ist, in <strong>die</strong>sem<br />
Jahr solch starke Partner auf der<br />
russischen Seite zu gewinnen.<br />
Was heißt das?<br />
Nikitin: Im vergangenen Jahr ist<br />
der russische Finanzpartner kurzfristig<br />
abgesprungen und INTAMT<br />
musste <strong>die</strong> Kosten spontan selbst<br />
übernehmen. Vor zwei Monaten<br />
haben wir einen neuen Partner<br />
gefunden, das Sozialamt der Stadt<br />
Moskau. Der Leiter war auch einmal<br />
kurz hier zu Besuch.<br />
Wie soll es nach dem Jugendforum<br />
in Moskau weitergehen?<br />
Nikitin: Die Verbindung zwischen<br />
den Jugendlichen wollen wir<br />
auf jeden Fall aufrecht erhalten. Bis<br />
zur nächsten Rehacare in Düsseldorf<br />
sollten idealerweise gemeinsam<br />
ein kleines Projekt und eine<br />
Internetseite aufgebaut werden.<br />
Das Interview führte<br />
Marika Schweiger.
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Große Kunst<br />
Das 33. Internationale Filmfestival Moskau: Erwartungen, Enttäuschungen, Ergebnisse<br />
Großes Theater im Puschkin-Kino. Alles sieht nach offiziellem Staatsbesuch<br />
aus. Hunderte Polizisten riegeln <strong>die</strong> Straßen ab, Metalldetektoren stehen<br />
vor dem viel zu engen Eingang. Matte Bohemiens, junge Schauspielerinnen<br />
in Seide und Chiffon, kostspielige Autos. Es ist ein Tanz um das goldene<br />
Kalb, ein Festmahl während der Pest. Die charmante Jurypräsidentin<br />
Geraldine Chaplin widersteht dem russischen Snobismus: Zum Abschluss<br />
kommt sie in weißen Sneakers und spricht über <strong>die</strong> Kulturvielfalt. Das<br />
Festival und seine Preisträger sind ohnehin multikulturell.<br />
Man liest das Programm und<br />
blickt verlegen herum: Was nur<br />
soll ich wählen? Was ist wirklich<br />
sehenswert? Worin kenne<br />
ich mich überhaupt aus? <strong>An</strong>geboten<br />
werden drei Wettbewerbe:<br />
17 Filme im Hauptwettbewerb,<br />
13 in „Perspektiven“ und sieben<br />
Dokumentarfilme. Außerdem fünf<br />
Retrospektiven, sieben Spezialprogramme<br />
und zehn Programme<br />
außerhalb des Wettbewerbs – insgesamt<br />
380 Filme in drei Lichtspieltheatern.<br />
Bloß keine Furcht<br />
vor Zahlen! Das dicke, bebilderte<br />
Filmprogramm bekommt schnell<br />
den Beinamen „Bibel“.<br />
Vorführung des ersten Essay films<br />
in 3D, „Pina“ von Wim Wenders.<br />
22 Uhr, Montag. Die Zuschauermenge<br />
vor dem Eingang ist aufgeregt.<br />
„Jungen und Mädchen,<br />
vergessen Sie nicht: Ihr seid <strong>die</strong><br />
Intelligenz“, sagt ein Mann, von<br />
hohem Wuchs, mit Brille und<br />
einer Ausgabe von Immanuel<br />
Kant unterm Arm. Die Cineasten<br />
sind überall: Sie sitzen auf Treppenstufen,<br />
stehen am Ausgang,<br />
hängen sich von Balkonen herunter.<br />
<strong>An</strong> einer Treppe sitzt Alexej<br />
Litwinenko, der Star aus Valeria<br />
Gai Germanikas Skandalserie<br />
„Schule“. Die junge Generation<br />
russischer Schauspieler hat noch<br />
kein Pathos und keinen Hochmut<br />
entwickelt, <strong>die</strong> ihre Lehrer<br />
am Roten Teppich zeigen.<br />
Die Russen lieben einen Salat,<br />
den sie einst Vinaigrette tauften.<br />
Der Beste: der Spanier Carlos Álvarez-Nóvoa in „Las Olas“.<br />
Von Yulia Abdullaeva<br />
Genauso nennen sie auch ein<br />
Mischmasch aus Sachen oder<br />
Ereignissen, <strong>die</strong> nicht zueinander<br />
passen. Im Moskauer „Oktjabr“-<br />
Kino, der Hauptbühne des Festivals,<br />
finden ganz unterschiedliche<br />
Filmgattungen ihre Zuschauer.<br />
Neben etablierten Regiegrößen<br />
zeigen auch „Junge Debütanten“<br />
ihre Werke. Manchmal sind sie<br />
gar nicht mal so jung. Die zu<br />
erwartenden Filme ergeben sich<br />
als <strong>die</strong> Schwächsten, unbekannte<br />
gewinnen an Stärke – und <strong>die</strong><br />
Gunst der Zuschauer.<br />
Das internationale Moskauer<br />
Filmfestival (IFF) verliert von Jahr<br />
zu Jahr seine Ganzheit und liefert<br />
ein Programm <strong>für</strong> ganz unterschiedliche<br />
Gruppen. Der Eröffnungsfilm,<br />
Weltpremiere des US-<br />
Blockbusters „Transformers 3“<br />
verwundert <strong>die</strong> Filmkritiker: Was<br />
hat ein Mainstreamfilm mit einem<br />
Filmfestival zu tun? Die <strong>An</strong>twort<br />
ist einfach: IFF lockt neue<br />
Zuschauer, und das ganz erfolgreich:<br />
Mehr als 60 000 Zuschauer<br />
besuchten <strong>die</strong> 488 Vorführungen.<br />
Das sind 10 000 mehr als im vergangenen<br />
Jahr. Festivaldirektor<br />
Nikita Michalkow verkündet auch<br />
stolz weitere Zahlen: Mehr als<br />
7 100 Teilnehmer, Gäste und Journalisten<br />
seien akkreditiert worden,<br />
darunter auch rund 600 aus<br />
dem Ausland.<br />
Über <strong>die</strong> internationale Berühmtheit<br />
des zweitältesten Festivals der<br />
Welt lässt sich streiten. Es gilt<br />
neben dem Festival in Karlovy<br />
Vary als das größte in Osteuropa,<br />
aber mit seinen Brüdern in<br />
Cannes, Berlin und Venedig lässt<br />
es sich kaum vergleichen. Deshalb<br />
sind hier und da Sätze zu hören,<br />
wie „Das ist ein Film aus dem<br />
Berlinale-Programm“ oder „Heute<br />
Abend zeigt man den Preisträgerfilm<br />
aus Cannes“. Sind es <strong>die</strong> Visa-<br />
Beschränkungen, <strong>die</strong> dem Filmfestival<br />
<strong>die</strong> ausländischen Gäste<br />
rauben? Das wäre schade.<br />
12 Uhr, Vergabe der Eintrittskarten.<br />
Am kommenden Tag wird<br />
„Melancholie“ von Lars von Trier,<br />
Cannes’ Persona non grata, gezeigt.<br />
Mehr als 200 Menschen stehen<br />
in der Schlange. Die Kasse ist<br />
geschlossen. Die ersten kommen<br />
um 8 Uhr morgens, warten vor der<br />
Tür, um <strong>die</strong> Karten zu ergattern.<br />
Zwei Männer streiten sich darüber,<br />
wer früher gekommen ist, sie stehen<br />
kurz vor einer Schlägerei.<br />
Der Intendant des Senders „Perwyj<br />
Kanal“, Konstantin Ernst,<br />
sprach noch Ende Juni auf dem<br />
Forum „Kino Russlands 2020“<br />
darüber, wie hoch <strong>die</strong> Unlust russischer<br />
Jugendlicher ist, sich <strong>die</strong><br />
Filme aus der heimischen Produktion<br />
anzusehen. „Mehr als 35 Prozent<br />
junger Zuschauer antworten<br />
eindeutig: Russisches Kino wollen<br />
sie auf keinen Fall.“ Die Qualität<br />
der Produkte sei zu niedrig, sagte<br />
Ernst. Das Publikum wolle mehr<br />
als <strong>die</strong>selben Gesichter, Dramen<br />
und Humor „unter der Gürtellinie“.<br />
Beim IFF wird er eines Besseren<br />
belehrt. „Fünf Bräute“(5<br />
newest) von Karen Oganesjan<br />
im Programm „Gala-Premiere“<br />
verleiht dem russischen Kino ein<br />
großes Stück Hoffnung: keine<br />
einzige Plattitüde, <strong>die</strong> Zuschauer<br />
lachen sich schlapp, applau<strong>die</strong>ren<br />
nach jedem Witz. Alexander Seldowitschs<br />
„Zielscheibe“ (Mischen)<br />
über <strong>die</strong> Moskauer Elite, <strong>die</strong> nicht<br />
altern will – bei der Berlinale<br />
noch kühl empfangen – entzückt<br />
nahezu Kritiker und Publikum in<br />
Moskau.<br />
Im Hauptwettbewerb präsentiert<br />
sich Russland mit zwei Werken.<br />
Im schwarz-weißen „Herzens Boomerang“<br />
(Serdza bumerang) stellt<br />
Nikolaj Chomeriki den Alltag eines<br />
Maschinisten aus St. Petersburg<br />
dar. Der 23-jährige Kostja erfährt,<br />
dass er sterbenskrank ist. Im<br />
Gegensatz zur gewöhnlichen Entwicklung<br />
einer solchen Geschichte<br />
verändert <strong>die</strong>se Tatsache Kostjas<br />
Leben kaum. Keine Reise zum<br />
Meer, kein Banküberfall. Es geht<br />
um ein Leben, wie es Millionen<br />
Menschen leben, nicht um einen<br />
FEUILLETON<br />
Klappe auf <strong>für</strong> <strong>die</strong> 33. Auflage des Moskauer Filmfestivals: Nikita Michalkow und Geraldine Chaplin.<br />
13<br />
Ausnahmefall. Ganz anders ist da<br />
Sergej Lobans „Chapiteau Show“.<br />
Der Film erzählt vier Novellen über<br />
Liebe, Freundschaft, Respekt und<br />
Zusammenhalt. Paradox erscheinende<br />
Handlungsstränge, bunte<br />
Farben und ein sanfter Ton, der<br />
sich durch den Film zieht, begeistern.<br />
Loban bekommt denn auch<br />
einen Spezialpreis.<br />
Überhaupt <strong>die</strong> Preise: Saulius<br />
Drunga aus Litauen erhält <strong>für</strong> sein<br />
Erstlingswerk, den Krimi „<strong>An</strong>archie<br />
in Schirmunaj“, einen Preis<br />
in der Reihe „Perspektive“. Der<br />
Film „Hell and back again“ von<br />
dem 29-jährigen Danfung Dennis<br />
aus den USA bekommt eine<br />
Auszeichnung als bester Dokumentarfilm.<br />
Darin geht es um den<br />
Sturm einer Militärbasis der Taliban<br />
in Afghanistan.<br />
Der Hauptpreis, der Goldene<br />
Georg <strong>für</strong> den besten Film, geht<br />
in <strong>die</strong>sem Jahr nach Spanien– <strong>für</strong><br />
„Las Olas“ (Wellen) des 35-jährigen<br />
Alberto Morais. Zum besten<br />
Schauspieler wird der 71-jährige<br />
Carlos Álvarez-Nóvoa, Darsteller<br />
des Haupthelden Miguel<br />
gewählt. Miguel kehrt nach 60<br />
Jahren ins kleine Städtchen an der<br />
spanischen Grenze zurück und<br />
erinnert sich an <strong>die</strong> Ereignisse des<br />
Bürgerkriegs. Große Kunst.<br />
IFF Moscow (2)<br />
Extrem<br />
Ab 2012 will Moskau jedes Druckerzeugnis einer „Toleranz-Prüfung“ unterziehen<br />
Jedes Buch, jede Zeitschrift, selbst jede DVD muss ab dem kommenden<br />
Jahr durch <strong>die</strong> Prüfung des „Zentrums der informationsanalytischen<br />
Technologien“. Der Verdacht: Extremismus. Die Moskauer Behörde soll laut<br />
Stadtregierung jedes Druckerzeugnis einer so genannten Toleranz-Prüfung<br />
unterziehen. „Eine doppelte Arbeit“, kritisieren <strong>die</strong> Gegner des Projekts.<br />
Sie sind der Krisenstab der Moskauer<br />
Stadtregierung, <strong>die</strong> <strong>An</strong>gestellten<br />
des „Zentrums der informationsanalytischen<br />
Technologien“<br />
(ZIAT). Sie werden gerufen,<br />
wenn es um <strong>die</strong> Prüfung von<br />
Menschen geht, <strong>die</strong> Geschäfte mit<br />
der Stadt Moskau machen wollen,<br />
wenn es sich um Investitionsverträge<br />
handelt – und auch dann,<br />
wenn <strong>die</strong> Entscheidung ansteht,<br />
ob eine Demonstration in der<br />
russischen Hauptstadt genehmigt<br />
Von Inna Hartwich<br />
werden soll oder nicht. Stets steht<br />
<strong>die</strong> Sicherheit der Einwohner im<br />
Vordergrund. Heißt es bei ZIAT.<br />
Nun bekommt <strong>die</strong> Behörde eine<br />
zusätzliche Aufgabe: Druckerzeugnisse<br />
auf Extremismus-Verdacht<br />
prüfen. Flugblätter, Zeitungsartikel,<br />
Bücher, Videos, Internetprodukte<br />
und selbst öffentliche<br />
Auftritte von Menschen – sie alle<br />
sind bedenklich, manchmal gar<br />
radikal, extrem. So steht es in<br />
der Verfügung des Moskauer Bürgermeisters<br />
Sergej Sobjanin. Und<br />
<strong>die</strong>se Bedenken sollen ausgeräumt<br />
werden. Für <strong>die</strong> Extremismus-<br />
Vorbeugung, in all der möglichen<br />
Form, stehen 110 Millionen Rubel<br />
(umgerechnet 2,8 Millionen Euro)<br />
zur Verfügung. Für welchen Zeitraum,<br />
ist nicht eindeutig.<br />
Von „psychologisch-sprachwissenschaftlichen<br />
Erforschungen“<br />
ist in dem Schreiben des Stadtchefs<br />
<strong>die</strong> Rede. Im Klartext heißt<br />
es: lesen, suchen, dokumentieren<br />
– und <strong>die</strong> Staatsanwaltschaft<br />
darüber informieren, wenn sich<br />
tatsächlich bedenkliche Informationen<br />
in den untersuchten Unterlagen<br />
finden. Was unter „bedenklich“<br />
zu verstehen ist, sagt <strong>die</strong><br />
Behörde nicht genau. Spezialisten,<br />
<strong>die</strong> sich mit der <strong>An</strong>alyse von Texten<br />
hinsichtlich extremistischer<br />
Aussagen auskennen, hat ZIAT<br />
ebenfalls nicht. „Es werden Psychologen<br />
und Linguisten eingestellt“,<br />
versprach Walerij Kadazkij,<br />
Leiter der Abteilung „Regionale<br />
Sicherheit“ bei der Moskauer<br />
Stadtregierung, schon einmal vorsorglich.<br />
ZIAT kommentiert <strong>die</strong><br />
Situation gar nicht erst. Klar ist<br />
nur eines: 2012 soll es losgehen.<br />
Alexander Werchowskij ist da<br />
skeptisch. Der Leiter des Informationszentrums<br />
„Sowa“ (Eule),<br />
das sich gegen Rassismus und<br />
Fremdenfeindlichkeit einsetzt,<br />
sieht darin eine „doppelte Arbeit“.<br />
„Viele unabhängige Institute und<br />
NGOs erforschen solche Texte<br />
längst, es gibt geradezu ein Meer<br />
an ,nicht-toleranten Erzeugnissen‘.<br />
Wozu also eine Behörde, <strong>die</strong> nicht<br />
einmal weiß, was genau sie zu tun<br />
hat?“, fragt er. Das ZIAT bleibe<br />
ohnehin machtlos. „Es kann nur<br />
auflisten, wie viele Materialien <strong>die</strong><br />
Mitarbeiter gefunden haben. Die<br />
Praxis zeigt aber, dass <strong>die</strong>ses Zählen<br />
allein sinnlos ist.“ Alexander<br />
Brod von der russischen Bürgerkammer<br />
be<strong>für</strong>chtet einen Generalverdacht<br />
– vor allem der Opposition.<br />
„In unseren Gesetzen wird<br />
nicht genau formuliert, was unter<br />
,Extremismus‘ zu verstehen ist.<br />
Also bleibt vieles Auslegungssache.“<br />
Wie wohl auch <strong>die</strong> Tatsache,<br />
wie mit der Verfügung Sobjanins<br />
nun zu verfahren ist.
14<br />
Moskauer<br />
Freizeit<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
WO und WAS in MOSKAU<br />
KINO Restaurant Bühne Konzert Museum<br />
5Highlights<br />
Moskau<br />
erotisch<br />
Museen der „Erotischen Kunst“<br />
gibt es bereits seit langem in<br />
Amsterdam, in Berlin, New York,<br />
Paris, Barcelona und anderen<br />
Großstädten der Welt. Nun auch<br />
an der Moskwa. Und zwar nach<br />
eigener Aussage das weltgrößte.<br />
Auf 800 Quadratmetern befinden<br />
sich im ToschkaG mehr als 3 000<br />
Exponate – <strong>An</strong>tikes bis Zeitgenössisches<br />
rund um das Thema<br />
Leidenschaft, Liebe, Erotik und<br />
Körperkunst. Bis zum 17. Juli stellt<br />
dort auch <strong>die</strong> St. Petersburger<br />
Künstlerin Vera Donskaja-Chilko<br />
ihre Werke aus. Ihr neues Skandalbild<br />
trägt den Titel „Wrestling“<br />
und zeigt <strong>Putin</strong> und Obama nackt<br />
im Boxring, geschmückt wie Indianerhäuptlinge.<br />
Wer nach dem<br />
Museumsrundgang eine Abkühlung<br />
nötig hat: Im angeschlossenen,<br />
„erotischen“ Café gibt es<br />
nicht nur Heißes, sondern auch<br />
kühle Erfrischungen.<br />
täglich geöffnet<br />
Nowyj Arbat 15<br />
Metro: Arbat, Smolenskaja<br />
www.tochkaG.net<br />
Mail: info@tochkag.net<br />
Die Puppe ist furchterregend, ein<br />
Bündel aus Stroh ragt aus ihrem<br />
Körper, statt Augen sieht man nur<br />
klaffende Höhlen. Daneben stehen<br />
eine Puppe mit Federboa und<br />
nettem Lächeln und eine Drehorgel.<br />
So vielfältig kann <strong>die</strong> Welt der<br />
Figuren sein.<br />
Theater- Spiel- und Schaupuppen<br />
aller Epochen sind derzeit<br />
in vier Sälen des Ausstellungszentrums<br />
„Wetoschnyj“ zu sehen.<br />
Das Zentrum befindet sich in der<br />
schmalen Gasse hinter dem Kaufhaus<br />
GUM (Wetoschnyj Pereulok<br />
13). Die Aussstellungsmacher<br />
vom staatlichen Obraszow-Puppentheater<br />
haben sich bemüht,<br />
das Kulturphänomen der Puppe<br />
so deutlich wie möglich zu zeigen.<br />
Seit jeher haben Menschen<br />
Puppen <strong>für</strong> verschiedene Zwecke<br />
benutzt: Sie haben sie in Messen<br />
angebetet, im Museum ausstaffiert,<br />
im Volkstheater tanzen<br />
lassen, mit ihnen im Kinderbett<br />
Kino<br />
Open Air<br />
Auf der Bolotnyj-Insel können<br />
Film-Fans im Juli und August<br />
Kino unter freiem Himmel erleben.<br />
Das „Summertimes-Festival“<br />
wird organsisiert vom „Institut <strong>für</strong><br />
Architektur und Design Strelka“.<br />
Auf dem Gelände der ehemaligen<br />
Schokoladenfabrik „Roter Oktober“<br />
zeigt das Institut Kurzfilme<br />
aus aller Welt, von Australien über<br />
Japan, Kanada, Lateinamerika bis<br />
nach Europa. Zwei Abende sind<br />
der <strong>die</strong>sjährigen Berlinale gewidmet.<br />
Bei den „Summershorts –<br />
Berlinale“ werden <strong>die</strong> Kurzfilme<br />
aus Belgien, England, Südkorea,<br />
Russland, Italien, Kanada und<br />
Frankreich gezeigt, <strong>die</strong> im Februar<br />
an den 61. Filmfestspielen in<br />
der deutschen Hauptstadt teilgenommen<br />
haben. Die Themen:<br />
Jugend, Monster, Liebe, Gewalt<br />
und Musik.<br />
9. und 16. August<br />
Strelka – Institut <strong>für</strong> Me<strong>die</strong>n,<br />
Architektur und Design<br />
Bersenewskaja nabereschnaja 15,<br />
Gebäude 5<br />
Metro: Tretjakowskaja,<br />
Nowokusnezkaja, Poljanka,<br />
Kropotkinskaja<br />
Tel.: (495) 7717437<br />
www.summertimes.ru<br />
Vegetarier<br />
unter sich<br />
Beim Veg-Fest auf dem Gelände<br />
des Freizeit- und Kulturparks<br />
Ethnomir gibt es alles, was das<br />
Öko-Herz begehrt: viel Grünzeug,<br />
Yoga-Kurse, Vorträge zu Ernährungs-<br />
und Gesundheitsthemen,<br />
Gesund-Kochen-Workshops,<br />
einen Jahrmarkt voller vollwertiger,<br />
natürlich hergestellter Produkte<br />
und fleischloser Delikatessen,<br />
Trommel-Konzerte und<br />
gemeinsames Mantrasingen.<br />
Das 90 Kilometer von Moskau<br />
entfernte Kultur- und Tourimuszentrum<br />
Ethnomir ist eine<br />
Reise wert: in der weitläufigen<br />
Parkanlage können <strong>die</strong> Besucher<br />
Leben, Kultur und Traditionen<br />
verschiedener Völker kennen<br />
lernen. Regelmäßig finden dort<br />
auch Ausstellungen, Konzerte,<br />
Konferenzen und Festivals statt.<br />
Unterstützt wird Ethnomir vom<br />
russischen Bildungs- und Wissenschaftsministerium,<br />
von der<br />
UNESCO und Greenpeace.<br />
29. bis 31. Juli<br />
Ethnomir (Kaluschskaja Oblast,<br />
Borowskij Rajon, Dorf Petrowo)<br />
Tel: (495) 7107345<br />
www.vegfest.ru<br />
www.ethnomir.ru<br />
Mephisto trifft Pique Dame<br />
Eine Ausstellung zeigt <strong>die</strong> schaurig schöne Welt der Puppen<br />
Das staatliche akademische Obraszow-Puppentheater feiert in <strong>die</strong>sem<br />
Jahr gleich zwei Jubiläen. Das Theater gibt es seit 80 Jahren,<br />
und der sowjetische Theaterkünstler, Schauspieler und Regisseur des<br />
Puppentheaters Sergej Obraszow wäre in <strong>die</strong>sem Jahr 110 Jahre alt<br />
geworden. Die Veranstaltungsreihe im Jubiläumsjahr begann <strong>An</strong>fang<br />
Juli mit der Ausstellung „Raum der Puppen“ im Ausstellungszentrum<br />
„Wetoschnyj“.<br />
Rund um<br />
den Kreml<br />
Renn-Fieber rund um den<br />
Kreml. Zum <strong>die</strong>sjährigen Moscow<br />
City Racing kommen <strong>die</strong> Stars<br />
des internationalen Autosports:<br />
Vom Formel-1 Team Vodafone<br />
McLaren Mercedes ist Jenson<br />
Button mit dabei, von der Scuderia<br />
Ferrari gibt sich Giancarlo<br />
Fisichella <strong>die</strong> Ehre, ebenso Karun<br />
Chandhok vom Team Lotus sowie<br />
das Ralley Dakar Team „Kamas<br />
Master“. Am Samstag, 16. Juli,<br />
geht es um 12 Uhr los mit der<br />
Ausstellung und Präsentation der<br />
Fahrzeuge, Autogramm-Stunden<br />
und einer Autoshow des WRC<br />
(World Rally Championchip)<br />
Teams Citroen.<br />
Sonntag ab 12 Uhr starten <strong>die</strong><br />
großen Rennen rund um <strong>die</strong> russische<br />
<strong>Macht</strong>zenrale. Das Moscow<br />
City Racing gibt es seit 2008. Mehr<br />
als 300 000 Menschen wohnten<br />
im vergangenen Jahr dem Spektakel<br />
bei.<br />
16. und 17.Juli<br />
Rund um den Kreml<br />
Metro: Ochotnyj Rjad<br />
Tel.: (495) 7654574<br />
www.mosracing.ru<br />
Für Puppen ist man nie zu alt – Besucher des Wetoschnyj-Zentrums wissen das.<br />
Von Jelena Semjonowa<br />
geschmust. Das Hauptaugenmerk<br />
der Ausstellung liegt auf den Theaterpuppen,<br />
<strong>die</strong> in den Händen<br />
von Menschen auf der Bühne zum<br />
Leben erweckt werden.<br />
Mit den Puppen können Besucher<br />
auf eine kleine Weltreise<br />
gehen. Vor purpurroten Vorhängen<br />
glänzen <strong>die</strong> Kostüme der<br />
Samurai aus dem japanischen<br />
Theater Koe-gej und <strong>die</strong> Schuppen<br />
eines Drachens aus dem vietnamesischen<br />
„Theater auf dem<br />
Wasser“. In den Regalen sitzen<br />
kindlich-einfältige Puppen aus<br />
In<strong>die</strong>n, fletschende Bestien aus<br />
Indonesien. Die Berühmtheiten<br />
der Zunft dürfen nicht fehlen. Da<br />
wären zum Beispiel Mr. Punch<br />
aus England, <strong>die</strong> Starcrew aus der<br />
italienischen Commedia dell'arte,<br />
<strong>die</strong> kahlköpfigen und segelohrigen<br />
Spejbl und Hurvinek vom<br />
tschechoslowakischen Künstler<br />
Josef Skupa und zu guter Letzt<br />
der russische Kasper „Petruschka“.<br />
Bei der Figur aus dem Jahr<br />
1920 wächst dem Kasperle ein<br />
Sowjetstern aus dem Kopf.<br />
In großer Zahl sind in der Ausstellung<br />
<strong>die</strong> Puppen des Obraszow-Theaters<br />
vertreten. Regelmäßige<br />
Besucher treffen hier alte<br />
Bekannte aus vielen Vorführungen<br />
wieder: <strong>An</strong>na von Österreich, <strong>die</strong><br />
alte Gräfin aus Puschkins „Pique<br />
Dame“ und Mephisto im schwarzen<br />
Umhang.<br />
Die Ausstellung „Raum der Puppen“<br />
läuft noch bis zum 1. Oktober.<br />
Ab September werden kurze<br />
Vorstellungen geboten. Im dritten<br />
und vierten Saal können Besucher<br />
schon jetzt Puppen von jungen<br />
russischen Künstlern kaufen.<br />
www.puppet.ru<br />
www.vetoshny.ru<br />
Jelena Semjonowa<br />
Fotograf und<br />
Zeitzeuge<br />
Der sowjetische Kriegsberichterstatter<br />
Jewgenij Chaldej war dabei,<br />
als <strong>die</strong> Rote Armee 1945 Berlin<br />
eroberte. Das Foto des Soldaten,<br />
der <strong>die</strong> rote Flagge auf dem Reichstag<br />
hisst, brachte dem Fotokorrespondenten<br />
weltweite Berühmtheit<br />
ein. Doch in den Nachkriegsjahren<br />
wurde ihm seine jüdische<br />
Herkunft zum Verhängnis: Stalin<br />
hatte dem „Kosmopolitismus“ den<br />
Kampf angesagt. Die späte Würdigung<br />
seines Werkes erfolgte kurioserweise<br />
durch westliche Me<strong>die</strong>n.<br />
Drei Jahre nach seinem Tod im Jahr<br />
1997 wurden Chaldejs Tagebücher<br />
der Kriegsjahre 1941- 43 aufgefunden.<br />
Sie erschienen auf Deutsch<br />
unter dem Titel „Jewgeni Chaldej:<br />
Kriegstagebuch. Schriftliches und<br />
fotografisches Tagebuch". In der<br />
Kunstgalerie Woswraschtschenije<br />
stellt Kurator Stanislaw Radsinskij<br />
40 bis heute noch unbekannte Aufnahmen<br />
des Kriegsberichterstatters<br />
aus.<br />
Bis 31.August<br />
Kunstgalerie<br />
„Woswraschtschenije“<br />
Ausstellung „Jewgenij Chaldej“<br />
Leontjewskij pereulok 2a,<br />
Gebäude 2<br />
Metro: Twerskaja<br />
Tel.: (495) 7716684<br />
www.homecoming-art.ru<br />
Mit dem<br />
Segway<br />
gegen Blasen<br />
Um sich bei flotten 20 Stundenkilometern<br />
den Wind um <strong>die</strong><br />
Nase wehen zu lassen, muss man<br />
nicht angestrengt in <strong>die</strong> Pedalen<br />
treten. Denn der „Segway“ erobert<br />
<strong>die</strong> Bürgersteige und Parks<br />
<strong>die</strong>ser Welt. In Moskau kann<br />
man den „Selbstbalance-Roller“<br />
an mehreren Orten ausprobieren:<br />
Auf dem WDNCh-Gelände<br />
kosten zehn Minuten Fahrspaß<br />
300 Rubel – inklusive Einweisung.<br />
Auch im Park Sokolniki wird der<br />
Segway verliehen. Ganze Segway-<br />
Gruppen-Führungen und sogar<br />
Nachtwanderungen werden im<br />
Museumspark „Zarizyno“ angeboten.<br />
Bis zu sieben Fahrer pro Tour<br />
werden zu Plätzen, Teichen und<br />
Brunnen geleitet.<br />
Das Einpersonen-Gefährt gibt<br />
es seit 2001. Durch elektronische<br />
<strong>An</strong>triebsregelung hält es sich<br />
selbst im Gleichgewicht, während<br />
der Fahrer sich bloß noch an der<br />
Lenkstange festhalten muss. Mit<br />
dem Segway kann man Sehenswürdigkeiten<br />
abklappern, ohne<br />
sich Blasen an den Füßen zu holen.<br />
Informationen zu den Touren, Öffnungszeiten<br />
und Preisen im Internet:<br />
www.segway.ru/dealers/rent/.
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Auf zum Picknick<br />
Perfekte Mischung: Wiese, Liegestuhl, Musik<br />
Das „Picknick“ ist bereits zu einer<br />
guten Tradition <strong>für</strong> <strong>die</strong>jenigen<br />
geworden, <strong>die</strong> den Sommer im<br />
schwülen Moskau verbringen.<br />
Zum achten Mal veranstaltet <strong>die</strong><br />
Zeitschrift „Afischa“ einen Tag<br />
im Freien. Im vergangenen Jahr<br />
waren es 55 000 Menschen, <strong>die</strong><br />
sich bei 32 Grad im Kolomenskoje-<br />
Park versammelt hatten. Am<br />
23. Juni soll es bei etwa 26<br />
Grad kühler werden. Vielleicht<br />
gibt es stattdessen einen neuen<br />
Besucherrekord.<br />
Von Jewgenija Nikolajewa<br />
Die Organisatoren betonen,<br />
das „Picknick“ sei in erster Linie<br />
ein Musikfestival. Das Ziel, so<br />
viele Besucher wie möglich anzulocken,<br />
ist offensichtlich. Zum<br />
ersten Mal überhaupt kommt<br />
Courtney Love nach Moskau.<br />
Die Witwe von Nirvana-Sänger<br />
Kurt Cobain könnte sich vorher<br />
noch von den Kaiser Chiefs<br />
einige Tipps abholen. Die Gruppe<br />
ist schon zuvor in Russland<br />
aufgetreten. Für ihren Besuch<br />
beim Afischa-Picknick hat sie<br />
ein neues Programm vorbereitet.<br />
In Kolomenskoje werden außerdem<br />
Semfira, der junge Moskauer<br />
Postpunk-Musiker „Brandenburg“<br />
und „Obe Dwe“ (zu<br />
Deutsch: „Beide zwei“) erwartet.<br />
Letztere präsentieren „überzeugenden<br />
Frauenrock über Sex,<br />
Seeleute, Strümpfe und Handschuhe“<br />
und werden in Russland<br />
bereits als Newcomer des Jahres<br />
gehandelt.<br />
Darüber hinaus werden <strong>die</strong><br />
„Picknick“-Gäste auch ohne<br />
Musik unterhalten. Modeinteressierte<br />
werden an den Ständen<br />
erwartet, an denen „Afischa“ <strong>die</strong><br />
besten Shopping-Ideen des vergangenen<br />
Jahres zusammengetragen<br />
hat. Mit einem „Food-Court“<br />
versuchen <strong>die</strong> „Picknick“-Organisatoren,<br />
<strong>die</strong> Gäste kulinarisch<br />
zu verwöhnen. Es wird Essen<br />
aus aller Welt angeboten. Man<br />
kann es vor der Bühne genießen<br />
oder am Ufer der Moskwa<br />
nahe des Kolomenskoje-Kai. Die<br />
Wiese dort wird mit Liegestühlen<br />
bestückt. Für Aktive bereiten<br />
<strong>die</strong> Organisatoren diverse Spiele<br />
vor, angefangen mit Rasenhockey<br />
bis zu einer offline-Version des<br />
Computerspiels „<strong>An</strong>gry Birds“.<br />
Schlechte Nachrichten <strong>für</strong><br />
Gäste, <strong>die</strong> Alkohol, Drogen, Waffen,<br />
Sprengstoff oder Gift mitbringen<br />
wollen. Das ist nämlich<br />
strengstens verboten. Jegliche<br />
Flüssigkeiten sind am Eingang<br />
abzugeben. Ins Gepäck gehören<br />
stattdessen Decken, Kissen,<br />
Klappstühle und ein Sonnenschirm.<br />
Für den Komfort während<br />
des „Picknicks“ ist jeder<br />
Gast selbst verantwortlich.<br />
23. Juli 2011<br />
Picknick Afischa<br />
12 bis 22 Uhr<br />
Kolomenskoje-Park<br />
Prospekt <strong>An</strong>dropowa 39<br />
Metro: Kolomenskaja,<br />
www.picnic.afisha.ru<br />
Künstlerisches Echo<br />
Vor gut zehn Jahren wurde <strong>die</strong><br />
Ausstellung „Dawaj – Russian Art<br />
now!“ von Russland nach Wien<br />
und Berlin gebracht. Damals hatte<br />
ein Team russischer Kuratoren<br />
Russland von Moskau bis Wladiwostok<br />
durchforstet, auf der<br />
Suche nach Kunst, <strong>die</strong> im Westen<br />
ausgestellt werden könnte. Ein<br />
Querschnitt durch Raum und<br />
Zeit wurde zusammengestellt,<br />
und <strong>die</strong> Kuratoren setzten sich<br />
das Ziel, der russischen Kunst<br />
zu helfen, „ihre Sprache zu finden<br />
und in eine neue Ära zu<br />
tragen", so <strong>An</strong>na Matwejewa in<br />
ihrem Essay „Dawaj! Die Schwierigkeiten<br />
des Übersetzens“.<br />
Das Interessanteste an <strong>die</strong>sem<br />
Experiment sei damals gewesen,<br />
wie das genuin Russische im<br />
Westen als eine Art „Urgewalt“,<br />
oder „eine ungehemmte, jedoch<br />
verständliche und artikulierte<br />
Sprache“ aufgenommen wurde.<br />
Sehr aufschlussreich waren dabei<br />
laut Matwejewa <strong>die</strong> Bemühungen<br />
in Österreich und in Deutschland,<br />
<strong>die</strong>se andere russische Art des<br />
künstlerischen Sprechens in <strong>die</strong><br />
eigene Form eines ästhetischen<br />
Begriffsapparates zu übersetzen.<br />
Nun präsentiert sich <strong>die</strong> Ausstellung<br />
„Austria, Dawaj!“ als ein<br />
Echo auf „Dawaj – Russian Art<br />
Freizeit<br />
15<br />
Ein Moskauer Museum zeigt zeitgenössische österreichische Kunst<br />
Die Ausstellungsmacher von „Austria, Dawaj“ üben sich nicht in<br />
Bescheidenheit. Besucher könnten den Gipfel der österreichischen Kunst<br />
erklimmen, versprechen sie. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. August<br />
im Moskauer Schtschussew-Architekturmuseum und ist eine Kooperation<br />
mit dem Österreichischen Museum <strong>für</strong> angewandte Kunst in Wien.<br />
Von Marc Hauschild<br />
now!“ und wird als eine Art soziologisches<br />
Experiment betrachtet,<br />
das untersucht, wie gut russische<br />
Betrachter und Künstler<br />
mittlerweile ihr Handwerk in<br />
Sachen Dechiffrierung österreichischer<br />
Ästhetikprinzipien<br />
gelernt haben. Aufs Ganze gesehen<br />
bleibt „Austria, Dawaj“ aber<br />
eine Ausstellung, <strong>die</strong> mit leichten<br />
Übersetzungsschwierigkeiten auf<br />
ihr russischsprachiges Publikum<br />
trifft.<br />
Mit ihren provokativen Collagen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> „alltägliche Erzwingung<br />
von Weiblichkeit“ herausfordern,<br />
ist <strong>die</strong> in Wien lebende<br />
Künstlerin Nilbar Güres bekannt<br />
geworden. Auf der Ausstellung<br />
ist <strong>die</strong> 1977 in Istanbul geborene<br />
Grenzgängerin zwischen<br />
den Kulturen unter anderem mit<br />
dem Video „Unknown Sports –<br />
Indoor exercises“ vertreten, in<br />
dem repressive geschlechtsspezifische<br />
Riten und Praxen muslimischer<br />
Frauen mit sportlichen<br />
Posen, <strong>die</strong> in den offenen Raum<br />
einer Turnhalle verlegt sind, konterkariert<br />
werden.<br />
Von dem 1952 in Mitterkirchen<br />
geborenen Künstler Manfred<br />
Wakolbinger kann der Besucher<br />
sich durch Metallskulpturen, <strong>die</strong><br />
sich organisch wie Unterwasserungeheuer<br />
durch den Raum<br />
schlängeln, in einen <strong>die</strong> Dimensionen<br />
des Raumes transzen<strong>die</strong>renden<br />
Strudel hineinziehen lassen<br />
,und der 1947 in Wien geborene<br />
Franz West hat mit der Installation<br />
„Inventar mit Moskauer<br />
Würfel“ – einem leicht schwebenden<br />
kolossalen rosafarbenen<br />
Block – einen eigenen Beitrag <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Ausstellung kreiert.<br />
Ein verstörendes Element ist<br />
mit Sicherheit <strong>die</strong> Skulptur des<br />
1954 in Bruck an der Mur geborenen<br />
Erwin Wurm. Der Künstler<br />
definiert den Begriff gesellschaftlich<br />
wahrgenommener Körperlichkeit<br />
neu und stellt entlarvend<br />
mit der Skulptur „<strong>An</strong>ger bump“<br />
einen elegant bis lässig gekleideten<br />
Mann ohne Kopf, aber mit<br />
erigiertem Penis dar.<br />
Dies sind nur einige Beispiele.<br />
Mit Sicherheit ist den Kuratoreneine<br />
höchst interessante Ausstellung<br />
gelungen, zumal viele der<br />
Arbeiten eigens <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausstellung<br />
entwickelt wurden. Dennoch<br />
zeigen sie nur einen groben<br />
Querschnitt durch <strong>die</strong> zeitgenössische<br />
österreichische Kunstszene.<br />
In und um Wien tummeln<br />
sich noch viele gerade junge kreative<br />
Kräfte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ästhetische<br />
Übersetzungsherausforderung<br />
noch einmal etwas verschärfter<br />
auf <strong>die</strong> Probe stellten könnten.<br />
Dann müsste es heißen: „Austria,<br />
Dawaj! Jeschtschjo Ras.“<br />
www.muar.ru<br />
..
16<br />
Moskauer<br />
H i n t e r l a n d<br />
Letzte Seite<br />
Jekaterinburg<br />
Grosnyj<br />
Tscheljabinsk<br />
Rekord ohne Gewähr<br />
Tscheljabinsk. Eine Rentnerin aus dem Dorf Aminjewo im Südural<br />
hat <strong>An</strong>fang Juli <strong>die</strong> Glückwünsche ihrer sechs Kinder, 21 Enkel,<br />
45 Urenkel und zehn Ururenkel zum Geburtstag entgegengenommen.<br />
Laut Pass war es ihr 121. Geburtstag. Damit wäre Chabibamal Chametowa<br />
der älteste Mensch der Welt, ein Rekord, den offiziell <strong>die</strong><br />
114-jährige Amerikanerin Besse Cooper hält. Doch Chametowa, <strong>die</strong><br />
nur Baschkirisch und nicht Russisch spricht, kann keine Geburtsurkunde<br />
vorweisen. Im Russland der Zarenzeit wurden solche Papiere nicht<br />
ausgehändigt, sondern <strong>die</strong> Geburtsdaten in den Gemeinden erfasst. Die<br />
Bücher sind jedoch nicht erhalten geblieben. Chametowa erhielt ihren<br />
ersten Pass nach dem Bürgerkrieg. Dort stand nur das Geburtsjahr<br />
1890. Wie sehr <strong>die</strong>se <strong>An</strong>gabe auf ihren eigenen Auskünften beruhte,<br />
lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Sie selbst hat daran keine Erinnerung.<br />
Das Geburtsdatum im Juli hat der Familienrat festgelegt.<br />
Bürgerwehr<br />
schiesst scharf<br />
Jekaterinburg. Einwohner<br />
des Uraldorfes Sagra bei Jekaterinburg<br />
haben Ende Juni eine<br />
Art Bürgerwehr gebildet, um sich<br />
gegen „Banditen“ aus dem Kaukasus<br />
zu verteidigen, wie sie sagen.<br />
Die <strong>An</strong>greifer hätten sich nachts mit<br />
15 Autos dem Ort genähert, um dort<br />
alles kurz und klein zu schlagen,<br />
behaupten <strong>die</strong> Einheimischen. Das<br />
Motiv sei Einschüchterung gewesen,<br />
weil <strong>die</strong> Dörfler den Drogenhandel<br />
des Zigeuners Sergej Krasnoperow<br />
nicht dulden wollten. Am Ortsrand<br />
wurde eine Patrouille postiert, <strong>die</strong><br />
auf <strong>die</strong> ankommende „Mafia“ schoss.<br />
Einer der Kaukasier – ein Georgier<br />
aserbaidschanischer Abstammung –<br />
kam dabei ums Leben. Daraufhin<br />
<strong>für</strong>chtete Sagra, wo es nicht einmal<br />
eine Polizeiwache gibt, Rache<br />
und forderte Schutz. Der Volkszorn<br />
und das Me<strong>die</strong>necho waren so groß,<br />
dass sich sogar Alexander Bastrykin,<br />
Leiter der russischen Ermittlungsbehörden,<br />
in das Dorf begab.<br />
Die Rekonstruktion des Tathergangs<br />
dauert laut Polizei an.<br />
Rechte empfehlen Kadyrow als Vorbild<br />
Grosnyj. Zwei der berüchtigsten Fremdenhasser Russlands haben überraschend an Tschetschenien Gefallen<br />
gefunden – nachdem sie zum ersten Mal selbst in <strong>die</strong> Region gereist waren. Alexander Below, früherer Vorsitzender<br />
der inzwischen verbotenen „Bewegung gegen illegale Immigration“ (DPNI), und Dmitrij Demuschkin,<br />
Chef der ebenfalls verbotenen „Slawischen Union“, folgten einer Einladung der tschetschenischen Regierung<br />
unter Ramsan Kadyrow. Vorausgegangen waren im Dezember ethnisch motivierte Ausschreitungen in Moskau<br />
und heftige Debatten um <strong>die</strong> Nationalitätenpolitik. Below und Demuschkin, mittlerweile in der Nationalistenvereinigung<br />
„Russen“ aktiv, weilten eine Woche lang in der Teilrepublik. Danach sagte Demuschkin russischen<br />
Me<strong>die</strong>n, er sei überzeugt, dass auch <strong>die</strong> Russen einen Kadyrow nötig hätten. „Es ist toll dort. Kadyrow hat <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Tschetschenen gebaut, was er konnte – und mehr“, wird er in der „Komsomolskaja Prawda“ zitiert. Below<br />
sagte dem Blatt, er habe <strong>für</strong> eine Volksabstimmung zur Loslösung des Nordkaukasus von Russland kämpfen<br />
wollen, distanziere sich nun jedoch von <strong>die</strong>ser Idee: „Die Administration von Kadyrow setzt <strong>die</strong> Subventionen<br />
aus Moskau sehr effektiv ein. Dorthin müsste man russische Gouverneure schicken, damit man ihnen beibringt,<br />
wie man Gelder nicht in <strong>die</strong> eigene Tasche steckt, sondern investiert.“<br />
Deutsche Zeitung Nr. 14 (309) Juli 2011<br />
Stu<strong>die</strong>n im Park<br />
P<br />
lanet<br />
Moskau<br />
Von Diana Laarz<br />
Manch penibler Zeitgenosse<br />
nutzt einen altmodischen Chronometer,<br />
um sich der Uhrzeit zu<br />
vergewissern. Manch ein verhinderter<br />
Pfadfinder orientiert sich<br />
am Sonnenstand. Mir reicht ein<br />
Gang durch den Park vor meiner<br />
Haustür, um zu wissen, welche<br />
Stunde geschlagen hat.<br />
Die Bezeichnung „Park“ ist vielleicht<br />
etwas übertrieben. Eigentlich<br />
ist es mehr ein Grünstreifen. Aber<br />
es gibt einen Teich, eine erstaunlich<br />
hohe Dichte an Bänken, <strong>die</strong><br />
zur Rast einladen, und ein aserbaidschanisches<br />
Restaurant, von<br />
dem man sagt, das Essen dort sei<br />
so schlecht und <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nung so<br />
lausig, dass es sich ohne Zweifel um<br />
<strong>die</strong> Tarnfirma irgendeines Geldwäschers<br />
handelt. Diesen Park also<br />
durchquere ich täglich mindestens<br />
zweimal – und inzwischen meine<br />
ich, den Lebensrhythmus in <strong>die</strong>ser<br />
unkrautigen Oase entschlüsselt zu<br />
haben.<br />
Gähnende Leere am Vormittag.<br />
Das interessanteste Schauspiel bieten<br />
zu <strong>die</strong>ser Zeit <strong>die</strong> Köpfchenins-Wasser-Spiele<br />
der Enten auf<br />
dem Teich. Sobald <strong>die</strong> Sonne ihrem<br />
höchsten Stand nahe gerückt ist,<br />
tauchen <strong>die</strong> Kinderwagenschieberinnen<br />
auf. Sie sind nicht lange<br />
allein. Noch etwas zerknittert<br />
im Gesicht kommen <strong>die</strong> ersten<br />
Schnapsdrosseln zum Flüssig-Frühstück<br />
an einer Bank zusammen. Im<br />
Laufe des Tages werden es immer<br />
mehr. Der Flaschenbestand wächst<br />
mit fortschreitender Stunde.<br />
Der Nachmittag gehört trotzdem<br />
noch den Liebespaaren. Sie liegen<br />
auf den Bänken, <strong>die</strong> Blicke<br />
stumm auf den Moskauer Himmel<br />
gerichtet. Manchmal lässt sich<br />
neben ihnen ein altes Mütterchen<br />
mit Einkaufstüten nieder, um eine<br />
Minute zu verschnaufen. Manchmal<br />
kommen ein paar Liebespaare<br />
zusammen, und dann vergessen<br />
sie <strong>für</strong> ein paar Stunden, sich verliebt<br />
anzuschauen, und veranstalten<br />
stattdessen ein kleines Picknick<br />
am Ufer.<br />
Spätestens nach Sonnenuntergang<br />
wird es im Park ungemütlich.<br />
Dann nämlich hat der Alkohol <strong>die</strong><br />
Zungen der Bankhocker gelöst.<br />
Um Mitternacht muss frau schon<br />
ein dickes Fell – oder Kopfhörer<br />
in den Ohren – haben, um bei<br />
den Sprüchen nicht unwillkürlich<br />
zusammenzuzucken. Der eine<br />
oder andere Mann dort schätzt<br />
deutsche Frauen besonders wegen<br />
ihrer gerühmten Offenheit und<br />
Freizügigkeit. Das kenne man doch<br />
aus deutschen Pornos. Da könne<br />
man doch schnell mal da vorne<br />
links, hinter der Buche, na Sie wissen<br />
schon.<br />
Beim ersten Morgenlicht<br />
betrachtet, ist der Park vor meiner<br />
Haustür fast wieder der<br />
reinste Garten Eden. Die Großmäuler<br />
aus der Nacht sind auf<br />
dem Rasen zusammengesunken,<br />
neben sich eine Flasche, von der<br />
man nicht genau weiß: Ist es der<br />
letzte Schnaps von gestern oder<br />
schon der erste des neuen Tages?<br />
Am Teich angelt ein Mann nach<br />
Fischen oder Essensresten aus<br />
dem aserbaidschanischen Restaurant.<br />
Gleich rückt <strong>die</strong> Putzkolonne<br />
an. Und dann beginnt alles wieder<br />
von vorn.<br />
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