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2<br />
<strong>Gneisenau</strong> Blätter Band 6 (2007)
Band 6 (2007)<br />
Einsatzarmee<br />
und<br />
Innere Führung<br />
herausgegeben im Auftrag der<br />
<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> der OSLw e.V.<br />
von Dr. Eberhard Birk<br />
3
Einsatzarmee<br />
und<br />
Innere Führung<br />
mit Beiträgen von:<br />
Robert Bergmann, Eberhard Birk, Bernhard Chiari,<br />
Peter Dreist, Loretana de Libero, Franz Josef Jung, Peter Krug,<br />
Reinhold Robbe, Wolfgang Schneiderhan und Javier Solana
Motto<br />
„Die Bundeswehr ist durch den größten Wandel ihrer Geschichte gegangen. Sie ist immer<br />
mehr zu einer Armee im Einsatz geworden. Heute leistet die Bundeswehr im Interesse<br />
unseres Landes auf dem Balkan, in Afghanistan, im Libanon, in Afrika und im Kaukasus ihren<br />
Dienst. Der politischen Begründung der Einsätze aus den Zielen und Interessen deutscher<br />
Sicherheitspolitik kommt für den Staatsbürger mit und ohne Soldat große Bedeutung zu.“<br />
(Vorwort des Bundesminister der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung im Weißbuch 2006)<br />
***<br />
„Die Einsätze konfrontieren ganz unmittelbar mit existentiellen Gefahren. Der Soldat<br />
der Bundeswehr muß im Einsatz kämpfen können und wollen. Der Soldat von heute ist<br />
darüber hinaus mehr denn je als Helfer, Vermittler und Schlichter gefordert. Dafür benötigen<br />
unsere Soldaten Kompetenzen, die über rein militärische Aspekte weit hinausreichen.<br />
Neben Charakterstärke und Menschenkenntnis sind vor allem politisches und ethisches<br />
Urteilsvermögen, diplomatisches Fingerspitzengefühl sowie kulturelle Kompetenzen –<br />
die Kenntnis von Sprachen und Kulturen – gefragt.<br />
(...)<br />
Wer die kulturellen Besonderheiten des Einsatzlandes verletzt, bringt nicht nur seine<br />
Kameraden und sich selbst in Gefahr. Er gefährdet auch die Sicherheit in der Heimat und stellt<br />
die öffentliche Unterstützung für einen Einsatz in Frage.<br />
(...)<br />
Auf die Vermittlung der Werte und Normen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung<br />
müssen wir noch stärker als bisher Wert legen. Denn leider können wir ihre Kenntnis nicht<br />
mehr als selbstverständlich voraussetzen.“<br />
(Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich des Festaktes zum<br />
50-jährigen Bestehen des Zentrums Innere Führung am 30. November 2006 in Koblenz)<br />
5
Inhalt<br />
Grußwort des Präsidenten der <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />
Brigadegeneral Gerhard Schulz<br />
Vorwort des 1. Vorsitzenden<br />
Horst Steinberg<br />
Ziele und Handlungsfelder der Europäischen Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik – Sachstand und Perspektive<br />
SG/HR Javier Solana<br />
Die Bundeswehr – Instrument deutscher Sicherheitspolitik<br />
Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung<br />
Bundeswehr im Einsatz – eine Herausforderung für die Innere Führung?<br />
General Wolfgang Schneiderhan<br />
Einsatzbedingungen als Beschwerdegrund<br />
Wehrbeauftragter Reinhold Robbe<br />
Rechtsfragen des Auslandseinsatzes der Bundeswehr<br />
Ministerialrat Peter Dreist<br />
Militärseelsorge im Auslandseinsatz<br />
Ev. Militärbischof Peter Krug<br />
Eine Neubegründung der Inneren Führung?<br />
Soldatenprofil und Einsatzerfahrung<br />
Brigadegeneral Robert Bergmann<br />
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr als Herausforderung für die<br />
historische Bildungsarbeit in den deutschen Streitkräften<br />
Dr. Bernhard Chiari<br />
Tradition und Einsatz.<br />
Zu ethischen Aspekten der deutschen Sicherheitsvorsorge<br />
Prof. Dr. Loretana de Libero<br />
Abschied vom Bild des Offiziers?<br />
Dr. Eberhard Birk<br />
Seite<br />
8<br />
9<br />
10–18<br />
19–22<br />
23–27<br />
28–32<br />
33–42<br />
43–46<br />
47–50<br />
51–57<br />
58–61<br />
62–70<br />
Autoren 71–76<br />
Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter 77–78<br />
Die <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> 79<br />
Impressum 80<br />
7
Grußwort des Präsidenten<br />
Text:<br />
Brigadegeneral Gerhard Schulz<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
in meiner Funktion als Kommandeur der Offizierschule<br />
der Luftwaffe und Präsident der „<strong>Gneisenau</strong> – <strong>Gesellschaft</strong>“<br />
sehe ich in der Auseinandersetzung mit Fragen<br />
der historischen und politischen Bildung eine bleibende<br />
und unverzichtbare Verpflichtung für die Soldaten der<br />
Bundeswehr. Insbesondere der militärische Führernachwuchs,<br />
aber auch die erfahrenen (Unter-)Offiziere der<br />
‚Einsatzarmee’ Bundeswehr werden in der Gegenwart<br />
und in der Zukunft mit nicht vorhersehbaren Herausforderungen<br />
konfrontiert, die neben aller militärisch-handwerklichen<br />
Souveränität nur mit einem immer breiteren<br />
Bildungshorizont situations- und auftragsadäquat gelöst<br />
werden können.<br />
Die <strong>Gneisenau</strong> Blätter unserer <strong>Gesellschaft</strong> verstehen sich<br />
daher auch als Diskussionsforum für die Belange der<br />
Inneren Führung, die in ihrer facettenreichen Weiterentwicklung<br />
vielfältiger Reflexion bedarf. Die bisherigen<br />
Themenbände „Die humanitäre Intervention als ultima<br />
ratio zur Beendigung oder Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen“<br />
(Bd. 1; 2001), „Aspekte einer europäischen<br />
Identität“ (Bd. 2; 2004), „Militärische Tradition“<br />
(Bd. 3; 2004), „Revolution – Reform – Transformation“<br />
(Bd. 4; 2006) und „Erziehung und Streitkräfte“ (Bd. 5;<br />
2007) dokumentieren diesen Anspruch, der immer mehr<br />
Resonanz findet.<br />
Unserem Ziel, hochrangige Vertreter der unterschiedlichsten<br />
Fachrichtungen zu einem Themenband zu gewinnen,<br />
konnten wir unserer Auffassung nach diesmal besonders<br />
gerecht werden. Herrn Dr. Birk ist es als Herausgeber<br />
wiederum gelungen, namhafte Autoren, von denen Javier<br />
Solana, Verteidigungsminister Jung und Generalinspekteur<br />
General Schneiderhan sowie der Wehrbeauftragte<br />
des Deutschen Bundestages Reinhold Robbe die prominentesten<br />
sind, am virtuellen round-table der <strong>Gneisenau</strong>-<br />
<strong>Gesellschaft</strong> zu versammeln.<br />
Über deren sicherheits- und militärpolitischen Beiträge<br />
hinaus stellen die zudem im Band behandelten rechtlichen<br />
und seelsorgerischen Dimensionen des Einsatzes<br />
Gerhard Schulz<br />
sowie die reflexiven Überlegungen und Thesen von Militärs<br />
und Wissenschaftlern zu Fragen der (interkulturellen)<br />
Kompetenz und Erziehung, der Menschenführung, der<br />
(militär-)historischen und politischen Bildung sowie der<br />
verfassungsadäquaten Traditionsbildung und -pflege – alle<br />
insbesondere auch orientiert an den Bedingungen einer<br />
Einsatzarmee – einen wichtigen Impuls zur gedanklichen<br />
Auseinandersetzung zum aktuellen Thema „Innere Führung<br />
und Einsatzarmee“ dar.<br />
Besonderer Dank gebührt neben den Autoren zudem<br />
EADS für die Unterstützung und dem Team der Abteilung<br />
‚Visual Language emedia’ unter Leitung von Herrn<br />
Schubert – und hierbei insbesondere Frau Frankl, Frau<br />
Masluk und Frau Weckerle – für die wiederum qualitativ<br />
hochwertige Gestaltung des Bandes.<br />
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.<br />
Gerhard Schulz<br />
Brigadegeneral<br />
Präsident der <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />
8
Vorwort des 1. Vorsitzenden<br />
Text:<br />
Horst Steinberg<br />
Die <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> besteht nun seit sieben Jahren<br />
und dabei waren die <strong>Gneisenau</strong> Blätter der zentrale<br />
Punkt der Aktivitäten der <strong>Gesellschaft</strong>. Die bisherigen<br />
fünf Bände befassten sich mit aktuellen und grundlegenden<br />
öffentlichen Themen im Zusammenhang mit der<br />
Entwicklung Europas, der Sicherheits- und Humanpolitik<br />
national wie international. Im vorliegenden 6. Band<br />
behandeln namhafte Autoren das Thema „Einsatzarmee<br />
und Innere Führung“. Die <strong>Gneisenau</strong> Blätter erfreuen<br />
sich immer größer werdender Popularität und deshalb<br />
wollen wir sie auch einem breiteren Publikum zugänglich<br />
machen. Erstmalig werden mit der vorliegenden Ausgabe<br />
alle bisherigen auf der Internetseite „www.gneisenaugesellschaft.de“<br />
veröffentlicht.<br />
Horst Steinberg<br />
Dies ist eine Neuerung, die der neue Vorstand der <strong>Gneisenau</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong>, als dessen 1. Vorsitzender ich mich<br />
hiermit vorstellen möchte, beschlossen hat. Die Internetseite<br />
wird den Mitgliedern und den interessierten Lesern<br />
darüber hinaus aktuell über die Entwicklung und zusätzlichen<br />
Aktivitäten der <strong>Gesellschaft</strong> informieren.<br />
Unsere <strong>Gesellschaft</strong> wird geführt als „Förderverein der<br />
<strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> zur Förderung der Offizierschule<br />
der Luftwaffe“ und hat seit April diesen Jahres eine neue<br />
Satzung, welche die anerkannte Gemeinnützigkeit zur<br />
Basis hat. Der Zweck des Vereins ist:<br />
„Die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und<br />
Erziehung, Kunst und Kultur, Völkerverständigung, des Sports,<br />
die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens der<br />
Bundesrepublik Deutschland sowie Maßnahmen der Soldaten- und<br />
Reservistenbetreuung“.<br />
Die <strong>Gesellschaft</strong> geht bewusst durch einen Wandel,<br />
der sich mit verstärkten Aktivitäten, eingebettet im öffentlichen<br />
Leben, vollziehen soll. Das Dreieck, in dem<br />
wir uns dabei bewegen wollen, besteht zum einen aus<br />
Öffentlichkeit und Gemeinschaft im regionalen Bereich<br />
der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck<br />
mit besonderem Schwerpunkt auf der dortigen jungen<br />
Bevölkerung, im überregionalen Bereich zum anderen<br />
aus der Luftwaffe und zum dritten aus Institutionen der<br />
Wirtschaft, Industrie, Forschung, Kunst und Kultur.<br />
Wenn Sie uns, verehrte Leser, dabei unterstützen wollen,<br />
so möchten wie Sie gerne als Mitglied und Mitstreiter<br />
der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> gewinnen. Informieren Sie<br />
sich weiter über unsere Internetseite und kontaktieren<br />
Sie uns.<br />
Ich möchte Ihnen nun den 6. Band der <strong>Gneisenau</strong> Blätter<br />
präsentieren und allen Autoren für die hervorragenden<br />
Aufsätze zum Thema „Einsatzarmee und Innere Führung“<br />
danken. Mein Dank geht aber auch an Herrn Dr.<br />
Birk, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Offizierschule<br />
der Luftwaffe, der die <strong>Gneisenau</strong> Blätter seit dem 2. Band<br />
so hervorragend etabliert hat. Die <strong>Gneisenau</strong> Blätter bleiben<br />
zentraler Bestandteil unserer Aktivitäten und werden<br />
den Wandel unserer <strong>Gesellschaft</strong> fördern.<br />
Horst Steinberg<br />
1. Vorsitzender<br />
9
Ziele und Handlungsfelder der Europäischen Sicherheitsund<br />
Verteidigungspolitik – Sachstand und Perspektive<br />
Text:<br />
Javier Solana<br />
Einführung<br />
Die deutsche Präsidentschaft der Europäischen Union<br />
im ersten Halbjahr 2007 war ungewöhnlich erfolgreich.<br />
Sie hat für die Weiterentwicklung der Europäischen<br />
Union und deren Handlungsfähigkeit Großes geleistet.<br />
Nach sehr schwierigen Verhandlungen haben sich die<br />
Staats- und Regierungschefs der Union unter Führung<br />
von Bundeskanzlerin Merkel am 23. Juni 2007 auf ein<br />
detailliertes Verhandlungsmandat für einen „Reformvertrag“<br />
geeinigt. Die EU wird durch diesen Vertrag in die<br />
Lage versetzt, sich den großen Herausforderungen der<br />
Zukunft zu stellen. Die Union wird transparenter, demokratischer<br />
und handlungsfähiger. Der für zweieinhalb<br />
Jahre gewählte Präsident des Europäischen Rats sorgt für<br />
Kontinuität und Sichtbarkeit der EU-Politik. Der ‚Hohe<br />
Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik‘,<br />
der zugleich Vizepräsident der Kommission für Außenbeziehungen<br />
wird, den Vorsitz im Rat für Außenbeziehungen<br />
übernimmt und durch einen Europäischen Auswärtigen<br />
Dienst unterstützt wird, sorgt für Kohärenz und<br />
Wirksamkeit der gemeinsamen EU-Politik nach außen.<br />
Die Rechte des Europäischen Parlaments werden ebenso<br />
gestärkt wie die der nationalen Volksvertretungen. Der<br />
Präsident der Europäischen Kommission wird künftig<br />
durch das Europäische Parlament gewählt. Das Prinzip<br />
der doppelten Mehrheit in der Stimmengewichtung bei<br />
Entscheidungen im Rat wird sowohl der Gleichheit der<br />
Mitgliedstaaten als auch der Gleichheit der Bürgerinnen<br />
und Bürger gerecht. Die Bekämpfung von Terrorismus<br />
und Kriminalität erhält einen hohen Stellenwert, und zu<br />
Klimaschutz und Energiepolitik wurden neue Bestimmungen<br />
aufgenommen.<br />
Seit dem 23. Juli 2007 tagt nun die Regierungskonferenz<br />
unter der Leitung der portugiesischen Präsidentschaft.<br />
Sie soll die Arbeiten am Reformvertrag über die Arbeitsweise<br />
der Union abschließen, damit ihn die Staats- und<br />
Regierungschefs Ende des Jahres verabschieden können<br />
und genügend Zeit bleibt, ihn bis 2009, dem Jahr der<br />
Wahlen zum Europäischen Parlament, in allen 27 EU-<br />
Mitgliedstaaten zu ratifizieren.<br />
Javier Solana<br />
Daneben wurde unter deutscher Präsidentschaft ein<br />
substantieller Bericht zur Stärkung der Europäischen<br />
Nachbarschaftspolitik gebilligt und die neue Zentralasienstrategie<br />
angenommen, mit der ein Rahmen für die Beziehungen<br />
der EU mit dieser Region etabliert wird. Auch<br />
auf dem engeren Feld der Europäischen Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik können sich die erzielten Fortschritte<br />
sehen lassen, sowohl was die Operationen der EU, die<br />
Entwicklung der zivilen und militärischen Fähigkeiten,<br />
die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Vereinten<br />
Nationen als auch die Weiterentwicklung der Planungsund<br />
Führungsfähigkeit der EU angeht. All dies zeigt, wie<br />
dynamisch und kraftvoll sich die EU entwickelt.<br />
Seit dem Jahr 2003, also in nur vier Jahren, hat die Europäische<br />
Union im Rahmen der Europäischen Sicherheits-<br />
und Verteidigungspolitik (ESVP) 15 Operationen<br />
begonnen oder erfolgreich beendet, elf zivile oder zivilmilitärische<br />
und vier militärische in Kombination mit<br />
zivilen Einsätzen. Seit dem 15. Juni 2007 hat sie mit der<br />
zivilen Polizei- und Rechtsstaatsmission in Afghanistan<br />
ihre 16. Operation begonnen. Eine weitere große Polizei-<br />
und Rechtsstaatsoperation ist fertig geplant – für das<br />
Kosovo dann, wenn dessen Status entschieden ist und<br />
ein Mandat des VN-Sicherheitsrates den Einsatz der EU<br />
im Kosovo in der Nachfolge der Mission der Vereinten<br />
10
Nationen UNMIK ermöglicht. Rund 10.000 Männer und<br />
Frauen wurden bisher in den Operationen der EU eingesetzt,<br />
Polizisten aus allen EU-Mitgliedstaaten, Soldaten,<br />
Richter und junge Menschen jeglicher Herkunft, die sich<br />
für Frieden und Entwicklung engagieren. Die Kosovo-<br />
Operation wird rund 1.800 Polizisten und Experten umfassen.<br />
In Afghanistan werden einschließlich der Beiträge<br />
von Nicht-EU-Staaten rund 200 Männer und Frauen eingesetzt<br />
sein. Die Dimension all dieser Operationen ist bemerkenswert,<br />
in geographischer wie auch in thematischer<br />
Hinsicht: Auf drei Kontinenten, in Europa, Afrika und<br />
Asien, decken sie ein Spektrum ab, das von militärischer<br />
Friedenserhaltung über Polizeimissionen zum Aufbau<br />
und zur Reform von Polizeistrukturen in krisengeschüttelten<br />
Ländern und bis zu Unterstützungseinsätzen bei<br />
der Reform des Sicherheitssektors von fragilen Staaten<br />
und dem Aufbau funktionierender Institutionen reicht.<br />
In wenigen Jahren hat sich die EU also zum globalen<br />
Sicherheitsakteur entwickelt. In kurzer Zeit haben wir<br />
es geschafft, von Worten zu Taten zu kommen, von der<br />
Theorie zur Praxis, von Deklarationen zu Operationen.<br />
Zwar ist und bleibt die EU vor allem eine politische und<br />
ökonomische Macht: Mit bald rund 500 Millionen Bürgern<br />
erwirtschaften wir mehr als ein Viertel des Weltbruttosozialprodukts;<br />
tragen einen Anteil von 40 Prozent am<br />
weltweiten Export und leisten die Hälfte der weltweiten<br />
Entwicklungshilfe. Aber eine politische Union aus 27<br />
europäischen Nationen dieser Leistungsstärke hat darüber<br />
hinaus regionale und globale Sicherheitsinteressen<br />
und Verantwortung. Seit ihrer Geburtsstunde auf dem<br />
Europäischen Rat 1999 in Köln strebt die Europäische<br />
Sicherheits- und Verteidigungspolitik als integraler Bestandteil<br />
der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik<br />
(GASP) einen integrierten zivil-militärischen Ansatz<br />
zur Bewältigung von Krisen an. Die gelungene Implementierung<br />
dieses ehrgeizigen Anspruchs macht das ‚Alleinstellungsmerkmal’<br />
der ESVP und ihren ‚Mehrwert’ im<br />
internationalen Krisenmanagement aus. Die Europäische<br />
Sicherheitsstrategie (ESS) vom Dezember 2003 bildet dafür<br />
den politisch-konzeptionellen Rahmen.<br />
Die Europäische Sicherheitsstrategie<br />
Seit Ende des Kalten Krieges haben wir es mit einer<br />
dynamischen und komplexen Entwicklung des internationalen<br />
Systems zu tun, die von Paradoxien gekennzeichnet<br />
ist. Die bipolare Weltordnung ist Vergangenheit, aber<br />
weltweit hat die Gewalt zugenommen; seit 1990 sind<br />
mehr als vier Millionen Menschen in gewaltsamen Konflikten<br />
umgekommen, 90 Prozent davon waren Zivilisten.<br />
Die westlichen Demokratien und ihre Ökonomien sind<br />
die wesentlichen Motoren der Globalisierung, die große<br />
Chancen für Freiheit und Entwicklung mit sich bringt;<br />
aber zugleich schränkt der Prozess der Globalisierung<br />
ihre Fähigkeit ein, Krisen zu begrenzen und zu meistern.<br />
Die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts sind in<br />
Europa passé, aber die kulturelle und religiös motivierte<br />
Radikalisierung hat in vielen Teilen der Welt dramatisch<br />
zugenommen. In einer Welt, in der sich Kräfte und Bewegungen<br />
entfesselt haben, die keine Regierung allein zu<br />
kontrollieren vermag; in der wir es weiterhin mit Gewalt,<br />
Unterdrückung und extremer Armut zu tun haben; einer<br />
Welt, in der viele unsere Werte nicht teilen; in dieser Welt<br />
müssen wir unsere Anstrengungen und unsere Ressourcen<br />
bündeln. Natürlich ist es oft mühsam, gemeinsame<br />
Positionen für kohärentes internationales Handeln zu<br />
entwickeln, sowohl innerhalb der EU selbst als auch<br />
besonders unter internationalen Akteuren und zwischen<br />
komplexen internationalen Organisationen. Aber angesichts<br />
der Herausforderungen von heute und morgen,<br />
den Chancen und Risiken der Globalisierung, der Veränderung<br />
des globalen Klimas oder des internationalen<br />
Terrorismus, kann sich keiner die Alternative leisten:<br />
nationale Egoismen oder unilaterales Handeln.<br />
Unsere Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik muss<br />
sich den Herausforderungen stellen, Chancen nutzen,<br />
Risiken begegnen, Verpflichtungen gerecht werden und<br />
die Zukunft gestalten. Es geht darum, den internationalen<br />
Wandel zu steuern, Schutz und Sicherheit für unsere<br />
Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und unsere<br />
gemeinsamen Werte und Interessen zu fördern, nicht nur<br />
zuhause, sondern auch weltweit. Mit der Europäischen<br />
Sicherheitsstrategie für: „Ein sicheres Europa in einer<br />
11
Ziele und Handlungsfelder der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – Sachstand und Perspektive<br />
besseren Welt“ gibt es erstmals eine Richtschnur für<br />
gemeinsames sicherheitspolitisches Handeln aller EU-<br />
Mitgliedsstaaten. Ihr Kern liegt in der Überzeugung, dass<br />
komplexe, multinationale Herausforderungen kohärente,<br />
multinationale Antworten verlangen. Sie identifiziert ähnliche<br />
strategische Bedrohungen und Herausforderungen<br />
wie die NATO: Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen,<br />
Organisierte Kriminalität, regionale<br />
Konflikte und Zusammenbruch von staatlichen Strukturen<br />
(failed states). In der Verflechtung aller dieser Faktoren<br />
liegt die größte Gefahr. Die Krisenherde im Nahen und<br />
Mittleren Osten wie auch in Afrika legen davon beredtes<br />
Zeugnis ab. Nachhaltige Stabilisierung von Krisenregionen<br />
erfordert daher rechtzeitige Intervention, im Idealfall<br />
Prävention (einschließlich eines „preventive engagement“); die<br />
klare Definition des angestrebten politisch-strategischen<br />
Zielzustandes (End State); die Entwicklung eines klaren<br />
Fahrplans und einer durchdachten ‚Exit Strategy’; den<br />
richtigen, auf den je individuellen Charakter eines Konflikt<br />
oder einer Krisenregion zugeschnittenen Einsatz<br />
ziviler und militärischer Instrumente und deren optimale<br />
Koordination; und schließlich: die abgestimmte, wirkungsvolle<br />
Kooperation mit internationalen Partnern,<br />
allen voran mit den Vereinten Nationen (VN), den USA,<br />
der NATO oder auch der Afrikanischen Union (AU). Es<br />
geht um eine internationale Ordnung, die auf ‚effektivem<br />
Multilateralismus’ basiert.<br />
Europa braucht nicht nur große Ideen, sondern auch<br />
konkrete Taten. Internationale Politik kann heute nur<br />
noch in kontinentaler Dimension betrieben werden. Europa<br />
hat Interessen zu wahren, Bedrohungen zu bewältigen,<br />
Probleme aktiv anzugehen und lösen zu helfen. Wie<br />
steht es nun mit der praktischen Umsetzung unserer Strategie?<br />
Ich will einen Überblick über den erreichten Stand<br />
der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
geben und deren Entwicklungsperspektive aufzeigen.<br />
Operationen<br />
Alle unsere praktischen Einsatzerfahrungen lehren, dass<br />
nahezu jede militärische Operation zur Krisenbewältigung<br />
in eine breite zivile Anstrengung münden oder in sie<br />
eingebettet sein muss, um letztendlich erfolgreich zu sein.<br />
Umgekehrt brauchen viele zivile Missionen militärische<br />
Expertise, Unterstützung oder Absicherung. Stabilisierung<br />
und Wiederaufbau in Krisenregionen kommen selten<br />
ohne militärische Beiträge oder Schutz aus. Im Rahmen<br />
des ganzheitlichen Ansatzes für die Krisenbewältigung<br />
spielt das militärische Instrument in der EU also eine<br />
wichtige, aber eine begrenzte Rolle. Die Mitgliedstaaten<br />
der Union verfügen nicht nur über Truppen, sondern<br />
über eine Vielzahl von zivilen Mitteln und Fähigkeiten<br />
zur Krisenintervention. Damit einher geht der Anspruch,<br />
die ‚Vision’, der EU für die Bewältigung von Krisen und<br />
Konflikten: ganzheitlich angelegte, nachhaltige Stabilisierung,<br />
ein Prozess, der mit den Werten, Prinzipien und<br />
Interessen der EU-Mitgliedstaaten im Einklang zu stehen<br />
hat. Der Schwerpunkt unserer Bemühungen liegt also<br />
auf Wiederaufbau, langfristiger Stärkung von Institutionen,<br />
Reform der Sicherheitssektoren von fragilen Staaten<br />
(vor allem Reform der Streitkräfte und Polizei und deren<br />
demokratische Kontrolle), wirtschaftlicher Unterstützung<br />
und Hilfe zur Selbsthilfe. Sicherheit und Entwicklung<br />
sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Langfristige politische<br />
Stabilisierung ist das Ziel.<br />
Knapp sieben Jahre nach den richtungweisenden Entscheidungen<br />
von Nizza zum Aufbau der ESVP-Strukturen<br />
lässt sich sagen: die ESVP steht im Feld, sie ist<br />
Realität. Die größte Operation, die militärische Operation<br />
ALTHEA in Bosnien und Herzegowina (BuH) begann<br />
Ende 2004 mit rund 7.000 Männern und Frauen aus 22<br />
Mitgliedstaaten und elf Partnernationen, darunter der<br />
Türkei, Kanada, Chile und Marokko. Sie arbeitet effektiv<br />
mit der ebenfalls in Bosnien und Herzegowina tätigen<br />
Europäischen Polizeimission EUPM zusammen. Aber<br />
wir wollen nicht ewig in Bosnien bleiben. Die Bosnier<br />
müssen selbst Verantwortung für ihr Land übernehmen.<br />
Die militärische Präsenz wird schrittweise weiter abgebaut<br />
und umfasst heute noch rund 2.500 Mann; trotzdem<br />
bleibt unsere Truppe noch sichtbar im Lande und kann<br />
schnell verstärkt werden, wenn nötig. Unter der politisch<br />
koordinierenden Autorität des EU-Sonderbeauftragten<br />
(und Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft)<br />
führt die ‚EU-Family’, zusammen mit der NATO,<br />
12
die dort noch ein kleines Hauptquartier unterhält, das<br />
Land schrittweise in die euro-atlantische Integration. Die<br />
NATO hat das Land im Herbst 2006 in das Programm<br />
Partnership for Peace aufgenommen. Der Schwerpunkt der<br />
Bemühungen liegt nun – nach erfreulichen Fortschritten<br />
auf dem Felde der Streitkräftereform – auf der Reform<br />
der Polizei und der Verfassung, die leider zu wünschen<br />
übrig lässt.<br />
Die zivilen und zivil-militärischen Operationen der EU<br />
sind weniger spektakulär, in ihrer Wirkung aber nicht zu<br />
unterschätzen. Ich will ihre Bedeutung an einigen Beispielen<br />
illustrieren. Die Beobachtermission der EU in ACEH<br />
(Sumatra/Indonesien) überwachte von September 2005<br />
bis Dezember 2006 mit rund 290 Männern und Frauen,<br />
darunter vielen Soldaten, zusammen mit fünf Nationen<br />
der regionalen Organisation ASEAN die Implementierung<br />
eines Friedensabkommens zwischen der indonesischen<br />
Regierung und der Rebellenorganisation GAM.<br />
In der europäischen Öffentlichkeit fand die Operation<br />
insgesamt wenig Beachtung und war doch eine kaum<br />
für möglich gehaltene Erfolgsgeschichte für die EU.<br />
Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs besteht nun erstmals<br />
eine realistische Chance zu wirklichem Frieden auf der<br />
Halbinsel. Keine andere internationale Organisation oder<br />
Macht als die EU war von den Parteien als Garant des<br />
Friedensvertrages akzeptiert worden. Erstmals beteiligten<br />
ASEAN-Staaten an einer Friedensmission und arbeiteten<br />
mit der EU zusammen. Das Auftreten der EU in Asien<br />
als politischer Friedensfaktor war von strategischer Bedeutung<br />
und hat der GASP und ESVP eine neue Dimension<br />
eröffnet.<br />
Trotz der dramatischen, unglücklichen Entwicklungen im<br />
Nahen Osten in den vergangenen Monaten, soll auch die<br />
zivile Border Assistance Mission der EU am Grenzübergang<br />
RAFAH in Gaza genannt werden. Die Idee war, erstmals<br />
die Grenze zu Ägypten zu öffnen und die Regelung des<br />
Personen- und Güterverkehrs über diesen Grenz übergang<br />
in die Hände der palästinensischen Behörden zu legen.<br />
70 europäische Zollbeamte und Polizisten sollten die Einhaltung<br />
der internationalen Normen überwachen und die<br />
palästinensischen Beamten darin anleiten und weiterbilden.<br />
Die Übertragung staatlicher Exekutivfunktionen auf<br />
die palästinensische Autonomiebehörde und die Chance<br />
auf wirtschaftliche Erholung des Gazastreifens sollten<br />
mit den Sicherheitsinteressen Israels verbunden werden.<br />
Angesichts der jüngsten kriegerischen Entwicklungen im<br />
Gaza-Streifen ist leider fraglich, ob und wann die EU-<br />
Mission ihre Arbeit wieder aufnehmen kann.<br />
In SUDAN/DARFUR unterstützt die EU, zusammen<br />
mit den USA, Kanada, Norwegen und der NATO die<br />
Afrikanische Union (AU) in der Durchführung der Friedensmission<br />
AMIS. Die Europäische Kommission hat<br />
bisher 282 Mio. EURO zur Finanzierung der Mission<br />
aufgebracht, einschließlich der bilateralen Unterstützung<br />
seitens der EU-Mitgliedstaaten sind es mehr als 450<br />
Mio. EUR. Zusammen mit den Amerikanern stellt die<br />
EU Militärbeobachter und Offiziere als Experten in den<br />
AMIS-Hauptquartieren, um deren Kommandostruktur<br />
zu stärken; ein Kontingent europäischer Polizisten berät<br />
und unterstützt die afrikanischen Kollegen, die in den<br />
Flüchtlingslagern für Recht und Ordnung sorgen sollen.<br />
Gemeinsam mit der NATO organisiert die EU den Lufttransport<br />
der afrikanischen Bataillone in den Einsatzraum<br />
und zurück, und zusammen mit den Amerikanern hat die<br />
EU die Friedensverhandlungen in Abuja im Jahre 2006<br />
politisch und diplomatisch massiv unterstützt – heute<br />
muss man leider sagen: mit geringem Erfolg. Die katastrophale<br />
Lage in Darfur hat sich kaum gebessert. Es ging<br />
und geht aber darum, den Krieg in der geschundenen<br />
Provinz zu beenden, zugleich den Aufbau der AU zu einer<br />
handlungsfähigen Regionalen Organisation voranzutreiben,<br />
die die Sicherheitsbelange des Kontinents selbst<br />
in die Hand nehmen kann. Der Erfolg ist begrenzt. Die<br />
junge AU ist mit der Führung einer so komplexen Operation<br />
in einem äußerst schwierigen Umfeld überfordert.<br />
Nun richten sich alle internationalen Anstrengungen darauf,<br />
Truppen der VN in die Provinz zu bringen, die AMIS<br />
unterstützen und über eine gemeinsame AU/VN Hybrid<br />
Operation schließlich entlasten können.<br />
Die gewaltige politische, humanitäre und Sicherheitskrise<br />
in Darfur ist selbst nur ein Teil eines größeren regionalen<br />
Problems: Die ethnischen Strukturen und politischen<br />
13
Ziele und Handlungsfelder der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – Sachstand und Perspektive<br />
Prozesse diesseits und jenseits der Grenzen zum Tschad<br />
und auch zur Zentralafrikanischen Republik sind ebenso<br />
verflochten wie die Interessen und Aktionen der verschiedenen<br />
Akteure und Gruppen hier wie dort. Die riesigen<br />
Flüchtlings- und Vertriebenenzahlen in den Lagern in<br />
Darfur und im Tschad legen davon ein beklemmendes<br />
Zeugnis ab. Die VN wollen daher schon seit langem eine<br />
Operation im Osten des Tschad und Nordosten der Zentralafrikanischen<br />
Republik aufbauen. Frankreich hat diese<br />
Absicht nun aufgegriffen und eine Operation der EU<br />
vorgeschlagen, die dort die Sicherheit für die Bevölkerung<br />
verbessern hilft, einen VN-geführten Polizeieinsatz<br />
in den Lagern absichert und humanitäre Hilfe erleichtert,<br />
solange bis die VN in der Lage sind, selbst Truppen zu<br />
entsenden. Die Planungen für eine ESVP-Operation werden<br />
nun vorangetrieben, in enger Abstimmung mit den<br />
Vereinten Nationen.<br />
Nach der Operation ARTEMIS in Ostkongo im Jahre<br />
2003 unter Führung Frankreichs war die Operation<br />
EUFOR RD CONGO mit rund 2.300 Soldaten aus<br />
21 Nationen die zweite militärische Operation der EU<br />
aus eigener Kraft, also ohne die Hilfe der NATO. Dieses<br />
Mal übernahm erstmals Deutschland mit dem Operations<br />
Headquarters in Potsdam die militärische Gesamtführung,<br />
was international große Beachtung fand. Auf Bitten der<br />
Vereinten Nationen unterstützte die EU im zweiten Halbjahr<br />
2006 mit einem begrenzten, aber effizienten militärischen<br />
Beitrag die VN-Mission MONUC während des<br />
Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo 1<br />
– vor allem zur Abschreckung von potentiellen Unruhestiftern<br />
und zur Ermutigung der Wahlbevölkerung. Die<br />
Entwicklung der DR Kongo ist aufgrund ihrer zentralen<br />
Lage, ihrer schieren Größe, die der ganz Westeuropas<br />
gleichkommt, und der Zahl ihrer Nachbarn für die Lage<br />
Zentralafrikas von ausschlaggebender Bedeutung. Erfolgreiche<br />
demokratische Wahlen haben Vorbildcharakter für<br />
die gesamte Region. Eine stabile Entwicklung des Landes<br />
strahlt auf den ganzen Kontinent aus. Afrika aber ist<br />
unser Nachbarkontinent; von Stabilität oder Instabilität<br />
dort ist die Sicherheit Europas mehr oder weniger direkt<br />
betroffen. Mit dem militärischen Einsatz zur Absicherung<br />
der Wahlen haben wir ein deutliches Zeichen unseres<br />
Engage ments für die Zukunft des Landes und unserer<br />
Entschlossenheit gesetzt, ein Scheitern des politischen<br />
Transformationsprozesses nach langen Jahre grausamer<br />
Gewalt nicht zuzulassen. Die ‚autonome’ militärische<br />
Operation war aber Teil einer Gesamtanstrengung der<br />
Europäer: Die EU finanzierte zu 80 Prozent die Wahlen.<br />
Die zivile Mission EUSEC RD CONGO hilft nun weiter,<br />
die desolaten kongolesischen Streitkräfte neu aufzubauen;<br />
und die Mission EUPOL RD CONGO bildet die<br />
kongolesische Polizei nach europäischen Maßstäben aus.<br />
Derzeit prüfen wir, im Jahre 2008 eine integrierte Operation<br />
zur Unterstützung der Reform des Sicherheitssektors<br />
(Streitkräfte, Polizei, Justiz, Verwaltung) in Zusammenarbeit<br />
mit den VN auf die Beine zu stellen.<br />
Kapazitäten<br />
Die Beispiele zeigen, dass ESVP-Operationen in vielen<br />
Fällen eine zivile und militärische Dimension haben.<br />
Darauf ist auch die Entwicklung der Fähigkeiten der EU<br />
ausgerichtet. Die Maximen der ESS verlangen die Fähigkeit<br />
zum rechtzeitigen, wenn nötig raschen, weltweiten<br />
Einsatz der jeweils richtigen Kapazitäten zur Krisenbewältigung,<br />
wenn nötig in mehreren Einsätzen gleichzeitig.<br />
Seit 2003 sieht sich die EU zwar technisch in der Lage,<br />
militärische Operationen im gesamten Spektrum der<br />
Petersberg-Aufgaben zu führen (Humanitäre und Rettungseinsätze,<br />
friedenserhaltende Einsätze sowie Kampfeinsätze<br />
zur Krisenbewältigung), aber in durch bestehende<br />
Defizite gesetzten Grenzen: Wesentliche Fähigkeiten wie<br />
Transport, Aufklärung, Führung, Mobilität oder Luftbetankung<br />
bringen die Europäer noch nicht in ausreichendem<br />
Maße auf. Mit der ESS aber sind neue Aufgaben<br />
hinzugekommen. Sie unterstreichen die Ausrichtung der<br />
EU auf langfristige Stabilisierung: Aufbau von Institutionen<br />
(Institution Building); Entwaffnung, Demobilisierung<br />
und Reintegration von Milizen und bewaffneten<br />
Rebellenorganisationen (Disarmament, Demobilisation, and<br />
Reintegration -DDR); Reform ganzer Sicherheitssektoren<br />
1 Im Kongo wurden der Präsident, das nationale Parlament und die Provinzparlamente gewählt. Da keiner der Bewerber um das Amt des Präsidenten im ersten Wahlgang am 30. Juli 2006 die<br />
absolute Mehrheit errang, war eine Stichwahl im Oktober erforderlich.<br />
14
fragiler Staaten (Security Sector Reform – SSR) sowie die<br />
Unterstützung von Drittstaaten im Kampf gegen den<br />
internationalen Terrorismus. Das (militärische) Headline<br />
Goal 2010 legt daher den Schwerpunkt auf Qualität und<br />
Reaktionsfähigkeit und sieht die Entwicklung von flexibel<br />
einsetzbaren, schnell verfügbaren und verlegefähigen<br />
Streitkräftekontingenten vor.<br />
In einem systematischen Planungsprozess wurden die<br />
erforderlichen Fähigkeiten für eine Reihe von denkbaren<br />
Einsatzszenarien definiert. Derzeit werden die eingemeldeten<br />
Beiträge der Mitgliedstaaten, die verbleibenden<br />
Defizite und die möglichen operativen Risiken bewertet.<br />
Die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) wird eine wesentliche<br />
Rolle bei der Suche nach Lösungen spielen, die<br />
Lücken schließen zu helfen und die Fähigkeitsplanung<br />
über 2010 hinaus langfristig auszurichten. Das Langzeit-<br />
Strategie-Papier der Agentur (Initial Long Term Vision) ist<br />
auf das Jahr 2025 hin ausgelegt und hilft uns zu verstehen,<br />
welche Schritte wir heute einleiten müssen, um für<br />
die Zukunft gerüstet zu sein. – Seit Anfang 2007 verfügt<br />
die EU mit ihrer Battlegroup-Kapazität über eine spezifische<br />
Fähigkeit zur schnellen Reaktion. Zwei Battlegroup-<br />
Operationen können nun gleichzeitig geführt werden; in<br />
vielen Regionen Afrikas kann, wie die bisherigen militärischen<br />
Einsätze der EU gezeigt haben, damit – etwa zur<br />
Unterstützung der VN – durchaus große Wirkung erzielt<br />
werden.<br />
Auf der zivilen Seite hat die EU mehrere Prioritätenfelder<br />
für zivile Fähigkeiten definiert: Polizei, Aufbau des<br />
Rechtsstaats, Aufbau oder Reform ziviler Verwaltungen,<br />
Schutz der Zivilbevölkerung, Beobachtungs- und Überwachungsmissionen<br />
und Unterstützung für die EU-<br />
Sonderbeauftragten in verschiedenen Regionen der Welt.<br />
Unsere Mitgliedstaaten haben sich zu bemerkenswerten<br />
Beiträgen verpflichtet: 5.700 Polizisten; 630 Richter,<br />
Staatsanwälte und Vollzugsbeamte, 560 zivile Verwaltungsexperten,<br />
5.000 Zivilschutzexperten, 500 Experten<br />
für Beobachtermissionen und rund 400 für Sonderbeauftragte.<br />
Zweifelsohne zielen die meisten zivilen Missionen<br />
der ESVP auf Beratung, Anleitung, Aus- und Weiterbildung,<br />
Beobachtung und Verifikation durch individuelle<br />
Experten ab. Polizisten und Rechtsstaatsexperten, die<br />
für anspruchsvolle und risikoreiche Auslandseinsätze<br />
zur Verfügung stünden, sind aber überall ein knappes<br />
und wertvolles ‚Gut’. Die Rekrutierung ist jedes Mal ein<br />
schwieriges und langwieriges Unterfangen. Außerdem<br />
braucht man in bestimmten kritischen Situationen geschlossene<br />
polizeiliche Formationen, wenn es gilt, nach<br />
einer militärischen Intervention rasch ein „law enforcement<br />
gap“ zu füllen. Dafür stehen noch nicht genügend ‚stehende’,<br />
einheitlich ausgebildete, schnell einsatzfähige<br />
Polizeikontingente bereit. Daher haben wir analog zum<br />
militärischen Headline Goal 2010 das Civilian Headline Goal<br />
2008 entwickelt. Analog zur militärischen Methodologie<br />
wurden multifunktionale zivile Fähigkeitspakete entwickelt.<br />
Zwei Beispiele sind zu nennen:<br />
− Schnell verfügbare und verlegefähige Polizeikontingente<br />
wie die Integrated Police Units (IPU) mit<br />
militärischem Status wie die französische Gendarmerie<br />
oder die italienischen Carabinieri, die auch zeitweise<br />
unter militärisches Kommando treten können, oder die<br />
Formed Police Units, die unter ziviler Führung verbleiben,<br />
können ein breites Spektrum an exekutiven Polizeiaufgaben<br />
erfüllen. Fünf Mitgliedstaaten – Frankreich, Italien,<br />
die Niederlande, Portugal und Spanien – haben Anfang<br />
des Jahres die European Gendarmerie Force mit insgesamt<br />
800 Mann in Dienst gestellt. Vermutlich wird sie in diesem<br />
Jahr erstmals mit Teilen in Bosnien und Herzegowina<br />
im Rahmen der EUFOR eingesetzt.<br />
− Crisis Response Teams (CRT), die sich aus zivilen<br />
Experten verschiedener Provenienz zusammensetzen,<br />
sollen in wenigen Tagen verfügbar sein und auch mit militärischen<br />
schnellen Reaktionskräften eingesetzt werden<br />
können, schnellen Kontakt mit den lokalen Stellen und<br />
anderen internationalen Organisationen aufnehmen, die<br />
militärischen Kräfte beraten, größere zivile Operationen<br />
erkunden und deren Aufnahme vorbereiten.<br />
Das Spektrum der EU an zivilen Instrumenten zur<br />
Krisenbewältigung ist aber nicht nur auf Operationen<br />
15
Ziele und Handlungsfelder der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – Sachstand und Perspektive<br />
und Missionen im Rahmen der ESVP beschränkt. Auch<br />
die Europäische Kommission entfaltet natürlich große<br />
Wirkung nach außen. Mit über 130 Delegationen in der<br />
Welt hat die Kommission ein dicht geflochtenes, globales<br />
Netzwerk und Verbindungen zu zahlreichen Organisationen<br />
und Ländern etabliert. Das entscheidende Instrument<br />
der Kommission sind die finanziellen Mittel und<br />
Haushalte der EU, die sie zumeist für langfristig angelegte<br />
Programme und Projekte nutzt – für die Entwicklung<br />
und Stabilisierung von Ländern und Regionen im engeren<br />
und weiteren Umkreis der EU und für den Aufbau und<br />
die Stärkung von Institutionen und regionalen Organisationen.<br />
Die Kommission ist aber ebenso für rasche humanitäre<br />
Hilfe im Namen der EU verantwortlich.<br />
Zivil-militärische Koordinierung<br />
Natürlich hat Entwicklungshilfe der EU eine außenund<br />
sicherheitspolitische Dimension; umgekehrt können<br />
ESVP-Operationen die Voraussetzungen für langfristige<br />
Projekte der Kommission schaffen oder von ihnen profitieren.<br />
Es besteht daher breites Einvernehmen darüber,<br />
dass die EU als ganze koordiniert nach außen auftreten<br />
und ihre Wirksamkeit als ganze verbessern muss. Geschlossenheit<br />
und Kohärenz ist ein dringendes Gebot,<br />
will die EU in ihrem äußeren Handeln glaubwürdig und<br />
effektiv sein. Das Schlüsselwort heißt zivil-militärische<br />
Koordination, die zielorientierte Planung der zivilen und<br />
militärischen Instrumente der ESVP, aber auch die der<br />
ersten und zweiten ‚Säule’ der EU – in Brüssel, in und<br />
zwischen den Hauptstädten, wie auch ‚im Felde’. Es ist<br />
klar, dass dazu ein einheitliches Verständnis über das jeweilige<br />
politische Ziel und eine gemeinsame Strategie notwendig<br />
sind, die die eher kurzfristigen Operationen mit<br />
den langfristigen Programmen verbindet. Wir brauchen<br />
eine übergreifende gemeinsame Denk- und Planungskultur,<br />
die entsprechenden Strukturen und effiziente Verfahren<br />
zur raschen Bereitstellung der finanziellen Mittel. Der<br />
Reformvertrag der EU wird hoffentlich ein Meilenstein<br />
auf dem Weg zu einheitlicher Planung und kohärenter<br />
externer Aktion der EU sein. Bis dahin ist aber noch viel<br />
zu tun. Derzeit drehen sich unsere internen Reformüberlegungen<br />
vor allem um zwei Felder:<br />
(1) Wollen wir überlegt und vorbereitet handeln, der<br />
Politik Entscheidungsfreiheit bieten und für schnelle und<br />
angemessene Reaktion Zeit gewinnen, ist vorausschauende<br />
Analyse, die Entwicklung strategischer Optionen<br />
und integrierte Planung unausweichlich. Diese muss<br />
zivil-militärisch und ‚säulen-übergreifend’ angelegt sein.<br />
Mit der Civilian/Military Cell im EU-Militärstab ist ein<br />
wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Dort arbeiten<br />
Diplomaten, Offiziere und auch Beamte der Kommission<br />
in gemischten Teams effektiv zusammen. Wenn<br />
außerdem schnelle und flexible, aber ebenso situationsgerechte<br />
und effektive Reaktion möglich sein soll, ist zivil<br />
und militärisch eng abgestimmte Parallelplanung über die<br />
Führungsebenen hinweg geboten. Mit dem neuen EU<br />
Operations Centre steht dafür seit Beginn 2007 eine zentrale<br />
Planungs- und Führungskapazität in Brüssel zur Verfügung.<br />
Dessen Nukleus ist Teil der Civilian/Military Cell.<br />
Auf Beschluss des Rats kann er in sehr kurzer Zeit, durch<br />
Personal aus dem EU-Militärstab, dem Generalsekretariat<br />
und aus Mitgliedstaaten verstärkt, zu voller Stärke von<br />
rund 90 Mann aufwachsen und dann eine mittlere militärische<br />
oder größere zivil-militärische ESVP-Operation<br />
planen und führen 2 . Die physische und geistige Nähe zu<br />
den Entscheidungsgremien der EU und deren Ausschüssen,<br />
zu den zivilen und militärischen Abteilungen und<br />
auch zur Kommission macht rasche, nahezu parallele und<br />
konsistente Planung auf allen Führungsebenen möglich<br />
– ein gewaltiger Vorteil dieser Führungsoption. Die erste<br />
Übung MILEX 07 fand ein großes öffentliches Echo.<br />
Auf Veranlassung der deutschen Präsidentschaft werden<br />
nun Optionen entwickelt, mit denen die die Fähigkeit zu<br />
schneller, effizienter Planung weiter vorangetrieben werden<br />
kann.<br />
(2) Die Entwicklung der militärischen Führungsfähigkeit<br />
findet ihre Entsprechung auf ziviler Seite: Die<br />
Führung von zivilen Operationen liegt derzeit noch in<br />
der Hand eines Head of Mission im Einsatzland. Mit Blick<br />
auf die professionelle Führung anspruchsvoller ziviler<br />
2 Das Operation Centre fungiert dann wie ein Operation Headquarters der EU und stellt damit – neben SHAPE im Falle von Berlin-Plus-Operationen und den fünf der EU angezeigten nationalen<br />
militärischen Oberkommandos (DE, EL, FR, IT, UK) eine dritte Führungsoption auf strategischer Ebene dar.<br />
16
Operationen baut die EU nun eine voll ausgebildete,<br />
dreistufige Leitungsorganisation für zivile Operationen<br />
auf, analog zur militärischen Kommandostruktur. Die<br />
deutsche Präsidentschaft hat mit der Berliner Konferenz<br />
zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
Ende Januar 2007 dafür den Weg geebnet. Künftig wird<br />
ein ziviler Operation Commander alle Heads of Missions führen.<br />
Dazu wird er durch einen eigenen Stab unterstützt,<br />
der die Funktion eines zivilen Hauptquartiers hat. Da<br />
Planung und Führung nahezu jeder komplexen ESVP-<br />
Operation zivile und militärische Anteile haben, findet<br />
die Planung und Überwachung von ESVP-Operationen<br />
in Brüssel künftig integriert statt: Über die Civilian/Military<br />
Cell wird der neue zivile Stab mit dem Militärstab<br />
und dem Operation Centre verbunden; dort wird auch eine<br />
Watch Keeping Capability etabliert, die alle Operationen der<br />
EU permanent überwacht und alle einsatzrelevanten Informationen<br />
steuert.<br />
Damit stehen eigentlich alle wesentlichen Elemente einer<br />
zentralen, zivil-militärischen Planungs- und Führungsfähigkeit<br />
in Brüssel zur Verfügung, ganz im Einklang mit<br />
dem ganzheitlichen Anspruch unserer Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik. Ich bin sicher, dass ein globaler<br />
Sicherheitsakteur von der Größe, der Rolle, der Verantwortung<br />
und dem Aktionsradius der EU auf längere<br />
Sicht uneingeschränkt in der Lage sein muss, eigene<br />
Operationen zu führen; die Verantwortung für Planung,<br />
Ausführung und Erfolg ist unteilbar.<br />
Effektiver Multilateralismus<br />
Die Kongruenz und immer enger werdende Verbindung<br />
der zivilen und militärischen Führungsstrukturen wird die<br />
Koordination der zivilen und militärischen Mittel der EU<br />
und damit die Wirksamkeit des EU-Krisenmanagements<br />
im Einsatzland deutlich verbessern. Aber zur EU-internen<br />
Optimierung muss eine entscheidende Dimension<br />
hinzukommen, will Krisenmanagement zu nachhaltiger<br />
Stabilisierung führen: die Zusammenarbeit in multilateralen<br />
Organisationen und mit unseren internationalen Partnern.<br />
Die Vereinten Nationen sind eine zentrale Kraftquelle<br />
und Ausdruck von multilateraler Verantwortung,<br />
ein Grundpfeiler des internationalen Systems und die<br />
einzige universale internationale Organisation, die wir haben.<br />
Die EU hat es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem<br />
die VN in ihren Friedensbemühungen zu unterstützen.<br />
Man kann sogar sagen: ein wesentlicher Bestandsgrund<br />
der ESVP liegt in der Unterstützung von und der Zusammenarbeit<br />
mit den VN. In unserem Engagement auf<br />
dem Balkan, im Kaukasus, im Nahen Osten und in Afrika<br />
kommt dies besonders zum Ausdruck.<br />
Als globaler Akteur will die EU darüber hinaus ihre politischen,<br />
wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu<br />
alten und neuen Machtzentren vertiefen. Die Beziehungen<br />
zu unserem Nachbarn Russland sind in schwierigen<br />
Gewässern, aber beide Seiten sind aus sicherheits- und<br />
wirtschaftspolitischen Gründen aufeinander angewiesen.<br />
Die Ukraine braucht europäische Unterstützung. Der<br />
Kaukasus richtet sich mehr und mehr auch nach Westen<br />
aus. Die wachsende Bedeutung Zentralasiens für die<br />
europäischen Interessen kommt in der neuen Zentralasienstrategie<br />
zum Ausdruck; ihre Schwerpunkte liegen<br />
auf Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Bildung, wirtschaftlicher<br />
Entwicklung und Energie. Die junge Afrikanische<br />
Union richtet sich nach dem Modell der EU aus;<br />
sie braucht und verdient alle unsere Unterstützung für<br />
den Aufbau der Kapazitäten und Strukturen, die sie für<br />
die Aufgaben einer Regionalen Organisation auf unserem<br />
Nachbarkontinent benötigt. Neue, aufstrebende Akteure<br />
sind auf der internationalen Bühne erschienen: China,<br />
Indien, Brasilien und Südafrika. Sie eröffnen neue große<br />
Chancen für wirtschaftliche und sicherheitspolitische Kooperation,<br />
verlangen aber ebenso alle unsere Anstrengungen,<br />
unserer gemeinsamen Verantwortung für regionale<br />
Stabilität, Klima- und Umweltschutz gerecht zu werden.<br />
Wenn es um die Pflege und Weiterentwicklung internationaler<br />
Zusammenarbeit geht, steht die einzigartige transatlantische<br />
Partnerschaft natürlich obenan. Es stimmt,<br />
„acting together, the EU and the US can be a formidable<br />
17
Ziele und Handlungsfelder der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – Sachstand und Perspektive<br />
force for the good in the world”, wie es die Europäische<br />
Sicherheitsstrategie ausdrückt. Die transatlantische Verbindung<br />
bleibt für die Sicherheit Europas unverzichtbar.<br />
Zu einer wirklichen strategischen Partnerschaft zwischen<br />
den großen Demokratien des Westens, zwischen den<br />
Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen<br />
Union, gibt es angesichts der strategischen Herausforderungen<br />
von heute und morgen keine vernünftige Alternative.<br />
Zugleich müssen sich die Beziehungen zwischen<br />
den USA und der EU zu einer umfassenden Partnerschaft<br />
unter Gleichen entwickeln, im Einklang mit der NATO<br />
und unseren jeweiligen bilateralen Beziehungen und Verpflichtungen.<br />
Auch in dieser Hinsicht hat die deutsche<br />
Präsidentschaft mit dem EU-US Gipfel im März 2007<br />
Wegweisendes geleistet. Der Zwang zur praktischen Zusammenarbeit<br />
in Krisenregionen, die für Europas und<br />
Amerikas Sicherheit gleichermaßen wichtig sind und in<br />
denen sowohl die EU also auch die NATO engagiert<br />
sind, ist evident. Der Balkan, der Nahe und Mittlere Osten<br />
und Afghanistan sind dafür schlagende Beispiele.<br />
Der ganzheitliche Ansatz, der Comprehensive Approach, für<br />
wirkungsvolle Krisenbewältigung ist auch in der NATO<br />
inzwischen fraglos anerkannt: Der Gipfel in Riga Ende<br />
2006 hat sich diesen Ansatz explizit zueigen gemacht. Die<br />
EU verfügt über ein Spektrum an Fähigkeiten, die der<br />
NATO fehlen, aber für effektive Krisenbewältigung im<br />
europäischen wie amerikanischen Interesse unverzichtbar<br />
sind. Die Planungen für eine ESVP-Polizei- und Rechtsstaatsmission<br />
im Kosovo und die jüngst begonnene<br />
Polizei- und Rechtsstaatsmission der EU in Afghanistan,<br />
die in Zusammenarbeit mit den NATO-Stäben erfolgten,<br />
wie auch die Bereitschaft der USA, sich an der zivilen<br />
Kosovo-Operation der EU zu beteiligen, bieten eine große<br />
Chance für eine neue Form der Zusammenarbeit.<br />
Schlussbemerkungen<br />
Vor wenigen Monaten haben wir in Berlin den 50. Geburtstag<br />
der Römischen Verträge gefeiert. Der Aufbau<br />
der Europäischen Union hatte mit dem Willen begonnen,<br />
den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich zu<br />
besiegeln. Vierzig Jahre später wurde das europäische<br />
Aufbauwerk der Schlüssel zur friedlichen Wiedervereinigung<br />
unseres Kontinents. Es ist uns in Europa gelungen,<br />
den alten und fruchtlosen Ansatz hinter uns zu lassen,<br />
die eigene Sicherheit auf die Schwäche des anderen zu<br />
gründen. Wir wissen heute alle, dass wir nur stark, sicher<br />
und wohlhabend sein werden, wenn unsere Nachbarn es<br />
auch sind. Das aus der Tragik und der Schrecken zweier<br />
Weltkriege geborene Projekt ist etwas entschieden<br />
Neues und Geniales: Einheit in Freiheit; Frieden durch<br />
Öffnung und Integration. Es hat eine einzigartige Stabilität<br />
geschaffen, die nicht wie früher das Ergebnis eines<br />
Mächtegleichgewichts, sondern die Folge solider Normen<br />
und funktionierender Institutionen ist. Die Rechts- und<br />
Wertegemeinschaft der Europäer halte ich für unsere<br />
größte Errungenschaft. Man muss mehr als 800 Jahre<br />
zurückgehen, um eine längere Periode des Friedens in<br />
Europa zu finden.<br />
Wir müssen nun den nächsten Schritt tun und zum Faktor<br />
des Friedens in der internationalen Gemeinschaft werden.<br />
In vielen Regionen der Welt gilt die EU als Modell, als<br />
ein Ort, dessen Maß an Freiheit und Frieden, Wohlstand<br />
und Stabilität unvergleichlich ist. Die in Europa erreichte<br />
Stabilität strahlt weit über unseren Kontinent hinaus und<br />
ist Vorbild für andere Weltregionen geworden. Daraus erwächst<br />
Verantwortung. Unser eigenes Interesse gebietet,<br />
dass wir uns auch in den anderen Regionen dieser Erde<br />
für Stabilität, Frieden und Menschenrechte engagieren.<br />
Was wir in der Welt tun müssen, hat das getreue Spiegelbild<br />
dessen zu sein, was wir sind. Es gibt eine europäische<br />
Art, in der Welt zu wirken: den Dialog suchen, Brücken<br />
bauen, mit anderen zusammenarbeiten, aber auch die<br />
Schwachen schützen, die unsere Hilfe brauchen: More<br />
active, more capable, and more coherent – das sind die strategischen<br />
Imperative, die sich Europa selbst gesetzt hat.<br />
18
Die Bundeswehr – Instrument deutscher Sicherheitspolitik<br />
Text:<br />
Dr. Franz Josef Jung<br />
Bundeswehr im Einsatz<br />
Die Einsätze der Bundeswehr spannen einen weiten geographischen<br />
Bogen vom Balkan über Afrika bis nach Afghanistan.<br />
Über 8.200 deutsche Soldatinnen und Soldaten<br />
im Einsatz sind unter anderem Beweis für die Bedeutung,<br />
die unseren Streitkräften bei der Sicherung von Frieden<br />
und Sicherheit weltweit zukommt. An kaum einem anderen<br />
Politikfeld lässt sich die Entwicklung Deutschlands<br />
besser aufzeigen als an der Außen- und Sicherheitspolitik.<br />
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr machen dieses<br />
deutlich.<br />
An den Einsätzen ist aber auch eine andere Entwicklung<br />
festzumachen, die das sicherheitspolitische Umfeld im<br />
21. Jahrhundert prägt. Sicherheitspolitik lässt sich heute<br />
nicht mehr allein geographisch definieren. Der Prozess<br />
der Globalisierung prägt unsere moderne Welt in besonderer<br />
Weise. Er erfasst weltweit nahezu alle Staaten und<br />
<strong>Gesellschaft</strong>en. Mit ihm verbindet sich eine zunehmende<br />
Vernetzung internationaler Handels-, Investitions-,<br />
Reise-, Kommunikations- und Wissensströme. Dadurch<br />
bieten sich vielen <strong>Gesellschaft</strong>en größere Chancen, an der<br />
modernen Welt teilzuhaben. Geographische Distanzen<br />
verlieren zunehmend an Bedeutung. Die Globalisierung<br />
sorgt für eine sich fortsetzende Beschleunigung und Erleichterung<br />
des Austauschs von Ideen und Technologien.<br />
In der Folge dieser Entwicklungen werden die wechselseitigen<br />
Abhängigkeiten zwischen <strong>Gesellschaft</strong>en weltweit<br />
immer größer.<br />
Gleichzeitig ist diese Entwicklung aber auch nicht ohne<br />
Risiken. Aus der immer größeren Interdependenz folgt,<br />
dass Entwicklungen in Regionen und Sektoren unsere<br />
Sicherheit beeinträchtigen können, die in einem hauptsächlich<br />
geographisch und militärisch definierten Sicherheitsverständnis<br />
früher nur wenig Beachtung fanden. Die<br />
steigende Bedeutung nichtstaatlicher Akteure, der internationale<br />
Terrorismus oder die organisierte Kriminalität<br />
sind Beispiele für die gestiegene Bedrohung durch mitten<br />
in Zivilgesellschaften existierende, schwer zu lokalisierende<br />
Gefahren. Diesen kann weder allein noch vorrangig<br />
mit militärischen Mitteln begegnet werden.<br />
Franz Josef Jung<br />
Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik darf nicht darauf<br />
warten, bis die Auswirkungen entfernter Konflikte auch<br />
bei uns spürbar werden. Es gilt vielmehr, die Probleme<br />
an ihren Ursachen anzugehen. Die Bundeswehr leistet<br />
hierzu mit ihrer Beteiligung an internationalen Friedensmissionen<br />
einen wichtigen Beitrag.<br />
Ausrichtung der Bundeswehr<br />
Die Auslandseinsätze haben die Bundeswehr vor neue<br />
Herausforderungen gestellt. Die verfassungsrechtliche<br />
Grundlage der Bundeswehr bleibt die Verteidigung gegen<br />
eine militärische Bedrohung, auch wenn dies auf absehbare<br />
Zeit als unwahrscheinlich erscheint. Gleichzeitig gilt<br />
es, die Bundeswehr auf die wahrscheinlicheren Aufgaben<br />
im Rahmen internationaler Konfliktverhütung und Krisenbewältigung<br />
auszurichten.<br />
Die Dynamik des sicherheitspolitischen Umfelds im 21.<br />
Jahrhundert verlangt von Staaten, aber auch von Streitkräften<br />
ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.<br />
Die Bundeswehr begegnet dieser Herausforderung<br />
mit dem ebenso dynamischen Prozess der Transformation.<br />
Dieser ist ein multidimensionaler Prozess, der<br />
sicherheitspolitische, gesellschaftliche, technologische,<br />
innovative und mentale Aspekte vereint.<br />
19
Die Bundeswehr – Instrument deutscher Sicherheitspolitik<br />
In der praktischen Umsetzung ist es das übergeordnete<br />
Ziel der Transformation, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr<br />
zu erhöhen. Transformation umfasst damit alle<br />
Bereiche der Streitkräfte und ihrer Verwaltung – Fähigkeiten,<br />
Umfänge, Strukturen, Stationierung, Personal,<br />
Material, Ausrüstung und Ausbildung.<br />
Wesentliches Element der Transformation ist die Einführung<br />
von neuen Kräftekategorien, die den Anforderungen<br />
einer Armee im Einsatz in besonderer Weise<br />
Rechnung tragen. Die Umstrukturierung soll bis 2010<br />
abgeschlossen sein. Von den neuen Kräftekategorien<br />
sind die Eingreifkräfte in erster Linie für multinationale,<br />
streitkräftegemeinsame, vernetzte Operationen von hoher<br />
Intensität vorgesehen. Sie sollen friedenserzwingende<br />
Maßnahmen gegen vorwiegend militärisch organisierte<br />
Gegner durchsetzen und damit die Voraussetzung für<br />
Stabilisierungsoperationen schaffen können. Aus dieser<br />
Kategorie werden auch die Beiträge Deutschlands zur<br />
schnellen Eingreiftruppe der NATO oder zu den EU-<br />
Battlegroups gestellt. [Sie umfasst insgesamt 35.000 Soldatinnen<br />
und Soldaten.]<br />
Die Stabilisierungskräfte sind hingegen für militärische<br />
Operationen mittlerer Intensität und längerer Dauer<br />
vorgesehen, wie wir sie heute in den Einsätzen der Bundeswehr<br />
überwiegend vorfinden. Stabilisierungskräfte<br />
müssen sowohl gegen militärisch organisierte Gegner als<br />
auch gegen asymmetrisch kämpfende Kräfte durchsetzungsfähig<br />
sein. Dies verlangt, dass sie Fähigkeiten zur<br />
Eskalationsdominanz besitzen müssen. Der Erfolg ihrer<br />
Operationen beruht im wesentlichen auf drei Elementen:<br />
konsequentem Auftreten, kultureller und sozialer<br />
Kompetenz im Einsatzgebiet sowie der Fähigkeit zur<br />
umfassenden Nachrichtengewinnung und Aufklärung,<br />
um ungünstigen Lageentwicklungen entgegenwirken zu<br />
können. [Um die Durchhaltefähigkeit zu gewährleisten,<br />
umfassen die Stabilisierungskräfte 70.000 Soldatinnen<br />
und Soldaten.] Langfristig sollen insgesamt bis zu 14.000<br />
Soldatinnen und Soldaten gleichzeitig in bis zu fünf Einsatzgebieten<br />
weltweit einsatzfähig sein.<br />
Sowohl Eingreif- als auch Stabilisierungskräfte werden in<br />
ihren Aufgaben durch die Unterstützungskräfte bei der<br />
Einsatzvorbereitung und -durchführung umfassend und<br />
effizient unterstützt. Ihre Aufgaben liegen vor allem in<br />
der Führungsunterstützung, Nachrichtengewinnung und<br />
Aufklärung sowie in logistischer und sanitätsdienstlicher<br />
Unterstützung. [Sie umfassen insgesamt 147.500 Soldatinnen<br />
und Soldaten.]<br />
Leitlinien für Einsätze und internationale Verantwortung<br />
Deutschlands<br />
Die Bundeswehr stellt der Politik ein wirksames und<br />
effizientes Mittel staatlichen Handelns bereit. Die Entsendung<br />
von deutschen Streitkräften in Auslandseinsätze<br />
ist aber nicht nur abhängig von der Frage der technischen<br />
Machbarkeit. Die Entscheidung, dieses Mittel auch einzusetzen<br />
obliegt zum einen der Bundesregierung und<br />
unterliegt zum anderen dem Vorbehalt der konstitutiven<br />
Zustimmung durch den Deutschen Bundestag.<br />
Immer wieder ist die Frage nach den Kriterien aufgeworfen<br />
worden, anhand derer die Einsätze begründet werden.<br />
Die Politik trägt mit diesen Entscheidungen eine hohe<br />
Verantwortung, die keine einfachen Antworten zulässt.<br />
Jede Entscheidung muss sorgfältig auf den konkreten Fall<br />
bezogen abgewogen werden – nicht zuletzt im Interesse<br />
unserer Soldatinnen und Soldaten. Dennoch gibt es<br />
Eckpfeiler, an denen sich jede Entscheidung orientieren<br />
muss. Dies sind die Werte des Grundgesetzes, die Ziele<br />
und die Interessen deutscher Sicherheitspolitik sowie die<br />
internationalen Verpflichtungen Deutschlands.<br />
Wir können uns unserer internationalen Verantwortung<br />
nicht entziehen. Deutschland kommt aufgrund seiner<br />
Größe, seiner Bevölkerungszahl und seiner wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit eine wichtige Rolle in Europa und<br />
der Welt zu. Diese Rolle gilt es verantwortungsvoll auszufüllen.<br />
Die Bundeswehr leistet durch ihre Beteiligung an<br />
internationalen Friedensmissionen einen wichtigen Beitrag,<br />
dieser internationalen Verantwortung Deutschlands<br />
für Frieden und Sicherheit gerecht zu werden.<br />
20
Herausforderung vernetzte Sicherheitspolitik<br />
Die Einsätze stellen nicht nur die Bundeswehr, sondern<br />
die gesamte internationale Gemeinschaft auf die Probe.<br />
Um erfolgreich zu sein, müssen wir uns weiterentwickeln.<br />
Die Bundesregierung hat dies erkannt und antwortet auf<br />
diese Herausforderung im Weißbuch mit dem Konzept<br />
der vernetzten Sicherheit. Es basiert zum einen auf der<br />
Überlegung, dass Sicherheit heute nicht nur durch militärische<br />
Faktoren beeinflusst wird. <strong>Gesellschaft</strong>liche,<br />
ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen<br />
spielen eine ebenso große Rolle. Zum anderen trägt es<br />
der Einsicht Rechnung, dass weder national noch durch<br />
Streitkräfte alleine Sicherheit gewährleistet werden kann.<br />
Erforderlich ist vielmehr ein Ansatz, der nicht nur diese<br />
unterschiedlichen Faktoren berücksichtigt. Er muss dazu<br />
führen, dass die verschiedenen Akteure zielgerichtet<br />
gemeinsam planen und handeln, damit die beabsichtigte<br />
Wirkung eintritt. Der Weg von der gemeinsamen Problemanalyse<br />
hin zum gemeinsamen Handeln ist das Ziel des<br />
Konzepts der vernetzten Sicherheit.<br />
Die Herausforderung vernetzten Handelns stellt sich auf<br />
zwei Ebenen: auf der nationalen und auf der internationalen<br />
Ebene. Im nationalen Bereich geht es vor allem darum,<br />
zunächst den Informationsaustausch zwischen den<br />
verschiedenen Akteuren zu erleichtern und zu verbessern.<br />
Beispielhaft hierfür ist das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum,<br />
in dem Polizei, Nachrichtendienste und<br />
Streitkräfte gemeinsam zusammenarbeiten. Es geht aber<br />
auch darum, vorhandene Lücken in der Sicherheitsvorsorge<br />
zu schließen. Hierzu gehört der Einsatz militärischer<br />
Mittel zum Schutz der Luft- und Seesicherheit vor<br />
terroristischen Anschlägen, wo die Bundesregierung an<br />
einer Regelung arbeitet.<br />
Im internationalen Bereich geht es vor allem um die Frage<br />
der verbesserten Koordination und Abstimmung der<br />
internationalen Organisationen untereinander. Die Bundeswehr<br />
schafft dort, wo sie in Friedensmissionen eingesetzt<br />
ist, die Voraussetzungen dafür, dass die Menschen<br />
vor Ort ohne Angst vor Gewalt einen Neuanfang wagen<br />
können. Durch ihren Einsatz sorgen unsere Soldatinnen<br />
und Soldaten in den Krisengebieten auf dem Balkan,<br />
in Afrika und Afghanistan für das sichere Umfeld, in<br />
dem internationale sowie Nichtregierungsorganisationen<br />
arbeiten können. Mit ihren zivilen Aktivitäten fördern sie<br />
den Wiederaufbau und damit selbsttragende Stabilität. Ziviles<br />
und militärisches Handeln bedingen sich gegenseitig:<br />
Es wird keinen Fortschritt im zivilen Bereich ohne Schutz<br />
durch das Militär und ohne Erfolg beim zivilen Wiederaufbau<br />
kein Ende der Notwendigkeit des militärischen<br />
Schutzes geben.<br />
Die Schaffung eines sicheren Umfelds ist somit militärische<br />
Kernaufgabe. Dieses leistet die Bundeswehr hervorragend.<br />
In den Auslandseinsätzen steht die internationale<br />
Gemeinschaft jedoch vor größeren Herausforderungen.<br />
Es geht darum, die Bedingungen für einen selbsttragenden<br />
Frieden zu schaffen. Es ist nicht Aufgabe der Streitkräfte,<br />
Verwaltungen, Justiz- und Gesundheitssysteme, ja<br />
ganze Volkswirtschaften aufbauen.<br />
Es ist deshalb notwendig, alle Akteure von Anfang an auf<br />
ein gemeinsames Ziel zu verpflichten. Dieses Ziel kann<br />
nur lauten: Die Konfliktursachen zu beseitigen, die den<br />
Einsatz notwendig gemacht haben. Den größten Erfolg<br />
haben wir erzielt, wenn wir einen Einsatz beenden können.<br />
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Aktivitäten<br />
aller Akteure möglichst effizient ineinander greifen.<br />
Diese Einsicht schlägt sich auch in den aktuellen Planungen<br />
unserer Partner und Verbündeten nieder. Gegenwärtig<br />
diskutieren wir über Konzepte, die über den rein<br />
militärischen Bereich hinausweisen. Dabei geht es nicht<br />
um die Vereinnahmung von zivilen Akteuren durch das<br />
Militär. Vielmehr ziehen diese Konzepte die Schlussfolgerung<br />
aus der Erkenntnis, dass wir einen ganzheitlichen<br />
Ansatz brauchen. Dazu müssen die Akteure frühzeitig an<br />
einem Tisch sitzen.<br />
Deutschland hat diese Einsicht in Afghanistan bereits<br />
umgesetzt. Dort arbeiten in den Provincial Reconstruction<br />
Teams die Bundesministerien der Verteidigung, für<br />
21
Die Bundeswehr – Instrument deutscher Sicherheitspolitik<br />
wirtschaftliche Zusammenarbeit, des Innern und das<br />
Auswärtige Amt in vorbildlicher Weise zusammen. Diesen<br />
Weg müssen wir konsequent weiter beschreiten.<br />
Dabei dürfen wir unsere Bevölkerung bei allen Einsätzen<br />
über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Die Einsätze<br />
sind schwierig, sie sind herausfordernd und sie sind<br />
gefährlich. Dies ist der Grund, warum wir Streitkräfte<br />
dorthin schicken.<br />
Es gibt für diese Art komplexer zivil-militärischer Missionen<br />
kein Patentrezept. Es gibt keine Blaupause, die sich<br />
beispielsweise problemlos von Bosnien und Herzegowina<br />
nach Afghanistan übertragen ließe. Die internationale<br />
Gemeinschaft kann auch im Libanon nicht über Nacht<br />
einen fast 60 Jahre alten Konflikt beenden. Nicht nur<br />
die maßgeblichen internationalen Organisationen – die<br />
Vereinten Nationen, NATO und EU – sondern auch<br />
deren Mitgliedstaaten lernen kontinuierlich dazu. Sie<br />
lernen aus den Erfahrungen der Einsätze und entwickeln<br />
ihre Konzepte hin zu intensivierter Zusammenarbeit und<br />
Vernetzung.<br />
Ein gutes Beispiel, in welchen Zeiträumen man denken<br />
muss, aber auch welche positiven Auswirkungen Geduld<br />
zeitigt, ist Bosnien und Herzegowina. Dort sind wir<br />
weiter gekommen, als mancher Kritiker uns zugestehen<br />
möchte. In den gut zehn Jahren unseres Einsatzes hat es<br />
die internationale Gemeinschaft geschafft, einen weiten<br />
Weg zu gehen. Wer sich auskennt in der Region, hält<br />
einen Rückfall in die Gewaltexzesse der neunziger Jahre<br />
heute für äußerst unwahrscheinlich. Dies ist ein großer<br />
Erfolg europäischer und transatlantischer Politik.<br />
Gleichwohl ist auch dort noch nicht alles in Ordnung.<br />
Dennoch gilt: Die nächsten Schritte müssen von den<br />
Menschen in Bosnien und Herzegowina selbst getan werden.<br />
Wir können die Versöhnung nicht stellvertretend für<br />
die Menschen vor Ort vorantreiben. Sie selbst müssen für<br />
die gemeinsame Zukunft zusammen einstehen. Und sie<br />
tun es immer mehr.<br />
Hier hat die internationale Gemeinschaft erfolgreich eine<br />
vernetzte Sicherheitspolitik betrieben, die von der militärischen<br />
Absicherung eines Waffenstillstandes bis hin<br />
zum Aufbau von administrativen, wirtschaftlichen und<br />
politischen Strukturen reicht. Deswegen ist es jetzt an<br />
der Zeit, wie auf dem Verteidigungsministertreffen der<br />
Europäischen Union in Levi einvernehmlich beschlossen<br />
wurde, den Umfang der europäischen Präsenz in Bosnien<br />
und Herzegowina zu überprüfen und gegebenenfalls<br />
anzupassen. Dabei können wir die Lage in Bosnien und<br />
Herzegowina nicht isoliert von den Entwicklungen des<br />
gesamten Balkans betrachten.<br />
Unser Erfolg in Bosnien darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass wir in anderen Einsätzen noch immer<br />
vor großen Herausforderungen stehen: das Kosovo und<br />
Afghanistan stehen hierbei an oberster Stelle. Besonders<br />
mit Blick auf diese Einsätze gilt: Wir können sie nur dann<br />
beenden, wenn alle Akteure im Sinne einer vernetzten Sicherheitspolitik<br />
gemeinsam auf dasselbe Ziel hinarbeiten<br />
– selbsttragende Stabilität.<br />
Diese Beispiele verdeutlichen die zentrale Schlussfolgerung<br />
des Weißbuchs der Bundesregierung: National wie<br />
international müssen wir die Instrumente unseres Handelns<br />
im Sinne einer vernetzten Sicherheitspolitik besser<br />
zur Wirkung bringen. Dies ist die Herausforderung für<br />
die nächsten Jahre, wenn wir die Sicherheit Deutschlands<br />
auch in Zukunft gewährleisten wollen. Die Bundeswehr<br />
trägt dazu das ihre bei.<br />
22
„Bundeswehr im Einsatz – eine Herausforderung für die<br />
Innere Führung?“<br />
Text:<br />
General Wolfgang Schneiderhan<br />
I.<br />
In den vergangenen Jahren ist die Bundeswehr immer<br />
mehr zu einer Armee im Einsatz geworden – eine Entwicklung,<br />
die die deutschen Streitkräfte mit vielen anderen<br />
Armeen Europas teilen. Die neuen Bedrohungen und<br />
die Tatsache, dass Krisen, die in weit entfernten Erdteilen<br />
entstehen, auch die Sicherheit in der Heimat zunehmend<br />
gefährden können, haben die deutsche Bundeswehr zum<br />
substantiellen Wandel und zur Anpassung an neue Aufgaben<br />
gezwungen.<br />
Ohne zu übertreiben lässt sich behaupten, dass die<br />
Bundeswehr augenblicklich den größten Wandel ihrer<br />
50jährigen Geschichte erlebt. Dabei hat sich ihre Aufgabe<br />
– vordergründig betrachtet – kaum verändert. Unverändert<br />
sind die Streitkräfte ein Instrument der deutschen<br />
Außen- und Sicherheitspolitik. Sie leisten ihren Beitrag<br />
zur umfassenden nationalen Sicherheitsvorsorge.<br />
Ungeachtet dessen ist die Bundeswehr nun schon seit<br />
mehr als eine Dekade eine Armee im Einsatz. Der Bundesminister<br />
der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, hat<br />
zu Recht von den Gründerjahren neuer deutscher Streitkräfte<br />
gesprochen.<br />
Der Transformationsprozess der Bundswehr zielt konsequenterweise<br />
in erster Linie auf die Erhöhung der Einsatzfähigkeit<br />
der Streitkräfte. Auslandseinsätze, sichtbarer<br />
Ausdruck der gewachsenen internationalen Verantwortung<br />
Deutschlands, sind mittlerweile zum bestimmenden<br />
Merkmal des Alltags in der Bundeswehr geworden und<br />
müssen daher auch deren Struktur prägen.<br />
Die eigentliche Dynamik dieser Veränderung erschließt<br />
sich insbesondere in der Rückschau. Noch vor 15 Jahren<br />
wäre die Absicht, deutsche Soldaten in afrikanischen Bürgerkriegsstaaten<br />
zum Schutz freier Wahlen einzusetzen,<br />
als Ausgeburt militaristischer Phantasien gebranntmarkt<br />
worden. Der robuste Einsatz der Bundeswehr außerhalb<br />
Europas und zu anderen Zwecken als der unmittelbaren<br />
Verteidigung des Bündnisgebietes der NATO war<br />
schlicht undenkbar.<br />
Heute sind die staatlich organisierten und konfrontativen<br />
Militärblöcke mit strategischem Vernichtungspotential in<br />
geographisch definierter Ordnung, die über Jahrzehnte<br />
Wolfgang Schneiderhan<br />
den Auftrag der Bundeswehr geprägt haben, komplexeren<br />
Rahmenbedingungen gewichen. Die erfolgreiche<br />
Sicherheitsarchitektur der Ost-West-Konfrontation, die<br />
uns vier Jahrzehnte den Frieden in Mitteleuropa erhalten<br />
hat, entspricht nicht länger den Bedrohungen.<br />
II.<br />
Die Begründung des soldatischen Dienens ist heute komplexer<br />
und schwieriger als zu Zeiten des Kalten Krieges.<br />
Die eindeutige Orientierung, die das Denken in den<br />
eindeutigen Kategorien der Ost-West-Konfrontation, das<br />
schichttortenartig verflochtene Dispositiv von Korpsgefechtsstreifen,<br />
welche früher die innerdeutsche und<br />
deutsch-tschechische Grenze abdeckten, die Militärstrategie<br />
der Flexiblen Antwort und das operative Konzept der<br />
Vorneverteidigung geboten haben, gibt es nicht mehr.<br />
Die Anforderungen, die wir heute an die allgemeine soldatische<br />
Kompetenz stellen müssen, erhöhen sich durch das<br />
veränderte Aufgabenfeld sowohl militärisch handwerklich<br />
als auch intellektuell sowie in der Frage des Selbstverständnisses.<br />
Heute sind die Übergänge vom unbeteiligten<br />
Zivilisten zum Widerstandskämpfer, Terroristen oder<br />
simplen Kriminellen fließend geworden. Je rascher und<br />
geschmeidiger sie erfolgen können, umso höher müssen<br />
unsere Anforderungen an die Flexibilität, an die Bildung<br />
und an die Fähigkeiten unserer Soldaten sein.<br />
23
„BUNDESWEHR IM EINSATZ – eine herausforderung für die innere führung?“<br />
Der archaische Kämpfertypus kann diesen hohen Ansprüchen<br />
nicht genügen, er erfüllt nur noch einen Teil<br />
der vom miles protector geforderten Fähigkeiten. Das soldatische<br />
Berufsprofil reicht heute von zivilen, präventiven,<br />
manchmal polizeiähnlichen Aufgaben bis hin zum<br />
klassischen Kriegseinsatz. Letzterer wird voraussichtlich<br />
immer seltener erfolgen, bleibt aber Kernkompetenz jeder<br />
soldatischen Existenz.<br />
Wir benötigen eine intensive und ernsthafte Auseinandersetzung<br />
mit dem modernen Berufsbild des Soldaten,<br />
seinem künftigen Anforderungsprofil und den damit<br />
einhergehenden Risiken. Dazu müssen wir uns darüber<br />
Klarheit verschaffen und anerkennen, dass sich die Anforderungen<br />
an den Soldaten und militärischen Führer<br />
gravierend gewandelt und erweitert haben.<br />
Heute ist ein Einsatz, in dem sich die unterschiedlichen<br />
Aspekte des soldatischen Aufgabenprofils wechselseitig<br />
durchdringen, rasch miteinander abwechseln und sogar<br />
parallel auftreten, die Regel. Dies gilt insbesondere für<br />
Stabilisierungsmissionen, die – anders als im alten Kriegsbild<br />
vorgesehen – häufig in völlig unterschiedlichen Kulturkreisen<br />
erfolgen. Dafür benötigen wir charakterstarke<br />
und in der Urteilskraft gefestigte Persönlichkeiten mit<br />
emotionaler und moralischer Stabilität, die auch in Krisensituationen<br />
unter hohem psychischen und physischen<br />
Druck bestehen können. Politische, soziale, ethische und<br />
moralische Urteilsfähigkeit sowie interkulturelle Kompetenz<br />
werden zunehmend bedeutsam und müssen heute<br />
wie zukünftig in Ausbildung und Bildung einfließen.<br />
Die Bundeswehr benötigt engagiertes Führungspersonal<br />
mit hoher sozialer Kompetenz. Es muss zum ganzheitlichen<br />
Denken befähigt, kommunikativ und gleichermaßen<br />
konflikt- wie konsensfähig sein. Wir brauchen flexible militärische<br />
Führer, die lernwillig und lernfähig sind und auf<br />
deren rasche Urteilsfähigkeit wir uns verlassen können.<br />
Die Asymmetrie der Kriegsführung verlangt vom militärischen<br />
Führer heute schon auf relativ niedriger Ebene ein<br />
sicheres Urteilsvermögen, um die Lage in völlig unübersichtlichen<br />
Situationen richtig erfassen und beurteilen zu<br />
können und unter Druck – Stress – sicher entscheiden zu<br />
können. Dies ist ein komplexer Anspruch. Hier muss im<br />
Einklang mit dem Prinzip der Auftragstaktik Verantwortung<br />
für Entscheidungen übernommen werden, die unter<br />
Umständen später in der Heimat unter Berücksichtigung<br />
möglicher politischer Implikationen und unter großer<br />
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit diskutiert werden.<br />
III.<br />
Der beschriebene Paradigmenwechsel in der deutschen<br />
Sicherheitspolitik und der mit ihm verbundene Wandel<br />
der Aufgaben und der Rolle von deutschen Streitkräften<br />
haben natürlich auch Einfluss auf die Innere Führung in<br />
den Streitkräften. Die im Rahmen des Transformationsprozesses<br />
getroffenen Maßnahmen sind unverändert dem<br />
Leitbild des Staatsbürgers in Uniform verpflichtet, denn<br />
dieses Leitbild, das den Menschen mit seinen Rechten<br />
und Pflichten in den Mittelpunkt stellt, ist heute aktueller<br />
denn je. Die Grundsätze der Inneren Führung haben sich<br />
unter Einsatzbedingungen bewährt und sie liefern auch<br />
den geistigen Rahmen für die Bundeswehr der Zukunft.<br />
Die dynamische Konzeption der Inneren Führung hilft<br />
uns, erneut auf grundlegende politische, sicherheitspolitische<br />
und gesellschaftliche Umbrüche zu reagieren, ohne<br />
Gefahr zu laufen, die Orientierung zu verlieren. Und sie<br />
wirkt fort, weil sich gerade Streitkräfte im Einsatz im<br />
Spannungsbogen zwischen Ordnung und Freiheit immer<br />
neu bewähren müssen.<br />
Die Bundeswehr hat das Erbe, das die Schöpfer der<br />
Inneren Führung ihr hinterlassen haben, bewahrt und<br />
erneuert. Der Rahmen, der in der Dienststelle Blank für<br />
die Ideen abgesteckt wurde, die zur Inneren Führung der<br />
Bundeswehr führten, ist in den vergangenen Jahrzehnten<br />
auf beinahe allen Gebieten gefüllt worden. Das allein<br />
belegt, wie wenig Vorwürfe zutreffen, die Innere Führung<br />
werde nicht mehr ernst genommen und werde nicht<br />
weiterentwickelt.<br />
Die Konzeption der Inneren Führung trägt. Der Staatsbürger<br />
in Uniform besitzt das nötige geistige Rüstzeug für<br />
den Einsatz und für den Wandel, denn das Eintreten für<br />
Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit ist<br />
nicht nur gelebte Tradition in der Bundeswehr. Vielmehr<br />
24
sind diese Werte auch geeignet, unseren Soldatinnen und<br />
Soldaten Orientierung und Richtschnur im Einsatz zu<br />
geben. Unsere Soldaten verstehen die politischen und<br />
kulturellen Zusammenhänge vor Ort und begegnen den<br />
Menschen mit Respekt und Verständnis. Das verschafft<br />
ihnen umgekehrt hohe Anerkennung in der Bevölkerung,<br />
aber auch den Respekt unserer Verbündeten.<br />
Die positive Einstellung unserer Soldaten ist das Ergebnis<br />
von Innerer Führung und einer militärischen Ausbildung,<br />
die sich an der Menschenwürde und an der Einsatzrealität<br />
gleichermaßen orientiert. Wie der Bundespräsident festgestellt<br />
hat, ist sie auch Beleg für den guten Geist, der in<br />
unseren Streitkräften herrscht.<br />
Der Konzeption der Inneren Führung mit ihrem Leitbild<br />
des Staatsbürgers in Uniform liegt das Verständnis vom<br />
mündigen Menschen als Grundlage von Theorie und<br />
Praxis zu Grunde. Ein solches Leitbild wird nur dem vage<br />
und nebulös erscheinen, dem sich die zugrundeliegenden<br />
Werte nicht erschließen. Wer diese jedoch internalisiert<br />
und damit zum Bestandteil seiner Persönlichkeit gemacht<br />
hat, der wird auch ohne detaillierte Erläuterungen in jeder<br />
nur denkbaren Situation daraus konkrete Verhaltensmaßregeln<br />
ableiten können.<br />
Vorfälle und Skandale, wie wir sie in jüngerer Vergangenheit<br />
erleben mussten, offenbaren daher nach meiner<br />
Überzeugung auch nicht vorrangig den Bedarf an zusätzlicher<br />
Ausbildung. Sie belegen vielmehr, dass es uns nicht<br />
immer gelingt, den Menschen, die aus allen Teilen der <strong>Gesellschaft</strong><br />
zu uns kommen, die Werte, die der Konzeption<br />
der Inneren Führung zugrunde liegen, so zu vermitteln,<br />
dass sie sich diese zu eigen machen.<br />
Dazu müssen die zentralen Werte unserer <strong>Gesellschaft</strong>,<br />
zu deren Schutz die Bundeswehr ins Leben gerufen<br />
wurde und die in der Inneren Führung aufgenommen<br />
wurden, im Truppenalltag nicht nur Gegenstand von Unterrichtsstunden,<br />
sondern erlebbare Realität sein.<br />
Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass die Anforderungen,<br />
die wir an die Flexibilität, an die Selbständigkeit,<br />
an die Bildung und an die Fähigkeiten unserer Soldatinnen<br />
und Soldaten stellen, gewachsen sind.<br />
Die Konzeption der Inneren Führung entspricht angesichts<br />
der doppelten Legitimation durch demokratische<br />
Werte und militärische Zweckmäßigkeit, sowie aufgrund<br />
ihres offenen und dynamischen Charakters den Anforderungen<br />
des Transformationsprozesses in besonderem<br />
Maße.<br />
Schon beim Aufbau der Bundeswehr verstand sich<br />
die Innere Führung als ein Reformkonzept, das etwas<br />
„grundlegend Neues“ wagen wollte. Sie war geistiger Teil<br />
eines Neuaufbaus von Streitkräften, die in der Lage sein<br />
mussten, sich angesichts neuer Herausforderungen und<br />
in einem grundlegend veränderten Umfeld zu bewähren.<br />
Mit ganz ähnlichen Bedingungen sehen wir uns auch<br />
heute konfrontiert. So wie in den Aufbaujahren der<br />
Bundeswehr alle Anstrengungen darauf gerichtet waren,<br />
die Verteidigungswürdigkeit der Werte der jungen Demokratie<br />
einleuchtend darzustellen, so müssen heute die<br />
Gründe und Notwendigkeiten des weltweiten deutschen<br />
Engagements überzeugend vermittelt werden.<br />
Seit ihrem Bestehen ist die Bundeswehr wieder und wieder<br />
mit der Forderung nach Umsetzung der Grundsätze der<br />
Inneren Führung in konkrete und verbindliche Leitsätze<br />
konfrontiert worden, verbunden mit dem Wunsch nach<br />
einer verbindlichen Definition. Gerade im Zusammenhang<br />
mit den neuen Aufgaben der Bundeswehr ist dieser<br />
Wunsch nach einer verbindlichen Definition wieder erhoben<br />
worden. Innere Führung als Berufsphilosophie,<br />
die aufgabenorientiert, sachgerecht und vor allem zukunftsoffen<br />
ist, lässt sich aber nicht in einfache Leitsätze<br />
pressen. Zu komplex ist dazu das Wirkgefüge vielfältiger<br />
Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen zwischen den<br />
Konstanten der Inneren Führung und ihren Variablen.<br />
Nehmen Sie als Variablen den Auftrag der Streitkräfte<br />
und die zur Erfüllung jeweils nötige Effizienz und nehmen<br />
Sie als Konstanten beispielhaft die Menschenwürde<br />
und das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform.<br />
25
„Bundeswehr im Einsatz – eine Herausforderung für die Innere Führung?“<br />
Den Schöpfern der Inneren Führung ging es darum, eine<br />
Konzeption aus Prinzipien und Grunderfahrungen zu<br />
entwickeln, welche die Anpassung an die gesellschaftliche<br />
Entwicklung ermöglicht, weil deren große Dynamik<br />
erkannt worden war. Eine Versteinerung der Konzeption<br />
sollte nachdrücklich verhindern werden. Aus diesem<br />
Ansatz ergibt sich das Vermächtnis für uns, die wir heute<br />
die Verantwortung für die Weiterentwicklung der Inneren<br />
Führung tragen:<br />
Vorgesetztenausbildung und Führungstätigkeiten von<br />
Vorgesetzten müssen die immer neu und überprüfte<br />
Umsetzung solcher Prinzipien und Grunderfahrungen in<br />
jeweils veränderten Verhältnissen und Entscheidungssituationen<br />
zur Selbstverständlichkeit werden lassen. Dazu<br />
braucht der Vorgesetzte, vor allem der Offizier,<br />
historisch-politische Kenntnisse, klare Vorstellungen von<br />
der <strong>Gesellschaft</strong>, in der er lebt, und die Fähigkeit, seine<br />
Einsicht über den Gesamtzusammenhang, in dem er handelt,<br />
dem Untergebenen vorzuleben, sie zu erklären und<br />
ihn dadurch einsichtig zu motivieren. Und dazu benötigt<br />
er vor allem eine ethisch-moralisch fundierte Berufsauffassung.<br />
Dabei ist Innere Führung nicht als Motivationstechnik<br />
für Untergebene in einem geschlossenen Militärsystem zu<br />
begreifen. Innere Führung ist nur in der Interpretation zu<br />
erfassen. Diese Offenheit ist eine erhebliche intellektuelle<br />
Herausforderung, weil es zur persönlichen Auseinandersetzung<br />
auffordert, statt Formeln zum Auswendiglernen<br />
vorzugeben. Diese Offenheit zwingt uns zur steten Auseinandersetzung<br />
mit den geistigen Grundlagen unseres<br />
Berufs. Der Aufbau der Bundeswehr bleibt untrennbar<br />
mit ihr verbunden, genauso wie unser heutiger Alltag.<br />
IV.<br />
Der veränderte Auftrag und der Einsatzalltag konfrontieren<br />
die Menschen in der Bundeswehr mit neuen und<br />
schwierigen Aufgaben. Der Transformationsprozess führt<br />
an Belastungsgrenzen. Wir erwarten von unseren Soldatinnen<br />
und Soldaten und von unserem Zivilpersonal, dass<br />
sie die Umstrukturierungen und Standortauflösungen<br />
sowie die dazu erforderlichen Versetzungen akzeptieren<br />
und ihr eigenes Leben sowie das der betroffenen Familien<br />
neu gestalten. Sie ertragen häufig lange Trennungsphasen<br />
und mussten in der Vergangenheit zudem auch manche<br />
finanzielle Einbuße hinnehmen. Unverzichtbar ist daher<br />
eine zielgerichtete und angemessene Betreuung der Familien,<br />
insbesondere während des Einsatzes. Sie ist ein<br />
wesentlicher Garant für die hohe Motivation unserer<br />
Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Mittlerweile verfügt<br />
die Bundeswehr über eine flächendeckende Betreuungsorganisation<br />
mit 31 Familienbetreuungszentren.<br />
Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Dienst“ gewinnt<br />
im Zusammenhang mit vermehrten Auslandseinsätzen<br />
der Bundeswehr und auch infolge der gesamtgesellschaftlichen<br />
Entwicklung für Soldatinnen und Soldaten<br />
immer größere Bedeutung. Als attraktiver Arbeitgeber<br />
muss sich die Bundeswehr bemühen, bei der Gestaltung<br />
der Arbeitsplätze zu einer ausgewogenen Balance zwischen<br />
Familie/Privatleben und Dienst beizutragen. Das<br />
Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz enthält<br />
daher im Abschnitt 3 (§§ 12 bis 14) Regelungen zur Vereinbarkeit<br />
von Familie und Dienst in den Streitkräften.<br />
Die angemessene Rücksichtnahme auf familiäre und<br />
partnerschaftliche Belange der Soldatinnen und Soldaten<br />
bei der Umsetzung dienstlicher Erfordernisse ist als Führungsaufgabe<br />
eine Verpflichtung aller Vorgesetzen, denn<br />
ein mit der Familie bzw. der Partnerschaft vereinbarer<br />
Dienst trägt maßgeblich zur Zufriedenheit und Motivation<br />
des Personals, zur Einsatzfähigkeit der Streitkräfte<br />
sowie zur Attraktivität des Soldatenberufs bei.<br />
Unter Fürsorgeverantwortung sind auch Überlegungen<br />
zur Entwicklung grundsätzlicher Regelungen einzuordnen,<br />
um im Einsatz Verwundete, Verletzte oder anderweitig<br />
gesundheitlich Geschädigte rechtlich abzusichern und<br />
regelmäßig wieder in den Dienstbetrieb zu integrieren.<br />
Dies entspricht der Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn.<br />
Durch das Einsatzversorgungsgesetz vom 21. Dezember<br />
2004 wurden die bei Unfällen und Erkrankungen<br />
im Einsatz und sonstigen Verwendungen im Ausland<br />
geltenden Versorgungsregelungen ergänzt und verbessert.<br />
Kern des Einsatzversorgungsgesetzes ist die Einführung<br />
des Rechtsbegriffs „Einsatzunfall“ in die Soldatenversor-<br />
26
gung. Ein Einsatzunfall liegt dann vor, wenn ein Soldat<br />
im Rahmen eines besonderen Auslandseinsatzes einen<br />
Dienstunfall oder eine sonst dienstlich bedingte gesundheitliche<br />
Schädigung erleidet. Der Dienstherr kommt mit<br />
dieser gesetzlichen Regelung seiner Fürsorgeverpflichtung<br />
in vollem Umfang nach.<br />
Mit Blick auf die Risiken im Auslandseinsatz haben<br />
die politische Leitung und die militärische Führung in<br />
Ergänzung zu einer angemessenen Einsatzversorgung<br />
nach dem Einsatzversorgungsgesetz zudem auf einen<br />
gesetzlich abgesicherten Weiterverwendungsanspruch<br />
hingewirkt. Mit dem Weiterverwendungsgesetz soll Einsatzverletzten<br />
als Alternative zur Inanspruchnahme der<br />
rein auf die finanzielle Absicherung abzielenden Einsatzversorgung<br />
eine ihrer Verwendungsfähigkeit entsprechende<br />
berufliche Perspektive in der Bundeswehr<br />
ermöglicht werden. Die gesundheitliche Wiederherstellung<br />
der Dienst- und Arbeitsfähigkeit hat dabei Vorrang,<br />
um so die einsatzverletzten Soldatinnen und Soldaten in<br />
die Lage zu versetzen, ihre bisherige soldatische Tätigkeit<br />
grundsätzlich fortsetzen zu können, und sie in den<br />
Streitkräften verbleiben zu lassen. Auch dies entspricht<br />
der gegenseitigen Treueverpflichtung, vor allem aber der<br />
Verpflichtung zum kameradschaftlichen Verhalten. Dass<br />
verletzte und verwundete Soldatinnen und Soldaten keine<br />
Belastung darstellen, sondern ihren Dienst genauso vorbildlich<br />
leisten können wie ihre unversehrten Kameraden,<br />
belegt unsere eigene Geschichte. Viele hundert kriegsversehrte<br />
Bundeswehrangehörige haben nach 1955 geholfen,<br />
die Streitkräfte aufzubauen. Ihr Beispiel ist uns Verpflichtung.<br />
Zusammen mit dem Einsatzversorgungsgesetz<br />
schnüren wir so ein für die Soldatinnen und Soldaten im<br />
Einsatz solides Gesamtpaket an sozialer Sicherheit und<br />
Verlässlichkeit.<br />
V.<br />
Die Konzeption der Inneren Führung entspricht aufgrund<br />
ihres offenen und dynamischen Charakters den<br />
Anforderungen des aktuellen Transformationsprozesses<br />
und der Einsätze der Streitkräfte in besonderem Maße.<br />
Schon beim Aufbau der Bundeswehr nach 1955 verstand<br />
sich die Innere Führung als ein Reformkonzept, das etwas<br />
grundlegend Neues wagen wollte. Sie war geistiger<br />
Teil eines Neuaufbaus von Streitkräften, die in der Lage<br />
sein mussten, sich angesichts neuer Herausforderungen<br />
und in einem grundlegend veränderten Umfeld zu bewähren.<br />
Mit ganz ähnlichen Bedingungen sehen wir uns<br />
auch heute konfrontiert. So wie in den Aufbaujahren der<br />
Bundeswehr alle Anstrengungen darauf gerichtet waren,<br />
die Verteidigungswürdigkeit der Werte der jungen Demokratie<br />
einleuchtend darzustellen, so müssen heute die<br />
Gründe und Notwendigkeiten des weltweiten deutschen<br />
Engagements überzeugend vermittelt werden, denn die<br />
Gewissheit der Sinnhaftigkeit des Einsatzes ist eine der<br />
entscheidenden Voraussetzungen erfolgreicher Auftragserfüllung.<br />
Mehr noch als bisher kommt hier der Arbeit<br />
des Zentrums Innere Führung besondere Bedeutung zu.<br />
27
Einsatzbedingungen als Beschwerdegrund<br />
Text:<br />
Reinhold Robbe<br />
Die Bundeswehr beteiligt sich seit etwa anderthalb<br />
Jahrzehnten weltweit an Einsätzen zur Sicherung oder<br />
Wiederherstellung des Friedens. Allein im Jahr 2006 waren<br />
zeitgleich bis zu 9.000 Soldatinnen und Soldaten im<br />
Einsatz: in Afghanistan, im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina,<br />
im Kongo, vor dem Horn von Afrika und der Küste<br />
des Libanon. Insgesamt wurden bereits mehr als 200.000<br />
Soldaten in einen Auslandseinsatz kommandiert. Von<br />
den Bedingungen, unter denen diese Auslandseinsätze<br />
vor Ort absolviert werden mussten und müssen, habe ich<br />
mir bei meinen regelmäßigen Truppenbesuchen in den<br />
Einsatzgebieten einen persönlichen Eindruck verschaffen<br />
können. Auch in Eingaben werden immer wieder Schwierigkeiten<br />
und Defizite angesprochen, bei deren Behebung<br />
der Wehrbeauftragte Hilfestellung zu geben versucht.<br />
Auf einige dieser konkreten Klagen und Beschwerden<br />
werde ich im Folgenden noch eingehen.<br />
Es ist mir jedoch zunächst wichtig, deutlich werden zu<br />
lassen, dass der Dienst, die berufliche Zufriedenheit und<br />
das Selbstverständnis unserer Soldatinnen und Soldaten<br />
im Einsatz nicht in erster Linie von den mehr oder weniger<br />
dramatischen Einzelproblemen vor Ort beeinflusst<br />
werden. Zu den Einsatzbedingungen zählt aus meiner<br />
Sicht vielmehr auch all das, was sich in der Wahrnehmung<br />
der Soldaten im Zusammenhang mit dem erweiterten<br />
Aufgabenspektrum und einem in Teilen neuen soldatischen<br />
Selbstverständnis in der Bundeswehr insgesamt<br />
fundamental verändert hat.<br />
Die in einer Mitgliederbefragung im Auftrag des Bundeswehr-Verbandes<br />
zu Tage getretene verbreitete berufliche<br />
Unzufriedenheit und Verunsicherung sehe ich als ein weiteres<br />
Warnsignal dafür, dass sich der einzelne Soldat in der<br />
sich über viele Jahre hinweg aufbauenden Konstellation<br />
von neuen Aufgaben, permanenten Struktur- und Standortveränderungen<br />
sowie chronischer Unterfinanzierung<br />
von seinem Dienstherrn häufig nicht mehr angemessen<br />
und fürsorglich behandelt fühlt. Dieser Hintergrund und<br />
Zusammenhang darf bei einer Betrachtung von „Einsatzbedingungen“<br />
nach meiner Auffassung nicht außer Acht<br />
gelassen werden.<br />
Reinhold Robbe<br />
Die Bundeswehr befindet sich seit Beginn der Neunziger<br />
Jahre in einem anhaltenden Prozess der Umstrukturierung.<br />
Die Veränderungsschübe begannen bereits<br />
mit der Herausforderung des Aufbaus gesamtdeutscher<br />
Streitkräfte nach der Vereinigung der beiden deutschen<br />
Staaten. In der Folgezeit musste durch umfangreiche Anpassungsmaßnahmen<br />
den grundlegend neuen Aufgaben<br />
und Anforderungen nach dem Ende des Kalten Krieges<br />
Rechnung getragen werden.<br />
Internationale Konfliktbewältigung auf der Grundlage<br />
von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen<br />
bestimmt in zunehmendem Maße die außen- und<br />
sicherheitspolitische Agenda. Und Deutschland steht<br />
heute anerkanntermaßen nach dem Ende seiner staatlichen<br />
Teilung, dem Wegfall jeglicher territorialen Bedrohung<br />
und im Hinblick auf seine vergleichsweise hohe<br />
wirtschaftliche und technologische Leistungsfähigkeit in<br />
einer besonderen Verantwortung, sich an den Aufgaben<br />
der weltweiten Friedenssicherung und Konfliktprävention<br />
materiell wie auch durch den Einsatz von Streitkräften<br />
zu beteiligen.<br />
Schnell musste dabei erkannt werden, dass das Ende der<br />
weltumspannenden Blockkonfrontation die Welt nicht<br />
wirklich friedlicher hat werden lassen. Das Gegenteil ist<br />
28
der Fall. Insbesondere regionale Konflikte, Bürgerkriege,<br />
organisierte massenhafte Menschenrechtsverletzungen<br />
bis hin zum Völkermord, asymmetrische Kampfführung<br />
und die Bedrohung durch einen international vernetzten<br />
Terrorismus prägen die internationale Sicherheitslage –<br />
und dies bis vor unsere Haustür.<br />
Die Präsenzstärke der Bundeswehr wurde halbiert, zahlreiche<br />
Standorte im Inland aufgelöst, die Grundwehrdienstzeit<br />
im Rahmen der Wehrpflicht auf ein Minimum<br />
reduziert. Zugleich wurden und werden Strukturen geschaffen,<br />
die diese Bundeswehr konsequent von einer<br />
Manöverarmee zu einer Einsatzarmee, zu einer flexibel<br />
einsetzbaren Truppe mit Eingreif-, Stabilisierungs- und<br />
Unterstützungskräften umbauen.<br />
Die Unterschiede zwischen den Streitkräften der alten<br />
Bundesrepublik, die innerhalb fester Bündnisstrukturen<br />
ihren definierten Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung<br />
geleistet hatten, und der Bundeswehr in der<br />
Transformation erschöpfen sich jedoch nicht in Struktur-<br />
und Ausstattungsveränderungen. Die internationalen<br />
Aufgaben sind heute bereits so prägend für die deutschen<br />
Streitkräfte geworden, dass man mit einiger Berechtigung<br />
von einer veränderten Legitimation des soldatischen<br />
Dienstes und von einem veränderten Selbstverständnis<br />
der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sprechen<br />
kann.<br />
Als 1992 mit der Errichtung eines Feldlazaretts in Phnom<br />
Penh (Kambodscha) der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr<br />
durchgeführt wurde, hatte kurz zuvor noch der<br />
damalige Wehrbeauftragte Alfred Biehle in seinem Jahresbericht<br />
1991 vor dem Hintergrund des ersten Golfkriegs<br />
darauf hingewiesen, dass die geistige Vorbereitung der<br />
Soldaten intensiviert werden müsse. Das Bewusstsein<br />
vieler Soldaten, in einer kriegerischen Auseinandersetzung<br />
eingesetzt werden zu können, habe sich bislang im<br />
Wesentlichen auf die Vorstellung beschränkt, die Bundesrepublik<br />
Deutschland auf heimischem Territorium<br />
verteidigen zu müssen. Dies lasse nun die Soldaten über<br />
die Tragweite des Eides beziehungsweise Gelöbnisses neu<br />
nachdenken.<br />
Heute sind wir an dieser Stelle zweifellos weiter. Zunächst<br />
durch die nahe liegende Tatsache, dass die Soldaten Zeit<br />
hatten, sich an das neue Aufgabenspektrum ihres Berufsstandes<br />
zu gewöhnen. Hinzu kommt, dass sich zwischenzeitlich<br />
alle Zeitsoldaten und die meisten Berufssoldaten<br />
bereits im Bewusstsein des veränderten Berufsbildes für<br />
eine entsprechende Verpflichtung entschieden haben.<br />
Somit haben sich die stets mit derart grundlegenden<br />
Umstellungen verbundenen Akzeptanzprobleme weitestgehend<br />
ausgewachsen. Und in der Tat haben die Soldatinnen<br />
und Soldaten heute nach meinem bei zahlreichen<br />
Truppenbesuchen im In- und Ausland gewonnenen Eindruck<br />
ihre neuen Aufgaben motiviert angenommen.<br />
Wir sind auch deshalb weiter, weil der Deutsche Bundestag<br />
heute auf der Grundlage einer wegweisenden<br />
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen<br />
„out of area“ und des danach in Kraft getretenen<br />
Parlamentsbeteiligungsgesetzes in einem geordneten<br />
Verfahren zu jedem einzelnen bewaffneten Einsatz<br />
deutscher Streitkräfte im Ausland Stellung bezieht, genauer:<br />
in zumeist namentlicher Abstimmung über die Entsendung<br />
von Soldaten der Bundeswehr entscheidet. Das<br />
ist mehr als ein gerichtlich erzwungener Formalismus. Mit<br />
seiner Zustimmung übernimmt der Deutsche Bundestag<br />
als die demokratisch legitimierte Volksvertretung einen<br />
wesentlichen Teil der politischen Verantwortung für eine<br />
Einsatzentscheidung und der moralischen Verantwortung<br />
für die eingesetzten Soldaten. Dies ist der unverzichtbare<br />
Rückhalt für die Parlamentsarmee Bundeswehr, der sich<br />
nach der berechtigten Erwartung der Soldaten in der Folge<br />
allerdings auch bei der Bereitstellung entsprechender<br />
Mittel widerspiegeln muss.<br />
Auf der anderen Seite erfahre ich durch Eingaben sowie<br />
bei meinen Truppenbesuchen in den Einsatzgebieten<br />
und Heimatstandorten immer wieder von ernst zu<br />
nehmenden Defiziten, die sich auf die Einstellung und<br />
Motivation zumal der engagiertesten und erfahrensten<br />
Soldaten bereits erkennbar negativ auswirken. Dauerhafte<br />
personelle und materielle Engpässe sind die deutlichsten<br />
Hinweise darauf, dass sich die Bundeswehr derzeit in<br />
einer latenten, gelegentlich auch manifesten strukturel-<br />
29
Einsatzbedingungen als Beschwerdegrund<br />
len Überforderungssituation befindet. An dieser Stelle<br />
ist dann allerdings mehr als nur eine nüchterne Analyse<br />
gefragt, der zufolge der Prozess der Transformation zur<br />
Einsatzarmee eben noch nicht abgeschlossen ist. Hier<br />
wird ein wichtiger Bestandteil der Inneren Führung vernachlässigt:<br />
die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die es<br />
zum Beispiel zwingend notwendig macht, rechtzeitig die<br />
erforderliche Ausstattung für einen Einsatz bereitzustellen,<br />
was wiederum eine vorausschauende Finanzierung<br />
und Beschaffungsorganisation voraussetzt.<br />
Um die Motivation und Leistungsbereitschaft der Soldatinnen<br />
und Soldaten mit Blick auf die Auslandseinsätze<br />
langfristig zu erhalten, müssen aus meiner Sicht zwei<br />
grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein. Der einzelne<br />
Einsatz muss politisch und militärisch auch in der Wahrnehmung<br />
der Soldaten als sinnvoll angesehen werden<br />
können (a), und die Bundeswehr muss personell wie<br />
materiell in der Lage sein, einen Einsatz erfolgreich und<br />
sicher durchzuführen (b).<br />
a) Es fällt nicht in die Zuständigkeit des Wehrbeauftragten<br />
des Deutschen Bundestages, konkrete Einsatzentscheidungen<br />
des Bundestages zu bewerten. Allerdings<br />
weise ich immer wieder darauf hin, dass jeder Soldat einen<br />
Anspruch hat, die Gründe, Zielsetzungen und Rahmenbedingungen<br />
eines Einsatzes dargelegt und erläutert zu<br />
bekommen. Der mitdenkende, umsichtig und verantwortungsbewusst<br />
handelnde Soldat ist nach den Grundsätzen<br />
der Inneren Führung und auch politisch gewollt. Der Soldat<br />
will einbezogen werden und verstehen können, was<br />
von ihm erwartet wird. In der Praxis bedeutet dies, dass<br />
die Soldaten so zeitnah und so umfassend wie nur irgend<br />
möglich über sich abzeichnende Einsatzanforderungen,<br />
insbesondere auch über die jeweiligen politischen Gegebenheiten,<br />
Entwicklungen und Hintergründe unterrichtet<br />
werden müssen.<br />
Eine Einsatzentscheidung ist selbstverständlich eine eminent<br />
politische Entscheidung und der Primat der Politik<br />
gegenüber der militärischen Seite darf nicht in Frage<br />
gestellt werden. Aber der Soldat als „Staatsbürger in<br />
Uniform“ und auch als derjenige, der im Ernstfall seinen<br />
Kopf hinzuhalten hat, ist in jeder Weise berechtigt, Fragen<br />
zu stellen und gegebenenfalls – natürlich zur rechten<br />
Zeit und in angemessener Form – auch Kritik zu üben.<br />
Zweifel und kritische Stimmen begegnen mir im Übrigen<br />
bei meinen Truppenbesuchen in den Einsatzgebieten<br />
mittlerweile in zunehmender Zahl. Die Soldaten – einige<br />
davon bereits wiederholt im Einsatz – fragen sich etwa<br />
im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina angesichts eines<br />
schon Jahre anhaltenden politischen Stillstands und immer<br />
undeutlicher werdender Perspektiven, wie und wie lange<br />
es mit ihrem Einsatz weitergehen soll. Noch wesentlich<br />
dramatischer verhält es sich in Afghanistan. Nach dem<br />
Selbstmordanschlag auf deutsche ISAF-Soldaten im Mai<br />
2007 in Kunduz wurde ihren Kameraden mit aller Härte<br />
bewusst, dass die verschärfte Sicherheitslage und der<br />
nachlassende Rückhalt in der einheimischen Bevölkerung<br />
den Sinn ihres Einsatzes zunehmend in Frage stellen. Das<br />
erzeugt verständliche Enttäuschung und Frustration.<br />
Nach meinem Eindruck drängen inzwischen nicht mehr<br />
nur einzelne Experten, sondern auch immer mehr Soldatinnen<br />
und Soldaten darauf, dass die militärische<br />
Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Auslandseinsätzen<br />
jenseits von Landes- und Bündnisverteidigung<br />
einer nachvollziehbaren sicherheitspolitischen<br />
Doktrin folgen sollte. Daher begrüße ich Überlegungen<br />
auf der politischen Ebene, Prüfsteine oder Prinzipien<br />
für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entwickeln. Der<br />
Eindruck von Beliebigkeit, Übereifer oder einer vordergründigen<br />
und kurzfristigen Interessenpolitik darf nicht<br />
entstehen. Die Soldatinnen und Soldaten sind aufgrund<br />
ihrer an den Grundsätzen der Inneren Führung orientierten<br />
Ausbildung sowie ihrer Kenntnisse und Erfahrungen<br />
im militärischen Handwerk alles andere als Abenteurer.<br />
Im Gegenteil. Sie wollen ihre Entscheidung für diesen<br />
Beruf, der wahrhaftig kein Beruf wie jeder andere ist,<br />
vor sich selbst und ihren Familien rechtfertigen können.<br />
Hierfür bedarf es eines Mindestmaßes an Berechenbarkeit<br />
hinsichtlich des Berufsbildes und zumal des Risikos,<br />
das sie nach menschlichem Ermessen einzugehen haben.<br />
Darauf haben sie einen Anspruch.<br />
30
Die parlamentarische Verantwortung für die Bundeswehr<br />
in allen ihren Ausprägungen, vom Budgetrecht bis hin zu<br />
den vielfältigen Kontrollrechten, gewährleistet prinzipiell<br />
einen gründlichen und transparenten Umgang mit den<br />
Einsatzanforderungen an die Bundeswehr. Und eine<br />
möglichst offene parlamentarische Behandlung kann darüber<br />
hinaus einen weiteren wichtigen Baustein zur Sinnstiftung<br />
vermitteln: den notwendigen gesellschaftlichen<br />
Rückhalt für die Truppe.<br />
Soldaten beklagen insbesondere im Rahmen länger dauernder<br />
Auslandseinsätze, die nicht mehr einen so hohen<br />
aktuellen Schlagzeilenwert aufbieten können, dass die<br />
Sinnhaftigkeit und die Belastungen ihres Dienstes in<br />
der Öffentlichkeit oftmals nicht mehr wahrgenommen<br />
werden. Die Soldaten und auch ihre Familien fühlen sich<br />
dann nicht selten mit ihren Nöten schmerzlich alleine gelassen.<br />
Regelmäßige umfassende Informationen über die<br />
Medien, zum Beispiel auch durch eine breiter angelegte<br />
Übertragung parlamentarischer Beratungen, sind meines<br />
Erachtens notwendig, um die Bürgerinnen und Bürger<br />
unseres Landes für die Aufgaben der Bundeswehr und die<br />
dienstliche Belastung der Soldaten zu interessieren und zu<br />
sensibilisieren. Dies kann übrigens bei überzeugend dargelegten<br />
Einsatzanforderungen auch die gesellschaftliche<br />
und politische Bereitschaft erzeugen, den damit verbundenen<br />
Finanzbedarf zu decken.<br />
Im Hinblick auf die wünschenswerte Anteilnahme in der<br />
<strong>Gesellschaft</strong> an den Belangen der Bundeswehr sei auch<br />
der Hinweis gestattet, dass die Wehrpflicht bislang stets<br />
ein besonders wirksamer Transmissionsriemen zwischen<br />
Zivilgesellschaft und Bundeswehr gewesen ist. Durch<br />
sie wird eine sehr persönliche Beziehung vieler Bürger<br />
zu „ihrer“ Bundeswehr gewahrt. Auch im Hinblick auf<br />
die Auslandseinsätze ist diese menschliche Verbindung<br />
vorhanden, da sich aus den Reihen der Grundwehrdienstleistenden<br />
häufig diejenigen rekrutieren, die über einen<br />
freiwilligen längeren Wehrdienst oder eine Verpflichtung<br />
für derartige Einsätze in Betracht kommen.<br />
Was keinesfalls eintreten darf, ist eine Bewusstseinsveränderung<br />
in der Bevölkerung oder in der so genannten<br />
politischen Klasse unseres Landes dahingehend, dass die<br />
Bundeswehr nur noch als eine professionelle Einsatzarmee<br />
angesehen wird, deren Soldaten – wohl wissend,<br />
worauf sie sich eingelassen haben – ihren Dienst ohne<br />
Murren und Zögern in allen Teilen der Welt abzuleisten<br />
haben. Eine solche Entwicklung, der nach meiner festen<br />
Überzeugung durch die endgültige Abschaffung der<br />
Wehrpflicht Vorschub geleistet würde, entspräche nicht<br />
mehr dem hohen Ethos des Soldatenberufs, der von den<br />
Grundgedanken der Inneren Führung inspiriert ist.<br />
b) Wenn Soldaten in einen Auslandseinsatz geschickt<br />
werden, muss gewährleistet sein, dass die Bundeswehr<br />
personell und materiell in der Lage ist, einen solchen<br />
Einsatz sicher und erfolgreich durchzuführen.<br />
Im Hinblick auf die personelle Situation sind nach meinen<br />
Wahrnehmungen, die ich auch in meinem letzten<br />
Jahresbericht an den Deutschen Bundestag zum Ausdruck<br />
gebracht habe, nach wie vor in einigen Schlüsselbereichen<br />
bedenkliche Engpässe zu verzeichnen. In seiner<br />
Stellungnahme zu diesem Jahresbericht räumt das Bundesministerium<br />
der Verteidigung diese Schwierigkeiten<br />
auch ausdrücklich ein. Zumal spezialisiertes Personal, das<br />
in allen Einsatzgebieten benötigt wird, wie zum Beispiel<br />
Heeresflieger, Feldjäger, Ärzte und Sanitätspersonal steht<br />
nicht in hinreichender Anzahl zur Verfügung. In der Konsequenz<br />
sind Mehrbelastungen der vorhandenen fachlich<br />
qualifizierten und „auslandsdienstverwendungsfähigen“<br />
Soldatinnen und Soldaten unvermeidlich. Das bedeutet<br />
praktisch häufigere Auslandseinsätze und dazu teilweise<br />
erhebliche Dienstzeitbelastungen sowohl im Einsatz als<br />
auch für die in einer solchen Verwendung stehenden Kameraden<br />
in Deutschland.<br />
Für den Bereich der Sanität hat etwa das Forum Sanitätsoffiziere<br />
eindrucksvoll und bedrückend dargestellt,<br />
wie es um die Überstundenbelastung vieler Ärzte bestellt<br />
ist. Hinzu kommt, dass in Folge des Personalmangels die<br />
Qualifikationsvoraussetzungen teilweise in einem nicht<br />
mehr vertretbaren Maße heruntergesetzt werden. So<br />
stößt es zu Recht auf Unverständnis bei den Soldaten,<br />
31
Einsatzbedingungen als Beschwerdegrund<br />
wenn der einen Landtransport im nördlichen Afghanistan<br />
begleitende Arzt über keine notfallmedizinische Ausbildung<br />
verfügen muss.<br />
Ebenfalls kritisch betrachtet wurde die zeitweilige, inzwischen<br />
jedoch abgestellte Verwendung von Sanitätssoldaten<br />
im Wachdienst. Auch wenn dies nach den gesetzlichen<br />
Vorschriften und im Hinblick auf die Anforderungen des<br />
entsprechenden Genfer Abkommens im Rahmen des<br />
ISAF-Einsatzes in Afghanistan rechtlich unbedenklich<br />
war, da der ISAF-Einsatz nach offizieller Lesart nicht<br />
im Rahmen eines internationalen bewaffneten Konflikts<br />
stattfindet und außerdem im Wachdienst die Rotkreuz-<br />
Armbinde als völkerrechtlich anerkanntes Schutzzeichen<br />
abzulegen war, ist die Beendigung dieser Diensteinteilung<br />
aus meiner Sicht zu begrüßen.<br />
Immer wieder werden von den Soldaten vielfältige Ausstattungsmängel<br />
beklagt, die zwar jeweils für sich genommen<br />
in den Ohren eines Außenstehenden nicht immer so<br />
dramatisch klingen mögen, die jedoch von den Betroffenen<br />
als eine vermeidbare, unverständliche und ärgerliche<br />
Diensterschwerung empfunden werden. Für die jeweils<br />
vorherrschenden klimatischen Bedingungen ungeeignete<br />
oder nicht in ausreichender Zahl vorhandene Wäschestücke,<br />
Uniformteile und Stiefel sollten insbesondere bei den<br />
schon seit längerer Zeit bestehenden Auslandseinsätzen<br />
endgültig der Vergangenheit angehören.<br />
Noch bedenklicher ist es aus meiner Sicht, wenn mir<br />
Soldaten vortragen, es seien selbst in dem gefährlichsten<br />
Einsatzgebiet Afghanistan mit einer zunehmenden Anschlagswahrscheinlichkeit<br />
auch im bislang etwas ruhigeren<br />
Norden zeitweise zu wenig geschützte Fahrzeuge verfügbar<br />
gewesen. Auch wurde ich darauf hingewiesen, dass<br />
die Fahrer mit der vollständigen Schutzausstattung versehenes,<br />
entsprechend schweres und in seinen Fahreigenschaften<br />
verändertes Großgerät regelmäßig erst im Einsatzland<br />
übergeben bekommen, mit der Folge, dass diese<br />
Soldaten sich unter Einsatzbedingungen schulen lassen<br />
müssen. Entsprechend verhält es sich mit der schon seit<br />
längerem angekündigten modularen Kampfausstattung<br />
„Infanterist der Zukunft“. Wenn sich die Soldaten eines<br />
Panzeraufklärungsbataillons, das wenige Monate später in<br />
den Einsatz nach Afghanistan ziehen soll, nicht frühzeitig<br />
mit den entsprechenden Ausstattungselementen vertraut<br />
machen können, weil sie im Heimatstandort noch nicht<br />
zur Verfügung stehen, stellt dies in meinen Augen eine<br />
unnötige Gefährdung dar. Als Wehrbeauftragter sehe ich<br />
mich zumal bei diesen sicherheitsrelevanten Themen in<br />
besonderer Weise gefordert.<br />
Die im Jahr 2006 begonnene und gemessen am militärischen<br />
Auftrag durchaus erfolgreich abgeschlossene<br />
EUFOR-Mission zur Absicherung der Wahlen in der Demokratischen<br />
Republik Kongo wird im Hinblick auf die<br />
Rahmenbedingungen den meisten der dort eingesetzten<br />
Soldaten und auch mir in lebhafter Erinnerung bleiben.<br />
Die Anlage des Feldlagers in Kinshasa ohne das erforderliche<br />
Betonfundament und die mangelnde Tropeneignung<br />
der aufgestellten Zelte führten im Zusammenspiel mit<br />
der einsetzenden Regenzeit zu einer absolut unzumutbaren<br />
Unterbringungssituation. Die mit der Errichtung<br />
beauftragte zivile Firma war ganz offensichtlich hoffnungslos<br />
überfordert. Wie mir im Nachhinein der vor Ort<br />
für die sanitätsdienstliche Versorgung verantwortliche<br />
Befehlshaber des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte<br />
Sanitätsdienst bestätigt hat, konnte man angesichts der<br />
herrschenden Hygienebedingungen nur von Glück reden,<br />
dass es zu keinen schweren Erkrankungsfällen gekommen<br />
war. Wenn hingegen angesichts solcher nicht mehr<br />
hinnehmbarer Einsatzbedingungen entsprechende Kritik<br />
unter Verweis auf die kurze Einsatzdauer und die generell<br />
zu bedenkenden „afrikanischen Verhältnisse“ relativiert<br />
werden soll, ist das mit Nachdruck zurückzuweisen.<br />
Es wird von der militärischen und politischen Führung<br />
der Bundeswehr richtiger Weise nicht in Zweifel gezogen,<br />
dass die Grundsätze der Inneren Führung auch und gerade<br />
für eine Armee im Einsatz das geeignete Instrumentarium<br />
für ein militärisch erfolgreiches und menschlich<br />
angemessenes Vorgehen darstellen. Daher sollte auch<br />
mit Blick auf die besondere Fürsorgeverpflichtung des<br />
Dienstherrn, die Teil der Konzeption der Inneren Führung<br />
ist, anerkannt bleiben, dass die bewährten deutschen<br />
Standards in der Ausrüstung, Ausstattung, Unterbringung<br />
und Betreuung unserer Soldatinnen und Soldaten, soweit<br />
dies irgend möglich ist, auch in den Einsatzgebieten<br />
gewahrt werden.<br />
32
Rechtsfragen des Auslandseinsatzes der Bundeswehr<br />
Text: Peter Dreist *<br />
I. Einleitung<br />
Die <strong>Gneisenau</strong> Blätter widmen sich in diesem Band<br />
6 mit den Themen Einsatz und Innere Führung zwei<br />
Bereichen, denen sie bereits wiederholt ein Forum geboten<br />
haben: So hat sich Band 1 (2001) insgesamt dem<br />
Thema der humanitären Intervention (NATO-Operation<br />
ALLIED FORCE vom 24. März bis 9. Juni 1999), im<br />
Beitrag von Claire Marienfeld-Czesla aber auch dem Thema<br />
Innere Führung und Zivilcourage gewidmet; Band 4<br />
(2006) stellt Beiträge zur Armee im Einsatz und in der<br />
Transformation sowie zur Konzeption Innere Führung<br />
vor. Dieser Beitrag stellt Überlegungen zu offenen oder<br />
zweifelhaft gelösten Rechtsfragen bei einzelnen Einsätzen<br />
multinationaler Streitkräfte im Ausland an, an denen sich<br />
die Bundesrepublik Deutschland mit Soldaten der Bundeswehr<br />
beteiligt. Dabei werden ungelöste Fragen auf der<br />
völkerrechtlichen und der verfassungsrechtlichen Ebene<br />
thematisiert.<br />
Soldaten der Bundeswehr waren und sind bei vielfältigen<br />
Einsätzen im Ausland gefordert. Schon 1960 begannen<br />
die Auslandsaktivitäten der Bundeswehr mit Hilfeleistungen<br />
nach einem Erdbeben in Marokko und humanitärer<br />
Hilfe in Angola. Viele weitere Einsätze humanitärer Art<br />
folgten danach in praktisch allen Teilen der Welt; dabei<br />
waren immer wieder Naturkatastrophen wie Hochwasser<br />
(z. B. Algerien 1963, Nigeria, Türkei, Peru 1970 und Mosambik<br />
2000), Erdbeben (z. B. Türkei 1966, Iran 1968,<br />
Pakistan 1975, UdSSR 1988), Dürrekatastrophen (z. B.<br />
Äthiopien, Mali, Niger, Tschad 1973 und 1974, Sudan<br />
und Uganda 1989) oder Waldbrände (Sardinien 1983,<br />
Griechenland 1990), aber auch Unglücksfälle aller Art<br />
(z. B. Fährunglück in Italien 1971, Explosionsunglück in<br />
Spanien 1978, Busunglück in der Türkei 1985, Bombenanschlag<br />
in Djibouti 1987) oder die Folgen einer aktuellen<br />
politischen Entwicklung (Hungerhilfe in der UdSSR 1990<br />
und in Russland und Somalia 1992, Kurdenhilfe im Iran<br />
und in der Türkei 1991) die Ursache des Einsatzes. 1 Diese<br />
Einsätze, die sich weitgehend in der Zeit des Kalten<br />
Krieges ereigneten, waren in der Regel humanitärer Art<br />
und verfassungsrechtlich unproblematisch.<br />
Peter Dreist<br />
Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für<br />
Einsätze der Bundeswehr im Ausland, die sich thematisch<br />
und tatsächlich stets im Spannungsfeld zwischen<br />
Politik und Recht – insbesondere Verfassungs- und<br />
Völkerrecht – bewegt haben, haben sich in den letzten<br />
15 Jahren drastisch verändert. Erst das Grundsatzurteil<br />
des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 2 schuf<br />
Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für die Beteiligung<br />
bewaffneter deutscher Soldaten an Auslandseinsätzen,<br />
die als „Einsätze bewaffneter Streitkräfte“ anzusehen<br />
sind, und erklärte sie für verfassungsrechtlich möglich,<br />
allerdings unter dem Vorbehalt der – grundsätzlich<br />
vorherigen – konstitutiven Zustimmung durch den<br />
Deutschen Bundestag. In seiner Eilentscheidung zum<br />
AWACS-Einsatz hatte das Gericht bereits ein Jahr zuvor<br />
festgestellt, dass die Bundesregierung die Verantwortung<br />
für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der deutschen<br />
Beteiligung an einem VN-Einsatz trägt, nicht der einzelne<br />
eingesetzte Soldat; dies gilt für völkerrechtlich zulässige<br />
Einsätze im Rahmen anderer Systeme gegenseitiger kollektiver<br />
Sicherheit (NATO, WEU, EU) natürlich ebenso.<br />
Die Soldaten stelle das Gesetz von der Verantwortlichkeit<br />
frei (§ 11 Soldatengesetz). 3 Nach dem Grundsatzurteil zu<br />
Auslandseinsätzen vom 12. Juli 1994 muss diese Frage so<br />
verstanden werden, dass Bundesregierung und Parlament<br />
wegen des konstitutiven Zustimmungsvorbehalts die ver-<br />
33
Rechtsfragen des Auslandseinsatzes der bundeswehr<br />
fassungsrechtliche Verantwortung für Auslandseinsätze<br />
der Bundeswehr gemeinsam tragen. 4 Auslandseinsätze<br />
jeder Art können inzwischen weitgehend als militärische<br />
Alltagsaufgabe verstanden werden. Sie werden von den<br />
Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) 5 im Gegensatz<br />
zu früheren Zeiten, in denen Landes- und Bündnisverteidigung<br />
Hauptaufgabe und Daseinsberechtigung<br />
der Bundeswehr gleichermaßen bildeten, als derzeit<br />
wahrscheinlichste Aufgabe im Einsatzspektrum der Bundeswehr<br />
benannt.<br />
Die Beteiligung an solchen Einsätzen erfolgt für deutsche<br />
Streitkräfte in aller Regel in einem multinationalen<br />
Rahmen, und zwar im Rahmen der Vereinten Nationen<br />
(UNAMIC und UNTAC in Kambodscha, UNOSOM II<br />
in Somalia, UNOMIG in Georgien, UNTAES in Kroatien,<br />
INTERFET in Ost-Timor, UNMEE zwischen<br />
Äthiopien und Eritrea, UNMIS im Sudan, UNIFIL II<br />
als Lead Nation für die Marineoperation auf der See vor<br />
der libanesischen Küste), der NATO (IFOR, SFOR, Eagle<br />
Eye, Extraction Force, Allied Force, KFOR auf dem<br />
Balkan, ISAF in Afghanistan, Enduring Freedom), der<br />
WEU (Minenräumen im persischen Golf 1991, SHARP<br />
FENCE, SHARP GUARD in der Adria ab 1992) oder<br />
der EU (Concordia in Mazedonien, Artemis im Kongo,<br />
Althea in Bosnien und Herzegowina, EU-Unterstützung<br />
für Mission AMIS der Afrikanischen Union im Sudan<br />
oder die soeben abgeschlossene EUFOR-Mission in der<br />
demokratischen Republik Kongo). 6<br />
Rund 15 Jahre nach Beginn der Auslandseinsätze der<br />
Bundeswehr im eigentlichen Sinne und jenseits rein humanitärer<br />
Hilfsaufgaben und immerhin 13 Jahre nach dem<br />
Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.<br />
Juli 1994 muss es ein wenig verwundern, dass Rechtsfragen<br />
des Bundeswehreinsatzes immer wieder das Bundesverfassungsgericht<br />
beschäftigen, wie die PDS-Organklage<br />
wegen der Zustimmung der Bundesregierung zum neuen<br />
Strategischen Konzept der NATO 1999 ohne Zustimmung<br />
des Bundestages 7 , der noch immer nicht endgültig<br />
entschiedene Rechtsstreit um die deutsche Beteiligung an<br />
AWACS-Flügen über dem Territorium der Türkei 2003<br />
während der US-geführten Operation Iraqi Freedom 8 ,<br />
oder die Organklageverfahren der Abgeordneten Gauweiler<br />
und Wimmer 9 und der Fraktion PDS/Die Linke<br />
im Deutschen Bundestag wegen des Einsatzes von Tornadoaufklärungsflugzeugen<br />
in Afghanistan im Rahmen<br />
der VN-mandatierten ISAF-Operation 10 zeigen. Weitere<br />
Unklarheiten ergeben sich bei näherer Betrachtung des<br />
Parlamentsbeteiligungsgesetzes, 11 mit dem die Zusammenarbeit<br />
zwischen Bundesregierung und Bundestag bei<br />
Zustimmungsentscheidungen zu einem Einsatz bewaffneter<br />
Streitkräfte abschließend geregelt werden sollte.<br />
Aufgrund des hier zur Verfügung stehenden Platzes<br />
soll der Schwerpunkt dieses Beitrages bei den Einsätzen<br />
mit deutscher Beteiligung in Afghanistan liegen; andere<br />
Rechtsfragen werden nur durch kurze Hinweise angerissen.<br />
II.<br />
Die laufenden Auslandseinsätze<br />
Die Bundeswehr beteiligt sich derzeit an folgenden Einsätzen<br />
im Ausland: An der<br />
–– UNOMIG-Mission der Vereinten Nationen in<br />
Georgien 12 seit dem 2. Februar 1994,<br />
–– VN-mandatierten und NATO-geführten Operationen<br />
IFOR seit 15.12.1995, SFOR seit 20.12.1996 und<br />
SFOR-Folgeoperation seit 19. Juni 1998 13 zunächst<br />
in Kroatien und ab Ende 1996 in Bosnien und<br />
Herzegowina sowie an der ebenfalls VM-mandatierten<br />
EU-Operation Althea (Truppenbezeichnung: EUFOR)<br />
in Bosnien und Herzegowina seit 26. November<br />
2004, 14<br />
–– VN-mandatierten und NATO-geführten KFOR-<br />
Operation im Kosovo 15 seit dem 11. Juni 1999,<br />
–– US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF)<br />
auf der Grundlage des in Art. 51 der VN-Charta anerkannten<br />
naturgegebenen Rechts zur individuellen und<br />
kollektiven Selbstverteidigung und der Feststellung<br />
des NATO-Bündnisfalles nach Art. 5 des NATO-<br />
Vertrages seit dem 16. November 2001, 16 und zwar mit<br />
so verschiedenartigen Beiträgen wie z. B. dem Einsatz<br />
von Spezialkräften in Afghanistan, von Marinekräften<br />
am Horn von Afrika, in Djibouti (Marinelogistikbasis)<br />
oder Marineüberwachungs-flugzeugen (Maritime<br />
Ptrol Aircraft – MPA) in Kenia, später Djibouti, dem<br />
34
Einsatz von Verbindungsoffizieren in internationalen<br />
Stäben, der Bereitstellung von MEDEVAC-Kräften,<br />
der Beteiligung mit Seestreitkräften an den NATO-<br />
Unterstützungsoperationen Active Endeavour im östlichen<br />
Mittelmeer und Task Force STROG in der Straße<br />
von Gibraltar oder einem ABC-Abwehrkontingent in<br />
Kuwait (viele nur zeitweise),<br />
–– VN-mandatierten ISAF-Operation in Afghanistan seit<br />
dem 20. Dezember 2001 17 – Lead Nation 6 Monate<br />
Großbritannien, 6 Monate Türkei und sodann 9<br />
Monate Deutschland, seit Herbst 2003 unter Führung<br />
der NATO,<br />
–– UNMEE-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands<br />
zwischen Äthiopien und Eritrea seit 28. Januar<br />
2004, 18<br />
–– Abstellung eines Verbindungsoffiziers zur UNAMA<br />
nach Afghanistan seit 10. Mai 2004, 19<br />
–– EU-Unterstützung für die VN-mandatierte „African<br />
Union Mission in Sudan“ (AMIS) seit 3. Dezember<br />
2004, 20<br />
––<br />
UNMIS im Sudan seit 28. April 200521 und schließlich<br />
–– VN-mandatierten und um eine Marinekomponente<br />
erweiterte UNIFIL-Mission im Libanon und den<br />
Seegebieten vor der libanesischen Küste als Lead<br />
Nation für den Marineeinsatz seit 20. September<br />
2006. 22<br />
III.<br />
Der konstitutive Parlamentsvorbehalt<br />
Nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
v. 12. Juli 1994 erfordert aus Gründen einer seit<br />
1918 bestehenden Verfassungstradition jeder „Einsatz<br />
bewaffneter Streitkräfte“ die – grundsätzlich vorherige –<br />
konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages; 23<br />
nur bei der derzeit laufenden deutschen Teilnahme an<br />
den Einsätzen UNOMIG, UNAMA und UNMEE liegt<br />
eine solche Zustimmung nicht vor. Entscheidend für die<br />
Erforderlichkeit einer Zustimmung des Bundestages ist<br />
es, dass es sich um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte<br />
handelt; diese Bewertung hat die Bundesregierung vorzunehmen,<br />
sodann die Initiative mit einem Kabinettbeschluss<br />
zu ergreifen und den Bundestag um seine Zustimmung<br />
zu ersuchen. Der Bundestag kann nur zustimmen<br />
oder ablehnen, ein eigenes Initiativrecht steht ihm nicht<br />
zu. Die Bundesregierung geht von einem Einsatz bewaffneter<br />
Streitkräfte jedenfalls dann aus, wenn die Soldaten<br />
Waffen mitführen oder die Gefahr ihrer Einbeziehung in<br />
bewaffnete Unternehmungen besteht. 24 Noch muss es<br />
als unklar gelten, ob auch die Gefahr einer mittelbaren<br />
Einbeziehung oder Verstrickung in bewaffnete Unternehmungen<br />
ausreicht, um einen bewaffneten Einsatz<br />
anzunehmen; dies hatte das Bundesverfassungsgericht<br />
in seiner Eilentscheidung zum AWACS-Einsatz in der<br />
Türkei angedeutet 25 – hierüber ist noch nicht endgültig<br />
entschieden. Es geht mithin objektiv nicht darum, ob der<br />
Einsatz persönliche Gefahren mit sich bringt (gefährlich<br />
sind auch Einsätze unbewaffneter Beobachter im Sudan<br />
oder der von Sanitätskräfte in Georgien, wie der zum<br />
Tod eines deutschen Sanitätsoffiziers bei UNOMIG in<br />
Georgien führende Abschuss eines VN-Hubschraubers<br />
gezeigt hat). Es geht vielmehr darum, ob der Einsatz<br />
sich in einer Gesamtbetrachtung als Einsatz bewaffneter<br />
Streitkräfte darstellt, wobei im Zeitalter arbeitsteiligen<br />
Zusammenwirkens nicht jeder Einzelakt einen Einsatz<br />
bewaffneter Streitkräfte darstellen, sondern der Einsatz<br />
sich in seiner Gesamtheit entsprechend präsentieren<br />
muss. Dies kann durchaus umstritten sein; so wird<br />
die unbewaffnete UNOMIG-Truppe aus Sanitätskräften<br />
und Beobachtern von einer schwer bewaffneten GUS-<br />
Peacekeeping-Streitmacht, 26 vorwiegend aus russischen<br />
Soldaten bestehend, geschützt – geschähe dies einheitlich<br />
unter dem Dach der VN, hätte niemand einen Zweifel<br />
daran, dass es sich insgesamt um einen – aus verfassungsrechtlicher<br />
Sicht zustimmungsbedürftigen – Einsatz<br />
bewaffneter Streitkräfte handelte, was auch im Parlament<br />
bereits thematisiert wurde. 27 Dies hat übrigens auch bei<br />
den relativ bescheidenen deutschen Beiträgen an AMIS<br />
(Lufttransport) und UNMIS (Militärbeobachter) in der<br />
Gesamtbetrachtung dazu geführt, dass diese Einsätze<br />
dem Bundestag zur Zustimmung unterbreitet wurden.<br />
35
Rechtsfragen des Auslandseinsatzes der bundeswehr<br />
IV.<br />
ISAF-Einsatz in Afghanistan<br />
Derzeit werden der ISAF-Einsatz deutscher Soldaten in<br />
Afghanistan und der Einsatz im Rahmen der Operation<br />
Enduring Freedom besonders intensiv in Parlament und<br />
Öffentlichkeit diskutiert. Während die CDU, die CSU,<br />
die FDP und Teile der SPD die deutsche Beteiligung an<br />
den laufenden Einsätzen in Afghanistan (ISAF, Tornado-<br />
Einsatz für ISAF und Operation Enduring Freedom, die<br />
allerdings auch in anderen Einsatzgebieten stattfindet)<br />
fortsetzen wollen, wollen andere Teile der SPD und<br />
Teile der Grünen zumindest die deutsche Beteiligung<br />
an Enduring Freedom beenden und die Linke will aus<br />
sämtlichen Einsätzen in Afghanistan aussteigen. Die Bundesregierung<br />
hat sich auf die Fortsetzung der deutschen<br />
Beteiligung an diesen Operationen bereits festgelegt 28<br />
– das Thema wird uns in den nächsten Monaten weiter<br />
begleiten und auch danach nicht loslassen; heiße Rededuelle<br />
bei den anstehenden Verlängerungsentscheidungen<br />
im Deutschen Bundestag im Herbst 2007 sind garantiert.<br />
Zum Tornadoeinsatz in Afghanistan und damit auch zum<br />
ISAF-Einsatz, in dessen Rahmen die Tornado-Aufklärungsflugzeuge<br />
eingesetzt werden, und auch zum durch<br />
den NATO-Vertrag vorgegebenen Aufgabenbereich des<br />
Bündnisses hat das Bundesverfassungsgericht in seinem<br />
aktuellsten Urteil zu einem Streitkräfteeinsatz am 3. Juli<br />
2007 29 eine Reihe grundlegender Feststellungen getroffen.<br />
Danach sei ein wesentlicher Schritt der Fortbildung des<br />
vertraglichen Aufgabenkonzepts der NATO über ein<br />
Verteidigungsbündnis in einem engeren Sinn hinaus dem<br />
neuen Strategischen Konzept der NATO vom 24. April<br />
1999 zu entnehmen. Entscheidende Neuerung dieses<br />
Konzepts sei die Option der NATO, in Reaktion auf<br />
neue Bedrohungsszenarien für die Sicherheit des euroatlantischen<br />
Raums zukünftig auch nicht unter Art. 5<br />
des NATO-Vertrags fallende Krisenreaktionseinsätze<br />
durchzuführen (Ziff. 31 des Konzepts). 30 Der ISAF-<br />
Einsatz in Afghanistan stelle einen solchen Krisenreaktionseinsatz<br />
dar, mit dem sich die NATO aber nicht<br />
von der erforderlichen Bindung an den euro-atlantischen<br />
Raum gelöst habe. Denn das internationale Engagement<br />
in Afghanistan bedeute keinen isolierten Bezug zur Sicherheit<br />
des afghanischen Staates, sondern sei wesentlich<br />
darauf zurückzuführen, dass die handelnden Staaten in<br />
Übereinstimmung mit den handelnden internationalen<br />
Organisationen durch die Lage in Afghanistan ihre eigenen<br />
Sicherheitsinteressen als betroffen ansähen. 31 Als gefährlich<br />
gälten insofern gerade Staaten ohne oder mit nur<br />
begrenzt effektiver Staatsgewalt, weil diese potenzielle<br />
Rückzugsräume für international operierende terroristische<br />
Gruppierungen darstellten. Ebenso wenig liege die<br />
Annahme eines Bezuges der innerafghanischen Sicherheit<br />
zur Sicherheit im euro-atlantischen Raum außerhalb des<br />
Vertretbaren. Die Verantwortlichen im NATO-Rahmen<br />
durften und dürften davon ausgehen, dass die Sicherung<br />
des zivilen Aufbaus Afghanistans auch einen unmittelbaren<br />
Beitrag zur eigenen Sicherheit im euro-atlantischen<br />
Raum leiste; angesichts der heutigen Bedrohungslagen<br />
durch global agierende terroristische Netzwerke könnten,<br />
wie der 11. September 2001 gezeigt habe, Bedrohungen<br />
für die Sicherheit des Bündnisgebiets nicht mehr territorial<br />
eingegrenzt werden. 32<br />
Eine Verletzung des Völkerrechts durch einzelne militärische<br />
Einsätze der NATO (Vortrag der Antragstellerin),<br />
insbesondere die Verletzung des Gewaltverbots, könne<br />
ein Indikator dafür sein, dass die NATO sich von ihrer<br />
verfassungsrechtlich zwingenden friedenswahrenden<br />
Ausrichtung entferne. Dabei sei jedoch zu beachten,<br />
dass selbst entsprechende Völkerrechtsverletzungen nicht<br />
bereits für sich genommen einen im Organstreitverfahren<br />
rügefähigen Verstoß gegen Art. 24 Abs. 2 GG<br />
begründeten. Denn in der Konstellation des Organstreitverfahrens<br />
sei der Verstoß gegen das Gebot der<br />
Friedenswahrung nur als verfassungsrechtliche Grenze<br />
des Integrationsprogramms eines Systems gegenseitiger<br />
kollektiver Sicherheit bedeutsam. Verfassungsgerichtlich<br />
könne die Überschreitung dieses Integrationsprogramms<br />
im Organstreitverfahren nur deshalb überprüft werden,<br />
weil sie die Vertragsgrundlage des Bündnisses der Verantwortung<br />
des Deutschen Bundestages entziehe und<br />
diesen damit in seinem Recht aus Art. 59 Abs. 2 Satz<br />
1 GG (Verträge, die die politischen Beziehungen des<br />
Bundes regeln, bedürfen der Mitwirkung der für die Bun-<br />
36
desgesetzgebung zuständigen Körperschaften [Bundestag<br />
und Bundesrat]) in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 GG<br />
(Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem<br />
System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen)<br />
verletze. Deshalb eröffne diese Kontrolle keine allgemeine<br />
Prüfung der Völkerrechtskonformität von militärischen<br />
Einsätzen der NATO. 33 Die Einsätze ISAF 34 und OEF 35<br />
beruhten auf unterschiedlichen rechtlichen Regelungen.<br />
Generalinspekteur Schneiderhan habe in der mündlichen<br />
Verhandlung am 18. April 2007 dargelegt, dass Aufklärungsergebnisse<br />
von ISAF auf der Basis des NATO-<br />
Operationsplans nur dann an OEF weitergegeben würden,<br />
„wenn dies zur Durchführung der ISAF-Operation<br />
oder für die Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich<br />
ist“. Nur ISAF-Beteiligte seien berechtigt, Aufklärungsflüge<br />
anzufordern, nicht dagegen Kräfte der Operation<br />
Enduring Freedom. Die Bilder würden nach dem Aufklärungsflug<br />
– eine Inflight-Übermittlung sei nicht möglich<br />
– in eine Datenbank eingespeist, als geheim gekennzeichnet<br />
und an einen persönlichen Zugangscode gekoppelt.<br />
Abschließend entscheide ISAF in eigener Verantwortung<br />
und unter Beachtung des Operationsplans darüber, ob<br />
Ergebnisse vorlägen, deren Weitergabe an die Operation<br />
Enduring Freedom zur Förderung der gegenseitigen<br />
Sicherheit erforderlich sei. 36 Entgegen dem Vortrag der<br />
Antragstellerin sei nicht der stellvertretende Kommandeur<br />
für Sicherheitsoperationen von ISAF gleichzeitig als<br />
Angehöriger der US-amerikanischen Kommandostruktur<br />
für die Streitkräfte der Operation Enduring Freedom zur<br />
Terrorismusbekämpfung mitverantwortlich, sondern das<br />
Regional Command East, das unter US-amerikanischer<br />
Führung stehe. Dadurch ergebe sich gerade nicht die Gefahr<br />
einer unkontrollierten Vermischung der Einsätze. 37<br />
Somit seien nicht nur rechtlich, sondern auch in der praktischen<br />
Durchführung hinreichende Vorkehrungen dafür<br />
geschaffen, dass es zu einer Vermischung der Operationen<br />
mit der Folge der Auflösung der bisherigen Trennung<br />
der Verantwortungsbereiche nicht komme. 38<br />
Für die Bundeswehr bedeutet das Urteil, dass künftig<br />
weltweit Einsätze im Rahmen des NATO-Bündnisses<br />
verfassungsrechtlich möglich und zulässig sind (dieser<br />
Gedanke ließe sich auf vergleichbare Konstellationen<br />
anderer Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit übertragen<br />
und ist an den Voraussetzungen des jeweiligen<br />
durch den Gründungsvertrag oder vertragliche Ergänzungen<br />
geschaffenen Integrationsprogramms des jeweiligen<br />
Systems zu messen). Weltweit sind solche Einsätze<br />
sowohl für die Abwehr eines Angriffs (Bündnisfall) als<br />
auch für Krisenreaktionseinsätze auf der Grundlage<br />
des neuen Strategischen Konzepts der NATO von 1999<br />
verfassungsrechtlich zulässig, solange und soweit ein<br />
Zusammenhang mit der Sicherheit des euro-atlantischen<br />
Raumes gegeben ist, der insbesondere durch weltweit<br />
und grenzüberschreitend agierende Terrorgruppierungen<br />
als gegeben anzusehen sein dürfte. Grenzen für die Beteiligung<br />
an NATO-Einsätzen wären erst dann anzunehmen,<br />
wenn dieser regionale Bezug zum Vertragsgebiet<br />
im Einzelfall nicht mehr bestünde oder die NATO sich<br />
von einem der Friedenswahrung verpflichteten Verteidigungsbündnis<br />
in ein zur Führung von Angriffskriegen<br />
bestimmtes Bündnis veränderte (was kaum zu erwarten<br />
sein dürfte).<br />
Für die Aufgabenwahrnehmung in Afghanistan bedeutet<br />
das Judikat, dass die rechtliche Trennung zwischen den<br />
Einsätzen ISAF und OEF weiterhin gewährleistet bleiben<br />
muss. Das Urteil erbringt ein gutes Stück Rechtssicherheit<br />
für die in Afghanistan eingesetzten Soldaten, die ihre<br />
Aufgaben weiterhin in einem gefährlichen Umfeld wahrnehmen<br />
müssen und die sich in der Rechtmäßigkeit ihres<br />
Handelns durch das Urteil bestärkt fühlen können. Das<br />
Ministerwort, Deutschland werde auch am Hindukusch<br />
verteidigt, hat Bestand. Der Entschluss der Bundesrepublik,<br />
sich an ISAF und OEF zu beteiligen, war politisch<br />
aus Gründen der Bündnissolidarität zwingend geboten<br />
und rechtlich zulässig. Der Versuch der Linken, Deutschland<br />
aus der Beteiligung an Krisenreaktionseinsätzen im<br />
Rahmen der NATO aus dem Bündnis herauszubrechen,<br />
ist gescheitert.<br />
V. OEF-Einsatz in Afghanistan<br />
Aus rechtlicher Sicht wirft das Urteil aber auch eine Reihe<br />
von Fragen auf, die weiterhin als nicht endgültig geklärt<br />
betrachtet werden müssen: So kann die Annahme des Ge-<br />
37
Rechtsfragen des Auslandseinsatzes der bundeswehr<br />
richts bezweifelt werden, die Bundesregierung beteilige<br />
sich mit ihrer Zustimmung zu strategischen Konzepten<br />
der Bündnisse „in den Formen des Völkerrechts“ an der<br />
Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge. 39 Es fragt<br />
sich nämlich, ob das bewusste Ausweichen auf lediglich<br />
politisch, aber nicht rechtlich verbindliche Formen wie<br />
strategische Konzepte tatsächlich eine Form des Völkerrechts<br />
darstellt. Zu hinterfragen wäre auch, ob es tatsächlich<br />
der ISAF-Einsatz ist, der in unmittelbarer Verbindung<br />
mit dem einzigen Angriff auf einen NATO-Staat, der<br />
jemals zur Feststellung des NATO-Bündnisfalles (als<br />
Reaktion auf die Terroranschläge gegen die USA am 11.<br />
September 2001) führte, steht. 40 Vertreten wird nämlich<br />
eher, dass sich dieser unmittelbare Zusammenhang in der<br />
Operation Enduring Freedom manifestiert, mit der das<br />
als Urheber der Angriffe ausgemachte de-facto Regime<br />
der Taliban und seine Unterstützer von Al Qa’ida und<br />
Söldnern ab dem 7. Oktober 2001 in Afghanistan im<br />
Rahmen des in Art. 51 der VN-Charta anerkannten kollektiven<br />
Selbstverteidigungsrechts bekämpft wurden. 41<br />
Demgegenüber ist der ISAF-Einsatz erst dadurch zustande<br />
gekommen, dass der Petersberg-Prozess zum Bonner<br />
Abkommen, zur Installierung der Interimsregierung von<br />
Hamid Karzai und zur VNSRR 1386 mit entsprechendem<br />
Kapitel VII-Mandat führte.<br />
Soweit das höchste deutsche Gericht davon ausgeht, eine<br />
völker- und verfassungsrechtliche Prüfung der Rechtsgrundlagen<br />
für OEF sei bei diesem Rechtsstreit nicht<br />
vorzunehmen, 42 fragt man sich, ob dies angesichts der<br />
deutschen Beteiligung an beiden Operationen gleichzeitig<br />
und im selben Einsatzgebiet wirklich zutreffen kann. Die<br />
Frage erhebt sich insbesondere angesichts des Vorbringens<br />
der Antragstellerin, wegen einer „Vermischung“ der<br />
Operationen ISAF und OEF schlügen einzelne Völkerrechtsverstöße<br />
von OEF auf die Völkerrechtgemäßheit<br />
von ISAF durch. Hätte es deshalb nicht nahe gelegen,<br />
die Völkerrechtgemäßheit von OEF angesichts der Behauptung<br />
der Antragstellerin, die Operation könne sechs<br />
Jahre nach den Anschlägen gegen die USA nicht länger<br />
auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt werden, 43 zu<br />
problematisieren? Dabei hätte man nämlich festgestellt,<br />
dass die deutsche Beteiligung an OEF aus völkerrechtlicher<br />
Sicht auf Art. 51 VN-Charta und Art. 5 des NATO-<br />
Vertrages gestützt wurde. 44 Demgegenüber wurde unter<br />
Bezugnahme auf Art. 5 des NATO-Vertrages und die<br />
daraus resultierende Bündnisverpflichtung Art. 24 Abs.<br />
2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für die deutsche<br />
Beteiligung an diesem Einsatz genannt. 45 Aus verfassungsrechtlicher<br />
Sicht wäre es jedoch zumindest leichter<br />
verständlich, einen Einsatz, der sich völkerrechtlich als<br />
Selbstverteidigungseinsatz darstellt, verfassungsrechtlich<br />
als Einsatz „zur Verteidigung“ i. S. d. Art. 87a Abs. 1 Satz<br />
1 und Abs. 2 GG und nicht als solchen im Rahmen und<br />
nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver<br />
Sicherheit gemäß Art. 24 Abs. 2 GG zu betrachten.<br />
Dies gilt umso mehr, als auch nach Auffassung des<br />
Gerichts „die Operation Enduring Freedom ... kein<br />
militärischer Einsatz im NATO-Rahmen (ist)“! 46 OEF<br />
ist tatsächlich ein US-geführter Einsatz, bei dem weder<br />
eine NATO-Führung noch ein gemeinsamer Operationsplan<br />
der NATO für die Teilnehmer je bestand. Auch<br />
die Einsatzregeln für die verschiedenen Einsatzgebiete<br />
von OEF-Operationen (z. B. Afghanistan, Seegebiete am<br />
Horn von Afrika, Seegebiete des östlichen Mittelmeers<br />
für die NATO-Operation Active Endeavour, zeitweise<br />
Kenia, Djibouti, Kuwait) sind keine der NATO, sondern<br />
solche der Nationen, die für jede Nation und dies nochmals<br />
in jedem Einsatzgebiet unterschiedlich sind. Die<br />
Frage, ob die Feststellung des NATO-Bündnisfalles am<br />
12. September und 4. Oktober 2001 immer noch eine<br />
hinreichende rechtliche Klammer für die weitere deutsche<br />
Beteiligung an OEF darstellt und damit die deutsche Beteiligung<br />
an OEF als ein Handeln im Rahmen und nach<br />
den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit<br />
(Art. 24 Abs. 2 GG) gewertet werden kann, dürfte<br />
schwierig zu beantworten sein. Ferner stellt sich die Frage,<br />
warum ein mögliche Verletzung des Gewaltverbots 47<br />
als Überschreitung des im NATO-Vertrag angelegten<br />
Integrationsprogramms, also eine „ius ad bellum“-Frage,<br />
im Urteil thematisiert wird, wenn die rechtlichen Voraussetzungen<br />
von OEF nicht zu prüfen sind und allein die<br />
rechtlichen Voraussetzungen des ISAF-Einsatzes – der<br />
seit dem 20. Dezember 2001 ununterbrochen vom VN-<br />
Sicherheitsrat mit einem Kapitel VII-Mandat ausgestattet<br />
38
ist – für das Gericht im Kontext dieser Organklage maßgebend<br />
waren. Unbeantwortet geblieben ist schließlich<br />
auch die Frage, ob sich die Beteiligten auch sechs Jahre<br />
nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegen die<br />
USA aus völkerrechtlicher Sicht weiter auf das in Art. 51<br />
VN-Charta anerkannte Selbstverteidigungsrecht berufen<br />
dürfen, wie lange dies noch der Fall sein könnte und ob<br />
die Veränderung der Verhältnisse in Afghanistan, das inzwischen<br />
seit 2004 über ein gewähltes Parlament und eine<br />
gewählte Regierung verfügt, die Fortsetzung von OEF<br />
unabsehbar gestatten. Gerade die Möglichkeit der Weitergabe<br />
von bei Aufklärungsflügen mit Tornadoflugzeugen<br />
im Rahmen des ISAF-Einsatzes gewonnenen Bildern<br />
und Daten an OEF lässt es wünschenswert erscheinen,<br />
das auch der rechtliche Rahmen von OEF geprüft und<br />
bewertet worden wäre. Denn die Sicherheitslage in Afghanistan<br />
ist gefährlich, wobei die Urheber dieser Lage<br />
(Taliban und Unterstützer) wahllos Vertreter unterschiedlicher<br />
Organisationen und Nationen mit ihren Aktionen<br />
bedrohen, gefährden, verletzen und töten, wie es die<br />
aktuellen Ereignisse im Frühsommer 2007 nochmals<br />
bestätigt haben. Dabei sind es die Taliban, die entgegen<br />
dem Völkerrecht Kinder, Frauen und andere Zivilpersonen<br />
als menschliche Schutzschilde missbrauchen; dies ist<br />
der Grund, warum es in Afghanistan immer wieder zu<br />
zahlreichen zivilen Opfern kommt, nicht eine unverhältnismäßige<br />
Kampfführung der US-geführten Koalition<br />
Enduring Freedom. 48 Niemand bezweifelt, dass ein<br />
Wiedererstarken der Taliban und Ihrer Unterstützer auch<br />
zum Wohle der Sicherheit im euro-atlantischen Raum<br />
unbedingt verhindert werden muss. Gerade dies macht<br />
die Zusammenarbeit von ISAF und OEF, die zuletzt in<br />
VNSRR 1707 ausdrücklich vom Sicherheitsrat begrüßt<br />
und gefordert wurde, unverzichtbar; unverzichtbar ist<br />
aber dann auch eine rechtliche Bewertung der völker- und<br />
verfassungsrechtlichen Aspekte von OEF. Hier hinterlässt<br />
das Urteil leider eine Lücke.<br />
Thematisiert, aber nicht endgültig beantwortet werden<br />
kann derzeit auch die Frage, wie sich denn die tatsächliche<br />
Entwicklung in Afghanistan auf die Rechtslage im Einsatzgebiet<br />
und damit auf das Recht zur Kampfführung<br />
ausgewirkt hat, soweit es um die Wahrnehmung völkerrechtlicher<br />
Befugnisse (Zwangsmaßnahmen) im Rahmen<br />
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, vertreten<br />
durch die immer noch aktiven früheren de-facto-<br />
Herrscher der Taliban und ihrer Unterstützer (Al Qa’ida<br />
und Söldner) geht. Das Völkerrecht unterscheidet nämlich<br />
lediglich zwischen den Rechtszuständen Krieg und<br />
Frieden, beim Krieg als Synonym des bewaffneten Konflikts<br />
den internationalen und den nicht-internationalen<br />
bewaffneten Konflikt. Interne Konflikte sind vorwiegend<br />
nach nationalem Recht des betroffenen Staates, nicht<br />
nach völkerrechtlichen Vorgaben mit Ausnahme der<br />
Menschenrechtspakte zu bewältigen. Ein internationaler<br />
bewaffneter Konflikt setzt den Rechtszustand des Krieges<br />
zwischen mindestens zwei Staaten gegeneinander<br />
voraus; ist der Gegner auf der einen Seite kein Staat, kann<br />
denknotwendig kein internationaler bewaffneter Konflikt<br />
gegeben sein. Auf die Lage in Afghanistan bezogen haben<br />
diese Kriterien allenfalls auf die Zeit des ersten Jahres<br />
nach Beginn der Kampfhandlungen am 7. Oktober 2001<br />
gepasst:<br />
Als die Selbstverteidigungsaktionen der US-geführten<br />
Antiterror-Koalition begannen, herrschte nach den Angriffen<br />
gegen die USA am 11. September 2001 ein internationaler<br />
bewaffneter Konflikt zwischen den Staaten<br />
der US-geführten Koalition Enduring Freedom und dem<br />
de-facto-Regime der Taliban. 49 Die Amtseinführung des<br />
jetzigen Präsidenten Hamid Karzai als Vertreter einer Interimsregierung<br />
am 20.12.2001 hat diesen Rechtszustand<br />
sicher nicht sofort beendet, weil er mit seiner Interimsregierung<br />
zu dieser Zeit praktisch nur im Bereich Kabul<br />
und Umgebung herrschen konnte und die bewaffneten<br />
Auseinandersetzungen mit kämpfenden Taliban fortgesetzt<br />
wurden. Muss man aber nicht annehmen, dass nach<br />
Wahl und Konstituierung der afghanischen Regierung<br />
und des Parlaments, spätestens jedoch mit der Ausdehnung<br />
ihres Einflussbereichs auf ganz Afghanistan<br />
irgendwann zwischen 2003 und 2004 der internationale<br />
bewaffnete Konflikt mit den früher herrschenden Taliban<br />
beendet wurde? Einen bewaffneten Konflikt gab<br />
es auch danach; hat sich sein rechtlicher Charakter aber<br />
dann nicht in den eines nicht-internationalen bewaffneten<br />
Konflikts geändert, weil die Taliban nicht länger das<br />
39
Rechtsfragen des Auslandseinsatzes der bundeswehr<br />
Land als Regierung beherrschten? In diesem gelten aus<br />
völkerrechtlicher Sicht aber dann nicht mehr die Kampfführungsregeln<br />
des IV. Haager Abkommens mit seiner<br />
Anlage, der Haager Landkriegsordnung 50 und – für die<br />
Unterzeichnerstaaten, zu denen z. B. die USA und die<br />
Türkei nicht gehören – das Zusatzprotokoll I von 1977<br />
zu den vier Genfer Abkommen von 1977 (ZP I). 51 Statt<br />
dessen gelten in einem nicht-internationalen bewaffneten<br />
Konflikt nur die Martens’sche Klausel, wiedergegeben<br />
in Art. 1 Abs. 2 ZP I, der gemeinsame Art. 3 der vier<br />
Genfer Abkommen vom 12. August 1949 52 und – für die<br />
Unterzeichnerstaaten, zu denen wiederum die USA und<br />
die Türkei nicht gehören – das Zusatzprotokoll II zu den<br />
vier Genfer Abkommen von 1949 (ZP II). 53 Auch wenn<br />
in der Staatengemeinschaft zunehmend angesichts der<br />
großen Zahl nicht-internationaler bewaffneter Konflikte<br />
die Bereitschaft erkennbar geworden sein soll, den Anwendungsbereich<br />
vorhandener Verträge des Humanitären<br />
Völkerrechts auch auf nicht-internationale bewaffnete<br />
Konflikte auszudehnen, 54 insbesondere dann, wenn sich<br />
die Kampfhandlungen weiterhin wie solche in einem internationalen<br />
bewaffneten Konflikt darstellen, hängt dies<br />
von der entsprechenden Bereitschaft einzelner Staaten<br />
ab und führt in der Konsequenz zu einer Vermischung<br />
geltenden Völkerrechts mit freiwillig angewandtem Völkerrecht<br />
und damit zu einer Steigerung der Unübersichtlichkeit<br />
der bestehenden Rechtslage. Damit nicht genug<br />
hat sich die Rechtslage in Afghanistan im Verhältnis<br />
zwischen den Koalitionstruppen von OEF und den<br />
Taliban sowie ihren Unterstützern möglicherweise vorübergehend,<br />
nämlich bei entscheidender Schwächung der<br />
Taliban in den Jahren 2003/2004, hin zu einem internen<br />
Konflikt (anwendbar: afghanisches Recht) und nach Wiedererstarken<br />
der Taliban ab etwa 2006 zurück zu einem<br />
nicht-internationalen bewaffneten Konflikt entwickelt. In<br />
allen drei Rechtszuständen gelten unterschiedliche rechtliche<br />
Vorgaben für die Erlaubnis zum Einsatz militärischen<br />
Zwanges und den Status der eingesetzten Kräfte – diese<br />
Fragen sind bisher soweit ersichtlich nirgends abschließend<br />
thematisiert oder gar beantwortet. Sie sind aber<br />
entscheidend für die Einsatzdurchführung. Eine eindeutige<br />
Rechtslage gibt es mithin für die Durchführung der<br />
Operation Enduring Freedom nicht – insbesondere kann<br />
nicht angenommen werden, dass die Anschläge vom 11.<br />
September 2001 gegen die USA einen weltweiten „war<br />
on terror“ im Sinne eines internationalen bewaffneten<br />
Konflikts ausgelöst haben und weltweit die Wahrnehmung<br />
von Kampfführungsrechten wie im internationalen<br />
bewaffneten Konflikt gestatteten.<br />
VI.<br />
Sonstige offene Fragen<br />
Eine Fülle weiterer Fragen ist ebenfalls bisher nicht endgültig<br />
beantwortet: So sind die in der Eilentscheidung des<br />
Bundesverfassungsgerichts zum AWACS-Einsatz über<br />
der Türkei 2003 55 aufgeworfenen Fragen, wann deutsche<br />
Soldaten „in bewaffnete Unternehmungen einbezogen“<br />
sind oder ob und unter welchen Voraussetzungen ein<br />
Einsatz an der Grenze zu einem kriegsbefangenen Territorium,<br />
die Ausdehnung der Überwachung auf ein<br />
solches Territorium oder die mittelbare Einbeziehung in<br />
bewaffnete Unternehmungen einen zustimmungspflichtigen<br />
„Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ auslösen, immer<br />
noch ungeklärt. Dies gilt aus verfassungsrechtlicher Sicht<br />
auch für das in § 8 Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelte<br />
„Rückholrecht“ des Parlaments bei einem laufenden<br />
Einsatz, dem der Deutsche Bundestag früher zugestimmt<br />
hatte. Hierbei ist fraglich, ob dem Parlament, das bei Einsatzentscheidungen<br />
nur ein Mitwirkungsrecht, aber kein<br />
Initiativrecht hat, 56 ein solches Recht überhaupt zustehen<br />
kann, ob es insbesondere angesichts der verfassungsrichterlichen<br />
Vorgabe, der Zustimmungsvorbehalt sei ein<br />
Recht von Verfassungsrang, 57 in einem einfachen Bundesgesetz<br />
geregelt werden durfte oder ob die Entscheidungen<br />
im „vereinfachten Zustimmungsverfahren“ nach<br />
§§ 4 und 7 Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht einer einheitlichen<br />
Dokumentationspflicht unterliegen müssen.<br />
VII.<br />
Ausblick<br />
Jeder Auslandseinsatz unterliegt neuen, einmaligen rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen. Bereits das nationale Verständnis<br />
dieser Gegebenheiten kann zwischen den beteiligten<br />
Nationen sehr unterschiedlich sein. Sind aber<br />
– wie dargelegt – Lücken im nationalen Recht oder im<br />
Völkerrecht erkennbar, weil z. B. viele Fragen auch nach<br />
40
15 Jahren der deutschen Beteiligung an multinationalen<br />
Einsätzen im Ausland nicht geklärt sind oder eindeutige<br />
rechtliche Vorgaben für die militärischen Befugnisse<br />
bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus<br />
aufgrund entsprechender Lücken im Völkerrecht fehlen,<br />
erschwert dies die nationale Bewertung entsprechender<br />
Aktionen und auch den konkreten Einsatz, für den die<br />
eingesetzten Soldaten möglichst eindeutige Vorgaben benötigen.<br />
Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass<br />
aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts<br />
klargestellt ist, dass die verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit<br />
für die Beteiligung mit Soldaten an Auslandseinsätzen<br />
Bundesregierung und Parlament, nicht aber die<br />
eingesetzten Soldaten tragen. Einen feststehenden rechtlichen<br />
Rahmen für die Bekämpfung des internationalen<br />
Terrorismus gibt es nur im internationalen bewaffneten<br />
Konflikt – besteht dieser nicht oder nicht mehr, ist die<br />
rechtliche Lage weitgehend ungeklärt und lückenhaft.<br />
Wünschen wir uns von den handelnden Akteuren auf<br />
der internationalen und auf der nationalen Bühne die<br />
notwendige Entschlossenheit, so weit wie möglich für<br />
Klarheit zu sorgen.<br />
* Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder und wurde am 27.07.2007 beendet.<br />
1 Bundesministerium der Verteidigung, Presse- und Informationsstab, Einsätze der Bundeswehr im Ausland, Stand: 01.04.1999, S. 29 – 32<br />
2 BVerfGE 90, 286<br />
* Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder und wurde am 27.07.2007 beendet.<br />
1 Bundesministerium der Verteidigung, Presse- und Informationsstab, Einsätze der Bundeswehr im Ausland, Stand: 01.04.1999, S. 29 – 32<br />
2 BVerfGE 90, 286<br />
3 BVerfGE 88, 173 [184]<br />
4 BVerfGE 88, 173 [184]; BVerfGE 90, 286 [387 – 390]<br />
5 Die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) wurden von Bundesminister der Verteidigung Dr. Peter Struck am 21.05.2003 in Berlin vorgestellt. Nach Teil II, Ziffer 78 sind internationale<br />
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung – einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus – für die deutschen Streitkräfte auf absehbare Zeit die wahrscheinlichsten<br />
Aufgaben und beanspruchen die Bundeswehr in besonderem Maße. Abruf möglich unter http://www.bmvg.de/sicherheit/vpr.php, Link VPR (Abruf am 02.09.2004).<br />
6 Peter Dreist, Rules of Engagement in multinationalen Operationen – ausgewählte Grundsatzfragen, NZWehrr 2007, S. 45<br />
7 BVerfGE 104, 151<br />
8 Eilverfahren (Antrag zurückgewiesen): BVerfGE 108, 34; Hauptverfahren noch nicht zur Verkündung terminiert<br />
9 Entscheidung im Eilverfahren (Antrag zurückgewiesen): Beschluss v. 12.03.2007, Az: 2 BvE 1/07, abrufbar auch auf der homepage des Gerichts unter www.bverfg.de, Entscheidungen, Datum<br />
der Entscheidung, Aktenzeichen; Entscheidung im Hauptverfahren (selbes Az – Antrag verworfen): Beschluss v. 29.03.2007<br />
10 Entscheidung im Eilverfahren (Antrag zurückgewiesen): Beschluss v. 29.03.2007, Az: 2 BvE 2/07; Entscheidung im Hauptverfahren (Antrag zurückgewiesen): Urteil v. 03.07.2007<br />
11 BGBl. 2005 I (Nr. 17) v. 23.03.2005, S. 775 f.; § 96a der Geschäftsordnung des Bundestages, abrufbar unter www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/go_btg/go08.html<br />
12 Auf der Grundlage des Waffenstillstandsabkommens v. 27.07.1993, VN-Sicherheitsratsresolution (VNSRR)<br />
858 v. 24.08.1993, zuletzt verlängert mit VNSRR 1752 v. 13. April 2007, abrufbar auf der homepage der Vereinten Nationen unter www.un.org/docs, Jahrgang, Nr. der Resolution; vgl. ferner die<br />
Kabinettbeschlüsse vom 02.02. und 19.07.1994 sowie 01.04.1998<br />
13 NATO-Missionen IFOR (VNSRR 1031 v. 15.12.1995), BT-Drs. 13/3122, Zustimmung des Bundestages am 06.12.1995, SFOR (VNSRR 1088 v. 12.12.1996), BT-Drs. 13/6500, Zustimmung des<br />
Bundestages am 13.12.1996, und der SFOR-Folgeoperation (initiiert mit VNSRR 1147 v. 15.06.1998, mehrfach verlängert), BT-Drs. 13/10977, Zustimmung des Bundestages am 19.06.1998<br />
(galt bis zur Übernahme durch die EU-Operation Althea im Dezember 2004 – Bundestagsdrucksachen abrufbar auf der homepage des Bundestages unter www.bundestag.de, Dokumente,<br />
Drucksachen, Nr. der Drucksache eingeben)<br />
14 Nachfolgemission der Operationen IFOR, SFOR und SFOR-Folgeoperation (Fn. 13), initiiert mit VNSRR 1575 v. 22.11.2004, BT-Drs. 15/4245, Zustimmung des Bundestages v. 26.11.2004,<br />
zuletzt verlängert mit VNSRR 1722 v. 21.11.2006, BT-Drs. 16/3521, Zustimmung des Bundestages v. 30.11.2006<br />
15 VNSRR 1244 v. 10.06.1999, parlamentarischer Erstbeschluss: BT-Drs, 14/1133 v. 11.06.1999, derzeit gültig: BT-Drs. 16/5600, Zustimmung des Bundestages v. 21.06.2007. VNSRR 1244<br />
gestattet nur den Einsatz und die Wahrnehmung von Zwangsbefugnissen im Kosovo! Deshalb war für die Vorabstationierung von NATO-Kräften in Mazedonien (zunächst Kräfte für die Operationen<br />
EAGLE EYE und Extraction Force, dann auch die Bereitstellung eines ersten KFOR-Kontingents) seit Oktober 1998 eine Statusvereinbarungen der NATO mit Mazedonien erforderlich (mehrfach<br />
ergänzt und geändert), für die Nutzung des albanischen Territoriums durch KFOR der Erlass des albanischen Gesetzes Nr. 8470 und der Abschluss einer Statusvereinbarung zwischen Albanien<br />
und der NATO, für den Einsatz jenseits der Kosovo-Provinzgrenze auf dem Gebiet der früheren Republik Jugoslawien (später Serbien und Monenegro, jetzt Serbien) und die Nutzung der sog.<br />
„Ground Safety Zone“ und „Air Safety Zone“ der Abschluss des Military Technical Agreement v. 09.06.1999 zwischen COMKFOR und den Repräsentanten der serbischen Sicherheitskräfte.<br />
16 BT-Drs. 14/7296, Zustimmung des Bundestages am 16.11.2001, verbunden mit der Vertrauensfrage von Bundeskanzler Schröder nach Art. 68 Abs. 1 GG, BT-Drs. 14/7440 v. 13.11.2001;<br />
derzeit gültig: BT-Drs. 16/3150, Zustimmung des Bundestages v. 10.11.2006<br />
41
Rechtsfragen des Auslandseinsatzes der bundeswehr<br />
17 VNSRR 1386 v. 20.12.2001, mehrfach erweitert und verlängert, zuletzt mit VNSRR 1707 v. 12.09.2006; BT-Drs. 14/7930, Zustimmung des Bundestages am 22.12.2001, derzeit gültig: BT-Drs.<br />
16/2573, Zustimmung des Bundestages v. 28.09.2006, erweitert durch BT-Drs. 16/4298, Zustimmung des Bundestages v. 09.03.2007 zum zusätzlichen Einsatz von Tornadoaufklärungsflugzeugen<br />
mit bis zu 500 Soldaten<br />
18 Waffenstillstandsabkommen v. 18.06.2000 (Algiers), VNSRR 1312 v. 31.07.2000, zuletzt verlängert mit VNSRR 1741 v. 30.01.2007, Kabinettbeschluss v. 28.01.2004<br />
19 VNSRR 1401 v. 28.03.2002, zuletzt verlängert mit VNSRR 1746 v. 23.03.2007<br />
20 Waffenstillstandsabkommen von N’Djamena v. 08.04.2004, Vereinbarung von Addis Abeba v. 28.05.2004, VNSRR 1556 v. 30.07.2004, BT-Drs. 15/4227, Zustimmung des Bundestages am<br />
03.12.2004, zuletzt verlängert mit BT-Drs. 16/5436, Zustimmung des Bundestages v. 14.06.2007<br />
21 Nairobi Friedensabkommen v. 09.01.2005, VNSRR 1590 v. 24.03.2005, zuletzt verlängert mit VNSRR 1755 v. 30.04.2007; BT-Drs. 15/5265, Zustimmung des Bundestages v. 22.04.2005,<br />
zuletzt verlängert mit BT-Drs. 16/4861, Zustimmung des Bundestages v. 27.03.2007<br />
22 VNSRR 425 und 426, beide v. 19.03.1978 (!), erweitert u. a. um die Marinekomponente mit VNSRR 1701 v. 11.08.2006, BT-Drs. 16/2572, Zustimmung des Bundestages v. 20.09.2006<br />
23 BVerfGE 90, 286 (387 – 390)<br />
24 Dies ergibt sich aus den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, dass Einsätze bewaffneter Streitkräfte einerseits der – grundsätzlich vorherigen – konstitutiven Zustimmung des<br />
Bundestages bedürfen (BVerfGE 90, 286, Leitsatz 3 a. und S. 387) und andererseits die Verwendung von Personal der Bundeswehr (nur) für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland dieser<br />
Zustimmung nicht bedürfen, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (BVerfGE 90, 286 [388]). Dabei ist der konstitutive Parlamentsvorbehalt in der<br />
Begründung auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (BVerfGE 90, 286 [383]; 108, 34 [43])<br />
25 BVerfGE 108, 34 [43]; vgl. auch Christof Gramm, Militärische Routine oder bewaffneter Einsatz, UBWV 2003, S. 161 ff.; Dieter Wiefelspütz, Der Einsatz der Streitkräfte und die konstitutive<br />
Beteiligung des Bundestages, NZWehrr 2003, S. 133 ff.; Peter Dreist, AWACS-Einsatz ohne Parlamentsbeschluss? ZaöRV 2004, S. 1001 ff.<br />
26 GUS – Gemeinschaft unabhängiger Staaten; englisch: CIS – Commenwealth of Independant States; gemeint sind die Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion<br />
27 Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen (DVParl) e. V., Protokoll des Forums vom 4.6.2003 zum Thema „Auslandseinsätze der Bundeswehr zwischen Parlaments- und Regierungsinteresse<br />
– Probleme eines Entsendegesetzes –“ (kurz: DVParl-Protokoll v. 9.6.2003), MdB Nachtwei, S. 21 und MdB Bartels, S. 32<br />
28 „Deutschland muss Kurs halten in Afghanistan“, FAZ v. 25.07.2007, S. 1; „Der Westen muss in Afghanistan durchhalten“, SZ v. 25.07.2007, S. 1; Bundesregierung bekräftigt deutsches<br />
Engagement in Afghanistan, Handelsblatt v. 25.07.2007, S. 3; Merkel hält an deutschem Afghanistan-Kurs fest, Berliner Zeitung v. 25.07.2007, S. 6;<br />
29 Urteil auf die Organklage der Fraktion PDS/Die Linke im Deutschen Bundestag wegen angeblich unzulässiger Beteiligung der Bundesregierung an einer konsensualen Fortentwicklung des<br />
NATO-Vertrages ohne Beteiligung des Deutschen Bundestages durch Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und durch Beteiligung am erweiterten ISAF-Mandat vom 09.03.2007<br />
(Tornado-Einsatz – BT-Drs. 16/4298), Urteil v. 03.07.2007, Az: 2 BvE 2/07, Internetversion abrufbar auf www.bverfg.de (vgl. Fn. 10)<br />
30 vgl. bereits BVerfGE 104, 151 [160 ff.]; Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 55<br />
31 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 61<br />
32 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 67<br />
33 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 74<br />
34 Rechtsgrundlage: Kapitel VII-Mandat der VN, zuletzt mit VNSRR 1707 v. 12.09.2006<br />
35 Rechtsgrundlage: Art. 51 VN-Charta (Selbstverteidigung), Art. 5 des NATO-Vertrages (bisher einziger Fall der Feststellung des Bündnisfalles)<br />
36 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 82<br />
37 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 83<br />
38 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 84<br />
39 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 43<br />
40 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 63<br />
41 Christian Tietje, Karsten Nowrot, Völkerrechtliche Aspekte militärischer Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus, NZWehrr 2002, S. 1 ff; Christian Fischer, Andreas Fischer-<br />
Lescano, Enduring Freedom für Entsendebeschlüsse? Völker- und verfassungsrechtliche Probleme der deutschen Beteiligung an Maßnahmen gegen den Internationalen Terrorismus, KritV<br />
2002, S. 113 ff.; Carsten Stahn, International Law at a Crossroads? – The Impact of September 11, ZaöRV 2002, S. 183 ff.; Wolff Heintschel von Heinegg/Tobias Gries, Der Einsatz der Deutschen<br />
Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, AVR 2002, S. 145 ff.; Dieter Wiefelspütz, Sicherheit vor den Gefahren des internationalen Terrorismus durch den Einsatz der Streitkräfte?<br />
NZWehrr 2003, S. 45 ff.; Karsten Nowrot, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gegen den internationalen<br />
Terrorismus, NZWehrr 2003, S. 65 ff.; Peter Dreist, Terroristenbekämpfung als Streitkräfteauftrag – zu den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns der Bundeswehr im Innern,<br />
Der Kriminalist 2003, S. 349 ff. = NZWehrr 2004, S. 89 ff.<br />
42 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 66<br />
43 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 15<br />
44 BT-Drs. 14/7296 (Fn. 16), Ziffer 1<br />
45 BT-Drs. 14/7296 (Fn. 16), Ziffer 2<br />
46 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 76<br />
47 Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 74<br />
48 AFP-Meldung v. 26.07.2007 „Italiens Außenminister für Ende der OEF-Mission in Afghanistan – Washington weist D’Alemas Äußerungen zurück“; Italiens Außenminister für Ende der Mission<br />
Enduring Freedom, Der Tagesspiegel v. 27.07.2007, S. 6; Rom kritisiert Anti-Terror-Einsätze in Afghanistan, SZ v. 27.07.2007, S. 8. Danach soll der italienische Außenminister Massimo D’Alema<br />
geäußert haben, zivile Opfer seien unter moralischen Gesichtspunkten „nicht akzeptabel“ und „politisch desaströs“. Durch Überlagerung der beiden Missionen OEF und ISAF entstünden „sehr<br />
häufig“ Abstimmungsschwierigkeiten mit Risiken für die Zivilbevölkerung. US-Außenamtssprecher Sean McCormack habe Taliban und El Kaida für die zivilen Opfer in Afghanistan verantwortlich<br />
gemacht. Diese benutzten „unschuldige Zivilisten, darunter Kinder, als menschliche Schutzschilde“ gegen Angriffe. Die OEF- und die ISAF-Mission seien getrennte, sich aber ergänzende<br />
Missionen mit unterschiedlichen Aufgaben in verschiedenen Landesteilen Afghanistans.<br />
49 Vgl. Norbert B. Wagner, Zum Anwendungsbereich des Humanitären Völkerrechts, BWV 2007, S. 121 ff. [124]<br />
50 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges (IV. Haager Abkommen), RGBl. 1910 S. 107 mit Anlage zum Abkommen Ordnung der Gesetze und Gebräuche des<br />
Landkrieges (Haager Landkriegsordnung – HLKO), RGBl. 1910 S. 132<br />
51 Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I – ZP I) vom 10. Juni 1977, BGBl. 1990 II S.<br />
1551<br />
52 BGBl. 1954 II S. 783 ff.<br />
53 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II – ZP II) vom 10. Juni 1977, BGBl. 1990 II<br />
S. 1637<br />
54 Norbert B. Wagner (Fn. 49), S. 123<br />
55 BVerfGE 108, 34 [43]<br />
56 BVerfGE 68, 1 [86]; 90, 286 [389]; 104, 151 [194]; Urteil v. 03.07.2007 (Fn. 10), Nr. 40<br />
57 BVerfGE 90, 286 [390]<br />
42
Militärseelsorge im Auslandseinsatz<br />
Text:<br />
Ev. Militärbischof Peter Krug<br />
Einleitung<br />
Am Nachmittag des 19. Mai 2007 verübt ein afghanischer<br />
Selbstmordattentäter auf dem belebten Markt der nordafghanischen<br />
Stadt Kunduz einen Sprengstoffanschlag<br />
auf eine deutsche Fußpatrouille. Drei Bundeswehrsoldaten<br />
und sieben afghanische Zivilisten kommen ums Leben.<br />
Ein einheimischer Dolmetscher und etliche deutsche<br />
Soldaten werden zum Teil schwer verletzt, ebenso viele<br />
Afghanen, die sich in unmittelbarer Nähe befanden.<br />
Die OPZ im Einsatzführungskommando in Potsdam<br />
setzt umgehend die Vertreter des evangelischen und katholischen<br />
Kirchenamtes über den Anschlag in Kenntnis<br />
und nennt die Namen und die Heimatstandorte der Getöteten.<br />
Die benachrichtigten Seelsorger und Vorgesetzten<br />
haben die schwere Aufgabe, die Familien zu informieren.<br />
Zugleich treten sie einen Wettlauf mit der Zeit an. Die<br />
Familien sollen vom Unglück und vom Tod Ihrer Angehörigen<br />
keineswegs durch die Medien erfahren.<br />
Währenddessen werden die Angehörigen der Kontingente<br />
von unseren Pfarrern vor Ort betreut. Trauer, Angst<br />
und ein Gefühl von Ohnmacht liegen in einer solchen Situation<br />
lähmend über dem Lager. Gut, dass ein Seelsorger<br />
da ist, mit dem man über alles reden kann.<br />
Vier Tage später überführt die Bundeswehr die drei Getöteten<br />
nach Köln-Wahn. Die Trauerfeier findet in einer<br />
großen Halle auf dem militärischen Teil des Flughafens<br />
Köln-Bonn statt. Vorne in der riesigen Halle sind die drei<br />
Särge aufgebahrt, flankiert von jeweils sechs Soldaten und<br />
Soldatinnen als Ehrenwache. Daneben stehen vergrößerte<br />
Photos der Getöteten, umgeben von Kränzen.<br />
Angehörige und Kameraden aus Deutschland haben sich<br />
in die aufgestellten Stuhlreihen gesetzt. Heerscharen von<br />
Pressevertretern warten. Das Unglück in Kunduz hat eine<br />
Welle der Teilnahme in Deutschland ausgelöst.<br />
Der Bundesminister und wir beiden Militärbischöfe<br />
begleiten die engsten Familienangehörigen bei ihrem<br />
schweren Weg.<br />
Peter Krug<br />
Frauen, Kinder, Väter und Mütter treten das erste Mal<br />
vor die Särge ihrer toten Angehörigen. Und manch einer<br />
begreift vielleicht erst jetzt die ganze Härte und Tragweite<br />
des Vorgefallenen.<br />
Bischof Dr. Mixa und ich bemühen uns, in Gebet und<br />
Segenswort Trost und Ermutigung zuzusprechen, bevor<br />
die Särge unter Trommelwirbel aus der Halle getragen<br />
werden. Auch wir haben in dieser Stunde mehr Fragen<br />
als Antworten.<br />
Auslandseinsatzbegleitung<br />
Mit dem Ende des Kalten Krieges veränderte sich das<br />
Einsatzspektrum der Bundeswehr. Aus der Landesverteidigungsarmee<br />
wurde zunehmend eine Einsatzarmee.<br />
War der Auftrag unserer Seelsorger bis Anfang der 90-er<br />
Jahre vor allem standortgebunden – mit Ausnahme von<br />
Übungsplatzaufenthalten und beliebten Rüstzeiten – entsenden<br />
wir gegenwärtig jedes Jahr aufgrund der Viermonatseinsätze<br />
bis zu einem Drittel unserer 110 Pfarrer und<br />
Pfarrerinnen in die Auslandseinsatzgebiete.<br />
Allein diese Zahl macht deutlich, dass von allen Konsequenzen<br />
der Transformation der Bundeswehr, die von<br />
43
Militärseelsorge im auslandseinsatz<br />
den Soldaten gewünschte Begleitung der Auslandseinsätze<br />
durch unsere Geistlichen die weitreichendsten Folgen<br />
für Organisation und Aufgabe der Militärseelsorgen<br />
haben.<br />
Schon bei Einstellungsgesprächen werden Bewerber und<br />
Bewerberinnen auf Pfarrstellen in der Militärseelsorge<br />
darauf hingewiesen, dass sie mit zwei Auslandseinsätzen<br />
während ihres Grunddienstverhältnisses von sechs Jahren<br />
rechnen müssen.<br />
Was bedeutet dies im Einzelnen?<br />
In einer Gesprächsrunde im August letzten Jahres fragte<br />
unser Referatsleiter für die Auslandseinsatzbegleitung<br />
Soldatinnen und Soldaten im Kosovo: „Wozu ist der<br />
Pfarrer im Auslandseinsatz eigentlich da?“<br />
Die Antworten lauteten: „Als Vermittler!“, „Als total<br />
wichtiger Seelsorger im Umgang mit Trauernden“, „Als<br />
Halt, wenn Leute Probleme haben!“, „Als Ruhepol!“,<br />
„Als neutraler Mensch, mit dem ich zu jeder Zeit reden<br />
kann, ohne mich zu verstellen“, „Als Gegengewicht zum<br />
dienstlichen Angespannt-Sein“ und: „Allein zu wissen,<br />
dass ein Pfarrer da ist, ist für mich wichtig!“.<br />
Diese Reaktionen zeigen: Für die Soldatinnen und Soldaten<br />
ist das Kerngeschäft des Pfarrers im Auslandseinsatz<br />
die Seelsorge.<br />
Natürlich sind unsere Pfarrer vor allem gefordert, wenn<br />
es Tote gibt. Aber auch unabhängig davon sind Soldaten<br />
im Auslandseinsatz vielen Belastungen und Anforderungen<br />
ausgesetzt. Nicht wenige sehen sich schließlich<br />
doch von Problemen zu Hause eingeholt, vor denen sie<br />
vielleicht eine Zeitlang entfliehen wollten. Die einsatzbedingte<br />
Trennung von nahen Menschen will bewältigt sein.<br />
Aber auch das dienstliche Zusammenleben auf engem<br />
Raum, weithin ohne Rückzugsmöglichkeiten, verlangt viel<br />
Disziplin.<br />
Doch wer den Soldatinnen und Soldaten seelsorgerlich<br />
beistehen will, muss mehr sein als ein Gast mit Passierschein<br />
für die Wache. Er muss dazugehören. Wer trösten<br />
will, muss Container an Container, Zelt an Zelt mit den<br />
Soldatinnen und Soldaten leben und arbeiten, sich den<br />
gleichen Bedingungen von Klima, Verpflegung, Hygiene<br />
und Gefährdungen stellen.<br />
Doch indem sich die Pfarrer und Pfarrerinnen den annähernd<br />
gleichen Lebensverhältnissen stellen, entsteht<br />
erfahrungsgemäß die Grundlage seelsorgerlicher Zuwendung.<br />
Das Beichtgeheimnis und – in der Regel – eine gute<br />
Portion Vertrauensvorschuss bilden weitere günstige Voraussetzungen.<br />
Das gemeinsame Bier am Abend gehört<br />
ebenfalls dazu.<br />
Vor allem aber profitieren unsere Pfarrer davon, dass sie<br />
nicht in die militärische Hierarchie eingebunden sind. Sie<br />
tragen zwar im Auslandseinsatz einen Schutzanzug. Doch<br />
das Fehlen eines Dienstgradabzeichens auf der Schulter<br />
unterstreicht ihre Unabhängigkeit. Sie können mit jedermann<br />
auf Augenhöhe reden und sind geschätzte Vermittler<br />
im Konfliktfall. Solidarität und Unabhängigkeit<br />
gehören zusammen in der Seelsorge.<br />
Die Väter des Militärseelsorgevertrages, dessen 50. Jahrestag<br />
der Unterzeichnung unter anderem durch Konrad<br />
Adenauer und Bischof Dibelius wir am 22. Februar 2007<br />
in einem Flugzeughangar in Köln-Wahn gemeinsam mit<br />
der Bundeskanzlerin Dr. Merkel, Verteidigungsminister<br />
Dr. Jung und dem Ratsvorsitzenden Bischof Dr. Huber<br />
begangenen haben, wollten keine Neuauflage des Soldatenpfarrers<br />
in Uniform und mit Offiziersrang.<br />
Die Geistlichen sollten zwar aufgrund des sicherheitsempfindlichen<br />
Umfeldes einer Kaserne im staatlichen<br />
Loyalitätsverhältnis des Beamten stehen und sollten mit<br />
der Alltagswelt ihrer Soldaten und Soldatinnen vertraut<br />
sein – deshalb keine Soldatenseelsorge nur im Nebenamt.<br />
Doch sie sollen ihren Dienst im Auftrag und unter Aufsicht<br />
der Kirche leisten. So Absatz I des Militärseelsorgevertrages:<br />
„Die Militärseelsorge als Teil der kirchlichen<br />
Arbeit wird im Auftrag und unter der Aufsicht der Kirche<br />
ausgeübt.“<br />
44
Wir können heute nach 50 Jahren bilanzieren:<br />
Die Pfarrer und Pfarrerinnen werden als Seelsorger geschätzt<br />
und in Anspruch genommen wegen ihrer Unabhängigkeit,<br />
die sie sich bei aller gelebter Nähe und Loyalität<br />
ihrer Gemeinde gegenüber zu bewahren haben.<br />
Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes<br />
Oberst Gertz formulierte es in einem Grußwort zu unserem<br />
Jubiläum folgendermaßen: „Es sind die Soldatinnen<br />
und Soldaten, ihre Angehörigen und Familien, die angesichts<br />
der durch Transformation und Auslandseinsatz geprägten,<br />
veränderten Rahmenbedingungen und Lebensumstände<br />
zunehmend einer zusätzlichen, besonderen<br />
Betreuung bedürfen. Die Militärseelsorge trägt maßgeblich<br />
dazu bei, dass der „Mensch in der Transformation“<br />
die ihm auferlegten Belastungen zu schultern vermag. Sie<br />
wird als unabhängige Institution um Hilfe und Unterstützung<br />
in einem Bereich gebeten, auf dem der Rat von<br />
Vorgesetzten, Ärzten und Sozialfürsorgern regelmäßig<br />
nicht gesucht wird.“<br />
Sinnfragen<br />
Nach meinen Dienstreisen ins Kosovo und nach Afghanistan<br />
habe ich unsere Pfarrer und die deutschen<br />
EUFOR-Soldaten in den Feldlagern Rajlovac und Butmir<br />
besucht.<br />
Ich erinnere mich noch besonders an ein Gespräch mit<br />
Vertrauensleuten, Kompaniefeldwebeln und Kompaniechefs<br />
in der „Oase“ in Rajlovac. Zuerst kam die Diskussion<br />
nicht recht in Gang. Schließlich taute die Runde auf,<br />
und es sprudelte richtig aus den Teilnehmern heraus:<br />
Auslandsverwendungszuschlag, Besoldung im internationalen<br />
Vergleich, Belastung der Familien, Transportprobleme<br />
etc.<br />
Vor allem aber wurde auch nach dem Sinn der Bosnieneinsätze<br />
gefragt. Warum stehen wir immer noch hier?<br />
Was nützt unsere Präsenz?<br />
Fragen, die auftreten, wenn Angehörige eines Kontingents<br />
das 3. oder 4. Mal in einem Einsatzland Dienst tun<br />
und sie den Eindruck haben, es geht nicht weiter, wenn<br />
die Einheimischen selber nicht an eine Zukunft ihrer<br />
Region glauben bzw. die Politik die gewonnene Zeit nicht<br />
nutzt.<br />
„Allein in Kundus“, lautete ein Artikel in der Hamburger<br />
ZEIT vom 6. Juni 2007, in dem sehr genau die immer<br />
schwieriger werdende Situation der deutschen Soldaten<br />
im Norden Afghanistans beschrieben wird.<br />
Und es wird gefragt: Kann man noch an das Ziel des<br />
nationalen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus glauben,<br />
wenn sich die Bevölkerung mehr und mehr wieder den<br />
Talibankräften zuzuwenden scheint? Hinzu kommt das<br />
hohe Risiko: „Jeder denkt an Tod und Verstümmelung.<br />
Das gibt aber keiner gern preis“, räumte ein Fallschirmjägersoldat,<br />
dessen Bataillon vor dem Einsatz in Afghanistan<br />
steht, vor kurzem gegenüber der Frankfurter Sonntagszeitung<br />
ein. In der Tat: Die Rolle des Soldaten in den<br />
letzten 15 Jahren ist deutlich komplexer geworden.<br />
Und mit der Aufhebung der Beschränkung auf die unmittelbare<br />
Landesverteidigung und die Schwerpunktsetzung<br />
bei Auslandseinsätzen stellt sich für die Angehörigen der<br />
Bundeswehr immer wieder die Frage nach dem Sinn und<br />
der Notwenigkeit einzelner militärischer Maßnahmen<br />
bzw. ganzer Einsätze.<br />
Zentrale Fragen sind dabei:<br />
–– Was ist – ich habe besonders die Situation in<br />
Afghanistan vor Augen – die angemessene Zielebene<br />
bei der Stabilisierung bestimmter Staaten, beim so<br />
genannten Nation- und Statebuilding?<br />
–– Woran messen wir den Erfolg?<br />
–– Das Ziel, den Rechtsstaat und die Demokratie zu fördern,<br />
ist zum Teil weit von der<br />
–– Realität entfernt. Da brauchen wir ein angemessenes<br />
Niveau. Welches ist dies?<br />
–– Bei welchen Risiken und Bedrohungen kann die<br />
Bundeswehr überhaupt noch etwas ausrichten und<br />
wo nichts?<br />
45
Militärseelsorge im auslandseinsatz<br />
Vor diesem Hintergrund wird die Erwartung nachvollziehbar,<br />
dass die Pfarrer auch Auskunft geben können<br />
in solchen, das Individuelle überschreitenden Fragen.<br />
Unsere Seelsorger sollen vor Ort sein. Sie sollen Trauer<br />
und Ängste verstehen und Freude teilen. Sie sollen ihre<br />
Gesprächspartner dort abholen, wo sie innerlich stehen.<br />
Aber sie sollen auch informiert und diskussionsfähig sein.<br />
Und sie und ihr Bischof sollen Anwalt sein für die Sorgen<br />
der Soldatinnen und Soldaten. Auf allen Ebenen! Dieser<br />
Aufgabe kommen wir gern nach.<br />
Dazu möchte ich als evangelischer Militärbischof jedoch<br />
Folgendes ergänzen: Wenn Fürsprache im Interesse der<br />
Soldaten fruchtbar sein soll – gerade im Bereich der Politik<br />
–, werden die Gespräche in der Stille stattfinden, ohne<br />
Presserummel, sondern hinter verschlossenen Türen.<br />
Ich pflege im Hinblick auf mich selbst zu sagen: Ich bin<br />
Militärseelsorgebischof, nicht etwa Militärpolitikbischof.<br />
Mein Anliegen ist die Seelsorge.<br />
Gewissensfragen<br />
Nun geht es in unserer Seelsorge in der Bundeswehr in<br />
Transformation nicht nur um die Lasten der Trennung<br />
von daheim. Oder um die unmittelbare Konfrontation<br />
von Soldaten und Soldatinnen mit Tod und Verwundung.<br />
Sondern es geht auch um die nicht beneidenswerte Lage<br />
derer, die in Politik und Militär Entscheidungen zu treffen<br />
haben, wie politischem Extremismus und religiösem Fundamentalismus,<br />
die weder durch die Bibel noch durch den<br />
Koran zu rechtfertigen sind, so angemessen und wirksam<br />
wie möglich begegnet werden kann.<br />
Vor allem ist es die besondere Bürde des Soldatenberufs,<br />
den Frieden notfalls mit den Mitteln der Gewalt erhalten<br />
oder wiederherstellen zu müssen. Es ist gerade die<br />
Verantwortung dieses Standes, zuweilen gegebenenfalls<br />
nur zwischen dem einen oder anderen Übel entscheiden<br />
zu können. Natürlich finden Gespräche über diese Verantwortung<br />
des Soldatenberufs, den Frieden notfalls mit<br />
den Mitteln der Gewalt erhalten oder wiederherstellen zu<br />
müssen, nicht jeden Tag statt. Im normalen Betriebsablauf<br />
werden mehr andere Fragen und Sorgen diskutiert.<br />
Dennoch werden sie nicht ausgeklammert, sondern treten<br />
immer wieder an den Tag.<br />
In meiner Predigt in unserem Festgottesdienst zum 50-<br />
jährigen Jubiläum des Militärseelsorgevertrages habe ich<br />
deshalb von einer „stellvertretenden Nachdenklichkeit“<br />
der Militärseelsorgen gesprochen, die in kritischer Solidarität<br />
für den Einzelnen und das Ganze Verantwortung<br />
übernimmt.<br />
Und ich habe auf einen wichtigen Satz des ehemaligen<br />
Militärgeneraldekan Reinhard Gramm verwiesen, der<br />
über die „Macht und Verantwortung des militärischen<br />
Führers“ sehr Hilfreiches gesagt hat, was aber für politisch<br />
und kirchlich verantwortliche Schwestern und Brüder<br />
entsprechend gelten kann:<br />
„Er wird auch in diesen Strudeln eine Entscheidung vor<br />
Gott treffen müssen, eine Entscheidung, die ihm kein<br />
Mensch abnehmen kann, die möglicherweise sogar nicht<br />
die richtige sein kann. Zugleich aber darf er sich trösten,<br />
dass Gott diese seine Entscheidung kennt und weiß, dass<br />
er sich auch in dieser schweren Stunde von Gottes Treue<br />
umgeben sieht, die ihn nicht fallen oder untergehen lässt.<br />
Er wird als Christ kein gutes, aber ein getröstetes Gewissen<br />
haben dürfen.“<br />
Schluss<br />
Die Losung der Evangelischen Militärseelsorge für ihren<br />
Dienst in der Bundeswehr ist das Wort „Domini sumus“:<br />
Wir sind des Herrn.<br />
Dazu wird folgende schöne Begebenheit erzählt:<br />
Als Martin Luther mit Philipp Melanchthon in einem<br />
Kahn über die Elbe setzen wollte, versuchte der bedächtige<br />
Melanchthon seinen Freund von der Überfahrt<br />
abzuhalten. Der Fluss führte Hochwasser. Doch Luther<br />
sprang ins Boot mit dem Ruf: Domini Sumus.<br />
46
Eine Neubegründung der Inneren Führung?<br />
Soldatenprofil und Einsatzerfahrung<br />
Text:<br />
Brigadegeneral Robert Bergmann<br />
Die Innere Führung gibt es seit einem halben Jahrhundert.<br />
In eine Vorschrift ist sie 1972 gefasst worden 1 , die<br />
bislang nur einmal, nämlich 1993, durch eine Neubearbeitung<br />
ersetzt worden ist 2 . Allein dies verleiht der Inneren<br />
Führung eine beachtliche Kontinuität. Zwischenzeitlich<br />
hat sich aber die Weltlage erheblich verändert. Dabei<br />
unterlagen mit der Position der Bundesrepublik auch<br />
die Anforderungen an die Bundeswehr einem spürbaren<br />
Wandel – Grund also für eine Neubegründung der Inneren<br />
Führung?<br />
Eine Antwort auf diese Frage sollte zunächst einmal die<br />
Stellung der Inneren Führung in der Bundeswehr in den<br />
Blick nehmen sowie die Grundzüge der Konzeption, so<br />
wie sie zuletzt Anfang der 90er Jahre Gestalt gewonnen<br />
haben. In einem weiteren Schritt werden die Besonderheiten<br />
heutiger Einsätze zusammen mit dem damit<br />
korrespondierenden Soldatenprofil skizziert. Dies soll abschließend<br />
zu einer Antwort auf die Ausgangsfrage nach<br />
einer Neubegründung der Inneren Führung verhelfen.<br />
Die Position der Inneren Führung in der Bundeswehr<br />
wird wesentlich bestimmt durch das, was sie für die Streitkräfte<br />
leisten soll. Hier gilt es hervorzuheben, dass es<br />
sich bei diesem Konzept um eine militärische Führungskonzeption<br />
handelt, die insbesondere den Menschen im<br />
Vordergrund sieht mit seinen sozialen und individuellen<br />
Aspekten, die in besonderer Weise diese Konzeption<br />
kennzeichnen und die den Vorgesetzten nachdrücklich in<br />
die Pflicht nimmt. Nach der Definition, wie sie in der heute<br />
geltenden Vorschrift zu finden ist, ist Innere Führung<br />
der Auftrag zur Umsetzung der Normen und Werte des<br />
Grundgesetztes, mit dem Ziel einsatzbereiter Streitkräfte.<br />
Genau dies muss durchaus in Anknüpfung an Wolf Graf<br />
von Baudissin immer wieder deutlich gemacht werden,<br />
wenn man über diese Konzeption spricht: Ihre Zielsetzung<br />
sind einsatzbereite Streitkräfte, und damit hängt die<br />
Verwirklichung des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform<br />
in dem freiheitlichen Rechtsstaat der Bundesrepublik<br />
eng zusammen 3 . Wer die Demokratie und ihre Werte<br />
verteidigt, muss diese Herrschaftspraxis und diese Werte<br />
auch im soldatischen Alltag erleben können, und wer für<br />
Robert Bergmann<br />
die Würde des Menschen einsteht, muss sie auch selbst<br />
erfahren. Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform mit<br />
den drei Komponenten, die nach wie vor die Aufgabenstellung<br />
des Gründungserlasses von 1953 spiegeln: engagierter,<br />
aus Eigenverantwortung handelnder Staatsbürger,<br />
einsatzbereiter Soldat und freie Persönlichkeit 4 – dieses<br />
Leitbild ist kein Begriff aus der Militärromantik, sondern<br />
ein juristischer Begriff, der zum Ausdruck bringt, dass die<br />
Soldaten der Bundeswehr die Rechte eines Staatsbürgers<br />
haben, dass sie diese wahrnehmen können und dass es<br />
in der Bundesrepublik Institutionen gibt, über die diese<br />
Rechte nötigenfalls auch eingeklagt werden können. General<br />
a.D. Ulrich de Maizìere, ein früher Begleiter der Inneren<br />
Führung und in seiner Amtszeit als Generalinspekteur<br />
deren Förderer, hat in einer Rede kürzlich das Wort<br />
vom »Staatsbürger mit der Waffe« aufgegriffen 5 , was den<br />
Staatsbürger in Uniform als den Staatsbürger aufweist,<br />
der befugt ist, die Waffen zu führen. Mit dieser Wendung<br />
wird noch deutlicher, welche große Verantwortung ihm<br />
auferlegt wird und welche Bedeutung auch Moral und<br />
Ethik für den Soldaten haben.<br />
Diese Beschreibung des einsatzfähigen, weil in der freiheitlichen<br />
Rechtsordnung verwurzelten Soldaten, auf den<br />
1 ZDv 10/1 »Hilfen für die Innere Führung« (August 1972).<br />
2 ZDv 10/1 Innere Führung (Februar 1993).<br />
3 Vgl. dazu u.a. das unter der Verantwortung von Wolf Graf von Baudissin zusammengestellte Handbuch Innere Führung. Hilfen zur Klärung der Begriffe. Hrsg. vom Bundesministerium für<br />
Verteidigung, Bonn 1957, hier S. 17-46 den Abschnitt »Situation und Leitbild«, besonders S. 17; vgl. dazu ZDv 10/1 Innere Führung (Februar 1993), Ziff. 201-203.<br />
4 ZDv 10/1 Innere Führung (Februar 1993), Ziff. 203; BA-MA, BW 9/411, fol. 24, Dienststelle Blank, Regelung der ‹Inneren Führung›, 10.1.1953.<br />
5 Mündliche Mitteilung von General a.D. de Maizìere an den Verfasser.<br />
47
Eine Neubegründung der Inneren Führung? Soldatenprofil und Einsatzerfahrung<br />
die Innere Führung abzielt und die darum eine zentrale<br />
Position in der Bundeswehr beanspruchen kann, ist unter<br />
den Bedingungen des Kalten Krieges formuliert worden.<br />
Dieser Konflikt liegt nun schon geraume Zeit zurück. Im<br />
Folgenden werden – ohne Anspruch auf eine umfassende<br />
Darlegung – einige Aspekte des seither die Bundeswehr<br />
betreffenden Wandels beleuchtet, die namentlich auch die<br />
Innere Führung angehen und ihre Leistungsfähigkeit auf<br />
den Prüfstand stellen.<br />
Wenn heute die Beziehung von <strong>Gesellschaft</strong> und Militär<br />
betrachtet wird, dann fällt eine neuartige Inkongruenz<br />
ins Auge: Vor eineinhalb Jahrzehnten gab es noch eine<br />
territoriale Kongruenz zwischen dem Einsatzraum der<br />
Streitkräfte und dem Lebensraum der deutschen Bevölkerung.<br />
Diese territoriale Kongruenz hat sich verändert, der<br />
Einsatzraum der Streitkräfte hat sich in entfernte Länder<br />
und Kulturkreise verlagert, der Lebensraum ist um einige<br />
Bundesländer erweitert, aber sonst gleich geblieben. Das<br />
bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die <strong>Gesellschaft</strong>.<br />
Die »Schicksalsgemeinschaft« von ehedem hat sich heute,<br />
wenn man genau hinschaut, fast reduziert auf die<br />
Familien der Soldatenangehörigen und die Soldaten im<br />
Einsatz. In einer parallelen Entwicklung spielt heute die<br />
Frage der Legitimation des soldatischen Dienstes eine<br />
besondere Rolle. Sehr oft ist der Satz zu hören, dass es in<br />
diesen Tagen schwieriger ist zu erklären, warum deutsche<br />
Soldaten am Hindukusch eingesetzt werden müssen, als<br />
es vielleicht früher der Fall war. Dabei ließe sich durchaus<br />
fragen, warum es eigentlich schwerer sein soll, die Heimat<br />
weit entfernt zu verteidigen, als sie unter Inkaufnahme<br />
von Zerstörung, Verwüstung und großer Gefahr für die<br />
eigene Bevölkerung auf dem eigenen Territorium zu verteidigen.<br />
Hier ist vielleicht der Rückgriff auf die eigene<br />
Erfahrung erlaubt: Als Soldat der Panzerbrigade 2 in<br />
Braunschweig lag mein Verteidigungsauftrag als Artillerist<br />
genau um Braunschweig, um meine Heimat, und ich habe<br />
mich als junger Offizier oft gefragt, ob das nicht sehr<br />
schwer ist, in diesem Umfeld seinen Kampfauftrag zu<br />
erfüllen. Vielleicht ist es in der Ferne diesbezüglich doch<br />
etwas leichter. Ungeachtet dessen fallen Begründungen<br />
heute offenbar schwerer. Was sich hier niederschlägt, sind<br />
nicht zuletzt Anzeichen einer möglichen Entfremdung<br />
zwischen der <strong>Gesellschaft</strong> und ihren Streitkräften. Das<br />
Profil der Einsätze, denen sich die Bundeswehr nach dem<br />
Ende des Kalten Krieges zu stellen hat, verlangt aber gerade<br />
nach dem – wie es zu Anfang in dem Konzept der<br />
Inneren Führung hieß – in der <strong>Gesellschaft</strong> »beheimateten«<br />
Soldaten 6 .<br />
Im September 2005 waren etwa 6300 Soldatinnen und<br />
Soldaten der Bundeswehr an verschiedenen Plätzen<br />
dieser Welt im Einsatz. Auf diese Frauen und Männer,<br />
wie auch auf die, welche sie im Einsatz abgelöst haben<br />
oder sich umgekehrt für die Ablösung bereit halten, wirken<br />
sehr viele Einflüsse ein. Das sind zum einen neue<br />
oder andere sicherheitspolitische Akteure. Damit sind<br />
nicht nur die Terroristen gemeint. Die Bundeswehr hat<br />
sich zum Beispiel noch nicht ausreichend mit der Frage<br />
beschäftigt, wie sie reagieren soll, wenn der Truppe Kindersoldaten<br />
gegenüberstehen, und wie die Öffentlichkeit<br />
reagieren wird. Die Streitkräfte sehen sich heute mit einer<br />
Rollenerwartung konfrontiert, die vom Helfer über den<br />
Stabilisierer bis zum Kämpfer reicht. Dies soll aber keineswegs<br />
heißen, dass die Szenarien dieser Welt auch nach<br />
diesen drei Blöcken eingeteilt sind. Da gibt es kein Szenario,<br />
in dem die Truppe hilft und ein anderes, in dem sie<br />
stabilisiert, und vielleicht ein drittes, in dem sie kämpft.<br />
Der Betrachter muss sich bewusst sein darüber, dass diese<br />
drei Szenarien räumlich und zeitlich sehr nahe beieinander<br />
liegen können. Man stelle sich die Kompanie vor, die<br />
irgendwo in den Bergen des Kosovo oder in Afghanistan<br />
Nahrungsmittel, Zeitungen oder Radios verteilt. Die<br />
Bevölkerung empfindet die Verteilung als ungerecht und<br />
sieht vielleicht eine Ethnie dabei bevorzugt. Schon kann<br />
es zu Unruhen kommen, ein Schuss fällt, ein Kind wird<br />
getroffen, und das Szenario schlägt innerhalb von Minuten<br />
um. Ich erinnere mich sehr wohl; während meiner<br />
Zeit im Kosovo hat ein Albaner zwei serbische Kinder<br />
beim Baden erschossen. Diese Tat hat innerhalb von<br />
Minuten die Gesamtlage im Kosovo für bestimmte Zeit<br />
völlig verändert und auch damit das Verhalten der dort<br />
6 Handbuch Innere Führung (wie Anm. 3), S. 42 f.<br />
48
eingesetzten Truppe. Der Helfer wurde innerhalb von<br />
Minuten in die Rolle des Kämpfers gesetzt. Es sind aber<br />
auch noch weitere Faktoren, die heute auf die Bundeswehr<br />
mehr, als es vielleicht vorher der Fall war, Einfluss<br />
nehmen: Multinationalität, internationale Zusammensetzung,<br />
interkulturelle Kommunikationsfähigkeit und interkulturelle<br />
Kompetenz. Ohne dieses Themenfeld an dieser<br />
Stelle vertiefen zu wollen, sei dessen Bandbreite hier nur<br />
einmal umrissen: Es beginnt nicht erst, wenn die Einheiten<br />
in die Einsätze gehen. Als ich 2004 als Kommandeur<br />
der Brigade 21 eine Grundausbildungseinheit von 150<br />
Soldaten besuchte, waren 50 davon, also ein Drittel, nicht<br />
in Deutschland geboren und primärsozialisiert. Auch<br />
die Stuben in den Truppenunterkünften im Inland, im<br />
gemeinsamen Zusammenleben dieser Soldaten, ist die<br />
interkulturelle Kompetenz bereits gefordert. Mehr aber<br />
noch ist dies der Fall, wenn die Soldaten in die Einsätze<br />
gehen und als Deutsche in multinationalen Stäben oder in<br />
multinationalen Task-Forces eingesetzt werden. 2003 befanden<br />
sich in der Task-Force Prizren der Multinationalen<br />
Brigade Südwest unter anderem eine Kompanie Türken,<br />
eine Kompanie Georgier und ein Zug Aserbaidschaner –<br />
nur um einmal diese Multinationalität aufzugreifen. Und<br />
der dritte Kreis, der interkulturelle Kompetenz verlangt,<br />
ist das Einsatzland. Allein im Feldlager Prizren arbeiteten<br />
im Oktober 2003 rund 1000 Einheimische. Davon<br />
500 ständig als Übersetzer, Reinigungskräfte, Hilfskräfte<br />
sowie 500 weitere zeitlich begrenzt, um dort Straßenbauarbeiten<br />
und Ähnliches zu bewältigen. Das sind 1000<br />
Menschen, die sich in diesem kleinen Lager zusätzlich<br />
aufhielten, Menschen, mit denen man zusammenarbeiten<br />
und auf die man eingehen können muss. Hier spielt die<br />
Frage der interkulturellen Kompetenz schon eine große<br />
Rolle. Das Wissen um politische und kulturelle Hintergründe<br />
im Einsatz ist etwas, das die Bundeswehr heute<br />
in einer Intensität vermittelt, wie dies vorher sicherlich<br />
nicht erwartet worden war. Den Soldatinnen und Soldaten<br />
müssen in diesen Tagen sehr viele Details über die<br />
Einsatzländer vermittelt werden 7 .<br />
Zusätzlich wird der Soldat durch Faktoren belastet, die<br />
auch ein militärischer Frührer nur bedingt beeinflussen<br />
kann. Das sind Risiko, Trennung, Klima, Wetter, Mangel<br />
an frei verfügbarer Zeit, starke Einschränkung der Lebensqualität.<br />
Auch eine Einsatzdauer von vier Monaten<br />
ohne Urlaub ist keineswegs ein Spaziergang, insbesondere<br />
nicht für junge Menschen, die Trennung in dieser Weise<br />
überhaupt nicht gewohnt sind.<br />
An welchem Soldatenprofil muss sich die Bundeswehr<br />
orientieren, um mit ihren Frauen und Männern in diesen<br />
Einsätzen nicht nur zu bestehen, sondern diese auch<br />
durchzustehen? Als die bewaffnete Macht der Bundesrepublik<br />
Deutschland muss sie unverändert am Leitbild<br />
vom Staatsbürger in Uniform festhalten, denn es ist, so<br />
hat der amtierende Generalinspekteur es formuliert 8 , die<br />
idealtypische Rollenbeschreibung des soldatischen Selbstverständnisses<br />
in der Demokratie und in der heutigen <strong>Gesellschaft</strong>.<br />
Sein Handeln ist an die Werteordnung unseres<br />
Grundgesetztes gebunden. Der Soldat muss sich mit Fragen<br />
der Ethik und Moral auseinandersetzen. Wäre dies<br />
nicht der Fall, dann wäre der Zusammenhang mit dem,<br />
was nach wie vor den Dienst des Soldaten begründet,<br />
gelöst. Es ist im Wesentlichen diese Kompetenz, die die<br />
Bundeswehr ihren Soldatinnen und Soldaten abverlangen<br />
muss. Man kann über ihren Ausprägungsgrad je nach Hierarchie<br />
und Führungsebene streiten. Unbestritten aber<br />
sollte gelten, dass insbesondere die Frage der sozialen und<br />
personalen Kompetenz einer Soldatin oder eines Soldaten<br />
mit zunehmendem Verantwortungsbereich an Bedeutung<br />
gewinnt. Darüber hinaus seien hier nur vier weitere Elemente<br />
angegeben, die das Profil der Frauen und Männer<br />
der Bundeswehr in Zukunft aufweisen muss, sollen diese<br />
die Anforderungen des Einsatzes meistern können.<br />
Zunächst geht es um eine hohe physische Belastbarkeit<br />
im Einsatz. Nur das allein würde allerdings nicht reichen,<br />
die Durchhaltefähigkeit wäre damit noch lange nicht<br />
gewährleistet. Die psychische Belastbarkeit und die Fähigkeit,<br />
auch unter den soeben skizzierten Belastungen<br />
einen Einsatz zu durchstehen, muss von den Soldaten<br />
7 In diesem Zusammenhang erscheinen die vom MGFA herausgegebenen »Wegweiser zur Geschichte« zum jeweiligen Einsatzgebiet als sehr hilfreich. Vgl. z.B. Wegweiser zur Geschichte<br />
Bosnien-Herzegowina. Im Auftr. des MGFA hrsg. von Agilof Kesselring, 2., durchges. u. erw. Aufl., Paderborn [u.a.] 2007. Weitere Bde aus der Reihe sind zu Afghanistan und zum Kongo,<br />
Kosovo und Nahen Osten erschienen.<br />
8 Vgl. Rede des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, im Rahmen der 40. Kommandeurstagung der Bundeswehr in Bonn, 11.10.2005. In: BMVg.de Reden<br />
der Inspekteure (letzter Zugriff 6.12.2006), URL:
Eine Neubegründung der Inneren Führung? Soldatenprofil und Einsatzerfahrung<br />
abverlangt werden, was gleichzeitig bedeutet, dass die<br />
Vorgesetzten in der Bundeswehr ihren Beitrag dazu leisten,<br />
die Soldaten dazu in die Lage zu versetzen, entsprechend<br />
deren Persönlichkeit und körperlichen Fähigkeiten<br />
auszubilden und zu formen.<br />
In Anbetracht des hohen Anteils der Technik bei den<br />
Informations- und Kommunikationssystemen, der sehr<br />
komplexen Waffensysteme und der sehr vielen Arbeitsverfahren,<br />
die national wie international anzuwenden<br />
sind, braucht die Bundeswehr Frauen und Männer, die<br />
nicht nur lernfähig, sondern die auch lernwillig sind, um<br />
diese Dinge anzunehmen. Als Beispiel seien hier nur die<br />
Fremdsprachen als eines der wichtigen Kommunikationsmittel<br />
im internationalen Bereich herausgegriffen. Zudem<br />
müssen Frauen und Männer der Bundeswehr flexibel<br />
sein, nicht nur weil sie relativ schnell, und manchmal sogar<br />
auf Pfiff, in den Einsatz gehen müssen. Sie müssen<br />
flexibel sein, weil die Einsätze selbst ihnen hohe Flexibilität<br />
abverlangen: Noch einmal sei hier nur an das Bild vom<br />
Helfen zum Kämpfen erinnert. Darüber hinaus müssen<br />
sie durchsetzungsfähig sein – zunächst, weil sie sich als<br />
Repräsentanten der Bundeswehr und der Bundesrepublik<br />
in anderen Stäben durchzusetzen haben. Sie müssen<br />
aber auch durchsetzungsfähig sein, wenn sie z.B. mit dem<br />
Bürgermeister oder Vertreter einer Ethnie zu verhandeln<br />
haben, und sie müssen letztlich auch durchsetzungsfähig<br />
sein, wenn es gilt, den Auftrag zur Not auch unter Einsatz<br />
der Waffen durchzusetzen.<br />
Braucht die Bundeswehr also vor diesem Hintergrund<br />
eine neue Innere Führung? Hält man sich die Maxime<br />
einer integrierten Bundeswehr vor Augen, die durch die<br />
Verlagerung des Einsatzgebietes, die vermehrt gestellte<br />
Frage nach der Begründung des Einsatzes und durch<br />
dessen zunehmende Komplexität ganz gewiss nicht an<br />
Bedeutung verloren hat, so ist der Staatsbürger in Uniform<br />
als Leitbild unvermindert gefordert. Die Bundeswehr<br />
braucht Soldaten, die in der Lage sind, Ethik und<br />
Moral zu reflektieren und ihr eigenes Handeln in ethische<br />
wie moralische Grundsätze einzuordnen, ihr Handeln zu<br />
begründen und es zu verantworten. Die damit einhergehende<br />
Verankerung des Soldaten in einer freiheitlichen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> gebietet es angesichts der erheblichen Belastungen,<br />
denen die Frauen und Männer der Bundeswehr<br />
im Einsatz ausgesetzt sind, an dem festzuhalten, was<br />
von jeher der Inneren Führung aufgegeben war und was<br />
der Generalinspekteur unlängst wieder unterstrichen<br />
hat, nämlich an dem ständigen Abwägen zwischen den<br />
Rechten des Staatsbürgers und den Pflichten des Soldaten<br />
unter dem Vorzeichen: nur soviel Einschränkungen wie<br />
nötig und soviel Freiheit wie möglich 9 ! Nein, die Bundeswehr<br />
braucht keine Neubegründung für eine Konzeption,<br />
die sich seit 50 Jahren bewährt hat. Worauf es allerdings<br />
ankommt, ist diese Konzeption weiterzuentwickeln.<br />
Gleichwohl gilt, was der ehemalige Bundespräsident<br />
Roman Herzog zur Inneren Führung bemerkt hat: »Seit<br />
ihrer Aufstellung ist die Bundeswehr eine offene Armee,<br />
integriert in die <strong>Gesellschaft</strong>. Sie hat ein vorbildliches<br />
Bildungssystem, eine moderne Führungsphilosophie und<br />
– wenn Sie mir den unmilitärischen Ausdruck gestatten –<br />
eine konkurrenzfähige Unternehmenskultur – die Innere<br />
Führung 10 «.<br />
[Anm.: Der Beitrag ist zudem abgedruckt in: Die Bundeswehr<br />
1955 bis 2005. Rückblenden – Einsichten – Perspektiven, hg.<br />
im Auftrag des MGFA von Frank Nägler, München 2007<br />
(= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland,<br />
Band 7), S. 495-500]<br />
9 Rede des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, im Rahmen der 40. Kommandeurstagung der Bundeswehr in Bonn, 11.10.2005. In: BMVg.de<br />
(wie Anm. 8).<br />
10 Ansprache von Bundspräsident Roman Herzog bei der Führungsakademie, Hamburg, 11.12.1996. In: Bundespräsident.de: Der Bundespräsident (letzter Zugriff 6.12.2006), URL: www.<br />
bundespraesident.de/dokumente/-,2.12394/Rede/dokument.htm.<br />
50
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr als Herausforderung für die<br />
historische Bildungsarbeit in den deutschen Streitkräften<br />
Text:<br />
Dr. Bernhard Chiari<br />
Bernhard Chiari<br />
Im Jahre 1789, als in Paris Aufständische die Bastille<br />
stürmten, setzte sich Friedrich Schiller in seiner Jenaer<br />
„Akademischen Antrittsrede“ mit dem Sinn der Universalgeschichte<br />
auseinander. Die Menge der hör- und<br />
schaulustigen Studenten wuchs derart an, dass die Veranstaltung<br />
am 26. und 27. Mai in den größten Hörsaal der<br />
Stadt verlegt werden musste. Die Frage, wie historische<br />
Bildung in den deutschen Streitkräften auszusehen habe,<br />
und zu welchem Zweck man sie insbesondere für die<br />
Einsatzkontingente zu betreiben habe, interessiert demgegenüber<br />
außerhalb einer Fachöffentlichkeit vor allem<br />
dann, wenn es echte oder vermeintliche Entgleisungen<br />
deutscher Soldaten im In- und Ausland zu beklagen gilt.<br />
So warfen die von der Bildzeitung medienwirksam in Szene<br />
gesetzten „Schädelfotos“ aus Afghanistan die Frage<br />
auf, wie und ob man (insbesondere junge) Männer und<br />
Frauen geistig auf die Herausforderung von Einsätzen<br />
vorbereiten könne.<br />
Die Relevanz dieser Frage steigert der Umstand, dass in<br />
Afghanistan die Einwohner jeden 25jährigen Patrouillenführer<br />
als Botschafter seines Landes wahrnehmen, und<br />
30jährige Zugführer innerhalb von Minuten Entscheidungen<br />
treffen müssen, die wenige Stunden später die<br />
internationalen Medien beschäftigen. Die Befehle zur<br />
Abwehr gewalttätiger Demonstranten, die ein deutscher<br />
Hauptfeldwebel während der Märzunruhen 2004 vor<br />
dem Erzengelkloster bei Prizren gab, waren viele Monate<br />
lang und aus sicherer Entfernung Gegenstand der Analysen<br />
des Deutschen Bundestags und der Bundeswehr-<br />
Führung.<br />
Die „Veranstalter“ historischer Bildung sehen sich mit<br />
Blick auf die Auslandsmissionen einer überaus heterogenen<br />
Zielgruppe gegenüber, die über alle Dienstgradgruppen<br />
und Teilstreitkräfte hinweg höchst unterschiedliche<br />
Funktionen und Bedürfnisse im Einsatzland einschließt.<br />
Um es vorweg zu nehmen: Trotz der Anstrengungen, die<br />
beispielsweise das Militärgeschichtliche Forschungsamt<br />
(MGFA) auf dem Gebiet der historischen Bildung unternimmt,<br />
wird es auch in Zukunft nicht immer gelingen,<br />
„Schädelfotos“ zu verhindern. Die Streitkräfte sind ein<br />
Spiegel der Gesamtgesellschaft, und bei der Gewinnung<br />
von Nachwuchs steht die Bundeswehr insbesondere<br />
angesichts einer erfreulichen Entspannung auf dem Arbeitsmarkt<br />
potenten Mitbewerbern gegenüber. Soldaten,<br />
die von vornherein über ideale Voraussetzungen verfügen,<br />
um sich im komplexen Umfeld anderer Kulturen zurechtzufinden,<br />
sind eher die Ausnahme. Gerade deshalb<br />
aber kommt der historischen Bildung erhebliche Bedeutung<br />
zu. Historische Bildung kann Schule und Elternhaus<br />
nicht ersetzen und sie erreicht nicht alle, aber sie gibt<br />
vielen Orientierungshilfe und hilft dabei zweckmäßige<br />
Entscheidungen zu treffen.<br />
Wer sind die Empfänger von historischer Bildung?<br />
Wer die Chancen und Möglichkeiten der historischen<br />
Bildung ausloten möchte, sollte sich zunächst mit seiner<br />
Zielgruppe auseinandersetzen. Ich möchte das tun, indem<br />
ich zunächst nach der Ausgangslage frage, wie sie die<br />
Einsatzarmee Bundeswehr kennzeichnet. Deren Schwerpunkt<br />
bilden seit Jahren die unterschiedlichen Missionen<br />
im Ausland, in denen sich die Bundesrepublik engagiert.<br />
Ausnahmen bestätigen die Regel, aber abseits einiger<br />
Ämter und Stäbe stellt sich für Berufs- und Zeitsoldaten<br />
nicht länger die Frage, ob eine Auslandsverwendung<br />
ansteht, sondern lediglich wann, wo und wie oft. Dies<br />
schafft für Ausbildungsinhalte, die im Einsatz nützlich<br />
sein können, von vornherein eine hohe Akzeptanz.<br />
Die meisten Soldaten machen die Erfahrung, dass in<br />
51
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr als Herausforderung für die historische Bildungsarbeit<br />
in den deutschen Streitkräften<br />
ihrem militärischen Alltag die langfristige Beschäftigung<br />
mit einem bestimmten Einsatzgebiet kaum möglich ist.<br />
Militärische Verwendungen „im richtigen Leben“, also<br />
die Tätigkeit zwischen den Einsätzen, stehen meist nicht<br />
mit einer speziellen Region im Zusammenhang. So müssen<br />
denn Erfahrungen aus dem Einsatz in Bosnien dazu<br />
dienen, um sich zwei Jahre später auf die afghanischen<br />
Verhältnisse vorzubereiten. Die vermeintliche Übertragbarkeit<br />
eigener Erfahrungen stellt dabei für die Betroffenen<br />
eine Hilfe dar, bedeutet aber für die historische Bildung<br />
eine besondere Herausforderung. Im Rahmen der<br />
Ausbildung muss eben gerade gezeigt werden, wie sehr<br />
und fallweise wie grundlegend sich die <strong>Gesellschaft</strong>en der<br />
Einsatzgebiete nicht nur von mitteleuropäischen Verhältnissen,<br />
sondern auch untereinander unterscheiden.<br />
Gleichzeitig schaffen die eigene Einsatzerfahrung und das<br />
Bewusstsein, nach dem einen Einsatz schon den nächsten<br />
vorzubereiten, bei den Betroffenen hervorragende Ausgangsbedingungen<br />
für die Akzeptanz aller Dienstleistungen,<br />
die diesem Ziel dienen. Aus dem Wortschatz der Soziologen<br />
stammt der Ausdruck der „Praxisgemeinschaft“,<br />
der mir in diesem Zusammenhang als besonders treffend<br />
erscheint. „Praxisgemeinschaft“ meint hier die fest gefügte<br />
Gruppe der Kontingente in Vorbereitung und Einsatz.<br />
Deren Angehörige versuchen, in kürzest möglicher Zeit<br />
und mit begrenztem Aufwand „zu verstehen, wie der Hase<br />
läuft“ und „zu wissen, worum es eigentlich geht“.<br />
Ich gebrauche bewusst diese umgangssprachlichen Formulierungen<br />
aus der Praxis und dem eigenen Erleben.<br />
Sie bringen auf den Punkt, wo im Rahmen begrenzter<br />
Zeit für Ausbildungszwecke die Möglichkeiten der historischen<br />
Bildung liegen. Anders als fallweise im wissenschaftlichen<br />
Diskurs ist die Beschäftigung mit Geschichte<br />
und Kultur eines Einsatzraumes für die Betroffenen kein<br />
Selbstzweck. Mir ist eine konkreteAusbildungssituation<br />
im Gedächtnis, die den neudeutschen Begriff des „Abholpunktes“<br />
mit konkretem Inhalt füllt.<br />
2006, unmittelbar vor Beginn des Kongo-Einsatzes,<br />
saßen mir in einem überfüllten Unterrichtsraum beim<br />
Mittleren Transporthubschrauber-Regiment in Laupheim<br />
Kontingentsoldaten gegenüber. Am Beispiel der Demokratischen<br />
Republik Kongo, deren Lage vor dem entsprechenden<br />
Bundestagsbeschluss die meisten Deutschen<br />
wohl nicht einmal im Schulatlas hätten zeigen können,<br />
lassen sich die Bedürfnisse innerhalb des Kontingentes<br />
besonders gut verdeutlichen. Seine aus allen Bereichen der<br />
Bundeswehr zusammengewürfelten Angehörigen hatten<br />
eine kurzfristig improvisierte Vorausbildung durchlaufen<br />
und verfügten praktisch über keine Vorerfahrungen mit<br />
dem Einsatzraum. Die meisten kannten bereits ihren<br />
Abflugtermin. In Laupheim fanden die Ausbilder eine<br />
Aufnahmebereitschaft vor, von der man normalerweise in<br />
der Erwachsenenbildung nur träumen kann.<br />
Die Teilnehmer – eine Ausbildungsgruppe vom Kontingentführer<br />
bis zum Mannschaftssoldaten – erwarteten,<br />
in einer Situation großer Unsicherheit Anhaltspunkte für<br />
das Verständnis des Gesamtsystems im Kongo zu finden.<br />
Sie hofften auf die Vermittlung von Hintergrundwissen<br />
in leicht abrufbarer Form. Dabei bestand das Problem<br />
nicht im zur Verfügung stehenden Informationsangebot.<br />
Dieses war in Datenbanken innerhalb und außerhalb<br />
der Bundeswehr ausreichend vorhanden. Wesentliche<br />
Leistung der Ausbilder war vielmehr die Vermittlung<br />
eines inhaltlichen Koordinatensystems, das die Auswahl<br />
und Strukturierung von Informationen überhaupt erst<br />
ermöglichte.<br />
Anders als etwa bei der Wissen vermittelnden Ausbildung<br />
von Regionalexperten ging es im Rahmen begrenzter<br />
Ausbildungszeit zunächst darum, Eckpunkte aufzuzeigen,<br />
um die herum dann später im Einsatz individuelles<br />
Wissen „gruppiert“ werden konnte. Ausbildung und<br />
Ausbildungshilfen stellten also in der geschilderten Situation<br />
ein wichtiges Instrument dar, das die Kontingentteilnehmer<br />
befähigte, sich in einer unbekannten, afrikanischen<br />
Krisenregion zu verorten, die für die Mission<br />
ausschlaggebenden Konflikte zu verstehen und damit in<br />
einer bestimmten Funktion die zugewiesenen Aufgaben<br />
zu erfüllen.<br />
Abstrakter gefasst: Historische Bildung macht Sinn in<br />
höchst komplexen Gesamtsystemen, die außer durch die<br />
Vielzahl von Akteuren auch durch zunächst unverständliche<br />
und vom eigenen Erfahrungshorizont abweichende<br />
mentale und kulturelle Spielregeln gekennzeichnet sind.<br />
Dies beginnt bei den traditionellen Wegen der Entscheidungsfindung<br />
in einer Stammesgesellschaft oder dem<br />
dortigen Verständnis von Loyalität, Auseinandersetzung<br />
52
oder Pünktlichkeit und endet bei der militärischen Stabskultur<br />
von Partnerländern im Einsatz. Indem Spezialisten<br />
in verständlicher Form beispielhaft das komplizierte<br />
System von Geben und Nehmen in einer afghanischen<br />
Provinz beschreiben, liefern sie gleichzeitig Hinweise auf<br />
„key indicators“, die einen gegenwärtigen Zustand verändern<br />
oder ein Gleichgewicht destabilisieren können. Sinnstiftung<br />
kann und soll in diesem Zusammenhang nicht als<br />
Handlungsanweisung wirken, sie trägt aber zur Ausbildung<br />
von Persönlichkeit bei und vermittelt gemeinsam mit den<br />
Vorerfahrungen anderer auch Handlungssicherheit. Damit<br />
unterscheidet sich die ganzheitliche Betrachtung der<br />
Wegweiser grundlegend von Ausbildungsprodukten, die<br />
Soldaten im Einsatz landeskundliche Kompendien und<br />
Datensammlungen sowie konkrete Verhaltensmaßregeln<br />
(Schutz vor Gifttieren, Beachtung religiöser Gebräuche<br />
usw.) an die Hand geben.<br />
Die Analyse und anschauliche Schilderung gesellschaftlicher<br />
und historischer Strukturen im Einsatzland stellt den<br />
Zuhörer auf komplexe Situationen ein und bereitet ihn<br />
mental darauf vor, zwischen welche Fronten er geraten<br />
könnte. Wer im Rahmen der historischen Bildung danach<br />
fragt, ob ein politisches System westlicher Prägung tatsächlich<br />
dazu taugt, in Afghanistan Probleme zu lösen,<br />
fördert bei seinem Gegenüber auch die Fähigkeit, in der<br />
Einsatzrealität Andersartigkeit und Fremdheit auszuhalten<br />
und hinzunehmen, ohne selbst in eine Sinnkrise zu<br />
stürzen. Die hier geleistete Orientierung schafft Abstand<br />
zur vorgefundenen Umwelt, die außer den <strong>Gesellschaft</strong>en<br />
der Einsatzländer auch die Angehörigen anderer nationaler<br />
Einsatzkontingente mit einschließt. Die Reflexion<br />
der eigenen Geschichte führt hin zu einer Reflexion des<br />
eigenen Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins. Vor<br />
allem fördert sie die Fähigkeit, die Unterschiede zwischen<br />
den deutschen Verhältnissen und dem Geschichtsverständnis<br />
außerhalb Deutschlands zu begreifen. In der<br />
Einsatzrealität schließt dies die Frage ein, wie Soldaten<br />
anderer Kontingente „die Deutschen“ wahrnehmen und<br />
warum sie dies tun. Was meint ein Paschtune, wenn er<br />
sagt, er und ich seien „Arier“ – und warum zuckt der in<br />
Deutschland sozialisierte Zuhörer zunächst zurück?<br />
Die einleitenden Überlegungen zeigen zweierlei. Erstens<br />
machen sie klar, dass historische Bildung allgemein und<br />
insbesondere unter den Bedingungen der Einsatzarmee<br />
der Ausbildung, Bildung und Erziehung dient. Im<br />
Ausland kommt allen drei Bereichen angesichts eines<br />
komplexen Umfeldes sogar noch verstärkte Bedeutung<br />
zu. Zweitens sollen die eingangs angeführten Beispiele<br />
verdeutlichen, dass die Priorisierung von Einsatzvorbereitung<br />
und Einsatz im Alltag der Bundeswehr geradezu<br />
ideale Voraussetzungen für die Akzeptanz historischer<br />
Bildungsarbeit schafft.<br />
Was müssen Soldaten wissen?<br />
Mit Blick auf historische Inhalte stellt sich zunächst die<br />
Frage nach dem notwendigen Aktualitätsbezug. Auch<br />
wenn das bei Anlegung eines strengen, geschichtswissenschaftlichen<br />
Maßstabes geradezu einem Tabubruch<br />
gleichkommt, so muss bei der Auswahl historischer<br />
Sachverhalte, die in die Verhältnisse eines Einsatzgebietes<br />
einführen sollen, eine Beurteilung der aktuellen Lage<br />
im Krisengebiet den Ausgangspunkt der Betrachtung<br />
bilden. Ausbildungshilfen für die historische Bildung<br />
sollten „Living Documents“ sein, die aktuelle Vorgänge<br />
und Veränderungen aufgreifen und sie in die Geschichte<br />
zurückverfolgen.<br />
Am Beispiel Afghanistan lässt sich zeigen, wie rasch<br />
sich die Relevanz und der Bedeutungsgehalt historischer<br />
Fachinformation verändern können. Diese Veränderungen<br />
müssen der Ziegruppe vermittelt und erklärt werden.<br />
Um hierzu in der Lage zu sein, müssen die Bearbeiter und<br />
Vermittler selbst in der Lage leben. Tun sie dies nicht,<br />
werden sie mit ihren Inhalten in der Zielgruppe keine<br />
Akzeptanz finden. Historische Bildung und Fachinformation<br />
bewegen sich dabei auf einem schmalen Grat. Ist die<br />
angebotene Information zu sehr an der Tagesaktualität<br />
ausgerichtet, verfügt sie meist nur über eine kurze „Halbwertzeit“.<br />
Beschränken sich die getroffenen Aussagen<br />
demgegenüber allzu sehr auf allgemeine Strukturen und<br />
historische Phänomene, so sinken Akzeptanz und Relevanz.<br />
Die Zielgruppe erkennt keinen Zusammenhang<br />
mehr zwischen Bildungs- und Erklärungsangebot einerseits<br />
und dem eigenen Erleben im Einsatz andererseits.<br />
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Zwischen dem Erscheinen<br />
der ersten und zweiten Auflage des „Wegweisers<br />
53
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr als Herausforderung für die historische Bildungsarbeit<br />
in den deutschen Streitkräften<br />
zur Geschichte Afghanistan“, der im folgenden noch<br />
näher vorgestellt wird, lagen etwa eineinhalb Jahre. Die<br />
Lageentwicklung im Land vom Herbst 2005 bis Frühjahr<br />
2007 machte es notwendig, diese Ausbildungshilfe neu<br />
zu konzipieren, sollte sie nach wie vor ihrem Ziel gerecht<br />
werden, nämlich die Funktionsweise der afghanischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> zu erläutern. Die Taliban, in der ersten<br />
Auflage als historisches Phänomen präsentiert, das 2005<br />
nur begrenzte Bedeutung für den Fortgang des Wiederaufbaus<br />
hatte, waren nun erneut zu zentralen Spielern<br />
im Land geworden. Diese zentrale Aussage musste dem<br />
Leser schon in der Gliederung und Struktur der ausgewählten<br />
Beiträge deutlich erkennbar ins Auge springen.<br />
Die zunehmende Eskalierung militärischer Auseinandersetzungen<br />
im Süden Afghanistans verschärfte die lokalen<br />
und regionalen Unterschiede, was die Erfolgsaussichten<br />
militärischer und ziviler Aufbauarbeit angeht. Diesem<br />
Umstand hatten regionale Beiträge Rechnung zu tragen,<br />
die verstärkt auf die strukturellen Unterschiede einzelner<br />
Provinzen hinweisen.<br />
Erfahrungen mit der Vermittlung historischer<br />
Bildung<br />
Im steten Kontakt mit der Zielgruppe entstand am<br />
Militärgeschichtlichen Forschungsamt das Konzept der<br />
Reihe „Wegweiser zur Geschichte“. Im Sommer 2005<br />
erschien mit „Bosnien-Herzegowina“ der erste Band der<br />
Reihe. Mittlerweile liegen Bände für die sieben großen<br />
Einsatzgebiete der Bundeswehr vor, in drei Fällen bereits<br />
in erheblich aktualisierten Neuauflagen. Ein Band zum<br />
Kaukasus befindet sich in Vorbereitung. Die Wegweiser<br />
sollen Information aus einer Hand vermitteln und jeweils<br />
das aktuelle Gesamtsystem mit seinen historischen und<br />
kulturellen Wurzeln erklären. Ein Schwerpunkt liegt auf<br />
der Diskussion möglicher zukünftiger Entwicklungen.<br />
Das ständig fortgeschriebene Konzept wird an der Lebenswirklichkeit<br />
von Kontingentsoldaten ausgerichtet.<br />
Drei große Abschnitte umfassen erstens historische<br />
Entwicklungen, zweitens Strukturen und Lebenswelt<br />
sowie drittens einen Anhang mit ausgewählten weiterführenden<br />
Literatur- und Internethinweisen. Eine Zeittafel<br />
sowie weitere Beigaben sollen ebenso wie das Orts-,<br />
Personen- und Sachregister die Benutzung erleichtern.<br />
Umfang, Aufmachung und Präsentationsform verfolgen<br />
das Ziel, auch ungeübten Lesern die rasche Orientierung<br />
zu ermöglichen. Die Autoren der Wegweiser sind Fachwissenschaftler<br />
aus dem Bereich der Bundeswehr und<br />
von zivilen Hochschulen und Forschungseinrichtungen.<br />
Hinzu kommen solche Autoren, die selbst Verantwortung<br />
innerhalb der militärischen Strukturen der Einsatzgebiete<br />
oder in Regierungs- bzw. Nichtregierungsorganisationen<br />
getragen haben.<br />
Zwei Anmerkungen erscheinen in diesem Zusammenhang<br />
angebracht. Erstens hat sich – trotz großer Authentizität<br />
der Beiträge – die Mitarbeit gegenwärtig Betroffener, die<br />
Einsatzstrukturen aus unmittelbarer, eigener Anschauung<br />
schildern, nicht selten als problematisch erwiesen. Zu<br />
gering ist meist der Abstand zum Geschehen, um in den<br />
Bewertungen zum notwendigen Maß an Ausgewogenheit<br />
zu gelangen. Die zweite Anmerkung betrifft die Akzeptanz<br />
des Projektes „Wegweiser“ in der Fachwissenschaft,<br />
wo noch vor zehn Jahren die Anfrage an einen Hochschullehrer,<br />
einen Beitrag für die Ausbildung deutscher<br />
Soldaten auf dem Balkan zu verfassen, wohl meist Ablehnung<br />
und Unverständnis hervorrgerufen hätte. Hier<br />
ist in den vergangenen Jahren im Zuge der öffentlich geführten<br />
Debatte um die Auslandseinsätze eine erfreuliche<br />
Normalisierung eingetreten. Die Bereitschaft von Fachwissenschaftlern,<br />
an Projekten zur Einsatzvorbereitung<br />
mitzuarbeiten, ist quer über politische Grenzen hinweg<br />
hoch. Sie wird gefördert durch die immer wieder angeführte<br />
Überlegung, die Vorbereitung von Soldaten dürfe<br />
weder zweifelhaften, selbsternannten Experten noch den<br />
vorhandenen Internetforen überlassen werden.<br />
Eine wichtige Rolle – diese Anmerkungen seien im Jahr<br />
2007 gestattet, in dem das MGFA seinen 50. Geburtstag<br />
feiert – spielt die wissenschaftliche Seriosität des<br />
„Veranstalters“ historischer Bildung: Die Reputation<br />
des MGFA als Forschungseinrichtung öffnet Türen, die<br />
eine Dienststelle der Bundeswehr, die lediglich Informationen<br />
gewinnt und Dienstleister für die Streitkräfte<br />
ist, wohl verschlossen fände. Diese Erfahrung war ein<br />
Grund dafür, 2005 am MGFA einen Wissenschaftlichen<br />
Beirat Einsatzunterstützung ins Leben zu rufen. Ihm<br />
gehören renommierte Südosteuropahistoriker ebenso<br />
54
an wie Afghanistan- und Afrikaspezialisten, der Leiter<br />
der österreichischen Redaktion Truppendienst, die einen<br />
Schwerpunkt ihrer Arbeit bei der Einsatzvorbereitung<br />
des Bundesheeres hat, sowie der heutige Kommandeur<br />
der in Aufstellung begriffenen Heeresaufklärungsschule<br />
in Munster. Das Gremium entspricht nicht nur dem evaluierungswütigen<br />
Zeitgeist, sondern wirkt sich überaus<br />
hilfreich auf die Bildung und Pflege der notwendigen<br />
Netzwerke innerhalb und außerhalb der Bundeswehr aus.<br />
Positive Erfahrungen haben wir auch mit dem Entschluss<br />
gemacht, die Wegweiser zur Geschichte nicht im Selbstverlag<br />
für die Truppe herauszugeben, sondern sie als Reihe<br />
des Schöningh Verlags in entsprechender Aufmachung<br />
auch auf dem regulären Buchmarkt anzubieten. Für<br />
Autorinnen und Autoren schafft dies einen zusätzlichen<br />
Anreiz, und innerhalb der Organisation Bundeswehr bedeutet<br />
es zusätzliche Unabhängigkeit bei der Präsentation<br />
kritischer oder widersprüchlicher Aussagen und Thesen.<br />
Damit komme ich zur wesentlichen Leistung des Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamtes an der Schnittstelle<br />
zwischen Wissenschaft, Bundeswehr und Öffentlichkeit.<br />
Für die historische Bildung zum Zweck der Einsatzvorbereitung<br />
ist dies zunächst die Auswahl von Inhalten, die<br />
mit der Einsatzrealität der Soldaten in Verbindung stehen<br />
und den Voraussetzungen der Rezipienten entsprechen.<br />
So macht es wenig Sinn, für Bosnien-Herzegowina lediglich<br />
die Besonderheiten der vorhandenen Religionen und<br />
Konfessionen zu referieren, wenn die Leser größtenteils<br />
einem derart säkularisierten Umfeld entstammen, dass sie<br />
selbst der Religion im Alltag keinerlei Bedeutung mehr<br />
zumessen. Vorerfahrungen und eigene Prägungen beschränken<br />
auch die Übertragbarkeit historischer Bildung:<br />
Nach der jahrzehntelangen Dominanz bosniakischer<br />
Gastarbeiter auf dem Wiener Arbeitsmarkt, die in Österreich<br />
wiederum weit reichende historische Wurzeln hat,<br />
sind bei österreichischen Kontingentsoldaten Erfahrungen<br />
aus dem eigenen Alltag vorhanden, die in Deutschland<br />
fehlen. Und nur, weil in einer multinationalen Task<br />
Force deutsche, österreichische und türkische Soldaten<br />
gemeinsam Dienst tun, funktionieren Produkte historischer<br />
Bildung, die für Österreich und Deutschland ihren<br />
Zweck erfüllen, nicht einfach durch eine Übersetzung<br />
auch für den türkischen Offizier oder Unteroffizier.<br />
Hervorragende Fachexpertise nützt nichts, wenn sie zu<br />
spät bzw. nicht in leicht zugänglicher und verständlicher<br />
Form vermittelt wird. Im Fall der Demokratischen Republik<br />
Kongo hatte das MGFA die Arbeiten an einem<br />
Wegweiser zur Geschichte in nur sechs Wochen abzuschließen,<br />
um jeden Soldaten des Kontingentes vor<br />
Einsatzbeginn ausstatten zu können. Das Operation<br />
Headquarters (OHQ) der Europäischen Union, das die<br />
Kongo-Operation von Potsdam aus führte, erhielt ebenso<br />
wie das Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in<br />
Ulm, verantwortlich für den Aufwuchs des entsprechenden<br />
Force Headquarters (FHQ), eine englischsprachige<br />
Version des Wegweisers. Beide Stäbe nutzten das Dokument<br />
bereits in der Phase der Vorbereitung und dann<br />
verstärkt während der laufenden Operation.<br />
Benutzer, die angesichts eines historischen Textes voll<br />
Ehrfurcht anmerken, es handele sich um „großartige<br />
Wissenschaft, denn ich habe nichts verstanden“, sind<br />
für die Ziele historischer Bildung verloren. Neben der<br />
Umfangsbeschränkung und dem Verzicht auf die Abhandlung<br />
allzu theoretischer Fragen spielen in diesem<br />
Zusammenhang die graphische Gestaltung und damit die<br />
Zugänglichkeit sowie die Verwendung von Bildern eine<br />
wichtige Rolle. Die Inhalte historischer Bildung sollten im<br />
Internet abrufbar sein, was die Benutzbarkeit für interne<br />
Ausarbeitungen oder die Vorbereitung von Ausbildungen<br />
verbessert. Das MGFA richtete zu diesem Zweck vor<br />
einigen Monaten einen neuen Bereich auf seiner Website<br />
ein, der sich eines hervorragenden Zuspruchs erfreut.<br />
Weiterführende Hinweise auf Websites, Literatur oder<br />
Filme machen nur Sinn in Form einer kommentierten<br />
Auswahl, die den Rahmenbedingungen von Einsatz und<br />
Einsatzrealität Rechnung tragen. Ihre Zusammenstellung<br />
und Bewertung stellen eine Führungs- und Erziehungsleistung<br />
dar und folgen anderen Regeln als akademische<br />
Bibliographien. Ausdrücklich sei auch die Notwendigkeit<br />
unterstrichen, kritische Inhalte wiederzugeben, etwa was<br />
die Hoffnung auf funktionierende staatliche und gesellschaftliche<br />
Strukturen nach westlichen Vorstellungen<br />
angeht. In der Situation von Ausbildung und Einsatz<br />
wird historische Bildung nur dann glaubwürdig wirken<br />
55
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr als Herausforderung für die historische Bildungsarbeit<br />
in den deutschen Streitkräften<br />
und überzeugen können, wenn sie bestehende Probleme<br />
realistisch beim Namen nennt.<br />
Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ist die<br />
Abkehr vom „Fire and forget“-Prinzp historischer Bildung.<br />
Es reicht nicht aus, jahrelang behäbige Projekte<br />
zu entwickeln und bei geschlossenen Türen darüber zu<br />
brüten, was die Truppe braucht. Mit der Drucklegung ist<br />
die Arbeit an einem Projekt nicht abgeschlossen: Evaluierung,<br />
Verbesserung, Vermittlung und Fortschreibung<br />
bleiben Daueraufgaben, zumindest für Einsatzgebiete der<br />
Bundeswehr wie Afghanistan oder Kosovo, wo voraussichtlich<br />
noch lange Jahre eine militärische Präsenz erforderlich<br />
sein wird. Die Weiterentwicklung von Produkten<br />
setzt den ständigen Kontakt mit der Zielgruppe und eine<br />
gemeinsame Sprache voraus. Diesem Ziel dienen Kommunikationsformen<br />
wie gezielte Produktbefragungen<br />
ebenso wie der Chat im Internet, die Durchführung von<br />
Ausbildungsvorhaben im Rahmen der Kontingentausbildung<br />
oder der enge Arbeitskontakt mit Dienststellen und<br />
Instituten der Bundeswehr, die sich auf dem Gebiet der<br />
Einsatzvorbereitung engagieren.<br />
Da für wechselnde Interessengebiete und angesichts des<br />
Zeitfaktors eigene Grundlagenforschung nicht immer<br />
möglich ist, kommt dem Aufbau und der Pflege militärischer<br />
und wissenschaftlicher Netzwerke entscheidende<br />
Bedeutung für die Herstellung und Platzierung der Produkte<br />
zu. Sowohl Stäbe und Dienststellen, die Einsätze<br />
führen und vorbereiten, als auch die Kontingente selbst<br />
werden Unterstützung, die in den Köpfen vieler in einen<br />
Bereich außerhalb militärischer Kernaufgaben zielt, in der<br />
Praxis nur dann anfordern, wenn sie proaktiv über die<br />
entsprechenden Möglichkeiten informiert werden. Um<br />
hier ansetzen zu können, müssen den Bearbeitern die<br />
Strukturen und Abläufe im Einsatz aus eigenem Erleben<br />
vertraut sein. Arbeit im Elfenbeinturm, um dies nochmals<br />
zu unterstreichen, führt hier zum „Fire and forget“-<br />
Prinzip und damit zum Mißerfolg, weil die hilfreichsten<br />
Erkenntnisse nicht dort ankommen, wo sie gebraucht<br />
werden. Historische Bildung verkommt dann zu einer<br />
sinnlosen Folge von Worthülsen. Auf die Kommunikation<br />
in den Medien, insbesondere jenen der Bundeswehr,<br />
kann hier nicht näher eingegangen werden. Doch verbessert<br />
es die Wirkung von Produkten der historischen Bildung<br />
nachhaltig, wenn die inhaltliche Verantwortlichkeit<br />
sowie Vermittlung und Marketing in einer Hand liegen.<br />
Hierfür geeignetes Personal zu finden, ist unter den<br />
Rahmenbedingungen, die die Bundeswehr bietet, keine<br />
einfache Angelegenheit.<br />
Qualität historischer Bildung in der Einsatzvorbereitung<br />
Historische Bildung für die Einsatzkontingente kann<br />
nicht einfach befohlen werden. Hierfür sind die zu behandelnden<br />
Inhalte, aber auch die beteiligten Akteure und<br />
das institutionelle Umfeld zu vielfältig. In den vergangenen<br />
Jahren entstand vielmehr ein „Neuer Markt“ mit<br />
hoher Dynamik. Dieser ist gekennzeichnet vom Kampf<br />
um Ressourcen sowie durch das Bestreben der beteiligten<br />
Dienststellen, sich auf diesem Feld zu positionieren. Unter<br />
den Rahmenbedingungen der Transformation unterliegt<br />
auch die Einsatzvorbereitung einem ständigen Wandel.<br />
Es gibt Überschneidungen zwischen historischer Bildung<br />
für Einsatzkontingente, wie sie am MGFA verstanden<br />
wird, und dem Bereich der Interkulturellen Einsatzberatung<br />
(IEB), für die vor allem das Zentrum für Operative<br />
Information in Mayen verantwortlich zeichnet. Wesentliche<br />
Produkte im Bereich Landeskunde erstellt das Amt<br />
für Geoinformationswesen (AGeoBw) mit Schwerpunkt<br />
in Euskirchen, das nach der Auflösung des Zentrums<br />
für Nachrichtenwesen Ende 2007 zusätzliche Aufgaben<br />
übernimmt. Einen ganzheitlichen Ansatz zur Betrachtung<br />
der Einsatzgebiete verfolgt das Projekt „Knowledge<br />
Development KFOR“ (KD KFOR), das in Zusammenarbeit<br />
zwischen dem Zentrum für Transformation und<br />
einer zivilen Firma entsteht. Zunächst am Beispiel des<br />
Kosovo bieten beide Partner Stäben im Einsatz Hilfestellungen<br />
bei der Analyse komplexer Gesamtsysteme,<br />
für die historische Entwicklungen eine wichtige Größe<br />
darstellen. In die erste Erprobung von KD KFOR im<br />
Einsatzland war auch das MGFA mit eingebunden. Die<br />
Reihe ließe sich fortsetzen und zeigt einen Prozess, der<br />
auch in der Geschichtswissenschaft anzutreffen ist: das<br />
Verschwimmen von Disziplingrenzen und die Auflösung<br />
von Zunftordnungen. Eine wirksame Koordinierung fällt<br />
angesichts der Überschneidungen schwer, die Militäri-<br />
56
sches Nachrichtenwesen, Landeskunde, historische Bildung,<br />
Politikberatung und der eigenständige Bereich der<br />
Informationsarbeit der Bundeswehr aufweisen.<br />
Das bewusst gewählte Bild vom „Neuen Markt“ impliziert<br />
auch Gefahren. So fördert die vorherrschende<br />
Dynamik die Erstellung neuer elektronischer Foren durch<br />
Bereiche und Dienststellen, ohne dass immer die entsprechenden<br />
Inhalte zur Verfügung stünden. Vergleichbar ist<br />
dies mit einem aufwändigen Museumsbau, nach dessen<br />
Fertigstellung man sich überlegt, welche Exponate in<br />
den Räumen ihren Platz finden sollen. Systemkenntnisse<br />
ohne Fachkenntnisse bringen jedoch keinen Erfolg, und<br />
Spezialisten, etwa der Südosteuropäischen Geschichte,<br />
der Islamwissenschaften oder der Afrikastudien, sind in<br />
der Bundeswehr Mangelware.<br />
Die Dienstleistung des MGFA an der Schnittstelle zwischen<br />
Einsatzarmee Bundeswehr, Wissenschaft und Öffentlichkeit<br />
trägt den sehr speziellen Anforderungen<br />
der Streitkräfte Rechnung. Die wesentlichen Leistungen<br />
liegen in der zeitgerechten Netzwerkbildung und in einem<br />
umfassenden Servicepaket, das solide Inhalte der historischen<br />
Bildung generiert und an jene Orte schafft, wo<br />
sie benötigt werden. Ausbildungshilfen der historischen<br />
Bildung legen die Grundlagen für interkulturelle Kompetenz<br />
, das Markenzeichen deutschen Engagements<br />
nicht nur im Norden Afghanistans. Nicht-Regierungsorganisationen<br />
schätzten die mittlerweile gut eingeführten<br />
Produkte ebenso wie diplomatische Vertreter, und zwar<br />
auch deswegen, weil diese dokumentieren, dass die Bundeswehr<br />
beispielsweise im Rahmen von ISAF eben nicht<br />
nur bewaffnet Streife laufe.<br />
In seiner eingangs zitierten Jenaer Antrittsrede sagte<br />
Friedrich Schiller: „Fruchtbar und weit umfassend ist das<br />
Gebiet der Geschichte; in ihrem Kreise liegt die ganze<br />
moralische Welt“. Die Geschichte zum Reden zu bringen,<br />
wie Schiller dies von seinen Zuhörern forderte, ist auch<br />
das Ziel historischer Bildung. Unter den Bedingungen der<br />
Auslandseinsätze und für geographisch wie kulturell weit<br />
entfernte Einsatzgebiete erhält es eine erweiterte Bedeutung<br />
und erleichtert dort die Orientierung, wo anderfalls<br />
Frustration über die empfundene Fremdheit und ein gefährlicher<br />
Tunnelblick drohen. Dem Gedanken internationaler<br />
Peacekeeping-Operationen liefe beides zuwider.<br />
57
Tradition und Einsatz.<br />
Zu ethischen Aspekten der deutschen Sicherheitsvorsorge<br />
Text:<br />
Prof. Dr. Loretana de Libero<br />
Ein wahres Chamäleon ist der Krieg, so Clausewitz, ein<br />
Chamäleon, das „in jedem konkreten Falle seine Natur<br />
etwas ändert“. Vor fast 200 Jahren hat der preußische<br />
Militärtheoretiker diese Sentenz geprägt und sie besitzt<br />
immer noch Gültigkeit. Dem Wesen des Krieges immanent<br />
ist, dass ein Gewaltaustrag vielfältige Gestalt<br />
annehmen kann, je nachdem wer wann wo und warum<br />
zu den Waffen greift. Das allmähliche Verschwinden der<br />
‚klassischen’ zwischenstaatlichen Kriege hat neue oder<br />
auch nur scheinbar neue Konfliktformen hervorgebracht.<br />
Seit Auflösung der bipolaren Ordnung werden vermehrt<br />
‚kleine Kriege’ oder ‚Konflikte niederer Intensität’ auf<br />
einer inner- bzw. substaatlichen Ebene ausgetragen. Auf<br />
einer transnationalen Ebene hat sich dagegen die internationale<br />
Staatengemeinschaft mit dem Bedrohungspotential<br />
einer asymmetrischen Kriegführung auseinander zu<br />
setzen. All diesen Formen des Krieges gemein ist, dass<br />
nichtstaatliche Gewaltakteure beteiligt sind, die ethnischen,<br />
religiösen, ideologischen oder auch ökonomischen<br />
Handlungslogiken folgen. Dieser Typus ‚privatisierter<br />
Gewaltanwendung’ von regional begrenzt oder eben auch<br />
global operierenden Gruppierungen hat zur Folge, dass<br />
sich die internationale Staatenwelt weitgehend vom traditionellen<br />
Konzept der Landes- und Bündnisverteidigung<br />
verabschiedet hat. Verteidigt wird nicht mehr nur das<br />
eigene Hoheitsgebiet; nationale Sicherheit und Stabilität<br />
sollen auch gewährleistet werden durch zivil-militärisches<br />
Krisenmanagement jenseits der eigenen Grenzen, in entfernteren<br />
Regionen der Welt. Die Vereinten Nationen,<br />
die NATO und EU geben den institutionellen Rahmen<br />
für dieses erweiterte Sicherheits- und Verteidigungsverständnis.<br />
Der entgrenzte Krieg soll an seinem Ursprung<br />
bekämpft, friedensschaffende, friedenserhaltende Maßnahmen<br />
sollen durch Präsenz mandatierter multinationaler<br />
Streitkräfte an der Quelle der jeweiligen Krise greifen<br />
und wirken.<br />
Seit 1993 beteiligt sich die Bundeswehr unter Parlamentsvorbehalt<br />
an internationalen Militäreinsätzen, wobei sie<br />
zugleich in das Gefüge der multilateralen Sicherheitsarchitektur<br />
eingebunden ist. Mehr als 200.000 Soldatinnen<br />
und Soldaten waren bisher auf drei Kontinenten in verschiedenen<br />
Operationen im Einsatz, derzeit sind etwa<br />
Loretana de Libero<br />
8.000 in Krisengebieten engagiert. Die Bundeswehr ist<br />
eine Einsatzarmee. Sie ist damit zugleich auch eine Armee<br />
im steten Wandel. Um auf das Clausewitzsche Chamäleon<br />
effizient reagieren zu können, oder weniger bildhaft<br />
ausgedrückt: um auf ein sich wandelndes sicherheitspolitisches<br />
Umfeld adäquat und flexibel reagieren zu können,<br />
muss sich die Bundeswehr zukünftigen globalen Herausforderungen<br />
durch hohe, vorausschauende Anpassungsfähigkeit<br />
stellen. ‚Transformation’ ist die Antwort der<br />
Bundeswehr auf die Wandlungsfähigkeit des Krieges<br />
an sich. Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant<br />
Klaus-Peter Stieglitz, hat denn auch die deutschen Streitkräfte<br />
als eine „lernende Organisation“ bezeichnet, die<br />
durch strukturelle Anpassungs- und Innovationsfähigkeit<br />
gekennzeichnet sei. Das durch eine vorausschauende Sicherheitspolitik<br />
sich ständig verändernde Aufgabenspektrum<br />
der Bundeswehr zielt in erster Linie auf einen Stabilitätstransfer<br />
in gefährdete Regionen, um bedrohliche Folgen<br />
für die Sicherheit, Frieden und Freiheit des eigenen<br />
Landes abzuwehren. Brigadegeneral Karl H. Schreiner<br />
hat jüngst in einem Vortrag an der Führungsakademie<br />
darauf hingewiesen, dass es Ziel einer zeitgemäßen Sicherheitsvorsorge<br />
sein müsse, „einen Beitrag zur Stabilität<br />
im europäischen und globalen Rahmen zu leisten, die<br />
nationale Sicherheit und Verteidigung zu gewährleisten,<br />
zur Verteidigung der Verbündeten beizutragen sowie die<br />
multinationale Zusammenarbeit und Integration zu för-<br />
58
dern“. Das Aufgaben- und Einsatzspektrum einer neuen<br />
Bundeswehr als Armee der Einheit wurde erweitert, das<br />
berufliche Selbstverständnis des Soldaten entsprechend<br />
der neuen Realitäten neu definiert. In Zeiten eines reagierenden<br />
Transformationsprozesses, der durch die Beteiligung<br />
an internationalen Einsätzen, auch jenseits rein<br />
humanitärer Missionen, geprägt ist, sind Krisenmanagement,<br />
Konfliktlösung und Konfliktprävention im bündnispolitischen<br />
Rahmen die Maßgaben sicherheitspolitischen<br />
Handelns. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten ist<br />
das Anforderungsprofil des deutschen Soldaten allerdings<br />
vielschichtiger geworden: Er ist ein Konfliktmanager, der<br />
kämpfen, schützen, retten und helfen soll. Der Soldat,<br />
insbesondere der Offizier, muss zugleich Diplomat, Sozialarbeiter<br />
und Beschützer sein, neben den militärischen<br />
Grundfertigkeiten ausgestattet sein mit Handlungskompetenzen<br />
im sozialen und interkulturellen Bereich und<br />
ausgerüstet mit moralischethischen Grundsätzen entsprechend<br />
der vielfältigen Einsatzoptionen. Gefordert<br />
ist der vielseitige Soldatentyp, wobei selbstverständlich<br />
eine berufsmäßige Grundhaltung vorausgesetzt wird, zu<br />
der etwa gewissenhafter Gehorsam, Disziplin, Tapferkeit<br />
und Einsatzbereitschaft gehören. Eine solche komplexe<br />
Identitätskonstruktion stellt hohe Anforderungen an die<br />
einzelnen Soldatinnen und Soldaten: Der ‚Idealsoldat’ im<br />
Einsatz muss über ein großes Bündel an charakterlichen<br />
Qualitäten und Schlüsselqualifikationen verfügen, soziale<br />
Empathie, Sensibilität, aber auch eine gewisse Robustheit<br />
mitbringen, gleichzeitig Kommunikationsfähigkeit beweisen<br />
und die demokratische Unternehmensphilosophie<br />
leben.<br />
„Sie sind Gast, nicht Besatzer!“, mahnt der Code of<br />
Conduct (Taschenkarte KFOR ‚Verhalten gegenüber der<br />
Zivilbevölkerung’, 02/2000). Wer um die dunklen Seiten<br />
der eigenen Geschichte weiß, wer das ethische Rüstzeug<br />
besitzt, um im Einsatzgebiet den Menschen und ihrer<br />
Kultur mit Respekt und Umsicht zu begegnen, vertritt<br />
nicht nur überzeugend das freiheitlich-demokratische<br />
Wertesystem seines Kulturkreises, sondern trägt dazu bei,<br />
eine konkrete Aufgabe im Ausland erfolgreich bewältigen<br />
zu können. Der Schlüssel zum Erfolg ist die grundgesetzlich<br />
gebundene Werteorientierung der deutschen Streitkräfte,<br />
welche in der langen deutschen Militärgeschichte<br />
einzigartig ist. Das Eintreten für Menschenwürde und<br />
Rechtsstaatlichkeit ist lebendige Tradition der Bundeswehr,<br />
wie Verteidigungsminister von Apel bis Jung immer<br />
wieder hervorgehoben haben. Die Grundsätze der komplexen<br />
Inneren Führung, die gelebte Praxis sozusagen,<br />
wird als bundeswehrspezifische Überlieferung verstanden<br />
und zum Teil auch idealisiert. Als „unverwechselbare<br />
Markenzeichen der Bundeswehr“ werden die einzelnen<br />
Prinzipien in den gültigen „Richtlinien zum Traditionsverständnis<br />
und zur Traditionspflege in der Bundeswehr“<br />
vom 20. September 1982 aufgeführt. Unter Paragraph<br />
20 werden als Traditionselemente genannt: der Auftrag<br />
der Friedenserhaltung in Freiheit, der Verzicht auf ideologische<br />
Feindbilder, die multinationale Einbindung der<br />
Armee sowie die innere Verfasstheit der Bundeswehr und<br />
das berühmte Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Im<br />
Einklang mit diesen 25 Jahre alten Traditionsrichtlinien<br />
findet sich in offiziellen Darlegungen des Bundesministeriums<br />
der Verteidigung weiterhin ein klares Bekenntnis<br />
zur einst umstrittenen, oft hinterfragten Konzeption der<br />
Inneren Führung, welche sich als leitendes Prinzip auch<br />
für das Handeln im Einsatz bewährt habe. Als „ethischer<br />
Kompass“, so Bundesminister Jung, sei Innere Führung<br />
unverzichtbar. Unter den Bedingungen einer veränderten<br />
Einsatzwelt schafft sie – konsequent angewendet<br />
– Verhaltenssicherheit. Soldatinnen und Soldaten der<br />
Bundeswehr sind nicht nur einsatzfähig, sondern auch<br />
einsatzbereit, wenn sie um das „wofür“, d.h. um die<br />
Rechtmäßigkeit ihres Auftrags wissen.<br />
Seit 1960 beteiligt sich die Bundeswehr an nationalen<br />
wie internationalen Hilfseinsätzen, die bereits um 1970<br />
als traditionsbildende ‚Ereignisse’ aufgefasst wurden. Als<br />
traditionswürdige Leistungen werden im Traditionserlass<br />
von 1982 konkret die Hilfseinsätze der Streitkräfte<br />
erwähnt („bei Notlagen und Katastrophen im In- und<br />
Ausland“). 1991 prägte der damalige Generalinspekteur<br />
Admiral Dieter Wellershoff den feinen Satz: „Der Einsatz<br />
der Bundeswehr in der Hilfe für andere Menschen<br />
zählt zu den besten Traditionen, die Streitkräfte in Friedenszeiten<br />
erwerben können.“ Neben den zahlreichen<br />
humanitären Einsätzen im In- und Ausland werden in<br />
offiziellen Beiträgen seit einiger Zeit als neue Traditionselemente<br />
der Bundeswehr die friedenssichernden bzw.<br />
59
Tradition und Einsatz. Zu ethischen Aspekten der deutschen Sicherheitsvorsorge<br />
–stiftenden Auslandseinsätze genannt: Neben der alten<br />
‚Tradition des Helfens’ lassen sich somit Ansätze zu<br />
einer neuen ‚Tradition des Auslandseinsatzes’ erkennen.<br />
Im ‚Weißbuch 2006’ wird festgestellt, dass die Pflege<br />
von Traditionen einen unverzichtbaren Beitrag für die<br />
Bundeswehr als Armee im Einsatz leiste, da sie der<br />
Selbstvergewisserung diene, das Handeln der Soldaten<br />
in den historischen Kontext einordne und Orientierung<br />
für militärisches Führen und Handeln biete. Allerdings<br />
bleibt dort unerwähnt, wie sich denn die Einsatzwirklichkeit<br />
mit den ebenfalls genannten Traditionslinien, den<br />
preußischen Reformen, dem militärischen Widerstand<br />
gegen den Nationalsozialismus und der Eigentradition<br />
der Bundeswehr, kompatibel verhält. Versuche werden<br />
jedoch anderenorts, so etwa in offiziellen Reden zum 20.<br />
Juli, unternommen. Da Traditionsinhalte nach den Bedürfnissen<br />
der Gegenwart ausgewählt werden, kann, wie<br />
vom geistigen Vater der Inneren Führung Wolf Graf von<br />
Baudissin in den 1950er Jahren vorbereitet, das Attentat<br />
auf Hitler unter den außenpolitischen Vorzeichen „nach<br />
vorwärts verwandelt werden“ – oder anders ausgedrückt:<br />
Die Orientierung am Gegenwärtigen liefert den Maßstab<br />
und auch die Rechtfertigung für die wertebezogene Auswahl,<br />
so dass die Frauen und Männer des 20. Juli einst<br />
gegen den Kommunismus, jetzt gegen den Terrorismus<br />
eingesetzt werden. Der zeitgemäße Vergangenheitsbezug<br />
erfährt im Zuge der Neuausrichtung ganz spezifische<br />
Ausprägungen. So betont etwa Bundesminister der Verteidigung<br />
Franz Josef Jung in seiner Rede zum 20. Juli<br />
2006, dass sich der „Dienst in der Bundeswehr und vor<br />
allem der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten für<br />
den Frieden weltweit [...] an den Werten der mutigen Akteure<br />
des 20. Juli 1944“ orientierten.<br />
Tradition unterliegt der Transformation innerhalb der<br />
von der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung gezogenen<br />
Grenzen. Mit Blick auf soldatisches Fehlverhalten<br />
im Einsatz betont die Bundeswehrführung, dass das ethische<br />
Bewusstsein der Staatsbürger in Uniform geschärft,<br />
die militärischen Traditionen stärker ins Bewusstsein<br />
gebracht und die Auseinandersetzung mit möglichen<br />
Vorbildern gesucht werden müsse. Fundierte historische<br />
Kenntnisse, politische Bildung und diplomatischer Takt<br />
können Fehlgriffe und/oder Fehlverhalten verhindern<br />
helfen. In der einsatzvorbereitenden Ausbildung besitzt<br />
militärische Tradition allerdings noch keine kommunikative<br />
oder identitätsstiftende Funktion. Einsatzmotivation<br />
speist sich bisher kaum aus historischen Vorbildern. Zur<br />
Zeit kommt die neue Bundeswehr im Einsatz weitestgehend<br />
ohne traditionsbezogene Motivationsfaktoren offizieller<br />
Art aus. Ob der ältere Moltke oder der Große Kurfürst<br />
nach strenger Lesart des Erlasses und mit Blick auf<br />
Sinn und Zweck der Stabilisierungseinsätze die richtigen<br />
Werte vermitteln, bleibt ohnehin fraglich. Da empirische<br />
Befunde bisher fehlen, wäre übrigens interessant zu erfahren,<br />
welche ‚Helden’ denn in der Seitentasche von den<br />
Soldatinnen und Soldaten selbst mitgenommen werden,<br />
so sie sich in postheroischen Zeiten noch mit Gestalten<br />
grauer Vorzeit überhaupt identifizieren mögen. Möglicherweise<br />
erweist sich eine Idee, die Brigadegeneral Karl<br />
Schreiner kürzlich in den <strong>Gneisenau</strong>-Blättern vortrug,<br />
als richtungsgebend: „Erinnerungskultur, z.B. an erfolgreiche<br />
Einsätze kann in der Truppe zur Vermittlung der<br />
tradierbaren Werte genutzt werden“. Diese Überlegung<br />
steht übrigens im Einklang mit den Richtlinien, wonach<br />
gemäß Paragraph 19 auch soldatische Erfahrungen für<br />
die Ausbildung der Streitkräfte herangezogen werden<br />
sollen. Zu recht betonte daher Generalinspekteur General<br />
Wolfgang Schneiderhan in einem Interview im März<br />
2005, dass neben einem gewissenhaften Umgang mit der<br />
Vergangenheit im Vordergrund der Betrachtungen die<br />
50jährige Geschichte der Bundeswehr und ihre eigenen<br />
sinnstiftenden Leistungen stehen sollten.<br />
Die 50 Jahre alte Bundeswehr hat sich eine eigene Tradition<br />
geschaffen, auf die sie stolz blicken darf. Die<br />
bundeswehreigenen Traditionsinhalte scheinen ein Idealfall<br />
militärischer Traditionsbildung zu sein, zumindest<br />
erfüllen sie das, was bereits das ‚Weißbuch 1979’ in seinem<br />
Paragraphen 259 forderte: „Tradition ist alltäglich,<br />
selbstverständlich, natürlich.“ Auf die eigenen Leistungen<br />
der Streitkräfte wird in offiziellen Beiträgen aus dem<br />
Ministerium wie den militärischen Führungsstäben zu<br />
recht selbstbewusst verwiesen. Eine menschenwürdige<br />
Führungsphilosophie wurde geschaffen, die über ein<br />
ethisches Fundament verfügt, das wandelnden Anforde-<br />
60
ungen standhalten muss. Bundeswehreigene Traditionen<br />
sind keine kriegerischen Traditionen. Als Defensiv-Armee<br />
hat sich die Bundeswehr auch in multinationalen Auslandseinsätzen<br />
zu bewähren, von humanitären Missionen<br />
bis zum Kampfeinsatz. Ob sie für die ethische Dimension<br />
ihres Auftrages soldatische Vorbilder vergangener<br />
Zeiten benötigt, oder Traditionen genügen, die sie selbst<br />
in ihrer langen Geschichte hervorgebracht hat, muss die<br />
Zeit zeigen, denn, wie es bei Italo Svevo heißt, „die Vergangenheit<br />
ist immer neu. Sie verändert sich dauernd, wie<br />
das Leben fortschreitet“.<br />
61
Abschied vom Bild des Offiziers?<br />
Text:<br />
Dr. Eberhard Birk<br />
„Es gibt nichts, was ein deutscher Offizier nicht kann.“<br />
I. Prolegomena<br />
Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Militärs, dass<br />
nach inneren und äußeren Konstanten und Gewissheiten<br />
gefragt wird, die sich in Traditionen und fest umrissenen,<br />
Normen einfordernden ‚Bildern vom Offizier’ niederschlagen<br />
sollen. Selbst wenn sie nicht immer positiv<br />
artikuliert werden können, so ist ihnen gewiss, dass ‚man’<br />
weiß, was nicht dazu gehört. Sicher bleibt: Offiziere<br />
waren und sind als militärische Führungselite – in ihrer<br />
klassischen Trias als Ausbilder, Erzieher und Führer – der<br />
Transmissionsriemen für eine nach militärischen Gesichtspunkten<br />
einsatztaugliche Armee.<br />
Wollte man das Ergebnis einer fiktiven Umfrage unter<br />
unbeteiligten Zivilisten zugrunde legen, wären die Bilder<br />
des Offiziers schnell skizziert: Der Offizier bildet im<br />
Frieden seine Soldaten aus und führt sie im Krieg (heute:<br />
Einsatz). Im Subtext, so wird man weiter annehmen<br />
dürfen, hat man den schneidigen Leutnant oder Hauptmann<br />
vor Augen, der den Sturmangriff gegen feindliche<br />
Stellungen führt, den sich auf langjährige Erfahrung<br />
berufenden Stabsoffizier, den Monokel tragenden adligen<br />
preußischen General mit ordensgeschmückter Brust, den<br />
in Stalingrad oder Berlin letzte Stoßtrupps befehligenden<br />
Wehrmachtsoffizier, den der SED-Parteiräson folgenden<br />
spröden NVA-Offizier oder den nach zwei Wochen<br />
Truppenübungsplatz zurückkehrenden schmucklosen<br />
Verteidigungsspezialisten der Bundeswehr bis 1989/90,<br />
der nach und nach vom bewaffneten und studierten, uniformtragenden<br />
‚Entwicklungshelfer’ abgelöst wurde, der<br />
seinerseits, resp. nun die ihrerseits, Selbstmordanschlägen<br />
am anderen Ende der Welt ausgesetzt ist.<br />
Dies spiegelt unbewusst den Wandel eines Berufsbildes<br />
wider, das äußeren Einflüssen und innermilitärischen<br />
Idealvorstellungen im Laufe zweier Jahrhunderte unterlag.<br />
Die Schaffung eines eigenen militärischen Raumes<br />
kontrastiert indes mit dem Vorwurf, in der – dadurch ausgegrenzten<br />
– <strong>Gesellschaft</strong> nicht integriert zu sein. Dieser<br />
Spannungsbogen zieht sich über Jahrhunderte deutscher<br />
Eberhard Birk<br />
Militärgeschichte in allen ihren Facetten hin. Ihr militärhistorischer<br />
Ort ist auch die Frage nach Selbst- und<br />
Fremdbildern sowie in neuerer Zeit jene nach der Akzeptanz<br />
des Primats nicht unbedingt – stets vorhandener<br />
– politischer, wohl aber demokratischer Kontrolle von<br />
Streitkräften und der Identifikation von Streitkräften und<br />
Offizierkorps mit dem jeweiligen politischen System, das<br />
die Rahmenbedingungen soldatischen Dienens definiert.<br />
Die Wurzeln jedoch reichen tief zurück, wenngleich erst<br />
mit Aufkommen stehender Heere zur Zeit des Absolutismus<br />
der Offizier als neues Berufsbild konstitutiven<br />
Charakter erlangte. Das Bild des Offiziers erfährt seine<br />
unscharfen Umrisse von einer, in der Regel bar jeglicher<br />
historischen Faktizität, romantisch-ideellen Vorstellung,<br />
die am vordemokratischen Ehrbegriff eine diffuse Orientierung<br />
findet, und darüber hinaus auf eine ahistorische<br />
Verklärung und konstruierte Kontinuität in die Zeit des<br />
Rittertums zurückreicht.<br />
Dieser statische Charakter der ‚Ritterlichkeit’ im Verhalten<br />
steht das notwendige Einüben eines handwerklichfunktionalen<br />
militärischen Könnens und das Ausüben<br />
einer umfassenden Führungskompetenz gegenüber, die<br />
sich mit den sich dynamisch verändernden Einwirkungen<br />
auf die Kriegführung weiter entwickelten. Mit deren<br />
Wandel ist somit danach zu fragen, was die Überlieferung<br />
62
mit allen ihren Brüchen an Orientierung bereit hält. Allen<br />
Veränderungsprozessen zum Trotz wurde dabei seit Jahrhunderten<br />
‚das Ewige im Vergänglichen’ gesucht.<br />
II. Die Beeinflussung von Offizierbild und<br />
Anforderungsprofil<br />
So wie moderne Militärgeschichte operationsgeschichtliche<br />
Detailstudien nicht aus dem historisch-politischen<br />
und strategischen Zusammenhang reißen kann, ohne<br />
verfälschende Ergebnisse zu produzieren, können und<br />
dürfen ‚Bilder vom Offizier’ nicht auf Fragen der militärfachlichen<br />
Qualifikation und die romantisch-ideell überlagerten<br />
Fragen der Etikette reduziert werden.<br />
Offizierkorps verstehen sich bisweilen als überindividuelle<br />
Gruppen und als Generationen übergreifendes<br />
Kooptationskartell. Indes: Eine Karrieren und Verhalten<br />
nachzeichnende Analyse kann nie davon ausgehen, dass<br />
der Eintritt in eine Armee dem Übertreten von einem isolierten<br />
Reagenzglas in das andere vergleichbar wäre. Ohne<br />
diachrone und synchrone Bezüge zum gesellschaftlichen<br />
Wandel bleiben Normen einfordernde berufsspezifische<br />
‚Bilder’ ohne Aussagerelevanz. In anderen Worten: Bilder<br />
und Qualifikationserfordernisse verändern sich mit den<br />
Rahmenbedingungen.<br />
Die größten Veränderungen ergeben sich durch Militärische<br />
Revolutionen (MR) und Revolutions in Military Affairs<br />
(RMA). Militärische Revolutionen verändern unvorhersehbar<br />
und kaum kontrollierbar menschliche <strong>Gesellschaft</strong>en<br />
und deren eingeübte Funktionsmechanismen;<br />
ihre Auswirkungen haben konstitutiven Charakter für ein<br />
neues Kriegsbild durch die Vergrößerung der Basis der<br />
für den Kriegseinsatz mobilisierbaren Potenzen auf sich<br />
erweiternden Politik- und Handlungsfeldern. Als Militärische<br />
Revolutionen lassen sich feststellen: die Entstehung<br />
des modernen Staates im 16./17. Jahrhundert (MR I:<br />
Staat); die Französische Revolution (MR II: Nation), die<br />
Industrielle Revolution (MR III: Wirtschaft und Technik),<br />
die Kombination aller MR in beiden Weltkriegen (MR IV:<br />
MR I-III + Ideologie als ‚Totaler Krieg’); das nukleare<br />
Zeitalter des Kalten Krieges (MR V: Nuklearisierung)<br />
sowie seit 1991 die Globalisierung (MR VI: Globalisierung,<br />
Information, Molekularisierung).<br />
Eine RMA ist eine über einen qualitativen technischen<br />
Quantensprung oder organisatorisch und konzeptionell<br />
induzierte grundlegende Neuausrichtung der bewaffneten<br />
Macht, die sich durch den Implementierungsprozess<br />
einer Transformation auf Organisation, Strategie, Doktrin,<br />
Ausbildung, Führung, Logistik etc. auswirkt, um<br />
damit entscheidende militärische Überlegenheit zu erzielen.<br />
Hierfür gibt es in der Geschichte der Kriegführung<br />
unzählige Beispiele. In der Regel zielt eine RMA auf die<br />
Herstellung einer Dissymmetrie, um damit einen Vorsprung<br />
für militärische Duellsituationen innerhalb eines<br />
Paradigmas zu erreichen, wodurch sie sich von der Asymmetrie<br />
unterscheidet, der die Mittel und der Wille fehlen,<br />
um innerhalb eines Paradigmas gleichzuziehen.<br />
Während jedoch in der Abfolge der Militärischen Revolutionen<br />
und Revolutions in Military Affairs bis 1991<br />
– beschleunigt durch die jeweiligen Kriegserfahrungen<br />
– innerhalb kurzer Zeit die Symmetrie im Kreis der<br />
Mächte hergestellt wurde, besteht die mögliche Gefahr,<br />
dass weitere RMAs die militärischen Fähigkeiten einer<br />
Macht in einem Maße steigen, die weit über den Sinn<br />
für den Einsatz ‚hinausschießen’, wenn sie nicht in eine<br />
über die Zeit nach der militärischen Auseinandersetzung<br />
hinausweisende, integrierte Gesamtstrategie eingebunden<br />
wird. Die Innovationszyklen der RMA mit immer kürzeren<br />
Abständen bei anhaltender Unsicherheit über die nun<br />
neuartige Dimension der MR führt tendenziell zu dem<br />
Ergebnis, dass man sich vermutlich vom statischen ‚Bild<br />
des Offiziers’ zu verabschieden hat.<br />
Vor diesem Hintergrund ist in Form einer These vorzuschlagen,<br />
eine terminologische Präzisierung des Begriffes<br />
vom ‚Bild des Offiziers’ vorzunehmen. Eine Militärische<br />
Revolution verlangt als neues Paradigma auch ein<br />
neues ‚Bild des Offiziers’, das die Veränderungen auf<br />
politischem, gesellschaftlichem, sozialen und (rüstungs-)<br />
wirtschaftlichem Terrain – und damit auch die sich ändernden<br />
Dimensionen der Legitimation soldatischen<br />
Dienens – geistig reflektiert; durch eine innerhalb des<br />
63
Abschied vom Bild des Offiziers?<br />
Paradigmas sich ereignende RMA verändern sich die jeweiligen<br />
Anforderungsprofile an den Offizier, die dessen<br />
genuin militärische Führungs- und Handlungskompetenz<br />
maximieren.<br />
III. Bilder vom Offizier in der Vergangenheit<br />
– panta rhei<br />
Epochale Einschnitte im Zuge Militärischer Revolutionen<br />
und RMAs sowie die beinahe unzähligen Umbrüche<br />
staatlich-politischer und militärischer Art in der deutschen<br />
Geschichte in den letzten zwei Jahrhunderten hatten auch<br />
Veränderungen der jeweiligen Vorstellungen vom Offizierberuf<br />
zur Folge. In diese Rahmenbedingungen ist nun<br />
ein jeweilig konstruiertes Bild des Offiziers einzufügen.<br />
Durch die MR I entstand der institutionalisierte frühneuzeitliche<br />
territoriale Flächenstaat, der die Herstellung,<br />
Sicherung, Vertiefung und Erweiterung des monarchischen<br />
Souveränitätsanspruches auf alle Politik- und<br />
<strong>Gesellschaft</strong>sfelder zum Inhalt hat. Insbesondere durch<br />
die Perpetuierung monarchischer Verfügungsgewalt über<br />
ein auf Dauer aufgestelltes stehendes Heer wurde das an<br />
die Person des Monarchen gebundene, fast ausschließlich<br />
adlige, dem ständischen Habitus noch verpflichtete<br />
Offizierkorps zur militärischen Führungsschicht. Diese<br />
Altlast aus der Ständezeit wurde zu einem staatlichen,<br />
systemstabilisierenden Dienstethos transformiert. Ehre,<br />
Eid und Esprit de Corps erlangten konstitutiven Charakter.<br />
Dieses Bild des Offiziers hat über den Absolutismus<br />
hinaus einen stabilen Charakter; es wird in der preußischen<br />
Geschichte nur durch die preußische Heeresreform<br />
unterbrochen, im Zuge der Restaurationsphase nach dem<br />
Wiener Kongress jedoch fast unverändert wieder aufgenommen.<br />
Durch die MR II (Französische Revolution) wandelte<br />
sich auch das Bild des Offiziers. Ihre über die nationalen<br />
Grenzen hinausweisende Universalität musste auch<br />
Nachwirkungen im Selbstverständnis und in der Zugangsberechtigung<br />
der militärischen Eliten aufweisen.<br />
Die nach der in ihren Folgen katastrophalen Niederlage<br />
Alt-Preußens gegen Napoleon in der sog. Doppelschlacht<br />
bei ‚Jena und Auerstedt’ am 14. Oktober 1806 verfolgte<br />
Zielsetzung der Integration des Bürgertums – auch als<br />
Ausdruck der Modernität – in Staat und Armee war ohne<br />
Alternative. Um dem Ideal von Scharnhorst nahe zu<br />
kommen – „Armee und Staat inniger zu vereinen“ –, gab<br />
es nur die Möglichkeit der Wehrpflicht, die den bürgerlichen<br />
Wehrpflichtigen zwar nicht zur Normalität machte,<br />
wohl aber zur Norm erhob. Somit mussten sich die<br />
Offiziere ihre „Bestimmung, die Erzieher und Anführer<br />
eines achtbaren Teils der Nation zu sein, immer vergegenwärtigen“<br />
– so verlangte es ihr Souverän. Folglich wurde<br />
am 6. August 1808 festgelegt: „Einen Anspruch auf<br />
Offizierstellen können in Friedenszeiten nur Kenntnisse<br />
und Bildung gewähren, im Kriege ausgezeichnete Tapferkeit,<br />
Tätigkeit und Überblick.“ Es genügte nicht mehr,<br />
als Offizier einer rein soldatischen Elite anzugehören,<br />
wenn die neben Besitz klassischen bürgerlichen Attribute<br />
‚Kenntnisse und Bildung’ fehlten. Die Qualifikation für<br />
den Zugang zum Offizierberuf wurde so verbreitert, dass<br />
damit eine Grundlegung erfolgte, die Epochen übergreifende<br />
Bedeutung besitzt.<br />
Die Phase der politischen Restauration verdrängte nicht<br />
nur den Ansatz von Scharnhorst und <strong>Gneisenau</strong>, indem<br />
sie zum Bild des Offiziers aus dem Absolutismus zurückkehrte.<br />
Das politische System Preußens, des Norddeutschen<br />
Bundes und des Kaiserreiches ließen ein neues<br />
Bild des Offiziers, das den Veränderungen der MR III<br />
im Zuge der Industrialisierung Rechnung getragen hätte,<br />
nicht zu. Die seit dieser Zeit streng monoton steigende<br />
Bedeutung der Rolle der (militärischen) Technik führte<br />
stattdessen zu einer Verkürzung und Fokussierung des<br />
‚Bildes’ auf ein immanentes RMA-Anforderungsprofil.<br />
Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Industrialisierung<br />
wurde als soziale Herausforderung des politischen<br />
Systems wahrgenommen, die sich abzeichnende Relevanz<br />
des industrialisierten Kriegsbildes auf Hinterladergewehre,<br />
verbesserte Artilleriegeschütze und Eisenbahnlinien<br />
reduziert. Schneidigkeit, Casinoton und der ‚Adel der<br />
Gesinnung’ waren als Gegenentwurf zum ‚Bild des Offiziers’<br />
nicht ausreichend.<br />
64
Die MR IV als Summe der MR I-III, mit dem Zusatz<br />
‚Ideologie’ versehen, führte in der ersten Hälfte des<br />
20. Jahrhunderts zum Ergebnis des ‚Totalen Krieges’.<br />
Hier ist eine doppelpolige Entwicklung zu konstatieren.<br />
Einerseits entstand unter den Bedingungen des technisch-industrialisierten<br />
Abnutzungskrieges des Ersten<br />
Weltkrieges der Frontkämpfertypus, von dem viele in<br />
der Zwischenkriegszeit zum mentalen SA-Marschierer<br />
wurden. Andererseits kultivierte die Reichswehrführung<br />
den unpolitischen, mit – in Anlehnung an das ‚Bild des<br />
Offiziers’ aus der MR I – geradezu aristokratischer Überhebung<br />
sich sehenden und auf sein rein militärisches<br />
Handwerk verstehenden professionellen Offizier. Beide<br />
verschmolzen im Zweiten Weltkrieg, insbesondere an der<br />
Ostfront, zu einem Bild des Offiziers, das den in der NS-<br />
Weltanschauung behafteten Offiziers, der zum zeitversetzten<br />
Zwilling des Frontkämpfertypus des I. WK wird,<br />
als ‚Ideal’ erkannte.<br />
Die MR V (Nuklearisierung) führte vor dem Hintergrund<br />
der bipolaren Systemkonfrontation des Kalten Krieges in<br />
Europa und der innerdeutschen Grenze zum ‚karrierebewussten<br />
Gewalttechnokraten’, der über das Leitbild des<br />
Staatsbürgers in Uniform und die Innere Führung an die<br />
freiheitlich-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes<br />
gebunden wird. In der Realität wurde allerdings als<br />
‚Bild des Offiziers’ über lange Phasen der Geschichte der<br />
Bundeswehr eine Mischung aus den MR I-IV präferiert,<br />
was sich auch in der chronischen Frage nach dem ‚gültigen<br />
Erbe des deutschen Soldaten’, i.e. der Traditionsfrage,<br />
manifestierte.<br />
Mit der MR VI (Information und Molekularisierung) im<br />
Zuge der Globalisierung seit 1991 wurden, den Realitäten<br />
der neuen ‚Welt(un)ordnung’ geschuldet, ‚Transformation’<br />
und ‚Armee im Einsatz’ zum neuen Bundeswehr-<br />
Paradigma. Vor dem Hintergrund sich seit dem 20. Jahrhundert<br />
in immer kürzeren Abständen ereignenden und<br />
wechselseitig überlappenden MR und RMA und einer<br />
zunehmenden Komplexität von Herausforderungen, die<br />
sich für die Bundeswehr in einer zunehmenden Anzahl<br />
von Auslandseinsätzen niederschlagen, sehen sich Offiziere<br />
wie Soldaten mit einem Verlust der Gewissheiten<br />
konfrontiert und allein gelassen. Bilder des Offiziers und<br />
Anforderungsprofile scheinen gesprengt zu sein.<br />
Als kurze Summe ist festzuhalten: Der Wandel eines Berufsbildes<br />
ist mit Händen greifbar. Die zum Teil wechselseitigen<br />
Verflechtungen und gelegentliche Potenzierung<br />
von Militärischen Revolutionen und RMAs sowie die<br />
daraus folgenden Veränderungen des Kriegsbildes haben<br />
stets ein neues Anforderungsprofil für den Offizier<br />
geschaffen und Veränderungen am ‚Bild des Offiziers’<br />
verursacht, das einer von außen induzierten Dynamik unterlag.<br />
Die alten Bilder des Offiziers waren nach einer MR<br />
aus dem militärischen Raum heraus nicht mehr immer<br />
steuerbar. Versuche des Beharrens waren trotzdem gelegentlich<br />
so dominant, dass Armeen, wie die preußische<br />
1806, an den Folgen einer MR scheiterten. Aber auch die<br />
Veränderungen des Anforderungsprofils wurden stets an<br />
den sich gewohnheitsmäßig und des sich der vermeintlich<br />
zeitenthobenen Tradition seines (Berufs-) ‚Standes’<br />
bewussten am Bekannten, Alten orientierenden – eben<br />
konservativen – Offizier herangetragen. Die Verweigerung<br />
des geistigen Reflektierens, Mitdenkens und Weiterentwickelns<br />
notwendiger Anpassungsprozesse erwies sich<br />
als Katalysator des Nichtbestehens.<br />
IV. Grundlegung durch Bildung und Innere<br />
Führung<br />
Die erste tragfähige Grundlegung erfolgte vor zwei Jahrhunderten.<br />
Die Zielsetzungen der preußischen Heeresreform,<br />
die – neben den Erfordernissen einer adäquaten<br />
Begegnungen der Herausforderungen der Französischen<br />
Revolution – nur im Rahmen der Gesamtheit des Reformwerkes<br />
ihren tieferen Sinn erlangen, erfahren über<br />
den engen Zusammenhang von Tradition, Bildung und<br />
Legitimation soldatischen Dienens einen Anknüpfungspunkt<br />
für die Grundlegung eines ‚Bildes vom Offiziers’<br />
in der Transformation der Gegenwart. Die den Prozessen<br />
innewohnende, zielführende Konstante heißt:<br />
Horizonterweiterung durch Wissen, (Aus-) Bildung und<br />
Erziehung.<br />
65
Abschied vom Bild des Offiziers?<br />
Ohne je eine Katastrophe erlebt zu haben, befindet sch<br />
die Bundeswehr seit einigen Jahren in ihrem Transformationsprozess.<br />
Die Behauptung, er sei – wenn überhaupt<br />
– nur noch mit der Aufstellungsphase der Bundeswehr<br />
und der Preußischen Heeresreform vor 200 Jahren zu<br />
vergleichen, ist richtig. Beiden ‚Neugründungen’ gingen<br />
jedoch politische, militärische und moralische Katastrophen<br />
(1806 und 1945) voraus, nach denen grundsätzliche<br />
Neuorientierungen notwendig wurden. Neben den (sicherheits-)<br />
politischen Implikationen ging es bei beiden<br />
Neuanfängen auch um neue ‚Bilder vom Offizier’.<br />
Die preußischen Heeresreformer um Scharnhorst und<br />
<strong>Gneisenau</strong> erkannten nicht zuletzt in einem überalterten<br />
und geistig unflexiblen, alten Standestraditionen<br />
verpflichteten Offizierkorps einen der Hauptgründe für<br />
die vollkommene Niederlage gegen Napoleon. ‚Jena und<br />
Auerstedt’ wurde zur Chiffre eines gesamtstaatlichen und<br />
militärischen Modernisierungsdefizits. Die gebotenen<br />
Staats-, <strong>Gesellschaft</strong>s- und Bildungsreformen spiegelten<br />
sich auch in den Militärreformen wider. Die Neuregelung<br />
des (bürgerlichen) Zugangs zum Offizierberuf sowie die<br />
Notwendigkeit einer zeitadäquaten Bildung, lebenslanges<br />
Lernen in Form allgemeiner und militärfachlicher Weiterbildung<br />
wurden von Scharnhorst und <strong>Gneisenau</strong> bereits<br />
vor 200 Jahren eingefordert. Ihre Postulate dienen als<br />
Anknüpfungspunkte für das heutige Berufsverständnis<br />
als Offizier. Damals wie heute in der Transformation gilt,<br />
was <strong>Gneisenau</strong> im Juli 1808 formulierte: „Die neue Zeit<br />
braucht mehr als alte Titel und Pergamente, sie braucht<br />
frische Tat und Kraft.“<br />
Auch die Neukonzeption der Bundeswehr als Bündnisund<br />
Parlamentsarmee mit ihrem ‚Staatsbürger in Uniform’,<br />
der als freie Persönlichkeit und motivierter Soldat<br />
die ihm vom Grundgesetz eingeräumten bürgerlichen<br />
Freiheitsrechte verteidigt, war ein Erfolgsmodell. Die<br />
Innere Führung verband das soldatische Dienstethos mit<br />
dem Wertegefüge des Grundgesetzes. Ihr maßgeblicher<br />
spiritus rector, Wolf Graf von Baudissin, sah aus militärhistorischer,<br />
sicherheits- und verteidigungspolitischer<br />
Perspektive die Notwendigkeit, aus den beiden traditionsstiftenden<br />
und freiheitlich deutbaren Ereignissen, i.e. der<br />
preußischen Heeresreform und dem militärischen Widerstand<br />
gegen Hitler und das NS-Regime, die historischpolitische<br />
Quintessenz für die aufzustellende Bundeswehr<br />
zu ziehen.<br />
Seine ‚Beurteilung der Lage’, aus der die innere Notwendigkeit<br />
der Inneren Führung quasi ‚systemimmanent’<br />
folgte, sah wie folgt aus: Die politische, militärische<br />
und moralische Katastrophe (1933/39-1945) entließ die<br />
Deutschen unmittelbar in den bipolaren Systemantagonismus.<br />
In der latenten ideologischen Gefahr eines<br />
‚Weltbürgerkrieges‘ muss der Soldat der Bundeswehr<br />
um das ‚Wogegen?‘ und ‚Wofür?‘ wissen. Daher war das<br />
soldatische Selbstverständnis an das Wertegefüge des<br />
Grundgesetzes zu koppeln. Für den Offizier genauso wie<br />
für die jeweiligen Streitkräfte gilt das Postulat Baudissins:<br />
„Armeen können nur in Form sein, wenn sie die Strukturen<br />
des Ganzen widerspiegeln und wenn sie von dem<br />
gleichen Geist beseelt sind, der das Ganze trägt. Soldaten<br />
sind Kinder ihrer Zeit; Streitkräfte repräsentieren die<br />
gesellschaftlich-politischen Herrschaftsformen, deren Instrumente<br />
sie sind.“<br />
Der Eid des Soldaten der Bundeswehr, abgelegt auf<br />
das Freiheits-, Rechts- und Demokratieverständnis der<br />
Bundesrepublik Deutschland, wurde zur verpflichtenden<br />
Norm. Das wertgebundene soldatische Berufsverständnis<br />
des – seit den 1970er Jahren idealtypisch studierten<br />
– Offiziers, der die militärfachlichen und technischen<br />
Anforderungen des Dienstes genauso beherrscht wie er<br />
die Prinzipien der Inneren Führung verinnerlicht hat und<br />
seinen Soldaten als Vorbild vorlebt, bleibt die Grundkonstante<br />
des ‚Bildes vom Offizier’.<br />
Dieses wurde jedoch über lange Phasen der Geschichte<br />
der Bundeswehr von innen heraus in Frage gestellt,<br />
die Innere Führung als ‚Maske’ diskreditiert, die man<br />
nun abnehmen könne, da sie den Blick auf die harte<br />
Realität des immer gleich sich darstellenden Lebens des<br />
Soldaten verwehre. Bereits im Weißbuch 1970 wurde<br />
daraufhin unmissverständlich und apodiktisch überhöht<br />
– auch auf §8 SG hinweisend – formuliert: „Deswegen<br />
sind die Grundsätze der inneren (sic!) Führung keine<br />
66
‚Maske’, die man ablegen könnte, sondern ein Wesenskern<br />
der Bundeswehr. Wer sie ablehnt, taugt nicht zum<br />
Vorgesetzten unserer Soldaten.“ Eine Infragestellung<br />
der ‚Führungsphilosophie’ der bundesrepublikanischen<br />
Bürgerarmee konnte weder vom Parlament noch von der<br />
verantwortlichen Exekutive hingenommen werden. Mit<br />
dem Ausscheiden noch kriegsgedienter Soldaten, dem<br />
Nachrücken bundesrepublikanisch sozialisierter Offiziere<br />
in höchste Führungspositionen und der für eine Wehrpflichtarmee<br />
einer Republik alternativlose Akzeptanz der<br />
Inneren Führung und ihrem Leitbild des Staatsbürgers in<br />
Uniform war bei den unzähligen Versuchen der Kodifikation<br />
eines Bildes vom Offiziers die Stabilität verleihende<br />
Grundlegung stets der nicht diskutierbare Bezug auf den<br />
Wertekanon des Grundgesetzes die conditio sine qua non<br />
soldatischen Dienens.<br />
Das ‚klassische’ Bild des gebildeten Offiziers blieb in der<br />
Realität ein Ideal. Es ist der Offizier der Zeit <strong>Gneisenau</strong>s<br />
und Scharnhorsts, es ist der Offizier des militärischen<br />
Widerstandes, der weiß, wann Gehorsam spätestens zu<br />
verweigern ist, es ist der studierte, überzeugte Anhänger<br />
der Inneren Führung der 70er Jahre der Bundeswehrzeit<br />
– es ist der Offizier, der sich in seinem Selbstverständnis,<br />
fast ohne es zu ahnen, auf Werthaltungen und Ereignisse<br />
bezieht, die mit dem Traditionsverständnis der Bundeswehr<br />
korrespondieren, das wiederum nichts anderes reflektiert<br />
als die in die Vergangenheit projizierte Frage um<br />
die Akzeptanz der Inneren Führung.<br />
V. Die neuen Rahmenbedingungen und ihre<br />
Begegnung<br />
Der Zusammenbruch des ‘monolithischen’ Sowjetreiches<br />
löste neben den Umwälzungen auf (gesellschafts-) und<br />
wirtschaftspolitischem Terrain einen sicherheitspolitischen<br />
Paradigmenwechsel aus und hinterließ auch eine<br />
‘NATO ohne Feindbild’. Eine multi- bzw. apolare Welt<br />
trat an die Stelle des antagonistischen Bipolarismus. Der<br />
Kalte Krieg hatte historisch-politisches und ethnischreligiöses<br />
Konfliktpotential lediglich eingefroren. Das<br />
komplexe Verflechtungssystem im Rahmen des (west-)<br />
europäischen Integrationsprozesses fand ein spiegelbildlich<br />
verkehrtes Pendant in der Desintegration und Instabilität<br />
in der sicherheitspolitischen Peripherie Europas.<br />
Frieden in Europa bedeutet nicht Frieden für Europa.<br />
Neue und vielschichtige, in erster Linie außerkontinentale<br />
Bedrohungsszenarien ‘gordischer Komplexität’ ließen die<br />
erhoffte ‘Friedensdividende’ zur Fiktion werden. Nichts<br />
könnte sich für ‚den Westen’ als fataler erweisen als der<br />
‚Glaube’, der Rest der Welt würde sich im Laufe der Zeit<br />
westlichen ‚Wertecodes’ und Überzeugungen angleichen.<br />
Weltweiter, zwischen- und innerstaatlicher Friede ist kein<br />
Naturzustand; er muss organisiert werden.<br />
Der Paradigmenwechsel der Sicherheitspolitik mit den<br />
epochalen Einschnitten von 1989/91 und ‚9/11’ brachte<br />
gravierende Veränderungen für die Bundeswehr. In<br />
ihren Dimensionen wird sich die Transformation der<br />
Bundeswehr als schwierig erweisen. Ihre Notwendigkeit<br />
steht außer Frage. Es gilt nicht nur ein ‚Jena und Auerstedt’<br />
zu vermeiden, sondern die Bundeswehr in einem<br />
permanenten Anpassungsprozess ‚fit for future’ zu machen.<br />
Hier sind die militärischen Eliten als Analysten und<br />
Initialzünder genauso gefordert wie das Parlament als<br />
legitimations- und richtungsdeutendes Instrument und<br />
der einzelne Offizier im täglichen Dienst im Garnisonsstandort<br />
wie im Einsatz.<br />
Die Weiterführung einer – nun fiktiven – Baudissin’schen<br />
Lagebeurteilung könnte folgende sein: Die Bewährung der<br />
Bundeswehr im Kalten Krieg und in den ersten Einsätzen<br />
im Rahmen der internationalen Gemeinschaft unter<br />
verschiedenen Flaggen resp. ‚Hüten’ ist erfolgt. Ein hohes<br />
Maß an Unschärfe bei der konzisen Nennung neuer,<br />
komplexer Herausforderungen incl. einer ideologischen<br />
Überlagerung durch verschiedene Facetten des terroristischen<br />
Islamismus sowie die latente ideologische Gefahr<br />
eines ‚clash of civilizations‘ stellen eine existenzielle Herausforderung<br />
dar. Es bleibt die Frage nach der geistigen<br />
Verankerung des Offiziers. Es bleibt das Zurückgeworfensein<br />
auf die eigenen kognitiven und empathiegeleiteten<br />
Fähigkeiten. Es bleibt die Frage nach dem Wofür? Die<br />
Antwort ist schwierig und einfach zugleich. Die Ableitung<br />
der Quintessenz Baudissins indes bliebe wohl: Der Soldat<br />
der Bundeswehr muss um das ‚Wogegen?‘ und ‚Wofür?‘<br />
67
Abschied vom Bild des Offiziers?<br />
wissen – die ethische Rückbindung soldatischen Dienens<br />
an das Wertegefüge des Grundgesetzes.<br />
Gleichwohl werden sich die Themen- und Handlungsfelder<br />
der Inneren Führung weiterentwickeln müssen, da sie<br />
durch die parlamentarische Willensbildung, aktuelle und<br />
prognostizierte sicherheitspolitische Herausforderungen<br />
sowie den Wertewandel in der <strong>Gesellschaft</strong> auch einer<br />
externen Dynamik unterliegen. Solange niemand auch<br />
nur annähernd in der Lage ist, ein auch intellektuellen<br />
Ansprüchen genügendes Bild des Offiziers anzubieten,<br />
kann sich jeder, der mehr verspricht, als falscher Prophet<br />
erweisen resp. entpuppen.<br />
VI. Anforderungen an den Offizier<br />
Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffes in der Gegenwart<br />
erweitert die zu bewältigenden Aufgaben: Schwerpunkte<br />
verschieben sich, Handlungsfelder bekommen<br />
neue Akzentuierungen, neue Herausforderungen kommen<br />
hinzu – allein dies zu erkennen und verinnerlichen<br />
verdeutlicht die intellektuelle Dimension: Transformation<br />
beginnt im Kopf. Hier steht der Offizier insbesondere als<br />
Ausbilder und Erzieher der ihm anvertrauten Soldaten<br />
in der Pflicht. Er hat ihnen den Wesensgehalt und die<br />
Zielsetzung soldatischen Dienens, die politischen und militärischen<br />
Implikationen des Einsatzes sowie die ethische<br />
Legitimation zu verdeutlichen.<br />
Um ihrem Auftrag gerecht werden zu können, brauchen<br />
die Offiziere kein neues ‚Bild des Offiziers’ – Grundgesetz<br />
und Soldatengesetzt gelten nach wie vor –, sie<br />
müssen vielmehr einem neuen dynamischen Anforderungsprofil<br />
gerecht werden, das die gesamte Palette der<br />
Qualifikationen in ihrer (Einsatz-)Relevanz abbildet.<br />
Hierfür muss ‚der Offizier’ nicht neu erfunden werden.<br />
Die ‚alten’, bewährten Kernfunktionen des Offiziers als<br />
Führer, Ausbilder und Erzieher bleiben erhalten – was<br />
sollte sie auch ersetzen? Aber der ‚Stolz’ der deutschen<br />
Militärgeschichte, die Aufrechterhaltung der Auftragstaktik,<br />
funktioniert nur bei einem hohen Bildungsniveau.<br />
Nur wer sich – insbesondere als Offizier – in Selbstdisziplin<br />
seinen Wissens- und Bildungshorizont verbreitert,<br />
wird mit den Freiräumen des Auftrages verantwortlich<br />
umgehen und erfolgreich bestehen können. Ressort<br />
übergreifende, vernetzte Sicherheitspolitik braucht auch<br />
Ressort übergreifend und vernetzt denkende und handelnde<br />
Offiziere.<br />
Der erste Traditionserlass von 1965 wies bereits auf diesen<br />
einfachen Sachverhalt hin: „Geistige Bildung gehört<br />
zum besten Erbe europäischen Soldatentums. Sie befreit<br />
den Soldaten zu geistiger und politischer Mündigkeit und<br />
befähigt ihn, der vielschichtigen Wirklichkeit gerecht zu<br />
werden, in der er handeln muß. Ohne Bildung bleibt<br />
Tüchtigkeit blind.“ Was vor mehr als 40 Jahren vor einer<br />
eindimensionalen Bedrohungslage galt, wird heute umso<br />
mehr zur Verpflichtung.<br />
Bildungs- und Erziehungsfragen beginnen bei der eigenen<br />
Person. Ein wissenschaftliches Studium erweitert zwar<br />
den individuellen Horizont. Es bleibt indes weitgehend<br />
wirkungslos, wenn das persönliche Engagement, auch<br />
nach Dienst, sich der lebenslangen Weiterbildung versagt.<br />
Das Mitverfolgen der Globalisierung in ihren verschiedenen<br />
Facetten und Auswirkungen (Technikentwicklung,<br />
säkulare und religiöse Weltanschauung, <strong>Gesellschaft</strong> und<br />
Wertewandel etc.) erlangen für eine Armee im Einsatz<br />
eine politische und militärische Relevanz.<br />
Die Offiziere noch mehr als die von ihnen geführten<br />
Soldaten werden in den Auslandseinsätzen als Repräsentanten<br />
und Indikatoren der Glaubwürdigkeit eines ‚westlichen’<br />
resp. europäischen Politikverständnisses wahrgenommen.<br />
Seitdem die Bundeswehr als Einsatzarmee<br />
firmiert, muss jedem Soldaten, insbesondere aber dem<br />
Offizier, klar sein, dass sein Beruf ein ausgesprochen<br />
politischer Beruf ist. Sein Handeln bestimmt maßgeblich<br />
den Erfolg der Missionen der Bundeswehr – (geduldete)<br />
Fehlhandlungen können insbesondere über nationale<br />
und internationale mediale Prozesse neben militärischen<br />
Verlusten innen- und außenpolitische Nachwirkungen<br />
zeitigen.<br />
68
Soldatisches Handeln hat deshalb als wesentliche Konstante<br />
und nicht zu diskutierendes Postulat das Menschenbild<br />
des Grundgesetzes als unverrückbaren Ausgangs-<br />
und Zielpunkt. Grundgesetz und Humanitäres<br />
Völkerrecht bilden die Grundlage für alle Einsätze der<br />
Bundeswehr. Auf der Basis einer einen möglichst breiten<br />
Horizont erahnenden geistigen Bildung, ohne Missachtung<br />
technischer Kenntnisse, versehen mit militärischer<br />
und sozialer Führungskompetenz, alleine kann der Offizier<br />
der Gegenwart Grund und sicheren Halt finden.<br />
Die dieser berufsethischen Konstante nachgeordneten<br />
Variablen leiten sich aus dem Gesamtauftrag und modernem<br />
Berufsverständnis des Offiziers, wie insgesamt aller<br />
Soldaten der Bundeswehr ab; sie bedingen sich hierbei<br />
wechselseitig: Erwerb und Sicherung militärischer und<br />
moderner technologischer Grundfertigkeiten bei physischer<br />
und psychischer Belastbarkeit bleiben genauso unabdingbar<br />
wie wirtschaftliches Handeln in Zeiten knapper<br />
Ressourcen; die Verwurzelung im Menschenbild des<br />
Grundgesetzes bedingt Interkulturelle Kompetenz, Empathievermögen<br />
und eine mitdenkende vorausschauende<br />
Lagebeurteilung; Englisch ist als (militärische) lingua franca<br />
keine Fremdsprache; soziale und methodische Kompetenzen<br />
in allen Ausbildungs- und Erziehungsfragen sowie<br />
das tägliche Vorleben eines TSK-übergreifenden Joint-,<br />
Combined- und Teamgedankens runden neben der der<br />
Lage angepassten Weiterentwicklung eventuell neuer<br />
Handlungsfelder die vielfältigen Herausforderungen für<br />
den Offizier ‚neuen Typs’ ab.<br />
Versteht er die Anforderungen des neuen Profils – intrinsisch<br />
motiviert, flexibel und beharrlich sowie am<br />
Leistungsideal orientiert – zu erfüllen, werden Berufszufriedenheit<br />
und Anerkennung automatisch folgen. Die<br />
Motti der Offizierschulen von Luftwaffe („Ich will“)<br />
und Heer („In Freiheit dienen“) geben für die Offiziere<br />
der Zukunft die Richtung vor – und nicht umsonst sieht<br />
sich die Führungsakademie der Bundeswehr als höchste<br />
Ausbildungseinrichtung auch weiterhin ihrem Motto verpflichtet:<br />
mens agitat molem (Der Geist bewegt die Materie),<br />
da Transformation und (Offizier-)Bilder im Kopf<br />
und nicht in den Gliedmaßen beginnen.<br />
Wie schwierig auch nur ein Umriss vom möglichen ‚Bild<br />
des Offiziers’ oder ein temporäres Anforderungsprofil<br />
zu skizzieren sind, wird in der Rede des Bundesministers<br />
der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich des<br />
Festaktes zum 50-jährigen Bestehen des Zentrums Innere<br />
Führung am 30. November 2006 in Koblenz deutlich:<br />
„Haltlosigkeit, Werteverfall, Egoismus, die Abkehr von<br />
christlichen und humanistischen Idealen sind Phänomene,<br />
die in den letzten Jahren zugenommen haben (...) Auf<br />
die Vermittlung der Werte und Normen unserer freiheitlich-demokratischen<br />
Grundordnung müssen wir noch<br />
stärker als bisher Wert legen. Denn leider können wir ihre<br />
Kenntnis nicht mehr als selbstverständlich voraussetzen.“<br />
Diese Diagnose ist zutreffend. Sie hat eine militärische<br />
Relevanz, da sie für eine nachrückende Generation von<br />
Mannschaften, Unteroffizieren und Offizieren Gültigkeit<br />
besitzt. Daraus folgt eine erzieherische Verpflichtung.<br />
Der deutsche Minister schlug zunächst die nationale Therapie<br />
vor: „Geschichtliche Kenntnisse, das Wissen um<br />
die Entstehung von Werten und Normen, die Auseinandersetzung<br />
mit prägenden Gestalten der Geschichte, die<br />
Kenntnis von Symbolen gehört wesentlich zur soldatischen<br />
Erziehung. Eine Stärkung der politisch-historischen<br />
Bildung ist deshalb für mich eine wichtige Folgerung, um<br />
dem drohenden Verlust von Geschichtsbewußtsein entgegenzuwirken.“<br />
Sie ist indes parallel zu ergänzen durch die Herausbildung<br />
einer europäischen Identität. So könnte man zum<br />
Beispiel als Projekt die Etablierung einer europäischen<br />
(Sommer-) Akademie für Offizieranwärter und junge<br />
Offiziere forcieren, die eine Fortführung auf anderen<br />
Dienstgradebenen erlauben könnte – sie sind es, die das<br />
kommende Europa mit Leben ausfüllen –, einen Katalog<br />
von Geschichte und Traditionen europäischer Staaten<br />
und ihrer Streitkräfte erarbeiten oder andere Vorarbeiten<br />
für ein europäisches Werte- und Geschichtsverständnis<br />
69
Abschied vom Bild des Offiziers?<br />
betreiben sowie die Integration von Philosophie-, Ethikoder<br />
Religionsseminaren in den jeweiligen Ausbildungsgängen<br />
(verpflichtend) einführen. Dies eröffnet nicht nur<br />
den Zugang zur eigenen nationalen, internationalen oder<br />
europäischen Geschichte, sondern ermöglicht auch die<br />
Sensibilisierung für die interkulturelle Kompetenz.<br />
Es war schon immer der Vorteil einer umfassenden historisch-politischen<br />
resp. humanistischen Bildung, sie nicht<br />
nur zweckfrei zu sehen, sondern in ihr ein Ressourcenpotential<br />
zu erblicken, das horizonterweiternd Handlungssicherheit<br />
und Zusatzoptionen ermöglicht. Dies muss sich<br />
am ‚Geist’ der Inneren Führung – sie hat enormes ‚europäisches’<br />
Potential – orientieren und diese widerspiegeln.<br />
Das dem Offizierberuf Eigene, i.e. das Entscheiden und<br />
verantwortliche Befehlen, verlangt insbesondere in Zeiten<br />
des Verlustes der Gewissheiten sowie zunehmender<br />
Komplexität in den Einsatzszenarien einen klaren inneren<br />
ethischen Kompass, wie der Generalinspekteur der<br />
Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, in seiner<br />
Rede am Zentrum Innere Führung am 2. September 2005<br />
forderte: „Wir brauchen Soldaten, insbesondere Offiziere,<br />
die die Dimension der Ethik und Moral des Berufes<br />
erfassen und weitervermitteln können.“<br />
70
AUTOREN<br />
Unsere Autoren:<br />
Brigadegeneral Robert Bergmann, Jahrgang 1949, verheiratet, drei Kinder.<br />
1969 Eintritt in die Bundeswehr bei Ausbildungskompanie 5/1 in Braunschweig, 1970-74 Gruppenführer,<br />
Zugführer und Vorgeschobener Beobachter/Batterieoffizier bei Panzerartilleriebataillon 25 in Braunschweig,<br />
1974-76 S 2 Offizier bei Panzerartilleriebataillon 25 in Braunschweig, 1977-81 Batteriechef bei 4./ und 5./<br />
Panzerartilleriebataillon 25 in Braunschweig, 1981-83 Teilnehmer am 24. Generalstabslehrgang in Hamburg,<br />
1983-85 G 2 Stabsoffizier im Stab 10. Panzerdivision in Sigmaringen, 1985-86 Teilnehmer am Generalstabslehrgang<br />
des Spanischen Heeres in Madrid, 1986-89 G 4 Planungsstabsoffizier bei NATO HQ CENTRAL,<br />
ARMY GROUP in Heidelberg, 1989-90 Kommandeur Feldartilleriebataillon 71 in Dülmen, 1990-92 G 1 Stabsoffizier<br />
des Stabes 3. Panzerdivision in Buxtehude, 1992-94 Sprecher des Generalinspekteurs der Bundeswehr<br />
im BMVg-Pressestab in Bonn, 1994-95 Kommandeur Artillerieregiment 7 in Dülmen, 1996 Militärischer<br />
Berater des hohen Repräsentanten in Sarajewo, 1997-98 Kommandeur Akademie der Bw für Information<br />
und Kommunikation in Strausberg, 1998-2000 Gruppenleiter im Bundeskanzleramt in Bonn / Berlin, 2000-02<br />
Kommandeur Panzergrenadierbrigade 19 „Münsterland“ in Ahlen [dabei von 12/2000 bis 6/2001 Chef des<br />
Stabes Multinationale Division-SE (SFOR) in Mostar], 2002-04 Kommandeur Panzerbrigade 21 „Lipperland“<br />
in Augustdorf [dabei von 06/2003 bis 11/2003 Kommandeur Multinationale Brigade (SW) KOSOVO in Prizren],<br />
2004-06 Kommandeur Zentrum Innere Führung in Koblenz, seit Juni 2006 Stabsabteilungsleiter I im<br />
Führungsstab der Streitkräfte, BMVg, Bonn.<br />
Dr. Eberhard Birk, Major d.R., Jahrgang 1967, verheiratet, 4 Kinder.<br />
1987–1993 Soldat auf Zeit, 1993–1997 Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität<br />
Augsburg, Stipendiat der deutschen Studenten- und Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
e.V., 1999 Promotion zum Dr. phil., 1998–2000 Lehrbeauftragter an der Philosophischen Fakultät an der<br />
Universität Augsburg, seit 2000 Dozent für Militärgeschichte und Politische Bildung an der Offizierschule der<br />
Luftwaffe in Fürstenfeldbruck; Herausgeber der <strong>Gneisenau</strong> Blätter seit 2004.<br />
Veröffentlichungen (Auswahl):<br />
Monographien: Der Funktionswandel der Westeuropäischen Union (WEU) im europäischen Integrationsprozess<br />
(=Spektrum Politikwissenschaft Bd. 9), Würzburg 1999; Militärgeschichtliche Skizzen zur Frühen<br />
Neuzeit. Anmerkungen zu einer Phänomenologie der bewaffneten Macht im 17. und 18. Jahrhundert, Hamburg<br />
2005; Militärische Tradition. Beiträge aus politikwissenschaftlicher und militärhistorischer Perspektive,<br />
Hamburg 2006.<br />
Aufsätze: Einigkeit und Recht und Freiheit. Gedanken und Vorüberlegungen für den Traditionsbegriff einer<br />
Bundeswehr mit europäischer Perspektive, in: Militärgeschichte 4/2001 (11. Jg.), S. 64–72; Aspekte einer<br />
militärischen Tradition für Europa, in: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 2/2004, S. 131–140; Anmerkungen<br />
zum Traditionsverständnis der Bundeswehr, in: Deutschland-Archiv. Zeitschrift für das vereinigte<br />
Deutschland 2/2004, S. 282–289; Lange und kurze Wege nach Höchstädt, in: Jahrbuch des Historischen<br />
Vereins Dillingen 2004 (105. Jahrgang), S. 241–268; Das Traditionsverständnis der Bundeswehr und seine<br />
Umsetzung an der Offizierschule der Luftwaffe, in: Ulrich vom Hagen/Björn Kilian (Hg.), Perspektiven der<br />
Inneren Führung. Zur gesellschaftlichen Integration der Bundeswehr, Berlin 2005, S. 57–75 (=Wissenschaft<br />
& Politik Bd. 2); Alexander der Große und seine ‚Grand Strategy‘, in: Österreichische Militärische Zeitschrift<br />
(ÖMZ) 5/2005, S. 635–642; Napoleon und <strong>Gneisenau</strong> . Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund<br />
des Irakkrieges, in: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 1/2006; Hannibal und sein strategisches<br />
Scheitern. Vom brillanten Eröffnungszug zum konzeptlosen Ende, in: Österreichische Militärische Zeitschrift<br />
(ÖMZ) 6/2006, S. 675–684; Die Schlacht bei Leuthen am 5. Dezember 1757. Eine multiperspektivische Annäherung,<br />
in: ÖMZ 1/2008 (i.E). Zur Zeit Vorbereitung einer Studie zum Thema: Strategische Phänomenologie<br />
und operativer Logos.<br />
71
AUTOREN<br />
Dr. Bernhard Chiari, Oberstleutnant d.Res., Jahrgang 1965, verheiratet, zwei Kinder.<br />
1984-1986 Soldat auf Zeit (Panzeraufklärer), 1986-1992 Studium der Osteuropäischen Geschichte, Germanistik<br />
und Politikwissenschaften an der Universität Frankfurt am Main, 1992-1997 Assistent am Lehrstuhl<br />
Osteuropäische Geschichte, Universität Frankfurt am Main, 1997 Promotion an der Universität Tübingen zum<br />
Thema „Deutsche Besatzungsherrschaft in Weißrußland 1941-1944“, 1998 Freiberufliche Tätigkeit am Germanischen<br />
Nationalmuseum, Nürnberg. Auslandseinsatz SFOR, 1999 Bearbeiter eines Forschungsprojektes<br />
der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Erlangen, seit 2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, bis Oktober 2003 Wiss. Assistent des Leiters Abteilung<br />
Forschung, seit Dezember 2003 Pressestabsoffizier des MGFA, seit Januar 2005 Leiter Modul Einsatzunterstützung.<br />
Mitglied im Redaktionskollegium der Belarusian Historical Review/Belaruski Histarychny Ahljad.<br />
Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam und Freien Universität Berlin.<br />
Veröffentlichungen (Auswahl):<br />
Wegweiser zur Geschichte Afghanistan (Hg.), 2. überarbeitete und erweiterte Aufl., Paderborn u.a. 2007;<br />
Von der Escort Navy zur Expeditionary Navy: Der deutsche Marineeinsatz am Horn von Afrika, in: Wegweiser<br />
zur Geschichte Horn von Afrika, hrsg. von Dieter H. Kollmer, Paderborn u.a. 2007, S. 127-140; Wegweiser zur<br />
Geschichte Naher Osten (hrsg. gem. mit Dieter H. Kollmer), Paderborn 2007; Wegweiser zur Geschichte Kosovo,<br />
hrsg. mit Agilolf Keßelring, Paderborn u.a. 2006, Wegweiser zur Geschichte Demokratische Republik<br />
Kongo (hrsg. gem. mit Dieter H. Kollmer), Paderborn 2006; Grenzen deutscher Herrschaft. Voraussetzungen<br />
und Folgen der Besatzung in der Sowjetunion, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd 9/2,<br />
München 2005, S. 877-976; Zwischen Hoffnung und Hunger. Die sowjetische Zivilbevölkerung unter deutscher<br />
Besatzung, in: Christian Hartmann/Johannes Hürter/Ulrike Jureit (Hrsg.), Verbrechen der Wehrmacht.<br />
Bilanz einer Debatte, München 2005, S. 145-154; Volkskrieg und Heldenstädte: Zum Mythos des Großen<br />
Vaterländischen Krieges in Weißrußland, in: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Begleitbände<br />
zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, hrsg. von Monika Flacke, Berlin 2004, Bd. 2,<br />
S. 737-756 (gem. mit Robert Maier); Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa<br />
seit dem Zweiten Weltkrieg (Hg.), München 2003; Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts, hrsg. mit<br />
Matthias Rogg und Wolfgang Schmidt, München 2003; Militärgeschichte: Erkenntnisgewinn und Praxis, in:<br />
Benjamin Ziemann (Hg.), Perspektiven der Historischen Friedensforschung. Frieden und Krieg (= Beiträge<br />
zur Historischen Friedensforschung, Band 1), Essen 2002, S. 286-302; Alltag hinter der Front. Besatzung,<br />
Kollaboration und Widerstand in Weißrußland 1941-1944, Düsseldorf 1998.<br />
MinR Peter Dreist, Oberstleutnant d.R., Jahrgang 1954, verheiratet, zwei Kinder.<br />
Abitur 1973 in Düsseldorf, Soldat auf Zeit 1973-75 (Panzerjägertruppe), 17 Wehrübungen.<br />
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln; Erstes Staatsexamen: 1983, zweites Staatsexamen:<br />
1986. Eintritt als Rechtsberater in den höheren nichttechnischen Dienst der Bundeswehr: 1987.<br />
Verwendungen als Rechtsberater (RB) und Wehrdisziplinaranwalt (WDA) im Heeresamt in Köln und im Wehrbereichskommando<br />
III in Düsseldorf, als Rechtslehrer (RL) an der Offiziersschule des Heeres in Hannover,<br />
als RB im Zentrum für Verfikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen und für die Deutschen Militärischen<br />
Vertreter beim NATO-Hauptquartier SHAPE, Belgien, beim Militärkommitee der NATO und der WEU<br />
in Brüssel, Belgien und beim HQ AFCENT in Brunssum, Niederlande, als RB und WDA im Führungsstab des<br />
Heeres im BMVg in Bonn, als Referent für Auslandseinsatzrecht in der Rechtsabteilung des BMVg in Bonn,<br />
als Leiter des Einsatzführungszentrums der Territorialen Wehrverwaltung im Bundesamt für Wehrverwaltung<br />
in Bonn, als Leitender und Dienstaufsichtsführender RB und WDA im Luftwaffenführungskommando in Köln<br />
und als stv. Leiter (RB und WDA) des neu geschaffenen Rechtsberaterzentrums der Luftwaffe in Köln. Seit<br />
März 2006 Referatsleiter (RB und WDA des Inspekteurs der Luftwaffe) im BMVg in Bonn.<br />
72
Publikationen (Auswahl):<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr ohne Grenzen?, BWV 1994, S. 125 ff.; Das Gebot der Stunde: Streitkräfteöffnung<br />
für Frauen, in: Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Frauen im militärischen Waffendienst, Schriftenreihe<br />
Wehrdienst und <strong>Gesellschaft</strong>, Band 6, Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001, S. 315 ff. = NZWehrr<br />
2000, S. 65 ff.; Rechtliche Aspekte des KFOR-Einsatzes, NZWehrr 2001, S. 1 ff.; Humanitäre Intervention –<br />
Zur Rechtmäßigkeit der NATO-Operation ALLIED FORCE, in: Walter Kolbow, Heinrich Quaden (Hrsg.), Krieg<br />
und Frieden auf dem Balkan, Makedonien am Scheideweg?, Schriftenreihe Demokratie, Sicherheit und<br />
Frieden, Band 141, Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 1. Auflage 2001, S. 83 ff.; Streitkräftefremde<br />
Aufgaben im Kosovo, NZWehrr 2002, S. 45 ff.; Offene Rechtsfragen des Einsatzes bewaffneter deutscher<br />
Streitkräfte – Zwischenbilanz und Problemaufriss, NZWehrr 2002, S. 133 ff. = UBWV 6/2003, S. 201 ff.;<br />
Prüfschema: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland, NZWehrr 2003, S. 152 ff.; Terroristenbekämpfung<br />
als Streitkräfteauftrag – zu den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns der<br />
Bundeswehr im Innern, Der Kriminalist 2003, S. 349 ff. = NZWehrr 2004, S. 89 ff.; Der Bundestag zwischen<br />
„Vorratsbeschluss“ und Rückholrecht: Plädoyer für ein wirkungsvolles Parlamentsbeteiligungsgesetz, KritV<br />
Heft 2004, S. 79 ff.; Wehrverwaltung im Auslandseinsatz – die Aufgabenwahrnehmung, UBWV 2004, S. 281<br />
ff.; Berufsarmee statt Wehrpflicht und zudem Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht?, BWV 2004, S. 150<br />
ff., S. 169 ff., S. 193 ff.; Wehrverwaltung im Auslandseinsatz – die Einsatzsteuerung, UBWV 2004, S. 441 ff.;<br />
AWACS-Einsatz ohne Parlamentsbeschluss? – Aktuelle Fragestellungen zur Zulässigkeit von Einsätzen bewaffneter<br />
Streitkräfte unter besonderer Berücksichtigung der NATO-AWACS-Einsätze in den USA 2001 und<br />
in der Türkei 2003, ZaöRV 2004, S. 1001 ff.; Einsatz der Bundeswehr im Innern – Das Luftsicherheitsgesetz<br />
als Anlass zum verfassungsrechtlichen Nachdenken, in: „Sicherheit statt Freiheit? Staatliche Handlungsspielräume<br />
in extremen Gefährdungslagen“ – Tagungsband der Fachschaft Jura des Cusanuswerkes anlässlich<br />
der Tagung vom 29.10. – 01.11.2004 in Burg Rothenfels, Verlag Duncker & Humblodt, Berlin 2005, S. 77 ff.;<br />
50 Jahr Bundeswehr – Rahmenbedingungen für Einsätze im Ausland im Spannungsfeld zwischen Politik und<br />
Recht, BWV 2005, S. 29 ff.; S. 49 ff.; Bundeswehreinsatz als Wahrnehmung materieller Polizeiaufgaben ohne<br />
Grundgesetzänderung? UBWV 2006, S. 93 ff.; Bundeswehreinsatz für die WM 2006 als Verfassungsfrage,<br />
NZWehrr 2006, S. 45; Rules of Engagement in multinationalen Operationen – ausgewählte Grundsatzfragen,<br />
NZWehrr 2007, S. 45 ff.; S. 99 ff. und S. 146 ff..<br />
Dr. Franz Josef Jung, Jahrgang 1949, verheiratet, 3 Kinder.<br />
Nach dem Abitur leistete er seinen Wehrdienst bei den Flusspionieren mit Verwendungen in Niederlahnstein<br />
und Lorch am Rhein ab und nahm an der Offizierausbildung in Münster und Rendsburg teil. Anschließend<br />
studierte er Jura in Mainz und promovierte 1978 zum Dr. jur. Von 1972 bis 1987 war Franz Josef Jung Kreistagsabgeordneter<br />
des Rheingau-Taunus-Kreises. Seit 1976 arbeitet er als Rechtsanwalt in Eltville, seit 1983<br />
ist er ebenfalls als Notar tätig. 1983 wurde Franz Josef Jung als Mitglied in den hessischen Landtag gewählt,<br />
von 1987 bis 1999 war er in der Funktion als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion<br />
tätig. 1999 bis 2000 war er hessischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der<br />
Staatskanzlei. Von 2003 bis 2005 nahm er die Funktion des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Hessischen<br />
Landtag wahr. Seit dem 22. November 2005 ist Franz Josef Jung Verteidigungsminister der Bundesrepublik<br />
Deutschland.<br />
73
AUTOREN<br />
Peter Krug, Jahrgang 1943, verheiratet, drei Kinder.<br />
1963 – 1969 Studium der ev. Theologie in Marburg, Tübingen und Bonn; 1969 – 1972 Vikar und Hilfsprediger<br />
in Hüffelsheim und Sobernheim; 1972 – 1977 in Duisburg-Wanheimerort Pfarrer im 3. Bezirk, Synodalbeauftragter<br />
für Jugendarbeit im Kirchenkreis Duisburg-Süd, Internationale Jugendbegegnungen in Polen und<br />
Israel (Arbeitseinsätze) und Moskau/Leningrad; 1977 – 1995 Pfarrer im 1. Bezirk in Alt-Saarbrücken, Synodalbeauftragter<br />
für Konfirmandenarbeit (bis 1980), nebenamtlicher Religionsunterricht (1969 – 1980); 1980<br />
– 1995 Superintendent des Kirchenkreises Saarbrücken, Planung und Organisation der Kreiskirchentage<br />
1986, 1988 und 1990, Gründung und Begleitung der Partnerschaft mit dem bapt. Kirchenkreis Goma/Zaire<br />
seit 1986, Gründung der ACK Saarbrücken (mit Gaststatus der Synagogengemeinde) seit 1991, Vorsitz bis<br />
1994, Planung des Projektes City-Kirche (Eröffnung 1995), Mitglied im Aufsichtsrat des Diak. Werkes an der<br />
Saar (1985 – 1995 Vorsitz), Mitglied im Verwaltungsrat Ev. Stift St. Arnual (1987 – 1995 Vorsitz), Ev. Vertreter<br />
in der Landesanstalt für Rundfunkwesen Saarbrücken (1987 – 1995), Mitglied im Kuratorium der Diakonie-<br />
Anstalten Bad Kreuznach (1991 – 1997), Mitarbeit auf landeskirchlicher Ebene; 1985 – 1993 Mitglied im<br />
Ständigen Kirchenordnungsausschuss (1989 stv. Vorsitz, 1991 – 1993 Vorsitz), Mitarbeit in verschiedenen<br />
Kommissionen der Landeskirche, z. B. Theologische Prüfungen, Arbeitslosigkeit, Entflechtung des Präsesamtes<br />
(Vorsitz), Lebensordnung (Vorsitz), Struktur des pfarramtl. Dienstes im Kontext des gesamten Mitarbeitergefüges<br />
(Vorsitz),Perspektivkommission, Öffentlichkeitsarbeit; 1992 – 1998 Mitarbeit auf EKU-Ebene,<br />
Rechtsausschuss, 1993 – 1997 Lebensordnung (Vorsitz), 1994 – 1998 Synode; 1993 – 1995 Nebenamtliches<br />
Mitglied der Kirchenleitung der Ev. Kirche im Rheinland; 1995 – 1998 in Düsseldorf Kirchenrat, Beauftragter<br />
der rheinischen, westfälischen und lippischen Kirche bei Landtag und Landesregierung NRW; seit 1. Mai<br />
1998 Bischof der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg (Oldb.); seit 23. September 2003 Militärbischof.<br />
Prof. Dr. Loretana de Libero, Jahrgang 1965.<br />
Historisches Seminar, Universität Potsdam. Seit 1996 Lehrtätigkeit an den Universitäten Göttingen, Hamburg,<br />
Kiel, Oldenburg und Potsdam. 2000-2004 Oberassistentin an der Universität der Bundeswehr Hamburg.<br />
2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sozialwissenschaftlichen Institut Strausberg, seit 2006 Wissenschaftlerin<br />
am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam. Forschungsschwerpunkte: Alte Geschichte<br />
(Archaisches und Klassisches Griechenland, Römische Republik); Staats- und Verfassungsgeschichte,<br />
Eliten- und Stereotypenforschung, Militärische Erinnerungskultur.<br />
Veröffentlichung mit militärhistorischem Bezug:<br />
Tradition in Zeiten der Transformation. Zum Traditionsverständnis der Bundeswehr im frühen 21. Jahrhundert,<br />
Paderborn 2006; Antike Wege in den Krieg, in: Bernd Wegner (Hg.), Wie Kriege entstehen. Zum historischen<br />
Hintergrund von Staatenkonflikten (=Krieg in der Geschichte Band 4), Paderborn, 2. Aufl. 2003, S. 25-44;<br />
Lügen, Krieg und der Halbmond von Cannae, in: Antike Welt 34,4, 2003, S. 421-422; Mit eiserner Hand ins<br />
Amt? Kriegsversehrte Aristokraten zwischen Recht und Religion, Ausgrenzung und Integration, in: Res publica<br />
reperta. Zur Verfassung und <strong>Gesellschaft</strong> der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift<br />
für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, hrsg. v. J. Spielvogel. Stuttgart 2002, S. 172-191; Vernichtung oder<br />
Vertrag? Bemerkungen zum Kriegsende in der Antike, in: Bernd Wegner (Hg.), Wie Kriege enden. Wege<br />
aus dem Krieg von der Antike bis zur Gegenwart (=Krieg in der Geschichte Band 14), Paderborn 2002, S.<br />
3-23.<br />
Reinhold Robbe, Jahrgang 1954.<br />
1960 bis 1970 Hauptschule, 1970 bis 1973 Berufsbildende Schule. 1973 Kaufmannsgehilfenprüfung bei<br />
der IHK Hannover. 1975 bis 1976 Zivildienst. 1974 bis 1975 Verlagskaufmann, Zeitung „Rheiderland“, 1976<br />
bis 1986 Verwaltungsmitarbeiter und Betriebsratsvorsitzender der Lebenshilfe Leer, 1986 bis 1994 Pressesprecher<br />
und Geschäftsführer beim SPD-Bezirk Weser/Ems. Vizepräsident der Deutsch-Israelischen <strong>Gesellschaft</strong>;<br />
Vizepräsident der Deutschen Atlantischen <strong>Gesellschaft</strong> 1970 Eintritt in die SPD, seit 1972 Mitglied im<br />
74
Ortsvereinsvorstand, 1979 bis 1987 stellvertretender Unterbezirksvorsitzender und bis Mai 2005 Vorsitzender<br />
des SPD-Ortsvereins Bunde, stellvertretender Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Leer, bis Mai 2005<br />
Schatzmeister des SPD-Bezirks Weser/Ems 1976 bis 1991 Mitglied des Gemeinde- und Samtgemeinderates<br />
Bunde, 1980 bis 1991 Fraktionsvorsitzender. Mitglied des Bundestages von 1994 bis 12. Mai 2005, Vorsitz<br />
im Verteidigungsausschuß von November 2002 bis Mai 2005. Am 14. April 2005 mit 307 gegen 276 Stimmen<br />
bei 15 Enthaltungen und einer ungültigen Stimme zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages<br />
gewählt. Vereidigung und Amtsübernahme am 12. Mai 2005.<br />
General Wolfgang Schneiderhan, Jahrgang 1946, verheiratet, 5 Kinder.<br />
04. April 1966 Diensteintritt in die Bundeswehr in Dornstadt bei Ulm, anschl. Ausbildung zum Panzeroffizier,<br />
1972-74 Hauptamtlicher Jugendoffizier der 10. Panzerdivision in Sigmaringen, 1974-77 Kompaniechef im<br />
Panzerbataillon 293 in Stetten am Kalten Markt, 1977-79 20. Generalstabslehrgang (Heer) an der Führungsakademie<br />
in Hamburg, 1979-81 Referent im Führungsstab der Streitkräfte (Bereich Militärisches Nachrichtenwesen),<br />
1981-83 G3 der Heimatschutzbrigade 55 in Böblingen, 1983-86 G3-Stabsoffizier im NATO-<br />
Hauptquartier Europa-Mitte in Brunsum (Niederlande), 1986-88 Kommandeur Panzerbataillon 53 in Stetten<br />
am Kalten Markt, 1988-90 Chef des Stabes 4. Panzergrenadierdivision in Regensburg, 1990-92 Stabsoffizier<br />
Rüstungskontrolle im NATO-Hauptquartier in Brüssel, 1992-94 Fachbereichsleiter Führungslehre Heer an der<br />
Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, 1994-97 Kommandeur der Panzerbrigade 39 „Thüringen“<br />
in Erfurt, 1997-99 Stabsabteilungsleiter „Bundeswehr-Planung“ im Führungsstab der Streitkräfte im BMVg,<br />
1999-2000 Stabsabteilungsleiter „Militärpolitik und Führung“ im Führungsstab der Streitkräfte im BMVg,<br />
2000-02 Leiter Planungsstab im BMVg, seit 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr.<br />
Orden und Ehrenzeichen:<br />
Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Ehrenkreuz der Bundeswehr<br />
in Gold, Großkreuz des Militärverdienstordens des Haschemitischen Königreichs Jordanien, Adlerkreuz<br />
1. Klasse der Republik Estland, Großoffizier des Kronenordens des Königreichs Belgien, Komturkreuz des<br />
Ordens der Ehrenlegion der Französischen Republik, Komturkreuz des Ordens Legion of Merit der Vereinigten<br />
Staaten von Amerika, Verdienstkreuz 1. Klasse der Verteidigungsministers der Tschechischen Republik,<br />
Großoffizierkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik, Orden der Ehre – Offizierskreuz am Band<br />
der Hellenischen Republik, Großes Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.<br />
Brigadegeneral Dipl. Ing. Gerhard Schulz, Jahrgang 1950, verheiratet, drei Kinder.<br />
1970 Eintritt in die Luftwaffe, Ausbildung zum Offizier, 1973-76 Studium der Elektrotechnik an der Universität<br />
der Bundeswehr in Neubiberg, anschl. Ausbildung als Feuerleitoffizier HAWK an der Raketenschule der<br />
Luftwaffe in Fort Bliss, Texas, 1978-83 Feuerleitoffizier im Flugabwehrraketenbataillon in Eckernförde, dann<br />
Erkundungsoffizier und S3, 1983-85 Teilnahme am 28. Generalstabslehrgang der Luftwaffe an der Führungsakademie<br />
der Bundeswehr in Hamburg, 1985-87 Batteriechef des 4. FlaRakBtl in Manching, anschl. Einsatz<br />
beim Luftwaffenamt als Leiter der Arbeitsgruppe „Erweiterte Luftverteidigung“, 1988-90 Grundsatzreferent<br />
für Luftverteidigungsplanungen im Bundesministerium der Verteidigung, Fü L VI 3, 1990-93 Bearbeiter<br />
„Konzeptionelle Verteidigungsgrundlagen“ in der „Plans and Policy Division“ im HQ SHAPE, Belgien, anschl.<br />
Bearbeiter „Nationale und NATO-Verteidigungsplanungen“ im BMVg Fü S VI, 1994-95 Verwendung im<br />
Planungsstab des BMVg, 1996-97 Lehrgangsleiter des 40. Generalstabslehrgangs der Luftwaffe an der Führungsakademie<br />
der Bundeswehr, 1997-2000 Verwendung als Branchchief „Operational Planning“ im IMS,<br />
NATO HQ in Brüssel: Konzeptionelle Grundlagenarbeit für Einsatz und NATO Krisenmanagementübungen,<br />
Mitwirkung bei den Operationsplanungen für den Kosovoeinsatz der Bundeswehr, 2000-01 Stellvertreter<br />
Kommandeur und Chef des Stabes der 1. Luftwaffendivision in Karlsruhe, 2001-2005 Referatsleiter im BMVg<br />
Fü S V 1, seit 28. April 2005 Kommandeur der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.<br />
75
AUTOREN<br />
Javier Solana, Jahrgang 1942, verheiratet, zwei Kinder.<br />
Doktor der Physik – Stipendien an mehreren amerikanischen Universitäten. Professor für Festkörperphysik<br />
an der Universidad Complutense in Madrid; Verfasser von über dreißig Publikationen in diesem Bereich.<br />
Mitglied der spanischen Gruppe des Club of Rome.<br />
Eintritt in die Spanische Sozialistische Partei; seit 1977 Parlamentsabgeordneter. Minister aller spanischen<br />
Regierungen zwischen 1982 und 1995 ohne Unterbrechung: Dezember 1982 – Juli 1988: Minister für Kultur<br />
(gleichzeitig, von Juli 1985 bis Juli 1988, Regierungssprecher); Juli 1988 – Juli 1992: Minister für Bildung und<br />
Wissenschaft; Juli 1992 – Dezember 1995: Minister für auswärtige Angelegenheiten.<br />
Dezember 1995 – Oktober 1999: Generalsekretär der NATO. Seit 18. Oktober 1999: Generalsekretär des<br />
Rates der Europäischen Union, Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Seit dem<br />
25. November 1999: Generalsekretär der WEU; im Juli 2004 für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren zum<br />
Generalsekretär des Rates der EU und zum Hohen Vertreter der EU für die GASP ernannt. Am Tag des Inkrafttretens<br />
des Vertrags über eine Verfassung für Europa soll Javier Solana zum Hohen Repräsentanten der<br />
EU für Außenpolitik ernannt werden.<br />
Horst Steinberg, Jahrgang 1944, verheiratet, zwei Kinder.<br />
1964 – 1967 Maschinenbaustudium an der Fachhochschule in München mit Fachrichtung Flugzeugbau, Abschluss<br />
als Dipl. Ing. (FH); 1967 – 1968 Entwicklungsring Süd (später MBB), Entwicklungsingenieur; 1970 –<br />
1971 Berufsbegleitende Ausbildung zum Berufspiloten Kl. II mit Instrumentenflugberechtigung; 1968 – 1974<br />
Wehrübungen bei der Luftwaffe (OL der Reserve); 1968 – 1988 Dornier Werke München (Bereich Marketing,<br />
Vertrieb, Kundendienst und Luftfahrtprojekte, Vertriebsassistent, Vertriebsleiter, Bereichsleiter); 1989 – 1992<br />
DASA – Dornier Aviation North America Inc. und Dornier Aviation Marketing Services Inc., Washington DC,<br />
USA; Geschäftsführer; 1992 – 1996 DASA – Fokker Aircraft BV, Amsterdam, Holland (Geschäftsbereich<br />
Marketing und Vertrieb; Bereichsleiter); 1996 – heute HMS Management GmbH, Landsberg; Eigentümer und<br />
Geschäftsführer (Industrieberatung im Bereich Luftfahrt- und Investitionsprojekte, Schwerpunkt Übernahme-<br />
und Restrukturierungsprojekte, Zeitmanagement); 1998 – 2000 Rational North America Inc., Chicago,<br />
USA; Geschäftsführer; 2003 – 2007 RUAG Aerospace Services, Oberpfaffenhofen; Geschäftsführer; RUAG<br />
Aerospace Deutschland, Oberpfaffenhofen; Vorsitzender der Geschäftsführung.<br />
76
Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter<br />
Band 1<br />
Die humanitäre Intervention als ultima ratio zur Beendigung<br />
oder Verhinderung von Men s chenrechtsverletzungen<br />
2001<br />
mit Beiträgen von:<br />
Peter Fonk, Otfried Höffe, Hans Küng, Claire Marienfeld-Czesla,<br />
Dagmar Schipanski und Rupert Scholz<br />
Band 2<br />
Aspekte einer europäischen Identität<br />
2004<br />
mit Beiträgen von:<br />
Eberhard Birk, Markus Ferber, Walter Kolbow, Lothar Rühl, Theo<br />
Stammen, Agata Szyszko und Theo Waigel<br />
Band 3<br />
Militärische Tradition<br />
2004<br />
mit Beiträgen von:<br />
Eberhard Birk, Heinz Marzi, Harald Potempa,<br />
Karl H. Schreiner, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg und<br />
John Zimmermann<br />
77
Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter<br />
Band 4<br />
Revolution – Reform – Transformation<br />
2006<br />
mit Beiträgen von:<br />
Oliver Becker, Eberhard Birk, Karl Feldmeyer, Johann Heitzmann,<br />
Walter Mixa, August Pradetto, Wolfgang Schneiderhan, Karl H.<br />
Schreiner, Theo Stammen und Klaus-Peter Stieglitz<br />
Band 5<br />
Erziehung und Streitkräfte<br />
2007<br />
mit Beiträgen von:<br />
Eberhard Birk, Angelika Dörfler-Dierken, Thomas Goppel,<br />
Winfried Gräber, Margot Käßmann, Karl Lehmann,<br />
Hans-Hubertus Mack, Eva Matthes, Ulrike Merten und<br />
René Ségur-Cabanac<br />
78
Zweick der <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
Zweck der <strong>Gesellschaft</strong><br />
Die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur, Völkerverständigung,<br />
des Sports, die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens der<br />
Bundesrepublik Deutschland sowie Maßnahmen der Soldaten- und Reservistenbetreuung.<br />
Verwirklichung durch:<br />
– Förderung des Dialoges zwischen Industrie und Luftwaffe;<br />
– Organisation und Durchführung wissenschaftlicher Vorträge und Vortragsreihen im Rahmen<br />
der (sicherheits-) politischen Bildung und ihre Dokumentation für die Öffentlichkeit/ Allgemeinheit;<br />
– Herausgabe einer wissenschaftlichen Schriftenreihe und eigenen Publikationen in Form der<br />
sog. „<strong>Gneisenau</strong> Blätter“;<br />
– Organisation und Durchführung von Informations- u. Vortagsveranstaltungen zur Förderung<br />
von Wissenschaft und Forschung;<br />
– Einrichtung von Wettbewerben und Vergabe von Preisen im Bereich von Wissenschaft und<br />
Forschung, Kunst und Kultur, mit Organisationen, Schulen und Vereinen der Region;<br />
– Förderung des Sports durch entsprechende sportliche Veranstaltungen mit Organisationen,<br />
Schulen und Vereinen der Stadt und des Landkreises Fürstenfeldbruck sowie europäischen<br />
Luftwaffenakademien;<br />
– Unterstützung internationaler Beziehungen und Austauschprogramme der Offizierschule der<br />
Luftwaffe (OSLw) auf kulturellem und sportlichem Gebiet;<br />
– Förderung der Begegnung zwischen Deutschen und Ausländern;<br />
– Förderung des Natur- u. Landschaftsschutzes durch aktive Teilnahme oder sonstige Unterstützung<br />
von Umweltschutz- u. Umweltaktionstagen.<br />
Gründe für Ihre Mitgliedschaft<br />
Die <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> der OSLw lebt wie jeder andere Verein von der Unterstützung seiner<br />
Mitglieder. Unser gemeinnütziger Verein bietet:<br />
– Sie treffen hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Militär.<br />
– Sie treffen und fördern zukünftige Entscheidungsträger der Luftwaffe, sowie befreundeter<br />
Streitkräfte.<br />
– Sie erhalten Zutritt zu interessanten Veranstaltungen und Diskussionen.<br />
– Sie fördern den Leistungswillen der Jugend durch die Vergabe von Bestpreisen, Ausrichtung<br />
von Wettbewerben und Unterstützung von Sportveranstaltungen.<br />
Werden Sie Mitglied und unterstützen Sie uns. Kontaktieren Sie uns direkt oder über die Inter netseite.<br />
Präsident:<br />
Brigadegeneral Gerhard Schulz<br />
Offizierschule der Luftwaffe<br />
Kommandeur<br />
Postfach 12 64 A/S<br />
82242 Fürstenfeldbruck<br />
Tel. 08141-5360-1100<br />
Fax 08141-5360-2920<br />
gerhard2schulz@bundeswehr.org<br />
1. Vorstand:<br />
Horst Steinberg<br />
President<br />
HMS management gmbh<br />
Adlerstraße 11<br />
86899 Landsberg<br />
Tel. 08191-941391<br />
Fax 08191-941392<br />
hs@hmsmanagement.com<br />
2. Vorstand:<br />
Generalmajor Thomas Gericke<br />
Kommandeur<br />
Kommando 1. Luftwaffendivision<br />
Postfach 12 64 LD<br />
82242 Fürstenfeldbruck<br />
Tel. 08141-5360-4001<br />
Fax 08141-5360-4099<br />
thomasjoachimgericke@bundeswehr.org<br />
Schriftführer:<br />
Oberstleutnant Wolfgang Saier<br />
Offizierschule der Luftwaffe<br />
Leiter Schulstab<br />
Postfach 12 64 A/S<br />
82242 Fürstenfeldbruck<br />
Tel. 08141-5360-1130<br />
Fax 08141-5360-2920<br />
wolfgangsaier@bundswehr.org<br />
Schatzmeister:<br />
Hauptmann Markus Neumayer<br />
Offizierschule der Luftwaffe<br />
Ordonnanzoffizier<br />
Postfach 12 64 A/S<br />
82242 Fürstenfeldbruck<br />
Tel. 08141-5360-1101<br />
Fax 08141-5360-2920<br />
markusneumayer@bundswehr.org<br />
www.<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />
post@<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />
Sparkasse Fürstenfeldbruck · Konto-Nr. 1340603 · BLZ 700 530 70<br />
79
IMPRESSUM<br />
Herausgeber:<br />
Adresse:<br />
<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> zur Förderung<br />
der Offizierschule der<br />
Luftwaffe e.V.<br />
im Auftrag des Vorstands<br />
Dr. Eberhard Birk<br />
Offizierschule der Luftwaffe<br />
Postfach 12 64 A/S<br />
82242 Fürstenfeldbruck<br />
Tel.: (0 81 41) 53 60-11 00<br />
Fax: (0 81 41) 53 60-29 20<br />
Heftpreis: € 15,–<br />
© <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />
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