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Sicherheitspolitik<br />

und Luftwaffe seit 1956<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Julia Brandenburg, Olaf Holzhauer, Bernd Lemke,<br />

Thorsten Loch, Carsten-Philipp Mittel, Heiner Möllers, Frank Müller,<br />

Karl Müllner, Peter Popp und Thomas Schmitz


Motto<br />

„Der im Leitbild Team Luftwaffe verankerte Verhaltenskodex<br />

fordert jeden Angehörigen der Luftwaffe auf, im Wissen<br />

über und im Bewusstsein von Geschichte und politischem<br />

Zeitgeschehen zu handeln. Dazu gehört im Besonderen<br />

die Auseinandersetzung mit der Geschichte deutscher<br />

Luftstreitkräfte. Sie ist von elementarer Bedeutung für das<br />

Verständnis unseres Berufes als Luftwaffensoldaten.“<br />

Grußwort des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Aarne Kreuzinger-Janik,<br />

in: Eberhard Birk / Heiner Möllers / Wolfgang Schmidt (Hg.),<br />

Die Luftwaffe in der Moderne, Essen 2011<br />

(= Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe, Band 1)<br />

5


Inhalt<br />

Seite<br />

Grußwort des Präsidenten 8<br />

Brigadegeneral Bernhardt Schlaak<br />

Vorwort des 1. Vorsitzenden 9<br />

Horst Steinberg<br />

Die Luftwaffe der Bundeswehr im Zeitalter der Blockkonfrontation 10<br />

Dr. Heiner Möllers<br />

Luftwaffenmotive in der Frühphase der Freiwilligenwerbung der Bundeswehr 16<br />

Dr. Thorsten Loch<br />

Die Erstellung der Chronik des Fü L 23<br />

Thomas Schmitz, M.A.<br />

Piloten der „bemannten Rakete“. Auftrag und Alltag mit der „Hundertvier“ 29<br />

Carsten-Philipp Mittel, M.A.<br />

Steinhoff und sein „Bild des Offiziers in der Luftwaffe“ 34<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

Als die „heiteren Spiele“ zu Ende gingen. Das Olympia-Attentat vom 5./6. September 1972 40<br />

Dr. Peter Andreas Popp<br />

Die deutsche Luftwaffe und die Allied Mobile Force 1961 – 1991 49<br />

Dr. Bernd Lemke<br />

Luftwaffe und „Alarm für Cobra 11“. 57<br />

Image – Markenkommunikation – Arbeitgebermarke<br />

Julia Brandenburg, Dipl.-Pol.<br />

Das Weltraumlagezentrum 63<br />

Olaf Holzhauer / Dr. Frank Müller<br />

Herausforderung Flugkörperabwehr 67<br />

Generalleutnant Karl Müllner<br />

Autoren 72<br />

Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter 77<br />

Die <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> 81<br />

Impressum 82


Grußwort des Präsidenten<br />

Text: Brigadegeneral Bernhardt Schlaak<br />

In den vorangegangenen Ausgaben des letzten Jahrzehnts<br />

haben die <strong>Gneisenau</strong> Blätter nahezu alle Aspekte der Historischen<br />

und Politischen Bildung auf hohem Niveau erschlossen:<br />

Minister, Politiker, Generale, Manager, Geistliche<br />

und Wissenschaftler haben zu den Themenfeldern<br />

Militärgeschichte und Tradition, Sicherheitspolitik und<br />

Strategie, Rüstung und Innovation, Einsatz und Innere<br />

Führung Position bezogen. Damit hat unsere jährlich erscheinende<br />

Schriftenreihe einen wesentlichen Beitrag zur<br />

geistigen Horizonterweiterung nicht nur bei der Luftwaffe<br />

sondern auch der Bundeswehr leisten können.<br />

Es ist mir auch als Schulkommandeur der OSLw besonders<br />

wichtig, dass sich die nachwachsenden Generationen<br />

des zukünftigen Führungspersonals der Luftwaffe bereits<br />

zu Beginn ihrer Ausbildung möglichst umfassendes Orientierungswissen<br />

über diese wechselseitig vernetzten Zusammenhänge<br />

aneignen können. Damit wird auch eine unverzichtbare<br />

Grundlage für das berufliche resp. militärische<br />

Selbstverständnis gelegt.<br />

Zu diesem Selbstverständnis gehört für einen Angehörigen<br />

der Luftwaffe natürlich auch die Kenntnis der Geschichte<br />

seiner eigenen Teilstreitkraft. Gerade hierzu dienen die aktuellen<br />

<strong>Gneisenau</strong> Blätter. Als neuer Präsident der <strong>Gneisenau</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> freue ich mich besonders, dass wir mit der<br />

vorliegenden 11. Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter dieses Mal<br />

einen lupenreinen Luftwaffen-Themenband präsentieren<br />

können. Die Beiträge, die aus verschiedenen Perspektiven<br />

bisher vernachlässigte Themenbereiche zum Teil erstmals<br />

beleuchten, stellen eine wertvolle Ergänzung zum Wissen<br />

über die Geschichte der Luftwaffe seit ihrer Gründung im<br />

Jahre 1956 dar. Dabei richtet sich der Blick der Historiker<br />

naturgemäß vornehmlich in die Vergangenheit, während<br />

die Militärs über die Skizzierung der Rahmenbedingungen<br />

der Gegenwart ihren Fokus in die Zukunft lenken.<br />

Und damit schlägt der Band auch den Bogen zu den<br />

vielfältigen Aktivitäten und Vortragsveranstaltungen der<br />

<strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong>, in deren Zentrum vornehmlich<br />

aktuelle sicherheitspolitische und rüstungstechnologische<br />

Aufgabenstellungen stehen. Denn: Über das Wissen um<br />

die Vergangenheit hinaus, gilt es für die Soldatinnen und<br />

Soldaten sowie die zivilen Mitarbeiter in der Luftwaffe auch<br />

ihren Blick auf die vor uns liegenden Herausforderungen zu<br />

8<br />

Bernhardt Schlaak<br />

richten. Als flexible, auf technisches Verständnis, Können<br />

und Teamfähigkeit setzende Teilstreitkraft stellt die Luftwaffe<br />

der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der<br />

Bundesrepublik Deutschland Fähigkeiten bereit, die deutlich<br />

auf die Zukunft ausgerichtet sind. Dies zeigen auch die<br />

beiden Beiträge über das Weltraumlagezentrum der Bundeswehr<br />

und insbesondere zur Flugkörperabwehr.<br />

Es spricht für den Stellenwert der <strong>Gneisenau</strong> Blätter, dass<br />

der Inspekteur der Luftwaffe, Herr Generalleutnant Müllner,<br />

unserer Bitte um einen Namensartikel nachkam und<br />

selbst dieses für unsere Sicherheit in der Zukunft so wichtige<br />

Aufgabenfeld in aller Deutlichkeit und Dringlichkeit<br />

thematisiert.<br />

Die diesjährigen <strong>Gneisenau</strong> Blätter richten sich daher weiterhin<br />

sowohl an unseren Stamm-Leserkreis als auch an<br />

diejenigen in der Luftwaffe, die sich über die interessante<br />

und spannende Geschichte ihrer Teilstreitkraft weiterbilden<br />

wollen.<br />

Eine gewinnbringende Lektüre wünscht Ihnen<br />

Bernhardt Schlaak<br />

Brigadegeneral<br />

Präsident der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong>


Vorwort des 1. Vorsitzenden<br />

Text: Horst Steinberg<br />

Liebe Leserinnen und Leser!<br />

Als 1. Vorsitzender der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> freue ich<br />

mich besonders, dass der neue Präsident unserer <strong>Gesellschaft</strong><br />

– satzungsmäßig und aus gutem Grund immer der<br />

Kommandeur der Offizierschule der Luftwaffe –, Herr<br />

Brigadegeneral Bernhardt Schlaak, die Verbindung herstellt<br />

zwischen den Vortragsveranstaltungen der <strong>Gneisenau</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> und jenen Themenfeldern, die auch für<br />

die jungen Offizieranwärter in ihren Beruf von entscheidender<br />

Relevanz sein werden: „Immer mit dem Blick auf<br />

die vor uns liegenden Herausforderungen“.<br />

In dieser Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter mit dem Titel<br />

„Sicherheitspolitik und Luftwaffe seit 1956“ sind auch<br />

zwei Themen aufgeführt, die dieses Jahr im Rahmen der<br />

Vortragsreihe der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> behandelt wurden.<br />

Eine davon möchte ich besonders hervorheben: „Als<br />

die heiteren Spiele zu Ende gingen – das Olympiaattentat<br />

vom 5. / 6. September 1972“.<br />

Der Zeitzeuge, Herr General a.D. Ulrich K. Wegener,<br />

der Ex-GSG-9-Kommandeur und „Held von Mogadischu“,<br />

schilderte im vollbesetzten Ludger-Hölker-Saal der<br />

OSLw – in Anwesenheit vieler unserer Mitglieder, der eingeladenen<br />

Öffentlichkeit und der Offizieranwärter – die<br />

Vorgänge dieser schrecklichen zwei Tage im September<br />

1972. Die Erkenntnis daraus war: eine etwas realistischere<br />

Vorausschau mit weniger verklärter Wahrnehmung von<br />

Indikationen und weniger bürokratischem Kompetenzgerangel<br />

hätte einiges verhindert.<br />

Haben wir daraus gelernt? Ich meine ja, aber wir können<br />

nicht wach genug sein und müssen den Blick in der Sicherheitspolitik<br />

immer auf die vor uns liegenden Herausforderungen<br />

richten. Die Politik tut sicher alles, um Konflikte<br />

zu verhindern, aber Konflikte ändern ständig ihr Gesicht<br />

oder zeigen es erst gar nicht. Sicherheitspolitik und Luftwaffe<br />

heißt, Gefahren in ihrer möglichen Dimension erkennen,<br />

keine Überraschungen zulassen, vorbereitet sein<br />

und zum Schutz unserer freiheitlichen <strong>Gesellschaft</strong> auch<br />

eingreifen zu dürfen. Das ist meine Erwartungshaltung als<br />

Bürger einer nun 60 Jahre friedlichen Demokratie in unserem<br />

vereinten Europa.<br />

Einigen zukünftigen zentralen Herausforderungen widmet<br />

sich unsere <strong>Gesellschaft</strong> im Jahr 2013 in einer geplanten<br />

Veranstaltungsserie: „Unmaned Aircraft Systems“, „Klima-<br />

und Höhenforschung mit dem Höhenforschungsflugzeug<br />

HALO“, eine Veranstaltung beim DLR in Oberpfaffenhofen,<br />

und zur Problematik der demographischen<br />

Entwicklung: „Die Zukunft der Ingenieure – eine Herausforderung“.<br />

Die jungen Offiziere der Luftwaffe werden im<br />

Laufe ihrer Karriere sicher noch öfter mit diesen Themen<br />

konfrontiert werden.<br />

Der Ausblick auf die Aktivitäten der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

im Jahr 2013 soll nicht nur Ihre Neugierde auf diese<br />

Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter „Sicherheitspolitik und<br />

Luftwaffe seit 1956“ verstärken, sondern Sie als Förderer,<br />

Freunde und vielleicht auch neues Mitglied der <strong>Gneisenau</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> ansprechen.<br />

Mit besten Grüßen, Ihr<br />

Horst Steinberg<br />

Horst Steinberg<br />

1. Vorsitzender der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

9


Die Luftwaffe der Bundeswehr im Zeitalter der Blockkonfrontation<br />

Text: Dr. Heiner Möllers<br />

Die Luftwaffe erlebt, wie die gesamte Bundeswehr, seit<br />

1990 nahezu permanent Veränderungen, die als Reform,<br />

Transformation oder Neuausrichtung bezeichnet werden<br />

und umfassende Veränderungen implizieren. Als ihr Einsatzgebiet<br />

könnte heute nahezu die ganze Welt betrachtet<br />

werden, auch wenn es derzeit nur wenige Regionen auf<br />

dem Globus sind. Im Gegensatz dazu war die Luftwaffe<br />

vor 1990 auf ein Einsatzgebiet zwischen Kattegat und<br />

Alpen fixiert. Ihre Aufgaben waren eingebunden in eine<br />

Weltordnung, die durch den Ost-West-Konflikt zwischen<br />

NATO und Warschauer Pakt bestimmt war. Wesentliches<br />

Merkmal dieser Zeit war eine auf Abschreckung abgestützte<br />

und durch Atomwaffen abgesicherte Weltordnung, die<br />

einen Krieg letztendlich verhinderte. Die Luftwaffe der<br />

Bundeswehr war zu dieser Zeit infolge der nuklearen Teilhabe<br />

der Bundesrepublik Deutschland in der NATO von<br />

der Existenz der Nuklearwaffen in vielfältiger Weise besonders<br />

betroffen. „Die Bombe“ prägte viele Soldaten und<br />

Verbände der Luftwaffe im täglichen Dienst nachhaltig.<br />

Das Weißbuch 1985 vermerkt: „Die Luftwaffe stellt in<br />

Mitteleuropa 50 Prozent der Flugabwehrraketensysteme,<br />

30 Prozent der präsenten Kampfflugzeuge, 35 Prozent<br />

der Flugkörperwaffensysteme und 80 Prozent des Führungssystems<br />

der NATO-Luftverteidigung.“ 1 Damit war<br />

die Luftwaffe der Bundeswehr neben der US Air Force<br />

Europe (USAFE) in der Zeit, die man gemeinhin als Kalten<br />

Krieg bezeichnet, in Mitteleuropa ein wichtiger Faktor<br />

der atlantischen Sicherheitsarchitektur. Nimmt man diese<br />

Zahlen als Grundlage, wird ebenso deutlich, dass die Luftwaffe<br />

für die NATO in Mitteleuropa unverzichtbar war.<br />

Ihr gehörten dazu Mitte der 1980er Jahre rund 106.000<br />

Soldaten an, wovon 35.000 Wehrpflichtige waren – mithin<br />

ein erheblicher Teil der Bundeswehr.<br />

Um die Luftwaffe als Organisation zu verstehen, kann<br />

man sie in ihrem Werden beschreiben, ihre Organisationsgeschichte<br />

nachzeichnen 2 oder herausragende Ereignisse,<br />

wie zum Beispiel die Starfighter-Krise 3 , darstellen. Dieser<br />

10<br />

Heiner Möllers<br />

Beitrag soll die Luftwaffe anhand eines charakteristischen<br />

Aspektes beschreiben, der bislang noch immer eher durch<br />

Annahmen und Vermutungen als durch Quellen und Belege<br />

bestimmt ist 4 .<br />

Die Luftwaffe war ausgehend von den ersten Planungen<br />

im Kloster Himmerod 1950 und den anschließenden<br />

Planungen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft<br />

(EVG) als strukturell defensiv ausgerichtete Streitmacht<br />

zur Flugabwehr in Mitteleuropa vorgesehen. Dazu sollte<br />

sie über rund 1300 Kampfflugzeuge und eine starke Flugabwehr<br />

verfügen. Als Alliierter sollte die Bundesrepublik<br />

das Vorfeld für die westlichen Nachbarn darstellen. Davon<br />

ausgehend sahen die operativen Planungen in den frühen<br />

1950er Jahre eine Verteidigung am Rhein vor.<br />

Dies war aus Sicht der politischen und militärischen Verantwortlichen<br />

in der Bundesrepublik Deutschland nicht<br />

tragbar. Aus ihrer Sicht müsste, und dies hat sich letztlich<br />

durchgesetzt, eine Verteidigung Westeuropas bereits am<br />

„Eisernen Vorhang“ und damit nah an der innerdeutschen<br />

Grenze beginnen. Die dazu grundlegenden Begriffe wie<br />

„Vorwärtsverteidigung“ oder später dann „Vorneverteidigung“<br />

implizieren, dass es nicht nur militärische Kampf-<br />

1. Weißbuch 1985. Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr, Bonn 1985, Nr. 443.<br />

2. Dazu: Heinz Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971. In: Bernd Lemke, Dieter Krüger, Heinz Rebhan, Wolfgang Schmidt, Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Aufbau, Konzeption, Integration, München 2006 (= Sicherheitspolitik<br />

und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 2). Im Überblick zur Organisation der Luftwaffe vgl. die Chronik bei www.geschichte.luftwaffe.de.<br />

3. Siehe die Starfighter-Beiträge in: Eberhard Birk, Heiner Möllers, Wolfgang Schmidt (Hg.), Die Luftwaffe zwischen Politik und Technik, Berlin 2012 (= Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe, 2).<br />

4. Diejenigen Akten in der Überlieferung der Luftwaffengeschichte, die sich mit Fragen der Einbindung in die Nukleare Teilhabe befassen, werden auch auf lange Sicht als Verschlusssachen der breiten Öffentlichkeit wie auch der<br />

historischen Forschung nicht zugänglich sein.


handlungen in der Mitte Deutschlands – nimmt man die<br />

Bundesrepublik und die seinerzeitige sowjetisch besetzte<br />

Zone bzw. DDR als Anhalt – gegeben hätte, sondern<br />

ebenso, dass es zu offensiven militärischen Operationen<br />

auch unter frühzeitiger Anwendung von Atomwaffen gekommen<br />

wäre, um den Gegner zurückzudrängen 5 .<br />

Für diese Aufgabe war eine rein defensiv ausgerichtete<br />

deutsche Luftwaffe nur bedingt zweckmäßig. Vielmehr<br />

bedurfte es dazu auch bei der westdeutschen Luftwaffe<br />

eines starken Offensivpotenzials, um den Kampf „nach<br />

vorne“ zu tragen. Ausgehend von diesen Überlegungen<br />

und maßgeblich initiiert durch den damaligen Supreme<br />

Allied Commander Europe der NATO (SACEUR), den<br />

US-amerikanischen Luftwaffengeneral Lauris Norstad 6 ,<br />

erfolgte dann der Aufbau einer Luftwaffe, deren Schwergewicht<br />

bei den offensiven Potenzialen lag. Schon die<br />

Aufstellung der ersten fliegenden Kampfverbände, der<br />

Jagdbombergeschwader und dabei als ersten den Jagdbombergeschwadern<br />

31 und 33, die zum Nukleareinsatz<br />

befähigt wurden, unterstrich dieses. Dabei überlagerte die<br />

damals gültige NATO-Strategie der Massiven Vergeltung 7<br />

alle militärischen Vorstellungen vom Krieg der Zukunft,<br />

womit seitens der USA und der NATO auf eine militärische<br />

Eskalation des Warschauer Paktes möglicherweise<br />

unmittelbar mit Nuklearwaffen geantwortet worden wäre.<br />

Aus diesem Grunde besaß die Luftwaffe in den Planungen<br />

der Bundeswehr eine besonders große Bedeutung, denn<br />

sie war der wesentliche Beitrag der Bundeswehr zu einer<br />

solchen Verteidigungsplanung 8 .<br />

Der Aufbau der Luftwaffe<br />

Die Neuschaffung der Luftwaffe war ein Neubeginn 9 .<br />

Zehn Jahre nach dem Krieg gab es nichts, worauf hätte aufgebaut<br />

werden können. Aus diesem Grunde ist der Gründungsprozess<br />

bis Mitte der 1960er Jahre von vielfältigen<br />

Entwicklungen geprägt: neben dem Aufbau der Logistik<br />

und der Ausbildungsorganisation – von Ausbildungsregimentern<br />

bis hin zu den Schulen unter einem entsprechenden<br />

Kommando 10 – sowie komplementär dazu der Einsatzluftwaffe<br />

von zeitgleichen oder aufeinander folgenden<br />

Abläufen. Ausgehend von den Flugzeugführer- und Waffenschulen<br />

für die Ausbildung des fliegenden Personals<br />

entwickelte sich die Waffenschule 30 in Fürstenfeldbruck<br />

nach der Verlegung nach Büchel in der Eifel bereits nach<br />

zwei Jahren zu einem Jagdbombergeschwader. Begünstigt<br />

wurde dies vor allem durch die Ausbildung erster Piloten<br />

in den USA sowie der Ausbildungsunterstützung, die die<br />

US Air Force Europe in den frühen Jahren sowohl im fliegerischen<br />

als auch im technischen Bereich gerade im Rahmen<br />

des Mutual Defense Assistance Program (MDAP) 11<br />

gab.<br />

Die hier begründete enge Kooperation mit den US-Luftstreitkräften<br />

hatte ihre Wurzeln auch in der Erstausstattung<br />

der Luftwaffe mit US-amerikanischen (nicht mehr<br />

ganz „state-of-the-art“) Waffensystemen, wie dem Jagdbomber<br />

Republic F-84F Thunderstreak und dem Jagdflugzeug<br />

North American F-86F Sabre. Vor allem aber<br />

suchte die Luftwaffe die Anlehnung an die damals führende<br />

Luftwaffe der Welt, die auf dem europäischen Kontinent<br />

eine dominierende Rolle besaß.<br />

Der Aufbau der Luftwaffe erfolgte aber nicht „für sich“,<br />

sondern von Anfang an in die bestehenden Strukturen der<br />

NATO hinein. Dies bedeutete, dass nahezu jeder Verband<br />

nach seiner Aufstellung der NATO assigniert wurde. Inwieweit<br />

die NATO-Assignierung einer Einsatzbereitschaft<br />

gleich kam, kann man heute nicht mehr überprüfen. Vielmehr<br />

geben die Fotos von den offiziellen Assignierungsappellen<br />

lediglich einen Aufschluss darüber, dass an den<br />

betreffenden Tagen ein Geschwader unterstellt wurde.<br />

5. Helmut Hammerich, Die geplante Verteidigung der bayerischen Alpen im Kalten Krieg. In: Die Alpen im Kalten Krieg. Historischer Raum, Strategie und Sicherheitspolitik. Hrsg. von Dieter Krüger und Felix Schneider, München 2012<br />

(= Beiträge zur Militärgeschichte, 71), S. 239-262, besonders 243-251 zu den Begriffen Vorneverteidigung und Vorwärtsverteidigung sowie zur Einbeziehung von Nuklearwaffen in die Planungen. Vgl. dort auch die weiterführende Literatur.<br />

6. Robert S. Jordan: Norstad, Cold-War NATO Supreme Commander. Airman, Strategist, Diplomat, London/New York 2000.<br />

7. Vgl. das „Overall Strategic Concept for the defense of the North Atlantic Treaty Organization Area” vom 23.05.1957, in: http://www.nato.int/docu/stratdoc/eng/a570523a.pdf. Bruno Thoß, NATO-Strategie und nationale Verteidigungsplanung.<br />

Planung und Aufbau der Bundeswehr unter den bedingungeneiner massiven atomaren Vergeltungsstrategie 1952-1960, München 2006 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 1), besonders S. 432-511.<br />

8. Dieter Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik? Europa, die deutsche Luftwaffe und der Strategiewechsel der NATO 1958 bis 1968. In: VfZ 56 (2008), S. 171-226. Axel F. Gablik, Strategische Planungen in der Bundesrepublik Deutschland<br />

1955-1967: Politische Kontrolle oder militärische Notwendigkeit? Baden-Baden 1996 (= Internationale Politik und Sicherheit, 30/5), zu den eher landgestützten Operationen und der Bedeutung der Nuklearwaffen dabei. Johannes Steinhoff,<br />

Reiner Pommerin, Strategiewechsel: Bundesrepublik und Nuklearstrategie in der Ära Kennedy-Adenauer, Baden-Baden 1992 (= Internationale Politik und Sicherheit, 30/1), mit persönlich gefärbten Schilderungen von General Johannes<br />

Steinhoff zu den Auswirkungen auf die Luftwaffe.<br />

9. Vgl. den programmatischen Titel von: James Corum, Starting from Scratch. Establishing the Luftwaffe as a modern Air Force. In: Air Power History, Summer 2003, S. 16-29.<br />

10. Bernd Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe. In: Bernd Lemke, Dieter Krüger, Heinz Rebhan, Wolfgang Schmidt, Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Aufbau, Konzeption, Integration, München 2006 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte<br />

der Bundesrepublik Deutschland, 2), S. 71-320.<br />

11. Das MDAP bestand dabei nicht allein aus einer Ausbildungs-, sondern auch einer Ausrüstungshilfe, die die USA solchen Ländern zubilligten, die im Zuge des zeitgenössischen Antikommunismus gemeinsam mit ihr USA und ihren<br />

Verbündeten gegen die Sowjetunion standen. Vgl.: Chester J. Pach Jr., Arming the Free World: The Origins of the United States Military Assistance Program, 1945-1950, Chapel Hill 1991.<br />

11


12<br />

DIE LUFTWAFFE DER BUNDESWEHR IM ZEITALTER DER BLOCKKONFRONTATION<br />

Strukturen: „Der Luftkrieg ist unteilbar!“<br />

Die Fähigkeiten von Luftkriegsmitteln, schnell, weitreichend<br />

und sozusagen grenzenlos militärische Macht und<br />

Waffen zum Einsatz zu bringen, nötigte die NATO dazu,<br />

eine zweckmäßige Struktur für ihre Luftangriffs- und<br />

Luftverteidigungskräfte aufzubauen, die sowohl die geographischen<br />

Besonderheiten als auch die Stationierungsorte<br />

der alliierten Luftstreitkräfte berücksichtigte. Dabei<br />

muss man ebenfalls beachten, dass die Luftwaffe seit ihrer<br />

Aufstellung an vielen Standorten der Einsatzluftwaffe erst<br />

die notwenige Infrastruktur errichten musste und insbesondere<br />

für die Flugabwehrraketentruppe noch Stellungen<br />

und Unterkünfte, aber auch für einige fliegende Verbände<br />

die Flugplätze noch gebaut werden mussten 12 .<br />

Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland war aus militärgeographischer<br />

Sicht von zwei Spezifika geprägt: im<br />

Süden grenzte es an die neutrale Schweiz und das ebenfalls<br />

nicht paktgebundene Österreich, womit eine Barriere<br />

zum NATO-Kommandobereichen Südeuropa (AFSOU-<br />

TH) bestand. Im Norden trennte die Elbe die beiden<br />

Kommandobereiche Mitteleuropa (AFCENT) und<br />

Nordeuropa (AFNORTH) voneinander. Innerhalb der<br />

nun von der NATO ausgebildeten Struktur unterstanden<br />

sämtliche Luftstreitkräfte in Mitteleuropa dem Kommando<br />

Allied Air Forces Central Europe (AAFCE oder auch<br />

AIRCENT), das dem AFCENT unterstand. Bemerkenswert<br />

war aber nun, dass die darunter gebildete 2. und 4.<br />

Allied Tactical Air Force als deutsche Verbindungsstellen<br />

die Luftwaffengruppenkommandos Nord in Münster und<br />

Süd in Karlsruhe zugeordnet bekamen, die allein für die<br />

Einsatzbereitschaft ihrer Truppen verantwortlich waren.<br />

Die operative Führung oblag den ATAFs. Die ihnen unterstellten<br />

Dienststellen waren in Luftverteidigung und<br />

Luftangriff unterteilt. Den Luftverteidigungsgefechtsständen<br />

– die sogenannten Sector Operation Centers (SOC)<br />

– waren dabei sowohl Luftraumüberwachungsradars sowie<br />

Flugabwehrraketenverbände und Jagdfliegerkräfte zugeordnet.<br />

Damit waren sie in der Lage, ihren Gefechts-<br />

streifen sowohl zu kontrollieren, als auch die notwendigen<br />

Waffensysteme zu führen und notfalls einzusetzen. Anders<br />

sah es bei den Offensivkräften aus. Erst spät richtete die<br />

NATO Tactical Operation Center (TOC) für die Führung<br />

der Luftangriffskräfte ein. Im Übrigen erstaunt auch<br />

heute noch, dass Luftangriff und Luftverteidigung nicht<br />

gemeinsam geführt wurden und die beiden ATAFs dieses<br />

unterschieden.<br />

Die 2. ATAF, der Northern Army Group mit Hauptquartier<br />

im niederrheinischen Rheindahlen zugeordnet,<br />

besaß eine britische Führung und einen deutschen Chief<br />

of Staff. Dabei bedeutete Führung in diesem Falle, dass<br />

es einen klaren britischen Führungsanspruch gab. Im<br />

Gegensatz dazu war die US-geführte 4. ATAF in Mannheim<br />

– der Central Army Group zugeordnet – von einem<br />

deutlich kooperativen Miteinander geprägt. Dies drückte<br />

sich auch darin aus, dass nach der Neubegründung des<br />

Kommandos AIRCENT in Ramstein, das ab Mitte der<br />

1970er Jahre ein US-General führte, der Oberbefehl über<br />

die 4. ATAF an einen deutschen General abgegeben wurde.<br />

Selbst wenn sich dieser „Mentalitätsunterschied“ der<br />

beiden ATAFs in Ermangelung von Quellen kaum historiographisch<br />

erfassen lässt, scheint die Rolle der USAFE<br />

und ihre Kontrollfunktion im Zuge der Nuklearen Teilhabe<br />

und der Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland<br />

und ihrer Luftwaffe dabei eine Ursache für ein Miteinander<br />

auf „Augenhöhe“ gewesen zu sein. Die Unterordnung<br />

der Luftwaffe unter die verschiedenen Kommandos der<br />

NATO war darüber hinaus Ausdruck der nicht uneingeschränkten<br />

Souveränität der Bundesrepublik Deutschland,<br />

die britischerseits auch mit militärischen Übungen<br />

außerhalb der Truppenübungsplätze deutlicher betont<br />

wurde 13 .<br />

Das atomare Zeitalter: Leben mit der Bombe<br />

Die Aufstellung einer offensiv befähigten Luftwaffe mit<br />

Nuklearwaffenträgern und von Flugabwehrraketengruppen<br />

mit dem Waffensystem NIKE Hercules sowie später<br />

den Flugkörpergeschwadern mit der ballistischen Rakete<br />

12. Zu den Flugplätzen siehe auch bei maps.google.de: man erkennt den Unterschied der nach NATO-Standards errichteten Flugplätze in Wittmund, Hopsten oder Alt Duvenstedt mit der Trennung von Basis und Unterkünften, wohingegen<br />

die Flugplätze in Wunstorf, Oldenburg oder Ahlhorn noch aus der Vorkriegszeit stammten und diese Trennung nicht vorsahen. Zu den Anfangsproblemen der Flugabwehrraketentruppe siehe: Wilhelm von Spreckelsen, Uwe Vesper, Blazing<br />

Skies. Die Geschichte der Flugabwehrraketentruppe der Luftwaffe, Oldenburg 2004, besonders S. 70-81.<br />

13. Die Luftwaffe war im Rahmen des Air Policing, folgt man Zeitzeugen, nicht gleichwertig berechtigt z.B. sowjetische Luftfahrzeuge im deutschen Luftraum abzufangen. Dies wäre zu prüfen. Weiterhin gab es zwischen der Bundesrepublik<br />

und Großbritannien ein noch durch das Besatzungsregime geprägtes Abkommen zur Nutzung von Flächen für militärische Übungen, das „Soltau-Lüneburg-Abkommen“. Danach nutzten die britischen Streitkräfte in Deutschland ohne<br />

irgendwelche Auflagen diesen Landstreifen, was in der dortigen Bevölkerung heftig umstritten war. Eine vergleichbare Übungstätigkeit durch die anderen Alliierten ist bislang nicht bekannt. Siehe: Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode,<br />

Drucksache 8/262 vom 05.04.1977: Unterrichtung durch Bundesregierung betr.: Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland über die Durchführung<br />

von Manövern und anderen Übungen im Raum Soltau-Lüneburg (Soltau-Lüneburg-Abkommen) vom 3. August 1959, in: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/08/002/0800262.pdf (27.09.2012).


Pershing I war ein Ausdruck der zeitgenössischen Umstände<br />

und implizierte, dass die Luftwaffe – wie die übrige<br />

Bundeswehr mit einigen wenigen Truppenteilen – selbst<br />

nicht im Besitz „der Bombe“ war. Vielmehr gab es bei<br />

Verbänden, die Nuklearwaffenträger für den Kriegsfall<br />

bereitstellten, US-amerikanischen Truppenteile, die die<br />

Schlüsselgewalt über diese Waffen besaßen 14 . Eine enge<br />

Kooperation mit diesen Abordnungen war eine durchaus<br />

positive Erscheinung der Nuklearen Teilhabe. Wesentlicher<br />

aber war die militärpolitische Mitsprache in der<br />

Nuklearen Planungsgruppe der NATO (NPG), die 1966<br />

eingerichtet wurde und die alle mit den Atomwaffen der<br />

NATO zusammenhängenden Fragen behandelte. Die<br />

Bundesrepublik besaß darin besonderes Gewicht, denn<br />

sie war dabei das Land, in dem ein Großteil dieser Waffen<br />

lagerte 15 und das vermutlich bei einem Einsatz von Atomwaffen<br />

am meisten betroffen gewesen wäre 16 .<br />

Das „Leben mit der Bombe“ hatte für viele Luftwaffensoldaten<br />

tiefgreifende Folgen 17 . Die Jagdbomberpiloten<br />

der STRIKE-Geschwader (die Jagdbombergeschwader 31<br />

Boelcke in Nörvenich, 33 in Büchel und 34 in Memmingerberg)<br />

besaßen in den frühen Jahren offensichtlich persönliche<br />

Missions, deren Navigation sie auswendig „aufbeten“<br />

können mussten 18 . Nicht wenige Piloten kamen<br />

mit diesem Druck und der Erkenntnis nicht zurecht, dass<br />

manche Ziele eben nicht nur in der ehemaligen DDR,<br />

sondern auch in der Bundesrepublik lagen oder teilweise<br />

gar mehrfach nach den aktuellen SACEUR-STRIKE-<br />

Plans mit Atomwaffen angegriffen worden wären. Sie<br />

quittierten entweder den Dienst oder wurden zu anderen<br />

Verbänden versetzt. Dieses und die Notwendigkeit,<br />

Quick-Reaction-Alert-Kräfte (QRA) ständig einsatzbereit<br />

zu halten, sorgten für eine hohe, auch dienstliche Belastung.<br />

Tatsächlich waren bei den Jagdbombergeschwadern,<br />

wie auch bei den Jagdgeschwadern, den Flugabwehrverbänden<br />

sowie den Flugkörpergeschwadern ständig, 24<br />

Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr, Bereitschaften<br />

imstande, den Einsatz sofort aufzunehmen.<br />

Neben den fliegenden Verbänden wies die Flugabwehrrakete<br />

NIKE Hercules noch eine Besonderheit auf: ihr<br />

Booster, das Starttriebwerk, löste sich nach einigen Minuten<br />

Brenndauer vom Gefechtskopf der Rakete und fiel<br />

zu Boden. Dazu wurden Booster-Separation-Zones identifiziert,<br />

in denen diese dann „landeten“ 19 . Hinzu kam,<br />

dass diese Rakete auch als Boden-Boden-Rakete mit einer<br />

Reichweite von ca. 150 Kilometern (bei günstigen klimatischen<br />

Verhältnissen) eingesetzt werden konnte. Dafür<br />

war sie dann allerdings nur mit Nuklearsprengköpfen versehen,<br />

was angesichts des Stellungsgürtels NIKE primär<br />

zu Schäden in der Bundesrepublik geführt hätte.<br />

Aufgrund der konventionellen Überlegenheit des Warschauer<br />

Paktes stützte sich die NATO im Rahmen der<br />

Abschreckung stark auf Nuklearwaffen ab und verzichtete<br />

nie auf die Klarstellung, dass sie notfalls auch als erste<br />

bereit gewesen wäre, solche einzusetzen 20 . Dennoch<br />

muss man heute gerade für die Zeit ab 1962 – nach der<br />

Kuba-Krise – feststellen, dass weder die NATO irgendwelche<br />

Angriffsabsichten besaß, noch dass der Warschauer<br />

Pakt um jeden Preis einen Überraschungsangriff auf die<br />

NATO beabsichtigte. Der in Übungen des Warschauer<br />

Paktes immer wieder geübte Angriff von Großverbänden<br />

und dessen propagandistische Untermalungen ließen den<br />

Westen jedoch wiederholt an der Friedensliebe des Ostens<br />

zweifeln.<br />

Selbst nach dem Strategiewechsel der NATO 1967/68 von<br />

der Massiven Vergeltung zur Flexiblen Antwort 21 änderte<br />

sich für die Luftwaffe wenig. Sie blieb der wesentliche Teil<br />

der Bundeswehr, der zum Einsatz von Nuklearwaffen befähigt<br />

und vorgesehen war. Die Luftwaffenführung, allen<br />

voran Generalleutnant Johannes Steinhoff, betonte dabei<br />

immer wieder die (militär-)politische Bedeutung der<br />

Luftwaffe als Teil des Abschreckungspotenzials der NATO<br />

14. Vgl.: Weißbuch 1970. Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr, Bonn 1970, Nr. 66-67.<br />

15. Vgl.: http://www.atomwaffena-z.info/atomwaffen-geschichte/atomwaffen-in-deutschland/standorte/index.html (26.09.2012), teilweise mit Luftbildern, die den Lagerort genau erkennen lassen sowie Alfred Mechtersheimer/Peter Barth<br />

(Hrsg.), Militarisierungsatlas der Bundesrepublik Deutschland. Streitkräfte, Waffen und Standorte, Kosten und Risiken, Frankfurt 1985, der einen Katalog (nahezu) aller militärischen Einrichtungen in der Bundesrepublik gibt und dabei die<br />

Truppenteile hervorhebt, die für den Einsatz mit Nuklearwaffen befähigt waren.<br />

16. Vgl. dazu das unregelmäßig erschienene Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, dem Angaben zum Bevölkerungsschutz zu entnehmen sind. Dass es unmöglich ist, für den Bevölkerungsschutz in einem<br />

Atomkrieg umfassende Vorbereitungen zu treffen, ist evident.<br />

17. Steinhoff, Strategiewechsel, S. 38-42 – aber eben auf ein Zeitzeugengespräch und eigene Erfahrungen basierend, ohne Ergänzung oder Absicherung durch Quellen oder empirische Befunde.<br />

18. Steinhoff, Strategiewechsel, S. 38-42.<br />

19. Da es sich dann um ein leergebranntes Starttriebwerk von mehreren Hundert Kilo Gewicht handelte, wären auch dadurch Schäden entstanden. Hierzu waren schwierige Verhandlungen mit den betroffenen Kommunen notwendig,<br />

vgl. Spreckelsen, Blazing Skies, S. 68-70.<br />

20. Vgl. Weißbuch 1970, Nr. 67.<br />

21. MC 14/3 (Final) vom 16.01.1968, „Overall Strategic Concept for the defense of the North Atlantic Treaty Organization Area”, siehe http://www.nato.int/docu/stratdoc/eng/a680116a.pdf (27.09.2012).<br />

13


14<br />

DIE LUFTWAFFE DER BUNDESWEHR IM ZEITALTER DER BLOCKKONFRONTATION<br />

in deutlicher Abgrenzung zu einer fliegenden Heeresunterstützung<br />

22 . Tatsächlich bedeutete der Strategiewechsel,<br />

dass die STRIKE-Verbände nun ein neues Aufgabenpaket<br />

hinzu bekamen. Die Vorbereitung dieser Verbände auch<br />

für den konventionellen Luftkrieg beinhaltete in erster<br />

Linie die Lagerung entsprechender Munition sowie die<br />

zusätzliche, kostenintensive Ausbildung der Piloten für<br />

solche Einsätze, was ohne Abstriche bei den STRIKE-<br />

Fähigkeiten erreicht werden musste. Und gerade dieser<br />

Punkt sorgte bei der Luftwaffe für Sorgen, weil die Ausbildung<br />

eines Piloten für den nuklearen Einsatz ohnehin aufwändig<br />

war und nun die Zusatzausbildung für konventionelle<br />

Aufgaben noch hinzukam. Letztlich verzichtete die<br />

Luftwaffe in dieser Zeit, um die Jahre 1967 / 69, endgültig<br />

darauf, die Jagdbombergeschwader 36 in Rheine 23 und 32<br />

in Lechfeld ebenfalls für nukleare Einsätze zu befähigen.<br />

Sie blieben konventionelle Einsatzverbände.<br />

Ausrüstung im Kontext der Aufgaben<br />

Nachdem die US Air Force der Luftwaffe Erstausstattung<br />

überwiegend aus eigenen, überschüssigen Beständen<br />

schenkte und darüber hinaus das benötigte Gut im europäischen<br />

Ausland und in Kanada gekauft worden war, ergab<br />

sich für die Luftwaffe sehr schnell die Notwendigkeit,<br />

ein neues Jagdflugzeug anzuschaffen. Die erfolgte Priorisierung<br />

des Starfighters als einem bereits in der Nutzung<br />

befindlichen Waffensystem änderte sich dahingehend,<br />

dass aus Gründen der Vereinfachung von Logistik und<br />

Ausbildung ein Mehrzweckkampfflugzeug beschafft werden<br />

sollte. Der Auswahlprozess entwickelte sich zur Suche<br />

nach einem Flugzeug, das auch als Jagdbomber in der nuklearen<br />

Rolle eingesetzt werden könnte. Die Kombination<br />

aus dem Hersteller Lockheed, der frühzeitig eine europäische<br />

Lizenzfertigung ermöglichte, und dem Herstellerland<br />

USA, womit die Nutzung als Nuklearwaffenplattform<br />

vereinfacht wurde, führte nach aktiver Bewerbung durch<br />

die Luftwaffe trotz verschiedener Einwände und verlangsamender<br />

Bedenken gerade seitens des Minister Franz Josef<br />

Strauß zur Beschaffung des Lockheed F-104 Starfighter,<br />

der dann in einer noch zu entwickelnden, sozusagen<br />

europäischen Variante (F-104G) für zahlreiche Luftwaffen<br />

durch ein Konsortium von Firmen unter maßgeblicher<br />

deutscher Beteiligung als mehrollenfähiges Kampfflugzeug<br />

(Aufklärer, Jagdflugzeug, Jagdbomber für nukleare<br />

und konventionelle Einätze wie als Kampflugzeug zur<br />

Luftkriegführung über See) gebaut wurde 24 .<br />

Trotz aller operativen Mängel, die der Starfighter in den<br />

verschiedenen Rollen besaß, war er ein Meilenstein. Die<br />

deutsche Luftfahrtindustrie gewann Anschluss an die<br />

Hochtechnologie und konnte bereits bei der Fertigung des<br />

für einzelne Rollen beschafften Nachfolgemusters F-4F<br />

bzw. RF-4E Phantom II durch Lizenzfertigung von einzelnen<br />

Baugruppen weiter profitieren. Viel wichtiger scheint<br />

aber, dass die Suche nach einem Nachfolgemuster, die bereits<br />

Mitte der 1960er Jahre einsetzte, ein „Neues Kampfflugzeug<br />

(NKF)“ zutage förderte, Aufträge an die deutsche<br />

und europäische Luftfahrtindustrie zeitigte und damit<br />

die rüstungspolitische Unabhängigkeit von den USA demonstrierte.<br />

Es zeigte sich, dass deutsche Unternehmen<br />

nicht nur in der Lage waren, gemeinsam mit europäischen<br />

Partnern den Kampfzonentransporter C-160 Transall zu<br />

konstruieren, sondern auch einen tiefstflugfähigen Jagdbomber<br />

zu bauen. Der Panavia 200 Tornado entstand<br />

gleichwohl aus der Forderung nach einem „Multi Role<br />

Combat Aircraft“, was er schlussendlich nur bedingt war.<br />

Denn einerseits konnte die Luftfahrt- und wehrtechnische<br />

Industrie nicht immer alle Anforderungen umsetzen und<br />

andererseits führten geringe Stückzahlen zu Kompromissen<br />

gerade bei multinationalen Projekten.<br />

Auch hierbei ist zu beachten, dass insbesondere die Zertifizierung<br />

des Tornados als Nuklearwaffenträger durch die<br />

US Air Force vordringlich war. Seine Eigenschaften, das<br />

gegnerische Radar unterfliegen zu können, sorgte im Warschauer<br />

Pakt für Sorgen und beeinflusste auch die Entwicklung<br />

der MiG-29 Fulcrum. Darüber hinaus ist der<br />

Jagdbomber Tornado auch als Folge des Strategiewandels<br />

zur Flexiblen Antwort zu verstehen, weil er deutlich besser<br />

konventionelle Aufgaben mit einem entsprechenden Waf-<br />

22. Dieter Krüger, Der Strategiewechsel der Nordatlantischen Allianz und die Luftwaffe. In: Bernd Lemke, Dieter Krüger, Heinz Rebhan, Wolfgang Schmidt, Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Aufbau, Konzeption, Integration, München 2006<br />

(= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 2), S. 41-69, hier: S. 66.<br />

23. Vgl. Lemke, Konzeption (wie Anm. 10), S. 288-320. Das JaboG 36 erhielt 1974 dann die F-4F Phantom II, die in der Erstrolle als konventioneller Jagdbomber und in der Zweitrolle als Jagdflugzeug genutzt wurde.<br />

24. Dazu demnächst grundlegend: Claas Siano, Der Starfighter. Rüstung in Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Phil Bochum 2009.


fenmix wahrnehmen kann, als der dafür unzureichende<br />

Starfighter. Mit der Ausphasung des Starfighters aus dem<br />

aktiven Dienst und seinem Ersatz durch den Tornado im<br />

Jahr 1987 hatte sich – zum Ende des Zeitalters der Blockkonfrontation<br />

– nicht nur das Fähigkeitsprofil der Luftwaffe<br />

deutlich verändert. Vielmehr bedeutete diese Zäsur<br />

auch einen erheblichen Rückgang an nuklearen Potenzialen<br />

der Luftwaffe. Die Flugabwehrrakete NIKE Hercules<br />

wurde zu dieser Zeit durch das mobile System PATRIOT<br />

ersetzt und eine Nachfolge der Pershing Ia wurde in der<br />

Luftwaffe kaum forciert. – Dass bis 1990 im deutschen<br />

Heer vielfältige taktische Nuklearwaffen für Artilleriesysteme<br />

existierten, steht dabei auf einem anderen Blatt.<br />

Angesichts der umfassenden Lagerung von Nuklearwaffen<br />

in der „alten“ Bundesrepublik sowie des weitreichenden<br />

Einflusses, den sie auf die operativen Planungen der<br />

NATO besaßen, ist es an der Zeit, die Bedeutung der Nuklearwaffen<br />

auf die Luftwaffe bis 1990 in vielfältiger Sicht<br />

zu untersuchen. Das Internet bietet dazu schon weitreichende<br />

Informationen, die mit historischen Forschungen<br />

fortgeführt und dekodiert werden könnten, wozu Zeitzeugen<br />

erheblich beitragen könnten.<br />

15


Luftwaffenmotive in der Frühphase der Freiwilligenwerbung<br />

der Bundeswehr<br />

Text: Dr. Thorsten Loch<br />

Öffentlich verbreitete Soldatenbilder seien es – so der<br />

langjährige Leiter der Abteilung Forschung am Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamt, Professor Dr. Manfred<br />

Messerschmidt –, die Aufschluss über die „politischen und<br />

gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen“ 1 eines Staatswesens<br />

böten. Die gedankliche Weiterentwicklung dieser<br />

Auffassung geht in die Erkenntnis über, dass es sich bei<br />

den öffentlich verbreiteten Soldatenbildern regelmäßig um<br />

Identität stiftende Konstrukte handelt, die bewusst oder<br />

unbewusst Leitbilder schufen und nicht selten zu Mythen<br />

geronnen. 2 Daher können diese Bilder als am Schnittpunkt<br />

von Militär, Staat und <strong>Gesellschaft</strong> liegend verstanden werden<br />

und es zudem ermöglichen, das Wesen dieser Trinität<br />

so zu erfassen, wie es durch die Analyse von programmatischen<br />

Reden oder Schriften kaum möglich wäre. 3<br />

Die erste deutsche Armee, die ein derartiges Bild – in manipulativer<br />

Absicht – schuf, war die Wehrmacht. Im Zuge<br />

eines politisch initialisierten und durch Reichswehr und<br />

Wehrmacht mitgetragenen Prozesses der Bellifizierung<br />

und Wehrhaftmachung 4 von <strong>Gesellschaft</strong> als auch des Militärs<br />

selbst, entwickelte sich ein äußeres Bild des Soldaten,<br />

das visuell über die Grenzen des Soldatentums hinaus zu<br />

einem entgrenzten Kämpfertum pervertierte. Sein Zweck<br />

war eindeutig politisch motiviert: die <strong>Gesellschaft</strong> und<br />

ihre Soldaten auf die kommenden (totalen) Kriege und<br />

auch auf die rassisch motivierten Grenzüberschreitungen<br />

des Holocaustes vorzubereiten. Die öffentlich verbreiteten<br />

„äußeren“ Soldatenbilder erzeugten „innere“ Bilder eines<br />

Heroen und (rassischen) Kämpfers jenseits des klassisch<br />

Soldatischen, um die Bevölkerung auf die geplanten totalen<br />

Waffengänge geistig einzustimmen.<br />

Dieses Bild des Kämpfers der Wehrmacht, wie ihn Erich<br />

Hoffmann 1941 in einer zinkenen Büste darstellte [Bild<br />

1, Hoffmann, Der Kämpfer], war der Archetypus des nationalsozialistischen<br />

Kämpfers, 5 der sich in Rubriken wie<br />

Führermythos, Volksgemeinschaft, Kampf und rassischer<br />

Thorsten Loch<br />

Kämpfer fassen lässt und das nationalsozialistische Ideal<br />

des Mannes darstellte: einen männlichen Herrscherwillen,<br />

das Heldische und die Leistung des Einzelnen. 6 Es<br />

erlaubte in seiner visualisierten Sinnhaftigkeit Anschluss<br />

an die NS-Ideologie des darwinistischen und rassisch legitimierten<br />

„Kampfes um das Dasein“. Es band sich zwar<br />

durchaus zurück an tradierte militärisch-soldatische Argumente<br />

wie Entschlossenheit, Mut und Vertrauen, übertrat<br />

aber die Grenzen eben jenes Soldatischen, indem es an<br />

den rassischen Kämpfer appellierte und somit den politisch-ideologischen<br />

Wesenskern der NS-Idee visualisierte.<br />

Damit wurde ein Bild des Soldaten in <strong>Gesellschaft</strong> und<br />

Streitkräfte hinein transportiert, das einen zum äußersten<br />

entschlossenen Mann zeigte, der bereit sein musste,<br />

die tradierten Grenzen des soldatischen Tötens zum rassischen<br />

Morden im „Daseinskampf der Völker“ zu überschreiten.<br />

Diese Idee schuf sich das Bild des heroischen<br />

Individuums einer hochmodernen, effektiv und professionellen<br />

Wehrmacht, visuell getragen von begeisterten<br />

jungen Gewaltspezialisten wie Panzerkommandanten,<br />

Stoßtruppführern und Fliegern, 7 die ein „Image von Gewaltbereitschaft“<br />

8 vermittelten.<br />

1. Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der Indoktrination, Hamburg 1969 (=Truppe und Verwaltung 16), S. 200.<br />

2. Thorsten Loch, Frontkämpfer – rassischer Kämpfer – Nichtkämpfer. Überlegungen zum Bild des deutschen Soldaten im 20. Jahrhundert, in: Militär in Frankreich und Deutschland 1870-2010. Vergleich, Verflechtung und Wahrnehmung<br />

zwischen Konflikt und Kooperation. Im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts Paris und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Potsdam, hrsg. von Jörg Echternkamp und Stefan Martens, Paderborn 2012, S. 91-108, hier S. 95.<br />

3. Diese Einschätzung bei Gerhard Paul, Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933, 2. Auflage Bonn 1992, S. 11 f.<br />

4. Vgl. Frank Reichherzer, „Alles ist Front!“ Wehrwissenschaften in Deutschland und die Bellifizierung der <strong>Gesellschaft</strong> vom Ersten Weltkrieg bis in den Kalten Krieg, Paderborn 2011 (=Krieg in der Geschichte, 68). Siehe nun Rüdiger Bergien,<br />

Die bellizistische Republik. Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland 1918-1933, hrsg. mit Unterstützung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Potsdam, München 2012 (=Ordnungssysteme, 35), der die These vertritt,<br />

es handele sich bei der personellen Geheimrüstung um das Ergebnis einer umfassenden Kooperation zwischen zivilen und militärischen Behörden.<br />

5. Vgl. Erich Hoffmann, Der Kämpfer, verzeichnet in: Große Deutsche Kunstausstellung 1941 im Haus der Deutschen Kunst zu München, München 1941, S. 42. Zum Soldatenbild der NS-Zeit siehe Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts.<br />

Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Bernhard Chiari, Matthias Rogg und Wolfgang Schmidt, München 2003 (=Beiträge zur Militärgeschichte, 59) und Gerhard Paul, Bilder des Krieges. Krieg der Bilder.<br />

Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn, München 2004.<br />

6. Diese zeitgenössische Einschätzung bei Arthur Laumann, Flieger und Nationalsozialismus, in: Deutsche Luftwacht. Zeitschrift für alle Gebiete der Luftfahrt. Ausgabe Luftwelt 1934, Bd. 1, Nr. 20, S. 378.<br />

7. Vgl. Jens Jäger, Photographie. Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung, Tübingen 2000 (=Historische Einführungen, 7), S. 121 sowie Gerhard Paul, Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des<br />

modernen Krieges, Paderborn, München 2004, S. 236-241.<br />

8. Howard, Die Erfindung des Friedens. Über den Krieg und die Ordnung in der Welt, Lüneburg 2001, S. 73.<br />

16


Gerade die „junge“ Luftwaffe stand während der NS-<br />

Herrschaft wie kein anderer Wehrmachtsteil im Zeichen<br />

der Technikerfahrung ihrer Angehörigen, was zu ihrem<br />

Selbstverständnis des „modernen Kriegers“ 9 beitrug. Der<br />

Ausbau der Luftwaffe nach 1935 – von 18.000 auf 275.000<br />

Mann – forderte eine intensive Werbung und Popularisierung<br />

für den Dienst in der Luftwaffe, die sich in die<br />

allgemeine Aufrüstungs- und Wehrsteigerungsprogramme<br />

des NS-Regimes einfügte. Als Motive dominierten naturgemäß<br />

Argumente des Sports, der Technikbegeisterung,<br />

aber auch eines selbstbestimmten Lebensentwurfs. Vor<br />

allem letzteres führte oft zu einer Verknüpfung der Vorstellung<br />

vom „modernen Menschen“ mit nationalsozialistischen<br />

Werten und Anschauungen, die zu einer bildlich<br />

engen Verbindung „zwischen dem Flieger und dem nationalsozialistischen<br />

Kämpfer 10 “ führte. Der „metallische<br />

Mensch“ manifestierte sich unter anderem im Filmplakat<br />

„Feuertaufe. Der Film vom Einsatz unserer Luftwaffe im<br />

polnischen Feldzug“. Der Soldat der Luftwaffe der Wehrmacht<br />

wurde in der idealisierten Form oft als metallisch<br />

anmutender Kämpfer der Lüfte dargestellt und lehnte sich<br />

so an die Herrschaftsargumentation der Nationalsozialisten<br />

an und transportierte deren Werte.<br />

Die Bundeswehr hingegen verfügte über kein öffentlich<br />

verbreitetes „äußeres“ Soldatenbild, das im Sinne von<br />

Propaganda 11 einer Bellifizierung der <strong>Gesellschaft</strong> gedient<br />

hätte, sieht man von einer Werbeaktion ab, die in den<br />

1950er-Jahren versuchte, den Wehrgedanken zu popularisieren.<br />

Im Gegenteil, so wie die Präsentation dieses Bildes<br />

in der 1930er- und 1940er-Jahren einem übergeordneten<br />

politischen Willen entsprach, so mussten die politisch<br />

Verantwortlichen in Bonn darum bemüht sein, alles Militärische<br />

einzuhegen, um ihrem übergeordneten politischen<br />

Willen – von deutschem Boden dürfe in Zukunft<br />

kein Krieg mehr ausgehen – zu entsprechen. Dieses Motiv<br />

findet sich auch in Friedrich Meineckes Beobachtung, die<br />

„deutsche Katastrophe“ führe zu einem radikalen Bruch<br />

mit „unserer militärischen Vergangenheit 12 “. Auch der zeitgenössische<br />

Publizist Adelbert Weinstein argumentierte in<br />

diesem Sinne höchst politisch, wenn er von den künftigen<br />

Streitkräften als einer „Armee ohne Pathos“ 13 sprach. Ihre<br />

gesellschaftliche Entsprechung fand sie in den Protestbewegungen,<br />

die Mitte der 1950er-Jahre aufflammten, die<br />

sich aus vielfältigen – meist moralischen – Motiven speisten.<br />

Die Politik blieb aus ihren Gründen darum bemüht,<br />

den Streitkräften mit dem „inneren“ Bild des „Staatsbürger<br />

in Uniform“ und der „Inneren Führung“ eine Leitlinie<br />

zu verordnen, die tauglich war, Demokratie und Militär<br />

miteinander zu versöhnen und somit dem „Entgleisen“<br />

des Militärs vorzubeugen. 14 Dieser Konsequenz folgte der<br />

Verzicht auf ein „äußeres“ und zudem pathetisches Bild.<br />

In dieses visuelle Vakuum<br />

stießen seit 1956 ungewollt<br />

die Motive der<br />

Nachwuchswerbung der<br />

Bundeswehr, die über<br />

Plakate und Werbeanzeigen<br />

hundertmillionenfach<br />

ein Gesicht der Bundeswehr<br />

in die Öffentlichkeit<br />

trugen. 15 Diese Bilder<br />

dienten der Werbung<br />

des länger dienenden<br />

Nachwuchses und zielten<br />

weder auf die Unterwanderung<br />

der <strong>Gesellschaft</strong><br />

noch auf eine Steigerung<br />

des Wehrgedankens in der<br />

Bild 1<br />

„Der Kämpfer“, Erich Hoffmann, 1940.<br />

Quelle: Große Deutsche Kunstausstellung 1941 im Haus der<br />

Deutschen Kunst zu München, München 1941, S. 42.<br />

<strong>Gesellschaft</strong>. Sämtliche Kritiker – ob von „links“ wie von<br />

„rechts“ – bedienten sich der gleichen Argumente: das<br />

in der Nachwuchswerbung gezeichnete Bild des bundesdeutschen<br />

Soldaten sei zu weich, nicht hart genug, es entspräche<br />

eben nicht dem vermeintlichen Vorgängerbild des<br />

Kämpfers der Wehrmacht. Die einen glaubten darin eine<br />

Methode zur Unterwanderung und heimlichen Militarisierung<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> erkennen, die anderen wiederum<br />

den Untergang des militärischen Abendlandes befürchten<br />

zu müssen. Beide Seiten erkannten nicht, dass die Bilder<br />

9. Christian Kehrt, Moderne Krieger. Die Technikerfahrung deutscher Militärpiloten 1910-1945, Paderborn u.a. 2010 (=Krieg in der Geschichte, 58).<br />

10. Laumann, Flieger und Nationalsozialismus (wie Anm. 6), S. 378.<br />

11. Vgl. Thymian Bussemer, Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2005.<br />

12. Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, 3. Auflage, Wiesbaden 1947, S. 156.<br />

13. Vgl. Adelbert Weinstein, Armee ohne Pathos. Die deutsche Wiederbewaffnung im Urteil ehemaliger Soldaten, Bonn 1951.<br />

14. Vgl. Frank Nägler, Der gewollte Soldat und sein Wandel. Personelle Rüstung und Innere Führung in den Aufbaujahren der Bundeswehr 1956 bis 1964/65, München 2010 (=Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik<br />

Deutschland, 9).<br />

15. Vgl. Thorsten Loch, Das Gesicht der Bundeswehr. Kommunikationsstrategien in der Freiwilligenwerbung der Bundeswehr. 1956 bis 1989, München 2008 (=Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 8).<br />

17


18<br />

LUFTWAFFENMOTIVE IN DER FRÜHPHASE DER FREIWILLIGENWERBUNG DER BUNDESWEHR<br />

der Wehrmacht einem anderen Zweck folgten, als die Bilder<br />

der Nachwuchswerbung der Bundeswehr.<br />

Diese dienten je länger je mehr einem komplexen Kommunikationsprozess,<br />

in dessen Mittelpunkt der Kunde,<br />

die jugendlich-männliche Zielgruppe, stand, die es zu<br />

erreichen galt. Die Bilder der Nachwuchswerbung versprachen<br />

den Kunden mehr oder weniger befriedigende<br />

Lösungen für ihr Problem der Arbeitsplatzsuche nach der<br />

schulischen oder beruflichen Ausbildung zu bieten. Im<br />

Gegensatz zu den Soldatenbildern der Wehrmacht, ging<br />

es diesen Bildern nicht um den Transport bestimmter<br />

Bildmuster, um die <strong>Gesellschaft</strong> im weitesten Sinne zu<br />

beeinflussen, sondern den Arbeitsplatz Bundeswehr als<br />

attraktive Berufsalternative zu kommunizieren. Die dabei<br />

entwickelten und transportierten Bilder waren nicht das<br />

Produkt eines politischen Willens sondern vielmehr das<br />

Ergebnis der Beobachtung der Beobachter, also demoskopischer<br />

Untersuchungen, die die Einstellung der Zielgruppe<br />

analysierte und visuell-bildlich umsetzten.<br />

Dabei entwickelte sich vor dem Hintergrund der historischen<br />

Folie und der Einstellung weiter Teile der <strong>Gesellschaft</strong><br />

ein Soldatenbild, dessen „roter Faden“ sich zwischen<br />

1956 und der Wiedervereinigung 1990 durch alle Motive<br />

zieht. Im Vergleich zum Heroen der Wehrmacht, der die<br />

<strong>Gesellschaft</strong> auf den kommenden Krieg vorbereiten sollte,<br />

zeigte das Soldatenbild der Nachwuchswerbung der Bundeswehr<br />

einen „postheroischen“ Soldaten. Betrachtet man<br />

jedoch eine größere Entwicklungslinie, scheint es angebracht,<br />

weniger vom „postheroischen“ als vielmehr vom<br />

„bürgerlichen“ Soldaten zu sprechen: Ein Soldatenbild,<br />

mit offenen und weichen Gesichtszügen, einem Soldaten,<br />

der sich in vielen Kontexten präsentierte, jedoch nicht ein<br />

einziges Mal kämpfend dargestellt wurde. Dies gilt generell<br />

für die gesamte Nachwuchswerbung zwischen 1956 und<br />

1990. An die Stelle des heroischen Soldaten, des Kämpfers<br />

für die nationale Schicksalsgemeinschaft und die „arische<br />

Rasse“ trat der defensiv gestimmte Soldat. Der heldenhafte<br />

Kämpfer wandelte sich zum postheroischen Beschützer.<br />

Hinter diesem visuellen Bruch verbirgt sich ein tiefer lie-<br />

gender Wandel, der von der Durchsetzung einer bürgerlichen<br />

<strong>Gesellschaft</strong>sordnung zeugt, deren Ursprünge im 19.<br />

Jahrhundert wurzeln.<br />

Doch wie lässt sich dieser Wandel erklären? 16 Für die<br />

Werbung länger dienender Mannschaften, vor allem<br />

aber Unteroffiziere und Offiziere, war bis zum Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges überwiegend die jeweilige Truppe<br />

verantwortlich. Erst im Zuge des Krieges entwickelten<br />

sich Zentralisierungstendenzen. Die Bundeswehr brach<br />

völlig mit dieser Tradition, indem von nun an das Bundesverteidigungsministerium<br />

zentral für die Werbung des<br />

Nachwuchses verantwortlich zeichnete. Mangels fachlicher<br />

Kontinuitäten und somit mangels qualifizierten Personals<br />

und Fachwissens, griff man auf die Kompetenz und<br />

Beratungsleistung ziviler Werbeagenturen zurück. Woher<br />

aber kamen nun die Bildinhalte, deren Grundzüge sich bis<br />

1990 kaum änderten? Die Niederlage in zwei Weltkriegen,<br />

der totale Zusammenbruch und auch das wachsende<br />

Bewusstsein für die verbrecherische Kriegführung hatten<br />

alles Soldatische aus dem Alltag der Deutschen verbannt.<br />

Dies wurde durch die alliierte Besatzungsherrschaft und<br />

ihre Demilitarisierungspolitik in vielen Lebensbereichen<br />

verstärkt. Die Mehrheit lehnte aus unterschiedlichsten<br />

Gründen die Aufstellung der Bundeswehr ab, für die Politik<br />

hingegen war sie ein Mittel zum Schutz gegen die<br />

sowjetische Aggression und zum anderen ein Mittel zur<br />

Erreichung von mehr Souveränität und Mitsprache im<br />

westlichen Bündnis. Die Nachwuchswerbung hatte all dies<br />

zu berücksichtigen. Ihrem Bemühen um die Gunst der<br />

Zielgruppe stand das schlechte Image der Streitkräfte und<br />

seit Ende der 1950er-Jahre eine prosperierende Wirtschaft<br />

entgegen, die attraktive Alternativen zum Soldatenberuf<br />

bereithielt. Die anfänglich guten Bewerberzahlen waren<br />

in den frühen 1960er-Jahern rückläufig und führten bereits<br />

ab 1965 zu besorgniserregenden Personallücken. Die<br />

Präsentation eines neuen Soldatenbildes und die bildliche<br />

Abkehr von der Wehrmacht reichten da ebenso wenig aus<br />

wie die im Vergleich zur Wirtschaft geringen materiellen<br />

resp. wirtschaftlichen Anreize. Erst eine grundlegende Reform<br />

in der Aus- und Weiterbildung der länger dienenden<br />

16. Für die folgenden Überlegungen vgl. Thorsten Loch, Soldatenbilder im Wandel. Die Nachwuchswerbung der Bundeswehr in Werbeanzeigen, in: Visual History. Ein Studienbuch, hrsg. von Gerhard Paul, Göttingen 2006, S. 279 f. sowie<br />

Loch, Frontkämpfer, S. 104-106.


Unteroffiziere und Offiziere seit Ende der 1960er-Jahre,<br />

die eine hochwertige Berufsqualifikation für ein späteres<br />

Zivilleben sowie verbesserte Leistungsbezüge garantierte,<br />

ließen die Bewerberzahlen seit den 1970er-Jahren in ungeahnte<br />

Höhen schnellen.<br />

Welche visuelle Botschaft auch immer im Vordergrund<br />

der Nachwuchswerbung stand, sei es der Wehrdienst als<br />

Möglichkeit, Geld zu verdienen, zu studieren, Sport zu<br />

treiben oder seine Männlichkeit zu beweisen: der „postheroische“,<br />

der bürgerliche Soldat, der immer lächelte und<br />

freundlich war, der sich zu wehren wusste, aber niemals<br />

kämpfte, blieb der „rote Faden“ der Bildgestaltung, in der<br />

letztlich die politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen<br />

einer „Zivilmacht“ ihren Niederschlag fanden.<br />

Bei der Konstruktion des bundesdeutschen Soldatenbildes<br />

nutzten die Verantwortlichen im Ministerium wie in<br />

den Werbeagenturen die Instrumente der Meinungsforschung.<br />

Die Anzeigen und Plakate visualisierten insofern<br />

die Erkenntnisse der Demoskopen. Unter dem Einfluss<br />

der modernen Werbung wurde aus dem „Menschenmaterial“<br />

der Weltkriege eine Kundschaft, die es zu gewinnen<br />

galt. Nicht das Militär oder die Politik publizierten ihr<br />

„Wunschbild“ des Soldaten, vielmehr übten die Vorstellungen<br />

der Jugend den entscheidenden Einfluss auf die<br />

Bildinhalte aus. Es ist dieser Befund, der auf die „Verbürgerlichung“<br />

des deutschen Militärs nach 1945 hinweist.<br />

Das vermutlich erste Werbeplakat der Bundeswehr von<br />

1956 zeigt den deutlich wahrnehmbaren Unterschied zum<br />

Soldatenbild der Wehrmacht auf. Es war Teil der ersten<br />

„Werbelinie“ der Bundeswehr, die unter dem Slogan „Freiwillige“<br />

gefasst werden kann. Sie warb sowohl über Plakate<br />

als auch Anzeigen in Printmedien. 17 Plakate, als Medien<br />

der Außen- und Fernwirkung, waren in ihren verbalen<br />

Registern reduziert und wirkten über die graphischen Elemente.<br />

Der Plakatanschlag, der über die Werbeagenturen<br />

oder sonstige Distribuenten erfolgte, folgte den üblichen<br />

Forderungen: in den Größen DIN A1 bis 3 hingen sie an<br />

öffentlichen Orten, wie Postämtern oder Bahnhöfen.<br />

Das colorierte Plakat wird<br />

dominiert durch das visuelle<br />

Register, das durch<br />

das verbale Register in einen<br />

Bundeswehrkontext<br />

verankert wird. Demnach<br />

sind Freiwillige zu sehen,<br />

die „den Grundstein für<br />

die Bundeswehr“ legen.<br />

Die drei, auf Grund ihrer<br />

Kleidung als Soldaten zu<br />

identifizierenden Männer,<br />

gehen, aus der Tiefe<br />

des Raumes kommend,<br />

auf den Betrachter zu. Sie<br />

marschieren von links ge-<br />

staffelt, bilden jedoch eine einheitliche „Front“. Die drei,<br />

deren militärischer Rang unbestimmt bleibt, verkörpern<br />

in ihren Uniformen die drei Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe<br />

und Marine und stehen damit stellvertretend für das<br />

Ganze. Diese Form der dreigeteilten Darstellung fand sich<br />

bereits 1941 in Hans Schmitz-Wiedenbrücks Triptychon<br />

„Arbeiter, Bauern und Soldaten“ 18 wurde aber auch in den<br />

späten 1950er-Jahren in Plakatdarstellungen (vgl. Bild 3)<br />

genutzt. Trotz allen Verzichts auf eine hypertrophe Darstellung<br />

des Militärischen und einer beinahe androgynen<br />

Anmutung, steht der Soldat in der Gruppe und nicht der<br />

heroische Einzelkämpfer im Vordergrund des Plakates.<br />

Legt man die Bildaussage von Bild 1 und 2 nebeneinander,<br />

wird deutlich, dass letzteres über eine Antithese Aufmerksamkeit<br />

erzeugte, was umso wahrscheinlicher ist, je mehr<br />

man die Sehgewohnheiten der Zeitgenossen zu Grunde<br />

legt. So gesehen weckte das in diesem Plakat dargestellte<br />

Soldatenbild von 1956 beim Betrachter Aufmerksamkeit,<br />

insofern hier ein ungewohntes, den Sehgewohnheiten gegenläufiges<br />

Soldatenbild geboten wurde. Unterstrichen<br />

wird dies mit Reaktionen von Lesern des Magazins „Der<br />

Spiegel“, die auf die erste Werbeanzeige, die der gleichen<br />

Linie wie das hier gezeigte Plakat entstammte, in Leserbriefen<br />

wie folgt reagierten: Lieber sollte die Werbung den<br />

17. Für das Folgende vgl. Loch, Gesicht der Bundeswehr (wie Anm. 15), S. 155-160.<br />

18. Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930-1945. Im Auftrag des Deutschen Historischen Museums Berlin hrsg. von Hans-Jörg Czech und Nikola Doll, Dresden 2007, S. 340.<br />

Bild 2<br />

Das vermutlich erste Werbeplakat<br />

der Bundeswehr, 1956.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

19


20<br />

LUFTWAFFENMOTIVE IN DER FRÜHPHASE DER FREIWILLIGENWERBUNG DER BUNDESWEHR<br />

Jungen, „die man als Freiwillige gewinnen will, das, was<br />

sie im Kriegsfall – Verzeihung – Verteidigungsfall erwartet,<br />

[zeigen], nicht aber, wie sie ahnungslos hingegeben<br />

auf der Landkarte Vernichtung spielen.“ 19<br />

Ein anderer Leserbrief kritisierte die Scheinwelt, welche<br />

die Werbeanzeigen böten und verknüpfte sie mit dem<br />

tradierten deutschen Soldatenbild: „Wenn schon Werbung<br />

für dulce et decorum est, dann doch aber nur so:<br />

Vorgestern waren sie Soldaten der deutschen Wehrmacht,<br />

kämpften und fielen. Gestern waren sie Verbrecher, wurden<br />

gehenkt oder geschmäht. Heute liegen ihre Gebeine<br />

aber bereits in herrlich gelegenen, der Landschaft angepassten<br />

Soldatenfriedhöfen – gepflegt, umsorgt. Morgen<br />

kannst auch Du der Glückliche sein! Darum melde Dich<br />

umgehend bei der usw., usw.“ 20<br />

Das Plakat in Bild 3 kann ebenfalls als eine frühe Darstellung<br />

gelten. 21 Auch in diesem Plakat dominiert das visuelle<br />

Register, gleichwohl verankert das verbale Register das<br />

Gesehene mit der Bundeswehr. Durch die Darstellung der<br />

drei Soldaten – wiederum als Gruppe arrangiert –, welche<br />

(wie in Bild 2) erneut die drei Teilstreitkräfte verkörpern,<br />

wird der anonymen Bundeswehr ein Gesicht verliehen.<br />

Eine auraähnliche Umrandung umgibt die Männer und<br />

vereint sie als die Bundeswehr. Gleichzeitig konzentriert<br />

die Aura den Blick des Betrachters auf die Gesichter der<br />

drei Soldaten, wodurch eine Personifizierung erleichtert<br />

wird. Es ist anzunehmen, dass also gerade die Physiognomie<br />

eine besondere Botschaft transportierte. Allen drei<br />

Soldaten ist in ihrem Ausdruck eine Abkehr vom Soldatenbild<br />

der Wehrmacht eigen. Vor allem die auf den Betrachter<br />

gerichteten Augen und das Lächeln der Soldaten<br />

konnotieren eine offenere und weniger heroisch dem<br />

Schicksal entgegenblickende Haltung und Ausrichtung.<br />

Unterstützt wird diese Annahme durch das verbale Register.<br />

Vor allem die grafische Umsetzung über die Schriftfamilien<br />

und -arten korrespondiert mit dem visuellen Register.<br />

Besonders der typografisch hervorgehobene Schriftzug<br />

„Bundeswehr“ fungiert hier als Headline und wirkt somit<br />

auf das visuelle Register zurück. Die hier genutzte Schrift<br />

19. Der Spiegel, 10, Nr. 31 vom 01.08.1956, S. 3.<br />

20. Der Spiegel, 10. Nr. 32 vom 08.08.1956, S. 6.<br />

21. Für das Folgende vgl. Loch, Gesicht der Bundeswehr (wie Anm. 15), S. 160 f.<br />

steht Pate für die folgenden Plakat- und Anzeigenwerbungen<br />

und verkörpert eine frühe Form des Corporate<br />

Design. Dabei mutet der Schriftzug mit seinen Versalien<br />

dynamisch und ein wenig verspielt an und bringt eine gewisse<br />

zeitgenössische Modernität zum Ausdruck. Die Attribute<br />

und Argumente wirken somit über den Schriftzug<br />

auf das visualisierte Bild der Bundeswehr zurück. Sowohl<br />

der Schriftzug als auch die Gesichter der Soldaten wirken<br />

offen, dynamisch und freundlich und stehen somit dem<br />

Klischee des starren und strengen „Barras“ entgegen.<br />

Die Darstellung dieser Soldaten als Gruppe und Team<br />

sowie deren Mimik konnte einer dem Militär kritisch<br />

gegenüberstehenden <strong>Gesellschaft</strong> entgegenkommen. Die<br />

Hervorhebung der Hoheitszeichen der jungen Bundesrepublik<br />

Deutschland in Form von Kokarden und Nationalfarben<br />

konnte einerseits sowohl patriotische Assoziationen<br />

wecken, als auch als Bekenntnis zur jungen Demokratie<br />

verstanden werden. Andererseits mag gerade in der Darstellung<br />

dieser Hoheitszeichen gelten, dass der Grafiker<br />

das illustrierte, was er sah, denn die Hoheitszeichen sind<br />

integraler Bestandteil der<br />

Uniform. Dies gilt auch<br />

für den Schriftzug in der<br />

Mütze des abgebildeten<br />

Matrosen. Die hier<br />

als Fraktur angedeutete<br />

Schriftart konnotiert konservative<br />

Werte und steht<br />

der Botschaft des Schriftzugs<br />

„Bundeswehr“ und<br />

den offenen Gesichtsausdrücken<br />

entgegen.<br />

So wie in den beiden Pla-<br />

katanschlägen eine deutliche<br />

Abkehr vom Soldatenbild<br />

der Wehrmacht<br />

Bild 3<br />

Werbeplakat für die Bundeswehr, um 1957 / 58.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

vollzogen wurde, lässt sich dies auch in den Werbeanzeigen<br />

(Abb. 4-10, siehe Seite 22) der Frühphase der Nachwuchswerbung<br />

(1956-1960), nachweisen. Zwar nutzten die<br />

Werber auch hier das Argument von Technikbegeisterung,


Abenteuer und der Bewährung als Mann, doch findet sich<br />

das heroische Individuum, dargestellt als Gewaltspezialist,<br />

der die Grenzen des Soldatischen hin zum Kämpfer überschreitet,<br />

nicht. Hierin jedoch eine politische oder operative<br />

Vorgabe der Leitung des Bundesministeriums der<br />

Verteidigung zu vermuten, griffe zu weit. Die Motive ergaben<br />

sich vielmehr aus der Beobachtung der Beobachter,<br />

die die Zielgruppe und mithin den Kunden mit Mitteln<br />

der Demoskopie beobachteten. Die gewählten Bilder sollten<br />

Aufmerksamkeit erzeugen und zugleich die in der Öffentlichkeit<br />

vorhandenen Ressentiments gegenüber allem<br />

Militärischen nicht weiter schüren. So entwickelte sich<br />

der in den Anzeigen vorzufindende „postheroische“, der<br />

bürgerliche Soldat, der nie als Gewaltakteur, dafür stets<br />

als freundlicher Schützer der Heimat dargestellte wurde.<br />

Die Werbung für die Bundeswehr hatte sich seit Mitte und<br />

Ende der 1960er-Jahre zunehmend auf die Argumentation<br />

für den Arbeitsplatz Bundeswehr konzentriert, dabei<br />

aber den „roten Faden“ der Präsentation eines „bürgerlichen“<br />

Soldaten nie verlassen. In den 1970er-Jahren konzentrierte<br />

sie sich zunächst weiter auf eine Argumentation,<br />

welche die Bundeswehr als den einzig funktionierenden<br />

zweiten Bildungsweg in der Bundesrepublik Deutschland<br />

darstellte.<br />

Dieses Argument der beruflichen Aus- und Weiterqualifikation<br />

in einer Gemeinschaft sportlicher Männer,<br />

versprach über die gesammelte praktische Erfahrung als<br />

militärischer Führer einen Vorsprung im Kampf um eine<br />

zivilberufliche Karriere und somit Teilhabe am sozialen<br />

Aufstieg. Diese Folie entspann sich vor dem Hintergrund<br />

des bürgerlichen, defensiv eingestellten und offenen Soldaten.<br />

Gleichwohl zeitigte dieses Argument – erst recht<br />

nach Einführung des Hochschulstudiums für Offiziere –<br />

Kritik bei den Gegnern der unterschiedlichen Lager.<br />

So schrieb der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages<br />

1972: „Die völlige Gleichmacherei der Anforderungen<br />

des militärischen Dienstes mit dem zivilen Jobdenken ist<br />

geeignet, den Konflikt insbesondere des Wehrpflichtigen<br />

innerhalb der militärischen Ordnung zu verschärfen. Je<br />

geringer die Restgröße der militärischen Eigentümlichkeiten<br />

angesetzt wird, desto geringer wird auch das Verständnis<br />

der Wehrpflichtigen für Befehl und Gehorsam<br />

sein.“ 22 Und Bundespräsident Walter Scheel merkte 1978<br />

vor Kommandeuren der Bundeswehr an: „Betrachtet man<br />

die Werbung der Bundeswehr, stellt man erstaunt fest,<br />

daß von dem militärischen Auftrag, von den demokratischen<br />

Aufgaben der Bundeswehr, von den unabdingbaren<br />

Prinzipien des Befehlens und Gehorchens in dieser Werbung<br />

kaum die Rede ist. In ihrer Werbung stellt sich die<br />

Bundeswehr eher als ein sportliches Freizeitunternehmen<br />

dar, das Gelegenheit bietet, in modernstem technischem<br />

Gerät zu Wasser, zu Luft und zu Lande herumzufahren,<br />

oder als staatliche Ausbildungsstätte für hochqualifizierte<br />

technische Berufe. […] Geht man den Gründen dieser<br />

Art Werbung nach, so erfährt man, Informationen über<br />

den eigentlichen Auftrag der Bundeswehr seien nicht gefragt;<br />

sie hätten auch nicht die erwünschte Wirkung.“ 23<br />

Vielleicht war dies aber auch der Grund dafür, weshalb<br />

die Bundeswehr mit dieser „Werbelinie“ seit den 1970er-<br />

Jahren bis zur Wiedervereinigung so erfolgreich war. 24 Das<br />

Geheimnis dieses Erfolges lag darin, einerseits ein Image<br />

aufgebaut zu haben, das sich vom Pathos der Wehrmacht<br />

deutlich abhob, und andererseits mit faktischen Anreizen<br />

werben zu können, welche die Bundeswehr im Bewusstsein<br />

der Bürger als den einzig funktionierenden zweiten<br />

Bildungsgang der Bundesrepublik Deutschland verankern<br />

konnte. Es waren die seit Anfang der späten 1960er- frühen<br />

1970er-Jahre stark verbesserten Aufstiegschancen und<br />

Ausbildungsangebote sowie materielle Anreize, mit denen<br />

geworben werden konnte. Dies geschah stets vor der Folie<br />

des postheroischen, sich von der Wehrmacht abgrenzenden<br />

Soldaten bürgerlichen Zuschnitts.<br />

22. Die Bundeswehr in Staat und <strong>Gesellschaft</strong> (IV). Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Fritz-Rudolf Schultz. Vorgelegt am 2. März 1973, hrsg. vom Presse- und Informationszentrum des Deutschen<br />

Bundestages, Bonn 1973 (=Zur Sache, 2/73), S. 99.<br />

23. Walter Scheel, Über die sittlichen Grundlagen von Verteidigungsbereitschaft und demokratischem Bewußtsein, in: Walter Scheel und Hans Apel, Die Bundeswehr und wir. Zwei Reden, Frankfurt / M 1978, S. 19 f.<br />

24. Für das Folgende siehe Thorsten Loch, Die Freiwilligenwerbung der Bundeswehr 1956 bis 1989/90, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für Historische Bildung, 2008, 1, S. 17.<br />

21


22<br />

LUFTWAFFENMOTIVE IN DER FRÜHPHASE DER FREIWILLIGENWERBUNG DER BUNDESWEHR<br />

Bild 4<br />

Werbeanzeige für Flugzeugführer der Bundeswehr,<br />

um 1956 / 57.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

SKA / IMZBw / Sammlung Loch<br />

Bild 8<br />

Werbeanzeige für Offiziere der Luftwaffe,<br />

um 1959.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

SKA / IMZBw / Sammlung Loch<br />

Bild 5<br />

Werbeanzeige dienstgradübergreifend,<br />

um 1956 / 57.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

SKA / IMZBw / Sammlung Loch<br />

Bild 9<br />

Werbeanzeige für Offiziere der Luftwaffe,<br />

um 1959.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

SKA / IMZBw / Sammlung Loch<br />

Bild 6<br />

Werbeanzeige für Offiziere der Luftwaffe,<br />

um 1958.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

SKA / IMZBw / Sammlung Loch<br />

Bild 10<br />

Werbeanzeige für Offiziere der Luftwaffe,<br />

um 1960.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

SKA / IMZBw / Sammlung Loch<br />

Bild 7<br />

Werbeanzeige für Offiziere der Luftwaffe,<br />

um 1959.<br />

Quelle: Sammlung Loch<br />

SKA / IMZBw / Sammlung Loch


Die Erstellung der Chronik des Fü L<br />

Text: Thomas Schmitz, M.A.<br />

„Grundsätzlich arbeitet der Führungsstab der Luftwaffe für<br />

die Truppe, nicht umgekehrt.“ 1<br />

Aufgabenstellung<br />

Der Führungsstab der Luftwaffe (Fü L) nahm im Organisationsgefüge<br />

der Luftwaffe eine in jeder Hinsicht<br />

besondere und bestimmende Rolle ein. Er war 55 Jahre<br />

lang eine Abteilung des Bundesministeriums der Verteidigung<br />

und damit den administrativen und bürokratischen<br />

Hindernissen des täglichen Dienstbetriebes, der mehr der<br />

Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung als<br />

dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam folgte,<br />

ausgesetzt. Entscheidungsfindungen gestalteten sich<br />

deswegen oft schwieriger als im Truppenalltag.<br />

Der Fü L war zugleich auch die höchste militärische Instanz<br />

der Luftwaffe und damit unmittelbar der Luftwaffe<br />

vorgesetzt, was ihn zu deren integralen Teil machte. In der<br />

Luftwaffe bestanden durch alle Jahrzehnte immer wieder<br />

Vorbehalte gegen ihn. Diese wurden überwiegend von<br />

den Soldaten und zivilen Angestellten und Beamten vorgebracht,<br />

die ihm nicht angehörten und vielleicht deswegen<br />

die Wege und die Dauer der Entscheidungsfindung<br />

nicht nachvollziehen konnten.<br />

Der Grundsätzlichkeit und Komplexität der Aufgabenstellungen<br />

wegen sind es überwiegend Generalstabsoffiziere<br />

gewesen, die dort ihren Dienst versahen. Für die meisten<br />

von ihnen war es eine Ehre, dort dienen zu dürfen, oder,<br />

wie es der Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe 1963<br />

anlässlich einer Besprechung mit den Offizieren des Fü L<br />

ausdrückte: „Im Führungsstab der Luftwaffe arbeiten zu<br />

dürfen ist eine Auszeichnung. (…) In einem Führungsstab<br />

tätig zu sein, heißt nicht Vorzüge zu haben, sondern allein<br />

einen Vorzug zu haben mehr arbeiten zu dürfen, härter arbeiten<br />

zu dürfen. Ernstgenommene Arbeit im Führungsstab<br />

verlangt von selbst Mühe, Opfer und Entsagung.“<br />

Als feststand, dass die Führungsstäbe im Zuge der Bundeswehrreform<br />

2012 aus dem Ministerium ausgegliedert<br />

1. Aus dem Protokoll einer Offizierbesprechung des Fü L v. 18.07.1963.<br />

Thomas Schmitz<br />

und nicht nur funktionell sondern auch nach ihrer Bezeichnung<br />

nicht mehr als Führungsstäbe fungieren würden,<br />

beendete dies auch ein besonderes Kapitel in der<br />

Geschichte der Luftwaffe. Der Chef des Stabes des Fü L<br />

erteilte im Herbst 2011 den Auftrag, über die Erstellung<br />

einer Chronik nachzudenken. Zunächst musste ein Personenkreis<br />

gefunden werden, der sich dieser Aufgabe neben<br />

den Herausforderungen der anstehenden Umstrukturierung<br />

des Fü L in ein Kommando Luftwaffe federführend<br />

annahm. Das schließlich beauftragte Referat I 1 erkannte<br />

schnell, dass eine solche Chronik nicht „aus dem Ärmel<br />

geschüttelt“ werden konnte.<br />

Aus dem Referat wurden als Vorsitzender einer Projektgruppe<br />

der Referatsleiter und sein Referent für Militärgeschichte<br />

als Arbeitsmuskel benannt. Der Historikerstabsoffizier<br />

aus dem Luftwaffenamt sollte historische<br />

Fachkenntnis beisteuern und ein ehemaliger Referatsleiter<br />

des Fü L II sowie ein ehemaliger Referent aus dem Fü L I<br />

die spezifischen Beiträge aus ihren Arbeitsgebieten liefern.<br />

Die Projektgruppe wurde bewusst klein gehalten, um die<br />

notwendigen Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse<br />

zu verschlanken.<br />

23


24<br />

DIE ERSTELLUNG DER CHRONIK DES FÜ L<br />

Problemaufriss<br />

Nachdem die personelle Zusammensetzung gefunden<br />

war, mussten die inhaltlichen Fragen der zu entwerfenden<br />

Chronik geklärt werden: Was war eigentlich der Auftrag<br />

des Führungsstabes der Luftwaffe? Führte er die Luftstreitkräfte<br />

im Einsatz? Koordinierte er die weltweiten Hilfsleistungen<br />

der Luftwaffe? War er für die Beschaffungen<br />

der Luftstreitkräfte zuständig? Wählte er das Personal aus<br />

und legte die Ausbildungsgrundlagen fest? Das waren erste<br />

Fragen, die sich der Projektgruppe zur Erstellung einer<br />

Chronik im Herbst 2011 stellten. Aber auch die Fragen<br />

nach den Arbeitsmethoden, dem Führungsstil und der<br />

Organisation des Fü L kamen auf und nicht zuletzt solche<br />

nach der Nachhaltigkeit der Ergebnisse seiner Arbeit und<br />

der getroffenen Entscheidungen.<br />

Bislang gab es noch keine Chronik oder Festschrift über<br />

die Luftwaffenführung, auf der man aufbauen konnte.<br />

Zwar liegen zahlreiche Chroniken aufgelöster und aktiver<br />

Verbände vor, die insbesondere im Zusammenhang<br />

mit dem 50-jährigen Jubiläum der Luftwaffe entstanden<br />

waren. Diese hatten jedoch andere Zielsetzungen, Rahmenbedingungen<br />

und vor allem Zielgruppen, konnten sie<br />

doch auf zahlreiche interessante Ereignisse, wie Auslandseinsätze<br />

und -übungen, Beteiligung an Hilfsleistungen<br />

oder aus dem gesellschaftlichen Leben des Verbandes in<br />

seiner lokalen und regionalen Umgebung zurückblicken.<br />

Zudem werden, etwa in den fliegenden Verbänden der<br />

Luftwaffe, die Ereignisse des Geschwaders ständig in Text<br />

und Bild festgehalten und aufbewahrt, was die Erstellung<br />

einer Chronik erleichtert. Anders stellt sich dies für die<br />

Arbeit eines Führungsstabes dar. Den Fü L in seiner Gesamtheit<br />

zu erfassen, ist kaum möglich, da jedes der zahlreichen<br />

Referate der letzten 55 Jahre für eine klar umrissene<br />

Aufgabe verantwortlich war, deren Zuständigkeiten<br />

zudem durch zahlreiche Umstrukturierungen teilweise<br />

mehrfach wechselten.<br />

Die Erstellung einer rein klassischen Chronologie von Ereignissen<br />

in der Geschichte des Fü L kam für die Projekt-<br />

gruppe daher nicht in Betracht, wenngleich eine solche<br />

als Anhang die Chronik ergänzen wird. Vielmehr war der<br />

Projektgruppe daran gelegen, ausgewählte Themen, die<br />

durch den Fü L erarbeitet und mitgestaltet wurden, zu<br />

beschreiben, um damit seine Arbeit sichtbarer werden zu<br />

lassen. Die Darstellungen sollten sich dabei immer auf die<br />

Arbeitsweise des Führungsstabes als Abteilung im Verteidigungsministerium<br />

fokussieren, um zu vermeiden, eine<br />

erneute Geschichte der Luftwaffe zu schreiben – diese<br />

wurde bereits für die ersten zwanzig Jahre der Luftwaffe in<br />

wissenschaftlicher Form durch das Militärgeschichtliche<br />

Forschungsamt anlässlich des 50-jährigen Bestehens der<br />

Luftwaffe aufgearbeitet. 2<br />

Vorgehensweise<br />

Sinnvoll erschien es, die einzelnen Themenbeiträge in<br />

drei, die Geschichte der Luftwaffe kennzeichnenden, zeitgeschichtliche<br />

Epochen sowie eine übergreifende Epoche<br />

einzuordnen:<br />

Aufbau der Luftwaffe unter der NATO-Doktrin der<br />

„Massive Retaliation“ (1956-1967);<br />

Die Luftwaffe unter der NATO-Doktrin der „Flexible<br />

Response“ bis zur Vereinigung der beiden deutschen Luftwaffen<br />

(1967-1990);<br />

Die Einsatzluftwaffe ab 1991;<br />

Epochenübergreifende Themen.<br />

Während die ersten drei Themenfelder der Ausrichtung der<br />

Luftwaffe an den Vorgaben der NATO folgen, sollen bei<br />

den epochenübergreifenden Themen zum Beispiel die Debatten<br />

um die Tradition in der Bundeswehr und speziell in<br />

der Luftwaffe, die Entwicklung von Werdegangsmodellen<br />

im Personalmanagement oder die Bearbeitung von Infrastrukturfragen<br />

ebenso ihren Platz in der Chronik des Fü L<br />

finden wie die Weiterentwicklung der Einsatzlogistik, der<br />

Aufbau des Objektschutzes, oder die Beteiligung der Luftwaffe<br />

an Rechtsfragen wie dem Luftsicherheitsgesetz.<br />

Die Projektgruppe sammelte in einem ersten Schritt die<br />

Themenfelder, die relevant erschienen, ohne jedoch den<br />

2. Vgl. Bernd Lemke, Dieter Krüger, Heinz Rebhan, Wolfgang Schmidt, Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Konzeption, Aufbau, Integration (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2), München 2006.


Bestand vorhandener Quellen gesichtet zu haben. Die<br />

identifizierten Themenfelder wurden dann den festgelegten<br />

Epochen zugeordnet und den Referaten des Fü L<br />

zur Bearbeitung überlassen. Diese sollten gleichzeitig Vorschläge<br />

für weitere Themen aus ihrer fachlichen Sicht machen.<br />

Dabei wurde deutlich, dass Themen, die vom Aufbau<br />

der Luftwaffe bis in die 1980er-Jahre reichten, den<br />

heutigen Referenten im Fü L nicht präsent waren und sie<br />

kaum über Unterlagen dazu verfügten. Die Projektgruppe<br />

entschied sich daraufhin, einige Wochen im Militärarchiv<br />

in Freiburg den Bestand des Führungsstabes der Luftwaffe<br />

3 in Bezug auf die ausgewählten historischen Themen zu<br />

sichten und diese Themen selbstständig oder in Zusammenarbeit<br />

mit den Referenten zu bearbeiten.<br />

Für dieses Projekt wurde der Projektgruppe umfassende<br />

Akteneinsicht, unabhängig von Sperrfristen oder Einstufungen,<br />

gewährt. Die Durchsicht, insbesondere der Tagebücher<br />

des Inspekteurs der Luftwaffe, machte die Projektgruppe<br />

auf weitere Themen aufmerksam, die bislang<br />

keine Beachtung gefunden hatten. Zudem zeigte sich,<br />

dass bereits ausgewählte Themen für die Darstellung der<br />

Arbeit des Fü L weniger relevant waren, da sie teilweise<br />

vollständig an die Höheren Kommandobehörden delegiert<br />

worden waren. Ebenso mussten Themen aufgrund<br />

ihrer Sensibilität verworfen werden, da die Chronik ein<br />

offenes Dokument werden soll. Neue Vorschläge wurden<br />

von den Referenten im Fü L eingebracht, die aufgrund<br />

deren fachlichen Sonderstellung vorher nicht im Fokus<br />

der Projektgruppe standen. Damit können in Einzelfällen<br />

neue und unbekannte Aspekte von einzelnen Entscheidungen<br />

aufgezeigt werden.<br />

Fallbeispiel Rüstungsbeschaffung<br />

Eine Chronik des Fü L muss sich auch mit der Beschaffung<br />

und der Einführung von Waffensystemen beschäftigen,<br />

da die Luftwaffe als Bedarfsträger teilweise erheblichen<br />

Einfluss auf die jeweiligen Entscheidungen des<br />

Verteidigungs- oder Haushaltausschusses des Deutschen<br />

Bundestages besaß.<br />

Ein Beispiel ist die Beschaffungsentscheidung für die RF-<br />

4E Phantom II, die Aufklärungsvariante der F-4 Phantom.<br />

Mit dem Wechsel zur NATO-Doktrin der „Flexible<br />

Response“ kam der Aufklärung ein erhöhter Stellenwert<br />

zu, so dass man als Nachfolger für die Aufklärungsvarianten<br />

der Fiat G.91 und des Lockheed RF-104 G Starfighter<br />

ein allwetter- und nachtsichtfähiges, taktisches<br />

Aufklärungsmittel suchte. Planungen für eine Umrüstung<br />

der Luftangriffs- und Jagdverbände der Luftwaffe hatten<br />

bereits 1966 begonnen. Im April 1967 machte der damalige<br />

Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Johannes<br />

Steinhoff, deutlich, dass eine Entscheidung zum zukünftigen<br />

Konzept der Luftwaffe dringend erforderlich war und<br />

eine Entscheidung zum Nachfolgemodell für die G.91<br />

und die F-104G noch im Sommer 1967 fallen müsse. 4<br />

Ende Oktober 1967 gab er die Anweisung, dass um die<br />

Entscheidung für die F-4 Phantom bis zuletzt zu kämpfen<br />

sei, da die Aufklärung um jeden Preis verbessert werden<br />

müsse. Die Arbeiten zur Einführung der RF-4E lagen bei<br />

Fü L I und hier insbesondere bei Fü L I 4. 5 Die Konsequenzen<br />

einer Nicht-Einführung der RF-4E aufgrund<br />

fehlender Haushaltsmittel benannte der Inspekteur dabei<br />

deutlich: Es müsse dann eine verbesserte Version der RF-<br />

104 G beschafft werden, so dass bis 1980 die Luftwaffe<br />

über keine Nachtaufklärungsfähigkeit verfüge. Dies sei<br />

nicht hinnehmbar. 6<br />

Am 11. Mai 1968 hielt der Inspekteur der Luftwaffe,<br />

unterstützt durch Fü L I, schließlich einen Vortrag zur<br />

Beschaffung der RF-4E beim Verteidigungsminister. Der<br />

Minister folgte der Empfehlung des Fü L und entschied<br />

sich für eine Beschaffung. Der Juni 1968 war nun bestimmt<br />

von der Überzeugungsarbeit bei den Parlamentariern.<br />

So fanden in diesem Monat durch Vertreter des<br />

Fü L u.a. Vorträge und Diskussionen vor Bundestagsausschüssen,<br />

Arbeitskreisen der Parteien und Fraktionen sowie<br />

beim Verteidigungsausschuss statt. Dieser stimmte der<br />

Beschaffung der RF-4E am 14. November 1968 zu, der<br />

Haushaltsauschuss des Bundestages votierte am 27. November<br />

1968 ebenfalls für das Flugzeug. 7 Die Beschaffung<br />

3. Bundesarchiv-Militärarchiv, Bestand Führungsstab der Luftwaffe, (Barch, BL 1).<br />

4. Tagebuch InspL v. 07.04.1967, in: BL 1/14707.<br />

5. Tagebuch InspL v. 31.10.1967, in: BL 1/14707.<br />

6. Tagebuch InspL v. 15.11.1967, in: BL 1/14707.<br />

7. Fü L I v. 28.01.1969 (Zusammenstellung der Arbeiten im Zusammenhang mit der Phantom-Vorlage Lw 1967-1968), in: BL 1/12747. Bereits am 24.10.1968 hat der Verteidigungsausschuss und am 14.11.1968 der Haushaltsauschuss des<br />

Bundestages die Einführung der RF-4E zustimmend zur Kenntnis genommen.<br />

25


26<br />

DIE ERSTELLUNG DER CHRONIK DES FÜ L<br />

der RF-4E belegt damit, dass der Fü L über diese Zeit<br />

hinaus nicht nur einen Beitrag zur Definition von Anforderungen<br />

an zukünftige Luftfahrzeuge leistet und seine<br />

Expertise zur Auswahl des entsprechenden Luftfahrzeugs<br />

einbringt, sondern auch mit seiner Fachexpertise in den<br />

parlamentarischen Bereich hineinwirkt.<br />

Ebenso beispielhaft wird in der Chronik auch die Beschaffung<br />

der F-104G Starfighter, der Fiat G.91, des Alpha Jet,<br />

des MRCA Tornado und des Eurofighters sowie der C-160<br />

Transall, der Bell UH-1D und der Flugabwehrraketensysteme<br />

Hawk, Roland und Patriot betrachtet. Als bewährtes<br />

Organisationsmittel zur Einführung neuer Waffensysteme<br />

erwies sich im Fü L dabei ab 1966 ein Systembeauftragter<br />

für das jeweilige Waffensystem. In Zusammenarbeit mit<br />

allen beteiligten Referaten im Fü L sowie Vertretern des<br />

Rüstungsbereichs und weiterer Beteiligter in Arbeitsgruppen<br />

war er hauptverantwortlich für die komplexe Aufgabe<br />

der Koordinierung aller Angelegenheiten in Zusammenhang<br />

mit der Einführung des Waffensystems zuständig.<br />

Die Unterlagen der Arbeitsgruppensitzungen der Systembeauftragten<br />

zeichnen ein umfassendes Lagebild über die<br />

Vorbereitung von Auswahlentscheidungen bestimmter<br />

Waffensysteme, über Verhandlungen mit der Industrie zur<br />

Einführung des Waffensystems, aber auch über den Aufbau<br />

der notwendigen Infrastruktur sowie der Logistik- und<br />

Ausbildungsorganisation zum Betrieb des Waffensystems.<br />

Fallbeispiel Ausbildung<br />

Auch die Ausbildung wird ein Thema der Chronik sein.<br />

Dabei wird die Entwicklung der Unteroffizierausbildung<br />

von der Verbandsausbildung über die teilweise zentralisierte<br />

Ausbildung eines Drittels aller Unteroffizieranwärter<br />

an der Unteroffizierschule der Luftwaffe (USLw)<br />

in Düren-Gürzenich bis hin zur heutigen zentralisierten<br />

Unteroffizierausbildung an der 1988 neu gegründeten<br />

USLw in Appen ebenso thematisiert, wie die Entstehung<br />

der Offizierschule und die Ausbildung von Offizieren an<br />

den Technischen Hochschulen / Universitäten der Bundeswehr<br />

und der Offizierschule der Luftwaffe (OSLw).<br />

8. Fü L III 3 an LwA v. 29.02.1964, in: BL 1 / 893 und VR II an u.a. Fü L III v. 25.05.1965, in: BL 1 / 4497.<br />

9. Fü L V 2 an Fü L I 3 v. 10.11.1964, in: BL 1 / 4497.<br />

Die Beteiligung der Luftwaffe an den Diskussionen um<br />

die Bildungsreform in den 1970er-Jahren und die Ausbildung<br />

der Luftwaffe an den verschiedensten Standorten im<br />

Ausland werden im Themenkomplex Ausbildung ebenfalls<br />

ihren Platz finden.<br />

Neben der Ausbildung von Flugzeugführern und Flugabwehrraketenpersonal<br />

in den USA und der Nutzung von<br />

Übungsplätzen auf Sardinien oder Kreta wird auch der<br />

meist wenig beachtete Aspekt der Auseinandersetzung um<br />

die Nutzung von Einrichtungen in Portugal behandelt.<br />

An dieser Thematik lassen sich anhand der Arbeit des Fü<br />

L die Divergenzen zwischen den operationellen Anforderungen<br />

der Luftwaffe und dem politischen Willen des Parlaments<br />

erkennen:<br />

Bereits Ende 1960 schlossen Portugal und Deutschland<br />

ein Abkommen zur Nutzung des Luftwaffenstützpunktes<br />

Beja in Südportugal, um hauptsächlich Tiefflugausbildung<br />

zu betreiben. Die Planungen von Oktober 1962<br />

sahen dabei eine ständige Stationierung von 2094 deutschen<br />

Soldaten, 358 deutschen Zivilangestellten und<br />

1768 portugiesischen Zivilangestellten vor. Weiterhin<br />

sollte in Alverca in der Nähe von Lissabon Instandsetzung<br />

von Luftfahrzeugen und Luftwaffengerät betrieben werden.<br />

8 Der Führungsstab schien insgesamt von der Nutzung<br />

des Flugplatzes Beja jedoch wenig begeistert. Fü L II<br />

betrachtete die Tiefflugausbildung noch vor der geplanten<br />

Aufnahme des Flugbetriebs Ende 1965 als unzweckmäßig<br />

und lehnte die Ausbildung ab. Diese Haltung blieb jedoch<br />

ungehört und die Planungen gingen weiter. Allerdings<br />

konnte kaum Personal für den Auslandseinsatz in Portugal<br />

gewonnen werden. Fü L V 2 machte sich deshalb Gedanken<br />

über die Gestaltung eines Werbeplakates: „Ein Plakat<br />

sollte auf dem Hintergrund einer farbigen Landschaftsaufnahme<br />

von Portugal nur etwa die Schlagwörter „Portugal<br />

– Luftwaffen-Basis – auch Du!“ enthalten.“ Eine weitere<br />

Broschüre, die bei Interesse beim Kompaniechef zu erhalten<br />

sein sollte, solle „auch Angaben über Land und Leute<br />

mit bunten Fotos, wie sie heute jedes gute Reisebüro (…)<br />

zur Verfügung stellt“ zeigen. 9


Die Planungen für Beja verzögerten sich weiter und erst<br />

zum 1. August 1966 sollte das erste Kontingent verlegen.<br />

Der damalige Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant<br />

Werner Panitzki, versuchte weiterhin, eine Nutzung zu<br />

verhindern. Sein Nachfolger Steinhoff bat Ende 1966 den<br />

für Infrastrukturmaßnahmen zuständigen zivilen Abteilungsleiter<br />

im BMVg bei der Vergabe von Infrastrukturaufträgen<br />

„dilatorisch“ zu verfahren, da wahrscheinlich<br />

keine Nutzung mehr stattfände. Gegenüber Portugal solle<br />

man dies mit technischen Problemen und Haushaltsschwierigkeiten<br />

begründen. Nach einer Reise nach Portugal<br />

urteilte der Inspekteur im August 1967 zudem, dass<br />

auch die geplante Instandsetzungseinrichtung in Alverca<br />

nicht mehr benötigt würde. Aus seiner Sicht bestünden<br />

keine taktischen Argumente für eine Nutzung: 10 „Das<br />

ganze Problem Portugal sei ein Ärger ohne Ende, die Luftwaffe<br />

werde auf eine Nutzung verzichten“, so sein Fazit<br />

im Oktober 1967. 11 Die Entscheidung für eine weitere<br />

Nutzung wurde schließlich im politischen Bereich in einer<br />

Sitzung des Bundessicherheitsrates am 3. November 1967<br />

getroffen. Dies zeigt, dass sich der Fü L nicht immer mit<br />

seinen Bewertungen durchsetzen konnte – er musste mit<br />

einer solchen Entscheidung durch das Primat der Politik<br />

„leben“.<br />

Fallbeispiel Erziehung<br />

Wie sehr Erziehungsfragen in Phasen der Neuausrichtung<br />

virulent waren, zeigen einzelne Episoden – in Form von<br />

„Splittern“ aus den Aktenbeständen –, die gleichzeitig<br />

den Zeitgeist und den gesellschaftlichen Wandel im Fü L<br />

beschreiben. Der erste Inspekteur der Luftwaffe, General<br />

Josef Kammhuber, befürchtete in der Aufstellungsphase<br />

der Luftwaffe Auswirkungen auf das Offizierkorps, wenn<br />

es mit US-amerikanischen Offizieren zusammenarbeitet:<br />

„Die zur Zeit mit amerikanischen Offizieren eng zusammenarbeitenden<br />

deutschen Offiziere müssen eigenständige<br />

deutsche Formen wieder annehmen und nicht Lümmeleien<br />

des Auslands als verpflichtend für den neuen<br />

Geist und die neue Form des deutschen Offizier-Korps<br />

ansehen.“ 12<br />

10. InspL an AbtLtr U v. 12.12.1966, in: BL 1 / 14666 und Tagebuch InspL v. 18.08.1967, in: BL 1 / 14707.<br />

11. Tagebuch InspL v. 05.10.1967, in: BL 1 / 14707.<br />

12. Kdr-Bespr. v. 04.12.1957.<br />

13. Fü L II 7 an InSan II 4 v. 17.03.1970.<br />

Bei einer Kommandeur-Besprechung 1961 berichtete Fü<br />

L I 3 von einer Befragung von jungen Soldaten über ihre<br />

persönlichen Erfahrungen bei der Luftwaffe und fasste das<br />

Ergebnis zusammen: „Bezeichnend für die innere Haltung<br />

eines Teiles unseres Offizierkorps ist die Tatsache, dass die<br />

Gemüter vieler Herren mehr durch die Diskussion über<br />

eine neue <strong>Gesellschaft</strong>suniform aufgewühlt werden, als<br />

durch die Erkenntnis, dass in ihrem Bereich Schlafmützen<br />

und Bürohengste den Ton angeben.“ Das Urteil über das<br />

Unteroffizierkorps fiel auch nicht besser aus: Die Unteroffiziere<br />

„dienen ihre Restjahre bis zur Pensionierung ab und<br />

hemmen als interessenlose Masse jede positive Arbeit“.<br />

Machte man sich in den Anfangsjahren noch mehr Gedanken<br />

über den inneren Zustand der Luftwaffe, wurde<br />

am Wechsel von den 1960er zu den 1970er-Jahren offensichtlich<br />

mehr die Übernahme gesellschaftlicher Muster<br />

in die Luftwaffe befürchtet. Der Fü L nahm Anfang 1970<br />

Stellung zu einem Vorschlag des Inspekteurs des Sanitätswesens,<br />

den Themenkreis der Sanitätsausbildung in der<br />

Allgemeinen Grundausbildung zu erweiterten. Das Fazit<br />

lautet schließlich: „Es bedarf meiner Ansicht nach einer<br />

sehr sorgfältigen Prüfung, ob es überhaupt sinnvoll ist, das<br />

Thema ‚Fragen der Fortpflanzung (Geburtenregelung, Eugenik)’<br />

in diese Ausbildung aufzunehmen. Ein derartiger<br />

Entschluss lässt nur zu leicht die Auslegung zu, dass auch<br />

die Bundeswehr mittlerweile der ‚Kollewelle’ erlegen ist.“ 13<br />

Eine noch heute zentrale Relevanz von „Erziehung“ entstand<br />

nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung<br />

nach 1989 / 90. Hier lässt sich anschaulich darstellen,<br />

wie der Fü L eine Thematik federführend in der gesamten<br />

Bundeswehr vorantreiben konnte, wenngleich diese dann<br />

letztendlich nur in der Luftwaffe umgesetzt wurde. Der<br />

Inspekteur und der Fü L befassten sich bereits seit 1989<br />

mit dem Thema, aber erst am 31. Januar 1991 erteilte der<br />

Inspekteur den Höheren Kommandobehörden den Auftrag,<br />

durch eine Arbeitgruppe Möglichkeiten zur Intensivierung<br />

der Erziehung in der Luftwaffe zu untersuchen.<br />

Anlass um über die Erziehung in der Luftwaffe und die<br />

27


28<br />

DIE ERSTELLUNG DER CHRONIK DES FÜ L<br />

Einstellungen von Soldaten zu ihrem Beruf nachzudenken<br />

waren die öffentlichen Äußerungen von Angehörigen der<br />

im NATO-Rahmen eingesetzten Alliierten Mobilen Kräften<br />

(Allied Mobil Forces – AMF), die zu einem Einsatz in<br />

der Türkei im Zusammenhang mit dem Golfkrieg 1991<br />

eingesetzt wurden.<br />

Zu diesem Thema sah sich Fü L I 3 am 5. März 1991 veranlasst,<br />

in einer Vortragsnotiz zu bemerken: „Die Innere<br />

Lage der Luftwaffe muß jetzt verbessert werden … [es]<br />

müssen zusätzliche Impulse in Ausbildung und Erziehung<br />

gegeben werden“. In einer Sprechunterlage für den Stabsabteilungsleiter<br />

Fü L I zu einer Generalstagung der Luftwaffe<br />

1991 wird schließlich als eine Folgerung aus den<br />

Äußerungen von Personal der AMF gefordert, die Menschenführung<br />

in der Luftwaffe zu verbessern und „Erziehung<br />

als lebenslang andauernder Prozess (zu) begreifen.<br />

Unser Ziel muss es sein, eine einsatzfähige und attraktive<br />

Luftwaffe zu haben – eine Luftwaffe, die Stolz vermittelt<br />

und Anerkennung erfährt.“<br />

Am 8. April 1993 unterschrieb der InspL als Ergebnis dieser<br />

Diskussionen die Weisung für die Luftwaffe Nr. 1101<br />

„Erziehung in der Luftwaffe“, nachdem sich die Teilstreitkräfte<br />

nicht auf eine gemeinsame Weisung zur Erziehung<br />

in den Streitkräften einigen konnten. Der Fü L war hierbei<br />

jedoch Vorreiter für die Implementierung von Erziehungsfragen<br />

in die Ausbildung der Streitkräfte.<br />

Perspektiven<br />

Die hier skizzierten Themenbereiche geben nur einen<br />

exemplarischen Überblick über die Themenvielfalt, mit<br />

der sich die Chronik des Fü L befassen wird. Um einen<br />

ersten Entwurf im Herbst 2012 mit der Aufstellung des<br />

Kommandos der Luftwaffe als Nachfolgeorganisation des<br />

Fü L präsentieren zu können, musste jedoch ein zeitlicher<br />

und vom Umfang begrenzter Rahmen für die Erstellung<br />

der Chronik definiert werden. Der thematisch-chronologischen<br />

Aufarbeitung der Geschichte des Fü L wird eine<br />

kurze Organisationsgeschichte des Fü L mit allen Um-<br />

strukturierungen und Aufgabenwechseln, die es in den 55<br />

Jahren gegeben hat, vorangestellt.<br />

Neben der Beschreibung der ausgewählten Themenbereiche<br />

sollen diese durch Originaldokumente, Bilder, Schautafeln<br />

oder auch Zeitzeugenberichte – eines ehemaligen<br />

Stabsabteilungs- und eines Referatsleiters, eines Referenten<br />

und eines Stabsdienstsoldaten – sowie Presseartikel ergänzt<br />

werden. Eines ist der Projektgruppe bewusst: Dem<br />

einen Leser werden Themen fehlen, andere werden erfreut<br />

sein, ein mehr nebensächliches Thema zu finden. Die<br />

Chronik soll deshalb eine Art „living document“ sein und<br />

Möglichkeiten zur Erweiterung bieten. Trotz aller Quellenkunde<br />

im Bundesarchiv-Militärarchiv, im Zwischenlager<br />

des BMVg und in der Registratur des Fü L sowie in<br />

aktuellen Vorgängen in den Referaten und veröffentlichten<br />

Fachbeiträgen wird die Chronik weder wissenschaftlichen<br />

Standards genügen, noch eine vollständige Übersicht<br />

über alle Themenfelder, die der Fü L in seiner Geschichte<br />

bearbeitet hat, bieten können. Sie wird aber, und das ist<br />

der Anspruch der Projektgruppe, beispielhaft die Bedeutung<br />

des Fü L für die Entwicklung der Luftwaffe herausstellen,<br />

ohne dabei kritische Punkte und Kuriositäten zu<br />

verschweigen.<br />

Die Chronik des Fü L soll für alle diejenigen eine Erinnerung<br />

sein, die an dem einen oder anderen Projekt mitgearbeitet<br />

haben, sie soll aber auch der historisch-politische<br />

Bildung in der Luftwaffe dienen und dazu beitragen, Themenfelder<br />

zu entdecken, die geeignet erscheinen, historisch<br />

fundiert und wissenschaftlich genauer betrachtet zu<br />

werden, vielleicht auch in der Forschung zur Einsatzarmee<br />

Bundeswehr, die für die Luftwaffe bereits Anfang der<br />

1960er-Jahre begann.


Piloten der „bemannten Rakete“.<br />

Auftrag und Alltag mit der „Hundertvier“.<br />

Text: Carsten-Philipp Mittel, M.A.<br />

Einführung<br />

Die F-104 Starfighter ist eines der umstrittensten, aber<br />

auch bekanntesten Flugzeuge der Luftfahrthistorie und<br />

verleitet Laien, Luftfahrtenthusiasten und Luftfahrzeugführer<br />

zum Schwärmen wie auch zum kontroversen Diskutieren.<br />

Die Geschichte dieses oftmals als bestes Kampfflugzeug<br />

seiner Zeit 1 bezeichneten Geräts, das in den<br />

1960er und 1970er Jahren das fliegerische Rückgrat vieler<br />

europäischer Luftwaffen bildete, ist aber auch auf Grund<br />

der Tatsache, dass es als Auslöser der größten Krise in der<br />

Geschichte der deutschen Luftwaffe gilt, interessant. Mit<br />

dem Ende der Umrüstung Anfang 1965, der damit verbundenen<br />

völligen Herstellung der Einsatzbereitschaft<br />

und der nun auftretenden, hohen Anzahl an Flugunfällen<br />

in den Jahren 1965 und 1966 kam es zu einer hohen Medienpräsenz<br />

des Starfighters, die diesen ins öffentliche Interesse<br />

rückte. 2 Der Höhepunkt der von der Presse immer<br />

wieder als Starfighter-Krise bezeichneten Phase war das<br />

Jahr 1965, in dem mit 26 Starfighter-Abstürzen und 17<br />

im Dienst gestorbenen Flugzeugführer die meisten Unfälle<br />

zu verzeichnen waren. Im Jahr 1966 zeichnete sich noch<br />

keine deutliche Wende ab. In diesem verlor die Luftwaffe<br />

21 Flugzeuge und 13 Piloten. 3<br />

Während der gesamten Nutzungszeit des Starfighters starben<br />

108 deutsche und acht US-amerikanische Flugzeugführer<br />

bei Flugunfällen mit diesem Waffensystem während<br />

der 30-jährigen Nutzungszeit dieses Musters. Die<br />

Bundeswehr – Luftwaffe und Marineflieger – verloren<br />

292 der von ihr beschafften 916 Starfighter, was einem<br />

prozentualen Anteil von 31,9 Prozent entspricht 4 . Durch<br />

die Unfallhäufigkeit allein Mitte der 1960er Jahre wurde<br />

der „Witwenmacher“ oder „Fliegender Sarg“, wie das<br />

Luftfahrzeug in dieser Zeit oftmals in Zeitungsberichten<br />

und anderen Medien genannt wurde, zu einem der meist<br />

diskutierten Rüstungsprojekte in der Geschichte der Bundeswehr.<br />

5 Die Starfighter-Krise wurde ausgiebig durch die<br />

Medien beleuchtet, dabei lag das Hauptaugenmerk auf<br />

Carsten-Philipp Mittel<br />

dem Handeln der Bundeswehr- und der Luftwaffenführung<br />

sowie dem der Politik. 6<br />

Die eigentlich Betroffenen, die Piloten, konnten nur sehr<br />

selten ihre Meinung zur und ihre Erlebnisse mit der Hundertvier<br />

kundtun. 7 Deren Wahrnehmung und Schilderung<br />

von Auftrag und Alltag mit der F-104 stehen daher<br />

hier im Zentrum der Betrachtung. Ihre Erfahrungen mit<br />

der Starfighter, die als Multirole-Flugzeug in der Jagdbomber-,<br />

Jäger-, Aufklärer- und Marinefliegerrolle eingesetzt<br />

wurde, hingen im Pilotenalltag maßgeblich vom jeweiligen,<br />

unterschiedlichen Auftrag der Verbände ab.<br />

Auftrag und Alltag in den Jagdbombergeschwadern<br />

In den Jagdbomberverbänden der Luftwaffe wurde die<br />

Hundertvier überwiegend in der Strike-Rolle (nukleare<br />

Aufgabe), wie auch in der Attack-Rolle (konventionelle<br />

Aufgabe) eingesetzt. Da die Jagdbombergeschwader 31,<br />

33 und 34 mit nuklearem Auftrag betraut waren und<br />

daher bei einem eventuellen Angriff bevorzugte Ziele<br />

eines Gegners darstellten, wurden dort Kräfte in Alarmbereitschaft<br />

(Quick Reaction Alert, kurz: QRA) zum<br />

1. Vgl. etwa Flugsicherheit. Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände der Bundeswehr: Die Ära F-104, 25. Jahrgang, Bonn 1988, Nr. 1, S. 5 und Metternich, Ulrich: Starfighter F-104. Eine Legende. In: Fliegerrevue. Magazin für Luft- und<br />

Raumfahrt, 50. Jahrgang, Berlin 2002, Nr. 8, S. 56 oder Preylowski, Peter: Lockheed F-104 Starfighter. Erstflug vor 50 Jahren. In: Soldat und Technik. Zeitschrift für Wehrtechnik, Rüstung und Logistik, 47. Jahrgang, Bonn 2004, Nr. 3, S. 40.<br />

2. Vgl. Lemke, Bernd: Konzeption und Aufbau der Luftwaffe. In: Lemke, Bernd; Krüger, Dieter; Rebhan, Heinz; Schmidt, Wolfgang: Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Konzeption, Aufbau, Integration, München 2006 (= Sicherheitspolitik und<br />

Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 2), S. 71-484, hier: S. 363.<br />

3. Vgl. Schlieper, Andries: Die Wechselwirkung Taktik-Technik-Mensch. Die Einführung des Flugzeuges F-104G in die deutsche Luftwaffe und die „Starfighterkrise“ von 1965/66. In: Thoß, Bruno (Hrsg.): Vom Kalten Krieg zur deutschen<br />

Einheit. Analysen und Zeitzeugenberichte zur deutschen Militärgeschichte 1945 bis 1995, Oldenburg 1995, S. 551-581, hier: S. 569.<br />

4. Vgl. Kropf, Klaus: German Starfighters. The F-104 German Air Force and Naval Air Service, Hinckley 2002, S. 164-170.<br />

5. Vgl. Siano, Claas: Die Beschaffung des Waffensystems F-104G im Spannungsfeld von Militär, Politik und Wirtschaft. In: Eberhard Birk/Heiner Möllers/Wolfgang Schmidt (Hg.): Die Luftwaffe in der Moderne, Essen 2011 (= Schriften zur<br />

Geschichte der Deutschen Luftwaffe, 1), S. 177-203.<br />

6. Eine Ausnahme bildet jüngst Merkel, Hubert: Flugzeugführer in den Aufbaujahren der Luftwaffe. Persönliche Erinnerungen – eine Nachbereitung der Starfighter-Krise. In: Eberhard Birk/Heiner Möllers/Wolfgang Schmidt (Hg.): Die Luftwaffe<br />

zwischen Politik und Technik, Berlin 2012 (= Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe, 2), S. 71-87.<br />

7. Der Autor hat 2012 an der UniBwHamburg eine Master-Thesis zu dem Thema „Piloten der bemannten Rakete – Erfahrungen mit der Hundertvier“ erstellt. Die hierfür geführten Oral History Interviews, die auch die Basis für diese Teilausführung<br />

zu dem Thema sind, wurden von den Interviewten zur Veröffentlichung freigegeben. Zum dokumentarischen Nachweis vgl. die Master-Thesis.<br />

29


30<br />

PILOTEN DER „BEMANNTEN RAKETE“. AUFTRAG UND ALLTAG MIT DER „HUNDERTVIER“.<br />

sofortigen Einsatz bereitgehalten, um so auch die Überlebenschancen<br />

zu erhöhen. Dieses System wurde mit der<br />

NATO-Strategie MC 14/2 („Massive Retaliation“) eingeführt.<br />

Die ursprüngliche NATO-Forderung von vier<br />

QRA-Maschinen pro Staffel konnte die Luftwaffe jedoch<br />

auf Grund ihrer personellen und logistischen Lage nicht<br />

erfüllen und so standen ab 1963 zwei QRA-Flugzeuge<br />

pro Staffel in einem speziell eingerichteten Bereich in der<br />

Nähe eines besonders gesicherten Atomwaffenlagers dauerhaft<br />

„aufgewärmt“ für den sofortigen Einsatz bereit. Der<br />

Start dieser Starfighter sollte spätestens 15 Minuten nach<br />

der Alarmierung erfolgen. 8<br />

Durch den Strategiewechsel der NATO von der Massiven<br />

Vergeltung zur im NATO-Dokument MC 14/3 vom<br />

16. Januar 1968 definierten Flexiblen Reaktion („Flexible<br />

Response“) kam es zu einer Flexibilisierung innerhalb des<br />

Bündnisses mit dem Ziel einer Anpassung an die jeweils<br />

erwartete Angriffsintensität des Warschauer Pakts. 9 Bereits<br />

ab 1965 wurden statt der ursprünglich vorgesehenen 10<br />

Staffeln von fünf Geschwadern nur sieben in den Jagdbombergeschwadern<br />

31, 33, 34 und 36 – hier nur eine<br />

Staffel – für Nuklearwaffeneinsätze vorbereitet. Später,<br />

ab Anfang der 1970-er Jahre, übernahmen die STRIKE-<br />

Staffeln auch konventionelle Aufgaben (Dual-Role). Die<br />

Jagdbombergeschwader 32 in Lechfeld und 26 in Rheine<br />

waren hingegen rein konventionell ausgerüstet und erhielten<br />

zusätzlich zu den bisherigen, reinen Jagdbomberaufgaben<br />

auch noch die Gefechtsfeldjagd als Zweitrolle. Ab<br />

Mitte 1967 waren sechs der Dual-Role-Staffeln assigniert<br />

und nur ein Jahr später folgte die letzte der sieben Staffeln.<br />

10<br />

Bei den für den nuklearen Einsatz vorgesehenen Hundertvier<br />

entfiel zur Erhöhung der Reichweite die Bordkanone,<br />

wodurch ein weitere Zusatztank eingebaut werden konnte.<br />

Im konventionellen Einsatz war die Bordkanone Teil der<br />

Standardbewaffnung; dies bedeutete, dass in den Dual-<br />

Role-Einheiten der Wechsel der Einsatzrolle (nuklear zu<br />

konventionell oder umgekehrt) nur mit großem Aufwand<br />

erfolgen konnte. 11 Trotz hoher zeitlicher und physischer<br />

Belastungen konnte sich die überwiegende Mehrzahl der<br />

Piloten mit den Vorgaben des Dienstherrn arrangieren:<br />

„[...] Damals hatten wir ein Strike Assignment; Vier Flugzeuge<br />

aufgerüstet mit der Bombe, in 15 Minuten Bereitschaft<br />

und neben dem Flugdienst war es dann so, dass wir QRA<br />

(be-)setzen mussten. Und es war immer so eingeteilt in Wochendienst,<br />

so dass man im einen Rhythmus Sonntag reinging,<br />

und so weiter. Montag frei, Dienstag rein und so weiter<br />

und das im Wechsel, so dass man einmal ein normales Wochenende<br />

hatte und das zweite Mal ein langes Wochenende.<br />

[...] Wenn man 27 Flugzeugführer (in der Staffel) hat und<br />

dann Chef und Einsatzoffizier abzieht, dann Kur und Urlaub,<br />

dann kann man sich vorstellen, wie oft man dran kam.<br />

[...] Es war ein durchaus akzeptierter Dienst, weil wir dann<br />

für die Familie auch den freien Tag dazubekamen. Und QRA<br />

war in dem Sinne, ja es war ein Bereitschaftsdienst, es war<br />

nicht, es war keine Bedrohung da, wo wir befürchtet hätten,<br />

wir müssten mal in Krieg ziehen.[...]“ 12<br />

Zusätzlich zur Alarmbereitschaft absolvierten die Piloten<br />

den normalen Tagesdienst. Dabei übernahmen die Piloten,<br />

je nach Staffel, im wöchentlichen Wechsel entweder<br />

die Früh- oder die Spätschicht. Während dieser hatte man<br />

jeweils zwei bis drei Flüge zu absolvieren. 13<br />

Auftrag und Alltag in den Jagdgeschwadern<br />

„[...] Von der Flugfähigkeit, wir als Jäger (waren)<br />

im Luftkampf tätig, hat man dann schon die Grenzen des<br />

Flugzeugs gemerkt. Da oben, wenn es in den Kurvenkampf<br />

gegangen ist, (konnte man) den Vogel dann nicht so rumreißen<br />

konnte, wie andere Maschinen, auf Grund der Aerodynamik.[...]<br />

“ 14<br />

Im JG 71 „Richthofen“ in Wittmund und im JG 74 in<br />

Neuburg an der Donau wurden die Starfighter vornehmlich<br />

als Jäger eingesetzt. Für die Jagdeinsätze standen dabei<br />

als Bewaffnung die infrarotgelenkte Luft-/Luftrakete<br />

AIM-9B Sidewinder und die M.61-20mm-Gatling-Bordkanone<br />

zur Verfügung. Radargelenkte Raketen, die vor<br />

8. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 223 und Rebhan, Heinz: Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971. In: Lemke / Krüger / Rebhan / Schmidt, Die Luftwaffe 1950 bis 1970, S. 557-647, hier: S. 579 und S. 639.<br />

9. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 224 und Schlieper, Wechselwirkung Taktik-Technik-Mensch, S. 566 sowie North Atlantic Military Committee: Final Decision on MC 14/3: http://www.nato.int/docu/stratdoc/eng/a680116a.<br />

pdf (01. Oktober 2012).<br />

10. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 228-229.<br />

11. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 230-231.<br />

12. Interview mit Fischer, Edgar.<br />

13. Vgl. Interview mit Fischer, Edgar.<br />

14. Interview mit Kohler, Wilfried.


allem für die Allwetterjagd, angedacht waren, konnten<br />

auf Grund der beschränkten Leistungen des Bordradars<br />

(NASARR) 15 nicht nachgerüstet werden. Beide Jagdgeschwader<br />

erreichten unter diesen Umständen zu keiner<br />

Zeit mit der Hundertvier die uneingeschränkte Allwetterkampffähigkeit.<br />

16 Trotzdem beschrieb Major Wilfried<br />

Kohler die Ausrüstung mit Sidewinder und Bordkanone<br />

als ideal.<br />

Da die F-104 Starfighter ursprünglich als leichter Höhenabfangjäger<br />

entwickelt worden war, besaß das Flugzeug<br />

besonders im Luftkampf Schwächen. Dies resultierte<br />

maßgeblich aus der geringen Flügelfläche und den daraus<br />

folgenden erforderlichen hohen (Kurven-) Geschwindigkeiten.<br />

Nichtsdestotrotz glaubten viele Piloten, die ihnen<br />

gestellten Aufgaben mit dem Starfighter erfüllen zu können.<br />

Die mit Starfighter ausgerüsteten Jagdverbände übten<br />

– obwohl sie für diese Rollen nicht vorgesehen waren<br />

– das Abwurfverfahren für den Nuklearwaffeneinsatz oder<br />

den Einsatz konventioneller Luft-Boden-Waffen, um im<br />

Falle eines Krieges breiter eingesetzt werden zu können.<br />

Im Zuge der Bewältigung der Starfighter-Krise rückte<br />

in den Jagdgeschwadern wieder die Abfangjagd und der<br />

Luftkampf verstärkt im Mittelpunkt. 17<br />

Der Tag eines Jagdpiloten begann entweder um 8:00<br />

Uhr, wenn er für die Frühschicht eingeteilt war, oder um<br />

14:00 Uhr, wenn er die Spätschicht übernehmen musste.<br />

Diese Einteilung wurde normalerweise im wöchentlichen<br />

Turnus gewechselt. Zu Beginn des Dienstes wurde zuerst<br />

einmal ein Briefing durchgeführt, in dem die Wetterlage,<br />

relevante Informationen zum eigenen und zu anderen<br />

Flugplätzen sowie zu Besonderheiten im Luftraum<br />

(NOTAM) 18 vermittelt und die Flugeinteilung bekanntgegeben<br />

wurden. Während seiner Schicht flog jeder Pilot<br />

zweimal, wobei die Flüge in Briefings noch vor- und nachbesprochen<br />

wurden, so dass ein einstündiger Flug zusammen<br />

mit dieser Vor- und Nachbereitung einen effektiven<br />

Zeitaufwand von drei Stunden beanspruchen konnte. In<br />

der Spätschicht stand auch jeweils ein Nachtflug an. Nach<br />

den Flügen oder an Tagen, an denen beispielsweise wetterbedingt<br />

nicht geflogen werden konnte, standen für das<br />

fliegerische Personal theoretische Ausbildung oder Sport<br />

auf dem Dienstplan. 19<br />

Auftrag und Alltag in den Aufklärungsgeschwadern<br />

„[...] Unmöglich. Er war nicht geeignet. Das habe<br />

ich gleich am Anfang auch gesagt. Dann hieß es auch, das<br />

dürfen Sie nicht sagen. Er hatte sehr schnell laufende Kameras<br />

drin. Die konnten Sie einstellen. Diese kleinen Low-Pan, diese<br />

kleinen Panoramakamera. Dann links und rechts. Dafür einen<br />

Starfighter? Das ist doch ein Witz. Wir hatten keinen, wie<br />

früher, SLAR [...] aber das war nicht ausreichend.[...]“ 20<br />

Die Aufklärungsverbände der Luftwaffe, das AG 51 „Immelmann“<br />

und das AG 52, wurden ab dem Jahr 1963<br />

auf die F-104G bzw. RF-104G Starfighter umgerüstet. 21<br />

Die dort verwendeten Starfighter, die für ihren Auftrag<br />

anstatt der Bordkanone Kameras sowie einen zusätzlichen<br />

Tank eingebaut hatten, sollten in der Standardkonfiguration<br />

mit zwei zusätzlichen, externen Tanks an den<br />

Flügelspitzen fliegen, um so die Reichweite zu erhöhen.<br />

Zu den Aufklärungszielen gehörten sowohl Schiffe in der<br />

Nord- und Ostsee, als auch gegnerische gepanzerte und<br />

mechanisierte Heeresverbände, aber auch Eisenbahnlinien,<br />

Nachschubrouten sowie Aktivitäten an stationären<br />

Einrichtungen. Die Aufklärerversion des Starfighters wurde<br />

auch als Nacht- und Allwetteraufklärer eingesetzt. Die<br />

Resultate waren jedoch nur bei Schönwetterbedingungen<br />

gut bis befriedigend, da lediglich die Augenaufklärung<br />

und die einfache Kameraaufklärung mit Hilfe von drei<br />

Oude-Delft-Kameras möglich waren und weitere, für das<br />

Aufgabenspektrum notwendige Geräte, wie beispielsweise<br />

ein SLAR oder Infrarotkameras fehlten. Auf Grund der<br />

schlechten Leistung und der mangelnden Ausrüstung<br />

wurde der Starfighter sowohl von Piloten, wie Hauptmann<br />

Gerhard Frank, als auch von der Luftwaffenführung als<br />

ungeeignet für die taktische Luftaufklärung bezeichnet. 22<br />

15. NASARR = North American Search and Ranging Radar. Der Radargerätesatz bestand aus Radarnase, Anzeigegerät und Bedienorgane im Cockpit sowie Ausrüstungsteile im Elektronikraum. Als charakteristischer Vertreter dieser<br />

Gattung der ersten Bordradare der Nachkriegszeit gehört das auch im Starfighter eingesetzte NASARR zu den „analogen“ Radaren.<br />

16. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 364-365 und S. 230 sowie zudem Wache, Siegfried: Lockheed F-104G Starfighter - Abfangjäger der Luftwaffe, Rinteln 2002, S. 46-53.<br />

17. Vgl. Interview mit Kohler, Wilfried.<br />

18. Notice to Airmen oder in Kurzform NOTAM sind Nachrichten für Luftfahrer, die Informationen über Anlagen, Dienste, Verfahren und Gefahren für die Luftfahrt, Angaben zu Flugplätzen, ausgesuchte Berichtigungen zu Fluginformationsveröffentlichungen,<br />

[…] und Änderungshinweise zu Luftfahrtveröffentlichungen beinhalten (Militärisches Luftfahrthandbuch Deutschland, Teil GEN 3.1-4.5, Online-Ausgabe Januar 2011: http://www.mil-aip.de/pams/aip/gen/ET_GEN_3_1_<br />

en.pdf (09. Juni 2012).<br />

19. Vgl. Interview mit Kohler, Wilfried.<br />

20. Interview mit Frank, Gerhard; SLAR (Side Looking Airborne Radar) bezeichnet eine Gruppe Bild gebender Radar-Verfahren zur Fernerkundung. Von beispielsweise einem Flugzeug aus detektiert ein Radar seitlich zur Bewegungsrichtung<br />

sequentiell die überflogene Landschaft.<br />

21. Vgl. Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971, S. 614.<br />

22. Vgl. Interview mit Frank, Gerhard und Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, S. 337 sowie S. 230-231 und Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971, S. 613.<br />

31


PILOTEN DER „BEMANNTEN RAKETE“. AUFTRAG UND ALLTAG MIT DER „HUNDERTVIER“.<br />

Hinzu kam seine eingeschränkte Wendigkeit, die gerade<br />

bei Aufklärungseinsätzen hinderlich war.<br />

Der Alltag in den Aufklärungsgeschwadern war von<br />

Flügen bis zum „Eisernen Vorhang“ und möglichen Begegnungen<br />

mit Flugzeugen und anderen Einheiten des<br />

Warschauer Pakts geprägt. So stand neben den täglichen<br />

Flügen eine ausführliche Theorieausbildung über gegnerische<br />

Schiffe, Flugzeuge und Waffen und mögliche Abwehrmaßnahmen<br />

auf dem Dienstplan. Um auch vom<br />

fliegerischen Aspekt her für eine Konfrontation mit dem<br />

Gegner gerüstet zu sein, wurden Luftkampfausweichmanöver<br />

praktisch geübt. Flüge mit der T-33 Shooting Star,<br />

Do27 und auch Do28 waren an der Tagesordnung, um<br />

fliegerische Fähigkeiten zu schulen, aufrechtzuerhalten<br />

oder auch, wenn Flüge mit dem Starfighter, teilweise wetterbedingt,<br />

nicht möglich waren. 23<br />

Überprüfungen<br />

Zusätzlich zum Alltagsdienst waren für alle Starfighter-<br />

Verbände, wie auch andere Einsatzverbände der Luftwaffe,<br />

Übungen oder taktische Überprüfungen (Tactical<br />

Evaluation, kurz: TacEval) durch die NATO zu absolvieren.<br />

Die jährlich stattfindende Überprüfung erfolgten in<br />

Form einer zwei- bis dreitägige Kriegsübung, wobei ein<br />

internationales Überprüfungsteam der NATO den jeweiligen<br />

Einsatzverband überprüfte und seine nach NATO-<br />

Standards definierte Leistungsfähigkeit feststellte. Im Jahr<br />

1968 wurden insgesamt 13 der 16 Luftwaffengeschwader<br />

überprüft, wobei alle besser abschlossen als im Vorjahr<br />

und vier Geschwader in einem Bewertungsschema zwischen<br />

Note 1 (sehr gut) und Note 4 (ungenügend) mit<br />

der Note 1 abschlossen und neun Verbände mit der Note<br />

2. Die Luftwaffe erreichte einen Grad von 81 Prozent bei<br />

der personellen und materiellen Einsatzbereitschaft und<br />

übertraf die NATO-Vorgaben von 70 Prozent deutlich.<br />

Dieses Ergebnis stellte auch eine Verdopplung der Qualität<br />

im Vergleich zum Jahr 1962 dar. Qualität und Einsatzbereitschaft<br />

hatten sich zum Ende der 1960er Jahre, nach<br />

der Umrüstung auf die neuen Waffensysteme, worunter<br />

sich auch die F-104 Starfighter befand, deutlich verbessert.<br />

Die erbrachten Leistungen der Luftwaffe fanden bei den<br />

Verbündeten Anerkennung. 24<br />

Auftrag und Alltag in den Marinefliegergeschwadern<br />

„[...] Die Marine konnte mit dem Starfighter ihren<br />

Auftrag voll umfänglich erfüllen. Wir haben eine hervorragende<br />

Waffe damals mit dem Starfighter gehabt, das war der<br />

Kormoran, der heute noch schön langsam ausphast, aber der<br />

heute noch am Tornado von der Luftwaffe geflogen wird, also<br />

als Abstandwaffe, dann Bomben, gut, das machte das Flugzeug<br />

natürlich schwer und unbeweglich und Luft-Boden-<br />

Raketen, die ausgesprochen wirkungsvoll waren.[...]“ 25<br />

Ab dem Frühjahr 1963 wurden auch die Marinefliegergeschwader<br />

1 und 2 mit dem Starfighter ausgerüstet. 26<br />

Ihr Auftrag war sehr umfangreich und bildete nahezu<br />

das vollständige Aufgabenspektrum der Marine ab,<br />

das mit dem Starfighter – laut Aussage eines ehemaligen<br />

Marinefliegers – auch im vollen Umfang erfüllt werden<br />

konnte. So waren zwar Überwachung bzw. Aufklärung<br />

und mögliche Bekämpfung von Schiffen, auch mit Hilfe<br />

der 1970 eingeführten Anti-Schiff-Raketen vom Typ<br />

Kormoran, Luft-Boden-Raketen und Bomben im Tiefflug<br />

der Hauptauftrag, aber die Marinefliegerpiloten flogen<br />

auch Begleitschutzmissionen und hatten daher auch<br />

Luftkampfübungen durchzuführen. Die meisten Flüge,<br />

ungefähr 70 Prozent, wurden im Gegensatz zur Luftwaffe<br />

über See durchgeführt. Auf Grund der vielseitigen Aufgaben<br />

mussten die Marineflieger ein ähnlich hohes Pensum<br />

an Übungsflügen durchführen wie ihre Kameraden von<br />

der Luftwaffe. Im Durchschnitt flog jeder Pilot sieben<br />

bis acht Flüge pro Woche, im wöchentlich wechselnden<br />

Rhythmus von Früh- und Spätschicht. Zum praktischen<br />

fliegerischen Dienst kam noch ein erheblicher Anteil an<br />

theoretischer Ausbildung hinzu. Das Hauptaugenmerk<br />

lag dabei auf der Erkennung von Schiffen des Warschauer<br />

Pakts wie auch der NATO. 27<br />

23. Vgl. Interview mit Frank, Gerhard.<br />

24. Vgl. Rebhan, Aufbau und Organisation der Luftwaffe 1955 bis 1971, S. 640-641 und Jarosch, Hans-Werner (Hrsg.): Immer im Einsatz. 50 Jahre Luftwaffe, 2. Auflage Hamburg 2005, S. 84-88.<br />

25. Interview mit einem Marineflieger.<br />

26. Vgl. Preylowski, Lockheed F-104 Starfighter, S. 39.<br />

32 32


Der Umgang der Piloten mit den Starfighter-Abstürzen<br />

„[...] Gesprochen hat man immer drüber, besonders<br />

wenn es auch alte Bekannte oder Freunde waren und wenn<br />

der ein oder andere hier dann mal abgestürzt ist, dann ist<br />

gescheit getrauert, aber dann auch einer gescheit reingehauen<br />

worden, vielleicht um die ganze Sache ein bisschen zu verdrängen.<br />

Die Geschichte war schon etwas rustikal damals.<br />

[...] Ich bin da immer eingestiegen mit einem freudigen Gefühl.<br />

[...] Manchmal hat man einfachere missions gehabt,<br />

manchmal schwierigere. Aber grundsätzlich bin ich immer<br />

mit einem (guten) Gefühl eingestiegen und hab da nie irgendwelche<br />

Ängste entwickelt. Auch wenn mal der ein oder<br />

andere Freund oder Bekannte abgestürzt ist, teilweise mit<br />

tödlichem Ausgang - man hat halt dann weggesteckt und versucht,<br />

so schnell wie möglich wieder weiter zumachen.[...]“ 28<br />

Durch die Ereignisse Mitte der 1960er Jahre waren Flugzeugabstürze<br />

auch Gesprächsthemen in den verschiedenen<br />

Einheiten, besonders nach Flugunfällen oder Zwischenfällen<br />

– und diese, so wie der damit häufig verbundene Tod<br />

von Fliegerkameraden, gehörten praktisch zum Alltag in<br />

den Anfangsjahren der Starfighter-Nutzung. Bei Bekannten<br />

und Freunden wurde, wie das Zitat belegt, getrauert.<br />

Dennoch versuchten die Piloten einerseits diese negativen<br />

Ereignisse nicht zu nah an sich heranzulassen, andererseits<br />

mit einer gewissen Professionalität die Unfälle und die<br />

verschiedenen Probleme zu analysieren und Maßnahmen<br />

zur Behebung dieser Probleme oder der Ursachen für die<br />

Unfälle zu diskutieren, um bei möglichen, ähnlichen Fällen<br />

während des Fluges angemessen reagieren zu können: 29<br />

„[...] Natürlich war es Gesprächsthema, denn immer<br />

war es die Frage, war das nun der Pilot, der da was falsch gemacht<br />

hat, war das die Maschine. Wenn es die Maschine war,<br />

wie verhalte ich mich, wenn es mir passieren würde? Und so<br />

weiter und so weiter. Das heißt also die Ungewissheit, bei<br />

jedem Unfall natürlich sich es in irgendwelchen Diskussionen<br />

ausgelassen hat. Das gab es die ganze Zeit.[...]“ 30<br />

27. Vgl. Interview mit einem Marineflieger und Wache, Siegfried: Lockheed F/RF-104G Starfighter. Marineflieger, S. 41-43.<br />

28. Interview mit Kohler, Wilfried.<br />

29. Vgl. Interviews mit Fischer, Edgar und Kohler, Wilfried.<br />

30. Interview mit Fischer, Edgar.<br />

31. Vgl. Interviews mit Fischer, Kohler, Frank und mit einem Marineflieger.<br />

33<br />

Dennoch sagen viele Piloten und alle befragten: trotz<br />

aller Vorkommnisse und auch der negativen Berichterstattung<br />

in den Jahren 1965 und 1966 hätten sie zu keinem<br />

Zeitpunkt Angst vor dem Waffensystem F-104 Starfighter<br />

gehabt. 31<br />

Fazit<br />

Die Krise Mitte der 1960er Jahre überschattete die knapp<br />

30-jährige Starfighter-Ära. Die Bediener dieser Flugzeuge<br />

versuchten aber auch zu „Hochzeiten“ der Krise den<br />

Tod von Kameraden und die Trauer nicht zu nahe an sich<br />

heranzulassen, die Lehren aus den Unfällen zu ziehen und<br />

schließlich den jeweiligen Auftrag in den verschiedenen<br />

Rollen als Jagdbomber, Jäger, Aufklärer oder Marineflieger<br />

– trotz teilweise widrigen, auch durch die Technik<br />

eingeschränkten Möglichkeiten und Rahmenumständen<br />

– bestmöglich und, basierend auf einen hohen Trainingstand,<br />

professionell aufzuführen.<br />

33


Steinhoff und sein „Bild des Offiziers in der Luftwaffe“<br />

Text: Dr. Eberhard Birk<br />

I. Einleitung<br />

Als die Luftwaffe vor dem Hintergrund neuer sicherheitspolitischer<br />

Herausforderungen und (stets) notwendiger<br />

Anpassungsprozesse der Streitkräfte in den Jahren 2001/02<br />

ihr neues Leitbild „Team Luftwaffe“ erarbeitete, hielt der<br />

Schlussbericht der Arbeitsgruppe an der Offizierschule der<br />

Luftwaffe fest, dass damit auch das bis dato noch gültige,<br />

indes wenig bekannte, „Bild des Offiziers in der Luftwaffe“<br />

aufzuheben sei. Dieses wurde am 23. Dezember 1969<br />

vom damaligen Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant<br />

Johannes Steinhoff 1 , erlassen – versehen mit der Bitte,<br />

es „jedem Offizier und Offizieranwärter der Luftwaffe<br />

auszuhändigen“ 2 . Daran ist mehrerlei aufschlussreich: (1.)<br />

Soldaten aller Teilstreitkräfte benötigen neben aller militärischen<br />

Professionalität ein sinnstiftendes Leitbild 3 ; (2.)<br />

die kurze Skizzierung Steinhoffs war, obwohl sie nie außer<br />

Kraft gesetzt wurde, großen Teilen nachwachsender Offiziergenerationen<br />

kaum mehr präsent 4 und (3.) die Vorstellungen<br />

eines Bildes vom Offizier unterliegen dem Wandel,<br />

weshalb sie oftmals einer „Aktualisierung“ bedürfen 5 .<br />

Die anhaltende Dringlichkeit, Soldaten mit einem anspruchsvollen<br />

und in sich kohärenten „Bild“ zu versorgen,<br />

muss stets von einer Grundtatsache ausgehen: „Bilder“<br />

transportieren Normvorstellungen und haben daher einen<br />

erzieherischen Impetus. Sie schaffen einen gegenwartsbezogenen<br />

archimedischen Punkt, von dem aus sich Positionen<br />

des Selbstverständnisses und letztlich auch Traditionsvorstellungen<br />

begründen lassen – denn Auftrag und<br />

Selbstverständnis bedingen sich gegenseitig.<br />

Besonders vor dem Hintergrund der späteren Diskussionen<br />

um das Selbst- und Traditionsverständnis der Luftwaffe<br />

im Zuge der „Rudel-Affäre“ im Jahre 1976 und der<br />

Aberkennung des Traditionsnamen „Mölders“ beim Jagdgeschwader<br />

74 in Neuburg an der Donau im Jahre 2005<br />

stellt sich perspektivisch und implizit immer auch die Frage,<br />

inwiefern konservativ-traditionale Denkmuster den<br />

34<br />

Eberhard Birk<br />

„von oben“ verordneten „modernen“ Leitbilder – hier:<br />

Steinhoffs Bild des Offiziers und der „Traditionserlass“ der<br />

Bundeswehr vom 20. September 1982 – entgegen stehen 6 .<br />

Diese Frage gewinnt nicht zuletzt vor dem Hintergrund<br />

der von Verteidigungsminister Thomas de Maizière am<br />

14. Oktober 2011 zur Einweihung des Militärhistorischen<br />

Museums der Bundeswehr in Dresden gehaltenen<br />

Rede und einer darin angeregten „Traditionsdebatte“ 7 , die<br />

aufs engste mit einem „Bild des Soldaten“ resp. seinem<br />

Selbstverständnis zusammenhängt, an Aktualität. Dabei<br />

zeigt gerade das Beispiel Steinhoffs mit seinem „Bild des<br />

Offiziers in der Luftwaffe“, wie unterschiedliche Entwicklungsstränge<br />

in einer konzisen Präzisierung berufsspezifischer<br />

Vorstellungen münden. 8<br />

II. Das Bild des Offiziers in der Luftwaffe<br />

Steinhoff gliederte seine Überlegungen zum „Bild des Offiziers<br />

in der Luftwaffe“ in fünf Kapitel: (I.) Der Offizier<br />

in Vergangenheit und Gegenwart, (II.) Stellung des Offiziers<br />

in der <strong>Gesellschaft</strong>, (III.) Auftrag der Luftwaffe und<br />

1. Zu Steinhoff vgl. Möllers, Heiner: „Ein unbequemer Mann!“ General Johannes Steinhoff. In: Die Luftwaffe in der Moderne. Im Auftrag der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V., hrsg. von Eberhard Birk, Heiner Möllers und Wolfgang<br />

Schmidt, Essen 2011 (= Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe, 1), S. 141-175 sowie ders., General Steinhoff und die Luftwaffe. In: Militärgeschichte. Zeitschrift für die Historische Bildung 4/2006, S. 14-17.<br />

2. Vgl. BMVg Fü L II 4 - Az 16-05-10 vom 23. Dezember 1969.<br />

3. Das Leitbild „Team Luftwaffe“ wurde daher jedem Soldaten resp. jeder Soldatin der Luftwaffe ausgehändigt.<br />

4. Es wurde selbst in dem lange als Standardwerk geltenden Band von Donald Abenheim, Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem gültigen Erbe des deutschen Soldaten, München 1989 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 27) nicht<br />

erwähnt, obwohl er die Entwicklung des Traditions- und Selbstverständnis der Bundeswehr bis 1982 nachzeichnet.<br />

5. Vgl. Birk, Eberhard: Abschied vom Bild des Offiziers? In: Ders. (Hrsg.), Einsatzarmee und Innere Führung, Fürstenfeldbruck 2007 (= <strong>Gneisenau</strong> Blätter 6), S. 62-70. Für die Vorstellungen der Luftwaffe zu Beginn des 21. Jahrhunderts<br />

vgl. darüber hinaus: Frauenrath, Wolfgang: Das Bild des Offiziers, Fürstenfeldbruck 1999 (unv. Manuskript); Winfried Gräber, Der Offizier der Luftwaffe – Umrisse eines Anforderungsprofils als erzieherische Herausforderung. In: Eberhard<br />

Birk (Hrsg.), Erziehung und Streitkräfte, Fürstenfeldbruck 2007 (= <strong>Gneisenau</strong> Blätter, 5), S. 76-82 und Stieglitz, Klaus-Peter: Der Offizierberuf in der Luftwaffe – Neue Chancen und sich ändernde Anforderungen. In: Eberhard Birk (Hrsg.),<br />

Militärisches Selbstverständnis, Fürstenfeldbruck 2008 (= <strong>Gneisenau</strong> Blätter, 7), S. 20-28.<br />

6. Vgl. Möllers, Heiner: Die Luftwaffe und ihr Umgang mit „Tradition“. Ein historischer Abriss. In: Ders. (Hrsg.), Tradition und Traditionsverständnis in der Deutschen Luftwaffe. Geschichte – Gegenwart – Perspektiven, Potsdam 2011 (=<br />

Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, Band 16), S. 23-35.<br />

7. Vgl. Eberhard Birk / Winfried Heinemann / Sven Lange (Hrsg.), Tradition für die Bundeswehr. Neue Aspekte einer alten Debatte, Berlin 2012.<br />

8. Mehrere Monate später – am 4. August 1970 – folgte das „Bild des Unteroffiziers in der Luftwaffe“, das in enger Anlehnung an das „Bild des Offiziers“ formuliert wurde, sowie als Handreichung für die Kommandeure und Einheitsführer<br />

im Dezember 1970 das Leitbild „Soldat in der Luftwaffe“.


Folgerungen für das Bild des Offiziers in der Luftwaffe,<br />

(IV.) Verwendungsbereiche der Luftwaffenoffiziere und<br />

(V.) Forderungen an die Luftwaffen-Offiziere.<br />

In Kapitel I wird in kurzen Strichen eine teilstreitkraftübergreifende<br />

historische Entwicklung des Bildes des Offiziers<br />

unter dem Einfluss des Faktors Technik umrissen<br />

und auf den nur scheinbar banalen Sachverhalt hingewiesen,<br />

dass die Militärluftfahrt „seit ihren Anfängen in<br />

wesentlich stärkerem Maße als alle Waffengattungen des<br />

Heeres abhängig von dem Stand und der Beherrschung<br />

der Technik“ war, gleichwohl aber überkommene „Standesauffassungen“<br />

sowie „eine möglichst große Verwendungsbreite<br />

und Austauschbarkeit (…) heute im Zuge der<br />

zunehmenden Spezialisierung eine Wandlung erfahren“<br />

müsse.<br />

Bevor er darauf eingeht, unternimmt Steinhoff in Kapitel<br />

II eine ausführliche Positionsbestimmung in fünf Abschnitten<br />

für das Selbstverständnis des Luftwaffenoffiziers.<br />

Dabei betont er (1.) „den Primat der Politik“ und leitet für<br />

den Offizier daher „wachsames Interesse und tätige Verantwortung<br />

inmitten der staatlichen Gemeinschaft“ sowie<br />

„die Pflicht, politisch mitzudenken“ ab – eine Bekräftigung<br />

der Konzeption der „Inneren Führung“ mit ihrem<br />

Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“. Anschließend reflektiert<br />

er (2.) den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Wandel unter dem Fokus „arbeitsteilige“ <strong>Gesellschaft</strong><br />

und dem „ständische Grenzen“ überwindenden „Leistungsethos“,<br />

bevor er (3.) zum „Verhältnis zur Tradition“<br />

ausführt: „Tradition bedeutet Überlieferung der bleibenden,<br />

sittlich gefestigten Werte und gültigen Grunderfahrungen.<br />

Der Offizier muss überlieferte, bewährte Grundsätze<br />

und Wertvorstellungen mit den Anforderungen des<br />

Zeitgeschehens konfrontieren, um einen eigenen Standort<br />

in der Gegenwart zu gewinnen. Vom Offizier wird gefordert,<br />

dass er in geistiger Unabhängigkeit das Überlieferte<br />

auf seine Berechtigung in einer gewandelten geschichtlichen<br />

Lage prüft. Nur das soll in die Traditionspflege<br />

übernommen werden, was dem Offizier helfen kann,<br />

die Aufgaben von heute und morgen zu bewältigen. Der<br />

Offizier braucht dieses kritische Traditions- und Geschichtsbewusstsein<br />

für die Menschenführung und die<br />

politische Bildung.“<br />

In den beiden folgenden Abschnitten (4 und 5) betrachtet<br />

Steinhoff die Rolle des Offiziers vor dem Hintergrund<br />

ziviler und gesellschaftlicher Aspekte. Dabei sind zwei<br />

Aussagen von zentraler Bedeutung: (1.) „Die Luftwaffe<br />

mit ihren Waffensystemen bedient sich des gleichen ‚Managements’<br />

wie moderne technische Großbetriebe“ und<br />

(2.) „Die offene Leistungsgesellschaft hört nicht am Kasernentor<br />

auf. Veränderungen dieser <strong>Gesellschaft</strong> wirken<br />

auch in das Offizierkorps hinein.“<br />

Nach diesem ausführlichen Betrachten der politischen<br />

und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen leitet er in<br />

Kapitel III – als sicherheits- und verteidigungspolitische<br />

Grundlage – den Auftrag der Luftwaffe ab: Abschreckung<br />

im NATO-Verbund. In Kapitel IV beschreibt Steinhoff<br />

auf der Basis seiner vorherigen Ausführungen das, was er<br />

für die Zukunft von den Offizieren seiner Teilstreitkraft<br />

verlangt, nicht ohne das gesamte Offizierkorps resp. seine<br />

bisherige Struktur geradezu pauschal zu kritisieren: „Das<br />

traditionelle Vorstellungsbild vom Truppenoffizier mit<br />

möglichst großer Verwendungsbreite und Austauschbarkeit<br />

entspricht nicht mehr der technologischen Entwicklung,<br />

die das Wesen der Luftwaffe in besonderem Maße<br />

bestimmt. Es entspricht darüber hinaus nicht mehr der<br />

soziologischen Struktur einer offenen, arbeitsteiligen Leistungsgesellschaft<br />

und damit dem Menschen, wie er sich in<br />

der technisch bestimmten Luftwaffe als Teil dieser <strong>Gesellschaft</strong><br />

vorfindet.“<br />

Steinhoff kategorisiert ausgehend von einer Zweiteilung in<br />

Offiziere mit Führungsaufgaben und Offiziere mit Fachaufgaben<br />

fünf neue Offiziertypen für die Luftwaffe: zwei<br />

für die Führungsaufgaben und drei für Fachaufgaben. Zu<br />

den Führungsoffizieren zählt er jene, die für das „Management<br />

im Gesamtbereich der Luftwaffe eingesetzt“ werden<br />

35


36<br />

STEINHOFF UND SEIN „BILD DES OFFIZIERS IN DER LUFTWAFFE“<br />

(i. e. Generalstabsoffiziere und Generale) sowie Offiziere,<br />

die beim „Management im Waffensystem bzw. Spezialgebiet<br />

eingesetzt“ werden – verbunden mit der Option in<br />

die Phalanx der Generalstabsoffiziere aufzusteigen. Bei<br />

den Offizieren mit Fachaufgaben sieht er drei Kategorien<br />

vor: den „Höheren Spezialisten“ mit akademischer Vorbildung<br />

(bis zum Dienstgrad Oberst), den „Spezialisten“ mit<br />

Zuständigkeit „im begrenzten Bereich eines Waffensystems<br />

bzw. Fachgebietes“ (in der Regel bis zum Dienstgrad<br />

Oberstleutnant) sowie den „Offizier im Fachdienst“, der<br />

bis zum Dienstgrad Hauptmann reicht.<br />

In den daraus abgeleiteten Forderungen an die Luftwaffenoffiziere<br />

im Kapitel V listet Steinhoff klassische soldatische<br />

Tugenden, die er als „charakterliche Merkmale“<br />

sieht, und körperliche Voraussetzungen auf – legt jedoch<br />

auch besonderen Wert auf „geistige Merkmale“. Zu diesen<br />

zählt er: geistige Fähigkeiten (Präzision des Denkens, Initiative,<br />

Urteilsvermögen, Erkennen des Wesentlichen und<br />

der Zusammenhänge), naturwissenschaftlich-technisches<br />

Verständnis und – Bildung: Klarheit über den eigenen<br />

Standort, kritische Aufgeschlossenheit gegenüber Zeitproblemen,<br />

aktives Interesse und ständiges Lernen-Wollen.<br />

Verknüpft werden diese „Merkmale“ mit speziellen Anforderungen<br />

in unterschiedlicher Gewichtung an den Offizier<br />

mit Führungsaufgaben und den Offizier mit Fachaufgaben:<br />

Fähigkeiten in der Menschenführung (soziales<br />

Verständnis, Kenntnisse der Psychologie und Pädagogik),<br />

soziologische Grundkenntnisse, Beherrschen der Führungstätigkeiten<br />

(Planung, Organisation, Koordination,<br />

Leitung, Kontrolle), wirtschaftliches Denken, Fachwissen<br />

und Überblick.<br />

Steinhoffs neuer Grundriss schließt mit den Worten: „Das<br />

vorstehende Bild des Offiziers in der Luftwaffe führt zu<br />

einer neuen Zusammensetzung des Offizierkorps. Auf<br />

dieses Bild werden Auswahl des Offiziernachwuchses und<br />

Aus- sowie Weiterbildung des Offiziers in der Luftwaffe<br />

ausgerichtet.“<br />

III. Vorgeschichte<br />

Das von Steinhoff erlassene „Bild des Offiziers“ hat im<br />

Kern eine dreifache Vorgeschichte – eine luftwaffenspezifische,<br />

eine gesellschaftspolitische und eine diese beiden<br />

umfassende innermilitärische, die vor dem Hintergrund<br />

der Diskussionen um die Akzeptanz der Inneren Führung<br />

und des soldatischen Berufsverständnis zu verorten ist.<br />

Alle drei Aspekte sind wechselseitig miteinander verwoben.<br />

In ihrer Bündelung zum „Bild des Offiziers in der<br />

Luftwaffe“ durch Steinhoff eröffnet sich auch der Zugang<br />

zum Politik- und <strong>Gesellschaft</strong>s- sowie des Geschichts- und<br />

Berufsverständnis des vielfältig interessierten und engagierten<br />

Inspekteurs 9 .<br />

Die luftwaffenspezifische Dimension der Entstehungsgeschichte<br />

des „Bildes vom Offizier“ reflektiert insbesondere<br />

auf die neuen technischen Herausforderungen, die<br />

im Zuge der Starfighter-Krise und deren Bewältigung<br />

entstanden waren 10 . Die Analyse der Erscheinungsformen<br />

des modernen Krieges und die in den 1960er Jahren zunehmende<br />

gesamtgesellschaftliche Technologiegläubigkeit<br />

führte zu einem Anforderungsprofil des Offiziers der Luftwaffe<br />

als zukünftiger Führungskraft, welches einen erheblichen<br />

Schwerpunkt im Bereich potentieller Fähigkeiten /<br />

Fertigkeiten in Bezug auf moderne, komplexe Waffensysteme<br />

beinhaltete.<br />

Die Integration der neuen deutschen Luftwaffe in die<br />

unter der Führung der USA im NATO-Verbund organisierten<br />

Ausübung von Luftmacht und insbesondere seine<br />

Einblicke in Struktur und Ausbildung der U.S. Air Force,<br />

die Steinhoff spätestens seit seiner Zeit als Deutscher Militärischer<br />

Bevollmächtigter beim Militärausschuss der<br />

NATO in Washington vom September 1960 bis zum September<br />

1963 aus eigener Anschauung mitnahm, führten<br />

bei ihm dazu, deren „Vorbildlichkeit“ für die Luftwaffe zu<br />

adaptieren 11 . Dies sollte im Zuge einer allgemeinen „Modernisierung“<br />

12 , zusammen mit der „Amerikanisierung“<br />

der Luftwaffe, ein insbesondere kulturell induziertes<br />

9. Vgl. etwa seine sicherheitspolitisch-publizistischen Positionierungen wie Steinhoff, Johannes: Wohin treibt die NATO? Probleme der Verteidigung Westeuropas, Hamburg 1976.<br />

10. Vgl. Siano, Claas: Die Beschaffung des Waffensystems F-104G im Spannungsfeld von Militär, Politik und Wirtschaft. In: Birk / Möllers / Schmidt, Luftwaffe in der Moderne, S. 177-203 und Bernd Lemke, Eine Teilstreitkraft zwischen Technik,<br />

Organisation und demokratischer Öffentlichkeit. Waffensysteme der Luftwaffe. In: Die Bundeswehr 1955 bis 2005, Rückblenden – Einsichten – Perspektiven, im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. v. Frank Nägler,<br />

München 2007 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 7), S. 369-396.<br />

11. Dies machte er auch in einem SPIEGEL-Interview öffentlich: „Wir müssen es so machen wie die amerikanische Air Force Academy. Sie stellt jährlich nur 800 Anwärter für das Berufsoffizierkorps ein. Das sind genauso viele, wie man<br />

später Obersten braucht. Alle anderen Anwärter – jährlich 8000 – werden nur Zeitoffiziere, die nach 20 Jahren ausscheiden“ – und weiter: „Wir müssen unser Offizierkorps so gliedern, dass 50 Prozent aller Offiziere unter 35 Jahren liegen.<br />

Andernfalls haben wir keine Kampfkraft.“ Aber auch für die Auslese späterer Generale nahm er sich Anleihen von den US-Streitkräften: „Ein Offizier prädestiniert sich zum General etwa im Dienstgrad eines Oberstleutnants. Hier muss<br />

es eine Ausbildung geben, die höchste Anforderungen stellt, mit entsprechender Wertung hinterher (…) Ich glaube, dass uns eine solche zweite Durchgangsstation fehlt, etwa dem war college der USA entsprechend, wo zum letztenmal<br />

gesiebt wird“ (DER SPIEGEL Nr. 28/1970, S. 38-44, hier S. 41 und S. 44).<br />

12. Vgl. Rink, Martin: Die Luftwaffe in der Aufstellungsphase. Eine Verkörperung „Moderner Zeiten“? In: Birk / Möllers / Schmidt (Hrsg.), Luftwaffe in der Moderne, S. 125-139.


neues Selbstverständnis bewirken 13 , das sich auch in der<br />

Ausbildung auf allen Ebenen niederschlug 14 . Aber auch<br />

die Umstellung der NATO-Strategie im Jahre 1968 von<br />

der „Massive Retaliation“ zur „Flexible Response“ mit dem<br />

Erhöhen der nuklearen Schwelle steigerte den (konventionellen)<br />

Modernisierungs- und Professionalisierungsdruck<br />

auf die Deutsche Luftwaffe 15 .<br />

Viele der ein Jahr später im „Bild des Offiziers“ aufgenommenen<br />

Zielsetzungen wurden in einer Rede Steinhoffs<br />

anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Technischen<br />

Akademie der Luftwaffe am 11. Oktober 1968 in<br />

Neubiberg erstmals einem größeren Kreis erläutert. Dabei<br />

kritisierte der Inspekteur der Luftwaffe die im deutschen<br />

Militär nach wie vor vorherrschenden „Vorstellungen des<br />

Einheitsoffiziers und Truppenführers alter Art“. Aber gerade<br />

moderne „Waffen- und Gerätesysteme mit ihrem<br />

wachsenden Kostenaufwand für Beschaffung und Betrieb<br />

stellen ständig steigende Anforderungen an Intelligenz,<br />

Fachkenntnis und Verantwortungsbereitschaft.“ Demgegenüber<br />

ständen Konservatismen, „die viele Bestrebungen<br />

der Weiterentwicklung hemmen und belasten. Dieses<br />

Vorstellungsbild tendiert soziologisch zum Teil noch<br />

rückwärts zu Kategorien, die zum Ständestaat gehören.<br />

Es passt damit bei fortschreitender Entwicklung immer<br />

weniger zur soziologischen Struktur und zum technologischen<br />

Status der Luftwaffe.“<br />

Eine Studiengruppe, die er zuvor in die USA, Großbritannien,<br />

Frankreich und Italien entsandt hatte, hob resümierend<br />

hervor, „dass in jenen Ländern ein Offiziertyp<br />

bevorzugt wird, der dem technischen Charakter der Waffe<br />

viel mehr entspricht als in der deutschen Luftwaffe.“<br />

Folglich müsse es als „ein Charakteristikum neuzeitlicher<br />

Armeen“ erkannt werden, dass „das im früheren Sinne<br />

Spezifisch-Soldatische immer mehr zurücktritt, während<br />

die zivilen Entsprechungen in den militärischen Aufgaben<br />

immer deutlicher hervortreten.“ In anderen Worten – das<br />

alte Bild war überholt: „Ganz sicher aber entspricht das<br />

überkommene Leitbild des Offiziers nicht mehr einer <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

die sich bereits in der zweiten Industriellen Revolution,<br />

nämlich der Umwandlung zur Dienstleistungsgesellschaft,<br />

befindet“ 16 .<br />

Damit wird deutlich, wie sich in Steinhoffs Berufsverständnis<br />

auch gesellschaftspolitische Dimensionen spiegeln.<br />

Die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Umbruchsprozesse waren spätestens seit Mitte der<br />

1960er Jahre unverkennbar: Das „Wirtschaftswunder“<br />

erlahmte in der Nach-Adenauer-Ära, das Ansehen der<br />

USA schwand aufgrund des Vietnamkrieges sowie der<br />

„Rassenunruhen“ und über die Große Koalition (1966-<br />

69), die Auseinandersetzungen um die „Notstandsgesetzgebung“<br />

– verbunden mit den Studentenunruhen des<br />

Jahres 1968 – kam es 1969 zu einer SPD-geführten Regierung<br />

unter Bundeskanzler Willy Brandt, die sich unter<br />

dem Signet „Mehr Demokratie wagen“ einer modernen<br />

Reformpolitik auf allen Feldern verschrieb. Wechselseitig<br />

verflochten mit den politischen Veränderungen war<br />

die beginnende Verschiebung der Dominanz industrieller<br />

Produktion zur heraufziehenden Dienstleistungsgesellschaft.<br />

Aber auch bei der Bundeswehr machten sich die<br />

gesellschaftlichen Veränderungen bemerkbar: die Zahl der<br />

Freiwilligenmeldungen resp. Bewerberzahlen für die Offizier-<br />

und Unteroffizierlaufbahnen ging zurück 17 , jene der<br />

Kriegsdienstverweigerer begann zu steigen 18 und der Beruf<br />

des Offiziers wurde bei den Abiturienten nicht zuletzt aufgrund<br />

fehlender Möglichkeiten eines universitären Studiums<br />

als zunehmend unattraktiv eingestuft.<br />

Mit der Skizzierung der Anforderungsprofile für die von<br />

ihm vorgenommene Einteilung in fünf Offiziertypen<br />

wollte Steinhoff die Attraktivität des Offizierberufes auch<br />

insbesondere für technikaffine Abiturienten steigern. Der<br />

Inspekteur der Luftwaffe nahm damit auch jene Demoskopieergebnisse<br />

seit der Mitte der 1960er Jahre wahr, die<br />

zu einer Änderung in der Freiwilligenwerbung der Bundeswehr<br />

führten: „Die Bundeswehr muss als Ausbildungs-<br />

13. Vgl. hierzu den Beitrag von Wolfgang Schmidt: Briefing statt Befehlsausgabe. Die Amerikanisierung der Luftwaffe 1955 bis 1975. In: Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Konzeption, Aufbau, Integration, hrsg. von Dieter Krüger, Bernd Lemke,<br />

Heinz Rebhan und Wolfgang Schmidt, München 2006 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 2), S. 649-691.<br />

14. Vgl. hier auch Rothenburg, Armin Graf von: Das Leitbild des Luftwaffenoffiziers im Generalstabsdienst. In: Wehrkunde, Jg. XVIII, 1969, S. 641ff. sowie Krack, Bernhard: Die Amtszeit von General Steinhoff als Inspekteur der Luftwaffe unter<br />

besonderer Berücksichtigung luftwaffeneigener Reformvorhaben in der Ausbildung, in: Wehrausbildung 29 (1985), S. 385-391.<br />

15. Vgl. Krüger, Dieter: Der Strategiewandel der NATO in den 1960er Jahren: Ein westdeutsches Dilemma. In: Birk / Möllers / Schmidt (Hrsg.), Luftwaffe in der Moderne, S. 61-69.<br />

16. Für sämtliche Zitate vgl. Steinhoff, Johannes: Grundgedanken einer zeitgemäßen Struktur und Ausbildung des Offizierkorps der Luftwaffe. In: Information für die Truppe, Beilage, Heft 9, 1969. Es ist hier auch zu vermuten, dass er durch<br />

die „Studiengruppe“ jene Einsichten „neutral und aktualisiert“ bestätigen ließ, die er bereits 1965, als er in Paris den Posten des Chief of Staff Allied Air Forces Central Europe übernahm, durch vergleichende Einblicke in die Luftwaffen<br />

der Bündnispartner gewinnen konnte.<br />

17. Vgl. Loch, Thorsten: Das Gesicht der Bundeswehr. Kommunikationsstrategien in der Freiwilligenwerbung der Bundeswehr 1956-1989, München 2008 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 8), S. 185-189.<br />

18. Vgl. Bernhard, Patrick: Zivildienst zwischen Reform und Revolte. Eine bundesdeutsche Institution im gesellschaftlichen Wandel 1961-1982, München 2005 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 64).<br />

37


38<br />

STEINHOFF UND SEIN „BILD DES OFFIZIERS IN DER LUFTWAFFE“<br />

stätte und als Arbeitgeber für interessante und vielseitige<br />

Berufe dargestellt werden. Die Verwandtschaft zwischen<br />

Bundeswehr und Wirtschaft hinsichtlich der Aufgaben<br />

(Produktion von Sicherheit) sowie der Arbeitsmethoden<br />

(modernste Technik, Teamwork, ziviler Umgangston)<br />

sind zu betonen“ – so die Feststellung in einem Strategiepapier<br />

einer Werbeagentur für die „Nachwuchs-Werbung<br />

für die Bundeswehr 1968/69“ 19 . Insbesondere die Luftwaffe<br />

konnte dabei – sehr viel mehr als das Deutsche Heer<br />

– aufgrund ihres höheren Technisierungsgrades eine Vorreiterrolle<br />

als attraktiver Arbeitgeber einnehmen, der zivilberufliche<br />

Qualifizierung anbieten sollte, die auch nach<br />

Ableistung der Dienstzeit in der Wirtschaft nutzbar war<br />

und somit einen sozialen Aufstieg durch den freiwilligen<br />

Wehrdienst erreichbar machte.<br />

Steinhoff, der seine eigene Teilstreitkraft mit einem modernen<br />

Leistungsethos versehen wollte, zielte aktiv darauf,<br />

junge Schulabgänger zur Luftwaffe zu lotsen 20 . Er wolle<br />

„nicht zusehen, wie wir bankrott gehen, weil der Offiziernachwuchs<br />

ausbleibt“, war sich jedoch auch der Grenzen<br />

und Unwägbarkeiten bewusst: „Ob das ein Allheilmittel<br />

sein wird, weiß der liebe Himmel. Aber mit dem bisherigen<br />

Einheitsbild des Offiziers, mit dem wir keinen Hund<br />

hinter dem Ofen hervorholen, landen wir in der Katastrophe“<br />

21 .<br />

Die luftwaffenspezifische und gesellschaftspolitische Vorgeschichte<br />

des „Bildes des Offiziers“ finden ihre Ergänzung<br />

resp. Bündelung in einer innermilitärischen Dimension.<br />

Ihr liegt die Frage soldatischen Selbstverständnisses<br />

zugrunde: „sui generis“, i. e. überzeitlich auf der Basis<br />

eines genuin handwerklich-soldatisch begründeten Tugendkatalog<br />

ohne Anbindung an ein politisches System<br />

– oder bestimmt durch den „Primat der Politik“, in die-<br />

sem Fall festgelegt durch den Bezug auf den wertegebundenen<br />

Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung<br />

der Bundesrepublik Deutschland 22 ? Auch wenn<br />

die „Reformer“ um Wolf Graf von Baudissin sich mit<br />

ihren Vorstellungen über einen gesellschaftsintegrativen<br />

Ansatz der neuen Streitkräfte und einem an demokratischen<br />

Prinzipien orientierten Inneren Gefüge gegenüber<br />

den „Traditionalisten“ durchsetzen konnten 23 , so zeigten<br />

die „Nagold-Affäre“ 1963, die Schilderungen des damaligen<br />

Wehrbeauftragten Hellmuth Heye 1964 über massive<br />

Verstöße gegen die Prinzipien der Inneren Führung 24 , die<br />

Auseinandersetzung um den ersten Traditionserlass der<br />

Bundeswehr im Juli 1965 25 und die sogenannte „Generalsaffäre“<br />

im Zusammenhang mit dem Ö.T.V-Erlass des<br />

BMVg vom August 1966 symptomatisch den latenten<br />

Dissens zwischen Öffentlichkeit, Parlament und Militär 26 .<br />

Anknüpfend an die Reformideale der 1950er Jahre und<br />

auf der Grundlage einer Studie des Verteidigungsministeriums<br />

kam es 1967 zu einer neuen Ausrichtung in Hinblick<br />

auf die Bewertungskriterien für die Qualifikation<br />

des Offiziers 27 , quasi als Kontrapunkt zu restaurativen<br />

Bemühungen, ein traditionelles, vordemokratisches Bild<br />

des Soldaten und Offiziers mit „sui generis“ - Charakter<br />

zu etablieren 28 . Gerade dies führte bei der Generalität des<br />

Heeres zu großem Unbehagen, da damit die Kohäsion von<br />

Truppe und Offizierkorps als gefährdet betrachtet wurde.<br />

Spektakuläre Auftritte hoher militärischer Führer, wie z.<br />

B. die Rede des stellvertretenden Inspekteurs des Heeres,<br />

Generalmajor Hellmut Grashey, im März 1969 an der<br />

Führungsakademie der Bundeswehr, in der er die Innere<br />

Führung als „Maske“ bezeichnete 29 , aber auch wichtige<br />

militärhistorische Studien, die die Legende von der „sauberen<br />

Wehrmacht“ widerlegten und damit dem „klassischen“<br />

Traditionsverständnis den Boden entzogen 30 sowie<br />

19. Zit. nach Loch: Gesicht der Bundeswehr (wie Anm. 17), S. 211f.<br />

20. In diesem Zusammenhang ist auch ein größeres Interview im „SPIEGEL“ zu sehen: DER SPIEGEL, Nr. 28/1970 vom 06. 07. 1970, S. 38-44: „Was werde ich dort? Was wird mir geboten?“ SPIEGEL-Gespräch mit dem Inspekteur der<br />

Luftwaffe, Generalleutnant Johannes Steinhoff“.<br />

21. Beide Zitate in: DER SPIEGEL 12/1970 vom 16.03.1970, S. 34: „Offiziere. Fünf Klassen“.<br />

22. Vgl. hierzu zuletzt Birk, Eberhard: Vorbild oder nicht? Zum historisch-politischen Lehrwert der preußisch-deutschen Militärgeschichte. In: IF 1/2011, S. 17-25 und ders., Tradition reloaded. Die Gegenwart bestimmt die Tradition. In: IF<br />

4/2010, S. 30-37.<br />

23. Vgl. Nägler, Frank: Der gewollte Soldat und sein Wandel. Personelle Rüstung und Innere Führung in den Aufbaujahren der Bundeswehr 1956 bis 1964/65, München 2010 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik<br />

Deutschland, 9) sowie Schlaffer, Rudolf J./Schmidt, Wolfgang (Hrsg.), Wolf Graf von Baudissin 1907-1993. Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung, München 2007.<br />

24. Vgl. Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 144 (wie Anm. 4); Heyes Vorwurf gipfelte in der Aussage, dass „der Trend zum Staat im Staate unverkennbar sei“; vgl. zudem Rudolf J. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte 1951-1985. Aus Sorge<br />

um den Soldaten, München 2006 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 5).<br />

25. Vgl. Abenheim, Bundeswehr und Tradition, Anlage 1 (wie Anm. 4).<br />

26. Vgl. hierzu die Beiträge von John Zimmermann, Führungskrise in der Bundeswehr oder “Aufstand der Generale”? Die Rücktritte der Generale Trettner und Panitzki 1966 (S. 108-123) und Heiner Möllers, Auswege aus der “Starfighter-<br />

Krise”. General Steinhoffs Ringen um Befugnisse (S. 124-144), in: Eberhard Birk / Heiner Möllers / Wolfgang Schmidt (Hg.), Die Luftwaffe zwischen Politik und Technik, Berlin 2012 (= Schriften zur Geschichte der Luftwaffe, Band 2) sowie<br />

zu den Hintergründen der „Generalskrise“ 1966 auch Speich, Mark: Kai-Uwe von Hassel – Eine politische Biographie, Diss. Phil. Bonn 2001, besonders S. 337-361. Neuerdings auch Zimmermann, John: Ulrich de Maizière. General der<br />

Bonner Republik, München 2012, S. 308-326.<br />

27. BMVg – P II - Az 16-10-01 vom 01.06.67, Die Personallage der Offiziere in der Geschichte und in der Bundeswehr, Bonn 1967.<br />

28. Vgl. hierzu Karst, Heinz: Das Bild des Soldaten, Boppard 1964 und Studnitz, Hans-Georg: Rettet die Bundeswehr, Stuttgart 1967.<br />

29. Vgl. Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 177 (wie Anm. 4). Grashey machte u. a. die Innere Führung an sich verantwortlich für die Missstände in der Armee. Außerdem sei diese von den Gründervätern der Bundeswehr als Reform<br />

„verkauft worden, um die Unterstützung der SPD für die Wiederaufrüstung zu gewinnen“.<br />

30. Vgl. Müller, Klaus-Jürgen: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933-1940 (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte, 10), München 1968 und Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit<br />

der Indoktrination, Hamburg 1969.


Aktionen, wie die der „Leutnante 1970“ vom Dezember<br />

1969 als Reaktion auf die „Schnez-Studie“ 2. Halbjahr<br />

1969 31 waren Höhepunkte einer Auseinandersetzung 32 ,<br />

die im Vorfeld von Steinhoffs „Bild des Offiziers“ für das<br />

Gesamtverständnis zu beachten sind 33 .<br />

Es mag dabei vielleicht zu weit führen, neben den genannten<br />

Rahmenbedingungen der Genese des Steinhoff’schen<br />

„Bildes“ noch eine biographische Dimension zu vermuten.<br />

Indes: Der Inspekteur der Luftwaffe ergriff die Chance,<br />

mit einem eindeutigen, der Zukunft zugewandten<br />

„Bild des Offiziers in der Luftwaffe“ möglicherweise auch<br />

die eigene Karriere unter einer neuen Regierung zu fördern.<br />

Es ist durchaus im Bereich des Denkbaren, dass sich<br />

Steinhoff Hoffnungen darauf machen konnte, unter dem<br />

neuen Verteidigungsminister Helmut Schmidt vielleicht<br />

Generalinspekteur zu werden 34 . Zumindest seine Vorbemerkung<br />

war ambitiös: „Das ‚Bild der Offizier der Luftwaffe‘<br />

wird zu einer Neugestaltung des Offizierbildes in<br />

der Bundeswehr beitragen.“<br />

IV. Fazit<br />

Während das Deutsche Heer trotz seiner zunehmenden<br />

Technisierung weiterhin in weiten Teilen dem traditionalen<br />

Habitus eines Offizierbildes als „sui generis“-Berufsverständnis<br />

den Vorrang einräumte, fanden vor dem<br />

Hintergrund des Strategiewechsels der NATO, aber auch<br />

insgesamt aufgrund der politischen und gesellschaftlichen<br />

Veränderungen die neuen Anforderungsprofile ihren ersten,<br />

der Zukunft zugewandten offiziellen Niederschlag<br />

1969 im auf Weisung des damaligen Inspekteurs Luftwaffe,<br />

Generalleutnant Steinhoff, herausgegebenen „Bild des<br />

Offiziers in der Luftwaffe“.<br />

Analog zu einer sich ausdifferenzierenden, rasant zunehmenden<br />

Arbeitsteiligkeit einer bundesrepublikanischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> entwickelte Steinhoff seine Vorstellung vom<br />

Offizier, der diesen Entwicklungen entsprach. Seine Vorschläge<br />

betrachtete er als „alternativlos“ und zukunftsweisend:<br />

„Erstens gibt es keine anderen Wege als diesen, um<br />

das Offizierkorps wieder gesund und jung und effektiv zu<br />

machen. Zweitens sind alle fünf Gruppen nach der Seite<br />

durchlässig. Aber an einer Tatsache führt kein Weg vorbei,<br />

dass nämlich der, der führen will, sehr viel Voraussetzungen<br />

mitbringt und sich auf die Hosen setzen muss“ 35 .<br />

Neben der militärfachlichen Professionalisierung wird in<br />

Steinhoffs „Bild des Offiziers“ aber auch deutlich, dass es<br />

für einen Offizier nicht genügt, sich auf das Handwerkliche<br />

zu reduzieren. Große Teile seiner Darlegungen zu den<br />

„weichen Dimensionen“ des Offizierberufes – die Themenfelder<br />

Politische Bildung, gesellschaftliche Integration<br />

und Tradition – sind darüber hinaus im Kern sowohl<br />

in den „Traditionserlass“ von 1982, die „Weisung zur Intensivierung<br />

der historischen Bildung in der Bundeswehr“<br />

vom 2. März 1994 36 und das Leitbild „Team Luftwaffe“<br />

eingeflossen.<br />

Es gilt daher festzuhalten, dass seine eindeutigen Positionierungen,<br />

Zielsetzungen und Forderungen in weiten<br />

Teilen tatsächlich nichts anderes spiegeln als das, was<br />

noch heute die Laufbahngruppen der Offiziere der Luftwaffe<br />

prägt – nämlich: die auf technischem Verständnis<br />

basierende Beherrschung der „dritten Dimension“. Damit<br />

bleiben letztlich auch unter den sicherheitspolitischen<br />

Herausforderungen für den Soldatenberuf der Gegenwart<br />

viele der Axiome Steinhoffs geradezu überzeitlich gültig –<br />

und viele seiner Überlegungen lesen sich, als ob sie heute<br />

formuliert wären. Sie sind in der Summe letztlich nichts<br />

anderes als die Postulate des Leitbildes „Team Luftwaffe“<br />

aus dem Jahr 2002 – selbst wenn seine Autoren sich dessen<br />

vielleicht nicht mehr in Gänze bewusst waren. Tatsächlich<br />

hat Steinhoffs Bild des Offiziers nichts an Aktualität<br />

eingebüßt.<br />

31. Vgl. Heßler, Klaus: Militär - Gehorsam - Meinung, Berlin 1971, S. 50ff. und S. 92ff. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Albert Schnez, gab im Juni 1969 an sechs Brigadegenerale eine Studie in Auftrag, die eine Analyse<br />

der inneren Ordnung des Heeres und Vorschläge zur Problembehebung zum Gegenstand hatte und im Dezember 1969 trotz Einstufung als Verschlusssache in die Presse gelangte. Forderungen nach Verfassungsänderungen und<br />

Grundrechtseinschränkungen, einer positiven Darstellung von Tradition und Geschichte des deutschen Soldaten sowie einer Reform von Bundeswehr und <strong>Gesellschaft</strong> zur Stärkung der Kampfkraft des Heeres provozierten eine kritische<br />

Öffentlichkeit und riefen heftigen Widerstand hervor.<br />

32. Vgl. Birk, Eberhard: Militärische Tradition. Beiträge aus politikwissenschaftlicher und militärhistorischer Perspektive, Hamburg 2006 (= Studien zur Zeitgeschichte, 51), S. 95.<br />

33. Dass Steinhoff durchaus den Reformern um den Grafen Baudissin zugerechnet werden kann, deutet die Korrespondenz zwischen beiden an: BARch, N 717/123: Steinhoff an Baudissin vom 07.07.1967, in dem Steinhoff seine Vorstellungen<br />

zur Ausbildung der Offiziere noch einmal skizziert sowie BArch, N 717/135, Steinhoff an Baudissin vom 03. 05. 1968: „Ihre Sorge, dass man 1956 mit den Reformen aufgehört hat, teile ich sehr. Wenngleich sich … unsere Beurteilung<br />

vermutlich nicht vollkommen decken werden, so hängen mir gleich Ihnen die verlogenen Zapfenstreiche und Serenaden und das ganze patriarchalische Gehabe zum Hals ’raus. An keiner der Abschiedsorgien [für Baudissin] habe ich<br />

teilgenommen. Ihr [Baudissins] Tribut an die technische Welt, in der wir leben, ist meiner Meinung nach etwas zu schwach ausgefallen. Wir werden die Ausbildung und die Struktur der Bundeswehr den Erfordernissen dieser Welt anpassen<br />

müssen, wenn das alles nicht Lippenbekenntnis bleiben soll“.<br />

34. Vgl. hierzu etwa bereits die Kurzmeldung in Der SPIEGEL Nr. 2/1968 vom 08 .01. 1968, S. 12: „Nach neuestem Bonner ondit soll der Inspekteur der Luftwaffe, Drei-Sterne-General Johannes Steinhoff, Generalinspekteur Ulrich de<br />

Maizière ablösen, weil Steinhoff als energischer gilt und nur so ein seit langem schwelender Kompetenz-Streit zwischen den beiden Generalen beigelegt werden könne.“ Vgl. zudem Zimmermann, Ulrich de Maizière (wie Anm. 26), S. 335:<br />

De Maizière unterstellte Steinhoff einen entsprechenden „Ehrgeiz“, „nicht immer ganz faire Mittel“ und eine „intensive, auf seine Person abgestellte Pressearbeit“.<br />

35. Vgl. DER SPIEGEL, Nr. 28/1970 vom 06.07.1970, S. 38-44: Was werde ich dort? (wie Anm. 20), hier S. 44.<br />

36. Vgl. Birk, Eberhard: Perspektiven für eine zukunftsorientierte Tradition der Luftwaffe. In: Möllers (Hrsg.), Tradition und Traditionsverständnis in der Deutschen Luftwaffe (wie Anm. 6), S. 49-62, hier S. 55 sowie für die beiden Dokumente:<br />

„Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr, BMVg Fü S I 3 – Az 35-08-07 vom 20. September 1982 und „Weisung zur Intensivierung der historischen Bildung in den Streitkräften“, BMVg, GI, Fü S I<br />

7 – Az 35-20-01 vom 2. März 1994 (= Anlage 6 in ZDv 12/1: Politische Bildung in der Bundeswehr“).<br />

39


Als die „heiteren Spiele“ zu Ende gingen.<br />

Das Olympia-Attentat vom 5. / 6. September 1972<br />

Text: Dr. Peter Andreas Popp<br />

(Der Beitrag ist eine auszugsweise Wiedergabe eines Vortrages,<br />

der am 13. August 2012 vor den Angehörigen und<br />

Lehrgangsteilnehmern der OSLw als Vorbereitung auf den<br />

40. Jahrestag des Attentates und den missglückten Befreiungsversuch<br />

gehalten wurde. Hierbei wurden die Ausführungen<br />

zu den Rahmenbedingungen des Ost-West-Konfliktes, der<br />

Palästina-Problematik und der innenpolitischen Situation<br />

in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihres Umfangs<br />

nicht berücksichtigt.)<br />

Am 6. September 1972, um 2.40 Uhr, zog der Pressesprecher<br />

der 20. Olympischen Sommerspiele von München,<br />

Hans („Johnny“) Klein, vor der Weltöffentlichkeit die<br />

schreckliche Bilanz des Anschlags palästinensischer Terroristen<br />

auf die israelische Olympiamannschaft mit den<br />

Worten: „Wir Deutschen sind nicht nur eines der empfindlichsten<br />

Völker der Welt, sondern auch eines der verwundbarsten.<br />

Und es gibt keine verwundbare Stelle, an der man<br />

uns nicht getroffen hat.” Wenige Minuten zuvor war die<br />

Befürchtung zur Gewissheit geworden. Die Befreiungsaktion<br />

auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck war gänzlich<br />

missglückt und hatte in einem Desaster geendet.<br />

Der spätere Regierungssprecher Helmut Kohls hatte Recht<br />

und Unrecht zugleich. Sicher: Die israelischen Olympioniken<br />

waren wie alle Gäste in ein Land gekommen,<br />

das – erstens – an seiner Vergangenheit und Gegenwart<br />

schwer trug (Stichworte: NS-Vergangenheit, deutsche Teilung);<br />

das sich – zweitens – mit dieser seiner jüngsten Vergangenheit<br />

mittlerweile bewusst auseinandersetzte und<br />

das sich daher auch – drittens – mit den Olympischen<br />

Spielen von München der Weltöffentlichkeit als weltoffene<br />

und friedliche und im Ost-West-Verhältnis entspannungsbereite<br />

Nation präsentieren wollte. Bis zu jenem<br />

5. September, dem Tag des Attentats also, sollte es den<br />

West-Deutschen tatsächlich gelingen, sich als Gastgeber<br />

perfekt, offenherzig und unverkrampft zugleich zu zeigen.<br />

Bis dahin verliefen die Spiele von München buchstäblich<br />

als „die heiteren Spiele“.<br />

Ungleich härter als der Gastgeber war aber der fragile und<br />

zugleich äußerst wehrhafte Staat Israel getroffen worden.<br />

40<br />

Peter Andreas Popp<br />

Und das ausgerechnet in dem Land, auf dessen historisches<br />

Konto die systematische Ermordung von an die<br />

sechs Millionen Juden zwischen 1941 und 1945 gegangen<br />

war. Elf Angehörige der israelischen Olympiaequipe<br />

waren von palästinensischen Terroristen in den Morgenstunden<br />

des 5. September im Olympischen Dorf als Geiseln<br />

genommen worden. Sie alle sollten die Nacht zum 6.<br />

September nicht überleben […].<br />

Zur Sicherheitslage<br />

Vor den Spielen war die Führungsriege des westdeutschen<br />

Linksterrorismus, die Baader-Meinhof-Bande, verhaftet<br />

worden. Dieser Linksterrorismus verkörperte die extremistische<br />

Variante der Achtundsechziger-Bewegung. Er<br />

sollte trotz der Inhaftierung der ersten RAF-Generation<br />

die westdeutsche Innenpolitik in den kommenden Jahren<br />

noch vor ganz andere Herausforderungen stellen.<br />

Mit den in den Verfassungsschutzberichten seit 1969 / 70<br />

verzeichneten palästinensischen Anschlägen in West-<br />

Deutschland bzw. von dort ausgehenden und dann im<br />

Ausland durchgeführten palästinensischen Aktionen wurde<br />

kein Kausalnexus hergestellt. Gleichwohl gab es ernst<br />

zu nehmende Hinweise westlicher Nachrichtendienste<br />

hinsichtlich möglicher terroristischer Aktionen aus dem<br />

Nahen Osten – 17 an der Zahl. Die deutsche Botschaft


in Beirut hatte am 14. August 1972, also drei Wochen<br />

vor dem Attentat, an das Auswärtige Amt gemeldet, ein<br />

Vertrauensmann habe gehört, dass „von palästinensischer<br />

Seite während der Olympischen Spiele in München<br />

ein Zwischenfall inszeniert wird“. Anschläge arabischer<br />

Terroristen waren allerdings von westlichen Nachrichtendiensten<br />

erst für den Herbst, also die Zeit nach den<br />

Olympischen Spielen erwartet worden. Daher meinten<br />

die Ausrichter der Spiele aufatmen zu können.<br />

Die Polizeipräsenz im Olympischen Dorf war bewusst<br />

minimiert worden. Sicherheit brachten die „Olys“ zum<br />

Ausdruck: betont zivil gehaltene „Freunde und Helfer“<br />

ohne Uniform. Also keine Polizisten, sondern der Olympiaordnungsdienst<br />

mit rund 2.000 Männern und Frauen.<br />

Sie waren vorbereitet für ein Szenario, das sich eher<br />

an Störungen des Festzeltbetriebs auf dem Münchener<br />

Oktoberfest durch rauflustige Besucher orientierte. Dennoch:<br />

15.000 Mann der regulären Polizei standen überwiegend<br />

außerhalb des Olympiageländes in Reserve. Trotz<br />

beträchtlicher logistischer Unterstützung (materiell und<br />

mit fast 10.000 Soldaten auch personell!) trat die Bundeswehr<br />

nicht ostentativ in Erscheinung.<br />

An eine Eventualfallplanung hinsichtlich eines terroristischen<br />

Anschlags war überhaupt nicht in militärischer<br />

Hinsicht, ja allenfalls „freischwebend“ in polizeilicher<br />

Hinsicht gedacht worden. Dies war der Verfassungslage<br />

geschuldet: Für Sicherheit sorgte primär die Münchner<br />

Stadtpolizei, sodann die Polizeikräfte des Freistaates<br />

Bayern und dann erst – im äußersten Eventualfall – der<br />

Bundesgrenzschutz. Letzterer hätte nur auf Anforderung<br />

des Freistaates Bayern sofort tätig werden können. Weder<br />

die Polizeikräfte der Stadt München noch die Polizeikräfte<br />

des Freistaates verfügten damals übrigens über Sondereinheiten<br />

zur Geiselbefreiung. Gelebter Föderalismus prägte<br />

demnach die Sicherheitsbemühungen.<br />

Oder stand die Einbeziehung eines terroristischen Anschlages<br />

nicht doch auf der Liste der Eventualfallplanungen?<br />

Jüngst erschienene Rechercheergebnisse des<br />

Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ gehen in diese<br />

Richtung. Die Thesen des einschlägigen Artikels vom<br />

23. Juli 2012 lauten wie folgt:<br />

1. Es gab sehr konkrete Warnungen vor und Hinweise auf<br />

einen terroristischen Anschlag bereits im Vorfeld der<br />

Spiele.<br />

2. Das Terrorkommando war alles andere als eine hochprofessionelle<br />

„Truppe“. Es bestand vielmehr aus schlecht<br />

vorbereiteten, überforderten Amateuren.<br />

3. Schon Monate vor der Geiselnahme unterliefen deutschen<br />

Behörden so gravierende Fehler, dass von einer<br />

Unausweichlichkeit der Katastrophe nicht mehr gesprochen<br />

werden kann.<br />

4. Nach dem Attentat wurde seitens der Verantwortlichen<br />

unverfroren und im großen Stil vertuscht.<br />

Auch wenn nicht alle Thesen im Einzelnen näher untersucht<br />

werden können, verlangen sie nach Reflexion. Denn<br />

letztlich steht hier implizit die Frage im Raum: Naivität,<br />

Dummheit oder „Gutmenschentum“ im grob fahrlässigen<br />

Sinne?<br />

Hierzu ein paar Fakten: Zum Mitarbeiterstab des Münchner<br />

Polizeipräsidenten Manfred Schreibers gehörte Georg<br />

Sieber, Leiter der „Studiengruppe für Politologie, Psychologie<br />

und Kommunikationsforschung“. Er schulte damals<br />

den Olympiaordnungsdienst mit 26 möglichen Konfliktszenarien.<br />

Konfliktszenario Nr. 21 ging von einem Angriff palästinensischer<br />

Terroristen auf das Olympische Dorf aus,<br />

genau so wie er sich dann tatsächlich ereignen sollte.<br />

Zum Szenario gehörte die Annahme, dass die Terroristen<br />

unter keinen Umständen aufgeben würden. Sieber<br />

orientierte sich dabei an Erkenntnissen des bayerischen<br />

Landeskriminalamtes. Dieses hatte am 1. März 1972<br />

gewarnt: „Während der Olympischen Spiele bietet sich für<br />

politisch extreme Gruppen eine einmalige Gelegenheit, die<br />

Weltöffentlichkeit auf ihre Forderungen, Ziele und Ideen<br />

aufmerksam zu machen. Es sind deshalb auch terroristische<br />

Aktionen zu befürchten.“ Diese Beurteilung deckte<br />

sich mit Befürchtungen aus dem Bundesinnenministeriums<br />

zwei Jahre zuvor, wo von „Störaktionen bis hin zu<br />

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42<br />

ALS DIE „HEITEREN SPIELE“ ZU ENDE GINGEN. DAS OLyMPIA-ATTENTAT VOM 5. / 6. SEPTEMBER 1972.<br />

terroristischen Gewaltaktionen am Austragungsort“ die<br />

Rede war.<br />

Sieber hielt seinen Lage-Vortrag mit den diversen Szenarien<br />

im Februar 1972. Eingehend auf das Szenario Nr. 21,<br />

wurde er nach wenigen Minuten vom Münchner Polizeipräsidenten<br />

Schreiber mit den Worten unterbrochen:<br />

„Herr Kamerad, das steht jetzt hier nicht auf der Agenda.<br />

Das brauchen wir nicht.“<br />

Die Frage nach dem „Warum und weshalb dem so sei“,<br />

ließ Schreiber offen. Stimmig mit seinem Statement war<br />

die Antwort, die der Präsident des NOK der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Willi Daume, dann während einer<br />

Besprechung zur Sicherheitslage ein paar Wochen später,<br />

im Mai 1972, gab. Der Sicherheitschef des Olympischen<br />

Dorfes, Ernst-Thomas Strecker (übrigens Offizier der<br />

Bundeswehr!), wies auf die defizitäre Absicherung des<br />

Olympischen Dorfes hin: eher laxe Zugangskontrollen,<br />

ein nur zwei Meter hoher Zaun zum Olympiadorf und<br />

keine Wachen in den Unterkunftsbereichen und somit<br />

auch nicht im israelischen Quartier. Brüsk wurde Strecker<br />

durch Daume zurechtgewiesen: „Herr Strecker, wir sind<br />

hier nicht im KZ.“<br />

Der Tag der Geiselnahme: 05.09.1972<br />

Am Morgen des 5. September stiegen acht Terroristen<br />

der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“<br />

– der Name erinnerte an die Vertreibung der Palästinenser<br />

aus Jordanien im Vorjahr – gegen 4.10 Uhr<br />

über den unbewachten Zaun zum Olympischen Dorf und<br />

drangen ins ebenerdig gelegene Quartier der israelischen<br />

Mannschaft, Connolly-Straße 31, ein. Zunächst irrten sie<br />

sich in der Tür: sie verwechselten die Olympiateilnehmer<br />

aus Hongkong mit denen aus Israel.<br />

Der Irrtum währte nur kurz: Sie nahmen unter Anwendung<br />

brutaler Gewalt elf Olympioniken als Geiseln. Moshe<br />

Weinberg, der Ringertrainer der israelischen Olympiamannschaft,<br />

seit kurzem Vater, wurde angeschossen. Die<br />

Terroristen zwangen Weinberg, ihnen die anderen Quartiere<br />

der Israelis in den angrenzenden Wohneinheiten zu<br />

zeigen. Weinberg versuchte zu fliehen und wurde um 4.52<br />

Uhr erschossen. Kurz darauf starb ein weiterer israelischer<br />

Sportler, der angeschossene und schwer verletzte Gewichtheber<br />

Josef Romano. Er verblutete vor den Augen seiner<br />

Kameraden, die von den Terroristen mittlerweile in Weinbergs<br />

Apartment verbracht worden waren.<br />

Was nun folgte, war gemein, absurd, bitter-real und beschämend<br />

zugleich. Kein Zweifel: der Olympische Friede<br />

war ganz brutal gebrochen und das Gastrecht der die<br />

Olympischen Spiele austragenden Nation war auf das<br />

Schändlichste missbraucht worden. Doch die Wettkämpfe<br />

am 5. September gingen ununterbrochen weiter bis 15.38<br />

Uhr. Ob die Spiele danach gänzlich hätten abgebrochen<br />

werden müssen, ist bis heute umstritten.<br />

Bei der Trauerfeier im Olympiastadion tags darauf sollte<br />

ursprünglich nur der zwei ermordeten Sportler gedacht<br />

werden. Es wurden dann weit mehr zu Betrauernde. Trotzig<br />

wurde hier seitens des Internationalen Olympischen<br />

Komitees durch den IOC-Präsidenten Avery Brundage<br />

dem Terrorismus die Parole „The Games must go on!“ entgegengehalten.<br />

Dies war nicht die Haltung der Bundesregierung!<br />

Das hilflose Verhalten der Polizeikräfte in den dramatischen<br />

Stunden – bisher hatten sie es in München nur<br />

mit Bankräubern zu tun gehabt! – wurde öffentlich vor<br />

Ort durch zahlreiche Gaffer und überdies „live“ auf den<br />

Kanälen der Welt wahrgenommen. Die Terroristen wussten<br />

über das Geschehen via TV also nur zu gut Bescheid.<br />

Doch das ganze war kein „Reality-TV“. Es war Wirklichkeit,<br />

auf welche die gastgebende Nation mental überhaupt<br />

nicht vorbereitet war. Es wurde also improvisiert – und:<br />

wie hätte es denn auch anders sein sollen…<br />

Ausdrücklich sei festgehalten, dass am späten Vormittag<br />

(11.09 Uhr) im Auftrag des Vizepräsidenten der Münchener<br />

Polizei, Georg Wolf, mehrere Polizisten die wichtigsten<br />

Fernsehsender ersucht hatten, keine Live-Aufnahmen<br />

vom olympischen Dorf zu zeigen. Hier stellt sich die Frage,<br />

ob dies „ebenengerecht“ geschah…


Mittlerweile waren schon so viele Kamerateams rund um<br />

die Connolly-Straße 31 im Einsatz, sodass eine Nachrichtensperre<br />

nicht mehr durchgesetzt werden konnte – ein<br />

Vorgeschmack auf das Privatfernsehen in Deutschland ab<br />

1981. Der US-Sender ABC – neben CBS und NBC einer<br />

der damals drei großen amerikanischen „Networks“<br />

– richtete ein Superteleobjektiv vom 291 Meter hohen<br />

Olympiaturm auf das Dach des besetzten Hauses. Der<br />

ABC-Reporter John Wilcox schickte aus den Zimmern<br />

des burmesischen Fußballteams fast genau gegenüber der<br />

Connolly-Straße 31 Bilder an seinen Sender. Sein britischer<br />

Kollege Gerald Seymour drehte für den Nachrichtensender<br />

ITV („Independent Television“) von einem<br />

etwas weiter entfernt stehenden Haus. Aus naheliegenden<br />

Gründen hielt sich auch das israelische Fernsehen<br />

(öffentlich-rechtlich mit starker staatlicher Tendenz) nicht<br />

abseits. Dessen Reporter Dan Shilon richtete seine Kamera<br />

auf das besetzte Haus. Es waren also keine Deutschen,<br />

die voyeurhaft i.S. einer „live coveridge“ agierten!<br />

Die israelische Regierung weigerte sich, den Forderungen<br />

der Geiselnehmer nachzugeben und rund 230 palästinensische<br />

Insassen israelischer Gefängnisse freizulassen. Das<br />

Begehren der Terroristen war „internationalistisch“ ergänzt<br />

um die Forderung nach Freilassung von prominenten Angehörigen<br />

der „Rote Armee Fraktion“ (Baader-Meinhof-<br />

Bande) und japanischer Genossen. Die Bundesregierung<br />

wäre darauf eingegangen und hätte auch viel Geld gezahlt,<br />

um die abermalige Ermordung von Juden, in diesem Falle<br />

Israelis, auf deutschem Boden zu verhindern.<br />

Die Bundesregierung ließ sich hingegen nicht darauf ein,<br />

israelische Kräfte auf deutschem Boden anstelle deutscher<br />

Polizeikräfte eine Geiselbefreiung wagen zu lassen. Hier<br />

ging es um die Frage der Souveränität, nicht minder wohl<br />

um mangelndes Vertrauen in die Verhältnismäßigkeit der<br />

dann israelischerseits angewandten Mittel incl. der daraus<br />

resultierenden diplomatischen Folgen gegenüber befreundeten<br />

Staaten sowie der Islamischen Welt – von den Neutralen<br />

und dem Ostblock gar nicht zu reden!<br />

Ging es auch um noch etwas anderes? Der Nichteinsatz<br />

israelischer Kräfte auf deutschem Boden entsprach nämlich<br />

auch der Linie des israelischen Verteidigungsministers<br />

Moshe Dajan, der sich – als Kriegsheld des Sechs-Tage-<br />

Krieges von 1967 – im Kabinett an jenem 5. September<br />

1972 durchsetzte. Die Regierung des Staates Israel überließ<br />

die Lösung der Geiselnahme der deutschen Seite –<br />

auch im Vertrauen auf die diesmal im positiven Sinne zu<br />

erfahrende deutsche Tüchtigkeit und Effizienz. Kalkül<br />

und Trugschluss zugleich – wie sich herausstellte…<br />

Die filmische Rezeption des damaligen Geschehens – zu<br />

denken wäre hier an Steven Spielbergs Film „München“<br />

– legt übrigens nahe, dass die israelische Seite mit dieser<br />

Haltung ihre gefangengenommenen Bürger bewusst instrumentalisierte,<br />

um ein Exempel zu statuieren. Tatsache<br />

ist, dass die israelische Antiterror-Einheit Sajeret Matkal<br />

um 17.00 Uhr MEZ in Alarmbereitschaft versetzt wurde.<br />

Einen Befehl, den Flug nach München vorzubereiten, gab<br />

es nach heutigem Sachstand nicht. Zur Information: Der<br />

Flug von Tel Aviv nach München / Fürstenfeldbruck dauert<br />

dreieinhalb Stunden…<br />

Die Federführung des Polizeieinsatzes lag beim Münchner<br />

Polizeipräsidenten Manfred Schreiber und beim bayerischen<br />

Innenminister Bruno Merk (CSU). Beide waren<br />

überfordert, auch weil sie im jeweiligen Amt erstmalig<br />

mit solch einer Gewaltkonzentration konfrontiert worden<br />

waren. Ein Münchner Spezifikum kam hinzu: Bei den<br />

„Schwabinger Krawallen“ vom Juni 1962 und beim Rammelmayr-/Todorov-Bankraub<br />

im August 1971 waren die<br />

Polizeikräfte der Landeshauptstadt wegen ihres massiven<br />

Vorgehens in die Kritik geraten. Die aufmüpfigen 1968er<br />

„Radikalinskis“ hatten übrigens ob der Polizeieinsätze in<br />

der bayerischen Landeshauptstadt „weniger zu lachen“ als<br />

andernorts in der Republik.<br />

Anfang der 1970er-Jahre war gleichwohl das gesellschaftspolitische<br />

Klima der Bundesrepublik weithin grundsätzlich<br />

permissiv orientiert. Können damit Toleranz und<br />

Liberalität nicht zur Gleichgültigkeit gerinnen? Eine der<br />

Folgen liegt auf der Hand: Verunsicherung bei den Entscheidungsträgern,<br />

die zu Handlungsblockaden führt, wo<br />

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ALS DIE „HEITEREN SPIELE“ ZU ENDE GINGEN. DAS OLyMPIA-ATTENTAT VOM 5. / 6. SEPTEMBER 1972.<br />

Handeln dringend geboten wäre, um Autorität nicht dahin<br />

innen zu lassen.<br />

Ob sich eine konservativ geprägte Bundesregierung 1972<br />

leichter getan hätte, sei dahingestellt. Der Polizeieinsatz<br />

oblag nicht der sozialliberalen Koalitionsregierung Brandt<br />

(SPD) / Scheel (FDP), sondern war angesiedelt auf der<br />

Ebene von Freistaat Bayern und dessen Hauptstadt München<br />

– „schwarz-rot“ also… und über eine Spezialeinheit<br />

zur Anti-Terrorbekämpfung nach Art der „GSG-9“ verfügte<br />

man 1972 in Deutschland noch nicht. Bis heute<br />

bleibt es jedenfalls im Nebulösen, wie es um den Einsatz<br />

militärisch geschulten und auch vorhandenen Personals<br />

mit Kombattantenstatus anstatt der nicht vorhandenen<br />

paramilitärisch in der Anti-Terrorbekämpfung ausgebildeten<br />

Polizei-/Bundesgrenzschutzkräfte tatsächlich hätte<br />

bestellt sein können.<br />

Die Frage steht im Raum seit der jüngsten ZDF-Dokumentation<br />

über das Olympia-Attentat vom Frühjahr<br />

2012. Hier behauptete der ehemalige BND-Mitarbeiter<br />

Norbert Juretzko, dass „stay behind“-Kräfte damals „Gewehr<br />

bei Fuß“ gestanden hätten. Damit tun sich zwei Varianten<br />

auf, die das damalige Geschehen möglicherweise<br />

einem anderen Ende zugeführt hätten.<br />

Variante 1: Einsatz der Bundeswehr<br />

Die Bundeswehr verfügte und verfügt über sehr gut ausgebildete<br />

Schützen. Hätte der Freistaat Bayern seinerzeit<br />

einen Entscheidungsträger vom Format eines Helmut<br />

Schmidt – bei der Flutkatastrophe von 1962 verantwortlicher<br />

Innensenator der Freien und Hansestadt Hamburg –<br />

aufweisen können, dann wäre mit Sicherheit wohl anders<br />

gehandelt worden. Die Bundesregierung, die laut Verfassung<br />

die Außenbeziehungen wahrzunehmen hat (also<br />

auch die zu Israel), ergriff in dieser Hinsicht „gesetzestreu“<br />

keine Initiative! Besonders befähigte Schützen der Bundeswehr<br />

hätten in Einklang mit der Verfassung eingesetzt<br />

werden können, wenn der Freistaat Bayern dem gemäß<br />

Art 87a GG zugestimmt hätte (Stichwort: „Einsatz der<br />

Bundeswehr im Inneren“).<br />

Variante 2: Kräfte gemäß der „Operation Gladio“<br />

Die Bundesrepublik Deutschland, konkret der Bundesnachrichtendienst,<br />

verfügte über sogenannte Stay-Behind-Kräfte,<br />

die sich im Falle eines sowjetischen Angriffes<br />

hätten überrollen lassen und mit ihrem Wissen und<br />

Können dem Angreifer erhebliche Probleme hätten bereiten<br />

sollen. Hätten sie für einen glücklichen Ausgang der<br />

Geiselnahme sorgen können? Primär waren sie dazu bestimmt,<br />

geheim im Falle einer bewaffneten Aggression der<br />

Warschauer Pakt-Staaten zu agieren – und dies nicht nur<br />

in Deutschland. Kollidierte also Staatsräson – die Existenz<br />

dieser Kräfte wäre ja mit dem Einsatz „aufgeflogen“ – mit<br />

dem Gebot der Humanität?<br />

Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo es genau abzugrenzen<br />

gilt die Fragen:<br />

• „Was wissen wir tatsächlich?“<br />

• „Was ist denkmöglich?“ und<br />

• „Was ist wahrscheinlich?“<br />

Demnach an dieser Stelle aus Gründen der Redlichkeit<br />

keine Spekulation! Gerade auch im Hinblick auf die eben<br />

angesprochene SPIEGEL-Berichterstattung ist zu bedenken:<br />

• Die hier angesprochenen Quellen sind ihrerseits kritisch<br />

gegenzulesen.<br />

• Mehr noch: das alles sind deutsche Akten verschiedenster<br />

Herkunft. Doch die Historiker interessieren zur Aufklärung<br />

dieses Sachverhalts nicht allein die westdeutschen<br />

Akten, sondern auch die israelischen und nicht zuletzt<br />

Archivalien aus dem sowjetischen Machtbereich. Es ist<br />

davon auszugehen, dass Historiker an beide Aktengruppen<br />

nicht so schnell herankommen werden…<br />

Der weitere Verlauf<br />

Aufrichtig boten sich Bundesinnenminister Hans-Dietrich<br />

Genscher sowie Bruno Merk und Manfred Schreiber<br />

als Ersatzgeiseln an. Zu ihnen hatten sich Willi Daume<br />

(Präsident des Nationalen Olympischen Komitees) und<br />

Walter Tröger, Leiter des Olympischen Dorfes, gesellt.<br />

Die Terroristen lehnten ab. Ganz brutal formuliert und<br />

ausdrücklich nicht im rassischen Sinne zu verstehen:


Wenn sie Blut vergießen wollten, dann sollte es das von<br />

Juden sein.<br />

Immerhin gelang es dem Krisenstab, Zeit zu schinden.<br />

Das von Terroristen gestellte Ultimatum, datiert auf 15.00<br />

Uhr, verstrich. Mehrfach wurden seitens der Polizeiführung<br />

Anläufe unternommen, die Geiseln zu befreien –<br />

Deckwort: „Die Sonne bricht durch“. Die Erstürmung eines<br />

Gebäudes wie das der Connolly-Straße 31, an welches<br />

übrigens die gepanzerten Fahrzeuge der Polizei aufgrund<br />

der Architektur der Anlage nicht heranfahren konnten,<br />

hatten sie niemals geübt. Erst um 16.32 Uhr wurden die<br />

Schaulustigen westlich der Connolly-Straße von Kräften<br />

der Bereitschaftspolizei zurückgedrängt. Ab 17.45 Uhr<br />

wurde ein Zugriff der unter hohem psychischem Druck<br />

stehenden Scharfschützen der Polizei im Olympiadorf<br />

selbst zunehmend unwahrscheinlich. Denn am späten<br />

Nachmittag resp. frühen Abend des 5. September waren<br />

die Geiselnehmer zur Ausreise nach Ägypten entschlossen<br />

– allerdings nur zusammen mit ihren Geiseln.<br />

Dies entsprach nicht der Position des IOC und auch nicht<br />

jener der Bundesregierung. Wenn es zum Zugriff kam,<br />

dann – nachdem die Variante „Befreiung in der Tiefgarage<br />

des Gebäudekomplexes“ kurzerhand verworfen wurde –<br />

nur in Fürstenfeldbruck. Auf dem dortigen Militärflugplatz<br />

gab es übrigens keine Flutlichtanlage für das Vorfeld.<br />

Daher mussten beim Technischen Hilfswerk drei Beleuchtungswagen<br />

angefordert werden. Dies geschah um 18:05<br />

Uhr. Jetzt setzte langsam die Dämmerung ein…<br />

Um 22.06 Uhr bestiegen die Terroristen schließlich zusammen<br />

mit ihren Gefangenen den Bus im Keller von<br />

Haus 31. Das Fahrzeug fuhr durch das Kellergeschoss und<br />

hielt kurz nach der Ausfahrt in der Nähe der Helikopter<br />

vom Typ Bell UH-1 D. Mark Slavin, André Spitzer, Amitzur<br />

Shapira, Kehat Shorr und David Mark Berger wurden<br />

zum Hubschrauber D-HAQO gebracht. Josef Gutfreund,<br />

Jakov Springer, Ze’ev Friedman und Eliezer Halfin bestiegen<br />

den Helikopter D-HAQU. Nach ihnen stiegen die<br />

Attentäter ein.<br />

Um 22.22 Uhr hoben die beiden Helikopter gen Fürstenfeldbruck<br />

ab. Kurz darauf verließ ein dritter Hubschrauber<br />

mit den Mitgliedern des Krisenstabes sowie<br />

dem israelischen Geheimdienstchef, General Zvi Zamir,<br />

das Olympiagelände am Oberwiesenfeld. Begleitet wurde<br />

er von Victor Cohen, dem führenden israelischen Anti-<br />

Terror-Experten. Beide befanden sich seit 15.20 Uhr auf<br />

deutschem Boden. Ob sie bei ihren Besprechungen im<br />

Krisenstab in den letzten Stunden tatsächlich angeboten<br />

hatten, die israelische Spezialeinheit „Sajeret Matkal“ einzusetzen,<br />

ist bis heute unklar. General Zamir betonte in<br />

mehrfachen Interviews nach 1972, dass beide lediglich<br />

Beobachterstatus gehabt hätten…<br />

Die missglückte Befreiung: 05. / 06.09.1972<br />

Das Ziel der Geiselnehmer und ihrer Geiseln war „irgendwie“<br />

Ägypten. Dessen Präsident Anwar al-Sadat gab<br />

jedoch kein eindeutiges Signal zum gebilligten Abflug in<br />

diese Richtung. Immer das Einverständnis der ägyptischen<br />

Regierung stillschweigend vorausgesetzt: der Abflug der<br />

Lufthansa Boeing vom Typ „Europajet 727“ sollte vom<br />

Militärflugplatz Fürstenfeldbruck erfolgen. Ursprünglich<br />

hieß es München-Riem, was bei den Polizeikräften einige<br />

Verwirrung stiftete. Immerhin war der Militärflugplatz<br />

Fürstenfeldbruck weitläufig genug und überdies natürlich<br />

militärisch abgeschirmt. Doch der Transfer der deutschen<br />

Sicherheitskräfte dorthin in den Abendstunden des 5.<br />

September gestaltete sich als „Slalomschaulauf“ durch das<br />

Verkehrsgewühl – bedingt durch sensationslüsterne Mitmenschen.<br />

Auf dem Flugfeld stand die unzureichend betankte, also<br />

letztlich nicht flugfähige Lufthansamaschine bereit. Improvisiert<br />

postierte und infolge mangelnden mentalen<br />

Trainings mit Skrupeln behaftete Scharfschützen der Polizei,<br />

zudem zum Teil seit Stunden wegen des Einsatzes in<br />

München unter Stress stehend, sollten die Geiselnehmer<br />

„ausschalten“.<br />

Die bayerischen Polizeikräfte waren ausgerüstet mit Waffen<br />

ohne garantierte finale Rettungsschussfähigkeit. Sie<br />

besaßen auch keine schusssicheren Westen. Für die Polizei-<br />

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ALS DIE „HEITEREN SPIELE“ ZU ENDE GINGEN. DAS OLyMPIA-ATTENTAT VOM 5. / 6. SEPTEMBER 1972.<br />

beamten bedeutete dies ein „Himmelfahrtskommando“.<br />

Die Geiselbefreiung im Flugzeug wurde deshalb „kurz vor<br />

knapp“ abgeblasen. Es steht die Version im Raum, die Polizeikräfte<br />

hätten den Befehl verweigert.<br />

Es blieben somit zur Befreiung nur noch die außerhalb<br />

der Boeing 727 postierten fünf Scharfschützen. Auch sie<br />

waren mangelhaft ausgerüstet und ganz im Sinne von<br />

„friendly fire“ positioniert. Wohlgemerkt: es waren nur<br />

fünf Scharfschützen; auf Grund einer Informationspanne<br />

war die Zahl von acht Terroristen bis Fürstenfeldbruck<br />

nicht durchgedrungen. Die Relation Scharfschütze: Terrorist<br />

muss mindestens 3:1 betragen – so das spätere Urteil<br />

von BGS Brigadegeneral Ulrich Wegener. Die Scharfschützen<br />

eröffneten dann das Feuer gegen 22.30 Uhr. Es<br />

folgten zwei Stunden blutiges Chaos.<br />

Kurz nach 23 Uhr machte die Meldung die Runde, die<br />

Geiselbefreiung sei erfolgreich verlaufen. Die Nachrichtenagentur<br />

Reuters verbreitete um 23.31 Uhr die Eilmeldung:<br />

„Alle israelischen Geiseln wurden befreit.“<br />

Die Wirklichkeit sah anders aus: Der letzte Schuss fiel am<br />

6. September um 0.32 Uhr. Die gepanzerten Fahrzeuge<br />

der Polizei hatten den Militärflugplatz Fürstenfeldbruck<br />

kurz vor Mitternacht (23.55 Uhr) erreicht, der erste fuhr<br />

um 0.06 Uhr auf das Vorfeld. Grund der Verspätung:<br />

Presseleute, Schaulustige und viele Taxis entlang der A 8<br />

und der B 471. Auf der allerletzten Etappe blieb nur noch<br />

der Marsch „quer durch das Gelände“ und die Zugangsvariante<br />

„Gernlindener Tor“…<br />

Die Bilanz des Befreiungsversuches war grauenvoll: Alle<br />

Geiseln fanden den Tod. Zum einen dadurch, dass es einem<br />

der Terroristen gelang, eine Handgranate im Hubschrauber<br />

zu zünden; zum anderen durch die Kugeln der<br />

Attentäter und – nicht so einfach nachweisbar – möglicherweise<br />

auch durch die der Polizei. Die bei den Opfern<br />

festgestellten Schmauchspuren deuten auf nah abgefeuerte<br />

Kugeln, also solchen aus den Waffen der Terroristen.<br />

Der an der Schießerei unbeteiligte bayerische Polizeiober-<br />

meister Anton Fliegerbauer wurde durch eine Kugel der<br />

Attentäter tödlich getroffen. Schwer verletzt überlebte<br />

BGS-Hauptmann Gunnar Ebel, einer der beiden Hubschrauberpiloten.<br />

Die Bilanz auf Seiten der Täter sah dagegen<br />

„besser“ aus: Von acht Terroristen überlebten immerhin<br />

drei. Sie sollten nur drei Wochen später (29.09.)<br />

mittels Geiselnahme einer auf dem Flug von Beirut nach<br />

Ankara befindlichen Lufthansamaschine erstaunlich<br />

schnell und „unkompliziert“ freigepresst werden und sich<br />

hernach in der arabischen Welt heldenhafter Verehrung<br />

gewiss sein.<br />

Man beachte meine Bewertung. Ich komme zu der Wertung<br />

„unkompliziert“ deshalb, weil die Geiselnehmer ja<br />

das Gastrecht der Bundesrepublik Deutschland schnöde<br />

missbraucht hatten. Und Gastrecht stellt ein hohes Gut<br />

dar in der islamischen Welt. Der Eindruck, dass die Bundesrepublik<br />

Deutschland nicht unzufrieden war, diese drei<br />

Terroristen so schnell wie möglich loszuwerden, täuscht<br />

nicht. Doch setzte sie damals das richtige Signal? Pragmatismus<br />

erscheint in den Augen mancher mit anderem<br />

Zeitverständnis ausgestatteten Mitmenschen auch als<br />

würdelos…<br />

Die Särge mit den getöteten israelischen Sportlern und<br />

der gesamten israelischen Olympiamannschaft verließen<br />

München-Riem in den Morgenstunden des 7. September<br />

mit einer Maschine der El-Al – mit an Bord: der Münchner<br />

Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel (SPD). Nicht<br />

allein die israelischen Sportler, sondern die israelische Öffentlichkeit<br />

als ganzes war mit dem Olympia-Attentat tief<br />

verletzt worden, und dies ausgerechnet in Deutschland.<br />

Erst jetzt wird übrigens – das zeigen die jüngsten Fernsehdokumentationen<br />

– so richtig bewusst, wie alleingelassen<br />

die überlebenden traumatisierten israelischen Sportler am<br />

5./6. September und auch noch danach waren. Damals<br />

gab es dieses Gespür nur unzureichend. Bis heute jedenfalls<br />

verschließt sich das IOC einer wirklichen Erinnerungsarbeit.<br />

Zu tun hat das mit den Mehrheitsverhältnissen<br />

in diesem exklusiven Zirkel. Die arabische Lobby war<br />

schon 1972 stark. Sie wurde seitdem immer stärker!


Die Folgen – insbesondere für politische Ethik und<br />

Verhaltenslehre<br />

Die Ahndung der schändlichen Tat übernahm fortan der<br />

israelischen Geheimdienst Mossad mittels der „Operation<br />

Zorn Gottes“, durchgeführt durch die Mossad-Spezialeinheit<br />

„Caesarea“. Fast alle am Attentat Beteiligten – Täter<br />

und Hintermänner – sollten in den kommenden 20 Jahren<br />

zu Tode kommen. Auch Unschuldige verloren in den<br />

Spezialoperationen ihr Leben, was die israelische Vorgehensweise<br />

ethisch und auch völkerrechtlich bedenklich<br />

erscheinen lässt. War dies noch als Staatsnotwehr gerechtfertigt?<br />

Wenn Terrorismus eine Art asymmetrischer Kriegführung<br />

unter bewusster Inkaufnahme von Kollateralschäden darstellt,<br />

so drehten nun jedenfalls die Israelis den Spieß um.<br />

Völkerrechtlich verkörpert deren Reaktion unstrittig eine<br />

Wanderung auf einem ganz schmalen Grat – moralischer<br />

Absturz inbegriffen. Indes: wer und was garantiert Israels<br />

Sicherheit? Das Völkerrecht ist schließlich nun einmal<br />

bislang Ausdruck von konkreten Machtverhältnissen, und<br />

dieser Zustand dauert wahrscheinlich solange, bis es einen<br />

überstaatlichen/übernationalen Souverän gibt, seinerseits<br />

ausgestattet mit legitimen Zwangmitteln.<br />

Es gilt bei Bewertung und ethischer Reflexion zu beachten,<br />

dass palästinensische Terroristen und ihre marxistischen<br />

Gesinnungsgenossen aus Europa überdies bewusst Juden<br />

selektierten wie seinerzeit die SS-Schergen in den Vernichtungslagern.<br />

Beispiele hierfür wären auch später noch die<br />

Entführung einer Air France-Maschine nach Entebbe Anfang<br />

Juli 1977 oder der Anschlag auf das Kreuzfahrtschiff<br />

„Achille Lauro“ im Oktober 1985.<br />

Persönliche Standortbestimmung<br />

Jeder Soldat muss sich stets über die ethische Dimension<br />

seines Handelns persönlich Rechenschaft ablegen. Dies<br />

gilt noch mehr für einen Angehörigen der Fachgruppe Innere<br />

Führung, der auch zum Thema „Ethik und Moral“<br />

unterrichtet. Das gehört im Übrigen zu einer werteorientierten<br />

und gleichwohl wissenschaftlicher Objektivität<br />

verpflichteten Darstellung des Sachverhaltes. Gerade die<br />

geschilderte Thematik hält im Rahmen einer Ableitung<br />

für politische Ethik und deren Verhaltensmaximen m.E.<br />

drei „Lehren“ bereit:<br />

Ich vertrete die Auffassung und These, dass sich Menschen,<br />

die sich als Vollstrecker eines höheren Kollektivs<br />

begreifen, ja brüsten und sich hinter eben diesem Kollektiv<br />

verstecken, um der Straffähigkeit i.S. der Individualisierung<br />

von schuldhaftem Tun zu entgehen, nicht darüber<br />

beklagen sollten, wenn sie individuell belangt werden.<br />

Das Sanktionsrecht des freiheitlich-demokratischen<br />

Rechtsstaates gegenüber Politkriminellen und solchen, die<br />

meinen, sie müssten Krieg gegen den Rechtsstaat führen,<br />

ist damit legalisiert (= Punkt 1).<br />

Gerade der Rechtsstaat hat gegenüber seinen Bürgern eine<br />

Schutzfunktion einzunehmen. Dies begründet seine Legitimität.<br />

Versäumt er dieses oder tut er es nicht, so verliert<br />

er seine Legitimation. Recht ohne Macht ist schließlich<br />

machtlos. Die Alternative wäre Anarchie (= Punkt 2).<br />

Ob bei derartigem staatlichem Handeln Gerechtigkeit<br />

entsteht, ist eine andere Angelegenheit. Gerechtigkeit ist<br />

zweifellos immer auch eine Sache der Genugtuung jenseits<br />

individuellen Begehrens. Genugtuung darf sich nicht<br />

auf der Ebene der bloßen Rache bewegen. Sie muss mehr<br />

sein, ansonsten wird es barbarisch (= Punkt 3).<br />

Und genau jetzt sind wir angelangt beim Problem der<br />

Staatsräson. Bereits vor den vermeintlich „sensationellen<br />

Erkenntnissen“ des SPIEGEL-Artikels war bekannt, dass<br />

sowohl die (west-)deutsche als auch die israelische Seite<br />

alles unternahmen, um den blamablen Kollateralschaden<br />

zu minimieren – so gut es eben ging! Das heißt:<br />

1. Sich nach der Devise zu verhalten: „Reden ist Silber,<br />

Schweigen ist Gold!“<br />

2. Alles daran zu setzen, dass trotz des nun anhebenden<br />

Rechtsrucks in Israel, die Zusammenarbeit auch in der<br />

Anti-Terror-Bekämpfung intensiviert werde, ohne dass<br />

die Bundesrepublik Deutschland eine im Rahmen ihrer<br />

Möglichkeiten ganz bescheidene Mittlerrolle im Sinne<br />

einer perspektivischen Verständigung verlieren würde.<br />

47


48<br />

ALS DIE „HEITEREN SPIELE“ ZU ENDE GINGEN. DAS OLyMPIA-ATTENTAT VOM 5. / 6. SEPTEMBER 1972.<br />

Israelische Staatsräson gebot und gebietet nämlich auch<br />

folgende Überlegung: Vielleicht konnte und kann Israel<br />

auch von den „nicht schlechten“ Kontakten der Bundesrepublik<br />

in die Arabische Welt im Rahmen eigenen Wollens<br />

Nutzen ziehen?<br />

Gleichwie, in einer „offenen <strong>Gesellschaft</strong>“ kommen über<br />

kurz oder lang alle Dinge zum Vorschein. Verschwunden<br />

sind bislang – und das gibt wirklich zu denken, weil damit<br />

letztlich Verschwörungstheorien munter Vorschub geleistet<br />

wird! – die Aufzeichnungen des Polizeipsychologen Georg<br />

Sieber, der – wie eben dargestellt – bei der Erstellung<br />

des Sicherheitskonzepts für die Spiele auch einen Überfall<br />

eines palästinensischen Terrorkommandos auf das Olympiadorf<br />

skizziert hatte. Wenige Tage nach der Katastrophe<br />

hatte – so der heute bekannte Sachstand – ein Kripomann<br />

dieses und die anderen 25 Krisenszenarien des Psychologen<br />

beschlagnahmt.<br />

Rückblickend betrachtet, wurde am 5. September der<br />

internationale Terrorismus geboren. Er hinterließ unter<br />

maßgeblicher Beteiligung deutscher Linksterroristen in<br />

den 1970er und 1980er Jahren eine Blutspur. Der freiheitliche<br />

deutsche Rechtsstaat sollte sich künftig mit der<br />

Sondereinheit des Bundesgrenzschutzes, der „GSG-9“,<br />

dessen zu erwehren wissen. Das Lehrgeld dafür wurde in<br />

München buchstäblich gezahlt.<br />

Mental wurde die Bundesrepublik Deutschland nach dem<br />

5. / 6. Dezember 1972 eine andere. Die Euphorie der ersten<br />

Jahre der sozialliberalen Regierung war fortan passé;<br />

sie wurde immer mehr Teil der jüngsten Vergangenheit.<br />

Daran litten nicht wenige in der Regierungspartei SPD,<br />

gerade solche, die Anfang der 1980-er Jahre dazu beitragen<br />

sollten, Bundeskanzler Helmut Schmidt die Kanzlermehrheit<br />

zu entziehen.<br />

Also massive Entzauberung, ja Desillusionierung. Man<br />

muss freilich hierbei ergänzend feststellen, dass bis zur<br />

Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz Ende<br />

Februar 1975 durch Linksterroristen der zweiten RAF-<br />

Generation die bundesdeutsche Politik auf Nachgiebigkeit<br />

gegenüber Terroristen setzte. Erst mit dem blutigen RAF-<br />

Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm am<br />

24. April 1975 änderte sich dies. Dafür stand insbesondere<br />

das Verhalten der Bundesregierung unter Bundeskanzler<br />

Helmut Schmidt (SPD). Der Rechtsstaat Bundesrepublik<br />

Deutschland ließ sich fortan durch Terroristen eben<br />

nicht mehr vorführen.<br />

Die Olympischen Spiele waren ab 1972 jedenfalls nicht<br />

mehr das, was sie mit München wirklich hätten sein können:<br />

„die heiteren Spiele“, mit denen die „Jugend der Welt“<br />

zum friedlichen Wettstreit eingeladen wird, und der Friede<br />

der Welt wenigstens für einen kurzen Moment doch<br />

nicht als Fiktion erscheint.<br />

Fazit<br />

Das Olympia-Attentat von 1972 stellt in der Gewaltkultur<br />

des 20. Jahrhunderts zweifellos einen Einschnitt dar.<br />

Es formierte sich mit ihm der internationale Terrorismus.<br />

Er wurde und er wird gespeist durch eine buchstäblich<br />

unheilige Allianz all derer, die zu den „Feinden der offenen<br />

<strong>Gesellschaft</strong>“ zu zählen sind. Terroristen jeglicher Couleur<br />

sind immer totalitär und auch äußerst opportunistisch<br />

im Eingehen „strategischer Allianzen“. „Les extremes se<br />

touchent – die Extreme berühren sich.“<br />

Es gilt also, sich darauf auch in Zukunft einzustellen! Es<br />

gilt für uns Soldaten auf alle Fälle deshalb, weil wir dem<br />

Rechtsstaat auf Grund unseres Berufes besonders verpflichtet<br />

sind. Und jenseits unserer beruflichen Tätigkeit<br />

gilt es für uns alle, sofern wir in Frieden und Freiheit leben<br />

wollen. Daran sollten wir denken. Wie fragil zivilisiertes<br />

Leben letztlich ist: darüber gibt der 5. / 6. September 1972<br />

mehr als Aufschluss – und diese Erfahrung gilt jenseits<br />

von Hautfarbe, Nation oder Religion.


Die deutsche Luftwaffe und die Allied Mobile Force 1961 – 1991<br />

Text: Dr. Bernd Lemke<br />

Der Kalte Krieg gilt bis heute vielfach als Ära der strategischen<br />

Erstarrung, des Konfl ikts zweier antagonistischer<br />

Blöcke, die erst durch die Wende von 1990 überwunden<br />

werden konnte. Danach geriet nicht nur Europa, sondern<br />

der ganze Globus in Bewegung. Daraus entstanden neue<br />

Aufgaben, neue Möglichkeiten, aber auch neue Gefahren.<br />

Indes waren die beiden Dekaden zwischen 1970 bis 1990<br />

keineswegs eine Epoche ausschließlicher Verfestigung. Sowohl<br />

im politischen als auch im militärstrategischen Bereich<br />

ergaben sich Ansätze zu einer Flexibilisierung, die<br />

die teils gefährliche Konfrontation der Zeit davor überwinden<br />

sollte. Dazu zählen neben den internationalen<br />

Bestrebungen der Entspannungspolitik auch die Etablierung<br />

der neuen Militärstrategie der NATO, der „Flexible<br />

Response“. 1<br />

In diesem Rahmen wurde nach Möglichkeiten gesucht,<br />

um eine beweglichere Abschreckung zu gewährleisten, damit<br />

im Ernstfall nicht sofort zu den Atomwaff en gegriff en<br />

werden musste. Ein prominentes Element bildete dabei<br />

die Allied Mobile Force (AMF). Sie war ein Spezialverband<br />

der NATO, der im Jahre 1961 geschaff en wurde, um<br />

im Rahmen der Abschreckung an neuralgischen Punkten<br />

an den Bündnisfl anken die Solidarität und den Abwehrwillen<br />

der Allianz gegenüber dem Ostblock zu demonstrieren.<br />

Die Allied Mobile Force (AMF) wurde im Rahmen der allgemeinen<br />

strategischen Entwicklung Ende der fünfziger<br />

Jahre konzipiert und aufgebaut. Ihre Anfänge liegen nach<br />

bisherigem Forschungsstand ziemlich nahe an den ersten<br />

Übergängen von der „massive retaliation“ zur „fl exible response“.<br />

2 Hintergrund war die zunehmende Erkenntnis,<br />

dass das Bündnis auf örtliche Provokationen, militärisch<br />

begrenzte Vorstöße bzw. Versuche des Ostblocks zur Desintegration<br />

mit rein nuklearen Mitteln nicht reagieren<br />

konnte, da stets die Gefahr einer atomaren Eskalation<br />

bestand. 3 Da die Verbündeten an den Flanken über nur<br />

begrenzte Kräfte verfügten, die NATO ihrerseits nicht in<br />

der Lage war, zahlreiche Großverbände dort dauerhaft zu<br />

Bernd Lemke<br />

stationieren, musste im Rahmen des Krisenmanagements<br />

im Ernstfall ein Weg gefunden werden, die Bündnissolidarität<br />

zu demonstrieren und dem Gegner klarzumachen,<br />

dass aggressives Vorgehen den Einsatz massiver militärischer<br />

Gewalt der Allianz nach sich ziehen würde.<br />

Ein wichtiges Mittel hierzu war die AMF, ein hochmobiler<br />

Verband in Brigadestärke ausschließlich für den Einsatz<br />

an den Flanken. Er bestand aus 2 x 3 Bataillonen an<br />

Kampftruppen, meist Eliteverbände und 2 x 3 Staff eln<br />

an Jagdbombern und den entsprechenden Brigadetruppen<br />

(Hauptquartier, Kommunikation, Helikoptereinheit,<br />

Logistik). Als entscheidend galt, dass die AMF nur aus<br />

Truppen der NATO-Partner zusammengesetzt war, die<br />

nicht zur Flankenregion gehörten, hier insbesondere auch<br />

der Bundesrepublik. Wenn die Truppe vom Warschauer<br />

Pakt angegriff en worden wäre, hätte die NATO-Solidarität<br />

gegriff en. Wie ein prominenter Zeitzeuge vermerkte,<br />

hätten entsprechende Verluste etwa unter GI’s oder deutschen<br />

Soldaten sofort den Bündnisfall provoziert (Artikel<br />

5 Nordatlantikvertrag). 4<br />

Als Einsatzräume der AMF waren für die Nordfl anke<br />

vorgesehen: Nord-Norwegen (N-1) und Dänemark/See-<br />

1. Vgl. dazu in Kürze den Sammelband zur 51. Internationalen Tagung für Militärgeschichte des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA): Oliver Bange und Bernd Lemke, Auf dem Wege zur Wiedervereinigung, Die beiden deutschen<br />

Staaten in ihren Bündnissen 1970 – 1990 (Potsdam).<br />

2. Die Allied Mobile Force ist derzeit so gut wie kaum erforscht. Ein erster Artikel dazu: Sean Maloney, Fire Brigade or Tocsin? In: The Journal of Strategic Studies, Vol. 27, No.4, December 2004, pp. 585-613, download, URL: http://dx.doi.or<br />

g/10.1080/1362369042000314529. Vgl. zus. Götz Steinle, Allied Mobile Force, in: Truppenpraxis 2/1991, S. 121-125. Am Militärgeschichtlichen Forschungsamt entsteht zur Zeit eine Gesamtstudie zur AMF im Kalten Krieg, AT: Bernd Lemke,<br />

Geschichte der Allied Mobile Force (1961 – 1989). Einstweilen vgl. auch Bernd Lemke, Abschreckung oder Provokation? Die Allied Mobile Force (AMF) und ihre Übungen 1960 – 1989, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr.<br />

2/2010, S. 49-63 und Bernd Lemke, Globale Probleme einer regionalen Allianz: die NATO und die Frage militärischen Engagements außerhalb der Bündnisgrenzen bis 1989, in: S + F (Sicherheit und Frieden), 27. Jg., 1/2009, S. 24-30.<br />

Vgl. zum Folgenden, wo nicht anders belegt, dort.<br />

3. Zu den Hintergründen der strategischen Entwicklung vgl. zum Folgenden grundsätzlich Bruno Thoß, NATO-Strategie und nationale Verteidigungsplanung, Planung und Aufbau der Bundeswehr unter den Bedingungen einer massiven<br />

atomaren Vergeltungsstrategie 1952 bis 1960, München 2006, S. 513-601.<br />

4. Zeitzeugenbefragung General Wilhelm Romatzeck am 15.8.2012, S. 4 (Dokument im MGFA, B.L.).<br />

49


land (N-2); für die Südflanke: Türkisches Thrazien (S-<br />

1), Nordost-Griechenland [griechisches Thrazien] (S-2),<br />

Türkisch-Syrische Grenze (S-3), Italienisch-Jugoslawische<br />

Grenze (S-4) und die Osttürkei (S-5) – letztere indes erst<br />

ab Ende der 1970-er Jahre.<br />

Die Allied Mobile Force hatte dabei als Primärauftrag die<br />

Abschreckung im Rahmen des Krisenmanagements, d.h.<br />

sie sollte die Entschlossenheit der NATO zum Ausdruck<br />

bringen („Showing the Flag“). 5 Sie diente damit primär<br />

als Kommunikationsmittel 6 , um dem Warschauer Pakt die<br />

Gefährlichkeit aggressiven Handelns zu demonstrieren.<br />

Als besonders wichtig erschien es, die entsprechenden Signale<br />

bereits im Frieden zu senden. Daher veranstaltete<br />

die Allied Mobile Force jedes Jahr Übungen, die nicht nur<br />

der Ausbildung, sondern auch der Abschreckung dienten.<br />

Bis zu ihrer Auflösung im Jahre 2003 bot die AMF ein<br />

ganzes Spektrum von Volltruppen-, Stabrahmen- und<br />

Erkundungsübungen, insgesamt über 100 Einsätze unterschiedlichster<br />

Art. 7<br />

Da der Einsatz der AMF über weite Strecken hinweg erfolgen<br />

und im Ernstfall mit äußerster Schnelligkeit von<br />

statten gehen musste, spielte die dritte Dimension eine<br />

wesentliche Rolle. Im Folgenden soll nun die Einsatzgeschichte<br />

der deutschen Luftwaffe im Rahmen der Allied<br />

Mobile Force beleuchtet werden.<br />

Die Aufgaben der Luftwaffe für diese mobile „Feuerwehr“<br />

richtete sich grundsätzlich an den ‚klassischen‘ Einsatzrollen<br />

aus, dies jedoch unter erheblichen Prioritätsverschiebungen.<br />

Das Kerngeschäft der Luftwaffen in der NATO<br />

bestand grundsätzlich aus 8 :<br />

− Counter Air (Kampf gegen die feindliche Luftwaffe),<br />

− Interdiction (Abschnürung der feindlichen Bodentruppen<br />

von ihrem Hinterland),<br />

− Close Air Support (Direkte Luftunterstützung für<br />

die eigenen Bodentruppen),<br />

− Aufklärung (Recce) und<br />

− Transport.<br />

50<br />

DIE DEUTSCHE LUFTWAFFE UND DIE ALLIED MOBILE FORCE 1961 – 1991<br />

Da die AMF einen besonderen Auftrag im Rahmen des<br />

NATO-Krisenmanagements versah, der erst in zweiter Linie<br />

den militärischen Kampf beinhaltete und die Truppe<br />

zudem an entlegene Einsatzorte geschickt wurde, kam dem<br />

Lufttransport zentrale Bedeutung zu. Der Erfolg der Truppe<br />

hing entscheidend davon ab, ob es gelang, die drei Bataillone<br />

und die drei Jagdbomberstaffeln mit ihrer Ausrüstung an<br />

ihre Einsatzorte zu bringen. Der Einsatz von Lufttransport<br />

war und ist jedoch überaus teuer, weswegen es bereits in<br />

der Frühphase der AMF, bei ihrer Entstehung, erhebliche<br />

Auseinandersetzungen in der NATO um die Bestreitung<br />

der Kosten gab, die für jede Übung in die Millionen ging.<br />

Um den, stets mehr oder wenig knappen, militärischen<br />

Luftfrachtraum konkurrierten die einzelnen Bedarfsträger<br />

häufig. Die AMF benötigte trotz ihres insgesamt doch<br />

eher beschränkten Umfanges erhebliche Ressourcen und<br />

stand dabei auch in der Kritik. Man ging daher einen<br />

Kompromiss ein und wich für die Übungen teilweise auf<br />

Bahn und Schiff aus.<br />

Die deutsche Luftwaffe war, wie andere kontinentale<br />

Luftwaffen, der Transportaufgabe bis Anfang der siebziger<br />

Jahre nicht ganz gewachsen. Der einzigen Transporter mit<br />

einigermaßen ausreichendem Aktionsradius, die Noratlas,<br />

konnte den Aufwand nicht bewältigen, so dass man auf<br />

die Großraummaschinen der USAF angewiesen war. Diese<br />

mussten für teures Geld gechartert werden und flogen<br />

meist von Frankfurt/M. aus. 9 Nach Umrüstung der deutschen<br />

Lufttransportgeschwader auf die C-160 Transall bis<br />

zum Jahre 1971 entspannte sich die Lage. Allerdings blieb<br />

man für Großgerät, hier z.B. Küchenwagen, weiterhin auf<br />

die Amerikaner, hier insbesondere die sehr teure Lockheed<br />

C-5 Galaxy, angewiesen. Man diskutierte, ob man nicht<br />

auf die Fahrzeuge verzichten konnte, entschied sich aber<br />

dagegen, da ein Kochen auf dem Boden für die Truppe<br />

nicht zuletzt auch aus hygienischen Gründen nicht in Frage<br />

kam. Außerdem hatte man die AMF für Lagerfeuerromantik<br />

à la Karl May nicht geschaffen. Im Vordergrund<br />

standen Effizienz und Kampfstärke.<br />

5. Zeitzeugen-Interview General Peter Heinrich Carstens am 15.8.2012, S. 6 (Dokument im MGFA, B.L.).<br />

6. Vgl. dazu insbesondere auch Statement General Hans-Henning von Sandrart, ehemaliger Inspekteur des Heeres und CINCENT, bei der Diskussion über die AMF auf der Internationalen Tagung Militärgeschichte in Potsdam 2010 am<br />

24.9.2010.<br />

7. Aus Platzgründen sind detaillierte Belege an dieser Stelle nicht möglich. Die folgende Darstellung basiert größtenteils auf den Akten und Berichten zu verschiedenen AMF-Übungen. Sämtliche: BA-MA, BW 2 / 1646a („Sunshine Express<br />

67“), 1646b („Polar Express 68“), 1646c („Southern Train 68“), 1646d („Olympic Express 69“), 4338 („Olympic Express 69“), 4339 („Green Express 69“), 4351 (Arctic Express 70“), 4856 („Hellenic Express 71“, „Absalon Express 73“,<br />

„Alexander Express 73“) 11660 („Ample Express 83“, „Advent Express 83“, Avalance Express 84“), 27005 („Aurora Express 87“, „Accord Express 87“), 27436 („Aurora Express 87“), 14872 („Amber Express 81”, “Alloy Express 82”, “Anvil<br />

Express 80”, “Avalanche Express 84”, “Ample Express 83”), 15162 und 15163 (“Anorak Express 80”, “Anvil Express 80”, “Amber Express 81”, “Athlete Express 79”, “Arrow Express 77”, “Atlas Express 76”), 14871 und 15160 (“Apex Express”),<br />

27007 (“Array Encounter 90”) und BW 1 / 25437 (“Deep Express 70”).<br />

8. Zum Folgenden vgl. Bernd Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe, in: Bernd Lemke u.a., Die Luftwaffe 1950 bis 1970, Konzeption, Aufbau, Integration, München 2006, S. 88f., S. 115, S. 152-159.<br />

9. Ansonsten starteten die Lufttransporte für Heer in der Regel in Leipheim, die Luftwaffe flog direkt von Oldenburg aus.


Hinsichtlich der eigentlichen Kampfaufgaben ergab sich<br />

ein gemischtes Bild. Die Luftwaffenkomponenten der<br />

AMF (AMF A), d.h. auch die deutschen Verbände, besaßen<br />

im Gegensatz zur Landkomponente (AMF L) 10 kein<br />

eigenes Hauptquartier. Sie wurden gemäß den Prinzipien<br />

der NATO-Luftwaffen nicht dem Hauptquartier der<br />

AMF unterstellt, sondern der zuständigen NATO-Luftflotte<br />

(z.B. 6. ATAF). In den Übungen sollten eigentlich<br />

alle Elemente des Einsatzspektrums zur Geltung kommen,<br />

indes ergaben sich erhebliche Einschränkungen. Die AMF<br />

verfügte bis zum Schluss nicht über eine ausreichende eigene<br />

Flugabwehr und war daher auf die Ressourcen der<br />

Gastländer angewiesen, die vor allem im Falle der Südflanke<br />

nicht gerade üppig vorhanden waren. Immerhin<br />

aber konnte man Close Air Support, Interdiction und teils<br />

auch Aufklärungseinsätze fliegen.<br />

Die Berichte der deutschen Verbände und Stäbe zeichneten<br />

meist ein sehr positives Bild, dies nicht zuletzt aufgrund<br />

zunehmender Erfahrung, da, anders als bei manchen<br />

Partnern, viele Komponenten dauerhaft der AMF<br />

zugewiesen blieben und sie daher auf die Kenntnisse vergangener<br />

Übungen zurückgreifen konnten. Seit der Umsetzung<br />

der Luftwaffenstruktur 3 im Jahre 1970 waren<br />

bis zum Ende des Kalten Krieges vornehmlich beteiligt:<br />

das Luftflottenkommando, das Lufttransportkommando<br />

und vor allem die 2. Staffel des leichten Kampfgeschwaders<br />

43 in Oldenburg (2./leKG 43, später JaboG 43, mit<br />

Fiat G-91 und später Alpha Jet). Allerdings wurden deutsche<br />

Jagdbomber wegen historisch-politischer Probleme<br />

(deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg) in den Nordflankenstaaten<br />

bis zum Ende des Kalten Krieges auch in<br />

Übungen nicht eingesetzt. Daher konzentriert sich die<br />

folgende Darstellung meist auf die Südflanke.<br />

Die Verlegung und der Flugbetrieb funktionierten trotz<br />

mancher praktischer Schwierigkeiten meist gut und zunehmend<br />

reibungslos, so dass die technisch-taktische<br />

Einsatzfähigkeit gewährleistet und ein hoher Klarstand an<br />

Maschinen erreicht werden konnte.<br />

10. Das Hauptquartier der AMF L(and) befand sich zunächst in Seckenheim (Rammond Barracks), dann in der Nähe des Hauptquartiers der 7. US-Armee in Heidelberg.<br />

11. Bernd Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe (wie in Anm. 8), S. 394.<br />

Teils aber gab es allerdings Probleme, die auf vielerlei Ursachen<br />

zurückzuführen waren. So erreichten die Kampfverbände<br />

aus Oldenburg bei der Übung „Sunshine Express“<br />

1967 (Einsatzgebiet S-1, türkisches Thrazien), die<br />

im Übrigen von allen Beteiligten als voller Erfolg bewertet<br />

wurde, das Einsatzgebiet mit erheblicher Verspätung. 11<br />

Dies lag vor allem an den fehlenden Blindflugfähigkeiten<br />

und den geringen Reichweite der G-91, die es erforderlich<br />

machten, Schlechtwetterzonen auszuweichen und damit<br />

zusätzliche Zwischenstopps bedingten.<br />

Der Einsatz der Jagdbomber zeigte sich von der Statistik<br />

her teils sehr beeindruckend, wenn das Wetter mitspielte.<br />

Allerdings gab es, kaum verwunderlich, erhebliche<br />

Probleme bei der multilateralen Kommunikation. Dieses<br />

Kernproblem aller supranationalen Verbände stellte sich<br />

bei der AMF infolge der in jedweder Hinsicht exponierten<br />

Position der Truppe besonders. Die Kommunikation<br />

bei der Feuerleitung (C3) erwies sich als kompliziert und<br />

zeigte infolge unterschiedlicher Ausbildungsstände, Ausrüstung<br />

und Sprachkenntnisse teils erhebliche Mängel.<br />

Die militärische Gesamtlage gestaltete sich eher düster.<br />

Trotz der meist positiven Übungsberichte hatten alle Beteiligten<br />

zur Kenntnis zu nehmen, dass die AMF-Übungen<br />

von viel zu optimistischen Bedingungen ausgingen.<br />

Die Operationen der AMF, hier nicht zuletzt auch der<br />

Nachschub, lief meist unter Friedensbedingungen ab und<br />

wurden erst im Laufe der Zeit mit – im logistischen Bereich<br />

eher theoretischen – Störungseinlagen gespielt. Im<br />

Fall eines Angriffs war davon auszugehen, dass die Luftangriffskräfte<br />

des Warschauer Paktes erhebliche Zerstörungen<br />

würden anrichten können, dies insbesondere an<br />

den taktisch besonders verwundbaren Punkten (Seeland,<br />

Nordostitalien, Thrazien). Die Flugbasen der AMF, also<br />

etwa Mikra (Griechenland) oder yesilkoy (Türkei), würden<br />

mit den Transportmaschinen überfüllt sein, dies auch<br />

nach Abschluss der Dislozierung. Ausweichhäfen kamen<br />

für die deutsche Luftwaffe kaum in Betracht, da die<br />

Reichweite der Jagdbomber dies nicht zuließ. Insgesamt<br />

51


gingen die maßgeblichen NATO-Planer insbesondere im<br />

geografisch überaus gefährdeten Thrazien von einem frühzeitigen<br />

Einsatz von Atomwaffen aus (ADM), da der Bosporus<br />

bedroht war. Etwas entspannter sah man die Lage<br />

für Ostanatolien (S-5) und die Südtürkei (S-3).<br />

Politisch bot die Südostflanke teils erhebliches Problempotenzial,<br />

da sowohl Griechenland als auch die Türkei<br />

verfeindet waren und mehrfach Militärdiktaturen installiert<br />

wurden. Die Beobachter der deutschen Luftwaffe<br />

registrierten, etwa im Falle der griechischen Militärdiktatur<br />

zwischen 1967 – 1974, durchaus die erheblichen<br />

Probleme und Spannungen auch im Offizierskorps des<br />

Gastlandes sowie die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen.<br />

Auf der anderen Seite zeigte man sich teils<br />

sehr beeindruckt von der Unterstützung durch Athen<br />

und der Disziplin der griechischen Streitkräfte. Die militärische<br />

Unterstützung für die AMF war in Zeiten der<br />

Diktatur vorbildlich, allerdings vertrug sich der Anspruch<br />

der NATO als freiheitliches Bündnis nicht mit den politischen<br />

und sozialen Unterdrückungsmaßnahmen. Nach<br />

Ende der Militärdiktatur stellte sich indes das Problem<br />

nicht mehr, da die nachfolgenden Regierungen in Athen<br />

alle Volltruppenübungen der AMF blockierten. Insgesamt<br />

blieb die Lage an beiden Flanken bis 1990 und darüber<br />

hinaus nur bedingt stabil.<br />

Es gehört zu den Paradoxien der Epoche des Kalten Krieges,<br />

dass der erste ‚scharfe’ Einsatz der AMF erst 1991<br />

erfolgte, d.h. erst nach Ende des Ost-West-Konflikts. Als<br />

sich die Lage im Golf nach der gewaltsamen Besetzung<br />

Kuwaits durch Saddam Hussein zunehmend verschärfte,<br />

fühlte sich die Türkei durch den Irak bedroht und forderte<br />

die Solidarität der Allianz ein. 12 Ankara stellte im<br />

Dezember 1990 einen entsprechenden Antrag über die<br />

NATO-Kommandokette, d.h. über AFSOUTH. Wie<br />

vorgesehen, hatte dann das oberste Entscheidungsgremium,<br />

das Defence Planning Committee, zu beraten und zu<br />

entscheiden.<br />

52<br />

DIE DEUTSCHE LUFTWAFFE UND DIE ALLIED MOBILE FORCE 1961 – 1991<br />

Die Türkei hoffte, sofort eine positive Antwort zu erhalten,<br />

vielleicht sogar den Bündnisfall nach Art. 5 Nordatlantikvertrag<br />

zu erreichen. Deshalb hatte Ankara auch<br />

schon die Presse mit Teilinformationen versehen und damit<br />

gerade in Bonn für erheblichen Ärger gesorgt. Bundeskanzler<br />

Kohl zeigte sich höchst verstimmt darüber,<br />

dass Ankara ihn über die Pläne zur Entsendung der AMF<br />

nicht informell vorher informiert hatte. 13<br />

Die Debatten im DPC und im NATO-Militärausschuss<br />

verliefen daher erst einmal wenig harmonisch. 14 Zur Enttäuschung<br />

der Türken weigerte sich der deutsche Vertreter<br />

strikt, ohne weitere Beratungen endgültige Beschlüsse<br />

zu fassen. Auch die Amerikaner und vor allem auch die<br />

Briten, die ja im Golf gerade einen massiven Truppenaufmarsch<br />

durchführten, wollten alle NATO-Partner zumindest<br />

symbolisch in ihr Boot holen. Der britische Vertreter<br />

im Militärausschuss warf daher Deutschland eine Blockadehaltung<br />

vor und bemühte dabei auch das Engagement<br />

der NATO und gerade der Briten für den Schutz der Bundesrepublik<br />

während des Kalten Krieges in überaus deutlicher<br />

Weise.<br />

Bonn bestand indes auch weiterhin darauf, dass die Einsatzrichtlinien<br />

für die AMF, die Rules of Engagement,<br />

eindeutig und restriktiv, formuliert wurden. 15 Ferner wurde<br />

schon früh entschieden, dass ausschließlich die Luftkomponente,<br />

also die AMF A, eingesetzt werden sollte.<br />

Die einzusetzenden Staffeln erhielten einen reinen Demonstrativauftrag<br />

und wurden explizit nicht in die Luftverteidigung<br />

der zuständigen 6. ATAF eingebunden. Die<br />

reichhaltigen Übungsflüge durften nur nördlich einer<br />

40-km-Zone der türkisch-irakischen Grenze erfolgen. Die<br />

AMF-Verbände erhielten Feuererlaubnis grundsätzlich<br />

nur für individuelle Selbstverteidigung.<br />

Die Hintergründe für das deutsche Handeln sind vor allem<br />

politisch zu verstehen. Man hatte gerade erst die deutsche<br />

Einheit vollzogen und hatte auch auf die Befindlichkeiten<br />

der osteuropäischen Staaten Rücksicht zu nehmen.<br />

12. Zum Golfkrieg allgemein insgesamt und speziell zur Lastenteilung der wichtigsten Nationen, vor allem auch der deutschen Problematik vgl. Lawrence Freedman und Efraim Karsh, The Gulf Conflict 1990 – 1991, Diplomacy and War in<br />

the New World Order, London Bosten 1993, insbesondere S. 110-127 und S. 354-356.<br />

13. BA-MA, BW 2 / 21913, Brüssel NATO an AA, Telegramm Nr. 2033, Türkischer Antrag auf Aktivierung der Alliierten Eingreiftruppe AMF (A..., 21.12.90), S. 3.<br />

14. Zum Folgenden vgl. BA-MA, BW 2 / 21913, Telegramm Nr. 2015, Brüssel NATO an AA, Türkischer Antrag auf Aktivierung ..., 19.12.90, mit Begleitmaterial.<br />

15. Das Kerndokument dazu: BA-MA, BW 2 / 27009, Fü S III 6 an AA und Bundeskanzleramt, Einsatzrichtlinien (Rules of Engagement – ROE) für die AMF (A), 5.1.91.


Auch stand die Rote Armee ja noch in Deutschland. 16<br />

Zudem und gerade standen noch die historischen Lasten<br />

viel zu sehr im Vordergrund.<br />

Ab Dezember 1990 wurde indes recht rasch klar, dass ein<br />

Ausscheren aus dem gemeinsamen Krisenmanagement<br />

verheerende Folgen haben würde. Eine Nichtbeteiligung<br />

am Einsatz der AMF A hätte einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust<br />

der Bundesrepublik in der Allianz zur Folge<br />

gezeitigt und sogar die NATO als solche in Frage gestellt. 17<br />

Derlei Erkenntnisse stellte beileibe nicht nur ein starres<br />

Nachbeten der Leitsätze der Allianz aus dem Kalten<br />

Krieg dar, sondern wurde von einer klaren Analyse der<br />

Lage in der Krisenregion, hier insbesondere der Motive<br />

der Türkei, begleitet. Die Regierung Özal in Ankara steckte<br />

zu diesem Zeitpunkt in erheblichen innenpolitischen<br />

Schwierigkeiten, die sich u.a. in Demonstrationen und<br />

Aufmärschen von Arbeitern, machtpolitisch bedingten<br />

Rücktritten des Verteidigungsministers, des Außenministers<br />

und des Generalstabschefs sowie weiterer Generäle<br />

ausdrückten. 18 Als problematisch erwiesen sich auch die<br />

latent immer vorhandenen Konflikte mit den Kurden, die<br />

im Falle einer Verwicklung in den Irakkrieg möglicherweise<br />

zu einem Massenaufstand und der Gefährdung der<br />

inneren Stabilität der Türkei hätte führen können, ein<br />

Thema, das heute ebenfalls (Konflikt um Syrien) eine bestimmende<br />

Rolle spielt. In dieser Lage entschied sich Özal<br />

für ein aktives, wenn auch nicht aggressives Engagement<br />

an der Seite nicht nur der USA, sondern explizit vor allem<br />

auch der europäischen NATO-Partner, um seine Position<br />

zu stärken. 19<br />

Einstweilen schätzte man in Bonn die militärisch-politische<br />

Lage in der Region als nicht zu problematisch ein.<br />

Im Auswärtigen Dienst und auch im Bonner Verteidigungsministerium<br />

ging man nicht davon aus, dass Özal<br />

offensive oder gar expansive Ziele verfolgte. Wie man<br />

konstatierte, war indes umgekehrt auch nicht damit zu<br />

rechnen, dass die irakische Armee, die ja in der Operation<br />

„Anfal“ 1988 / 89 genozidale Gewalt gegen die Kurden<br />

im Irak ausgeübt hatte, einen großangelegten Angriff<br />

gegen die Türkei bewerkstelligen konnte. Immerhin aber<br />

wäre, dies im Einklang mit den Befürchtungen vor 1989,<br />

eine begrenzte Aktion möglich gewesen, die die Besetzung<br />

kleinerer Gebiete – mit entsprechendem Gesichtsverlust<br />

der NATO – nach sich gezogen hätte, ein Szenario, das<br />

auch heute noch mehr als aktuell ist, wenn auch unter<br />

teils anderen Rahmenbedingungen. Ein solcher Fait Accompli<br />

hätte nicht hingenommen werden können. Die<br />

größte Gefahr stellten indes irakische Luftangriffe dar,<br />

die auch mit vergleichsweise begrenzten Kräften zu einer<br />

politischen und militärischen Konfrontation hätte führen<br />

können. Daher kam auch vorrangig die Stationierung der<br />

AMF-Luftkomponente in Betracht.<br />

Trotz der vorsichtigen Haltung der Bundesregierung in<br />

den NATO-Gremien ließen innenpolitische Turbulenzen<br />

nicht lange auf sich warten. Nachdem der Golfkrieg näher<br />

gerückt und die AMF A dann ab 6. Januar 1991 auch tatsächlich<br />

in die Südtürkei geschickt worden war 20 , stiegen<br />

die Zahlen der Kriegsdienstverweigerungen sprunghaft an<br />

und erreichten sogar die für die Südtürkei vorgesehenen<br />

Einsatzverbände. Mehr als 50 Angehörige der FlaRAKGrp<br />

36, darunter neben Wehrpflichtigen auch drei Zeitsoldaten,<br />

verweigerten nachträglich den Kriegsdienst. 21 Zwar<br />

war die AMF A weniger betroffen, stand aber automatisch<br />

mit im Fokus. 22 Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL<br />

zitierte teils ausführlich und wiederholt die „Angst“ als<br />

vorherrschendes Gefühl in den deutschen Streitkräften<br />

und in den Wohnzimmern. 23<br />

Gleichzeitig kam es zu politischen Debatten im Deutschen<br />

Bundestag, die teils recht heftig verliefen. 24 Die<br />

SPD übte deutliche Kritik an einem möglichen Einsatz<br />

der Bundeswehr im Golf. Dabei spielte auch eine Rolle,<br />

16. Hans-Dietrich Genscher, Erinnerungen, Berlin, 2. Aufl. 1990, S. 900-908.<br />

17. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich BA-MA, BW 2 / 27009, Fü S III 6 an StS, Türkischer Antrag auf Entsendung des Luftwaffenanteils der Allied Command Europe Mobile Force (Air) in die Türkei, 28.12.90.<br />

18. Dazu auch Lawrence Freedman und Efraim Karsh, The Gulf Conflict 1990 – 1991, S. 352-354.<br />

19. BW 2 / 27010, Diplo Ankara an AA, Telegramm Nr. 1205, Golfkrise, Krisenmanagement durch Präsident Özal, 27.12.90, S. 2f. Auch zum Folgenden, wo nicht anders belegt. Zus. zum Folgenden grundsätzlich, ebda., Diplo Ankara an AA,<br />

Telegramm nr. 1212, Golfkrieg, hier: Lage in der Türkei, 30.12.90, mit weiterem Begleitmaterial.<br />

20. Eine sehr gute „History“ mit Vermerk für die Ingangsetzung der Rules of Engagement in: BA-MA, BW 2 / 27010, Fü S III 6, Ablauf / Datenfolge der Aktivierung der AMF – Air, Januar 1991.<br />

21. BA-MA, BW 1 / 345549, Fü S I 4, Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (KDV-Anträge), 7.2.91, Anlage 1. Die Verweigerungen erfolgten fast ausschließlich vor der Verlegung in die Krisenregion. Diese erfolgte erst ab<br />

15.2.91. BA-MA, BW 1 / 345549, Fü S I 3, Truppeninformation Nr. 10 im Zusammenhang mit der Lage am Golf, 19.2.91, S. 2. Dazu Stuttgarter Zeitung, 4.2.91, „Erste Bundeswehrsoldaten in der Türkei ausgetauscht“.<br />

22. Beim JaboG 43 in Oldenburg waren es vier Grundwehrdienstleistende, ein Zeitsoldat und drei beamtete Geophysiker, bei der FlaRAKGrp (Roland) in Schöneck waren es elf Anträge, davon ein Zeitsoldat. Öffentlichkeitswirksam wurde<br />

der Fall eines Grundwehrdienstleistenden auf dem Marineversorger Coburg, der seinen Antrag nach dem Auslaufen stellte und am 4.2. in Lissabon von Bord ging.<br />

23. Der Spiegel, 7/1991 (11.2.91), Hauptthema „Sind die Deutschen Drückeberger?“, u.a. „Die friedfertige Armee, Flottillenadmiral Schmähling über den Auftrag der Bundeswehr, S. 24f., downloadbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/<br />

print/d-13488149.html und Der Spiegel, 6/1991 (4.2.91), „Die Deutschen an der Front“, S. 18-22, downloadbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13488149.html. Der Spiegel, 4/1991 (21.1.91), „Der Himmel schließt sich“, S. 18-20.<br />

<strong>Download</strong> unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13507213.html.<br />

24. Zum Folgenden vgl. auch Curd-Torsten Weick, Die schwierige Balance. Kontinuitäten und Brüche deutscher Türkeipolitik, Hamburg 2000, S. 172-182.<br />

53


dass die Amerikaner Kampfflugzeuge von türkischen Basen<br />

aus gegen den Irak einsetzten. Das Verteidigungsministerium<br />

verwies zwar darauf, dass eine Zustimmung des<br />

Bundestages zu einem derartigen Einsatz, d.h. im Rahmen<br />

der NATO-Verteidigung, rein rechtlich gar nicht nötig sei,<br />

betrachtete es aber als politisch erforderlich, das Parlament<br />

einzubeziehen. 25 Die entscheidende Debatte am 14. Januar<br />

1991 verlief entlang der entsprechenden politischen Programme.<br />

26<br />

Dabei wurde die prekäre Lage gerade der Bundesrepublik<br />

insoweit deutlich, als gleichzeitig die Sowjetunion in Litauen<br />

noch einmal in Verhaltensmuster des Kalten Krieges<br />

zurückfiel und eine Demonstration gewaltsam, u.a. auch<br />

unter Einsatz von Panzern, niederschlug und zahlreiche<br />

Tote und Verletzte zu beklagen waren (Vilnussier Blutsonntag<br />

am 13. Januar 1991). Für Deutschland, wo noch<br />

hunderttausende russische Soldaten standen, waren dies<br />

nicht gerade erbauliche Geschehnisse. Die Situation in Litauen<br />

konnte keinesfalls unabhängig von den Ereignissen<br />

im Golf gesehen werden, da niemand wusste, wie die Sowjetunion<br />

reagieren würde. Dennoch war der Bundestag<br />

nicht bereit, sich hier in irgendeiner Weise erpressen zu<br />

lassen. Keine der Fraktionen stellte eine sicherheitspolitische<br />

Verknüpfung beider Krisen her.<br />

Die Regierung stimmte dem Einsatz der AMF A zu, die<br />

CDU/CSU befürwortete sogar einen Einsatz außerhalb<br />

des Bündnisgebietes. Die SPD übte Kritik entlang der<br />

genannten Linie und blieb im Übrigen in der Presse mit<br />

allzu deutlichen Aussagen in Bezug auf die AMF vorsichtig,<br />

da die Regierung auch in der Presse darauf verwies,<br />

dass die SPD in der Großen Koalition im Oktober 1969<br />

der Politischen Richtlinie für die AMF im Bundeskabinett<br />

zugestimmt hatte. 27 Die PDS verlangte den sofortigen Ab-<br />

54<br />

DIE DEUTSCHE LUFTWAFFE UND DIE ALLIED MOBILE FORCE 1961 – 1991<br />

zug aller deutschen Truppen und Gerätschaft aus der ganzen<br />

Region. 28 Die Grünen lehnten den Einsatz ebenfalls<br />

ab und forderten, dass dem „Golfkrieg (...) massenhaft<br />

die Akzeptanz entzogen“ werden müsse und eine entsprechende<br />

Bürgerbewegung in Gang kommen müsse. 29 Dahinter<br />

standen noch die politischen Verhaltensmuster aus<br />

der Zeit des Kalten Krieges, also etwa die Hoffnung auf<br />

Schaffung einer Bewegung wie etwa gegen den NATO-<br />

Doppelbeschluss. Die entsprechenden Entschließungsanträge<br />

wurden dann entlang der bestehenden Machtverhältnisse<br />

entschieden, d.h. die Entsendung der AMF<br />

wurde mit der Kanzlermehrheit genehmigt. 30<br />

Insgesamt kam es zu erheblicher Kritik aus der parlamentarischen<br />

und der außerparlamentarischen Opposition, die<br />

auch teils die Türkei und Özal angriff, was im Verein mit<br />

anderen Faktoren 1990/91 zu einer erheblichen Belastung<br />

des deutsch-türkischen Verhältnisses führte. 31 Sie zielte auf<br />

die grundsätzlichen Probleme mit der politischen Lage in<br />

der Türkei, hier unter anderem die Militärputsch und die<br />

der Türkei immer wieder unterstellten Großmachtträume.<br />

Teile der Grünen etwa riefen offen dazu auf, den Wehrdienst<br />

zu verweigern und drohten mit Verfassungsklage, 32<br />

was umgekehrt zu Strafverfahren führte. 33 Der SPD-Abgeordnete<br />

und ehemalige Staatssekretär im BMVg von<br />

Bülow publizierte einen Musterbrief für Interessierte, um<br />

die Verweigerung einfacher zu gestalten. 34<br />

Offenbar versuchte auch die Rote Armee Fraktion Kapital<br />

aus der Thematik zu schlagen. Auf die US-Botschaft in<br />

Bonn wurden am 13. Februar etwa 60 Schuss aus einer<br />

automatischen Waffe abgegeben und ein Bekennerschreiben<br />

mit Bezug auf die US-Politik im Golf abgelegt. 35<br />

Die Debatte wurde auch in der Presse offensiv geführt<br />

25. Deutlich dazu BA-MA, BW 2 / 27010, VR II 8 an Minister, Rechtsfragen zur Aktivierung der Allied Command Europe Mobile Force – Air- und ihrer Verlegung in die Türkei, 4.1.91, S. 1-3, mit Begleitmaterial.<br />

26. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.91, S. 21-43, download: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/12/12002.pdf#P.21.<br />

27. Dazu auch BA-MA, BW 2 / 27009, Pressemitteilung, o.D. In der entsprechenden Bundestagsdebatte vertraten die Sozialdemokraten allerdings die Ansicht, dass die NATO-Direktiven den AMF-Einsatz in der Südtürkei nicht deckten.<br />

Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.91, S. 39, download: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/12/12002.pdf#P.21. (Vgl. auch BA-MA, BW 1 / 345551, Bundestag, Stenografischer Dienst an BM Stoltenberg, vorl.<br />

Protokoll der Bundestagssitzung, 15.1.91, S. 131f.).<br />

28. Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.91, S. 34f., download: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/12/12002.pdf#P.21.<br />

29. Ebda., S. 37.<br />

30. Ebda., S. 42.<br />

31. Hans-Dietrich Genscher, Erinnerungen, Berlin, 2. Aufl. 1990, S. 909f.<br />

32. BA-MA, BW 1 / 345549, VR II, Rechtsfragen AMF und Verfassungsauftrag Bundeswehr, 14.1.91. Auch aus der SPD wurden entsprechende Forderungen gestellt. Klagen wurden dann aber nicht eingereicht, da sie offenkundig von vornherein<br />

ohne Chance waren. Vgl. Deutscher Bundestag, Verfassungsklagen aus dem Deutschen Bundestag, http://www.bundestag.de/dokumente/datenhandbuch/10/10_05/10_05_02.html. Dazu auch Deutscher Bundestag, Protokoll, 12.<br />

Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.91, S. 29, download: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/12/12002.pdf#P.21 (Rede Dr. Bötsch). Vgl. dazu auch FAZ, 2.2.91, „Bündnisfall gilt automatisch – Scholz: Der Bundestag hat kein Recht auf Entscheidung“<br />

und Welt am Sonntag, 3.2.91, „Kinkel: Entscheidung über Bündnisfall ist Sache der Regierung“. Weitere Diskussionen und Initiativen, so etwa nach einer Änderung der Verfassung, können an dieser Stelle nicht beleuchtet werden. Sie<br />

müssen einer speziellen Studie über die verfassungsrechtlichen Aspekte der Einsatzgeschichte ab 1990 vorbehalten bleiben. Vgl. einstweilen Armee im Einsatz. Grundlagen, Strategien und Ergebnisse einer Beteiligung der Bundeswehr.<br />

Hg. von Hans J. Gießmann / Armin Wagner, Baden-Baden 2009, Abschnitt II. Rechtliche und politische Grundlagen für Auslandseinsätze, S. 119-162.<br />

33. Deutscher Bundestag, Protokoll, 12. Wahlperiode, 2. Sitzung, 14.1.91, S. 35 und 39, download: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/12/12002.pdf#P.21.<br />

34. Stuttgarter Nachrichten, 29.1.91.<br />

35. BA-MA, BW 1 / 345549, Fü S I 3, Truppeninformation Nr. 9 zur Lage am Golf, 14.2.91, S. 3. Nach Bewertung des Bundeskriminalamtes steckte tatsächlich die RAF hinter dem Anschlag, die offensichtlich ein betont moderates Signal<br />

ohne Menschenverluste setzen wollte, um die angeblich existente Einheitsfront mit der Protestbewegung gegen den Golfkrieg nicht zu gefährden. BA-MA, BW 1 / 345550, Fü S II 6, Militärische Sicherheitslage vom 15.2.91.<br />

36. Neue Ruhr Zeitung, Miguel Sanches, Beim Bündnisfall scheiden sich die Geister, 29.1.91.


und führte teilweise zu direktem Schlagabtausch. 36 Das<br />

Spektrum von links bis rechts reichte vom Vorwurf der<br />

Kriegstreiberei und dem indirekten Imperialismus auf der<br />

linken Seite bis hin zur Behauptung, dass eine Ablehnung<br />

des Einsatzes Verrat an der eigenen Verteidigung und den<br />

Interessen der BRD seien. Teils wurde auch in der seriösen<br />

Presse der Vorwurf der ‚Weichheit‘ und unverantwortlicher<br />

Verweigerung laut. Gleichzeitig wurde kritisiert, wie<br />

wenig die Bundeswehr und auch Deutschland militärisch,<br />

politisch und moralisch für globale Einsätze vorbereitet<br />

sei. 37 Höchste Militärs betonten, dass die Bundeswehr in<br />

dem Paradox zwischen Verteidigungsbereitschaft und Abschreckung<br />

gefangen war. 38<br />

Entsprechend der politischen Auseinandersetzung verhielten<br />

sich auch die Kriegsdienstverweigerer bzw. Kritiker aus<br />

den Reihen der Wehrpflichtigen selbst. Es wurden Briefe<br />

an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages<br />

bzw. das Verteidigungsministerium geschickt, in denen<br />

Ablehnung gegenüber dem Golfkrieg geäußert wurde. 39<br />

Teils bekannten sich die Absender deutlich zur Landesverteidigung<br />

und Abwehr etwa gegen Gefahren aus dem<br />

Osten, lehnten aber jeglichen Dienst in der Bundeswehr<br />

darüber hinaus ab.<br />

Rechtlich gesehen hatte diese Haltung keinen Bestand.<br />

Wie die Rechtsabteilung des Bundesverteidigungsministeriums<br />

deutlich machte, gab es für Soldaten keinen Setzkasten,<br />

aus dem die Pflichten ausgewählt werden konnten.<br />

Gemäß § 7 und § 9 des Soldatengesetzes musste ein Soldat<br />

seinen Dienst verrichten, solange die Verfassung gewahrt<br />

blieb, was sie im Falle des AMF-Einsatzes tat (Bündnisverteidigung<br />

in der Südtürkei). 40 Es blieb letztlich für<br />

die Betroffenen bei einer klaren Entscheidung: entweder<br />

Kriegsdienstverweigerung oder Dienst in der Bundeswehr.<br />

Letzteres blieb bei den meisten Wehrpflichtigen, soweit sie<br />

nicht schon zuvor grundsätzlich den Kriegsdienst verwei-<br />

gert hatten, einstweilen Standard, dies trotz allen Getöses.<br />

Die Zahl der Verweigerungen hielt sich bis zum Ende des<br />

AMF-Einsatzes im März 1991 in sehr engen Grenzen. 41<br />

Ferner erhielt die Bundeswehr zahlreiche Anfragen zur<br />

Ableistung freiwilligen Wehrdienstes im Krisengebiet. 42<br />

Doch diese Tatsache änderte nichts an dem grundsätzlich<br />

negativen, teilweise ja sogar verheerenden Wirkung nach<br />

außen. 43 Im Ausland, vor allem auch in Großbritannien,<br />

traten konservative Kräfte an die Öffentlichkeit und<br />

warfen den Deutschen kollektiv Feigheit vor. 44 Auch im<br />

Inland kam es zu kritischen Kommentaren in dieser Richtung,<br />

wenn auch nicht in dieser Schärfe. 45<br />

Wie lief der Einsatz nun konkret ab? Nachdem das Defence<br />

Planning Committee die nötigen Formelkompromisse<br />

erreicht hatte und die Vorbereitungen abgeschlossen<br />

worden waren, erging die „Activation Order“ von<br />

SACEUR und die Verlegung begann. 46 Da die Briten und<br />

die Amerikaner ihre entsprechenden Verbände bereits<br />

im Golf stationiert hatten, traten andere Bündnispartner<br />

in die Pflicht. Es wurden stationiert: 1 Staffel Alpha Jet<br />

(2./JaboG 43 Oldenburg), 1 Staffel F-104 (Italien) und<br />

1 Staffel Mirage 5 (Belgien).<br />

Die deutsche Staffel traf am 8. Januar 1991 in Erhac ein<br />

und begann dort mit den Abschreckungsmaßnahmen. 47<br />

Die Staffeln begannen rasch mit umfangreichen Übungsflügen.<br />

Dabei wurde durchaus nicht nur auf den demonstrativen<br />

Effekt geachtet, sondern auch richtiggehend weiter<br />

ausgebildet. Man übte auch Bodenangriffe, obwohl dies<br />

ausdrücklich nicht zum Abschreckungsauftrag gehörte.<br />

Indes ergaben sich teils erhebliche Schwierigkeiten. Das<br />

Wetter gestaltete sich teils derart widrig, dass die Einsätze<br />

abgesagt werden mussten. Zudem brachte es die Einrichtung<br />

der 40-km-Sicherheitszone mit sich, dass die NATO-<br />

Verbände von der teils defizitären irakischen Luftabwehr<br />

37. Vgl. hier etwa einen Artikel der „Zeit“, die offensichtlich zumindest teilweise in Erinnerung an den legendären Spiegel-Text („Bedingt abwehrbereit“) sehr kritisch über mögliche globale Einsätze der Bundeswehr urteilte. Die ZEIT, 22.2.91,<br />

Frank Drieschner, Thomas Kleine-Brockhoff, Ulrich Stock, „Eine Armee zum Schießen, Die Bundeswehr – heute in Deutschland und morgen in der ganzen Welt“.<br />

38. Dazu auch Hans-Dietrich Genscher, Erinnerungen, Berlin, 2. Aufl. 1990, S. 908f.<br />

39. Vgl. dazu die entsprechenden Schreiben (1990/91) in BA-MA, BW 1 / 345549.<br />

40. BA-MA, BW 1 / 345549, VR I 1, Rechte und Pflichten der Soldaten, hier: „Bedingte einseitige Kündigung“ des Treueverhältnisses durch Reservisten, 6.2.91.<br />

41. BA-MA, BW 1 / 345549, Fü S I 3, Truppeninformationen Nr. 8 im Zusammenhang mit der Lage am Golf, 12.2.91 und ebda., BA-MA, BW 1 / 345549, Fü S I 4, Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (KDV-Anträge), 7.2.91,<br />

Anlage 3. Bis Ende Januar hatten 994 aktive Soldaten und 9256 Reservisten einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt.<br />

42. BW 2 / 27010, P II 3, Ableistung von WÜbg. im Rahmen der AMF-Kontingente in der Türkei, 4.2.91, mit Begleitmaterial.<br />

43. Dazu Neue Ruhr Zeitung, Miguel Sanches, Beim Bündnisfall scheiden sich die Geister, 29.1.91.<br />

44. New York Times, Stephen Kinzer, War in the Gulf: Germans to give $ 5.5 Billion more, 30.1.91. <strong>Download</strong> unter: http://www.nytimes.com/1991/01/30/world/war-in-the-gulf-germany-germans-to-give-5.5-billion-more.<br />

html?pagewanted=print&src=pm. Dazu auch Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Michael J. Inacker, Nr. 7, 15.2.91, „Eine starke Truppe, in Watte gepackt?“. Schon im Vorfeld: Süddeutsche Zeitung, 23.8.90, „Drückebergerei und Staatsräson“.<br />

45. Vgl. dazu auch Die Welt, 23.2.91, „Ein Nachspiel zu Stoltenbergs Türkei-Reise“. Der Verteidigungsminister war bei seinem Truppenbesuch offenbar mit „undiszipliniertem Verhalten“ der Soldaten und kritischen Fragen konfrontiert<br />

worden. Schon zuvor hatten offenbar jüngere Generäle die „Weinerlichkeit“ der Truppe beklagt. Vgl. generell auch BA-MA, BW 1 / 345550, Chef des Stabes Fü S, Protokoll, Gemeinsame Lagefeststellung FüB Fü S/Fü TSK am 18.2.91, S. 2.<br />

46. BA-MA, BW 2 / 27009, FS Kommando 3. Lw-Div. An Fü S III 6, Aktivierung und Verlegung der ACE Mobile Force (Air), 4.1.91.<br />

47. Zum Folgenden vgl. grundsätzlich, und wo nicht anders belegt, die Lageberichte u.a. des JaboG 43 in BA-MA, BW 2 / 21913.<br />

55


estenfalls gerade noch erfasst werden konnten.<br />

Die konkreten Dienstbedingungen der Soldaten gestalteten<br />

sich anfangs eher schwierig. Der logistische Apparat<br />

musste nach und nach aufgebaut werden, dies immer wieder<br />

behindert durch die erheblichen Entfernungen und<br />

die begrenzte Leistungsfähigkeit des Gastlandes.<br />

Die Krise dauerte nur kurze Zeit, da die irakischen Streitkräfte<br />

durch die Kampfverbände der Koalition im Golf<br />

rasch geschlagen wurden. Die AMF begann nach einer<br />

entsprechenden Entscheidung des DPC vom 6. März 48<br />

mit dem Rückzug. Auf Punkt gebracht könnte man vielleicht<br />

sagen: Der erste ‚scharfe‘ Einsatz deutscher Kampfverbände<br />

war eine letztlich gelungene, aber teils holperige<br />

Premiere. Auch die Verbände der deutschen Luftwaffe bewegten<br />

sich damit, historisch gesehen, zwischen den alten<br />

Verhaltens- und Konfrontationsmustern des Kalten Krieges<br />

und einer neuen Zeit.<br />

Es sollte, von heute aus gesehen, indes nicht automatisch<br />

davon ausgegangen werden, dass sich alles verändert hat.<br />

Die NATO funktioniert, trotz aller geänderten Rahmenbedingungen,<br />

im Kern immer noch nach den gleichen<br />

Prinzipien, mit vergleichbaren Problemen und Stärken,<br />

wie in der Zeit bis 1991. Das Einsatzgebiet der AMF A<br />

von 1991 ist ohnehin aktuelles Krisengebiet und wird dies<br />

auf absehbare Zeit auch bleiben, wie überhaupt die ganze<br />

Südflanke der Allianz.<br />

48. BA-MA, BW 2 / 27009, BMVg., Telegramm an Verteiler, 7.3.91, Rückverlegung des deutschen Anteils der AMF (A) und der Luftverteidigungs-/Unterstützungskräfte in der Türkei.<br />

56<br />

DIE DEUTSCHE LUFTWAFFE UND DIE ALLIED MOBILE FORCE 1961 – 1991


Luftwaffe und „Alarm für Cobra 11“.<br />

Image – Markenkommunikation – Arbeitgebermarke<br />

Text: Julia Brandenburg, Dipl.-Pol.<br />

1. Einleitung<br />

„Die Pflicht ist der Freiwilligkeit gewichen. Die Streitkräfte<br />

sind damit umso mehr gefordert, sich als attraktiver Arbeitgeber<br />

zu profilieren. Das Risiko eines Auslandseinsatzes,<br />

Belastung für die Familie durch Wohnortwechsel, die Zugehörigkeit<br />

zu einem System, das sich gewissermaßen in einem<br />

Dauer-Reformzustand befindet – dafür muss der Dienstherr<br />

was bieten.“ 1<br />

Das ist die Ausgangssituation für die Bundeswehr als Arbeitgeber.<br />

22.553 Soldatinnen und Soldaten sollen der<br />

Luftwaffe gemäß Stationierungskonzept 2 der Bundeswehr<br />

künftig angehören. Dass die Bundeswehr neue Wege geht,<br />

um qualifizierten Nachwuchs auf dem umkämpften Arbeitsmarkt<br />

zu gewinnen, zeichnet sich am Claim „Wir.<br />

Dienen. Deutschland.“ ab. Mit dem zentralen Versprechen<br />

der Kampagne betreibt die Bundeswehr Markenkommunikation,<br />

die auf den Imagefaktor setzt.<br />

Imagekampagnen sind auf das subjektive Überzeugt-Sein<br />

der Betrachtenden und ihrer Kundschaft angewiesen:<br />

Das entworfene Bild, die Informationen müssen für sie<br />

kohärent sein. Die Rezeption von Medieninhalten erfolgt<br />

selektiv und unterliegt einem Verstärkereffekt in Bezug<br />

auf bestehende Standpunkte. Es ist deshalb bedeutend, in<br />

welchem medialen Kontext die Botschaft eines Unternehmens<br />

vermittelt wird. Welche Kommunikationsangebote<br />

die einzelnen Rezipienten in der Medienrealität wahrnehmen<br />

können, ist also von ihrer Wirklichkeitskonstruktion<br />

(Priming) abhängig.<br />

Die veröffentlichte Meinung 3 konzentrierte sich im ersten<br />

Quartal 2012 regional vor allem auf die Standortentscheidungen<br />

im Zuge der Bundeswehrreform. Überregional war<br />

das Hauptthema der geplante Abzug der Bundeswehr aus<br />

Afghanistan zehn Jahre nach Beginn des Einsatzes. Daneben<br />

wurde in der zehnten Kalenderwoche über die Einrichtung<br />

eines Veteranen-Gedenktags 4 , die Besteuerung<br />

Julia Brandenburg<br />

des Wehrsolds 5 sowie über den Großen Zapfenstreich 6 mit<br />

der Frage, ob er als staatliche und nationale Ehrung noch<br />

zeitgemäß ist, berichtet. Für die Kommunikationsarbeit 7<br />

drängt sich die Frage auf: Wird abseits der öffentlichen<br />

Diskussion um die Standortentscheidungen überhaupt<br />

über die Luftwaffe gesprochen? Wird die Luftwaffe überhaupt<br />

wahrgenommen?<br />

Unter den Vorzeichen eines Mentalitätswandels, d.h. wie<br />

das Bild der Bundeswehr „nach außen“ kommuniziert<br />

wird, ist die Luftwaffe mit der RTL-Serie „Alarm für Cobra<br />

11 – Die Autobahnpolizei“ („Cobra 11“) und der Eurofighter<br />

GmbH/EADS eine Kooperation eingegangen. Die<br />

Folge „Überschall“ ist mit dem Ziel entstanden, die Luftwaffe<br />

und das Berufsbild der Jetpilotin und des Jetpiloten<br />

positiv ins Gespräch zu bringen. Die Autobahnpolizisten,<br />

Semir GERKAN und Ben JÄGER, meldeten sich am 8.<br />

März 2012 um 20:15 Uhr auf RTL zurück:<br />

„Jetzt gehen sie auch noch in die Luft: In der Episode ‚Überschall‘,<br />

der Auftaktfolge zur 18. Staffel ermitteln die Autobahncops<br />

beim Eurofighter-Geschwader der Luftwaffe. Für<br />

die Folge drehte das Team mehrere Tage lang mit der Un-<br />

1. Grothe, Andreas (2012): Tausche Uniform gegen Blaumann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.3.2012, S. C1.<br />

2. Bundesministerium der Verteidigung (2011): Die Stationierung der Bundeswehr in Deutschland, Oktober 2011. URL: http://www.bundeswehr.de/bwde/Stationierungsbroschuere2011.pdf (19.3.2012).<br />

3. Die Medienrealität wird mit Hilfe von Medieninhaltsanalysen systematisch analysiert. Damit werden messbare und die Kommunikationsarbeit unterstützende Werte im Hinblick auf Image, Glaubwürdigkeit, Erfolg der Presse- und Medienarbeit<br />

und Kommunikationsplanung entwickelt.<br />

4. Meyer, Simone (2012): Wo die Bundeswehr noch so richtig geliebt wird. In: Die Welt, 16.2.2012. URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article13871552/Wo-die-Bundeswehr-noch-so-richtig-geliebt-wird.html (19.3.2012).<br />

5. Sigmund, Thomas (2012): Eltern von Wehrdienstleistenden sollen Kindergeld erhalten. In: Handelsblatt, 7.3.2012. URL: http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/neues-steuergesetz-eltern-von-wehrdienstleistenden-sollen-kindergeld-erhalten/6296946.html<br />

(19.3.2012).<br />

6. Blechschmidt, Peter/Ehrmann, Sarah/Das Gupta, Oliver (2012): Zank um den Zapfenstreich. In: Süddeutsche Zeitung, 6.3.2012. URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/militaerischer-abschied-fuer-christian-wulff-zank-um-den-zapfenstreich-1.1301813<br />

(15.3.2012).<br />

7. Gemäß der Teilkonzeption Informationsarbeit der Bundeswehr (2005) ist die Informationsarbeit der Bundeswehr auf vier Säulen aufgebaut: (1) Pressearbeit, (2) Öffentlichkeitsarbeit, (3) Medienarbeit und (4) zentrale Truppeninformation.<br />

Diese Ordnung befindet sich in Bewegung. Der Kommunikator und die Kommunikatorin können nicht trennscharf auf einem Feld agieren. Im Folgenden wird allgemein aus funktionaler Logik von Kommunikationsarbeit gesprochen.<br />

57


terstützung der Bundeswehr im Flugbetrieb auf dem Stützpunkt<br />

in Rostock-Laage. Auf der Filmautobahn ‚landete‘ für<br />

die spektakuläre Folge außerdem ein originalgetreuer, mehr<br />

als 15 Meter langer Nachbau des Eurofighters.“ 8<br />

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage:<br />

Wer lässt sich von der Folge „Überschall“ der Serie „Cobra<br />

11“ reizen? Im Mittelpunkt einer einfachen Ziel-, Mittel-,<br />

Wirkungsanalyse stehen die aktive Rezipientin und der<br />

aktive Rezipient: als (1) „Cobra 11“-Fan, (2) potenzielle<br />

Arbeitnehmerin und potenzieller Arbeitnehmer, (3) Mitarbeiterin<br />

und Mitarbeiter, also Soldatin und Soldat.<br />

2. Wer lässt sich von der Folge „Überschall“ reizen?<br />

Während die Bundeswehr-Imagekampagne „Wir. Dienen.<br />

Deutschland.“ an edle Werte appelliert und mit einem gewissen<br />

Stolz beeindruckt, mahnt die Kampagne des Reservistenverbands<br />

„Tu was für Dein Land“. Dagegen lockte<br />

die Folge „Überschall“ der Serie „Cobra 11“ mit Beteiligung<br />

der Luftwaffe und Eurofighter GmbH/EADS mit<br />

„Explosionen, Erektionen, Emotionen“ 9 . In der werberelevanten<br />

Prime-Time ausgestrahlt, verbindet die RTL-<br />

Serie Action und Story wie keine andere deutsche Fernsehserie.<br />

Die beiden Autobahnpolizisten sind seit 1996<br />

im Einsatz. Erdogan ATALAy ist einer der beiden Hauptdarsteller<br />

und spielt seit der ersten Staffel die Rolle des<br />

„Cobra 11“-Kommissars Semir GERKAN. Im Focus-Interview<br />

definiert er die Zielgruppe der Serie: „Wir haben<br />

eine Menge weibliche Fans. Das Publikum von ‚Cobra 11’<br />

kommt überhaupt aus der ganzen Bevölkerung, vom Arzt<br />

bis zum Müllmann ist alles dabei“ 10 . Mit Zielgruppenorientierung<br />

11 und dem allgemeinen Ziel: positionieren,<br />

sichtbar werden, über die Luftwaffe soll gesprochen werden,<br />

setzt die Luftwaffe auf ein positives Image.<br />

Ob „Cobra 11“ ein geeignetes Mittel für die Imagepflege<br />

der Luftwaffe ist, erschließt sich über die Controllerfrage:<br />

Was bringt uns das? Welche Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen<br />

und Erwartungen spricht „Cobra 11“ an? Wen<br />

58<br />

LUFTWAFFE UND „ALARM FÜR COBRA 11“.<br />

IMAGE – MARKENKOMMUNIKATION – ARBEITGEBERMARKE<br />

schließt die Serie aus? Zu welchen verdichteten Vorstellungsbildern,<br />

Vertrauenszuschreibungen, Medienimages<br />

sowie medialen Wirklichkeitskonstruktionen führt dies?<br />

Welche Kommunikationsangebote können die Rezipientin<br />

und der Rezipient potenziell wahrnehmen? Beispielsweise<br />

interessiert sich eine (angehende) technische Nachwuchskraft<br />

bei der Luftwaffe für andere Werte als der<br />

(angehende) Sicherungsoffizier und Pädagoge. Das heißt<br />

gut zu überlegen, wie die Marke Luftwaffe 12 aufgebaut<br />

werden soll.<br />

Die zielgruppenspezifische Botschaft lässt sich mit dem<br />

Claim „Fliegen müsste man können.“ aus der Kommunikationsarbeit<br />

der Bundeswehr in den 1950-er Jahren ausdrücken.<br />

Im internen Abwägungsprozess offenbarte sich<br />

daran die am lautesten geäußerte Kritik. Die Rezipientin<br />

und der Rezipient können in der Folge „Überschall“ den<br />

Eurofighter lediglich als Flugzeug, nicht aber als Waffensystem<br />

wahrnehmen. Damals wie heute „liegen der Darstellung<br />

der Militärtechnik keine Kampfhandlungen und<br />

damit für die Zeitgenossen negativ konnotierte Szenen<br />

zugrunde. Die Aussage bleibt auf eine defensiv eingestellte<br />

Bundeswehr sowie das Argument modernster Technik<br />

und Fliegerei begrenzt“ 13 .<br />

Die hinreichende Rechtfertigung für die Kooperation mit<br />

„Cobra 11“ ergibt sich daraus, (1) überhaupt wieder wahrgenommen<br />

zu werden, (2) die Rezipientin und der Rezipient<br />

sind aktiv (aufnahmebereit), (3) dem Credo erfolgreicher<br />

Kommunikationsarbeit zu folgen: Die Zielgruppe<br />

da abholen, wo sie steht 14 . Wie die Rezipientin und der<br />

Rezipient (re)agieren, hängt maßgeblich von der sozialen<br />

Zuschauersituation und der Interpretation des Gesehenen<br />

ab. Demgemäß wird nachstehend rezipientenorientiert<br />

gefragt, welche Markenbotschaft die Luftwaffe als Arbeitgeber<br />

in der „Cobra 11“-Folge „Überschall“ verbreitet hat.<br />

8. RTLnow (2012): Alarm für Cobra 11, Beschreibung. In: iTunes. Die Folge „Überschall“ kann bei iTunes gekauft werden.<br />

9. Pawlak, Carin (2012): Explosionen, Erektionen, Emotionen. In: Focus online, 8.3.2012. URL: http://www.focus.de/kultur/kino_tv/focus-fernsehclub/tv-kolumne-alarm-fuer-cobra-11-explosionen-erektionen-emotionen_aid_719909.html<br />

(15.3.2012).<br />

10. Strobel, Beate (2012): Wir werden nie erwachsen! In: Focus, Nr. 12/2012, 19.3.2012, S. 106-107.<br />

11. Damit einher geht ein „Loslassen von lieb gewordenen Gewohnheiten“, das in der Öffentlichkeitsarbeit mit dem Sprichwort „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“ verbunden wird. Müller, Gabriele (2009): Der<br />

Arbeitgeber als Marke. In: Industrieanzeiger, Nr. 31/2009. URL: http://www.industrie.de/industrie/live/index2.php?menu=1&submenu=1&object_id=32001310 (19.3.2012).<br />

12. Noch trotzen die Massenmedien Produkten aus dem vorjournalistischen Raum. Sie nehmen in der Wirklichkeits- und Markenkonstruktion eine dominante Subjektposition ein. Journalistische Berichterstattungen in Zeitungen, Zeitschriften,<br />

Fernsehen, Hörfunk und Online-Publikationen sind zentral für das Kommunikationsmanagement: Die Marke Luftwaffe wird im Diskurs konstruiert.<br />

13. Loch, Thorsten (2008): Das Gesicht der Bundeswehr. Kommunikationsstrategien in der Freiwilligenwerbung der Bundeswehr. 1956 bis 1989, München (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, Band 8), S. 4.<br />

14. Müller, Gabriele (2009): Der Arbeitgeber als Marke. In: Industrieanzeiger, Nr. 31/2009. URL: http://www.industrie.de/industrie/live/index2.php?menu=1&submenu=1&object_id=32001310 (19.3.2012).


2.1. Welche Markenbotschaft verbreitet die Luftwaffe<br />

als Arbeitgeber für den „Cobra 11“-Fan?<br />

Ziel:<br />

Hohe Einschaltquote und Marktanteil (für die Sendeanstalt<br />

RTL und die quotenabhängige Produktion); Aufmerksamkeit,<br />

Bekanntheit, Anerkennung (Luftwaffe).<br />

Mittel:<br />

Alles, nur nicht langweilen.<br />

Wirkung:<br />

„Erfolgreicher Staffelauftakt für „Alarm für Cobra 11 –<br />

Die Autobahnpolizei“: Mit einem Marktanteil von 18,9<br />

Prozent beim jungen Publikum (14 – 49 Jahre) fuhr die<br />

besonders aufwendig produzierte Episode „Überschall“<br />

den Prime-Time-Sieg am Donnerstag ein. 4,36 Millionen<br />

Zuschauer ab 3 Jahre (13,3 % MA) sahen ab 20.15 Uhr<br />

die spektakuläre Auftaktfolge zur 20. Staffel der Action-<br />

Serie. (…) Mit einem Tagesmarktanteil von 18,3 Prozent<br />

beim jungen Publikum war RTL am Donnerstag wieder<br />

die klare Nummer 1 vor ProSieben (11,6 %), Sat.1 (10,2<br />

%) und VOX (8,9 %). Beim Gesamtpublikum lag RTL<br />

mit einem Marktanteil von 13,3 Prozent hinter dem ZDF<br />

(13,5 %) und vor Sat.1 (11,0 %)“ 15 .<br />

2.2. Welche Markenbotschaft verbreitet die Luftwaffe<br />

als Arbeitgeber für die potenzielle Arbeitnehmerin<br />

und den potenziellen Arbeitnehmer?<br />

Ziel:<br />

„Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber mit modernster<br />

Technik und anspruchsvollem Auftrag“.<br />

Mittel:<br />

Ego und Eros<br />

Wirkung:<br />

Anders als der „Tatort“, der „in den Medien als ‚Seismograf<br />

deutscher Befindlichkeit’ gefeiert wird“ 16 , erhebt<br />

„Cobra 11“ lediglich den Anspruch cool zu sein. Im Mittelpunkt<br />

steht die emotionale Erfahrung. Junggebliebene,<br />

gutaussehende und entspannte Kommissare ermitteln bei<br />

sonnigem Wetter auf der Autobahn – Stunts und Explosionen<br />

gehören zum Alltagsgeschäft. „Cobra 11“ ist Fernsehfiktion;<br />

wer „Überschall“ an der Realität misst, wird<br />

zwangsläufig scheitern. Als „Testosteron-TV“ betituliert,<br />

versteht es die Action-Fern-Seh-Serie 17 klischeebewusst,<br />

sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.<br />

Wie ATALAy im Focus-Interview herausstellt, hat „Cobra<br />

11“ viele weibliche Fans und betont: „Klar, Frauen mögen<br />

sicher die stilleren Momente etwas mehr als Männer,<br />

aber wir versuchen alle 18 glücklich zu machen“ 19 . Ist das so<br />

und ist das mit der Folge gelungen?<br />

„Die Triebwerke des Eurofighters heulen auf. Wie ein Geschoss<br />

jagt der Jet die Startbahn hinunter, hebt ab und<br />

donnert dann senkrecht in den strahlend blauen Himmel“<br />

20 . Den Eurofighter landet eine Pilotin zum Frauentag.<br />

Die Serie wagt sich in der Folge über das Stereotyp<br />

von Männlichkeit in Action-Serien und das als Gegenbild<br />

dazu aufgebaute Stereotyp von Weiblichkeit hinaus. Der<br />

Plot ist klar actiondominiert, lädt aber gleichzeitig zum<br />

Nachdenken und Diskutieren über Bundeswehr/Luftwaffe,<br />

Polizei und ihr Verhältnis zur <strong>Gesellschaft</strong> ein, indem<br />

an den traditionellen Geschlechterkonstruktionen in der<br />

Bundeswehr und der ebenfalls noch männlich dominierten<br />

Polizei gerüttelt wird.<br />

In der Folge wird vom Konstrukt der friedfertigen und<br />

schutzbedürftigen Frau Abschied genommen und ihr „mit<br />

der Pilotin eine Berufsalternative zur Friseurin und Arzthelferin<br />

vorgestellt“ 21 . Das „Hausfrauen-Familienernährer-<br />

Modell“, das oft in männlich dominierten Institutionen<br />

wirkungsmächtig ist 22 , scheint ausgedient zu haben. Eine<br />

Produktion von Männlichkeit à la „Top Gun“ fällt aus.<br />

Professionell, selbstbewusst, entscheidungsfähig, kooperativ<br />

und mitfühlend, beweist Oberleutnant Wolf, dass ein<br />

technisches Problem sie zur folgenschweren Notladung<br />

15. Pressemitteilung der Firma RTL Group, 09.03.2012.<br />

16. Wie viel Wirklichkeit in der Krimiserie „Tatort“ steckt, ermittelt die Gerichts- und Kriminalreporterin Rückert, Sabine (2012): Der Fall „Tatort“. In: Zeit Magazin, Nr. 13, 22.3.2012, S. 17-23, hier S. 17.<br />

17. Die Schreibweise ist bewusst gewählt, um den Fernsehfiktionscharakter von „Cobra 11“ zu betonen. Es heißt eben nicht Action-Realitäts-Serie.<br />

18. Hier wie ATALAY vorzugehen und dem Geschlecht als Selektionsfaktor hinsichtlich der potenziellen Wahrnehmung einer Rezipientin und eines Rezipienten zu folgen, erscheint angemessen. Das Geschlecht spielt im Hinblick auf die<br />

Berufswahl und -orientierung bei Polizei und Bundeswehr nach wie vor eine Rolle.<br />

19. Strobel, Beate (2012): Wir werden nie erwachsen! (wie Anm. 10), hier S. 107.<br />

20. Koopmann, Frank/Heep, Roland (2011): Alarm für Cobra 11. Überschall. Folge 234, 5. Fassung, 01.06.2011, S. 3.<br />

21. Büdel, Monika (2012): Überschall-Pilotin landet zum Frauentag. In: Main-Echo, 8.3.2012, S. 27.<br />

22. Ahrens, Jens-Rainer/Apelt, Maja/Bender, Christiane (Hrsg.) (2005): Frauen im Militär. Empirische Befunde und Perspektiven zur Integration von Frauen in die Bundeswehr. Wiesbaden, S. 9.<br />

59


des Eurofighters gezwungen hat. Die Botschaft: „Wir sind<br />

ein attraktiver Arbeitgeber mit modernster Technik und<br />

anspruchsvollem Auftrag – für Frauen“ konnte wahrgenommen<br />

werden.<br />

Vorausgesetzt, dass der männliche Rezipient nicht nur<br />

durch die Geschlechterbrille sieht – kann sich ein Bewerber<br />

ebenso gut vom Beruf Eurofighter-Pilot angezogen<br />

fühlen. Im Bezug auf männliche Rezipienten fällt die<br />

Botschaft dennoch schwächer aus. Die Hauptrolle spielt<br />

die attraktive Luftwaffenpilotin, die mit dem „Cobra 11“-<br />

Team kooperiert. Den Kommissaren ist die Position der<br />

„Helden“ zugewiesen. Für die Konstruktion der männlichen<br />

Identität der auftretenden Soldaten folgt daraus, dass<br />

sie in die zweite Reihe treten müssen.<br />

„Wir werden nie erwachsen!“, so ATALAy im Interview<br />

über die beiden Kommissare. Zum einen erklärt das, dass<br />

die Vorgesetze der Kommissare auch eher als wohlwollende<br />

Mutter mit Beschützerinstinkt erscheint. Zum anderen<br />

wird das ständige Gerangel um Zuständigkeiten- und<br />

Geltungsanspruch gegenüber den Soldaten und Bundeswehrdienstleistern<br />

verständlich.<br />

Im Verlauf der Folge treten sie als Opfer, Versager, Verhinderer<br />

und Mittäter auf:<br />

„Feldjäger-Hauptmann PETERSEN: § 2 Abs. 2 Satz 2<br />

UZwGBw. Und wenn Sie damit Probleme haben, dann<br />

rufen Sie bitte im Verteidigungsministerium an.<br />

Kommissar Gerkhan: Falsch. Soweit ich das sehe, ist das<br />

hier immer noch eine Bundesautobahn. Und das ist unser<br />

Revier. §1 SGVNRW.<br />

Feldjäger-Hauptmann PETERSEN: „Der Eurofighter ist<br />

ein hochmodernes Waffensystem. Und ich werde nicht<br />

zulassen, dass da irgendjemand dran rum schraubt.<br />

Kommissar GERKHAN: Dann schieben Sie Ihr hochmodernes<br />

Waffensystem von unserer Autobahn, bevor ich<br />

ihm ein Ticket wegen Falschparkens verpasse.“ 23<br />

60<br />

LUFTWAFFE UND „ALARM FÜR COBRA 11“.<br />

IMAGE – MARKENKOMMUNIKATION – ARBEITGEBERMARKE<br />

2.3. Welche Markenbotschaft verbreitet die Luftwaffe<br />

als Arbeitgeber für die Mitarbeiterin/Soldatin und<br />

den Mitarbeiter/Soldat?<br />

Ziel:<br />

Nicht Zielgruppe<br />

Mittel:<br />

-<br />

Wirkung:<br />

Lager bildend: Unterstützende und Empörte<br />

Können Bundeswehrangehörige die Folge ebenso mit<br />

Humor nehmen wie Autobahnpolizisten oder berufsfremde<br />

„Cobra 11“-Fans? Was könnte dazu führen, dass sich<br />

Soldatinnen und Soldaten durch die Folge entwertet oder<br />

gedemütigt fühlen? Die Bundeswehr/Luftwaffe ist außerhalb<br />

von Nachrichten und Dokumentationen noch nicht<br />

in das Bewusstsein der medialen Öffentlichkeit gerückt:<br />

Es ist noch nicht normal geworden, die Organisation im<br />

Fernsehen geschweige denn in einem Spielfilm oder einer<br />

Serie 24 zu sehen.<br />

Schöne Bilder vom Eurofighter und anderen Waffensystemen<br />

geben und ersetzen keine Antworten auf zentrale<br />

Fragen wie: Wer ist die Luftwaffe als Arbeitgeber und wofür<br />

steht sie? Mit Nachdruck muss gefragt werden: Verstehen<br />

25 die Soldatinnen und Soldaten ihre Organisation im<br />

Moment – also im Reformprozess – überhaupt? Es besteht<br />

eine große Unsicherheit, wofür die Marke Luftwaffe steht.<br />

Weder erscheint das „Sein“ noch das „Werden“ der Marke<br />

geschützt.<br />

Wie fühlen sich die Luftwaffensoldatin und der Luftwaffensoldat<br />

in Zeiten der Bundeswehrreform? Vielleicht wie<br />

eine Flugschülerin und ein Flugschüler in einem Eurofighter-Cockpit<br />

ohne Fluglehrpersonal, das erklärt wofür<br />

die vielen Knöpfe und Hebel da sind? Deshalb erscheint<br />

die Aussage von Hermann JOHA, Chef der Produktions-<br />

23. Koopmann, Frank/Heep, Roland (2011): Alarm für Cobra 11 (wie Anm. 20), S. 14-15.<br />

24. Bis auf die „Rettungsflieger“, eine Produktion von ZDF und Bundeswehr, die sich aber eher an der konfliktscheuen Bergdoktor-Zielgruppe orientiert, erscheint die Organisation im Fernsehen nicht.<br />

25. Fred REICHHELD macht deutlich: „Je größer und je mächtiger aber eine Organisation wird, umso schwieriger ist es für den einzelnen Mitarbeiter zu verstehen, welche Rolle er dabei spielt.“ Befindet sich eine Organisation zudem in<br />

einem ständigen Reformprozess, erhöht sich die Komplexität, die sich für den einzelnen Mitarbeiter bereits aus dem Ist-Zustand der Organisation ergibt, noch um ihren Soll-Zustand. Willenbrock, Harald (2012): Oma Kasubkes Rat ist der<br />

beste. In: Brand eins, Nr. 02/12, S. 110-115, hier S. 110. URL: http://www.brandeins.de/magazin/markenkommunikation/oma-kasuppkes-rat-ist-der-beste.html (14.3.2012).


firma Action Concept, „Die verstehen die feine Form der<br />

Selbstironie“ zu pauschal und unsensibel 26 .<br />

Auf der Grundlage subjektiver Wahrnehmung lassen sich<br />

zwei Beobachtungen formulieren. Sie sind nicht im Sinne<br />

einfacher kausaler Muster zu verstehen, sondern leisten<br />

einen Beitrag zu einem lösungsorientierten Erklärungsversuch,<br />

der Kontextbedingungen und sich gegenseitig<br />

verstärkende Dynamiken aufzeigt:<br />

Beobachtung I: Es besteht ein Zusammenhang zwischen<br />

der zögerlichen internen Kommunikation des „Werdens“<br />

der (neu)entstehenden Organisation und den zum Teil<br />

emotionalen Reaktionen hinsichtlich der Folge unter Soldatinnen<br />

und Soldaten.<br />

Beobachtung II: Je größer eine Soldatin und ein Soldat<br />

den Wunsch beziehungsweise Druck nach (organisationaler)<br />

Orientierung und Halt spürt, desto eher wird die<br />

Luftwaffenbeteiligung an „Cobra 11“ als inhaltsleeres<br />

Personalmarketing-Konzept und das überzeichnete Bild<br />

des Soldaten – als autoritär, unempathisch und testosterongesteuert<br />

– als kränkend und verletzend empfunden<br />

worden sein.<br />

Das Institut für Personalforschung fasst die Reaktion treffend<br />

zusammen: „(W)enn ein nach außen kommuniziertes<br />

Bild des Unternehmens den inneren Realitäten nicht<br />

standhalten kann (, dann) ergänzen Frustration und Verbitterung<br />

bei der Belegschaft die nutzlosen Effekte einer<br />

inhaltsleeren Personalmarketing-Konzeption“ 27 .<br />

Daraus leitet sich die Empfehlung für vergleichbare, zukünftige<br />

Vorhaben ab, bei denen sich die Felder der Öffentlichkeitsarbeit<br />

und der Nachwuchsgewinnung überschneiden:<br />

(1) nicht strukturkonservativ im Sinne der<br />

Teilkonzeption Informationsarbeit der Bundeswehr vorzugehen,<br />

(2) über interne 28 Kommunikation die Soldatin<br />

und den Soldaten einzubinden, um sie und ihn (3) als<br />

Markenbotschafter zu gewinnen.<br />

3. Ausblick: Arbeitgebermarke und Markenkommunikation<br />

– Wie wird die Luftwaffe zur Arbeitgebermarke?<br />

Harald WILLENBROCK fragt: „Warum kommt Markenkommunikation<br />

selten an?“ und gibt auch gleich die<br />

passende Antwort: „Weil sie nicht überzeugt und auf ihre<br />

stärksten Trümpfe verzichtet: begeisterte Kunden und zufriedene<br />

Mitarbeiter“ 29 . „Wir versuchen alle glücklich zu<br />

machen“, so ATALAy im Focus-Interview 30 . Die „Cobra<br />

11“-Folge versetzte vor allem ihre Stammzuschauerinnen<br />

und Stammzuschauer sowie Nicht-Soldatinnen und<br />

Nicht-Soldaten in einen Glückszustand. Bei Soldatinnen<br />

und Soldaten hat sie jedoch zum Teil zu intensiven Emotionen<br />

wie Ärger und Enttäuschung geführt.<br />

Das Problem mit der „kommunizierenden Verpackung“<br />

und sich daraus ergebenden „emotionalen Dissonanzen“<br />

gilt es im Sinne erfolgreicher Kommunikationsarbeit zu<br />

lösen 31 . Der Fokus bei der „Cobra 11“-Produktion ruhte<br />

auf dem Arbeitgeberimage. Er muss dementsprechend<br />

um ein angemessenes Loyalitätsmanagement erweitert<br />

werden, um eine kommunizierende Mogel(ver)packung<br />

zu vermeiden 32 .<br />

„Arbeitgebermarke“ – oder neudeutsch „Employer Branding“<br />

– ist in den letzten Jahren zum Schlüsselbegriff in<br />

derartigen Problemlöseprozessen bei Personalverantwortlichen<br />

aufgestiegen. „Employer Branding“ steht dafür, eine<br />

Marke und nicht ein Produkt zu etablieren – nämlich die<br />

Firma als Arbeitgeber. Ihr Interesse ist es „derzeitige und<br />

potenzielle Angestellte anzuziehen, zu motivieren und zu<br />

halten“ 33 . Der Arbeitgeber beabsichtigt über ein positives<br />

Bild des Unternehmens in den Medien sowie über den<br />

Mitarbeitern als Imageträger Authentizität zu vermitteln.<br />

Dies sorgt nach innen für eine höhere Identifikation mit<br />

den Unternehmenswerten und bewirkt nach außen Bekanntheit,<br />

Anerkennung und Aufmerksamkeit.<br />

Kristin BACKHAUS und Surinder TIKOO beschreiben<br />

drei Handlungsfelder für diesen ganzheitlichen Ansatz,<br />

26. Büdel, Monika (2012): Überschall-Pilotin landet zum Frauentag (wie Anm. 21).<br />

27. Institut für Personalforschung (2012): Employer Branding. Bonn. URL: http://www.personalmanagement-projekte.de/2.html (22.3.2012).<br />

28. Ein geeignetes Mittel wäre beispielsweise ein im Intranet veröffentlichtes Video-Podcast.<br />

29. Willenbrock, Harald (2012): Oma Kasubkes Rat ist der beste (wie Anm. 25).<br />

30. Strobel, Beate (2012): Wir werden nie erwachsen! (wie Anm. 10), S. 107.<br />

31. Böttcher, Dirk (2012): Das große Brabbeln. In: Brand eins, Nr. 2/12, S. 74-79, S. 76. URL: http://www.brandeins.de/magazin/markenkommunikation/das-grosse-brabbeln.html (28.3.2012).<br />

32. Schüller, Anne M. (2012): Touch Points. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute. 2. Aufl. Offenbach, S. 91-100.<br />

33. Geißler, Cornelia (2007): Was ist eine Arbeitgebermarke? In: Harvard Business Manager, Nr. 10/2007. URL: http://www.harvardbusinessmanager.de/heft/artikel/a-622645.html (26.3.2012).<br />

61


der Markenexperten, Personalverantwortliche und Unternehmensstrategen<br />

an einen Tisch holt:<br />

„Erstens müssen Unternehmen prüfen, welches Wertversprechen<br />

sie mit ihrer (Unternehmens-)Marke geben. Ist dieses<br />

Versprechen identifiziert, gilt es zweitens, das Wertversprechen<br />

zum Beispiel an Personalagenturen so zu kommunizieren,<br />

dass dieses konsistent zu den übrigen Markenbotschaften<br />

ist, die das Unternehmen aussendet. Drittens richtet sich der<br />

Aufbau einer Arbeitgebermarke nach innen: Die Marke sollte<br />

Bestandteil der Unternehmenskultur werden. Durch geeignete<br />

Personalauswahl und Schulung lässt sich langfristig eine<br />

Belegschaft aufbauen, die sich zu den Werten und den Zielen<br />

der Firma bekennt“ 34 .<br />

Konkret heißt das für die Luftwaffe, sich durch Profileigenschaften<br />

zu positionieren und Kernaussagen als Ausgangsbasis<br />

eines ganzheitlichen Kommunikationskonzeptes zu<br />

entwickeln 35 . Anhand zielgruppenspezifischer Botschaften<br />

werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht. Dabei<br />

sind Fragen 36 relevant, wie: Was macht die Luftwaffe zu<br />

einer attraktiven Arbeitgebermarke? Wofür steht die Luftwaffe?<br />

Was ist das Alleinstellungsmerkmal der Luftwaffe?<br />

Sagen die Luftwaffensoldatin und der Luftwaffensoldat<br />

gerne und selbstbewusst, dass sie beziehungsweise er der<br />

Luftwaffe angehört? Will ich als Außenstehende oder Außenstehender<br />

dazugehören? Wie wahrscheinlich ist es,<br />

dass Sie die Luftwaffe einem Freund oder einer Freundin<br />

weiterempfehlen? 37 Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie<br />

die Bundeswehr / Luftwaffe ihrem Kind als Arbeitgeber<br />

weiterempfehlen? Wie werden die Soldatin und der Soldat<br />

zu Markenbotschaftern? 38<br />

4. Fazit<br />

Die Luftwaffe findet in der medialen Öffentlichkeit abseits<br />

der Standortdiskussionen nicht statt. Die Bundeswehr<br />

befindet sich in einem Dauer-Reformzustand. Als<br />

Arbeitgeber geht sie neue Wege auf dem umkämpften<br />

Arbeitsmarkt und betreibt mit „Wir. Dienen. Deutsch-<br />

62<br />

LUFTWAFFE UND „ALARM FÜR COBRA 11“.<br />

IMAGE – MARKENKOMMUNIKATION – ARBEITGEBERMARKE<br />

land.“ Markenkommunikation, die auf den Imagefaktor<br />

setzt. Über die Luftwaffe soll wieder gesprochen werden.<br />

Die Luftwaffe kommuniziert mit „Überschall“ zielgruppenorientiert<br />

nach außen, um sich zu positionieren und<br />

sichtbar zu werden. Den inneren Realitäten hält das vermittelte<br />

Bild nicht stand. Die Soldatin und der Soldat<br />

verspüren Druck nach (organisationaler) Orientierung<br />

und Halt. Die Luftwaffenbeteiligung an „Alarm für Cobra<br />

11 – Die Autobahnpolizei“ polarisiert und hat zum<br />

Teil emotionale Reaktionen ausgelöst. Das überzeichnete<br />

Bild der Soldaten wurde als kränkend und verletzend<br />

empfunden. Es besteht große Unsicherheit, wofür die<br />

Marke Luftwaffe steht.<br />

Daher soll hier im Sinne von Lessons Learned auf der<br />

Grundlage der Frage: „Wie wird die Luftwaffe zur Arbeitgebermarke?“<br />

eine Handlungsempfehlung ausgesprochen<br />

werden. Damit zukünftige Projekte und Kampagnen nicht<br />

als inhaltsleere Personalmarketing-Konzepte wahrgenommen<br />

werden, muss die Luftwaffe – im Sinne einer Arbeitgebermarke<br />

– auf ein positives Image der Organisation<br />

nach außen setzen sowie die Soldatin und den Soldaten als<br />

Imageträger einbinden und mitnehmen. Ein sogenanntes<br />

Employer-Branding-Konzept sollte für die Luftwaffe<br />

entwickelt werden, um eine konsistente Kommunikation<br />

nach innen und nach außen zu erreichen 39 . Zentral ist<br />

die Erkenntnis, dass kommunikative Maßnahmen nicht<br />

ausreichen. Kommunikation und Personalarbeit müssen<br />

Hand in Hand gehen, um die begehrten Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter auf sich aufmerksam zu machen und an<br />

sich zu binden.<br />

(Anm. d. Red.: Der Text ist eine leicht abgeänderte Form,<br />

eines im Nachgang der Ausstrahlung der „Alarm für Cobra<br />

11 – Die Autobahnpolizei“ / Folge „Überschall“ entstanden<br />

Evaluationsberichts für das Presse- und Informationszentrum<br />

der Luftwaffe.)<br />

34. Geißler, Cornelia (2007): Was ist eine Arbeitgebermarke? (wie Anm. 34).<br />

35. Die Umsetzung des Ansatzes ist abhängig von der Qualität des Organisationskontextes und der Lernfähigkeit von Organisationen.<br />

36. Schüller, Anne M. (2012): Touch Points (wie Anm. 33).<br />

37. REICHHELD nennt es die „ultimative Frage“, anhand derer er Kundenzufriedenheit, Profite und Wachstumschancen eines Unternehmens zuverlässig einschätzen könne, vgl. Willenbrock, Harald (wie Anm. 25).<br />

38. Denn wo immer sie sind, sie erzählen davon, wie es ist, bei der Luftwaffe zu arbeiten. Sagt sie oder er das auch gerne auf seinem Facebook-Profil? Berufszufriedenheit ist die Grundlage dafür, dass Soldatinnen und Soldaten als<br />

„Markenbotschafter“ auftreten können. Obwohl der Wert eines Marken-Fans bei Facebook noch nicht abschließend erhoben ist, gilt die Anzahl der Freunde, die das Facebook-Profil eines Unternehmens oder einer Marke hat, als momentan<br />

wichtigster Indikator für dessen Erfolg. Werden der klassischen Werbung persuasive Absichten unterstellt, gilt dies nicht für persönliche Empfehlungen, sie werden als glaubwürdiger, vertrauenswürdiger und effizienter bewertet (Empfehlungsmarketing).<br />

Schweiger, Wolfgang (2011): Forschungs-Framework „Stimulating discourse“. URL: http://dl.dropbox.com/u/698840/Konzept_Stimulation-discourse.pdf (19.1.2012). Schüller, Anne M. (2012): Touch Points (wie Anm. 33). Ziel<br />

muss die konsistente Verbindung vom Messeaussteller bis zum Facebook-Profil sein.<br />

39. Böttcher, Dirk (2012): Das große Brabbeln (wie Anm. 32).


Das Weltraumlagezentrum<br />

Text: Olaf Holzhauer / Dr. Frank Müller<br />

Bedeutung satellitengestützter Dienste<br />

In unserem Alltag nutzen wir mehr und mehr Services,<br />

die von einer funktionierenden Weltrauminfrastruktur<br />

abhängen. Wer vertraut nicht seinem Navigationsgerät<br />

im Auto, welches ihn ohne Stau und auf kürzestem Wege<br />

zum Ziel führt? Die mobile Kommunikation ist für uns<br />

heute ebenso selbstverständlich wie der tägliche Wetterbericht,<br />

Bankgeschäfte an Automaten oder GPS (Global<br />

Positioning System) unterstützte Logistik. Moderne Waffensysteme<br />

nutzen GPS, um möglichst präzise und damit<br />

effizient und effektiv eingesetzt werden zu können. Die<br />

Führungsfähigkeit von Einsatzkontingenten stützt sich<br />

auf satellitengestützte Kommunikation ab. Weltrauminfrastruktur,<br />

also Satelliten bzw. Satellitenverbünde und die<br />

damit einhergehenden Services – z.B. Navigation, Kommunikation,<br />

Erdbeobachtung – sind für zivile und militärische<br />

Nutzer gleichermaßen von herausragender Bedeutung<br />

und nahezu alternativlos.<br />

Gefahren für die Weltrauminfrastruktur<br />

Der unbeschränkten und vor allem sorglosen Nutzung<br />

des Weltraumes sind Grenzen gesetzt. Wir lesen und hören<br />

heute häufiger in den Medien Meldungen über eine<br />

Zunahme der Gefahren für Satellitendienste, die wir bewusst<br />

oder unbewusst für ein funktionierendes Leben benötigen.<br />

Es ist die seit nunmehr 55 Jahren zunehmende<br />

Raumfahrt selbst, die direkt oder mittelbar zur Gefahr für<br />

die Satellitendienste geworden ist. „Der Weltraum, unendliche<br />

Weiten ...“ Viele kennen diesen einleitenden Satz<br />

aus einer bekannten amerikanischen Fernsehserie. Unendlicher<br />

Weltraum? Schon heute drängen sich Satelliten in<br />

bestimmten Bereichen wie den geostationären Orbits 1 , die<br />

besonders für die Kommunikation und Erdbeobachtung<br />

von großer Bedeutung sind. Ein anderer, ebenso wichtiger<br />

Bereich ist der der so genannten Low Earth Orbits (LEO)<br />

zwischen ca. 200 – 2000 km über der Erdoberfläche, auf<br />

denen sich zum Beispiel Satelliten mit hochauflösenden,<br />

optischen Sensoren für die Erdbeobachtung befinden. Aktive<br />

und die natürlich zunehmende Anzahl von inaktiven,<br />

d.h. nichtfunktionsfähigen und insbesondere steuerungs-<br />

Olaf Holzhauer<br />

Dr. Frank Müller<br />

losen, Satelliten sind einer zunehmenden Gefahr von Zusammenstößen<br />

ausgesetzt. Wie Rechnungen gezeigt haben,<br />

geht dabei die größte Kollisionsgefahr von Satelliten aus,<br />

die sich auf so genannten Molnija 2 -Orbits befinden. Trotz<br />

der Größe des erdnahen Raumes und der ‚nur‘ ca. 4000 Satelliten,<br />

von denen ca. 1000 aktiv sind, gab es bereits 2009<br />

einen Zusammenstoß – das Iridium-Kosmos Ereignis 3 .<br />

Ein Zusammenstoß zwischen Satelliten führt i.d.R. nicht<br />

nur zum Verlust beider Satelliten, sondern generiert auch<br />

eine Vielzahl von Trümmerteilen, die zur Bildung von so<br />

genanntem Weltraummüll (engl: space debris) beitragen.<br />

Das Spektrum des Weltraummülls umfasst mittlerweile<br />

neben funktionslosen Satelliten und deren Trümmern u.a.<br />

auch ausgediente Raketenoberstufen, Verbindungselemente<br />

von Raketenstufen, Verpackungs- und Sicherungsmaterial<br />

von Sensoren, verlorenes Werkzeug oder Kleinstteile<br />

wie Farbpartikel oder Verbrennungsrückstände von<br />

Feststoffraketen. Aus der Gesamtpopulation des Weltraummülls<br />

sind ca. 16.000 Objekte mit einer Größe von<br />

mehr als ca. 10 cm erfasst und katalogisiert. Man kann<br />

z.Zt. davon ausgehen, dass sich ca. 44.000 Objekte größer<br />

als 5 cm, ca. 150.000 Objekte größer als 1 cm und ca. 150<br />

Millionen Objekte mit einer Größe von mehr als 1 mm<br />

im erdnahen Raum befinden. Letztere Zahlen basieren natürlich<br />

auf Modellabschätzungen 4 , welche wiederum auf<br />

Laborexperimenten beruhen.<br />

1. Ein schmales Band von +/- 1° in ca. 36.000 km über dem Äquator, in dem die Umlaufgeschwindigkeit der Satelliten der der Erde entspricht, so dass sie scheinbar unbeweglich über derselben Stelle an der Erdoberfläche verharren.<br />

2. Orbits mit einer Inklination von ca. 63° und sehr hoher Exzentrizität, die sowohl LEO als auch geostationäre Satellitenbahnen kreuzen.<br />

3. Am 10. Februar 2009 kollidierte der Iridium-Satellit 33 mit einem inaktiven, russischen Militär-Kommunikationssatelliten Kosmos 2251. Es entstanden ca. 700 Trümmerteile.<br />

4. MASTER 2009, ESA-SD-DVD-02, Release 1-0, Dezember 2010.<br />

63


Es ist ebenfalls aus Experimenten bekannt, dass Zusammenstöße<br />

mit Partikeln einer Teilchengröße von 1 cm<br />

einen Satelliten in seiner Funktion stark beeinträchtigen<br />

können. Aufgrund der enormen Geschwindigkeiten von<br />

mehr als 7 km/s ist die kinetische Energie so groß, dass<br />

bei einem Zusammenstoß mit Teilchen größer 5 cm eine<br />

vollständige Zerstörung möglich, ab 10 cm sicher ist. Insofern<br />

stellt space debris natürlich eine große Gefahr für<br />

die von uns genutzten Satellitendienste dar, die um Größenordnungen<br />

höher ist, als die, die allein von anderen<br />

Satelliten ausgeht. Wissenschaftliche Untersuchungen<br />

prognostizieren in diesem Zusammenhang eine Zunahme<br />

von Weltraumschrott durch debris-debris-Kollisionen.<br />

Dieses so genannte ‚Kessler-Syndrom‘ wird ohne geeignete<br />

und effiziente Gegenmaßnahmen in naher Zukunft<br />

eine Satellitennutzung des erdnahen Weltraums unmöglich<br />

machen 5 .<br />

Neben den o.g. Gefährdungen durch die Raumfahrt und<br />

Weltraumschrott sind adverse Effekte für Satellitendienste<br />

mit natürlichen Prozessen im Weltraum verbunden –<br />

dem so genannten Weltraumwetter. Dabei handelt es sich<br />

um Wechselwirkungen einerseits zwischen energiereichen<br />

Partikeln (Elektronen, Protonen, Neutronen) und energiereicher<br />

Strahlung, die ihren Ursprung in Prozessen an<br />

der Sonnenoberfläche finden, und andererseits Satelliten,<br />

deren Sensoren, bodengebundener Infrastruktur und der<br />

Erdatmosphäre.<br />

Direkte Einflüsse durch so genannte Sonnenstürme<br />

(CME 6 , Eruptionen und flares) können u.a. zu Oberflächenaufladungen<br />

von Satelliten und der Beeinträchtigung<br />

der Onboard-Elektronik oder zu Messausfällen von<br />

Sensoren führen. Ebenso sind Störungen der Kommunikation<br />

(elektromagnetische Wellen einer bestimmten<br />

Wellenlänge) im Allgemeinen durch Wechselwirkung mit<br />

dem ionosphärischen Plasma 7 besonders während Weltraumwetterphänomenen<br />

wie geomagnetischen und ionosphärischen<br />

Stürmen korreliert. Im Besonderen sind der<br />

Kurzwellenfunk und Einfrequenz-GPS-Signale durch Än-<br />

64<br />

DAS WELTRAUMLAGEZENTRUM<br />

derung der Weglänge und der Geschwindigkeit des Signals<br />

während solcher Ereignisse nachhaltig betroffen und proportional<br />

dem Gesamtgehalt an Elektronen (TEC – Total<br />

Electron Content) entlang der Wegstrecke. Diese Störungen<br />

können z.B. bei 1.5 GHz bis zum totalen Funkverlust<br />

oder einem GPS ‚Range Error‘ von bis zu 100m entsprechen.<br />

Durch eine so genannte Zweifrequenz-Technik<br />

kann letzterer Effekt rechnerisch kompensiert werden.<br />

Dennoch führen horizontale Gradienten der ionosphärischen<br />

Ionisierung und Irregularitäten der Ionosphäre zu<br />

Phasenfluktuationen und Szintillationen des Navigationssignals,<br />

die eine Verschlechterung des Signals bis zum<br />

‚loss of lock‘ nach sich ziehen können. Hauptsächlich sind<br />

Gebiete ±30° über dem Äquator und die polaren Breiten<br />

betroffen. Während Perioden starker Sonnenaktivität z.B.<br />

während des nächsten Sonnenflecken-Maximums im Jahr<br />

2013 können aber ebenso alle Bereiche der Hemisphären<br />

beeinflusst werden.<br />

Neben der Beeinflussung elektromagnetischer Wellen<br />

sind auch direkte Effekte des Weltraumwetters auf die<br />

Energieversorgungsnetzwerke (Strom, Öl, Gas) am Boden<br />

zu nennen. Hier kommt es durch Wechselwirkung<br />

veränderlicher elektromagnetischer Felder in elektrischen<br />

Leitern zur Induktion und bei starken Ereignissen wie z.B.<br />

1989 8 in den USA und Kanada zu Leitungsverwerfungen,<br />

Transformatorbränden, etc.<br />

Nicht unerwähnt sollen die direkten Einflüsse solarer<br />

‚Strahlung‘ (Partikel und Wellen) auf die bemannte<br />

Raumfahrt bleiben. Seit langem ist bekannt, dass hochenergetische<br />

Strahlung – wie die kosmische (Partikel-)<br />

Strahlung oder Gamma-Strahlung – mutagen auf biologische<br />

Systeme wirkt. Bisher konnten jedoch nur wenige,<br />

beobachtete Effekte z.B. den schweren Ionen der GCR<br />

(Galactic Cosmic Rays – kosmische Strahlung) zugeordnet<br />

werden. Die offensichtlichen Gründe dafür liegen in<br />

den relativ kurzen Aufenthaltszeiten von Raumfahrern<br />

außerhalb der schützenden Erdatmosphäre und die sehr<br />

geringe ‚Probanden‘-Zahl. Für die Durchführbarkeit von<br />

5. Collision frequency of artificial satellites: The creation of a debris belt, D.J. Kessler, B.G. Cour-Palais, J. Geophys. Res., 83, A6, 2637-2646.<br />

6. Engl. Coronal Mass Ejection – koronale Massenauswürfe.<br />

7. Der Partikelfluss (Sonnenwind) und energiereiche Strahlung von der Sonne ionisieren neutrale Atome und Moleküle in Schichten der oberen Erdatmosphäre in einer Höhe von ca. 80-3000 km.<br />

8. Sever Space Weather Events – Understanding social and economic impacts, Workshop report, National Research Council, National Academic Press, Washington, 2008 [5].


Langzeitmissionen z.B. auf Raumstationen oder Flügen zu<br />

anderen Himmelskörpern ist dieser Aspekt sicher von großer<br />

Bedeutung, wenn nicht sogar beschränkend.<br />

Von großer Wichtigkeit für die Nutzung von Satellitendiensten<br />

ist die Lebensdauer der Satelliten als Trägerplattform<br />

und Versorgungssystem für die verschiedenen Sensoren<br />

und Geräte. Sie wird neben den Gravitationskräften<br />

(hauptsächlich durch die Erde, aber auch durch Sonne<br />

und Mond hervorgerufen) von der Reibung in der ‚Rest‘-<br />

Atmosphäre der Erde bestimmt. Über die Absorption der<br />

solaren Strahlung nimmt die Atmosphäre Energie auf und<br />

dehnt sich aus. Die Satelliten sind somit den periodischen<br />

Schwankungen der solaren Strahlung und ihren stochastischen<br />

Fluktuationen, die ihren Ursprung im chaotischen<br />

und damit nicht vorhersagbaren System Sonne haben,<br />

über atmosphärische Dichteschwankungen ausgesetzt, die<br />

mit abnehmender Flughöhe der Satelliten zu einer stärkeren<br />

Abnahme ihrer Lebenszeit führen. Dieser Effekt ist<br />

u.a. dafür verantwortlich, dass jährlich zwischen 200 und<br />

1000 Objekte mit einer Gesamtmasse von mehreren Deka-Tonnen<br />

Weltraumschrott die Erdoberfläche erreichen<br />

und so zu einer ‚natürlichen Reinigung‘ beiträgt. Leider<br />

muss angemerkt werden, dass die Produktion von Weltraummüll<br />

durch o.g. Prozesse wesentlich schneller verläuft<br />

als die Reduktion durch Wiedereintritte.<br />

Darüber hinaus determiniert die Ungenauigkeit bei der<br />

Bestimmung der atmosphärischen Dichte in Flughöhe<br />

sowohl durch Messungen als auch durch mathematische<br />

Modelle maßgeblich die Genauigkeit der Bahnvorhersage<br />

von Objekten und damit die Möglichkeit einer genauen<br />

Kollisionsvorhersage – was letzten Endes im Falle einer<br />

Kollision ebenso zu einem abrupten Ausfall des Satellitendienstes<br />

führt.<br />

Neben den bisher behandelten Gefährdungen – Weltraumschrott<br />

und Weltraumwetter – sind noch weitere<br />

Gefährdungen für Satelliten zu nennen: Anti-Satelliten-<br />

Aktionen, ein Satellitenabschuss vom Boden sowie die<br />

Manipulation oder Fremdsteuerung von Satelliten. Zudem<br />

ist ein Angriff auf eine Bodenstation eine mögliche<br />

Gefährdung.<br />

Grundlagen für den Aufbau des Weltraumlagezentrums<br />

Angesichts der zunehmenden Abhängigkeit unseres täglichen<br />

Lebens, der Wissenschaft, des Finanzsektors, der<br />

Wirtschaft und nicht zuletzt der Bundeswehr von funktionierender<br />

Weltrauminfrastruktur und von der damit verbundenen<br />

verlässlichen Verfügbarkeit satellitengestützter<br />

Dienste kommt dem Schutz von Satelliten eine herausragende<br />

Bedeutung zu.<br />

Entsprechend hat die Luftwaffe basierend auf den „Konzeptionellen<br />

Grundvorstellungen zur Nutzung des Weltraums<br />

durch die Bundeswehr“ und dem ebenfalls in<br />

2008 erlassenen Luftwaffenkonzept zum „Aufbau eines<br />

Weltraumlagesystems“ in 2009 mit dem Aufbau eines<br />

Weltraumlagezentrums in Uedem/Kalkar (Niederrhein)<br />

begonnen. 9<br />

Die Raumfahrtstrategie der Bundesregierung „Für eine<br />

zukunftsfähige deutsche Raumfahrt“ 10 , die im November<br />

2010 vom Bundeskabinett verabschiedet und der Öffentlichkeit<br />

vorgestellt wurde, betont unter anderem die Bedeutung<br />

weltraumgestützter Systeme für die zivile und<br />

militärische Sicherheit in Deutschland und Europa. Die<br />

Gefahren für die wichtige Weltrauminfrastruktur werden<br />

skizziert und die daraus resultierende Notwendigkeit eines<br />

umfassenden Weltraumlagebildes zum Schutze dieser Infrastruktur<br />

betont. Es wird gefolgert, dass es gemeinsamer Anstrengungen<br />

zum Schutze der Weltrauminfrastruktur bedarf,<br />

um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Voraussetzung<br />

für diesen Schutz ist die Fähigkeit, die Lage im Weltraum<br />

beurteilen zu können. Deshalb nennt die Raumfahrtstrategie<br />

als Ziel den Aufbau einer nationalen Kompetenz zur<br />

Erfassung und Bewertung der Weltraumlage.<br />

Das Weltraumlagezentrum basiert mittlerweile – ganz<br />

im Sinne der Raumfahrstrategie – auf einer zivil-militä-<br />

9. Das Zukunftsfeld „Militärische Nutzung des Weltraums” Die wachsende Bedeutung der Weltraumnutzung, Oberstleutnant i.G. M. Hellmann, Major i.G. K. Auras, Oberstleutnant T. Leuschner, Oberst i.G. O. Holzhauer, Luftwaffe 2012 cpm<br />

forum, Sankt Augustin, 2012.<br />

10. Die Raumfahrtstrategie der Bundesregierung, Berlin, 11/2010.<br />

65


ischen Zusammenarbeit, denn das Personal wird von der<br />

Luftwaffe sowie vom Raumfahrtmanagement des Deutschen<br />

Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gestellt.<br />

Grundlage für diese Zusammenarbeit ist eine Vereinbarung<br />

zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft<br />

und Technologie sowie dem Bundesministerium für Verteidigung<br />

über die Zusammenarbeit zum Aufbau eines<br />

Weltraumlagezentrums 11 . Beide Ressorts haben vereinbart,<br />

das Projekt Weltraumlagezentrum gemeinsam zu<br />

realisieren. Dieses Zentrum soll künftig in Deutschland<br />

der zentrale, fachliche Ansprechpartner in Fragen Weltraumlage<br />

gegenüber Dritten sein.<br />

Aufgaben des Weltraumlagezentrums<br />

Im Weltraumlagezentrum werden eine Vielzahl von Informationen,<br />

zum Beispiel über Objekte im Weltraum, über<br />

Weltraumwetterentwicklungen im Rahmen nationaler<br />

und internationaler Kooperationen, aus zivilen sowie militärischen<br />

Quellen zusammengeführt, analysiert und zu<br />

einem Weltraumlagebild aufbereitet.<br />

Die nationalen Kooperationspartner des Weltraumlagezentrums,<br />

mit denen Informationen und Daten ausgetauscht<br />

werden, sind neben Dienststellen der Bundeswehr<br />

und dem SAR-Lupe-Betreiber auch Einrichtungen aus<br />

Forschung und Wissenschaft.<br />

Internationale Kooperationspartner sind neben den USA<br />

und Frankreich auch Organisationen der EU (z.B. das EU<br />

Satellite Centre), der ESA (ESOC-Space Debris Office)<br />

sowie Dienststellen der NATO.<br />

Mit Hilfe dieses Weltraumlagebilds werden dann sicherheitsrelevante<br />

Fragestellungen bearbeitet, zum Beispiel:<br />

− Werden SAR-Lupe-Satelliten, die die Bundeswehr<br />

nutzt, durch sich nähernden Weltraumschrott<br />

gefährdet?<br />

− Welche Auswirkungen hat das aktuelle Weltraumwetter<br />

auf die GPS-Unschärfe?<br />

66<br />

DAS WELTRAUMLAGEZENTRUM<br />

11. Vereinbarung zwischen BMWi und BMVg über die Zusammenarbeit zum Aufbau eines Weltraumlagezentrums, 12/2011.<br />

− Können Flugverkehrsfunk oder kritische Infrastrukturen<br />

am Boden betroffen sein?<br />

− Ist der Wiedereintritt eines Weltraumobjekts in die<br />

Erdatmosphäre über Deutschland zu erwarten?<br />

Am Ende eines solchen Arbeitsprozesses steht die Erarbeitung<br />

von Kollisionswarnungen an Satellitenbetreiber,<br />

Weltraumwetterberichte oder Hinweise auf mögliche Wiedereintritte<br />

an die zuständigen Dienststellen / Behörden.<br />

Zusammenfassung<br />

Die herausragende Bedeutung funktionierender Weltrauminfrastruktur<br />

und verlässlicher satellitengestützter<br />

Dienste wie z.B. Navigation oder Kommunikation für<br />

militärische und zivile Nutzer ist heute unbestritten. Entsprechend<br />

ist ein Schutz dieser wichtigen Infrastruktur vor<br />

Gefahren, sei es durch Weltraumschrott oder Weltraumwetter<br />

notwendig. Mit dem Aufbau des Weltraumlagezentrums<br />

wird eine Kompetenz zur Erfassung und Bewertung<br />

der Weltraumlage geschaffen, die diese Schutzaufgabe zukünftig<br />

wahrnehmen kann. Zudem kann das Weltraumlagezentrum<br />

weitere Dienste zum Schutze der Bevölkerung<br />

(Hinweise auf Wiedereintritte) oder kritischer Infrastrukturen<br />

(Weltraumwetterberichte) wahrnehmen.<br />

Der ressortgemeinsame Ansatz, der in der zivil-militärischen<br />

Zusammensetzung des Weltraumlagezentrums realisiert<br />

wird, führt zu einer Koordinierung und Abstimmung<br />

hoheitlicher Tätigkeiten und zu einer besseren<br />

Nutzung vorhandener Ressourcen, ganz im Sinne der<br />

Raumfahrtstrategie der Regierung der Bundesrepublik<br />

Deutschland.


Herausforderung Flugkörperabwehr<br />

Text: Generalleutnant Karl Müllner<br />

Raketenabwehr im Kalten Krieg<br />

Historisch gesehen stand am Anfang der Flugkörperabwehr<br />

ein kleines aber äußerst bemerkenswertes Signal. Vor etwas<br />

mehr als einem halben Jahrhundert, am 4. Oktober 1957,<br />

erweckte ein zunächst unscheinbares Piepsen die Aufmerksamkeit<br />

einiger interessierter Funker. Dessen Entschlüsselung<br />

brachte eine für die USA psychologisch bedeutsame<br />

Wahrheit ans Licht. Die Sowjetunion hatte mit Sputnik 1<br />

den ersten Satelliten ins All geschossen. Das strategische<br />

Paradigma war erschüttert: das amerikanische Festland lag<br />

von nun in der Reichweite von Langstreckenraketen. 13<br />

Jahre nachdem V-2-Raketen des verbrecherischen NS-Regimes<br />

in Europa die Zerstörung und psychologischen Auswirkungen<br />

eines Raketenangriffs gezeigt hatten, entstand<br />

in Amerika ein unmittelbares Schutzbedürfnis.<br />

Die USA entwickelten daher eine Reihe von Raketensystemen<br />

in der Hoffnung, anfliegende sowjetische Interkontinentalraketen<br />

abfangen und die USA vor den schwersten<br />

Folgen eines nuklearen Schlagabtausches schützen zu<br />

können. Noch während in den USA die sicherheitspolitischen<br />

Implikationen, die technologischen Risiken und<br />

der erforderliche finanzielle Aufwand diskutiert wurden,<br />

fand die Sowjetunion ihre eigene Antwort auf diese Fragen.<br />

Sie installierte einerseits den noch heute bestehenden<br />

Raketenabwehrschirm um ihre Hauptstadt Moskau und<br />

erhöhte durch die Einführung von Mehrfachsprengköpfen<br />

den technologischen und finanziellen Aufwand für ein<br />

US-Raketenabwehrsystem ins Unbezahlbare. Um die dadurch<br />

in Gang gesetzte ruinöse Rüstungsspirale zu dämpfen,<br />

vereinbarten die USA und die UdSSR 1972 mit dem<br />

Anti Ballistic Missile (ABM) Vertrag weitere Anstrengungen<br />

zur Raketenabwehr zu begrenzen. Die Ratio: Funktionierende<br />

Abwehrsysteme könnten dem Betreiber einen<br />

Erstschlag gestatten, da er den Gegenschlag nicht fürchten<br />

muss – Schutz wurde dem Erhalt des „Gleichgewichts des<br />

Schreckens“ untergeordnet.<br />

Das auch als „mutually assured destruction (MAD)“ bekannt<br />

gewordene Verteidigungskonzept wurde jedoch<br />

bereits 1980 durch den damaligen US Präsident Jimmy<br />

Carter erstmals wieder in Frage gestellt. Und im Jahr 1983<br />

Karl Müllner<br />

erhielten diese Überlegungen mit der Präsidentschaft Ronald<br />

Reagans eine neue Dynamik. Gesucht wurde eine<br />

neue Strategie, um die Stabilität zwischen den beiden Supermächten<br />

nicht mit dem Risiko möglicher eigener Vernichtung<br />

zu verknüpfen, sondern durch amerikanische<br />

Überlegenheit die eigene Bevölkerung zu schützen und<br />

die Sowjetunion von einem nuklearen Erstschlag erfolgreich<br />

abzuschrecken.<br />

Kernstück dieser „Strategic Defence Initiative (SDI)“ war<br />

eine umfassende, im Weltraum stationierte Raketenabwehr<br />

der USA, die letztlich zwar an den hohen technologischen<br />

und finanziellen Hürden scheiterte, gleichwohl<br />

jedoch erheblich zum wirtschaftlichen und politischen<br />

Kollaps der Sowjetunion beitrug – mit den bekannten erfreulichen<br />

Folgen für Deutschland und Europa.<br />

Mit dem Ende der Sowjetunion endete auch die strategische<br />

Konfrontation mit den USA. MAD wurde durch das<br />

Bemühen um Strategische Kooperation mit Russland ersetzt.<br />

Gegensätzliche globale Interessen und weiterhin bestehendes<br />

Misstrauen führen jedoch bis heute dazu, dass<br />

– wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau – sowohl<br />

die USA als auch Russland weiterhin nukleare Kapazitäten<br />

bereithalten, die als Rückversicherung eine gesicherte<br />

gegenseitige Vernichtung erlauben würden. Insbesondere<br />

67


Russland knüpft an diese Fähigkeit auch seinen Status als<br />

strategische Großmacht, die „Augenhöhe“ mit den USA<br />

garantieren soll. Die Bemühungen um eine „Raketenabwehr“<br />

als Teil einer weiterentwickelten Abschreckung<br />

wurden im Lichte der neuen Beziehungen aber nicht<br />

mehr fortgeführt.<br />

Entwicklung nach 9/11<br />

Dies änderte sich mit den Terroranschlägen in den USA am<br />

11. September 2001. Im Lichte der zunehmenden Proliferation<br />

von Massenvernichtungswaffen und deren Trägermitteln<br />

an staatliche wie auch an nichtstaatliche Akteure<br />

nahmen die USA die sicherheitspolitische Diskussion um<br />

die Notwendigkeit einer territorialen Flugkörperabwehr<br />

wieder auf. Im Mittelpunkt steht dabei jedoch nicht das<br />

„strategische Gleichgewicht“ mit Russland, sondern die<br />

Verteidigung gegen terroristische Erpressung mittels ballistischer<br />

Raketen mit Massenvernichtungswaffen durch<br />

sogenannte „Schurkenstaaten“.<br />

Um auch völkerrechtlich den Weg für eine National Missile<br />

Defence in den USA freizumachen, zogen sich die<br />

USA Mitte 2002 vertragskonform aus dem ABM-Vertrag<br />

zurück. Zugleich wurde die Entwicklung aufgenommen.<br />

Sensoren und Abfangflugkörper vom Typ Ground-Based<br />

Interceptor (GBI) wurden in Alaska und Kalifornien zum<br />

Schutz gegen die wachsende Bedrohung durch das Raketenprogramm<br />

Nordkoreas stationiert.<br />

Zum Schutz gegen die wachsende Bedrohung aus dem<br />

Iran war zunächst auch eine Stationierung in Europa vorgesehen.<br />

Die Pläne für eine Radarstellung in Tschechien<br />

und einer GBI „Third Site“ in Polen wurden aus politischen<br />

Erwägungen 2009 dagegen aufgegeben. An dem<br />

grundsätzlichen Ziel, die USA vor möglichen Raketenangriffen<br />

aus dem Iran und Nordkorea zu schützen, wurde<br />

indes festgehalten.<br />

Zeitgleich diskutierten auch die europäischen Staaten die<br />

Notwendigkeit einer gemeinsamen territorialen Flugkörperabwehr.<br />

Ihre Überlegungen gründeten auf der übereinstimmenden<br />

Bewertung des Bedrohungspotentials ballisti-<br />

68<br />

HERAUSFORDERUNG FLUGKÖRPERABWEHR<br />

scher Flugkörper. Auf dem NATO Gipfel von Lissabon im<br />

November 2010 wurden die Handlungsstränge auf beiden<br />

Seiten des Atlantiks zusammengeführt. „Ballistic Missile<br />

Defence“ (BMD) wurde als Teil der kollektiven Verteidigung<br />

zur gemeinsamen Aufgabe aller 28 Mitgliedsstaaten<br />

erklärt. Fähigkeiten der USA, mittlerweile als European<br />

Phased Adaptive Approach (EPAA) neu konzipiert, wurden<br />

der NATO als erster freiwilliger nationaler Beitrag zur<br />

künftigen gemeinsamen Architektur angezeigt. Sie bilden<br />

heute das Kernstück der NATO-Raketenabwehr. Als vorläufig<br />

jüngster Meilenstein wurde auf dem NATO-Gipfel<br />

in Chicago im Mai 2012 eine erste „Interim Capability“<br />

der NATO-Raketenabwehr erklärt.<br />

Unabhängig von den völlig geänderten Intentionen und<br />

Rahmenbedingungen der NATO-Raketenabwehr wird<br />

diese insbesondere von Russland in Kontinuität mit SDI<br />

und damit als Entwertung seines eigenen Drohpotentials<br />

gesehen. Russland widerspricht daher der NATO-Raketenabwehr<br />

und sieht das „strategische Gleichgewicht“ gefährdet.<br />

Der russische Generalstabschef ging im Frühjahr<br />

2012 sogar soweit, mit einer Stationierung russischer Nuklearraketen<br />

in Kaliningrad und einem Präventivschlag<br />

gegen die NATO-Raketenabwehr zu drohen. Dies soll<br />

russische Forderungen nach einer umfassenden Beteiligung<br />

an der NATO-Raketenabwehr bis hin zur Mitentscheidung<br />

über deren Einsatz verstärkten Nachdruck<br />

verleihen. Zusätzlich sollen die USA völkerrechtlich verbindliche<br />

Garantien geben, dass sich das Abwehrsystem<br />

nicht gegen Russland richte. Beide russischen Forderungen<br />

sind sowohl für die USA als auch die NATO politisch<br />

unerfüllbar, so dass zu erwarten ist, dass der Streit mit<br />

Russland über die NATO-Raketenabwehr anhalten wird<br />

und nur langsam, flankierend unterstützt durch Maßnahmen<br />

zur Vertrauensbildung, gelöst werden kann.<br />

Eine Bedrohungsanalyse<br />

Die gemeinsame Bedrohungsanalyse in der NATO<br />

kommt zu dem Ergebnis, dass über 30 Staaten im Besitz<br />

von Raketentechnologien oder im Begriff sind, sich diese<br />

anzueignen. Die Raketen könnten sowohl mit konventionellen<br />

Sprengköpfen als auch mit Massenvernichtungs-


waffen bestückt werden. Dies bedeutet nicht, dass diese<br />

Staaten die Absicht zu einem unmittelbaren Angriff auf<br />

die NATO oder einzelne NATO-Staaten hegen. Es gehört<br />

jedoch zur Verantwortung jedes einzelnen Staates und<br />

der NATO als Ganzes, diesem wachsenden Potential und<br />

dem damit verbundenen Risiko mit einer angemessenen<br />

Sicherheitsvorsorge zu begegnen.<br />

Die Antwort auf die Frage, was angemessen ist, erschließt<br />

sich mit einem Blick auf das Leistungsvermögen bereits<br />

vorhandener Raketentechnologie in möglichen Risikostaaten<br />

sowie die absehbare rasante technologische Entwicklung.<br />

Die heute signifikanteste Bedrohung geht je nach Einsatzgebiet<br />

von ballistischen Flugkörpern kürzerer Reichweite<br />

aus, die gegen Truppen im Einsatz oder aber gegen die zu<br />

schützende Bevölkerung in einem Krisengebiet eingesetzt<br />

werden können. Ein unterlegener Gegner kann so Nachteile<br />

in Kräften, Zeit und Raum ausgleichen.<br />

Ihre Existenz ist eine Tatsache. Kaum eine Möglichkeit<br />

wird ausgelassen, die entsprechenden Arsenale auch öffentlich<br />

zu präsentieren. Der Wille zum Einsatz kann dabei<br />

so ausgeprägt sein, dass scheinbar auch Verluste in der<br />

eigenen Bevölkerung bis hin zur eigenen vernichtenden<br />

Niederlage in Kauf genommen werden. Genau an dieser<br />

Stelle würde eine Abschreckungsstrategie ohne Defensive<br />

ins Leere laufen.<br />

Die technologische Entwicklung verläuft rasant. Reichweiten<br />

und Zuladung ballistischer Raketen in Risikostaaten<br />

nehmen Schritt für Schritt zu. Sie werden damit<br />

zunehmend relevant für den Schutz der eigenen Bevölkerung<br />

und vor politischer Erpressung.<br />

Das damit verbundene Risiko haben die Staats- und Regierungschef<br />

der Allianz so hoch bewertet, dass sie beim<br />

NATO-Gipfel 2010 in Lissabon den Ausbau der in Teilen<br />

bereits vorhandenen ballistischen Flugkörperabwehr<br />

für Truppen und Einrichtungen im Einsatzgebiet zu einem<br />

Abwehrsystem für das Territorium und die Bevölke-<br />

rung des europäischen NATO-Bündnisgebiets beschlossen<br />

haben.<br />

Technologische Betrachtung<br />

Die Abwehr ballistischer Flugkörper stellt aus technischer<br />

Sicht eine große Herausforderung dar. Es gilt, die oft zitierte<br />

„Gewehrkugel mit einer Gewehrkugel zu treffen“,<br />

und das nicht zufällig sondern zuverlässig und gezielt.<br />

Teile dieser Herausforderung sind technologisch dennoch<br />

weitestgehend gelöst. Das Detektieren des Abschusses<br />

und die Verfolgung der Flugbahn sind mit heutigen<br />

Sensoren technisch problemlos möglich. Der Start einer<br />

Rakete kann durch den großen Hitzeausstoß leicht erkannt,<br />

die nach Brennschluss ballistische Flugbahn trotz<br />

kleinerer Signaturen durch Satelliten oder Radargeräte<br />

verfolgt werden.<br />

Schwieriger ist da schon das präzise Treffen des Gefechtskopfes.<br />

Der direkte Treffer ist notwendig, um mögliche<br />

biologische, chemische oder nukleare Kampfstoffe zu neutralisieren<br />

oder aber auch um den Schaden, den herabstürzende<br />

Trümmerteile verursachen, zu minimieren.<br />

Das Abfangen einer ballistischen Rakete beginnt unmittelbar<br />

nach dem Abschalten ihres Antriebs, dem Brennschluss.<br />

Nach Einschwenken auf eine ballistische Flugkurve<br />

kann deren Verlauf und damit auch der vermutliche<br />

Einschlagspunkt berechnet werden. Die Geschwindigkeit<br />

eines ballistischen Flugkörpers beträgt zu diesem Zeitpunkt<br />

ca. 3500 m/s, das zehnfache einer Pistolenkugel.<br />

Berechnet man die Geschwindigkeit des Abfangflugkörpers<br />

mit ein, ergeben sich extrem hohe Begegnungsgeschwindigkeiten.<br />

Diese Herausforderung wächst exponentiell<br />

weiter, sofern Reichweite und Präzision steigen.<br />

Gleiches gilt, wenn Täuschkörper eingesetzt werden, die<br />

entweder mehre Gefechtsköpfe suggerieren oder den eigentlichen<br />

Hauptgefechtskopf maskieren.<br />

Die Geographie ist ein weiterer entscheidender Faktor.<br />

Die Position eines erfassenden oder verfolgenden Sensors<br />

kann nicht beliebig gewählt werden. Der Abschusspunkt<br />

des Abfangflugkörpers ist noch stärker determiniert. Soll<br />

69


er in die vorbestimmte Flugbahn des angreifenden ballistischen<br />

Flugkörpers einwirken, kann dieses in der Regel nur<br />

durch eine vorgeschobene Stationierung erfolgen. Hinzu<br />

kommt, dass der Abfangvorgang in einigen Szenarien nur<br />

über dem Hoheitsgebiet Dritter, auch Nicht-NATO-Staaten,<br />

erfolgen können muss.<br />

Zur Realisierung bedarf es also nicht nur der Überwindung<br />

technologischer, sondern auch politischer und<br />

rechtlicher Hürden. Dies wird mit nationalen Alleingängen<br />

nicht möglich sein. Die Allianz ist aufgrund Expertise,<br />

Kompetenz und verfügbarer Mittel der ideale Rahmen,<br />

sie anzugehen.<br />

NATO-Raketenabwehr<br />

Mit dem NATO-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in<br />

Lissabon 2010 wurde die bis dahin weitgehend getrennte<br />

Betrachtung des „Schutzes von Truppen im Einsatz“ vom<br />

„Schutz von NATO-Territorium und dessen Bevölkerung“<br />

durch die NATO aufgelöst und ging in eine umfassende<br />

„Abwehr ballistischer Flugkörper“ über. Ausgangspunkt<br />

ist dabei das gemeinsam finanzierte Führungs- und<br />

Informationssystem, welches bei Bedarf durch freiwillige<br />

nationale Beiträge in Form von Führungselementen, Sensoren<br />

und Effektoren aller NATO-Nationen zu einer geschlossenen<br />

Architektur integriert werden kann.<br />

Den mit weitem Abstand größten nationalen Beitrag<br />

stellen die USA mit den Systemen ihres im Rahmen einer<br />

eigenen Sicherheitsstrategie eingebrachten European<br />

Phased Adaptive Approach (EPAA). Dieser Ansatz beschreibt<br />

den beabsichtigten Aufwuchs der amerikanischen<br />

Flugkörperabwehr in Europa in vier Phasen bis zum Jahr<br />

2020. Dieses schrittweise Vorgehen erlaubt es auch, den<br />

Ausbau flexibel an die Entwicklung der Bedrohung anzupassen.<br />

Das kann auch heißen, den Aufbau bei langsamerer<br />

Bedrohungsentwicklung ggf. zu strecken.<br />

Der EPAA basiert im Wesentlichen auf see- und später<br />

landgestützten Standard-Missile-3 (SM-3)- Abfangflugkörpern<br />

unterschiedlicher Generationen sowie Frühwarn-<br />

und Feuerleitradaren. Damit wird ein ausreichender<br />

70<br />

HERAUSFORDERUNG FLUGKÖRPERABWEHR<br />

Schutz des europäischen Territoriums und seiner Bevölkerung<br />

gegen die bisher absehbare Bedrohung durch ballistische<br />

Flugkörper grundsätzlich sichergestellt.<br />

Dennoch gilt es, die Umsetzung des Konzepts zur NATO-<br />

Raketenabwehr auf allen Ebenen noch weiter auszugestalten:<br />

es ist zu prüfen, ob und wo technisch bedingte Lücken<br />

in der Radarabdeckung noch zu schließen sind und<br />

ob die Abwehrarchitektur noch robuster ausgelegt werden<br />

muss. Mögliche weitere Beiträge europäischer Partner wären<br />

dann zu integrieren. Einsatzregeln müssen kooperativ<br />

gestaltet werden.<br />

Parallel sind die Befürchtungen Dritter, insbesondere<br />

Russlands, auszuräumen, wenn sie aufgrund einer eigenen<br />

historischen Bewertung eine Weiterführung der Konzepte<br />

des Kalten Krieges und in der NATO-Raketenabwehr<br />

eine Bedrohung eigener Interessen sehen. Die geplante<br />

NATO-Raketenabwehr ist technisch nicht geeignet, Russland<br />

anzugreifen. Der beste Weg, dieses zu verdeutlichen,<br />

wäre Kooperation.<br />

Nationale Überlegungen<br />

Allgemein wie im Besonderen gilt: Neue Fähigkeiten sind<br />

zuallererst aus einer detaillierten und fundierten Analyse<br />

heutiger sowie zukünftiger Bedrohungen und Risiken abzuleiten.<br />

Wenn mögliche Bedrohungen unterschätzt werden,<br />

bzw. diese sich kurzfristig ändern, werden die richtigen<br />

Kräfte und Mittel nicht zeitgerecht zur Verfügung stehen,<br />

da sich eine mögliche Beschaffung und ein Aufbau der Expertise<br />

über Jahre erstrecken. Eine überzogene oder unrealistische<br />

Bewertung von Risiken würde dagegen finanzielle<br />

Mittel binden, die an anderer Stelle sinnvoller in unsere<br />

Sicherheitsvorsorge hätten investiert werden können.<br />

Aufgrund der eingangs dargestellten Potentiale möglicher<br />

Risikostaaten ist eine akute Bedrohung des deutschen<br />

Staatsgebiets durch ballistische Flugkörper auch mittelfristig<br />

eher weniger wahrscheinlich. Im Zentrum deutscher<br />

Überlegungen zur Flugkörperabwehr muss daher<br />

neben dem hohen Gut der Bündnissolidarität weiterhin<br />

der Schutz von Truppen im Einsatz stehen.


Die Bundeswehr kann schon heute einen Beitrag zur kollektiven<br />

Verteidigung stellen, der in dieser Form durch die<br />

anderen europäischen Mitgliedsstaaten nicht abgebildet<br />

werden kann. Seit Beginn der 1990er Jahre betreibt die<br />

Luftwaffe das Waffensystem PATRIOT, welches als eines<br />

der wenigen heute weltweit verfügbaren Systeme zur<br />

Flugkörperabwehr gegen Ziele mit einer Reichweite bis<br />

zu 1000 Kilometer befähigt ist. Als Beitrag zur NATO-<br />

Raketenabwehr kann so beispielsweise zum Schutz der<br />

süd-östlichen Flanke des NATO-Territoriums beigetragen<br />

werden.<br />

Mit Blick auf mögliche zukünftige Beiträge und Systeme<br />

verbieten sich finanzielle Blindflüge und Experimente,<br />

noch gibt es Raum für Prestigeprojekte. Am Anfang muss<br />

eine sorgfältige Analyse des tatsächlichen Bedarfs stehen.<br />

Um Kohärenz in der bündnisgemeinsamen Anstrengung<br />

zu gewährleisten, wird die derzeitige Architektur der NA-<br />

TO-Raketenabwehr im Bündnis sorgfältig analysiert und<br />

optimiert, um möglichen weiteren Bedarf an nationalen<br />

Beiträgen und Schnittstellen zu definieren. Das Ergebnis<br />

dieser Untersuchungen soll Ende 2012 vorliegen.<br />

Danach gilt es politisch zu entscheiden, welche zusätzlichen<br />

Beiträge Deutschland bei Bedarf noch leisten will<br />

und welche Aufgaben unter Umständen auch dauerhaft<br />

übernommen werden sollten.<br />

Fazit<br />

Raketenabwehr hat sich gewandelt. Sie ist keinesfalls mehr<br />

wie im eingangs aufgezeigten historischen Diskurs ein<br />

politisch-konfrontatives Konzept zweier Großmächte. Sie<br />

ist heute elementarer Bestandteil einer vorausschauenden<br />

ganzheitlichen Sicherheitsvorsorge.<br />

Über die vorhandene Bedrohung herrscht grundsätzlich<br />

Einigkeit. Verfügbarkeit und Proliferation von Massenvernichtungswaffen<br />

und Trägermitteln lassen sie Realität<br />

werden. Technologisch sind die Abwehrsysteme der früheren<br />

technischen Science Fiction entwachsen.<br />

Raketenabwehr ist machbar. Aufgrund der globalen Dimension,<br />

aber auch im Lichte der finanziellen Situation<br />

erfordert es jedoch gemeinschaftlich sowohl kooperative<br />

als auch kohärente Anstrengungen.<br />

Mit der Entscheidung der NATO-Staats- und Regierungschefs<br />

beim NATO Gipfel 2010 in Lissabon, gemeinsam<br />

eine territoriale Flugkörperabwehr (FKAbw)<br />

aufzubauen, ist Missile Defence (MD) Teil der kollektiven<br />

Verteidigung und damit zu einem Kernauftrag der<br />

Allianz geworden.<br />

71


72<br />

AUTOREN<br />

Dr. Eberhard Birk, Oberregierungsrat, Oberstleutnant d.R., Jahrgang 1967, verheiratet, vier Kinder.<br />

1987 – 93 Soldat auf Zeit; 1993 – 97 Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Augsburg, Stipendiat der deutschen Studenten-<br />

und Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. 1995 – 99; 1999 Promotion zum Dr. phil mit einer Diss. zum Thema: „Der Funktionswandel<br />

der Westeuropäischen Union (WEU) im europäischen Integrationsprozeß“, seit Juli 2000 Dozent für Militärgeschichte und Politische Bildung an der<br />

Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck. Herausgeber der <strong>Gneisenau</strong> Blätter seit 2004.<br />

Ausgewählte Veröffentlichungen:<br />

Militärgeschichtliche Skizzen zur Frühen Neuzeit, Hamburg 2005, Militärische Tradition, Hamburg 2006; zahlreiche Aufsätze in der ÖMZ, u.a. zu Marathon,<br />

Alexander, Hannibal, Varusschlacht, Oranische Heeresreform, Lineartaktik, Schlacht bei Leuthen, Napoleon, Radetzky; Moltke und Königgrätz sowie Douhet.<br />

Aktuelle Publikationen: Wie Friedrich „der Große“ wurde. Eine kleine Geschichte des Siebenjährigen Krieges 1756 bis 1763, hrsg. gem. mit Thorsten Loch<br />

und Peter Popp, Freiburg 2012; Tradition für die Bundeswehr. Neue Aspekte einer alten Debatte, hrsg. gem. mit Winfried Heinemann und Sven Lange,<br />

Berlin 2012; Die Luftwaffe zwischen Politik und Technik, hrsg. gem. mit Heiner Möllers und Wolfgang Schmidt (= Schriften zur Geschichte der Deutschen<br />

Luftwaffe, Band 2), Berlin 2012; Die Luftwaffe in der Moderne, hrsg. gem. mit Heiner Möllers und Wolfgang Schmidt (= Schriften zur Geschichte der<br />

Deutschen Luftwaffe, Band 1), Essen 2011; Perspektiven für eine zukunftsorientierte Tradition der Luftwaffe, in: Heiner Möllers (Hg.), Tradition und Traditionspflege<br />

in der Luftwaffe (= Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte, 16), Potsdam 2012, S. 49-62.<br />

Hauptmann Julia Brandenburg, Jahrgang 1983.<br />

2003 Eintritt in die Bundeswehr (90. Offizierlehrgang); 2004 Praktikum im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften an der Offizierschule der Luftwaffe<br />

in Fürstenfeldbruck; 2004 – 2005 Teilnahme am französischen Offizierlehrgang an der Ecole militaire de l’air in Salon de Provence; 2005 Praktikum im<br />

Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck; 2005 – 2009 Studium der Politikwissenschaft an der<br />

Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg (HSU) mit Schwerpunkt Internationale Politik, dabei 2007 Auslandssemester in Kingston<br />

/ Ontario, Kanada am Royal Military College (RMC) im Department of Politics and Economics, Teilnahme am War Studies Program (Post Graduate<br />

Degree Program) und an der Queen’s University im Centre for International Relations; 2008 Teilnahme an einer zweiwöchigen universitären politikwissenschaftlichen<br />

Weiterbildung der HSU in Zusammenarbeit mit der China Foreign Affairs University in Beijing / Volksrepublik China; 2010 Lehrgang<br />

Offizier Luftwaffensicherungstruppe in Hammelburg; 2010 – 2011 in der 13. Kompanie Luftwaffenausbildungsregiment in Strausberg als Zugführerin in der<br />

Grundausbildung von Wehrpflichtigen eingesetzt; 2011 – heute Presseoffizier im Sachgebiet Medienevaluation des Presse- und Informationszentrums der<br />

Luftwaffe in Köln-Wahn; 2012 in den Stab Inspekteur Luftwaffe zur Dienstleistung im Bereich Informationsarbeit kommandiert.<br />

Oberst i.G. Olaf Holzhauer.<br />

1981 – 1986 Grundausbildung; Lehrgang an der Offizierschule der Luftwaffe; Studium der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität<br />

der Bundeswehr, Hamburg; 1986 – 1991 Verwendung als Radarleitoffizier in Goch und Parchim; 1991 – 1994 Jugendoffizier im Pressenzentrum der<br />

Luftwaffe, Köln; 1994 – 1997 Teilnahme am nationalen Lehrgang General- / Admiralstabsdienst an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg;<br />

Teilnahme an der französischen Generalstabsausbildung am Collège Interarmées de Défense (CID) in Paris; 1997 – 2000 Dezernatsleiter A 3a / A 3 b im<br />

Kommando 3. Luftwaffendivision, Berlin; 2000 – 2002 Verbindungs- und Lehrstabsoffizier am CID, Paris; 2002 – 2004 Abteilungsleiter 3 im Kommando<br />

2. Luftwaffendivision, Birkenfeld; 2004 – 2007 Referent für Grundsatzangelegenheiten GASP / ESVP im BMVg – Fü S III 4, Berlin; 2007 – 2008 Verbindungsoffizier<br />

im Etat-Major des Armées (französisches Verteidigungsministerium), Unterabteilung Weltraum / Streitkräfte gemeinsame Programme, Paris;<br />

2008 – 2011 Austausch- / Verbindungsreferent des BMVg im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Berlin; seit 01.04.<br />

2011 Leiter Weltraumlagezentrum, Uedem.<br />

Dr. Bernd Lemke, Wissenschaftlicher Oberrat, Jahrgang 1965.<br />

1984 – 85 Grundwehrdienst; 1986 – 1993 Studium an den Universitäten Tübingen / Freiburg: Neuere Deutsche Geschichte / Mittelalterliche Geschichte /<br />

Neuere Deutsche Literatur; 1994 – 2001 Promotion an der Universität Freiburg mit einer Dissertation zum Thema: „Luftschutz in Großbritannien und<br />

Deutschland 1923 – 1939. Zivile Kriegsvorbereitungen als Ausdruck der staats- und gesellschaftspolitischen Grundlagen von Demokratie und Diktatur“;<br />

seit 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt.<br />

Ausgewählte Veröffentlichungen:<br />

Der Irak und Arabien aus der Sicht deutscher Kriegsteilnehmer und Orientreisender 1918 bis 1945, Frankfurt / M. 2012 (= Militärhistorische Untersuchungen,<br />

Bd. 12); Abschreckung oder Provokation? Die Allied Mobile Force (AMF) und ihre Übungen 1960 – 1989, in: Military Power Revue der Schweizer<br />

Armee, Nr. 2 / 2010 (Dezember 2010), S. 49-63; Kolonialgeschichte als Vorläufer für modernes „Nation-Building“? Britische Pazifikationsversuche in Kurdistan<br />

und der North-West Frontier Province 1918 – 1947. In: Tanja Bührer, Christian Stachelback, Dierk Walter, Imperialkriege von 1500 bis heute, Strukturen<br />

- Akteure - Lernprozesse, Paderborn 2011, S. 279-300; Moral Micrology vs. Subsumption: A methodical perspective on the „Mölders Case“ in: Global War<br />

Studies, 7 (1) 2010, S. 123-134; Globale Probleme einer regionalen Allianz: die NATO und die Frage militärischen Engagements außerhalb der Bündnisgrenzen<br />

bis 1989, in: Sicherheit und Frieden (S+F), 27. Jg. 2009, H.1, S. 24-30; Zus. mit Dieter Krüger, Heinz Rebhan und Wolfgang Schmidt: Die Luftwaffe<br />

1950 bis 1970, Konzeption, Aufbau, Integration, München 2006; Luftschutz in Großbritannien und Deutschland 1923 bis 1939, Zivile Kriegsvorbereitungen<br />

als Ausdruck der staats- und gesellschaftspolitischen Grundlagen von Demokratie und Diktatur (Diss.), München 2005.


Major Dr. Thorsten Loch, Jahrgang 1975, verheiratet, ein Kind.<br />

1995 Eintritt in die Bundeswehr; 1998 – 2002 Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr Hamburg; 2002 – 2004<br />

Historikeroffizier im Stab der Panzerbrigade 21; 2004 – 2006 Historikeroffizier und wissenschaftlicher Mitarbeiter am MGFA; 2006 – 2008 Kompaniechef<br />

Sicherungskompanie im Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung; 2009 – 2010 Historikerstabsoffizier und Lehrstabsoffizier Militärgeschichte<br />

an der Offizierschule des Heeres; seit 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Modul Einsatzunterstützung<br />

(Abt. Ausbildung, Information, Fachstudien. Stabsoffizier beim Amtschef (SOAC).<br />

Ausgewählte Veröffentlichungen:<br />

Wie Friedrich „der Große“ wurde. Eine kleine Geschichte des Siebenjährigen Krieges 1756 bis 1763, hrsg. gem. mit Eberhard Birk und Peter Popp, Freiburg<br />

2012; Wie die Siegessäule nach Berlin kam. Eine kleine Geschichte der Reichseinigungskriege (1864 – 1871), hrsg. mit Lars Zacharias, Freiburg i.Br.<br />

2011; Hg. zus. mit Martin Hofbauer i.A. des MGFA: Nordafrika (=Wegweiser zur Geschichte), Paderborn 2011; Betrachtungen zur Operationsgeschichte<br />

einer Schlacht, in: ÖMZ, Heft 4 / 2011, S. 436-444 (gem. mit Lars Zacharias) Königgrätz 1866; Die Operationen zwischen dem 22. Juni und 3. Juli 1866, in:<br />

ÖMZ, Heft 6 / 2010, S. 707-715 (gem. mit Lars Zacharias); Das Bild vom demokratischen Soldaten. Die Werbung der Bundeswehr um ihren Nachwuchs,<br />

in: Gerhard Paul (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band II: 1949 bis heute. Bonn 2008, S. 138-145 (= Bundeszentrale für politische Bildung. Band<br />

734); Das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung (1957 – 2007). Geschichte – Auftrag – Tradition. Im Auftrag des Wachbataillons beim<br />

Bundesministerium der Verteidigung in Zusammenarbeit mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt hrsg. von Thorsten Loch. Hamburg u.a. 2007;<br />

Das Gesicht der Bundeswehr. Kommunikationsstrategien in der Freiwilligenwerbung der Bundeswehr. 1956 bis 1989. München 2008 (= Sicherheitspolitik<br />

und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, Band 8).<br />

Leutnant Carsten-Philipp Mittel, M.A., Jahrgang 1986.<br />

2007 Eintritt in die Bundeswehr (99. Offizierlehrgang); 20087 – 2012 Studium der Geschichts- und Sozialwissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität<br />

/ Universität der Bundeswehr Hamburg; 2009 akademisches Praktikum als Mitarbeiter der Fachgruppe Innere Führung / OSLw zur Unterstützung der<br />

Realisierung der Wehrgeschichtlichen Lehrsammlung (WGLS); 2010 Truppenpraktikum in der 5. / OSLw; 2011 Forschungspraktikum zur Master-Thesis<br />

in der 9. / OSLw, Fachgruppe Flugsicherheit; 2011 Auslandstrimester am Royal Military College of Canada; 2012 Praktikum bei Kommando Strategische<br />

Aufklärung und BMVg; 2012 Praktikum bei LGA / OSLw zur Betreuung internationaler Lehrgangsteilnehmer während des International Junior Officer<br />

Leadership Development Course.<br />

Oberstleutnant Dr. Heiner Möllers, Jahrgang 1965, verheiratet, drei Kinder.<br />

1984 – 1987 Offizieranwärter in Artilleriebataillonen in Dülmen / Westfalen; 1987 – 1992 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaften<br />

Geographie und Rechtswissenschaften in Münster / Westfalen und Freiburg / Breisgau; Promotionsstipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung. 1995<br />

Promotion mit der Arbeit „Reichswehrminister Otto Geßler“; 1996 Einstellung in die Luftwaffe und bis 2000 Dozent Militärgeschichte an der Offizierschule<br />

der Luftwaffe; 2000 – 2008 Dezernent für Historische und Politische Bildung, Tradition und museales Sammlungswesen in der Luftwaffe im Luftwaffenamt,<br />

Köln-Wahn; seit 2008 Projektleiter Bundeswehrgeschichte im Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Potsdam. Gemeinsam mit Eberhard Birk und<br />

Wolfgang Schmidt Herausgeber der „Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe“ im Auftrag der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V.<br />

Ausgewählte Veröffentlichungen:<br />

Die Luftwaffe zwischen Politik und Technik, Berlin 2012 (= Schriften zur Geschichte der deutschen Luftwaffe, Band 2); Tradition und Traditionsverständnis<br />

in der deutschen Luftwaffe. Geschichte – Gegenwart – Perspektiven. Herausgegeben im Auftrag des MGFA, Potsdam 2012 (= Potsdamer Schriften zur<br />

Militärgeschichte, Band 16); Die Luftwaffe in der Moderne, Essen 2011 (= Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe, Band 1); Die politische und<br />

historische Bildung in der Luftwaffe. Bildungsanspruch und Bildungsziele, in: Oliver von Wrochem, Peter Koch (Hrsg.), Gedenkstätten des NS-Unrechts<br />

und Bundeswehr. Bestandsaufnahme und Perspektiven, Paderborn 2010, S. 131-147; Von Himmerod zum Hindukusch. 50 Jahre Luftwaffe, in: Klaus-Jürgen<br />

Bremm, Hans-Hubertus Mack, Martin Rink (Hg.), Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr (1955 bis 2005), Freiburg 2005, S. 155-182; Reichswehrminister<br />

Otto Geßler. Eine biographische Studie zu unpolitischer Militärpolitik in der Weimarer Republik (1920 – 1928). Frankfurt am Main u.a. 1998.<br />

Oberstleutnant Dr. Frank Müller, Jahrgang 1963, verheiratet, drei Kinder.<br />

Study of Physics – Meteorology; Ph-D in Meteorology; since 1991 basic research at various research facilities / institutes such as: Heinrich-Hertz-Institute,<br />

Berlin; Fraunhofer Institute for Environmental Research, Garmisch-Partenkirchen; ETH-Lausanne, Switzerland; Meteorological Institute of the University,<br />

Hamburg and Max Planck Institute for Meteorology, Hamburg.<br />

German Forces since 06 / 2006 with assignments at the GeoInformation Office (Dep. for Model Development and Numerical Weather Prediction in Traben-Trarbach;<br />

Dep. for Numerical Weather Prediction in Offenbach; Dep. for International / National Affairs in Euskirchen) and German Space Situational<br />

Awareness Centre (GSSAC), Dep. Operations – Head Space Weather since 07 / 2011.<br />

73


74<br />

AUTOREN<br />

Generalleutnant Karl Müllner, Jahrgang 1956, verheiratet, zwei Kinder.<br />

1976 Diensteintritt in die Luftwaffe als Unteroffizieranwärter in Ulmen; 1976 – 1977 Fliegerische Vorausbildung in Appen und Fürstenfeldbruck; 1978<br />

Wechsel in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes; 1979 – 1980 Offizierausbildung in Fürstenfeldbruck; 1981 – 1982 Ausbildung zum Luftfahrzeugführer<br />

F-4F in den USA; 1983 – 1989 Jagdflugzeugführer, Flug- und Waffenlehrer sowie Einsatz- und Waffenoffizier im Jagdgeschwader 74 “Mölders“;<br />

1990 – 1992 Staffelkapitän der 1. Jagdstaffel im Jagdgeschwader 74 “M“; 1992 – 1994 Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der<br />

Bundeswehr in Hamburg; 1994 – 1995 Dezernatsleiter A3a im Kommando 2. Luftwaffendivision in Birkenfeld; 1996 G2 / G3-Stabsoffizier beim Deutschen<br />

Militärischen Vertreter bei UNPROFOR und IFOR in Zagreb und Sarajewo; 1996 – 1997 Kommandeur Fliegende Gruppe Jagdgeschwader 73 „S“ in<br />

Laage (Jagdflugzeugführerstabsoffizier MiG-29); 1998 – 2000 Referent Grundlagen Militärpolitik und bilaterale Beziehungen im Bundesministerium der<br />

Verteidigung Fü S III 1 in Bonn und Berlin; 2000 – 2002 Kommodore Jagdgeschwader 74 “M“ in Neuburg / Donau; 2002 – 2003 Abteilungsleiter A3<br />

im Luftwaffenführungskommando in Köln; 2003 – 2005 Referatsleiter Grundlagen Militärpolitik und bilaterale Beziehungen im Bundesministerium der<br />

Verteidigung Fü S III 1 in Berlin; 2005 – 2007 Stellvertretender Stabsabteilungsleiter Fü S III, Militärpolitik und Rüstungskontrolle, im Bundesministerium<br />

der Verteidigung in Berlin; 2007 – 2009 Kommandeur 2. Luftwaffendivision in Birkenfeld; 2009 – 2012 Stabsabteilungsleiter Fü S III, Militärpolitik und<br />

Rüstungskontrolle, im Bundesministerium der Verteidigung in Berlin; seit 2012 Inspekteur der Luftwaffe.<br />

Ehrenzeichen:<br />

Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold, Einsatzmedaille der Bundeswehr IFOR, Offizierkreuz des Verdienstordens der Französischen Republik, Ritterkreuz<br />

des Verdienstordens der Italienischen Republik, UN-Medaille UNPROFOR, NATO-Medaille Former Yugoslavia, „Verdienstmedaille für das Bündnis“ der<br />

Republik Ungarn.<br />

Oberstleutnant Dr. Peter Andreas Popp, Jahrgang 1958.<br />

1978 / 79 Grundwehrdienst; 1979 – 1985 als Stipendiat der Bayerischen Begabtenförderung Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Augsburg;<br />

anschließend als Graduiertenstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung Promotion zum Dr. phil. (1994) über das Thema „Nationalstaat und internationale<br />

Staatenordnung in der Politik der Deutschen Zentrumspartei, 1919 – 32“; zeitgleich Mitarbeiter an den Lehrstühlen für Alte Geschichte sowie<br />

Politische Wissenschaft, daneben Tätigkeit im Bereich der Erwachsenenbildung; 1995 Wiedereintritt in die Bundeswehr (Luftwaffe); 1995 – 1998 Historikeroffizier<br />

am Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, Dresden; 1998 – 2004 Historikerstabsoffizier am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Potsdam<br />

(Funktionen: 1998-2001 Stabsoffizier Amtschef MGFA; 2001-2004 Bereichsleiter MGFA AIF III [= „Anfragenabteilung“]); seit 2004 Lehrstabsoffizier<br />

für „Militärgeschichte“ und „Politische Bildung“ an der Offizierschule der Luftwaffe (Fürstenfeldbruck). Träger der Bernhard-Weiß-Medaille des Bundes<br />

jüdischer Soldaten (2011).<br />

Ausgewählte Veröffentlichungen:<br />

Wie Friedrich „der Große“ wurde. Eine kleine Geschichte des Siebenjährigen Krieges 1756 bis 1763, hrsg. gem. mit Eberhard Birk und Thorsten Loch,<br />

Freiburg 2012; Wurzeln des Selbstverständnisses: Werte – Tugenden – Ethos, in: Eberhard Birk / Winfried Heinemann / Sven lange (Hg.), Tradition für die<br />

Bundeswehr. Neue Aspekte einer alten Debatte, Berlin 2012, S. 89-104; Deutscher Dualismus und Deutsche Frage im 18. und 19. Jahrhundert, in: Wie die<br />

Siegessäule nach Berlin kam. Eine kleine Geschichte der Reichseinigungskriege 1864 bis 1871, hrsg. von Thorsten Loch und Lars Zacharias, Freiburg<br />

i.Br. 2011, S. 17-24; Historisch-politische Bildung in der Bundeswehr im Spannungsfeld von Politik und <strong>Gesellschaft</strong> zwei Jahrzehnte nach 1989 / 90, in:<br />

<strong>Gneisenau</strong> Blätter 10 (2011), S. 24-33; Das Wichtigste im Leben ist die Freiheit. Dankesrede anlässlich der Verleihung der Bernhard-Weiß-Medaille [am 15.<br />

September 2011 in Köln], in: <strong>Gneisenau</strong> Blätter 10 (2011), S. 70-74; Die Paulskirchenverfassung als Vorbild für das Grundgesetz? (1848 / 49 – 1948 / 49),<br />

in: Politik und Verfassung im zeithistorischen Kontext (= ARMIS ET LITTERIS, Bd. 23), Wien 2009, S. 47-71.


Brigadegeneral Bernhardt Schlaak, Jahrgang 1959, verheiratet, drei Kinder.<br />

1980 Eintritt in die Luftwaffe als Offizieranwärter im 7. / LAR 3 in Roth bei Nürnberg; 1980 – 1981 Offizierlehrgang an der Offizierschule der Luftwaffe in<br />

Fürstenfeldbruck; 1981 – 1985 Studium der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr in Hamburg mit Abschluss<br />

Dipl.-Kfm.; 1985 – 1986 Lehrgang Flugabwehrraketenoffizier HAWK an der Raketenschule der Luftwaffe in El Paso, USA; 1986 – 1988 Feuerleitoffizier<br />

HAWK und Zugführer in der 2. / FlaRakBtl 37 in Bremervörde; 1988 – 1990 Einsatzoffizier und stv. Staffelchef 1. / FlaRakBtl 37 in Cuxhaven; 1990 – 1993<br />

Staffelchef Stabsstaffel FlaRakGrp 36 in Bremervörde (dabei: 1991 Staffelchef des Teileinsatzkontingentes Stab FlaRak HAWK der Mobilen Eingreiftruppe<br />

der NATO in der Süd-Ost Türkei im Rahmen des Irak / Kuwait Konfliktes); 1993 – 1995 Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der<br />

Bundeswehr 38. Generalstabslehrgang Luftwaffe in Hamburg; 1995 – 1997 Dezernatsleiter Einsatz fliegende und bodengebundene Waffensysteme im<br />

Kommando 4. Luftwaffendivision A 3 b in Aurich; 1997 Lehrgang Europäische Sicherheitspolitik am Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf, Schweiz; 1997<br />

– 2000 Referent im Stab Deutscher Militärischer Vertreter im Militärausschuss der NATO und WEU und Deutscher Sprecher im NATO Ausschuss zur Standardisierung<br />

von Luftwaffenbelangen in Brüssel, Belgien; 2000 – 2001 Grundsatzreferent und stv. Referatsleiter internationale Zusammenarbeit Luftwaffe<br />

NATO, EU und WEU im Bundesministerium der Verteidigung, Fü L III 2 in Bonn; 2001 – 2002 Adjutant des Stellvertreters des Inspekteurs der Luftwaffe<br />

im Bundesministerium der Verteidigung, Fü L in Bonn; 2002 – 2004 Adjutant -Luftwaffe- des Generalinspekteurs der Bundeswehr im Bundesministerium<br />

der Verteidigung, Fü S in Berlin; 2004 – 2006 Gruppenleiter Luftverteidigungsverbund und Einsatz bodengebundene Systeme Luftwaffe und Objektschutz<br />

im Luftwaffenführungskommando, A 5 II in Köln; 2007 – 2008 Kommodore Flugabwehrraketengeschwader 1 „S-H“ in Husum; 2008 – 2012 Referatsleiter<br />

Führung und Einsatz bodengebundener Kräfte und Mittel Luftwaffe, BMVg Fü L III 6, Bonn; seit 04.04.2012 Kommandeur Offizierschule der Luftwaffe.<br />

Oberstleutnant Thomas Schmitz M.A., Jahrgang 1970, verheiratet, drei Kinder.<br />

1990 Eintritt in die Bundeswehr und Ausbildung zum Offizier der Luftwaffe; 1991 – 1995 Studium der Geschichtswissenschaften und der Sozialwissenschaften<br />

an der Universität der Bundeswehr in Hamburg; 1995 – 197 Zugführer in der Luftwaffensicherungsstaffel KR / S im JaboG 31 „Boelcke“ in Nörvenich<br />

und ABC / Se-Offizier des JaboG 31 „Boelcke“; 1997 – 1998 Training Officer in der Security Squadron im NATO E-3A-Verband in Geilenkirchen; 1998<br />

– 2000 als AusbOffz im Luftwaffenamt in Köln zuständig für die lehrgangsgebundene Ausbildung ABC / Se und Bewachung; 2000 – 2001 Staffelchef<br />

Luftwaffensicherungsstaffel Büchel beim JaboG 33 in Cochem; 2002 – 2005 Lageoffizier und Analyst für Afghanistan, Südostasien und Subsahara am<br />

Zentrum für Nachrichtenwesen in Grafschaft, dabei zwei Einsätze als Legeoffizier in der German National Intelligence Cell beim HQ ISAF; 2005 – 2008<br />

Stabsoffizier Planung J2 beim NATO Joint Headquarter in Oeiras / Portugal; 2008 – 2012 Historikerstabsoffizier im Luftwaffenamt; seit Oktober 2012 Historikerstabsoffizier<br />

und Referent für Militärgeschichte, Tradition und Innere Führung beim Kommando Luftwaffe – A 3 I c in Köln.<br />

Horst Steinberg, Jahrgang 1944, verheiratet, zwei Kinder.<br />

1964 – 1967 Maschinenbaustudium an der Fachhochschule in München mit Fachrichtung Flugzeugbau, Abschluss als Dipl. Ing. (FH); 1967 – 1968<br />

Entwicklungsring Süd (später MBB), Entwicklungsingenieur; 1970 – 1971 Berufsbegleitende Ausbildung zum Berufspiloten Kl. II mit Instrumentenflugberechtigung;<br />

1968 – 1974 Wehrübungen bei der Luftwaffe (OLt d. R); 1968 – 1988 Dornier Werke München (Bereich Marketing, Vertrieb, Kundendienst und<br />

Luftfahrtprojekte, Vertriebsassistent, Vertriebsleiter, Bereichsleiter); 1989 – 1992 DASA-Dornier Aviation North America Inc. und Dornier Aviation Marketing<br />

Services Inc., Washington / USA (Geschäftsführer); 1992 – 1996 DASA-Fokker Aircraft BV, Amsterdam, Holland (Geschäftsbereich Marketing und Vertrieb;<br />

Bereichsleiter); seit 1996 HMS Management GmbH, Landsberg (Eigentümer und Geschäftsführer); 1998 – 2000 Rational North America Inc., Chicago,<br />

USA (Geschäftsführer); 2003 – 2007 RUAG Aerospace Services, Oberpfaffenhofen; Geschäftsführer; RUAG Aerospace Deutschland, Oberpfaffenhofen<br />

(Vorsitzender der Geschäftsführung); 2009 – 2011 Partner STTS Germany GmbH Hamburg; heute: Beirat Philotech GmbH, München; Aufsichtsrat RUAG<br />

Aviation Services GmbH, München; Vorstand bavAIRia e.V. Cluster Aerospace, München.<br />

75


BISHER ERSCHIENENE BÄNDE DER GNEISENAU BLÄTTER<br />

Band 1<br />

Die humanitäre Intervention als ultima ratio zur Beendigung<br />

oder Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen<br />

2001<br />

mit Beiträgen von:<br />

Peter Fonk, Otfried Höffe, Hans Küng, Claire Marienfeld-Czesla,<br />

Dagmar Schipanski und Rupert Scholz<br />

Band 2<br />

Aspekte einer europäischen Identität<br />

2004<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Markus Ferber, Walter Kolbow, Lothar Rühl,<br />

Theo Stammen, Agata Szyszko und Theo Waigel<br />

Band 3<br />

Militärische Tradition<br />

2004<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Heinz Marzi, Harald Potempa,<br />

Karl H. Schreiner, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg<br />

und John Zimmermann<br />

Band 4<br />

Revolution – Reform – Transformation<br />

2006<br />

mit Beiträgen von:<br />

Oliver Becker, Eberhard Birk, Karl Feldmeyer, Johann Heitzmann,<br />

Walter Mixa, August Pradetto, Wolfgang Schneiderhan,<br />

Karl H. Schreiner, Theo Stammen und Klaus-Peter Stieglitz<br />

77


78<br />

BISHER ERSCHIENENE BÄNDE DER GNEISENAU BLÄTTER<br />

Band 5<br />

Erziehung und Streitkräfte<br />

2007<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Angelika Dörfler-Dierken, Thomas Goppel, Winfried Gräber,<br />

Margot Käßmann, Karl Lehmann, Hans-Hubertus Mack, Eva Matthes,<br />

Ulrike Merten und René Ségur-Cabanac<br />

Band 6<br />

Einsatzarmee und Innere Führung<br />

2007<br />

mit Beiträgen von:<br />

Robert Bergmann, Eberhard Birk, Bernhard Chiari, Peter Dreist, Loretana de Libero,<br />

Franz Josef Jung, Peter Krug, Reinhold Robbe, Wolfgang Schneiderhan und Javier Solana<br />

Band 7<br />

Militärisches Sebstverständnis<br />

2008<br />

mit Beiträgen von:<br />

Alois Bach, Oliver Becker, Eberhard Birk, Jochen Bohn, Hans-Otto Budde,<br />

Loretana de Libero, Hans-Hubertus Mack, Wolfgang E. Nolting, Christian Schmidt,<br />

Wolfgang Schneiderhan, Karl H. Schreiner, Heinrich-Wilhelm Steiner,<br />

Klaus-Peter Stieglitz, Maren Tomforde und Karl von Wogau<br />

Band 8<br />

Soldat und digitales Schlachtfeld<br />

2009<br />

mit Beiträgen von:<br />

Axel Binder, Eberhard Birk, Klaus Habersetzer, Aarne Kreuzinger-Janik,<br />

Herfried Münkler, Wolfgang Richter, Harald Schaub und Gerhard Schempp


BISHER ERSCHIENENE BÄNDE DER GNEISENAU BLÄTTER<br />

Band 9<br />

Technik – Innovation – Strategie<br />

2010<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Antulio J. Echevarria II., Th omas Enders, Friedrich Korkisch,<br />

Aarne Kreuzinger-Janik, Wolfgang Peischel, Hans-Gert Pöttering, Lothar Rühl,<br />

Karlheinz Viereck und Johann-Dietrich Wörner<br />

Band 10<br />

Militärgeschichte in der Bundeswehr<br />

2011<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Th orsten Diedrich, Michael Gutbier, Winfried Heinemann,<br />

Martin Hofbauer, Dieter Kollmer, Th orsten Loch, Rufi n Mellentin,<br />

Andreas Mückusch, Peter Popp und Lars Zacharias<br />

79


DIE GNEISENAU-GESELLSCHAFT<br />

<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />

Zweck der <strong>Gesellschaft</strong><br />

Die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur,<br />

Völkerverständigung, des Sports, die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens<br />

der Bundesrepublik Deutschland sowie Maßnahmen der Soldaten- und Reservistenbetreuung.<br />

Verwirklichung durch:<br />

− Förderung des Dialoges zwischen Industrie und Luftwaffe<br />

− Organisation und Durchführung wissenschaftlicher Vorträge und Vortragsreihen im Rahmen der<br />

(sicherheits-) politischen Bildung und ihre Dokumentation für die Öffentlichkeit/Allgemeinheit<br />

− Herausgabe einer wissenschaftlichen Schriftenreihe und eigenen Publikationen in Form der<br />

„<strong>Gneisenau</strong> Blätter“<br />

− Organisation und Durchführung von Informations- u. Vortragsveranstaltungen zur Förderung<br />

von Wissenschaft und Forschung<br />

− Einrichtung von Wettbewerben und Vergabe von Preisen im Bereich von Wissenschaft und<br />

Forschung, Kunst und Kultur, mit Organisationen, Schulen und Vereinen der Region<br />

− Förderung des Sports durch entsprechende sportliche Veranstaltungen mit Organisationen,<br />

Schulen und Vereinen der Stadt und des Landkreises Fürstenfeldbruck sowie europäischen<br />

Luftwaffenakademien<br />

− Unterstützung internationaler Beziehungen und Austauschprogramme der Offizierschule der<br />

Luftwaffe (OSLw) auf kulturellem und sportlichem Gebiet<br />

− Förderung der Begegnung zwischen Deutschen und Ausländern<br />

− Förderung des Natur- u. Landschaftsschutzes durch aktive Teilnahme oder sonstige<br />

Unterstützung von Umweltschutz- u. Umweltaktionstagen<br />

Gründe für Ihre Mitgliedschaft<br />

Die <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> der OSLw lebt wie jeder andere Verein von der Unterstützung seiner<br />

Mitglieder. Unser gemeinnütziger Verein bietet:<br />

− Sie treffen hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Militär.<br />

− Sie treffen und fördern zukünftige Entscheidungsträger der Luftwaffe sowie befreundeter<br />

Streitkräfte.<br />

− Sie erhalten Zutritt zu interessanten Veranstaltungen und Diskussionen.<br />

− Sie fördern den Leistungswillen der Jugend durch die Vergabe von Bestpreisen, Ausrichtung<br />

von Wettbewerben und Unterstützung von Sportveranstaltungen.<br />

Werden Sie Mitglied und unterstützen Sie uns. Kontaktieren Sie uns direkt oder über die Internetseite.<br />

Sparkasse Fürstenfeldbruck | Konto-Nr. 1340603 | BLZ 700 530 70<br />

Präsident:<br />

Brigadegeneral Bernhardt Schlaak<br />

Offizierschule der Luftwaffe<br />

Kommandeur<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel. 08141-5360-1000<br />

Fax 08141-5360-2920<br />

oslwkommandeur@bundeswehr.org<br />

1. Vorsitzender:<br />

Horst Steinberg<br />

Geschäftsführer<br />

HMS management GmbH<br />

Adlerstraße 11<br />

86899 Landsberg am Lech<br />

Tel. 08191 941391<br />

Fax 08191 941392<br />

hs@hmsgroup.de<br />

www.<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />

post@<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />

81


Herausgeber: <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> zur Förderung<br />

der Offizierschule der Luftwaffe e.V.<br />

im Auftrag des Vorstands<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

Adresse: Offizierschule der Luftwaffe<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel.: 08141 5360-1000<br />

Fax: 08141 5360-2920<br />

© <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />

Produktion: 2G media GmbH<br />

Marktplatz 3<br />

85625 Glonn<br />

Tel.: 08093 3473<br />

Fax: 08093 3475<br />

post@2gmedia.de<br />

82<br />

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