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Militärisches<br />

Selbstverständnis<br />

mit Beiträgen von:<br />

Alois Bach, Oliver Becker, Eberhard Birk, Jochen Bohn,<br />

Hans-Otto Budde, Loretana de Libero, Hans-Hubertus Mack,<br />

Wolfgang E. Nolting, Christian Schmidt, Wolfgang Schneiderhan,<br />

Karl H. Schreiner, Heinrich-Wilhelm Steiner, Klaus-Peter Stieglitz,<br />

Maren Tomforde und Karl von Wogau


Motto<br />

„Die Grundsätze der Inneren Führung bilden die Grundlage für den militärischen Dienst in der Bundeswehr<br />

und bestimmen das Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten.“<br />

(Pkt. 101 der neuen ZDv 10/1 vom 28. Januar 2008:<br />

‚Innere Führung. Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr“)<br />

„Innere Führung ist Grundlage für verantwortungsbewusstes Führen und Entscheiden.“<br />

(Pkt. 107 der ZDv 10/1)<br />

„Ich erwarte daher, dass sich jeder Angehörige der Bundeswehr mit den Inhalten der Inneren Führung<br />

auseinander setzt und sie aus innerer Überzeugung mit Leben füllt.“<br />

„Gelebte Innere Führung setzt voraus, dass wir wissen, woher wir kommen. Wir brauchen ein gefestigtes<br />

Traditionsbewusstsein auf der Grundlage unserer freiheitlichen und demokratischen Überzeugung.“<br />

(Tagesbefehl des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, vom 28. Januar 2008 anlässlich<br />

der Herausgabe der neuen ZDv 10/1)<br />

5


Inhalt<br />

Seite<br />

Grußwort des Präsidenten 8<br />

Brigadegeneral Klaus Habersetzer<br />

Vorwort des 1. Vorsitzenden 9<br />

Horst Steinberg<br />

Das Selbstverständnis des Soldaten der Einsatzarmee 10<br />

Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt<br />

Von <strong>Gneisenau</strong> über Baudissin nach Kabul – Innere Führung als Konstante im Wandel? 15<br />

General Wolfgang Schneiderhan<br />

Der Offizierberuf in der Luftwaffe – Neue Chancen und sich ändernde Anforderungen 20<br />

Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz<br />

Das militärische Selbstverständnis des Deutschen Heeres 29<br />

Generalleutnant Hans-Otto Budde<br />

Das Selbstverständnis der Deutschen Marine 35<br />

Vizeadmiral Wolfgang E. Nolting<br />

Die Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik 38<br />

Karl von Wogau, MdEP<br />

Innere Führung – das europäische Potential einer nationalen Führungsphilosophie 42<br />

Brigadegeneral Alois Bach<br />

Innere Führung braucht Führung 48<br />

Brigadegeneral Heinrich-Wilhelm Steiner<br />

Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr 55<br />

Brigadegeneral Karl H. Schreiner<br />

Vorüberlegungen zu einer berufsethischen Ausbildung in den Streitkräften 65<br />

Dr. Jochen Bohn<br />

Feldlagerkulturen als gelebte Innere Führung in multinationalen Einsatzszenarien 70<br />

Dr. Maren Tomforde<br />

Einsatzarmee und Erinnerung. Bemerkungen zu Gedenkkulturen in der Bundeswehr 76<br />

Prof. Dr. Loretana de Libero<br />

Architekturhistorische Anmerkungen zum Ehrenmal der Luftwaffe 80<br />

und Luftfahrt in Fürstenfeldbruck<br />

Oliver Becker M.A.<br />

Prolegomena für ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten 87<br />

Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack<br />

Von der preußischen Heeresreform zum europäischen Selbstverständnis? 98<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

Autoren 113<br />

Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter 120<br />

Die <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> 122<br />

Impressum 123


Grußwort des Präsidenten<br />

Text:<br />

Brigadegeneral Klaus Habersetzer<br />

in meiner Funktion als Kommandeur der Offizierschule<br />

der Luftwaffe und neuer Präsident der „<strong>Gneisenau</strong> – <strong>Gesellschaft</strong>“<br />

ist es mir ein besonderes Anliegen, dass insbesondere<br />

die Offizieranwärterinnen und -anwärter bereits<br />

zu Beginn ihrer Berufsausbildung ein wertebezogenes<br />

Fundament sowie ein Politik- und Geschichtsverständnis<br />

vermittelt bekommen, um den komplexen Herausforderungen<br />

von Gegenwart und Zukunft begegnen zu können.<br />

Eine fundierte historisch-politische Bildung sowie eine<br />

wertegebundene Erziehung bilden zusammen mit der<br />

militärischen Ausbildung – insbesondere im Hinblick<br />

auf den Einsatz – eine wechselseitig verschränkte und<br />

untrennbare Einheit. Neben der unverzichtbaren militärisch-handwerklichen<br />

Souveränität müssen alle Soldatinnen<br />

und Soldaten der Bundeswehr über ein stabiles und<br />

ausgeprägtes militärisches Selbstverständnis verfügen.<br />

Dieser für unseren Soldatenberuf zentralen Thematik<br />

nimmt sich der vorliegende Band 7 der neuen <strong>Gneisenau</strong><br />

Blätter an. Damit entwickeln wir die rote Linie der<br />

bisherigen Bände zu den Themengebieten „Humanitäre<br />

Intervention“ (Bd. 1; 2001), „Aspekte einer europäischen<br />

Identität“ (Bd. 2; 2004), „Militärische Tradition“ (Bd. 3;<br />

2004), „Revolution – Reform – Transformation“ (Bd. 4;<br />

2006), „Erziehung und Streitkräfte“ (Bd. 5; 2007) sowie<br />

„Einsatzarmee und Innere Führung“ (Bd. 6; 2007) konsequent<br />

weiter.<br />

Besonders freue ich mich, dass neben dem Parlamentarischen<br />

Staatssekretär Christian Schmidt (MdB) und dem<br />

Vorsitzenden des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung<br />

des Europäischen Parlamentes, Karl von Wogau<br />

(MdEP), der Generalinspekteur der Bundeswehr, General<br />

Wolfgang Schneiderhan, der Inspekteur der Luftwaffe<br />

Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz, der Inspekteur des<br />

Heeres Generalleutnant Hans-Otto Budde und der Inspekteur<br />

der Marine Vizeadmiral Wolfgang E. Nolting den<br />

virtuellen round-table der <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> bereichern.<br />

Deren grundsätzlichen Ausführungen finden ihre Ergänzung<br />

in konzeptionellen Überlegungen von in zentralen<br />

Bundeswehr-(Aus-)Bildungseinrichtung Verantwortung<br />

tragenden Militärs sowie wissenschaftlichen Studien von<br />

ausgewiesenen Kennern ihrer jeweiligen Materie.<br />

Wir sind sicher, dass die vielfältigen Perspektiven einen<br />

profunden und facettenreichen Beitrag zur gedanklichen<br />

Auseinandersetzung zum Thema „Militärisches Selbstverständnis“<br />

darstellen.<br />

Ich lade Sie herzlich zur Lektüre und Diskussion ein.<br />

Klaus Habersetzer<br />

Brigadegeneral<br />

Klaus Habersetzer<br />

Präsident der <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />

8


Vorwort des 1. Vorsitzenden<br />

Text:<br />

Horst Steinberg<br />

Liebe Leserinnen und Leser!<br />

In Händen halten Sie die 7. Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter.<br />

Ein „Glanzstück“, wie mir ein Insider zu dem Thema<br />

„Militärisches Selbstverständnis“ anvertraute. Die Breite<br />

und Tiefe, in der namhafte Autoren das Thema beleuchten,<br />

kommentieren und behandeln ist beeindruckend und<br />

die Aktualität des Themas wird mit jedem Beitrag unterstrichen.<br />

Es geht um die Bewahrung der im Grundgesetz festgeschriebenen<br />

Werteordnung, eine Aufgabe die jedes Mitglied<br />

der Gemeinschaft hat, sich in der Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik Deutschlands widerspiegelt und zu<br />

einem guten Teil auch von den Streitkräften, dem Militär,<br />

getragen werden muss.<br />

Wie in jeder Organisation geht es auch bei unserer Bundeswehr<br />

um Menschen, die für ihre Aufgaben bestens vorbereitet<br />

und ausgebildet werden, die führen und geführt<br />

werden und das innerhalb einer Ordnung und einem Reglement<br />

auf Basis der Verantwortung für unsere Gemeinschaft.<br />

Mit dem Fundus ihrer Erfahrung, eigenem Erlebten, aus<br />

ihrer Position und Ihrer Verantwortung heraus, vermitteln<br />

und begründen uns die Autoren Ihre Gedanken, Ihre<br />

Sicht und die Notwendigkeit des „Militärischen Selbstverständnisses“<br />

als Parlamentarier, Militärische Führer, Philosophen,<br />

Historiker und Bürger.<br />

Die <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> steht als Bindeglied zwischen<br />

Militär, Wirtschaft und den jungen Menschen, die das<br />

militärische Selbstverständnis lernen, leben und lehren.<br />

Und erlauben sie mir, wenn ich in diesem Zusammenhang<br />

auf die Bedeutung der Aufgabe der Offizierschule<br />

der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck hinweise. Hier beginnt<br />

die Ausbildung der späteren Führungskräfte, Spezialisten,<br />

militärischen Vorgesetzten/Manager und Werteträger.<br />

Bürger, die unserer demokratischen <strong>Gesellschaft</strong> auch<br />

nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr in Wirt<br />

schaft, Gemeinwesen, Bildung, Forschung und Industrie<br />

erhalten bleiben.<br />

Jeder einzelne von Ihnen kann uns bei diesem Dialog<br />

helfen. Werden sie Mitglied der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

Informationen erhalten Sie auf unserer Webseite<br />

www.gneisenau-gesellschaft.de.<br />

Ich möchte Ihnen nun die 7. Auflage der <strong>Gneisenau</strong> Blätter<br />

präsentieren und allen Autoren für ihren Beitrag zu<br />

diesem „Glanzstück“ danken. Besonders danke ich Herrn<br />

Dr. Birk, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Offizierschule<br />

der Luftwaffe und Mitgründer der <strong>Gesellschaft</strong>, der die<br />

Schriften ins Leben gerufen und so hervorragend etabliert<br />

hat. Auch diese 7. Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter wird<br />

über unsere Webseite veröffentlicht und somit an interessierte<br />

Leser weitergegeben werden.<br />

Mit den besten Grüßen<br />

Ihr<br />

Horst Steinberg<br />

(1. Vorsitzender)<br />

Horst Steinberg<br />

9


Das Selbstverständnis des Soldaten der Einsatzarmee<br />

Text:<br />

Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt<br />

Die Bundeswehr als Instrument einer umfassend angelegten<br />

und vorausschauenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

ist faktisch eine Armee im Einsatz. Einerseits<br />

listet der Auftrag der Bundeswehr nüchtern die strategische<br />

Dimension auf: die außenpolitische Handlungsfähigkeit<br />

der Bundesrepublik Deutschland zu sichern, einen<br />

Beitrag zur Stabilität im europäischen und globalen Rahmen<br />

zu leisten, für nationale Sicherheit und Verteidigung<br />

zu sorgen, zur Verteidigung der Verbündeten beizutragen<br />

und multinationale Zusammenarbeit und Integration zu<br />

fördern. Andererseits beweisen die Nachrichten und Bilder<br />

der vergangenen Monate, Wochen und Tage in einer<br />

zwingenden Eindringlichkeit, dass unsere Soldatinnen und<br />

Soldaten ganz konkret in Extremsituationen den Auftrag<br />

der Bundeswehr vor Ort umsetzen. Sie setzen dafür nicht<br />

nur Dienstzeit, Engagement und Können ein, sie setzen<br />

sich darüber hinaus auch Anfeindungen, Entbehrungen<br />

und persönlichen Angriffen auf Leib und Leben aus.<br />

Mental beginnt der Einsatz für die Betroffenen nicht nur<br />

wesentlich früher als der Abflugtermin, er dauert auch<br />

wesentlich länger als das sogenannte Kontingent. Daher<br />

ist die Bundeswehr „menschlich“ mit deutlich mehr<br />

Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, als die jeweils aktuellen<br />

Stärken der Einsatzkontingente erkennen lassen.<br />

Und noch viel mehr: Der größte Zeitanteil des täglichen<br />

Dienstes im Standort, auf dem Übungsplatz oder im internationalen<br />

Stab dient ausschließlich dem Zwecke der<br />

Einsatzbereitschaft und der Durchhaltefähigkeit der Truppe<br />

im Einsatz.<br />

Von der Armee im Einsatz zu sprechen, ist folglich in vollem<br />

Umfang berechtigt. Dass die Auslandseinsätze zum<br />

bestimmenden Merkmal des Alltags der Bundeswehr geworden<br />

sind und deren Struktur prägen, ist deshalb logische<br />

Konsequenz.<br />

Angesichts dieser Tatsache wäre es verwunderlich, wenn<br />

sich das Selbstverständnis unserer Soldatinnen und Soldaten<br />

nicht an der Einsatzrealität ausrichtete, sondern einem<br />

Berufsbild des Kalten Krieges verhaftet bliebe, das von<br />

diesen tiefgreifenden Entwicklungen nicht berührt war.<br />

Wie ich die einzelnen Aspekte dieses neuen soldatischen<br />

Christian Schmidt<br />

Selbstverständnisses zum einen bereits als Wirklichkeit<br />

erlebe und zum anderen als Notwendigkeit noch fordere,<br />

will ich im folgenden darstellen. Ich beginne als Conditio<br />

sine qua non bei den Grundvoraussetzungen des soldatischen<br />

Selbstverständnisses in der Bundeswehr.<br />

Die Werteordnung des Grundgesetzes sowie die Verpflichtung,<br />

diese Werte zu bewahren und nach ihnen<br />

zu handeln, sind Ausgangspunkt aller Überlegungen zur<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands.<br />

Die Bundeswehr ist fest im Rechtsstaat verankert und<br />

dem Primat der Politik verpflichtet. Sie ist mit ihrem Verfassungsauftrag<br />

wie alle anderen Staatsorgane an Recht<br />

und Gesetz gebunden. Denken und Handeln der deutschen<br />

Soldatinnen und Soldaten ist von diesem Auftrag<br />

bestimmt und mit den grundlegenden Prinzipien unserer<br />

freiheitlichen demokratischen Grundordnung untrennbar<br />

verbunden. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.<br />

Auf der Basis der verfassungsrechtlichen Vorgaben hat<br />

die Bundeswehr den Auftrag, zur politischen Handlungsfreiheit<br />

und Bündnisfähigkeit Deutschlands beizutragen.<br />

Sie leistet diesen Beitrag als wesentliche Komponente<br />

neben weiteren Elementen des sicherheitspolitischen<br />

Instrumentariums unseres Landes.<br />

Unter den Bedingungen zunehmender internationaler<br />

Verflechtungen und Verpflichtungen gilt es, neben der<br />

10


Verantwortung für das eigene Land Mitverantwortung<br />

für die Freiheit, den Frieden und das Wohlergehen anderer<br />

Völker und Staaten zu übernehmen. Das Eintreten<br />

für Freiheit und Menschenwürde macht daher nicht an<br />

den Grenzen Deutschlands halt. Denn es erfordert ebenso<br />

unseren Beitrag zur internationalen Konfliktverhütung<br />

und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen<br />

den internationalen Terrorismus, der Unterstützung von<br />

Bündnispartnern sowie Partnerschaft und Kooperation.<br />

Nicht zuletzt auf diese Weise tragen wir zum Schutz<br />

Deutschlands und seiner Bevölkerung umfassend bei.<br />

Hierauf stellen sich die Soldatinnen und Soldaten der<br />

Bundeswehr ein, ganz persönlich die politische und militärische<br />

Notwendigkeit eines Einsatzes für sich anzunehmen<br />

und mit aller Kraft dafür einzustehen. Von entscheidender<br />

Bedeutung ist folglich der auf die Bundeswehr in<br />

Form eines Einsatzmandats übertragene, klar zu erkennende<br />

politische Wille, der durch einen parlamentarischen<br />

Mehrheitsbeschluss legitimiert ist und von der deutschen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> und Bevölkerung möglichst geschlossen<br />

mitgetragen werden sollte. Nach diesem Verständnis gehört<br />

der Einsatz von Streitkräften zu einer Politik, die<br />

vor allem auf Krisenvorsorge, Konfliktbewältigung und<br />

dauerhafte Stabilität zielen muss. Das sind wir unseren<br />

Soldatinnen und Soldaten schuldig, denen wir Opfer abverlangen,<br />

wie sie von kaum einer anderen Berufsgruppe<br />

gefordert werden.<br />

Die Legitimation und Sinnhaftigkeit der Auslandseinsätze<br />

müssen daher der eigenen <strong>Gesellschaft</strong> und der Bevölkerung<br />

noch stärker und überzeugender vermittelt werden.<br />

Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen die Gewissheit<br />

haben, dass die <strong>Gesellschaft</strong> hinter ihnen steht und sie in<br />

schwierigen und gefährlichen Einsätzen auch nachhaltig<br />

unterstützt. Die breite Zustimmung des Deutschen<br />

Bundestages zu den Einsätzen der Bundeswehr zeigt die<br />

Verbundenheit der Politik sowie damit auch weiter Teile<br />

unserer Bevölkerung mit den Soldatinnen und Soldaten<br />

und gibt ihnen den notwendigen Rückhalt.<br />

Der rechtliche und politische Rahmen ist somit unmissverständlich<br />

vorgegeben und einzuhalten. Er symbolisiert<br />

sich für die Soldatinnen und Soldaten im Leitbild vom<br />

„Staatsbürger in Uniform“. Das Handeln in der Bundeswehr<br />

im Einsatz wie daheim lässt sich zu jedem Zeitpunkt<br />

an diesem Leitbild messen – so anstrengend und aufwändig<br />

diese Verpflichtung im Einzelfall auch ist. „Staatsbürger<br />

in Uniform“ ist eine Selbstverständlichkeit in den<br />

Streitkräften, aber auch steter Anspruch an alle Angehörigen<br />

der Bundeswehr, an diese Selbstverständlichkeit zu<br />

erinnern und sie bewusst zu machen.<br />

Das oben aufgeführte komplexe Auftrags- und Aufgabenspektrum<br />

der Bundeswehr lässt sich heute mit beinahe allen<br />

Facetten in der Einsatzrealität wiederfinden.<br />

Es geht schon lange nicht mehr ausschließlich um mögliche<br />

Abwehrschlachten mechanisierter Großverbände auf<br />

deutschem Boden und die Fokussierung auf einen wohldefinierten,<br />

in klassischer Gefechtsgliederung antretenden<br />

Gegner. Vielmehr sind wir einer globalen und oft auch<br />

asymmetrischen Bedrohung ausgesetzt. Hochtechnisierte<br />

Industriestaaten mit ihren weit entwickelten Zivilisationen<br />

und empfindlichen <strong>Gesellschaft</strong>en sind eben auch<br />

sehr verwundbar – gerade durch terroristische (Einzel-)<br />

Gegner, die zu allem entschlossen sind, über die nötigen<br />

Mittel verfügen und um die Wirkung ihrer terroristischen<br />

Handlungen auf die Betroffenheit der für sie „feindlichen<br />

<strong>Gesellschaft</strong>“ wissen. Der Einsatz der Bundeswehr im<br />

Kontext eines umfassenden Verständnisses von Sicherheit<br />

sieht daher eine deutlich stärkere Vernetzung von militärischen<br />

und zivilen Strategien vor. Streitkräfte können<br />

und sollen im Sinne der vernetzten Sicherheit nicht allein<br />

agieren. Sie arbeiten zunehmend mit anderen Ressorts,<br />

internationalen Organisationen sowie Regierungs- und<br />

Nichtregierungsorganisationen zusammen.<br />

Dieser umfassende Ansatz der vernetzten Sicherheit dient<br />

der Beherrschung der Risiken. Für die Streitkräfte bedeutet<br />

dies aber in letzter Konsequenz, dass der Einsatz auch<br />

ein Kampfeinsatz sein kann. So kann es sehr wohl nötig<br />

sein, humanitäre Hilfe in ein Krisengebiet zu bringen,<br />

das jedoch keineswegs sicher und friedlich ist. Ungleich<br />

schwieriger gestaltet sich der Einsatz, wenn vor der Schaffung<br />

funktionierender administrativer und politischer<br />

Strukturen erst das Trennen mehrerer Konfliktparteien<br />

11


Das Selbstverständnis des Soldaten der Einsatzarmee<br />

bzw. das Niederringen einer Konfliktpartei notwendig ist.<br />

Häufig sind die Einzelinteressen von örtlichen und regionalen<br />

Konfliktparteien kaum mit unseren humanitären<br />

Vorstellungen bzw. demokratischen Werten in Deckung<br />

zu bringen und verhindern eine rechtzeitige oder gar<br />

gleichbehandelnde Hilfe. Die unterschiedlichen Denkund<br />

Handlungsweisen der Akteure müssen im Sinne einer<br />

bestmöglichen, effizienten gemeinsamen Auftragserfüllung<br />

verstanden werden. Dem trägt der Ansatz der militärischen<br />

(und zivilen) Kräfte in aller Regel Rechnung;<br />

jedoch die persönliche Belastung und die Fremdheit mit<br />

den vorgegebenen Bedingungen wird für die Soldatinnen<br />

und Soldaten bleiben.<br />

Was muss unser Personal können, damit es diesen<br />

Anforderungen genügt?<br />

Grundvoraussetzung ist, dass das militärische Handwerkszeug<br />

beherrscht wird. In einer modernen, hoch technisierten<br />

Armee wie der Bundeswehr wird die militärische<br />

Leistungsfähigkeit selbstverständlich stark durch fachliches<br />

Können bestimmt. Unsere Soldatinnen und Soldaten<br />

müssen sich mit modernen Waffensystemen und komplexer<br />

Technik vertraut machen, die teilweise einem raschen<br />

Innovationsrhythmus unterliegen und nicht mehr die<br />

große Typenreinheit früherer Jahrzehnte aufweisen. Dies<br />

erfordert technisches Verständnis, Bereitschaft zum ständigen<br />

Umlernen und kreative Begeisterung für die Modularität<br />

unterschiedlichster Systeme, aber auch die Geduld<br />

und Findigkeit, mit Kompromissen zurecht zu kommen.<br />

Aber es geht noch um viel mehr:<br />

Die Soldatinnen und die Soldaten der Bundeswehr von<br />

heute haben ihre Verantwortung inmitten von Streitkräften<br />

und aus einer <strong>Gesellschaft</strong> heraus wahrzunehmen, die<br />

jeweils aus kulturell unterschiedlich geprägten Individuen<br />

bestehen. Schon von daher ist es eine Herausforderung<br />

für Führer und Geführte, mit dieser Verschiedenartigkeit<br />

umgehen zu können. Dieses sogenannte Diversity Management<br />

richtet sich jedoch nicht nur an die Angehörigen<br />

der Bundeswehr, sondern muss auch im Einsatz zur<br />

Wirkung gebracht werden. Die dortigen kulturellen Besonderheiten<br />

verlangen politisches Urteilsvermögen, ausgeprägte<br />

interkulturelle Kompetenz, Charakterstärke und<br />

diplomatisches Fingerspitzengefühl. Nur wer über diese<br />

Eigenschaften verfügt, ist in der Lage, zwischen Konfliktparteien<br />

zu vermitteln und sich mit angemessener Härte<br />

durchzusetzen. Die Vermittlung dieser Schlüsselqualifikation<br />

ist viel anspruchsvoller als die Ausbildung und Unterrichtung<br />

von Themen der politischen Bildung, die über<br />

viele Jahre inhaltlich und curricular erschlossen werden<br />

konnten.<br />

Einsatz bedeutet aber auch eine die Auseinandersetzung<br />

mit existenziellen Fragestellungen und Situationen. Verwundung<br />

und Tod oder andere Grenzerfahrungen wie<br />

Gefangenschaft und Geiselhaft sind Erfahrungen, denen<br />

sich deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht mehr entziehen<br />

können. Sie können in diesen Lagen nur noch bestehen,<br />

wenn sie die gesamte Dimension verstehen, sich<br />

als Vorgesetzte und Untergebene ihrer diesbezüglichen<br />

Verantwortung bewusst sind und ihr gesamtes Handeln<br />

danach ausrichten. Unter diesen Bedingungen behalten<br />

auch die klassischen soldatischen Tugenden einen hohen<br />

Stellenwert.<br />

Und damit sind wir im Kernbereich des soldatischen<br />

Selbstverständnisses im Einsatz angekommen. Es geht<br />

um die Frage nach den inneren Kraftquellen, die Soldatinnen<br />

und Soldaten motivieren, angesichts derartiger Situationen<br />

– „sub specie mortis“ – weiterzukämpfen und<br />

handlungsfähig zu bleiben – vor allem aber: Mensch zu<br />

bleiben.<br />

Eine wesentliche Antwort findet sich in den Grundsätzen<br />

der Inneren Führung. Sie bilden die Grundlage für den<br />

militärischen Dienst in der Bundeswehr. Sie sind Leitlinie<br />

für die Führung von Menschen und den richtigen Umgang<br />

miteinander. Innere Führung verlangt gelebte Kameradschaft,<br />

die oft das letzte Band zwischen den Soldatinnen<br />

und Soldaten im Einsatz bildet und allen Belastungen<br />

wirklich standhält. Und sie endet dort nicht, sondern<br />

erkennt auch im Gegner den Menschen und achtet den<br />

Fremden in seiner Kultur.<br />

Denn Innere Führung bindet militärische Ordnungs- und<br />

12


Funktionsprinzipien in die Werteordnung des Grundgesetzes<br />

ein und stellt so die Achtung der Menschenwürde<br />

auch unter dem für Streitkräfte notwendigen Prinzip von<br />

Befehl und Gehorsam sicher.<br />

Das bewährte Leitbild vom ‚Staatsbürger in Uniform’<br />

bietet mehr denn je unter den beschriebenen Rahmenbedingungen<br />

und abgeleiteten Anforderungen das stabile<br />

Fundament, um professionell, intellektuell und vor allem<br />

auch unter ethischen und moralischen Gesichtspunkten<br />

bestehen zu können.<br />

Die geistige Auseinandersetzung mit den Grundlagen des<br />

Soldatenberufes und die Bereitschaft, Verantwortung zu<br />

übernehmen, stehen im Zentrum des soldatischen Berufsverständnisses.<br />

Wenn Soldatinnen und Soldaten aus innerer<br />

Überzeugung für Menschenwürde, Freiheit, Frieden,<br />

Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie<br />

eintreten, erfüllen sie ihren Auftrag aus „ethischer Sicht“.<br />

Dies schließt den Einsatz des eigenen Lebens ein und verlangt<br />

letztlich auch, wenn unausweichlich, im Kampf zu<br />

töten. Das führt zu Gewissensentscheidungen, die ihre<br />

ethische Bindung in den Grundwerten finden müssen.<br />

Das ist und bleibt der sittliche Kern des soldatischen Dienens<br />

in der Bundeswehr.<br />

Auf dieser Grundlage muss der Soldat bzw. die Soldatin<br />

– ungeachtet der Zugehörigkeit zu einer Teilstreitkraft<br />

oder einem militärischen Organisationsbereich – vielfältige<br />

Merkmale, Fähigkeiten und Fertigkeiten in sich<br />

vereinigen und bereit sein, nicht vorhandene Qualifikationen<br />

durch eigene Ausbildungs- und Lernbereitschaft<br />

zu erwerben. Die Bandbreite seiner wahrzunehmenden<br />

Aufgabenstellungen – die sich im Laufe eines Werdeganges<br />

mehrfach ergänzen und abwechseln werden – reicht<br />

vom soldatischen Profil des Menschenführers, des Stabsarbeiters,<br />

des Spezialisten und des Kämpfers, über das neu<br />

dazugekommene Spektrum des Retters, Helfers, Beobachters,<br />

Beschützers und Bewahrers bis zum vermittelnden<br />

Einsatz als Schlichter und „Diplomat“, häufig auch in<br />

einem multinationalen Umfeld.<br />

Dort herrschen trotz der Rules of Engagement oftmals<br />

keine einheitlichen Standards vor, so dass er wiederum auf<br />

seine eigenen geistigen und sittlichen Grundlagen und im<br />

Grenzfall auch auf seine ganz eigene Gewissensentscheidung<br />

bauen muss. Und damit steht er letzten Endes auch<br />

dort in der persönlichen Verantwortung.<br />

Die intellektuelle Verarbeitung und ethische Rechtfertigung<br />

militärischer Gewalt als ultima ratio, die politische<br />

Legitimation und militärische Sinnhaftigkeit eines konkreten<br />

militärischen Einsatzes erfolgen in innerer Auseinandersetzung<br />

mit dem im Laufe des Soldatenlebens<br />

erworbenen Selbstverständnis. Dieses soldatische Selbstverständnis<br />

bedarf beständiger Reflexion und der Bildung<br />

eigenständiger und tragfähiger innerer Grundlagen, um<br />

bestehen zu können – vor sich selbst, vor den anderen, vor<br />

der Nachwelt und für viele auch vor ihrem Schöpfer!<br />

Es gibt aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen<br />

der Einsätze keinen Schematismus, der sich auf<br />

alle Einsätze gleichermaßen anwenden lässt. Flexibilität<br />

in Erwartung und Handeln ist vielmehr notwendig. Es<br />

gilt sie in der Ausbildung zu verankern und erlebbar zu<br />

machen. Denn bei aller Güte in der einsatzvorbereitenden<br />

Ausbildung kann kein Einsatz und kein Kontingent<br />

mit hundertprozentiger Sicherheit antizipiert werden. Das<br />

Lösen von Denkmustern und Verfahren, die zu ihrer Zeit<br />

richtig waren, bedeutet jedoch nicht, sich von bewährten<br />

Prinzipien der Inneren Führung wie Führen mit Auftrag,<br />

unteilbarer Führungsverantwortung und auch nicht von<br />

anderen bewährten soldatischen Standards zu verabschieden.<br />

Im Gegenteil, all diese müssen unter wechselnden<br />

Einsatzbedingungen mehr denn je angewandt werden.<br />

Ich will in diesem Zusammenhang näher auf die Rolle<br />

der militärischen Vorgesetzten und Führer eingehen.<br />

Hervorragendes Merkmal von Führern und damit Vorgesetzten<br />

ist es, Menschen führen zu können. Dazu gehören<br />

Ausbildung, Erziehung und zeitgemäße Menschenführung<br />

durch Partizipation und Kooperation. Dies verlangt eine<br />

positive Einstellung zum Menschen und das Führen mit<br />

Herz und Verstand, um das Vertrauen unterstellter Soldatinnen<br />

und Soldaten zu gewinnen und sie motivieren<br />

zu können. Dies verlangt Herzensbildung und einen verlässlichen<br />

inneren Kompass, der in schwierigen Entscheidungen<br />

die Richtung weist und den Menschen in seiner<br />

13


Das Selbstverständnis des Soldaten der Einsatzarmee<br />

Würde und in seiner Begrenztheit respektiert. Und es gilt<br />

insbesondere bei der Vorbereitung auf extreme Belastungen<br />

im Einsatz, wo die Pflicht zu fürsorglichem Handeln<br />

in einem ausgewogenen Verhältnis zur notwendigen Härte<br />

in Ausbildung und militärischen Auftragsdurchführung<br />

stehen muss.<br />

Vor allem der Offizierberuf ist davon geprägt, Entscheidungen<br />

in Extremsituationen und unter Zeitdruck treffen<br />

zu müssen. Hierbei steht die individuelle Leistungsfähigkeit<br />

des militärischen Führers im Vordergrund, die neben<br />

hoher physischer wie psychischer Belastbarkeit vor allem<br />

intellektuelle Schärfe und besonderes Pflichtbewusstsein<br />

erfordert. Militärischer Führer sein heißt, für Menschen<br />

Verantwortung zu tragen und verlangt den ganzen Menschen.<br />

Im Gegensatz zu den meisten zivilen Führungskräften<br />

muss der militärische Führer im äußersten Falle<br />

auch Entscheidungen über Leben und Tod verantworten.<br />

Deshalb ist die militärische Führung, insbesondere im<br />

Einsatz, eine unvergleichliche Herausforderung an Charakter,<br />

Können, Körper, Geist und Psyche. Wer Menschen<br />

führen will, muss unter all diesen Umständen überzeugen<br />

können.<br />

Führen mit Auftrag ist oberstes Führungsprinzip in den<br />

deutschen Streitkräften. Es gewährt dem nachgeordneten<br />

Führer Handlungsfreiheit bei der Durchführung; das<br />

Maß richtet sich nach der Art des zu erfüllenden Auftrags.<br />

Es setzt Initiative, Phantasie und selbständiges Handeln<br />

voraus und gelingt nur, wenn Mitdenken erwünscht und<br />

Entscheidungsfreiraum bei der Erfüllung von Aufgaben<br />

gewährleistet sind.<br />

Die Bundeswehr benötigt Führungspersönlichkeiten mit<br />

einer entwickelten sozialen und interkulturellen Kompetenz,<br />

die zum ganzheitlichen Denken befähigt. Personal,<br />

das Kommunikationsfähigkeit ebenso wie Konflikt- und<br />

Konsensfähigkeit, Motivations- und gesunde Urteilsfähigkeit<br />

entwickelt, dabei aber selber lernwillig und lernfähig ist.<br />

Die Innere Führung als Führungsphilosophie sowie ethisches<br />

Regelwerk stellt diese hohen Anforderungen an die<br />

Persönlichkeitsbildung. Sie will das Werte- und Rechtsbewusstsein<br />

als prägenden Wesenskern des soldatischen<br />

Selbstverständnisses entwickeln und will überzeugend<br />

vorgelebt werden. Insbesondere das militärische Führungspersonal<br />

muss verinnerlichen, dass bewusste und<br />

gezielte Persönlichkeitsbildung angesichts der komplexen<br />

Aufgaben, Belastungen und Risiken in den Auslandseinsätzen<br />

unverzichtbar ist.<br />

Wir brauchen Soldatinnen und Soldaten, insbesondere<br />

Offiziere, die sich nicht nur durch intellektuelle Leistungsfähigkeit<br />

und militärische Professionalität auszeichnen,<br />

sondern auch durch die Fähigkeit, die Dimensionen<br />

des Rechts, der Ethik und der Moral ihres Berufes erfassen<br />

und weitervermitteln zu können. Hierbei bieten die Prinzipien<br />

der Inneren Führung Orientierung und Anleitung.<br />

Dies insbesondere in Zeiten des beständigen Wandels und<br />

der damit verbundenen Herausforderungen, wie wir sie<br />

gegenwärtig erleben.<br />

Die Weiterentwicklung dieses Selbstverständnisses der<br />

Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ist angesichts<br />

dieser Herausforderungen und Rahmenbedingungen notwendiger<br />

als in der Vergangenheit. Die zunehmende Spezialisierung<br />

und Diversifizierung soldatischer Aufgaben<br />

und Tätigkeiten verlangen, dass die grundlegenden und<br />

gemeinsamen, den Soldatenberuf und dessen Berufsprofil<br />

bestimmenden Überzeugungen und Fähigkeiten ständig<br />

herausgearbeitet werden müssen. Gleichzeitig müssen<br />

Veränderungen, die in der <strong>Gesellschaft</strong> wirksam werden<br />

und Einstellungen erzeugen, aufmerksam erfasst und ihre<br />

Auswirkungen auf den soldatischen Beruf geprüft werden.<br />

Unsere Soldatinnen und Soldaten leben in einem beruflichen<br />

Selbstverständnis mit der Inneren Führung als<br />

Richtschnur für die reflektierte, begründete und überzeugte<br />

Wahrnehmung von Verantwortung. Die Entwicklung<br />

eines derartigen beruflichen Selbstverständnisses ist<br />

kein Selbstzweck, sondern Garant für die Auftragserfüllung<br />

insbesondere im Einsatz – und damit steter Auftrag<br />

aller Vorgesetzten.<br />

14


Von <strong>Gneisenau</strong> über Baudissin nach Kabul –<br />

Innere Führung als Konstante im Wandel?<br />

Text:<br />

General Wolfgang Schneiderhan<br />

Der Titel dieses Beitrages führt von einer zentralen Leitfigur<br />

der preußischen Militärreform über den geistigen Vater<br />

der Inneren Führung mitten in die aktuelle Einsatzrealität<br />

der Bundeswehr hinein. Zeitlich liegen genau 200 Jahre<br />

dazwischen – doch viele der Gedanken, die damals vor<br />

200 oder auch vor 50 Jahren entwickelt wurden, klingen<br />

heute wieder atemberaubend modern und zeitgemäß.<br />

Der Spannungsbogen, der sich dabei in der Bundeswehr<br />

zwischen Tradition und Transformation aufwölbt,<br />

besitzt eine enorme Dynamik. Die beiden Ankerpunkte,<br />

die diesen Spannungsbogen halten, sind keineswegs in<br />

sich ruhende Fundamente, sondern befinden sich selbst<br />

in ständiger Bewegung. Denn Tradition, definiert als<br />

Überlieferung eines kulturellen Erbes, bleibt aufgrund<br />

ihrer Wertgebundenheit ein dynamischer Prozess in ständiger<br />

Überprüfung und verantwortungsvoller Auswahl<br />

und somit auch des stetigen Wandels. Das Zitat, das<br />

die Dialektik dieses Prozesses am besten zum Ausdruck<br />

bringt und das dem anderen großen Militärreformer<br />

Gerhard von Scharnhorst zugeschrieben wird, ist uns allen<br />

geläufig: „Tradition heißt, an der Spitze des Fortschritts<br />

marschieren.“<br />

Und der Begriff der Transformation, verstanden als Prozess<br />

einer ständigen Anpassung an eine sich ändernde<br />

Wirklichkeit, spiegelt diese komplexe Dynamik bereits im<br />

Wort selbst wider. Transformation betrifft und bewegt die<br />

Menschen in einer nicht zu unterschätzenden Weise. Und<br />

sie fordert von ihnen hohe Beweglichkeit: neben der Mobilität<br />

vor allem auch geistige Flexibilität.<br />

Die Weiterentwicklung einsatzorientierter Strukturen, Effizienzsteigerung<br />

und wirtschaftliches Handeln sind wichtige<br />

Aspekte dieses Transformationsprozesses, aber sie sind<br />

nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass wir bei den<br />

Betroffenen Einsicht in die Notwendig- und Alternativlosigkeit<br />

der Transformation wecken.<br />

Damit nun der hier skizzierte Spannungsbogen nicht<br />

bricht, bedarf es einer verlässlichen Stütze – einer Konstante,<br />

die den Bogen in seiner Mitte festigt und hält. Ich<br />

spreche von der Inneren Führung. Auch wenn sie in ihrem<br />

Erscheinungsbild einer Anpassung über die Zeit unter-<br />

Wolfgang Schneiderhan<br />

liegt, bleibt sie doch im Kern als Selbstverständnis und<br />

Führungskultur der Bundeswehr die sichere Konstante im<br />

globalen Wandel unserer Zeit. Dies will ich im Folgenden<br />

zunächst an den Persönlichkeiten von <strong>Gneisenau</strong> und<br />

von Baudissin näher ausführen, bevor ich auf die aktuellen<br />

Herausforderungen unserer Auslandseinsätze eingehen<br />

werde.<br />

Was kennzeichnet August Wilhelm Anton Graf Neidhardt<br />

von <strong>Gneisenau</strong> als Menschen und als historische Persönlichkeit<br />

in Hinblick auf das, was wir heute unter Innerer<br />

Führung verstehen?<br />

1760 im sächsischen Schildau bei Torgau geboren, verschwieg<br />

<strong>Gneisenau</strong> seinen Geburtsort geflissentlich, um<br />

nicht als rückständiger und bornierter Schildbürger verspottet<br />

zu werden. Er verstand sich vielmehr bereits als ein<br />

aufgeklärter und freiheitsliebender Staatsbürger.<br />

<strong>Gneisenau</strong>, der auch ein Vorfahre aus der mütterlichen Linie<br />

von Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist, erkannte<br />

früher und deutlicher als andere, dass die Verteidigung<br />

von Souveränität und Freiheit nicht mit unmündigen<br />

und unterdrückten Staatsbürgern möglich war, die man<br />

bei Bedarf in eine Uniform presste. In einem Zeitungsartikel<br />

vom 2. Juli 1808 über das „Avancement der Bürgerlichen<br />

zu Offizierstellen“ kritisierte er die Privilegien<br />

des Geburtsadels in der alten preußischen Armee, die sich<br />

15


Von <strong>Gneisenau</strong> über Baudissin nach Kabul – Innere Führung als Konstante im Wandel?<br />

längst überlebt hatte und dem Elan der französischen Revolutionstruppen<br />

nicht mehr gewachsen war. Stattdessen<br />

forderte <strong>Gneisenau</strong> eine neue militärische Leistungselite,<br />

die ihr Genie und ihre Talente ohne Anschauung ihrer<br />

bürgerlichen Herkunft in der Armee entfalten konnte. Bei<br />

der Verteidigung von Kolberg hatte <strong>Gneisenau</strong> zahlreiche<br />

Soldaten einfachster Herkunft erlebt, die außer durch ihren<br />

Patriotismus vor allem durch anständige Behandlung,<br />

Übertragung von höherer Verantwortung und durch ihre<br />

Auszeichnung mit Verdienstmedaillen zu militärischen<br />

Höchstleistungen motiviert worden waren. Seine Idee<br />

vom überzeugten Vaterlandsverteidiger korrespondiert<br />

mit dem berühmten Postulat von Scharnhorst aus dem<br />

Jahr 1807: „Alle Bewohner des Staates sind geborene Verteidiger<br />

desselben.“ Dieser Satz wird bis heute als Kernargument<br />

für die Rechtfertigung der allgemeinen Wehrpflicht<br />

zitiert. Der Staatsbürger in Uniform als Zukunftsmodell<br />

und Garant leistungsfähiger Streitkräfte war geboren. Mit<br />

seiner militärischen Kompetenz auf dem Schlachtfeld reklamierte<br />

dieser Soldat neuer Prägung freilich auch den<br />

Anspruch auf seine Souveränität als vollwertiger Staatsbürger<br />

mit allen Rechten und Pflichten.<br />

In einem weiteren Zeitungsartikel vom 9. Juli 1808 forderte<br />

<strong>Gneisenau</strong> schließlich die sogenannte „Freiheit der<br />

Rücken“. Er erklärte die barbarische Tradition der „Stockund<br />

Spießrutenstrafen“ im deutschen Kriegswesen als dem<br />

„ehrenvollsten aller Vereine“ und darüber hinaus als einer<br />

aufgeklärten Nation für unwürdig. Stattdessen forderte er<br />

eine „verständige Behandlungsart der Vorgesetzten“ in ihrer<br />

Erziehungsverantwortung und Disziplinargewalt. Denn<br />

erst die strikte Abkehr von diesem atavistischen Strafsystem<br />

bildet nach <strong>Gneisenau</strong>s Überzeugung die gesellschaftliche<br />

Grundlage für die Akzeptanz einer allgemeinen<br />

Wehrpflicht: „Die Proklamation der Freiheit der Rücken<br />

scheint also der Verallgemeinerung der Waffenpflichtigkeit<br />

vorangehen zu müssen.“<br />

<strong>Gneisenau</strong> ging es um die Bereitschaft des Bürgers zur<br />

Landesverteidigung. Er erkannte, dass dafür keine rechte<br />

Begeisterung zu erzielen war, wenn nicht gleichzeitig die<br />

Rechtsstellung und das Ehrgefühl dieses Bürgers berücksichtigt<br />

wurden.<br />

Die ethische, rechtliche und politische Legitimation des<br />

militärischen Einsatzes und die Motivation der Staatsbürgerinnen<br />

und Staatsbürger in Uniform zum verantwortungsbewussten<br />

Dienst an der Waffe sind heute auch<br />

wesentliche Ziele der Inneren Führung. Die auch heute<br />

nicht zu unterschätzende Bedeutung der soldatischen<br />

Ehre, die eng mit der Menschenwürde verbunden ist, war<br />

nach Überzeugung der preußischen Reformer ein wesentlicher<br />

Garant für die Bereitschaft zum Dienen. In seinem<br />

Immediatbericht vom 26. Mai 1808 schreibt der Generalauditeur<br />

von Koenen, er habe bei der Ausarbeitung der<br />

neuen Kriegsartikel gefordert, „das Ehrgefühl des Soldaten<br />

und die Meinung, dass ein jeder den Kriegsdienst als eine heilige<br />

und unverletzliche Pflicht gegen das Vaterland ansehen<br />

und nach seiner Verabschiedung eine Ehre darin sehen müsse,<br />

als Soldat gedient zu haben, zu beleben und zu erwecken.“<br />

Ein eindeutiges Plädoyer für die allgemeine Wehrpflicht!<br />

Diese wenigen Beispiele aus einer Zeit epochaler Umbrüche<br />

in Staat und <strong>Gesellschaft</strong> für ganz Europa verdeutlichen,<br />

dass Neues und Zukunftsfähiges nicht zu schaffen<br />

ist, wenn weiterhin an alten Denkmustern und überholten<br />

Vorstellungen festgehalten wird.<br />

Vor fünfzig Jahren befanden sich verantwortungsbewusste<br />

und weiterdenkende Politiker und Staatsbürger der noch<br />

jungen Bundesrepublik Deutschland vor einer ähnlichen<br />

Situation wie die preußischen Militärreformer – wenngleich<br />

mit ganz anderen persönlichen Erfahrungen und<br />

unter völlig anderen historischen Vorzeichen. Bei der<br />

Überlegung zur Aufstellung neuer deutscher Streitkräfte<br />

gegen den erbitterten Widerstand großer Teile der politischen<br />

Klasse und der durch den Zweiten Weltkrieg<br />

noch immer traumatisierten deutschen Bevölkerung ging<br />

es vor allem auch darum, die geistigen Grundlagen für<br />

dieses Unternehmen zu schaffen. Es galt, wie es in der<br />

‚Himmeroder Denkschrift’ vom 9. Oktober 1950 formuliert<br />

wurde, „ohne Anlehnung an die Formen der alten<br />

Wehrmacht heute grundlegend Neues zu schaffen“. Dieses<br />

ethische und geistige Fundament für die „Aufstellung des<br />

Deutschen Kontingents für die Verteidigung Europas“ und<br />

seiner Wertegemeinschaft wurde damals noch „Das innere<br />

16


Gefüge“ genannt. Erst später setzte sich dafür der Begriff<br />

der Inneren Führung durch.<br />

Als reguläres Mitglied des Expertenausschusses, der die<br />

‚Himmeroder Denkschrift’ verfasste, war der damalige<br />

Major i. G. a. D. Wolf Stefan Traugott Graf von Baudissin<br />

zunächst gar nicht vorgesehen. Dieses plötzliche Hervortreten<br />

aus der zweiten Reihe, um schließlich exponiert zu<br />

führen und zu gestalten, verbindet Baudissin mit <strong>Gneisenau</strong>,<br />

der noch als sechsundvierzigjähriger Kompaniechef<br />

„in den niederen Graden seufzte“, bevor er mitten in der<br />

Krise den Kairos ergriff und damit zur historischen Persönlichkeit<br />

wurde.<br />

Baudissin wurde als Nachrücker für einen anderen verhinderten<br />

Teilnehmer gewonnen und sorgte mit seiner Teilnahme<br />

glücklicherweise dafür, dass seine Ideen von einem<br />

echten Neubeginn auf einer gesicherten ethischen und<br />

geistigen Grundlage Eingang in diese Konzeption fanden.<br />

In einem dann doch nicht versendeten Kündigungsschreiben<br />

an Verteidigungsminister Blank schrieb Baudissin<br />

1955: „Streitkräfte werden sich unaufhaltsam nach dem Gesetz<br />

weiterentwickeln, unter welchem ihre Aufstellung stand.“<br />

Baudissins Leitthema bei dieser Aufstellung neuer deutscher<br />

Streitkräfte ist deren Einbindung in die freiheitliche<br />

demokratische Grundordnung ohne Abstriche an die militärische<br />

Schlagkraft und Einsatzbereitschaft. Ausgangspunkt<br />

dieses großartigen Reformwerks ist auf der einen<br />

Seite die nüchterne Lagefeststellung zur Situation der geteilten<br />

deutschen Nation in einem geteilten Europa unter<br />

den Vorzeichen des atomaren Wettrüstens und des Kalten<br />

Krieges. Auf der anderen Seite hatte Baudissin die gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen und die geistige Lage<br />

in der deutschen Nachkriegsbevölkerung analysiert. Er<br />

warnte davor, mit überholten Denkmustern und obsoleten<br />

Rezepturen „ins Leere zu bauen“. Vielmehr ermunterte er<br />

bei einer Soldatentagung in der Evangelischen Akademie<br />

Hermannsburg im Januar 1952 dazu, „dankbar (zu) sein<br />

für die Klarheit der Lage und sich bewusst zu den Chancen<br />

zu bekennen, die jeder echte Neubeginn bietet.“ Bei der Entwicklung<br />

seines Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform,<br />

das bis heute das zentrale Element der Inneren Führung<br />

darstellt, legte Baudissin neben seinen Forderungen nach<br />

einer freien Persönlichkeit und einem verantwortungsbewussten<br />

Staatsbürger den dritten Schwerpunkt auf den<br />

einsatzbereiten Soldaten selber. Diese individuelle militärische<br />

Einsatzbereitschaft definiert sich jedoch nicht über<br />

das Verhältnis zu einem potentiellen Gegner in Form eines<br />

Feindbildes. Diese Tradition soldatischer Sinnstiftung<br />

und politischer Legitimation war vielmehr in der Roten<br />

Armee und der Nationalen Volksarmee verankert.<br />

Baudissin wählte einen neuen Ansatz. In einem Beitrag<br />

zum ‚Bild des zukünftigen deutschen Soldaten’ vom 22.<br />

Juni 1954 führte er aus: „Der Krieg kann für den Staatsbürger<br />

in Uniform kein Feld ersehnter Bewährung sein, wo<br />

erst die Mannestugenden geweckt und betätigt werden können.<br />

Der Krieg kann auch kein normales Mittel der Politik<br />

oder ihre natürliche Fortsetzung sein (...) und der Soldat hat<br />

hierbei mitzuhelfen, diesen Krieg durch einen Höchstgrad<br />

abwehrbereiter Kriegstüchtigkeit zu verhüten. Er sollte allerdings<br />

auch als Staatsbürger den Politiker immer wieder darauf<br />

aufmerksam machen, dass der Soldat ja nicht das einzige<br />

Mittel dieser Auseinandersetzung sein kann oder sein darf.“<br />

Diese Sätze sind ebenso aktuell wie brisant. In deutlicher<br />

Distanz von Clausewitz’ Definition des Krieges als Fortsetzung<br />

der Politik mit anderen Mitteln und jener unsäglichen<br />

„Stahlbad-Ideologie“, die den Krieg als männliche<br />

Bewährungsstätte mit der „Feuertaufe“ als notwendiger<br />

Initiation auf dem Weg zum Mann verklärt, postuliert<br />

Baudissin die Mitverantwortung jedes einzelnen Soldaten<br />

zur Kriegsverhinderung im Atomzeitalter. Diese erfolgreiche<br />

Dialektik des Kämpfen Könnens, um nicht kämpfen<br />

zu müssen, hat den Frieden in Europa über Jahrzehnte<br />

hinweg gesichert. Mit ihr wurde die Wehrpflicht gleichsam<br />

zum Friedensdienst. Und das gilt bis heute.<br />

Baudissin und die anderen geistigen Wegbereiter der<br />

Inneren Führung haben recht behalten – gegen alle Kritiker,<br />

die diese Konzeption seit ihren Anfängen bis heute in<br />

Frage gestellt, aber dadurch in ihrem Profil auch geschärft<br />

haben. Die Innere Führung muss sich heute auf anderen<br />

Feldern bewähren als noch vor vierzig oder vor zwanzig<br />

Jahren. Sie hat unseren Soldaten im Kalten Krieg immer<br />

17


Von <strong>Gneisenau</strong> über Baudissin nach Kabul – Innere Führung als Konstante im Wandel?<br />

wieder verdeutlicht, dass Grundsätze wie Menschenwürde,<br />

Freiheit oder Demokratie jeder Propaganda einer totalitären<br />

Ideologie stets überlegen sind. Die Innere Führung<br />

hat aber auch zur Armee der Einheit beigetragen, indem<br />

sie auch den in die Bundeswehr übernommenen Soldaten<br />

der ehemaligen Nationalen Volksarmee diese Prinzipien<br />

überzeugend vermitteln konnte. Dass die innere Einheit<br />

gerade in der Bundeswehr früher als in anderen Bereichen<br />

vollendet wurde, ist aus meiner Sicht zu großen Teilen der<br />

Inneren Führung und den Menschen zu verdanken, die<br />

diese Führungskultur anderen überzeugend vorgelebt haben.<br />

Heute bewährt sich die Innere Führung in der Transformation<br />

und vor allem in den Auslandseinsätzen.<br />

Einsätze der Bundeswehr zur Krisenvorsorge und Krisenbewältigung<br />

sind heute vor allem auch sichtbarer Ausdruck<br />

der gewachsenen internationalen Verantwortung<br />

Deutschlands. Doch auch im Falle eines durch eine weit<br />

überwiegende Mehrheit des Parlaments gebilligten Einsatzes,<br />

der im sicherheitspolitischem Interesse der Bundesrepublik<br />

steht, erscheint es für unsere <strong>Gesellschaft</strong> kaum<br />

hinnehmbar die eigenen Söhne und Töchter zur Wiederherstellung<br />

staatlicher Ordnung außerhalb des eigenen<br />

Landes in fernen Weltregionen zu verlieren. Der Tod von<br />

Angehörigen der Bundeswehr in den Auslandseinsätzen<br />

wird in der deutschen Öffentlichkeit mit Betroffenheit<br />

zur Kenntnis genommen. Dennoch bleiben für die große<br />

Mehrheit der <strong>Gesellschaft</strong> die Auslandseinsätze ihrer<br />

Streitkräfte nicht viel mehr als bloße Medienereignisse<br />

- mehr virtuelle Realität als persönliche Erfahrung. Anders<br />

als im 19. und 20. Jahrhundert können Soldatinnen<br />

und Soldaten heute in kriegsähnliche Situationen geraten,<br />

während gleichzeitig in ihren Heimatländern tiefer Friede<br />

herrscht. Eine solche Entwicklung kann nicht ohne Folgen<br />

bleiben. Die Entkopplung der Lebenswirklichkeiten<br />

des uniformierten Staatsbürgers im Einsatz einerseits und<br />

der seiner zivilen Mitbürger andererseits wird das künftige<br />

Rollenbild und das Selbstverständnis des modernen<br />

Soldaten in einem Maße verändern, das sich noch nicht<br />

gänzlich übersehen lässt. Wir haben aber bereits heute aus<br />

den Erfahrungen der zurückliegenden und der aktuellen<br />

Einsätze eines gelernt: Der Soldat von heute kann kein<br />

eindimensionaler Experte seines Waffenhandwerks mehr<br />

sein. Neben dem Kämpfer muss er bei rasch wechselnden<br />

Situationen zugleich auch als Helfer, Vermittler und<br />

Schlichter auftreten. In Zeiten globalisierter Bedrohung,<br />

asymmetrischer Kriegsführung und vernetzter Sicherheitsstrukturen<br />

braucht er mehr denn je, neben seiner handwerklichen<br />

Professionalität, einen ethischen Kompass, ein<br />

sicheres moralisches Urteilsvermögen und interkulturelle<br />

Kompetenz. Wer über das Militär als ein weiterhin bestimmendes<br />

Instrument des Konfliktmanagements nachdenkt,<br />

muss sich dieser Anforderungen bewusst sein und<br />

die richtigen Rückschlüsse für Rekrutierung, Ausbildung<br />

und Persönlichkeitsentwicklung unserer Soldatinnen und<br />

Soldaten ziehen.<br />

Wir haben mit dem Konzept der vernetzten Sicherheit,<br />

das im Weißbuch von 2006 ressortübergreifend niedergelegt<br />

ist, den richtigen Weg beschritten. Mit diesem Ansatz<br />

werden wir zukünftigen Herausforderungen für unsere<br />

Sicherheit gerecht und schaffen die Voraussetzung für ein<br />

breites Sicherheitsverständnis in unserem Land.<br />

Neben der Bundeswehr müssen aber auch alle anderen<br />

sicherheitspolitisch relevanten Akteure im Rahmen<br />

eines umfassenden Ansatzes mit einem gemeinsamen<br />

Ziel jeweils das leisten, was sie am besten können. Dieser<br />

Anspruch gilt im übrigen nicht nur für die Auslandseinsätze<br />

der Bundeswehr, sondern auch für den Schutz<br />

unserer Bürgerinnen und Bürger im eigenen Land. Eine<br />

breit angelegte gesellschaftliche Debatte über die Sicherheits-<br />

und Verteidigungspolitik unseres Landes würde ich<br />

begrüßen. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen<br />

des 21. Jahrhunderts betreffen alle Bürgerinnen und Bürger<br />

unseres Staates und sie verlangen neue Antworten.<br />

Die Bundeswehr kann jedoch nicht alleine für die sicherheits-<br />

und verteidigungspolitischen Debatten in unserem<br />

Land verantwortlich sein. Diese für uns alle existenziellen<br />

Fragestellungen und Herausforderungen der 21. Jahrhunderts<br />

sollten nicht nur in elitären Fachzirkeln thematisiert<br />

werden, sie benötigen ein breites gesellschaftliches<br />

Forum. Wir müssen das Verständnis für den Auftrag der<br />

Bundeswehr bei den Bürgerinnen und Bürgern noch stär-<br />

18


ker wecken. Die Legitimation der Auslandseinsätze der<br />

Bundeswehr bildet dabei das zentrale Thema. Denn wir<br />

setzen unsere Soldatinnen und Soldaten heute nicht in<br />

Kabul, Feyzabad, Kunduz, Masar-i-Scharif oder an vielen<br />

anderen fernen Orten dieser Erde ein, weil wir das Abenteuer<br />

oder die Bewährung suchen. Wir sind dort auf der<br />

Grundlage von Mandaten, die uns das deutsche Parlament<br />

erteilt hat. Wir brauchen daher nicht nur den möglichst<br />

geschlossenen Rückhalt der Politik, sondern auch die<br />

breite Aufmerksamkeit und Anteilnahme der gesamten<br />

deutschen Bevölkerung. Als Staatsbürger in Uniform sind<br />

unsere Soldatinnen und Soldaten, aber auch die zivilen<br />

Angehörigen der Bundeswehr ein selbstverständlicher Teil<br />

dieser <strong>Gesellschaft</strong> und dieses Staates, auch wenn sie fernab<br />

der Heimat in Kabul oder im Kosovo ihren verantwortungsvollen<br />

und oft lebensgefährlichen Auftrag erfüllen.<br />

Die Innere Führung bietet ihnen dabei Orientierung und<br />

Verhaltenssicherheit. Sie ist aber auch die Grundlage für<br />

den Dialog mit der <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Reden wir miteinander – denn betroffen sind wir alle.<br />

Als gemeinsame Wegmarke von <strong>Gneisenau</strong> über Baudissin<br />

nach Kabul wird der Anspruch erkennbar, den Soldaten<br />

als Bürger und den Bürger als Soldaten zu integrieren. Die<br />

Idee vom Bürgersoldaten der preußischen Militärreformer<br />

findet ihre Fortentwicklung in dem Leitbild vom Staatsbürger<br />

in Uniform bei den Vätern der Inneren Führung.<br />

Angesichts der derzeitigen Herausforderungen durch die<br />

Auslandseinsätze brauchen unsere Soldatinnen und Soldaten<br />

die Gewissheit, dass sie als Bürger dieses Landes nicht<br />

allein gelassen und vergessen werden, wenn sie irgendwo<br />

in der Welt ihr Leben für die Sicherheit Deutschlands<br />

einsetzen.<br />

19


Der Offizierberuf in der Luftwaffe<br />

Neue Chancen und sich ändernde Anforderungen<br />

Text:<br />

Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz<br />

1. Menschenwürde, Freiheit und Innere Führung<br />

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten<br />

und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen<br />

Gewalt.“ Mit diesem Artikel beginnt die Verfassung für<br />

die Bundesrepublik Deutschland, das am 23. Mai 1949<br />

verkündete Grundgesetz. Aus diesem alles überragenden<br />

Grundrecht folgt zur Konkretisierung das Bekenntnis zu<br />

den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten<br />

als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft,<br />

des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.<br />

Da die Grundrechte nicht bloße Programmsätze, sondern<br />

unmittelbar geltendes Recht darstellen, verpflichten sie<br />

den Staat zum Handeln. Aus der Verpflichtung staatlicher<br />

Gewalt, die Menschenwürde zu schützen, leitet sich die<br />

Existenz der Bundeswehr ab. Darin findet der Dienst in<br />

der Bundeswehr seine ethische Rechtfertigung aber auch<br />

zugleich seine Begrenzung.<br />

Das derart für die Bundesrepublik Deutschland postulierte<br />

Menschenbild stellt zwar den Eigenwert und die Eigenständigkeit<br />

des Menschen in den Mittelpunkt, fordert<br />

aber auch Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit.<br />

Im demokratischen Staat tragen die Bürgerinnen und<br />

Bürger Mitverantwortung für das Gemeinwesen. Die allgemeine<br />

Wehrpflicht aber auch der freiwillige Dienst in<br />

der Bundeswehr sind ein Teil dieser Verantwortung für die<br />

Gemeinschaft.<br />

Aus dem Menschenbild des Grundgesetzes folgt, dass die<br />

in der Bundeswehr dienenden Soldatinnen und Soldaten<br />

vorrangig als selbstverantwortliche Menschen und nicht<br />

als Träger militärischer Funktionen zu betrachten und zu<br />

behandeln sind. Dies wird im Leitbild vom Staatsbürger<br />

in Uniform zum Ausdruck gebracht. Es bedeutet, dass die<br />

Soldatinnen und Soldaten Bürgerinnen und Bürger einer<br />

freiheitlichen und pluralistischen <strong>Gesellschaft</strong> bleiben, die<br />

von vielfältigen Anschauungen, Lebensentwürfen, Meinungen<br />

und Interessen gekennzeichnet ist.<br />

Die Bundeswehr hat von Anfang an diesen verfassungsrechtlichen<br />

Grundlagen eine große Bedeutung für das<br />

Klaus-Peter Stieglitz<br />

Innere Gefüge und das Selbstverständnis ihrer Soldatinnen<br />

und Soldaten beigemessen. Historisch gesehen kam<br />

es deshalb darauf an, bei der Aufstellung der Bundeswehr<br />

nicht einfach an alte militärische Traditionen anzuknüpfen,<br />

sondern etwas grundlegend Neues zu schaffen. Die<br />

dazu entwickelte Konzeption trägt seither den Namen<br />

„Innere Führung“.<br />

Innere Führung zielt darauf ab,<br />

−− ethische, politische und rechtliche Begründungen für<br />

soldatisches Handeln zu vermitteln und den Sinn des<br />

militärischen Auftrages einsichtig und verständlich<br />

zu machen (Legitimation),<br />

−− die Einbindung der Bundeswehr und besonders der<br />

Soldatinnen und Soldaten in Staat und <strong>Gesellschaft</strong><br />

zu fördern, Verständnis für die Verantwortung der<br />

Bundesrepublik Deutschland für die Aufgaben in<br />

Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu<br />

erwirken (Integration),<br />

−− die Bereitschaft der Soldatinnen und Soldaten zur<br />

gewissenhaften Pflichterfüllung, zur Übernahme<br />

von Verantwortung und zur Zusammenarbeit, aber<br />

auch zum Einhalten gewissensgeleiteter Grenzen der<br />

Gehorsamspflicht zu stärken sowie die Disziplin und<br />

den Zusammenhalt der Truppe zu bewahren (Motivation)<br />

und<br />

20


−−<br />

die innere Ordnung der Streitkräfte menschenwürdig,<br />

an der Rechtsordnung ausgerichtet und in der<br />

Auftragserfüllung effizient zu gestalten (Gestaltung<br />

der Inneren Ordnung).<br />

Für die Verwirklichung dieser Ziele im Alltag des Dienstes<br />

in den Streitkräften tragen alle Soldatinnen und Soldaten<br />

Verantwortung. Dies trifft in besonderem Maße für die<br />

Offiziere zu. Sie tragen zentrale Verantwortung für die<br />

Erreichung der Ziele der Inneren Führung in den Streitkräften.<br />

Denn trotz aller Veränderungen und auch unter den Bedingungen<br />

einer Einsatzarmee hat sich an der Verwirklichung<br />

der Ziele der Inneren Führung in den Streitkräften<br />

nichts geändert. In Streitkräften, in denen die moralischethisch<br />

einfacher zu begründende Verteidigung des eigenen<br />

Landes aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen<br />

Anforderungen ihre alleinige Stellung eingebüßt<br />

hat, ist der Offizier in besonderer Weise gefordert.<br />

Der Beruf verlangt eine Hinwendung zum Staat und die<br />

Übernahme staatsbürgerlicher Verantwortung. Nur wer<br />

bereit ist, für Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit,<br />

Gleichheit, Solidarität und Demokratie als den<br />

leitenden Werten unseres Staates aktiv überall in der Welt<br />

einzutreten und in diesem Sinne zu dienen, kann auch<br />

führen.<br />

2. Politik, Auftrag und Dienst in der Luftwaffe<br />

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die Politik<br />

erteilt den Auftrag für die Bundeswehr und kontrolliert<br />

dessen Durchführung.<br />

Auslandseinsätze werden voraussichtlich noch viele Jahre<br />

das Aufgabenspektrum der Bundeswehr bestimmen. Freiheit<br />

und Frieden können dabei nicht mit militärischen<br />

Mitteln allein erhalten oder wiederhergestellt werden.<br />

Der Schlüssel für ein erfolgreiches Krisen- und Konfliktmanagement<br />

liegt im engen und abgestimmten Zusammenwirken<br />

ziviler und militärischer Elemente. Dieser<br />

gesamtheitliche Ansatz wird als „Konzept der Vernetzten<br />

Sicherheit“ zusammengefasst.<br />

Neben der Konzentration auf die Auslandseinsätze darf<br />

aber nicht übersehen werden, dass die Bundeswehr auch<br />

weiterhin den unmittelbaren Schutz der deutschen Bevölkerung<br />

als originäre Aufgabe hat.<br />

In den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Bundeswehr<br />

waren Auftrag und Fähigkeiten vornehmlich durch die<br />

Bedingungen des Kalten Krieges geprägt. Es galt, gemeinsam<br />

mit unseren Verbündeten den Ausbruch eines Krieges<br />

durch Abschreckung zu verhindern. Mit dem Fall des Eisernen<br />

Vorhangs, der deutschen Vereinigung, dem Wegfall<br />

der Ost-West-Konfrontation und der einsetzenden Erweiterung<br />

von NATO und Europäischer Union Anfang der<br />

90er Jahre erfuhr die sicherheitspolitische Landschaft eine<br />

grundlegende Veränderung.<br />

Die Hoffnung auf eine stabilere und friedlichere Welt<br />

nach dem Ende des Kalten Krieges musste jedoch schnell<br />

der ernüchternden Erkenntnis weichen, dass wir nun neuen<br />

Bedrohungen und Risiken gegenüberstehen. Seitdem<br />

unterliegen Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr, ihre<br />

Fähigkeiten und Strukturen einem nahezu kontinuierlichen<br />

Wandlungsprozess.<br />

Die Sicherheit unseres Landes in der heutigen Welt ist<br />

komplexer und vielschichtiger geworden. Heute sind es<br />

vielfältige asymmetrische Risiken und Aufgaben der Konfliktverhütung<br />

und Krisenbewältigung, die besondere<br />

Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit unseres Staates<br />

als verantwortungsvolles und souveränes Mitglied einer<br />

Staatengemeinschaft stellen. Die Bundeswehr und insbesondere<br />

die Luftwaffe sind als Instrumente der Sicherheitspolitik<br />

Deutschlands Teil dieser Reaktionsfähigkeit.<br />

Sicherheit kann nicht mehr allein an den Grenzen hergestellt<br />

werden. Der Einsatz im Ausland im Rahmen der<br />

Sicherheitsvorsorge weit im Vorfeld einer manifesten Bedrohung<br />

für unser eigenes Staatsgebiet ist zu einer Kernaufgabe<br />

unserer Streitkräfte geworden.<br />

Eines wird dabei immer wichtiger: Die Fähigkeit und die<br />

Bereitschaft der Soldaten aller Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche,<br />

unter schwierigsten Bedingungen in<br />

einem breit gefächerten Aufgabenspektrum für die Werte<br />

und Normen unserer Verfassung einzutreten. Diese Aufgaben<br />

können wir als Luftwaffe – wie schon in der Vergangenheit<br />

– nicht allein wahrnehmen. Nur gemeinsam,<br />

21


Der Offizierberuf in der Luftwaffe – Neue Chancen und sich änderne Anforderungen<br />

also streitkräftegemeinsam – im NATO-Sprachgebrauch<br />

„joint“ – sind wir in der Lage, die komplexen Aufgaben<br />

erfolgreich zu erfüllen. In enger multinationaler Zusammenarbeit<br />

mit unseren Bündnispartnern und als deren<br />

verlässlicher Partner leisten wir unseren Beitrag zur internationalen<br />

Konfliktverhütung und Krisenbewältigung.<br />

Zusätzlich zur Rolle des Soldaten als Kämpfer tritt die<br />

Rolle als Helfer, Schlichter und Vermittler.<br />

Deutschland gehört zu den größten Truppenstellern für<br />

internationale Missionen. In Auslandseinsätzen setzt sich<br />

unsere Bundeswehr mit derzeit rund 8.000 Soldaten für<br />

Frieden, Freiheit, Recht, Sicherheit und Ordnung ein.<br />

Dabei hat gerade die Luftwaffe bereits im Frieden die Voraussetzungen<br />

zu schaffen, um mit ihren präsenten Kräften<br />

und Mitteln zu Maßnahmen im Rahmen von Konfliktverhütung<br />

und Krisenbewältigung, Hilfsoperationen sowie<br />

zu Rettungs-, Evakuierungs- und Transporteinsätzen<br />

beizutragen.<br />

Die besondere Rolle von Luftstreitkräften begründet sich<br />

dabei in der Tatsache, dass insbesondere ihre Beiträge nahezu<br />

zeitverzugslos und außerordentlich flexibel sowohl<br />

auf politische Vorgaben als auch auf militärisch-taktische<br />

Erfordernisse exakt ausgerichtet werden können.<br />

Die Ausübung und Projektion von Luftmacht (im angelsächsischen<br />

Airpower) ist u.a. aufgrund der ihr eigenen<br />

raschen Reaktionsfähigkeit, der operativen Flexibilität,<br />

der lageangepassten Eskalations- und Deeskalationsfähigkeit<br />

und der Möglichkeit der schnellen Verlegung mittels<br />

Lufttransport zum herausragenden Instrument der Krisenbewältigung<br />

geworden.<br />

Die Luftwaffe hat aber auch mit der Daueraufgabe des<br />

Schutzes des deutschen Luftraumes im Rahmen des Air<br />

Policing eine herausgehobene Verantwortung – dabei<br />

muss gerade auch auf Gefahren, wie die einer terroristischen<br />

Bedrohung, angemessen reagiert werden können.<br />

3. Recht, Gesetz und Ethik<br />

Die Einbindung der Bundeswehr in Staat und <strong>Gesellschaft</strong><br />

bedeutet für das Handeln der Soldatinnen und Soldaten<br />

die unbeschränkte Bindung an Recht und Gesetz. Grundrechte<br />

werden nur so weit eingeschränkt, wie es für die Erfüllung<br />

des militärischen Auftrages unbedingt notwendig<br />

ist. Darüber wachen neben verschiedenen militärischen<br />

auch zivile Instanzen, vor allem die zivile Gerichtsbarkeit.<br />

Dies gilt auch für den Einsatz. Es gibt kein Standesrecht<br />

für Offiziere für ihre Funktion als Befehlende mit Anspruch<br />

auf Gehorsam. Soldatinnen und Soldaten werden<br />

in ihren Rechten dadurch geschützt, dass Umfang und<br />

Grenzen der Befehlsbefugnis der Vorgesetzten und der<br />

Gehorsamspflicht der Untergebenen gesetzlich festgelegt<br />

sind.<br />

Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu zivilen Berufen<br />

ist neben der Bindung an Recht und Gesetz der Primat<br />

der Politik und die öffentliche Kontrolle. Als Träger von<br />

Macht gehört es zum Wesen eines freiheitlichen Staates,<br />

das Handeln der militärischen Entscheidungsträger zu<br />

kontrollieren. Diese Kontrolle erfolgt institutionalisiert<br />

durch das Parlament, aber auch durch die Medien.<br />

Jedem Offizier in der Luftwaffe sind zur Erfüllung seines<br />

Auftrages besondere hoheitliche Befugnisse und auch<br />

Pflichten übertragen worden. Offizier zu sein ist zwar ein<br />

herausgehobener Beruf, aber nicht mit dem Anspruch auf<br />

eine Sonderstellung in der <strong>Gesellschaft</strong>. In der Militärgeschichte<br />

lässt sich nachweisen, dass Offiziere in ihrem<br />

Selbstverständnis immer Kinder ihrer Zeit waren und Veränderungen<br />

ihren Ursprung in der Zivilgesellschaft hatten.<br />

Deshalb gibt es auch kein alle Zeiten überdauerndes<br />

Bild des Offiziers im Sinne der Inneren Führung.<br />

Die von Offizieren auszuübenden Tätigkeiten zeichnen<br />

sich durch eine große Breite aus. Oft werden Kenntnisse<br />

und Qualitäten erwartet, die mehr denn je mit manchen<br />

zivilen Berufen vergleichbar sind. Aber es wäre ein Irrtum,<br />

militärische Tätigkeiten in jeder Hinsicht mit denen des<br />

zivilen Bereichs völlig gleichstellen zu wollen.<br />

22


Die im Grundgesetz garantierte Gewissensfreiheit erfordert,<br />

dass der Staat grundsätzlich niemanden zu Handlungen<br />

zwingen darf, die gegen eigene ethische Maßstäbe<br />

von Gut und Böse verstoßen. Diese Forderung mündet in<br />

einem gewissensgeleiteten Gehorsam, zu dem Soldatinnen<br />

und Soldaten zu erziehen sind.<br />

Soldatinnen und Soldaten müssen auch in extremen Situationen<br />

in kürzester Zeit unterschiedlichen Rollen gerecht<br />

werden. Dies erfordert unter anderem eine ausgeprägte<br />

ethische Kompetenz. Richtschnur dafür ist ein soldatischer<br />

Wertekanon, der aus den Grundsätzen der Inneren<br />

Führung abgeleitet ist: Soldatinnen und Soldaten der<br />

Bundeswehr sind überzeugt von den Werten und Normen<br />

des Grundgesetzes.<br />

In diesem Sinne sind sie<br />

−− tapfer,<br />

−− verantwortungs- und pflichtbewusst,<br />

−− treu und gewissenhaft,<br />

−− kameradschaftlich und fürsorglich,<br />

−− diszipliniert,<br />

−− fachlich befähigt und lernwillig,<br />

−− wahrhaftig gegenüber sich und anderen,<br />

−− gerecht, tolerant und aufgeschlossen gegenüber<br />

anderen Kulturen und<br />

−− moralisch urteilsfähig.<br />

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Soldatinnen<br />

und Soldaten und insbesondere die Offiziere in allen<br />

Gestaltungsfeldern der Inneren Führung diese leitenden<br />

Werte verinnerlichen und daraus ethische Kompetenz<br />

entwickeln. Hierunter ist die Befähigung der Soldatinnen<br />

und Soldaten zu verstehen, sich selbstbestimmt an den<br />

Werten und Normen des Grundgesetzes und den daraus<br />

resultierenden Werten und Normen des soldatischen Handelns<br />

zu orientieren und sie zur Richtschnur des gesamten<br />

Verhaltens als Staatsbürger in Uniform zu machen. Der<br />

Lebenskundliche Unterricht leistet bei der Entwicklung<br />

dieser berufsethischen Kompetenz eine unverzichtbare Ergänzung.<br />

4. Führungsstil, Beispiel und Sinngebung<br />

Immer wird der Offizierberuf mit Führung, Ausbildung<br />

und Erziehung zu tun haben. Militärisches Führen ist<br />

auf Handeln und Entscheiden angelegt. Entscheidungen<br />

zu treffen ist Wesenselement der Führung. Der Offizier<br />

braucht daher hohe fachliche Kompetenz, Professionalität<br />

und insbesondere eine charakterfeste Persönlichkeit.<br />

Führung wirkt steuernd und zielgerichtet auf das Verhalten<br />

von Untergebenen und Mitarbeitern ein.<br />

Führung im Sinne des Grundgesetzes muss Handlungsspielräume,<br />

Mitwirkung und Mitverantwortung ermöglichen.<br />

Vorgesetzte haben deshalb vorrangig vom Führen<br />

mit Auftrag Gebrauch zu machen. Dabei müssen sie gegebenenfalls<br />

andere als die eigenen Lösungsansätze akzeptieren.<br />

Vorgesetzte sollen vor wichtigen Entscheidungen,<br />

wann immer möglich, ihre davon betroffenen Soldatinnen<br />

und Soldaten beteiligen. Dies trägt zu deren Motivation<br />

bei und ist ein wichtiger Faktor für die Berufszufriedenheit<br />

und die Einsatzbereitschaft.<br />

Ein kooperativer, partnerschaftlicher Führungsstil entspricht<br />

in besonderer Weise den Prinzipien der Inneren<br />

Führung. Neben der richtigen Einschätzung der Fähigkeiten<br />

der ausführenden Personen setzt er die Vorgabe klarer<br />

Ziele und diszipliniert handelndes Verhalten der Ausführenden<br />

voraus. Partnerschaftliches Führen bedeutet aber<br />

auch, Entscheidungen von unten nicht zu fordern, weil<br />

man die Verantwortung auf höherer Ebene nicht tragen<br />

will. Im Medienzeitalter sollte sich der Offizier vor Augen<br />

führen, dass nahezu alle Entscheidungen, die im Zusammenhang<br />

mit Auslandseinsätzen stehen, von großer Tragweite<br />

sein können.<br />

Das Gesetz fordert nicht, Vorbild zu sein. Vorbild verbindet<br />

sich zu leicht mit Fehlerlosigkeit. Es gibt aber keine<br />

Menschen ohne Fehler und Schwächen. Schon in Haltung<br />

und Pflichterfüllung ein Beispiel zu sein, ist schwer<br />

genug, aber auch unerlässlich. Dazu gehört es, sich über<br />

alle Dienstgradgruppen hinweg mit Respekt und Kameradschaft<br />

zu begegnen. Jede erzieherische Bemühung ist<br />

23


Der Offizierberuf in der Luftwaffe – Neue Chancen und sich änderne Anforderungen<br />

vergeblich, wenn sie nicht durch das Beispiel des Erziehenden<br />

untermauert wird. Das gilt schon für Eltern und<br />

Lehrer, aber um vieles mehr für den militärischen Führer,<br />

der es mit selbstbestimmten Erwachsenen zu tun hat. Gutes<br />

Beispiel verleiht Autorität und fördert Vertrauen.<br />

Mit dem Mittel der Dienstaufsicht kontrolliert der Vorgesetzte<br />

die Erfüllung dienstlicher Pflichten und die Ausführung<br />

von Befehlen. Sie ermöglicht ihm, nicht nur wertvolle<br />

Hilfestellung zu geben sondern auch sein Interesse am<br />

Handeln seiner Soldaten und Soldatinnen zum Ausdruck<br />

zu bringen. Dienstaufsicht muss ein ständiger Prozess sein.<br />

Idealerweise teilt der Offizier Entbehrungen und Härten<br />

mit seinen Soldatinnen und Soldaten.<br />

Es ist eine Kernaufgabe von Vorgesetzten, ihren Untergebenen<br />

immer wieder Sinn und Notwendigkeit ihrer<br />

Aufgaben und deren Einordnung in den Gesamtzusammenhang<br />

zu erklären. Dabei ist die Weitergabe von Informationen<br />

über wesentliche Belange notwendiger Bestandteil<br />

von Führung. Dies gilt vor allem bei der Vorbereitung<br />

auf fordernde Einsätze oder in besonderen Lagen. Nur<br />

wer rechtzeitig und umfassend informiert wurde und den<br />

Sinn der bevorstehenden Aufgabe versteht, weiß sich ernst<br />

genommen und ist fähig und bereit, aus Einsicht im Sinne<br />

des Auftrages zu handeln und dabei auch übergeordnete<br />

Absichten zu berücksichtigen.<br />

5. Bildung, Ausbildung und Erziehung<br />

Ausbildung, Erziehung und Bildung stehen in untrennbarer<br />

Beziehung zueinander. Sie ergänzen sich in ihren Wirkungen<br />

und sind deshalb ganzheitlich zu betrachten.<br />

Bildung befähigt den Soldaten, sein Handeln auf Wissen,<br />

Einsicht und Sachkompetenz zu gründen und – kritisch<br />

prüfend – unter dem Prinzip der Selbstbestimmung zu<br />

verantworten. Bildung zielt auf eine Haltung, die sich im<br />

Wissen um geschichtliche Entwicklungen und Zusammenhänge<br />

an den Werten der demokratischen <strong>Gesellschaft</strong><br />

orientiert. Bildung wird u.a. in der Fähigkeit des<br />

Soldaten deutlich, im Ausbildungsprozess zu eigenständigen<br />

Erkenntnissen zu kommen und entsprechend im Sinne<br />

des Auftrages zu handeln.<br />

Politische Bildung verdeutlicht die Werte und Normen<br />

der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und trägt<br />

dazu bei, dass der Soldat Sinn und Notwendigkeit seines<br />

Dienstes für Frieden, Freiheit und Recht erkennt und anerkennt.<br />

Politische Bildung als Anwendungsbereich der<br />

Inneren Führung, die historische Bildung ausdrücklich<br />

einschließt, verfolgt damit auch einen erzieherischen Anspruch.<br />

Der Offizier muss über historische Kenntnisse und Einsichten<br />

verfügen, die ihn dazu befähigen, gegenwärtige<br />

politische, gesellschaftliche und militärische Fragen in ihren<br />

historischen Kontext einzuordnen, zu analysieren und<br />

zu bewerten. Von besonderer Bedeutung ist die Beschäftigung<br />

mit der Entstehung und Entwicklung des Leitbildes<br />

vom Staatsbürger in Uniform und der Konzeption der Inneren<br />

Führung als Konsequenz aus den Erfahrungen mit<br />

der deutschen Militärgeschichte seit dem 19. Jahrhundert.<br />

Darüber hinaus sollte er in der Lage sein, Grundlagen militärischen<br />

Führungsdenkens aus historischen Beispielen<br />

abzuleiten.<br />

Durch die Einbeziehung geschichtlicher Aspekte hilft politische<br />

Bildung den Soldatinnen und Soldaten, aus den<br />

Grundsätzen unserer Verfassung und einer kritischen<br />

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Maßstäbe zu<br />

gewinnen, die sie befähigen, politische Geschehnisse und<br />

Zusammenhänge der Gegenwart zu beurteilen und ein<br />

angemessenes Traditionsverständnis zu entwickeln.<br />

Ausbildung vermittelt Kenntnisse und Fertigkeiten und<br />

entwickelt Fähigkeiten, die der Soldat benötigt, um seinen<br />

Auftrag zu erfüllen. Ausbildung schließt als übergeordneter<br />

Begriff auch die Fort- und Weiterbildung ein.<br />

Erziehung nimmt Einfluss auf den Soldaten, mit dem Ziel<br />

der Auftragserfüllung aus Einsicht. Sie vollzieht sich in der<br />

bewussten Gestaltung von Rahmenbedingungen sowie<br />

Führungs- und Ausbildungsprozessen. Erziehung trägt<br />

24


damit wesentlich zur Ausprägung eines gemeinsamen<br />

Berufs- und Dienstverständnisses sowie zur Entwicklung<br />

psychischer Stabilität bei. Das Erziehungsverständnis der<br />

Luftwaffe geht von folgenden Erkenntnissen und Annahmen<br />

über die Erziehung von Erwachsenen aus:<br />

Ein über Sanktionen erreichtes Verhalten ist nicht primäres<br />

Ziel von Erziehung in der Luftwaffe. Zur jederzeitigen<br />

Durchsetzung eines für die Auftragserfüllung notwendigen<br />

Verhaltens ist es gleichwohl unter Umständen erforderlich,<br />

davon Gebrauch zu machen.<br />

Ganz gleich, ob der Dienst in der Luftwaffe oder als Luftwaffenuniformträger<br />

in anderen Org-Bereichen als Zeitoder<br />

Berufssoldat erfolgt, muss jeder Soldat und jede<br />

Soldatin davon ausgehen, sich im Einsatz bewähren zu<br />

müssen. Diese Vorgaben finden ihren Ausdruck in dem<br />

übergreifenden Ziel für die Erziehung in der Luftwaffe:<br />

Der Soldat der Luftwaffe ist gewillt und befähigt, seinen<br />

Auftrag, auch unter Belastungen und unter Gefährdung<br />

seines Lebens, eigenständig denkend, verantwortlich handelnd,<br />

gewissenhaft und aus Einsicht zu erfüllen. Vorgesetzte<br />

handeln beispielgebend.<br />

Die angemessene Begleitung von Soldaten in physischen<br />

und psychischen Belastungssituationen ist eine wichtige<br />

Führungsaufgabe. Sie gründet in der gesetzlich verankerten<br />

Sorgepflicht des Vorgesetzten und der aus dem Soldatengesetz<br />

resultierenden Verpflichtung des Dienstherren<br />

zu Betreuung und Fürsorge gegenüber den Soldaten. Die<br />

Vorgesetzten sind daher aufgefordert, belastende Situationen<br />

in ihrem Zuständigkeitsbereich zu erkennen und<br />

im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf deren Minimierung<br />

hinzuwirken. Dies gilt für den täglichen Dienstbetrieb<br />

und insbesondere für Vorbereitung, Durchführung und<br />

Nachbereitung eines Einsatzes. Letzteres schließt auch<br />

die Betreuung der Familien in den Standorten ein. Diese<br />

Führungsaufgabe erfordert über die Selbst- und Kameradenhilfe<br />

sowie Hilfe durch Vorgesetzte hinaus die Unterstützung<br />

durch die fachliche Expertise insbesondere der<br />

Truppenpsychologen und der Militärgeistlichen.<br />

Aus den Belastungen des Einsatzes erwächst die Notwendigkeit<br />

einer fundierten einsatzvorbereitenden Ausbildung.<br />

Offiziere müssen sich der Tatsache bewusst sein,<br />

dass sie gerade hier als Ausbilder und Erzieher gefordert<br />

sind.<br />

Wesentliche Grundlagen für das Überleben im Einsatz<br />

sind körperliche Fitness und psychische Belastbarkeit.<br />

Körperliche Fitness ist dabei die Voraussetzung für eine<br />

hohe psychische Belastbarkeit. Daher ist jeder gefordert,<br />

seine körperliche Fitness eigenverantwortlich zu verbessern.<br />

Unter dem Stichwort „Multinationalität“ ist das Beherrschen<br />

der englischen Sprache für den Beruf des Offiziers<br />

kein „nice to have“ mehr, sondern ein „must have“. Das<br />

gilt für alle Luftwaffenoffiziere. Auch hier gilt es, sich eigenverantwortlich<br />

und selbstständig weiterzubilden.<br />

Der Einsatz in fremden Ländern bedeutet, dort Menschen<br />

anzutreffen, die in anderen Kultur- und <strong>Gesellschaft</strong>ssystemen<br />

leben. Deshalb ist das Erwerben interkultureller<br />

Kompetenz von großer Bedeutung, um die Aufgaben<br />

wahrnehmen zu können. Ebenso ist interkulturelle Kompetenz<br />

wichtig, um mit den Belastungen umgehen zu<br />

können, die die Konfrontation mit fremden Verhaltensweisen,<br />

die mit unseren Werten nicht übereinstimmen,<br />

bewältigen zu können.<br />

Wir sehen aber auch, dass die Konfrontation mit unterschiedlichen<br />

kulturellen Hintergründen schon im<br />

Truppenalltag zunimmt. Der Anteil der Soldaten mit<br />

Migrationshintergrund wächst. So bedarf es der Auseinandersetzung<br />

mit der Tatsache, dass z.B. immer Soldatinnen<br />

und Soldaten mit einer anderen Religionszugehörigkeit<br />

oder keiner Religionszugehörigkeit in der Bundeswehr<br />

Dienst tun. Wir sollten dennoch nicht außer Acht lassen,<br />

dass unsere Werte und Normen einen – wenn auch deutlich<br />

säkularisierten – christlichen Ursprung haben.<br />

Auch aus operativer Sicht kann das Wissen um kulturelle<br />

Gepflogenheiten im Einsatzland von entscheidender Be-<br />

25


Der Offizierberuf in der Luftwaffe – Neue Chancen und sich änderne Anforderungen<br />

deutung für die Mission sein. Die genannten Anforderungen<br />

stellen eine neue Herausforderung dar, die professionellen<br />

Umgang, Unterstützung und Auseinandersetzung<br />

erfordert. Interkulturelle Kompetenz ist damit eine Fähigkeit,<br />

die zwar schwer messbar aber von zunehmender<br />

Bedeutung ist.<br />

Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen inzwischen, dass<br />

mangelnde oder fehlende interkulturelle Kompetenz auch<br />

in multinationalen Stäben zu Stress und Frustation führten.<br />

Interkulturelle Kompetenz setzt aber auch das Verstehen<br />

der eigenen Kultur und Werte voraus. Das Fragen<br />

nach dem, was typisch deutsch ist, zielt in beide Richtungen.<br />

Akzeptanz des Unterschiedlichen gehört dazu.<br />

6. Betreuung, Fürsorge und soziale Wirklichkeit<br />

Eine an den Werten des Grundgesetzes ausgerichtete konsequente<br />

Anwendung der Grundsätze der Inneren Führung<br />

ist unverzichtbare Grundlage für Selbstverständnis und<br />

Motivation der Soldaten und Soldatinnen. Dies schließt<br />

eine zeitgemäße Menschenführung und die Fürsorge der<br />

Verantwortlichen aller Ebenen sowie die Betreuung der<br />

Soldaten und Soldatinnen ein und gilt für die Erfüllung<br />

der Pflichten im Einsatz und im Grundbetrieb.<br />

Dabei ist das Gegenteil von dienen nicht verdienen, sondern<br />

herrschen wollen. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass<br />

alle Soldatinnen und Soldaten entsprechend ihrer Verantwortung,<br />

die sie für die Gemeinschaft übernommen haben,<br />

entsprechend den gesellschaftlichen Gepflogenheiten<br />

materiell entlohnt werden.<br />

Für die Soldaten im Einsatz und die Angehörigen zu Hause<br />

bedeuten die Einsätze eine besondere psychische Belastung.<br />

Dabei werden sie auch mit Erfahrungen und Erlebnissen<br />

im Zusammenhang mit Tod und Verwundung<br />

konfrontiert, insbesondere dann, wenn helfen – schützen<br />

– vermitteln – kämpfen auf besondere tragische Weise<br />

miteinander verknüpft werden. Fürsorge, Familienbetreuung<br />

und eine entsprechende Ausbildung sind in diesem<br />

Zusammenhang Betätigungsfelder, aber auch Verpflichtungen,<br />

die eine ganz neue Wertigkeit bekommen haben.<br />

Der sich abzeichnende erhebliche Rückgang der Bevölkerung<br />

in Deutschland und die mit der Abnahme der<br />

Geburten verbundene Veränderung der Altersstruktur<br />

werden sich in den kommenden Jahren in verschiedener<br />

Hinsicht auf die Entwicklung der Streitkräfte und der<br />

Bundeswehr als Ganzes auswirken. Dies führt die Streitkräfte<br />

in eine schwierige Wettbewerbsposition auf dem<br />

Arbeitsmarkt. Um zukünftig qualifizierte Arbeitskräfte<br />

gewinnen und binden zu können, kommt es für die Bundeswehr<br />

darauf an, dass es ihr gelingt, als Arbeitgeber bei<br />

der Gestaltung des Dienstes zu einer ausgewogenen Balance<br />

zwischen Privatleben und Beruf beizutragen. Dies<br />

gilt auch für beorderte Reservistinnen und Reservisten,<br />

deren unverzichtbare Wehrdienstleistung zu Lasten der<br />

Präsenz an ihrem Arbeitsplatz und in ihrer Familie geht.<br />

Es bedeutet aber auch, dass sich der militärische Führer in<br />

seiner natürlichen Multiplikatorfunktion mit der Gewinnung<br />

von Personal für die Zukunft und dem Halten des<br />

gewonnenen Personals beschäftigen muss.<br />

Die Rolle der Frau hat sich in den vergangenen Jahrzehnten<br />

zugunsten einer höheren Eigenständigkeit gewandelt.<br />

Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein allgemein<br />

anerkanntes gesellschaftliches Ziel. Unter dem<br />

Begriff des Gender Mainstreaming verfolgen Politik und<br />

Verwaltung eine Strategie zur systematischen Berücksichtigung<br />

der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von<br />

Frauen und Männern in allen Politikbereichen und Prozessen<br />

bei Planung, Umsetzung und Bewertung von Maßnahmen.<br />

Ein wesentlicher Aspekt dieser Strategie, die auch<br />

für die Streitkräfte verbindliche Vorgaben formuliert, ist<br />

die sprachliche Gleichbehandlung von Soldatinnen und<br />

Soldaten im täglichen Dienstbetrieb, in der Vorschriftenarbeit<br />

sowie im dienstlichen Schriftverkehr.<br />

Darüber hinaus zeigt der gesellschaftliche Wandel zentraler<br />

Lebensinteressen, dass neben Beruf, Einkommen und<br />

Karriere gleichzeitig und gleichwertig Familie, Freizeit<br />

und Freundeskreis treten. In den Zielgruppen der militärischen<br />

Personalgewinnung gewinnt die Familie als Lebens-<br />

26


mittel- und Ankerpunkt sogar eine überdurchschnittliche<br />

Bedeutung.<br />

Aus dem gegenseitigen Treueverhältnis erwächst für den<br />

Dienstherrn eine Mitverantwortung für die Familien der<br />

Soldaten und Soldatinnen. Darüber hinaus werden Leistungsfähigkeit,<br />

Einsatzbereitschaft, Motivation und Zufriedenheit<br />

der Soldaten und Soldatinnen im Dienst auch<br />

durch familienunterstützende Vorgaben und Maßnahmen<br />

der Bundeswehr gefördert. Es ist das Bewusstsein aller Beteiligten<br />

zu schärfen, und es sind Rahmenbedingungen zu<br />

entwickeln, um in der Praxis des täglichen Dienstes die<br />

Vereinbarkeit von Familie und Dienst als einen Anwendungsbereich<br />

der Inneren Führung so weit wie möglich zu<br />

realisieren. Dies muss gelebt und erlebt werden.<br />

7. Information, Kommunikation und Medien<br />

Die heute lebenden Generationen werden von Informationen<br />

überflutet. Um sich die für das Berufsleben und den<br />

Alltag bedeutsamen Informationen herauszufiltern, ist der<br />

Erwerb von Medienkompetenz unerlässlich. Verbunden<br />

mit der Notwendigkeit des „Lebenslangen Lernens“ muss<br />

sich der Einzelne durch gezieltes „Wissensmanagement“,<br />

einer Wortschöpfung der letzten Jahre, den neuen Wissensmarkt<br />

erschließen.<br />

Zu einer besonderen Art der Kommunikation und des<br />

Umgangs mit den neuen Medien – vor allem dem Internet<br />

– ist es heute in der jungen Generation üblich, auf speziellen<br />

Portalen (z.B. You Tube und My Video) privat angefertigte<br />

Bilder und Videos der Öffentlichkeit zu präsentieren.<br />

Diese Internetportale dienen den Nutzern als Forum des<br />

Austausches und der Präsentation von Videos und Bildern<br />

und sind Teil des Medienalltags. Vermehrt werden<br />

auch Videoclips aus dem Bereich der Bundeswehr veröffentlicht.<br />

Hierbei handelt es sich zumeist um verfremdete<br />

Szenen aus dem allgemeinen Dienstbetrieb oder aus der<br />

dienstfreien Zeit. Da ein Betrachter von diesen Videos auf<br />

den allgemeinen Dienstbetrieb der Bundeswehr schließen<br />

wird, sind sie in der Regel nicht geeignet, das Ansehen<br />

der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen.<br />

Vereinzelt zeigen Videos jedoch Handlungen und Situationen,<br />

die sowohl auf Grund der bloßen Einstellung ins<br />

Internet als auch wegen der dargestellten Handlungen<br />

den Verdacht von Straftaten nahe legen (z.B. Verletzung<br />

von Dienstgeheimnissen, Verbreitung von Kennzeichen<br />

verfassungswidriger Organisationen, Darstellungen von<br />

Gewalt sowie Äußerungen beleidigenden Inhaltes). Vorgesetzte<br />

müssen ihren Soldatinnen und Soldaten die Konsequenzen<br />

aufzeigen, die das Anfertigen solcher Videos<br />

und Bilder, die Weitergabe an Dritte oder das Einstellen<br />

dieses Materials im Internet haben.<br />

Die Luftwaffe ist auf hoch qualifiziertes und motiviertes<br />

Personal angewiesen, um die immer komplexer werdenden<br />

Geräte und Waffensysteme einsetzen und bedienen zu<br />

können. Der Offizier der Luftwaffe muss sich auch diesem<br />

Aspekt widmen. So benötigt die Luftwaffe jährlich rund<br />

5.000 Regeneranten zur Kompensation der ausscheidenden<br />

Berufs- und Zeitsoldaten. Darüber hinaus müssen<br />

in den nächsten Jahren rund 2.000 Feldwebelanwärter<br />

gewonnen werden, um alle Aufgabenfelder erfüllen zu<br />

können, die in der Zielstruktur der Luftwaffe vorgesehen<br />

sind.<br />

Die richtigen jungen Menschen für den Dienst in den<br />

Streitkräften zu gewinnen und diese langfristig in den<br />

Streitkräften zu halten ist auch eine der Kernaufgaben der<br />

militärischen Vorgesetzten. Die Luftwaffe bietet in ihrer<br />

Rolle als Arbeitgeber heute und in Zukunft interessante<br />

und fordernde Aufgaben in unterschiedlichsten Fachtätigkeiten.<br />

Sie ist damit ein durchaus konkurrenzfähiger und<br />

attraktiver Arbeitgeber. Ich denke dabei an eine Vielzahl<br />

hervorragend qualifizierender, auch zivilberuflich anerkannter<br />

Berufsausbildungsgänge einschließlich des Studiums<br />

an den Universitäten der Bundeswehr.<br />

Die Streitkräfte haben frühzeitig auf die Anforderungen<br />

des von zunehmender Globalisierung geprägten Arbeitsmarktes<br />

reagiert und das Bildungssystem auf international<br />

anerkannte zertifizierte Bachelor-/ Master-Abschlüsse<br />

umgestellt. Dies ist nicht nur eine Attraktivitätsmaßnahme,<br />

sondern trägt auch einer nachhaltigen, zukunftsori-<br />

27


Der Offizierberuf in der Luftwaffe – Neue Chancen und sich änderne Anforderungen<br />

entierten Vorbereitung unseres Führungsnachwuchses<br />

auf die militärfachlichen Verwendungen Rechnung. Wir<br />

brauchen wissenschaftlich ausgebildetes, am technologischen<br />

Fortschritt, an den ökonomischen Herausforderungen<br />

und gesellschaftlichen Entwicklungen ausgerichtetes<br />

„Managementpersonal“ mit moralischer und kommunikativer<br />

Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein und Leistungswillen.<br />

28


Das militärische Selbstverständnis des Deutschen Heeres<br />

Ein wichtiger Faktor für den Erfolg im Einsatz<br />

Text:<br />

Generalleutnant Hans-Otto Budde<br />

Die nationale Souveränität der Bundesrepublik Deutschland<br />

basiert unter anderem auf deren sicherheitspolitischer<br />

Handlungsfähigkeit. Hierzu leisten die Streitkräfte<br />

im Rahmen des vernetzten Sicherheitskonzeptes ihren<br />

Beitrag. Die heutigen und möglichen zukünftigen Krisen<br />

und Konflikte verlangen dabei von den Streitkräften ein<br />

breites Spektrum an Fähigkeiten verbunden mit einem<br />

hohen Maß an Flexibilität. Mit der Transformation der<br />

Bundeswehr wurde ein fortlaufender, vorausschauender<br />

Anpassungsprozess zur Erhöhung der Einsatzfähigkeit in<br />

Gang gesetzt, der neben sicherheitspolitischen, organisatorischen<br />

und technologischen Aspekten auch eine gesellschaftliche<br />

Dimension besitzt. Aus dieser erwachsen Anforderungen<br />

an jeden Einzelnen.<br />

Es ist der Mensch, der durch die Realisierung von<br />

Ideen zum Träger der Transformation wird. Zugleich ist<br />

der Mensch aber auch selbst Teil dieser Transformation.<br />

Auch hat er sich auf die neuen Herausforderungen auszurichten.<br />

Die Begründung des soldatischen Dienens fällt<br />

in unserer heutigen, sehr stark auf Individualisierung ausgerichteten<br />

<strong>Gesellschaft</strong>, oftmals auch als Spaßgesellschaft<br />

bezeichnet, schwerer als in der Vergangenheit. Zudem<br />

trifft der einfache, zu seiner Zeit richtige Satz „Kämpfen<br />

können, um nicht kämpfen zu müssen“ heute nicht mehr.<br />

Der Soldat muss heute kämpfen können und kämpfen<br />

wollen, wenn er kämpfen muss. Somit ist der Einsatz von<br />

Soldaten mit all seinen persönlichen Konsequenzen bis<br />

hin zum Risiko für Gesundheit und Leben heute Realität.<br />

Dies gilt für grundsätzlich alle Soldaten, für die Soldaten<br />

des Heeres aber insbesondere, denn „Auf den letzten 100<br />

m ist der Soldat allein“. Die nahezu immer ganz „vorne“<br />

im Einsatz stehenden Heeressoldaten benötigen einen verlässlichen<br />

Kompass. Nur wer über diesen verfügt, kann<br />

im Einsatz unter Belastung seinen Auftrag, und dieser<br />

schließt das Kämpfen mit ein, verantwortungsvoll erfüllen.<br />

Vor diesem Hintergrund und zu diesem Zweck wurde<br />

das „Selbstverständnis des Heeres“ formuliert. Es verbindet<br />

die heutige Einsatzrealität mit tradierten Grundsätzen<br />

soldatischen Handelns und ist verbindliches Koordinatensystem<br />

für alle Heeressoldaten.<br />

Heutige Herausforderungen<br />

Hans-Otto Budde<br />

Die Konflikte des 21. Jahrhunderts entfernen sich im<br />

Kriegsbild zunehmend von dem des klassischen Staatenkrieges.<br />

Sie lösen sich von allen Vorstellungen der Regelhaftigkeit<br />

sowohl im Handwerk wie auch im Hinblick auf<br />

rechtliche Konventionen. Mit Clausewitz gesagt: „Der<br />

Krieg erweist sich einmal mehr als Chamäleon.“ Staaten<br />

haben in vielen Weltregionen ihr früheres Monopol auf<br />

militärische Machtausübung verloren. An ihre Stelle treten<br />

immer häufiger halbstaatliche und private Akteure. Asymmetrie<br />

und Autonomisierung militärischer Gewaltformen<br />

kennzeichnen ein Kriegsbild mit oft stark irrationalen Zügen<br />

durch z.B. nationalistische, ethnische oder religiöse<br />

Elemente. Auslöser sind eine Vielzahl unterschiedlichster<br />

Konfliktgründe und Machtmotive. Die Grenzen zwischen<br />

kriegerischer Aggression, organisierter Kriminalität und<br />

Terrorismus verschwimmen zunehmend. Gewalt richtet<br />

sich nicht mehr ausschließlich gegen die militärischen<br />

Ziele des Gegners, sondern zunehmend auch gegen die<br />

Zivilbevölkerung. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten<br />

und Nichtkombattanten ist fließend, wenn nicht<br />

gar aufgehoben. Damit sind zivilisatorische Fortschritte<br />

ganzer Jahrhunderte zunichte gemacht: Die mühsam<br />

errungene Einhegung des Furors Krieg wird wieder ersetzt<br />

durch Vorgehens- und Verhaltensweisen, welche in<br />

29


Das Militärische Selbstverständnis des Deutschen Heeres<br />

Europa nach dem Dreißigjährigen Krieg zunehmend als<br />

überwunden gelten durften.<br />

Das Heer – Träger von Landoperationen<br />

Die Herausforderungen haben sich somit für Streitkräfte<br />

und Landstreitkräfte im besonderen drastisch geändert.<br />

Sie sind in den derzeitigen und wahrscheinlichen zukünftigen<br />

Einsätzen zunehmend mit Bürger- und Guerillakriegszenarien<br />

konfrontiert. Die Akteure dieser Konflikte,<br />

vom Terroristen bis zum irregulären Kämpfer, sind oftmals<br />

nur schwer fassbar und teilweise von der Zivilbevölkerung<br />

nicht zu unterscheiden. Sie kennen das Handwerk<br />

des regulären Soldaten und konfrontieren ihn mit oft<br />

hoher Professionalität und modernsten Waffen unter Anwendung<br />

einer asymmetrischen Kriegführung. Bei ihnen<br />

liegt das Gesetz des Handelns. Militärische Überlegenheit<br />

kompensieren sie durch die Wahl des „Gefechtsfeldes“,<br />

die Vorgehensweise und nicht zuletzt auch die ethische<br />

Dimension. Terrorismus ist in diesem Verständnis keine<br />

eigenständige Konflikterscheinungsform, sondern lediglich<br />

ein ausgeprägt asymmetrischer modus operandi.<br />

Selbstmordattentäter haben gänzlich andere Vorstellungen<br />

von Leben und Tod als wir und sind deshalb für uns militärisch<br />

nur schwer berechenbar. Kollateralschäden haben<br />

für die Protagonisten mancher Konfliktpartei einen völlig<br />

anderen Stellenwert als für uns: Während wir diese Schäden<br />

zu vermeiden versuchen, sind sie für asymmetrische<br />

Kämpfer womöglich willkommen, um den Effekt von<br />

Anschlägen in signifikanter Weise noch weiter zu steigern.<br />

An unsere Soldaten in den Einsatzgebieten werden heute<br />

höchste Anforderungen an physische und psychische<br />

Stabilität gestellt. Sie müssen auch im Angesicht von Not<br />

und menschlichem Elend bestehen, ohne dabei Schaden<br />

an Leib und Seele zu nehmen.<br />

Die geschilderten Ausprägungen gewaltsamer Konfliktaustragung<br />

fordern von den Soldaten des Heeres mehr als<br />

nur das Beherrschen klassischen militärischen Handwerkes.<br />

In Stabilisierungsoperationen wird die Fähigkeit verlangt,<br />

bis hin auf die Mannschaftsebene rechtsstaatliche<br />

Handlungen innerhalb des politisch vorgegebenen Zieles<br />

in einem komplexen Umfeld durchzusetzen. Heeressoldaten<br />

haben sich hier einer besonderen Herausforderung zu<br />

stellen. Sie sind immer „mittendrin“, also ohne die schützende<br />

Distanz zu den vielschichtigen Bedrohungen. Daher<br />

müssen sie sich mit diesen Anforderungen im Vorfeld<br />

auseinandersetzen, um körperlich wie mental in bestmöglicher<br />

Weise vorbereitet zu sein. Dies umfasst militärischhandwerkliche<br />

und intellektuelle Aspekte, aber auch die<br />

Frage des beruflichen Selbstverständnisses. Mitdenkende<br />

Soldaten mit einem tiefgehenden und nachhaltigen<br />

Verständnis ihres Auftrages sowie einem hohen Maß an<br />

moralischer Urteilsfähigkeit, die selbst in Extremsituationen<br />

und unter Stressbedingungen standhalten, sind mehr<br />

denn je das, was das Deutsche Heer braucht. Vom Einsatz<br />

her zu denken ist für das Heer auch bei der Entwicklung<br />

der erforderlichen Orientierungspunkte innerhalb eines<br />

dynamischen Selbstverständnisses der unverzichtbare<br />

Ausgangspunkt.<br />

Kampf – Einsatzrealität des Heeres<br />

Die geistig-moralische Auseinandersetzung mit dem Einsatz<br />

von Gewalt zur Durchsetzung des Auftrages ist ein<br />

prägendes Merkmal des Soldatenberufes. Die Befähigung<br />

zum Kampf war schon zu Zeiten des Kalten Krieges die<br />

verbindende Klammer im Heer. Sie stellt folglich keine<br />

neue Qualität dar. Die Bereitschaft zum Kampf wird dem<br />

Heeressoldaten unverändert abverlangt, weil in Bodenoperationen<br />

plötzlich und überall Entscheidungsfähigkeit<br />

und Kampfeswille abgefordert werden kann. Kampf<br />

ist Teil unserer Einsatzrealität und Alleinstellungsmerkmal<br />

von uns Soldaten. Schützen, vermitteln, helfen und<br />

wann immer gefordert kämpfen sind heutige Aufgabe im<br />

Einsatz.<br />

Der Heeressoldat muss kämpfen können und kämpfen<br />

wollen, wenn er kämpfen muss. Die Motivation zum<br />

Kampf und die Bereitschaft der Soldaten, zur Durchsetzung<br />

des Auftrages die Gesundheit und im äußersten<br />

Fall das eigene Leben einzusetzen, sind zwei Seiten der<br />

gleichen Medaille. Dazu reichen abstrakte Begründungen<br />

oder monetäre Anreize nicht aus. Dafür braucht es<br />

30


Das Selbstverständnis des Heeres<br />

Das Grundgesetz regelt die parlamentarische Kontrolle und Kommandogewalt über die Bundeswehr. Es<br />

betont den Primat der Politik, der die militärische Führung der politischen Führung unterordnet. Streitkräfte<br />

und Staat stehen in einem besonderen Treueverhältnis. Das Selbstverständnis der Angehörigen des<br />

Heeres begründet sich in diesem Rahmen aus der Verpflichtung, der Bundesrepublik Deutschland treu zu<br />

dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.<br />

n Das Heer steht nie allein, sondern es erfüllt seinen<br />

Auftrag zusammen mit anderen Angehörigen der<br />

Bundeswehr und ihrer verbündeten Streitkräfte.<br />

Die Leitsätze der Angehörigen des Heeres<br />

Die Merkmale des Selbstverständnisses<br />

des Heeres<br />

n Das Heer ist Kern der Landstreitkräfte und Träger<br />

der Landoperationen im Rahmen von Einsätzen<br />

zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen<br />

und Bürger, bei Internationaler Konfliktverhütung<br />

und Krisenbewältigung, bei der Unterstützung der<br />

Bündnispartner, bei Rettung, Evakuierung und<br />

sonstigen Hilfeleistungen.<br />

n Das Heer muss weltweit in den unterschiedlichsten<br />

geografischen, klimatischen und kulturellen<br />

Regionen kämpfen, schützen, helfen und vermitteln<br />

können.<br />

n Das Heer setzt die Werte und Normen des Grundn<br />

gesetzes durch Anwendung der Prinzipien der<br />

Inneren Führung um und wendet zur Erfüllung<br />

seiner Aufgaben die Grundsätze der Auftragstaktik<br />

an.<br />

n Das Heer steht in der Tradition der Heeresreformer<br />

um Gerhard von Scharnhorst, der Widerstandskämpfer<br />

des 20. Juli 1944 und seiner eigenen<br />

über 50-jährigen Geschichte, nicht zu vergessen<br />

tugendhaftes Verhalten und herausragende Einzeltaten<br />

aus unserer langen Militärgeschichte.<br />

Dies wird in seinen Truppenteilen, seinen Truppengattungen<br />

und seinem militärischen Brauchtum<br />

erlebbar.<br />

n Das Heer ist stets durch Vielfalt gekennzeichnet.<br />

Diese Vielfalt spiegelt sich in den unterschiedlichsten<br />

Truppengattungen wider.<br />

Wir Soldatinnen und Soldaten des Heeres<br />

n dienen unserem Land treu und diszipliniert. Dafür<br />

sind wir bereit, Opfer und Entbehrungen auf uns<br />

zu nehmen und unser Leben einzusetzen;<br />

n sind stolz auf unser militärisches Können und bestrebt,<br />

uns ständig weiter zu entwickeln – Einsatzbereitschaft<br />

und Einsatzfähigkeit sind Richtschnur<br />

unseres Handelns;<br />

n bestehen im Einsatz alleine oder im Team mit Tapferkeit,<br />

Mut, Kompetenz und Besonnenheit;<br />

n leben Toleranz und Kameradschaft, sind offen für<br />

Neues und achten fremde Kulturen;<br />

n sind bescheiden, selbstkritisch und wollen Vorbild<br />

sein. Wir bekennen uns zu unserer Tradition und<br />

zu unserem militärischen Brauchtum.<br />

Vertrauen in die Richtigkeit des übertragenen Mandates,<br />

Vertrauen in den Rückhalt der <strong>Gesellschaft</strong>, in Vorgesetzte<br />

und Kameraden sowie in das eigene Können und die<br />

Leistungsfähigkeit der eigenen Ausrüstung. Nicht zuletzt<br />

begründet die emotionale Überzeugtheit, für das Richtige<br />

einzutreten, das Standhalten auch in Extremsituationen.<br />

Ohne emotionale Bindung ist dies nur schwer vorstellbar.<br />

Kurzgefasst: Erfolg im Einsatz gründet neben der Befähigung<br />

zum Kampf auf Standfestigkeit, Geradlinigkeit, Situationsgespür<br />

und einer straffen Disziplin. Basis hierfür<br />

ist eine feste Bindung an gemeinsame Werte und Tugenden.<br />

Militärische Tradition – Anknüpfungspunkt für unser<br />

Selbstverständnis<br />

„…ohne Traditionsbewusstsein ist eine Streitmacht perspektiv-<br />

und orientierungslos; ihr Berufsethos schwindet, und sie<br />

ist in Gefahr, zu einer rein technischen Einrichtung zu werden,<br />

deren Zweck das Töten ist.“ (Gordon A. Craig)<br />

Militärische Tradition ist ein wesentliches Hilfsmittel,<br />

Bindungen und Identitäten zu stärken, aber auch in Ausbildung<br />

und Erziehung aus historischen Beispielen zu<br />

lernen und somit ethische Normen zu begründen und<br />

zu festigen. Zeitlose soldatische Werte und tugendhaftes<br />

Verhalten in unserer langen Militärgeschichte sind daher<br />

Eckpfeiler unseres Selbstverständnisses. Die drei Traditionslinien<br />

der Bundeswehr, das Zeitalter der preußischen<br />

Heeresreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der<br />

militärische Widerstand gegen das nationalsozialistische<br />

Regime und die Geschichte der Bundeswehr selbst, bilden<br />

die Säulen unserer Traditionspflege. Eine Auseinandersetzung<br />

mit diesen Wurzeln ist Grundlage dafür, sich<br />

gerade in der heutigen Einsatzrealität nicht losgelöst wertneutral<br />

auf das militärische Handwerk zu beschränken.<br />

Somit wird der Umgang mit der Vergangenheit ein nicht<br />

zu vernachlässigender Faktor, um ein Selbstverständnis zu<br />

formen und den Soldaten zu helfen, sich zu justieren und<br />

sich mit ihren Aufgaben auch im neuen Einsatzspektrum<br />

zu identifizieren.<br />

Innere Führung – Fundament und Konstante unseres<br />

Selbstverständnisses<br />

Die Innere Führung mit dem Leitbild des Staatsbürgers in<br />

Uniform ist die Grundlage für das Selbstverständnis des<br />

Heeres. Dieses macht Innere Führung für die Angehörigen<br />

31


Das Militärische Selbstverständnis des Deutschen Heeres<br />

des Heeres erlebbar. Eine eigene Identität des Heeres ist<br />

aber weder Konkurrenz noch Ersatz für Innere Führung.<br />

Ganz im Gegenteil: Unser Selbstverständnis als Heer steht<br />

fest auf dem Boden dieses Konzeptes. Das Rüstzeug der<br />

Gründerväter der Bundeswehr bleibt Gestaltungsprinzip<br />

für die Integration des Soldaten in Staat und <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Denn die Grundlagen für unser Handeln als Soldaten<br />

bleiben unser humanistisches Menschenbild, die christliche<br />

Ethik, unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung<br />

und das eigene Erleben rechtsstaatlicher Grundsätze<br />

und Werte. Nur so entsteht letztlich die notwendige<br />

Verhaltenssicherheit in den Einsätzen. Hier bestimmen<br />

Recht, Gesetz und Würde des Menschen auch in außergewöhnlichen<br />

Lagen das moralisch verantwortliche Handeln<br />

unserer Soldaten. Das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“<br />

verpflichtet uns Soldaten auf ein Ethos des Respekts<br />

vor den Menschenrechten, der Fairness, der Toleranz und<br />

der Loyalität gegenüber demokratischen Entscheidungen.<br />

Die in einem Dokument des Amtes Blank aus dem Jahre<br />

1953 zu findende Formulierung: „Alle Arbeiten auf dem<br />

Gebiet der Inneren Führung haben das Ziel, den Typ des<br />

modernen Soldaten zu schaffen und fortzubilden, der<br />

freier Mensch, guter Staatsbürger und vollwertiger Soldat<br />

zugleich ist“, ist gerade durch die Anforderungen in den<br />

heutigen Einsätzen und den damit verbundenen Extremsituationen<br />

für unsere Soldaten aktueller denn je.<br />

Führen mit Auftrag – oberstes Prinzip deutscher<br />

Landstreitkräfte<br />

Gerade bei Landoperationen wechseln die Parameter für<br />

das eigene Handeln oft abrupt: Gerade noch in eine überschaubare,<br />

gut strukturierte Tätigkeit im Einheits- oder<br />

Verbandsrahmen eingebunden, mag man sich im nächsten<br />

Augenblick in einer Situation wiederfinden, welche einen<br />

einzelnen Soldaten auf niedrigster taktischer Ebene mit<br />

der von ihm zu treffenden Entscheidung plötzlich ganz<br />

alleine lässt. Insellagen können entstehen, wenn Konflikte<br />

urplötzlich eskalieren, bis hin zum offenen Kampf. Unvorhersehbarkeit<br />

ist ein oftmals situationsbestimmendes Element.<br />

Führen mit Auftrag ist die bereits seit zwei Jahrhunderten<br />

bewährte Antwort auf diese Herausforderungen.<br />

Dieses im Heer bewährte Führungsprinzip wird als Teil<br />

unseres Selbstverständnisses auch weiter oberstes Prinzip<br />

für die Soldaten in den Einsatzgebieten sein. Gewährung<br />

von Handlungsfreiheit und das Delegieren von Entscheidung<br />

auch auf unteren und untersten Führungsebenen ist<br />

oftmals entscheidend für den Erfolg. Dies gilt umso mehr,<br />

als in heutigen Einsätzen bereits die Handlung oder Unterlassung<br />

eines Mannschaftssoldaten strategische Bedeutung<br />

erlangen kann („strategischer Gefreiter“). Rückhalt<br />

für die Entscheidung auf dieser Ebene ist der Verbleib der<br />

Verantwortung beim Vorgesetzten – die Verantwortung<br />

ist unteilbar und nicht delegierbar.<br />

Wir brauchen nicht den „stumpfen“ Befehlsempfänger,<br />

sondern den mitdenkenden Soldaten, der sein Handeln<br />

vor sich, seinen Vorgesetzten und seinem Land verantworten<br />

kann. Dazu gehören Urteilsfähigkeit und Vorausdenken.<br />

Hieran ändern auch detaillierte Vorgaben in Stabilisierungsoperationen<br />

im Grundsatz nichts. Richtschnur<br />

für das eigene Handeln bleibt die „3a“ – die Absicht der<br />

übergeordneten Führung. Sie ordnet den eigenen Auftrag<br />

in die Gesamtoperationsführung ein, und gilt auch, wenn<br />

sich die Lage entscheidend geändert hat. Als Beispiel für<br />

richtig verstandenes Handeln im Sinne der übergeordneten<br />

Führung kann eine Begebenheit aus der Schlacht<br />

von Zorndorf herangezogen werden. Friedrich Wilhelm<br />

Freiherr von Seydlitz-Kurzbach verweigerte mehrmals<br />

den Befehl des Königs Friedrich der Große, mit seinen<br />

Kavallerieeinheiten in die Schlacht einzugreifen, obwohl<br />

ihm gedroht wurde „er hafte mit seinem Kopf für den<br />

Ausgang der Schlacht“. Seydlitz griff erst dann an, als er<br />

durch einen Angriff in die Flanke die maximale Wirkung<br />

erzielen konnte. Dies trug zum siegreichen Ausgang der<br />

Schlacht maßgeblich bei. Seydlitz gehorchte dem Befehl<br />

seines Königs nicht dem Wort, sondern dem Sinn nach.<br />

Diese selbständige Prüfung, ob die wörtliche Ausführung<br />

eines erhaltenen Befehls die dahinter stehende Absicht des<br />

Erteilenden trifft, ist wesentlicher Bestandteil der heute<br />

bei der Bundeswehr angewandten Auftragstaktik.<br />

32


Werte und Tugenden – Grundlagen soldatischer<br />

Leistung<br />

Unsere Einsätze finden zumeist in für uns ungewohnten<br />

multi-ethnischen Kulturkreisen, unter teilweise extremen<br />

klimatischen Bedingungen und unter hoher physischer<br />

wie psychischer Belastung statt. Komplexität, Dynamik<br />

und Unberechenbarkeit im Einsatzraum erfordern von<br />

unseren Soldaten selbständiges Denken, verantwortungsfreudiges<br />

Handeln sowie eine ausgeprägte moralische<br />

Kompetenz. Die Achtung der unveräußerlichen Menschenrechte<br />

sowie der Grundsätze Gerechtigkeit und<br />

Verhältnismäßigkeit sind für jeden Soldaten verbindlich.<br />

Aber nur wer von diesen Werten überzeugt ist, kann die<br />

Frage nach der Sinnhaftigkeit seines Einsatzes positiv beantworten:<br />

Worin liegt der Erfolg meines Handeln? Wofür<br />

setze ich Leben und Gesundheit ein? Nur Soldaten,<br />

die die Bedeutung ihrer Aufgabe erkannt haben und von<br />

Sinn und Rechthaftigkeit des Auftrags überzeugt sind,<br />

werden ihre Pflichten bis zum Äußersten erfüllen. Hieraus<br />

erwächst die Notwendigkeit, sich auf berufsethische und<br />

moralische Grundlagen abstützen zu können. Moralisch,<br />

ethisch und rechtlich korrektes Verhalten muss gelehrt<br />

aber insbesondere vorgelebt, d.h. erlebbar werden. Nur<br />

so erreichen unsere Soldaten Verhaltenssicherheit auch in<br />

Grenzsituationen. Verwundung und Tod, Geiselnahme<br />

und Geiselhaft, Kindersoldaten, Massenvergewaltigungen<br />

und ethnische Säuberungen sind heute reale und grausame<br />

Erscheinungsformen in Krisen- und Konfliktgebieten.<br />

Mit diesen müssen wir uns mental und, wo möglich,<br />

praktisch in der Ausbildung und der Vorbereitung auf unsere<br />

Einsätze auseinandersetzen. Eine Werteorientierung<br />

bildet hier den verlässlichen inneren ethischen Kompass.<br />

Unser Selbstverständnis leistet hierzu die erforderliche<br />

Hilfestellung.<br />

Erfahrungen in aktuellen Einsätzen unterstreichen die<br />

Aktualität klassischer Soldatentugenden als Grundlage<br />

soldatischer Haltung und Leistung. Der Einsatz verlangt<br />

Kühnheit und Willenskraft, Besonnenheit und Zähigkeit,<br />

auch in höchster Gefahr und bis zum Einsatz des Lebens.<br />

Zu den soldatischen Tugenden gehören Tapferkeit, Mut,<br />

Pflichtbewusstsein und ein fester Wille sich durchzusetzen.<br />

Ergänzend sind die Prinzipien der Gerechtigkeit, die<br />

Fairness, Toleranz, Respekt und Aufrichtigkeit. Die Tugenden<br />

sind Konstante während die ergänzenden Prinzipien<br />

in den heutigen Einsätzen an Bedeutung zunehmen.<br />

Zu Zeiten der Landsknechtsarmeen war Tapferkeit allein<br />

als furchtloses Standhalten vor dem Gegenüber im<br />

direkten Kampf Mann gegen Mann gemeint. Tapferkeit<br />

ist ein Kennzeichen bereits vieler Soldatengenerationen.<br />

In Reflektion der damaligen Zeit ist folgendes Ereignis<br />

beispielgebend für Tapferkeit unter feindlichem Beschuss.<br />

Leutnant Paul von Hindenburg stieß mit seinem Schützenzug<br />

in der Schlacht bei Königgrätz auf eine österreichische<br />

Batterie, die mit rücksichtsloser Kühnheit herbeieilte<br />

und sie mit Feuer aus ihren Gewehren eindeckte.<br />

Von einer Kugel, die seinen Helm durchbohrte, am Kopf<br />

gestreift, brach er für kurze Zeit bewusstlos zusammen. Er<br />

raffte sich wieder auf, und sein Zug nahm die feindliche<br />

Batterie. Fünf Geschütze wurden erobert. Ein überliefertes<br />

Zitat fasst die Ereignisse wie folgt zusammen, „Es war<br />

ein stolzes Gefühl, als ich hochaufatmend, aus leichter<br />

Kopfwunde blutend, unter meinen eroberten Kanonen<br />

stand.“<br />

Tapferkeit ist die Fähigkeit, die eigene Angst vor persönlicher<br />

Gefährdung zu überwinden, in schwierigen, gefährlichen<br />

oder ausweglos wirkenden Lagen nicht zu verzagen<br />

und den Mut, ein als richtig und notwendig erkanntes Ziel<br />

auch bei Gefahr für das eigene Leben beharrlich weiter zu<br />

verfolgen. Wer aus seiner ethischen und rechtlichen Verpflichtung<br />

seine Furcht vor Tod und Verwundung überwindet,<br />

handelt tapfer und gibt anderen ein Beispiel. Für<br />

Tapferkeit in der Geschichte des Deutschen Heeres steht<br />

mit Feldwebel Bolt, Namensträger der Kaserne in Delitzsch,<br />

ein Soldat, der sein Leben für Kameraden opferte.<br />

In der Ausbildung mit Sprengstoff bewahrte Feldwebel<br />

Bolt durch selbstloses Handeln die umstehenden Soldaten<br />

bei einer Explosion einer Sprengladung vor schweren<br />

Verletzungen oder dem Tod. Die vorbildliche Pflichterfüllung<br />

und die Tapferkeit des Ehemanns und Familienvaters<br />

wurden durch den damaligen Verteidigungsminister<br />

gewürdigt.<br />

33


Das Militärische Selbstverständnis des Deutschen Heeres<br />

Mehr denn je kann man unter Mut auch Zivilcourage<br />

und das Vertreten der eigenen Meinung gegenüber dem<br />

Vorgesetzten und fremden Entscheidungsträgern subsumieren.<br />

Das Ringen um die beste Lösung – der Erfolg im<br />

Einsatz – ruht auf mehreren Schultern. Der ungehinderte<br />

Austausch von Ideen ist unverzichtbar im Ringen um die<br />

beste Handlungsmöglichkeit. Es ist der gefestigte Soldat<br />

mit Zivilcourage und ethisch-moralischem Koordinatensystem<br />

gefordert, dies hilft ihm, auch in Grenzfällen zu<br />

bestehen. Eingesetzt in Stabilisierungsoperationen in multinationaler<br />

Umgebung und in uns fremden Kulturkreisen<br />

müssen die Heeressoldaten eine gefestigte Persönlichkeit,<br />

Aufgeschlossenheit Neuen und Fremden gegenüber und<br />

Toleranz besitzen. Eigenständige Auftragserfüllung fernab<br />

der Heimat, bedingt neben grundlegendem Wissen<br />

über die betreffende Kultur und <strong>Gesellschaft</strong> im Operationsgebiet,<br />

ein unverrückbares Wertefundament sowie<br />

moralisch-ethische Orientierung auch an den soldatischen<br />

Tugenden.<br />

Das Selbstverständnis des Heeres – Garant für die<br />

Zukunftsfähigkeit<br />

Das Heer stellt sich aktiv den heutigen und zukünftigen<br />

Herausforderungen. Vom Einsatz her zu denken ist die<br />

konsequente Maxime für den Transformationsprozess im<br />

Heer. Einsatzorientierung und Erfolg im Einsatz verlangen<br />

aber nicht nur Veränderungen bei Strukturen, Ausbildung,<br />

Ausrüstung sowie Führungs- und Einsatzgrundsätzen.<br />

Einsatzorientierung verlangt ebenso nach geistiger<br />

und emotionaler Identifizierung mit dem Auftrag und der<br />

daraus erwachsenen Verantwortung. Das Selbstverständnis<br />

des Heeres gibt einen klaren Orientierungspunkt, um<br />

diesen Anforderungen und Ansprüchen an das Heer und<br />

seine Soldaten gerecht zu werden.<br />

Das Selbstverständnis des Heeres trägt dazu bei, dass wir<br />

uns den Veränderungen offen, ohne Vorurteile, dafür aber<br />

mit Herz und Verstand und einem gemeinsamen Verständnis<br />

stellen und die neuen Anforderungen an unsere<br />

Teilstreitkraft annehmen. Als Richtschnur gibt es Antworten<br />

auf Fragen nach unserer Identität, nach dem Anspruch<br />

an uns selbst wie auch nach den Verpflichtungen unseres<br />

anspruchsvollen Dienstes. Damit setzt es den Rahmen<br />

für das Handeln im und durch das Heer und verdeutlicht<br />

Aufgaben, Rolle und Bedeutung des Heeres. Als moralisch-ethisches<br />

Fundament für unsere Teilstreitkraft und<br />

den einzelnen Soldaten bestimmt unser Selbstverständnis<br />

die Motivation des Einzelnen und der Gruppe und ist<br />

damit ein Faktor zur Sicherstellung des Erfolgs im Einsatz.<br />

Bei allen Veränderungen wird das Heer auch in Zukunft<br />

nicht auf militärische Grundtugenden und Werte verzichten.<br />

Modernität drückt sich auch darin aus, Neues und<br />

Bewährtes miteinander zu verbinden. Was sich über die<br />

Jahre bewährt hat, muss nicht vorschnell und ohne Grund<br />

aufgegeben werden. Vorgelebte Traditionen und Werte<br />

bestimmen nachhaltig das Selbstverständnis im Heer, sie<br />

sind Konstante unseres Soldatenberufes. Die Grundsätze<br />

der Inneren Führung, unsere Traditionslinien in der Bundeswehr,<br />

das Führen mit Auftrag und die tradierten Werte<br />

und Tugenden sind und bleiben von hoher Bedeutung für<br />

die Persönlichkeitsbildung und Wertevermittlung für uns<br />

Soldaten heute; die militärgeschichtlichen Beispiele von<br />

„von Seydlitz“ bis „Bolt“ verdeutlichen dies.<br />

Das Selbstverständnis steht für unsere Identität im Heer,<br />

ist Vorraussetzung für Erfolg im Einsatz und Grundlage<br />

für die Zukunftsfähigkeit des Deutschen Heeres. In diesem<br />

Sinne ist das Selbstverständnis mit Leben zu füllen.<br />

Es muss vorgelebt und erlebt werden, um deutlich zu machen,<br />

dass es sich hier nicht um eine einfache „Corporate<br />

Identity“ handelt. Letztendlich muss es mit Blick auf das<br />

veränderte Einsatzprofil und den erweiterten Aufgabenbereich<br />

die Grundlage für jeden einzelnen Heeressoldaten,<br />

die zentrale Sinnfrage positiv beantworten können: Wofür<br />

Leben und Gesundheit einsetzen? Oder noch drastischer:<br />

Wofür sterben – wofür töten?<br />

34


Das Selbstverständnis der Deutschen Marine<br />

Text:<br />

Vizeadmiral Wolfgang E. Nolting<br />

Am 14. Juni 1848 verlas in der Frankfurter Paulskirche,<br />

dem Tagungsort der konstituierenden deutschen Nationalversammlung,<br />

ihr Präsident, Heinrich von Gagern,<br />

einen denkwürdigen Antrag mit der Frage: „Beschließt<br />

die Nationalversammlung, dass die Bundesversammlung<br />

zu veranlassen sei, die Summe von 6 Millionen Thalern<br />

zum Zwecke der Begründung eines Anfanges für die deutsche<br />

Marine, über deren Verwendung und Vertretung die<br />

zu bildende provisorische Zentralgewalt der Nationalversammlung<br />

verantwortlich sein wird, auf bisher verfassungsmäßigem<br />

Wege verfügbar zu machen, und zwar 3<br />

Millionen sofort, und die ferneren 3 Millionen nach Maßgabe<br />

der Bedürfnisse ?“<br />

Die abstimmenden Abgeordneten erhoben sich daraufhin<br />

zum Zeichen ihrer Zustimmung von den Plätzen und brachen,<br />

so die Überlieferung der Zeitzeugen, in große Begeisterungsstürme<br />

aus. Dieser parlamentarische Akt stellte<br />

die Weichen für die Gründung einer ersten gesamtdeutschen<br />

Marine. In dieser ersten deutschen Marine schufen<br />

die Parlamentarier der Paulskirche ein gemeinsames<br />

Instrument zum Kampf für die gemeinsamen Interessen<br />

und zur Repräsentation Deutschlands als Ganzes in aller<br />

Welt.<br />

Angelehnt an die in der „Denkschrift zum Aufbau einer<br />

Deutschen Bundesflotte“ des preußischen Prinzen Adalbert<br />

skizzierte Streitmacht, die den Schutz der Küsten und die<br />

Sicherung der Handelswege gewährleisten, zugleich aber<br />

auch die Fähigkeit zur strategischen Offensive im weiteren<br />

Küstenvorfeld besitzen sollte, entschieden sich die Parlamentarier<br />

für den Aufbau einer „ausgewogenen Flotte“.<br />

Diese sollte bündnisfähig sein und durch internationale<br />

Zusammenarbeit ihre materiellen und personellen Defizite<br />

ausgleichen können.<br />

Man muss sich verdeutlichen, dass die erste Entscheidung<br />

des ersten vom Volk gewählten deutschen Parlaments seinem<br />

Schicksal zur See galt – mag das in Abwehr der akuten<br />

dänischen Gefahr, oder schon im Hinblick auf eine<br />

ferne Zukunft der Fall gewesen sein. Diese Zukunft war<br />

den Abgeordneten nicht gleichgültig. Die Denkschrift des<br />

Wolfgang E. Nolting<br />

Vorsitzenden der preußischen Marinekommission und<br />

späteren Oberbefehlshabers der preußischen Marine, des<br />

Prinzen Adalbert, lässt daran keinen Zweifel, und sie ist<br />

als die Magna Charta der Marine in die Geschichtsbücher<br />

eingegangen.<br />

Der Entschluss zum Flottenbau wurde von den damaligen<br />

„alten“ Gewalten und den jungen demokratischen, liberalen<br />

Kräften gemeinsam getragen. Dies hat nicht unwesentlich<br />

dazu beigetragen, dass den Marinen der Zukunft<br />

nicht nur der Geruch des Kaiserlichen und Kriegerischen,<br />

sondern auch des Liberalen und Demokratischen anhaftete.<br />

Die Flotte war der Katalysator von Machtpolitik und<br />

Demokratie.<br />

Der Flotte von 1848 war nur ein kurzes Leben beschieden;<br />

bereits 1852 wurde sie wieder aufgelöst und versteigert.<br />

Doch bereits wenige Jahre später begann sich unter<br />

der Führung der Preußischen Marine erneut der Nukleus<br />

einer gesamtdeutschen Marine zu formieren, die sich<br />

dann auch mit der Reichsgründung materialisierte. Diese<br />

Reichsflotte war wieder das Produkt einer parlamentarischen<br />

Monarchie geworden. Nur die Marine konnte nach<br />

außen hin Idee und Wirklichkeit des Reichsganzen vertreten,<br />

und damit auch jenes Prinzip, dem sie ihre Existenz<br />

verdankte: das des Reichstages als der demokratischen<br />

35


Das Selbstverständnis der Deutschen Marine<br />

Vertretung des Volkes. Jeder Matrose und jeder Offizier,<br />

die sich im Auslandeinsatz befanden, waren automatisch<br />

„Botschafter in Blau“, und zwar nicht von Preußen, Bayern<br />

oder von welchem Ländchen auch immer, sondern<br />

vom Deutschen Reich.<br />

Auch unter einem weiteren, hochaktuellen Aspekt war<br />

die Flotte von 1848 wegweisend: fortschrittlich wurde<br />

die neue Bundesflotte unter Führung von Prinz Adalbert<br />

von Preußen weiter entwickelt. Die „Technische Marine-<br />

Commission“ erließ unter anderem eine Vorschrift zur<br />

Disziplinarordnung, die ihrer Zeit weit voraus war. Darin<br />

finden sich Hinweise zur Verhältnismäßigkeit von Strafen,<br />

zum Verbot der entwürdigenden Behandlung von Untergebenen<br />

sowie Elemente des Beschwerdewesens. Für die<br />

damalige Zeit waren dies überaus moderne Errungenschaften.<br />

Die „Bürgersoldaten an Bord“ wurden gut und<br />

fair behandelt. Sie spiegeln damit auch die heutige Idee<br />

vom Staatsbürger in Uniform – und taten ihren Dienst<br />

unter Schwarz-Rot-Gold. In einem Fall war diese Flagge<br />

von begeisterten Frauen in Handarbeit hergestellt worden.<br />

Aus Dankbarkeit wurde das betreffende Schiff „Frauenlob“<br />

genannt.<br />

Seither ist die Geschichte der Deutschen Marine keineswegs<br />

geradlinig verlaufen. Es gab schlimme Rückschläge<br />

und moralische Tiefpunkte, den schlimmsten unzweifelhaft<br />

während des „Dritten Reiches“, die aus Sicht der<br />

Marine ihren traurigen Höhepunkt in der Verschmelzung<br />

der Marine- mit der Staatsführung während der letzten<br />

Tage der Nazi-Diktatur fanden. Dennoch trug die Marine<br />

auch in diesen Zeiten fast immer die Besinnung auf ihre<br />

Ursprünge in sich. Nicht zuletzt waren es die Ereignisse<br />

in der Hochseeflotte, die im Oktober 1918 die Revolution<br />

auslösten und so erneut der Demokratie den Weg ebneten.<br />

Trotz des daraus resultierenden schlechten Images<br />

der Marine in der bürgerlichen <strong>Gesellschaft</strong> erkannten die<br />

politischen Eliten der Weimarer Republik die Notwendigkeit<br />

einer, wenn auch kleinen Marine für das Reich und<br />

setzten sich für ihren Fortbestand ein. So verdankte gewissermaßen<br />

jeder dem anderen seine Existenz.<br />

Mit der Aufstellung von Streitkräften für die junge Bundesrepublik<br />

Deutschland im Jahre 1956 schloss sich für die<br />

neugegründete Bundesmarine gewissermaßen der Kreis,<br />

denn zum ersten Mal wurden die unter der parlamentarischen<br />

Kontrolle des Bundestages stehenden deutschen<br />

Streitkräfte tatsächlich fest in ein internationales Bündnissystem<br />

integriert. Damit folgte man bei der Gründung der<br />

Marine der Bundesrepublik Deutschland gleichsam der<br />

Marinekonzeption, die Prinz Adalbert im Revolutionsjahr<br />

1848 in seiner Denkschrift skizziert hatte: Eine im Bündnis<br />

mit anderen (See-) Mächten verankerte und durch das<br />

Parlament kontrollierte deutsche Marine.<br />

In der Zeit des Kalten Krieges bewährte sich diese Ausrichtung<br />

der Marine. Die dauerhafte und feste Einbindung in<br />

die NATO, zusammen mit den Seemächten des Westens,<br />

garantierte Frieden, Stabilität und Wohlstand in Europa<br />

und in Deutschland. Die Neuausrichtung des Bündnisses<br />

wie auch der Deutschen Außenpolitik nach 1990 änderte<br />

auch die Ausrichtung der Marine. Der Blick richtete sich<br />

weit über das erweiterte Küstenvorfeld hinaus.<br />

Galt es vor 160 Jahren, den eigenen Küstenhandel aufrecht<br />

zu erhalten und zu schützen, so haben wir heute<br />

vor allem die maritime Abhängigkeit Deutschlands als<br />

außenhandels- und rohstoffabhängige Nation im Blick.<br />

90 Prozent des Fernhandels und zwei Drittel der Erdöltransporte<br />

werden über See abgewickelt. Von sicheren<br />

Handelswegen hängen unmittelbar unser Wohlstand und<br />

unsere Stabilität ab. Deutschland ist mittlerweile, von<br />

vielen unbemerkt, selbst eine Seemacht geworden, wenn<br />

wir die weltweit Handel treibenden Reeder, Schiffseigner<br />

und Charterer betrachten. Es ist eine Seemacht, wenn wir<br />

Häfen und ihre logistischen Leistungen betrachten, und<br />

es ist eine Seemacht, wenn wir die Fähigkeiten der Schiffbauindustrie<br />

und der Ausrüster betrachten. Wenn wir das<br />

alles erhalten wollen, müssen wir auch in Zukunft eine<br />

leistungs- und einsatzfähige moderne Marine haben, um<br />

den berechtigten Erwartungen unserer Verbündeten und<br />

unseren eigenen nationalen Interessen entsprechen zu<br />

können. Durch ihren Einsatz in den heimischen Gewässern,<br />

im Mittelmeer aber auch am Horn von Afrika erfüllt<br />

36


die Marine somit eine wichtige gesamtstaatliche Aufgabe.<br />

Die aktuelle Diskussion über den Umgang mit Piraterie<br />

hat auch einer breiten Öffentlichkeit deutlich gemacht,<br />

dass Wohlfahrt und Sicherheit unseres Landes und das<br />

unserer Bündnispartner nicht zuletzt von freien Seewegen<br />

abhängen.<br />

Im Zuge der Transformation wandelt sich die Marine hin<br />

zu einer „Expeditionary Navy“. Nur so kann sie die Herausforderungen<br />

der Zukunft meistern. Die damit verbundenen<br />

wesentlichen Eckpunkte sind in den Konzeptionellen<br />

Grundvorstellungen zur Nutzung der See als Basis für<br />

streitkräftegemeinsame Operationen (Basis See) niedergelegt<br />

und gebilligt. In der durch viele Faktoren bestimmten<br />

Einsatzrealität der Bundeswehr bringt die Marine im<br />

streitkräftegemeinsamen Kontext so einzigartige Fähigkeiten<br />

ein und schafft zusätzliche politische und militärische<br />

Handlungsfähigkeit. Basis See eröffnet der Bundeswehr<br />

die Möglichkeit, bereits im Vorfeld von Feindseligkeiten<br />

eigene und verbündete Kräfte zu verlegen, durchhaltefähig<br />

aufzuklären und präsent zu sein. Sie erhält militärische<br />

Handlungsfähigkeit auch in den Fällen, in denen der<br />

massierte Einsatz bodengebundener Kräfte nicht möglich<br />

oder nicht gewollt ist. Basis See kann küstennahe, streitkräftegemeinsame<br />

Operationen effektiv führen und unterstützen<br />

und ermöglicht es, sowohl den landgestützten<br />

Kräfteansatz bedarfs- und lageabhängig zu begrenzen, als<br />

auch den Kräfteansatz einer Operationen insgesamt zu<br />

verringern. Basis See eröffnet die Möglichkeit, politische<br />

Entschlossenheit zu demonstrieren, ohne völkerrechtliche<br />

Vorfestlegungen treffen zu müssen. So werden Chancen<br />

genutzt, Risiken minimiert und die Einsatzfähigkeit der<br />

Bundeswehr in einem streitkräftegemeinsamen und fähigkeitsorientierten<br />

Ansatz verbessert.<br />

Bundeswehr weltweit als Armee im Einsatz für den Frieden<br />

zu dienen.<br />

Eine moderne, leistungsfähige Deutsche Marine wird<br />

auch künftig im streitkräftegemeinsamen Wirken und im<br />

Verbund mit den internationalen Partnern die notwendigen<br />

maritimen Fähigkeiten der Bundeswehr bereitstellen.<br />

Der deutsche Ökonom Friedrich List (1789-1846) stellte<br />

fest: „Die See ist die Hochstrasse des Erdballs. Die See ist<br />

der Paradeplatz der Nationen. Die See ist der Tummelplatz<br />

der Kraft und des Unternehmensgeistes für alle Völker<br />

der Erde und die Wiege ihrer Freiheit. Die See ist die<br />

fette Gemeindetrift, auf welche alle wirtschaftlichen Nationen<br />

ihre Herden zur Mastung treiben. Wer an der See<br />

keinen Anteil hat, der ist ausgeschlossen von den guten<br />

Dingen und Ehren der Welt – der ist unseres Herrgottes<br />

Stiefkind.“<br />

Friedrich List war ein weitsichtiger und kluger Mann.<br />

Seine Gedanken klingen vertraut; sie haben an Aktualität<br />

nichts verloren.<br />

Die Deutsche Marine beruft sich voller Selbstbewusstsein<br />

und Stolz auf die Gründung der ersten deutschen Marine<br />

in der Frankfurter Paulskirche im Jahre 1848. Dieses<br />

Bauwerk steht – wie kaum ein anderer Ort – als Symbol<br />

für Freiheit und Demokratie in Deutschland. Es sind<br />

diese zentralen Werte, die der Deutschen Marine auch in<br />

Zukunft die innere Stärke geben, unserem Land und der<br />

37


Die Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

Text:<br />

Karl von Wogau, MdEP<br />

Jahrhundertelang war Europa Schauplatz häufiger und<br />

blutiger Kriege. Zwischen 1870 und 1945 führten<br />

Deutschland und Frankreich dreimal Krieg gegeneinander.<br />

Millionen Menschen kamen ums Leben oder wurden<br />

vertrieben. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts<br />

vernichtete Krieg menschliches Leben in unvorstellbarem<br />

Ausmaß. Feindschaft und Verbitterung kennzeichneten<br />

für lange Zeit die Beziehungen der europäischen Völker.<br />

Nach den Verwüstungen und Verheerungen des Zweiten<br />

Weltkriegs kamen einige der in Westeuropa politisch Verantwortlichen<br />

zu der Erkenntnis, dass ein dauerhafter und<br />

beständiger Friede in Europa am besten durch eine wirtschaftliche<br />

und politische Vereinigung der europäischen<br />

Länder gesichert werden könnte.<br />

Nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Prozess<br />

der Integration. Er begann mit Kohle und Stahl. Beide<br />

Materialien wurden benötigt, um Waffen zu bauen. Aber<br />

Kohle war in jener Zeit auch die wichtigste Energiequelle<br />

in Europa. 1950 schlug der französische Außenminister<br />

Robert Schuman vor, die Kohle- und Stahlproduktion in<br />

Westeuropa zu vergemeinschaften. 1951 gründeten Belgien,<br />

Westdeutschland, Luxemburg, Frankreich, Italien<br />

und die Niederlande die Europäische Gemeinschaft für<br />

Kohle und Stahl (EGKS). Die Entscheidungsgewalt über<br />

die Kohle- und Stahlindustrie dieser Länder wurde in die<br />

Hände einer unabhängigen, supranationalen Institution,<br />

der so genannten „Hohen Behörde“, übertragen. Es gab<br />

zudem eine Initiative, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft<br />

(EVG) zu gründen, diese Pläne scheiterten jedoch<br />

1954 in der französischen Nationalversammlung.<br />

Erfolg der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und<br />

Stahl einerseits und Scheitern der Verteidigungsgemeinschaft<br />

andererseits führten in den folgenden Jahrzehnten<br />

zu einer immer engeren europäischen Integration im wirtschaftlichen<br />

Bereich, während eine politische oder verteidigungspolitische<br />

Integration auf europäischer Ebene<br />

unterblieb.<br />

Als mit den Umwälzungen der Jahre 1989/90 der Kalte<br />

Krieg endete und eine neue geopolitische Situation<br />

Karl von Wogau<br />

entstand, war die Europäische Union ein wirtschaftlicher<br />

Riese und ein militärischer Zwerg. Und in den Jahren<br />

1989/90 hätten viele Menschen vielleicht auch gesagt,<br />

dass nun, wo die Bedrohung durch den Ostblock weggefallen<br />

war, eine engere europäische Kooperation im Bereich<br />

der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gar nicht<br />

notwendig sei.<br />

Aber dann geschah etwas, das die Europäische Union in<br />

ihrem Selbstverständnis traf und zu einem Umdenken<br />

führte. Während so genannter „Ethnischer Säuberungen“<br />

auf dem Balkan wurden tausende Menschen in blutigen<br />

Massakern ermordet – und Europa war nicht in der Lage,<br />

das Blutvergießen zu beenden. Die Jugoslawienkriege ab<br />

1991 spielten sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft<br />

ab. 1995 überrannten serbische Truppen die ostbosnische<br />

Enklave Srebrenica und ermordeten 8000 Menschen. Viele<br />

nahmen dies als eine Schande für Europa war. Europa<br />

war nicht in der Lage, die Menschenrechte in Europa zu<br />

verteidigen. Nur durch militärischen Beistand der Amerikaner<br />

konnte schließlich weiteres Blutvergießen verhindert<br />

werden. Versagt haben damals die Mitgliedsländer<br />

der Europäischen Union. Nur sie verfügten damals über<br />

die notwendigen militärischen Mittel, um dieses Blutvergießen<br />

zu verhindern.<br />

38


Um diesen Ausbruch von Gewalt zu verhindern, waren<br />

Streitkräfte notwendig. Über solche verfügten damals nur<br />

die Mitgliedsländer. Die Europäische Union hatte dazu<br />

weder das Recht, noch die notwendige Organisation.<br />

Europa musste erkennen, dass mit dem Ende des Kalten<br />

Krieges eben nicht das „Ende der Geschichte“, das Ende<br />

innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Konflikte gekommen<br />

war, so wie das der amerikanische Politologe Francis<br />

Fukuyama angekündigt hatte.<br />

Und das Ende des Kalten Krieges hatte auch nicht das<br />

Ende aller Bedrohungen für Frieden und Sicherheit in<br />

Europa gebracht. Noch immer bestanden diverse Risiken<br />

für die europäischen Interessen. Es zeigte sich gar, dass die<br />

internationale Sicherheitslage nach dem Ende des Kalten<br />

Krieges unübersichtlicher und unvorhersehbarer geworden<br />

war. Aber noch immer gab es im Rahmen der Europäischen<br />

Union keine Zusammenarbeit in Verteidigungsund<br />

Sicherheitsfragen.<br />

Das Projekt der Europäischen Einigung war zwar von Anfang<br />

an ein Sicherheitsprojekt. Sicherheit war das Urziel<br />

der europäischen Einigungsbewegung. Aber zu Beginn<br />

handelte es sich eben um ein nach innen gerichtetes Konzept<br />

der Sicherheit. Ziel war die „Sicherheit voreinander“.<br />

Dass dieses Ziel erreicht wurde, dass „Sicherheit voreinander“<br />

heute kein Thema mehr ist innerhalb der Europäischen<br />

Union, ist ein großartiger Erfolg.<br />

Doch nun stellte sich die Herausforderung, Europa von<br />

einem binnenorientierten System der „Sicherheit voreinander“<br />

zu einem außenorientierten System der „Sicherheit<br />

miteinander“ weiterzuentwickeln. „Sicherheit voreinander“<br />

konnte durch weitgehende wirtschaftliche Integration<br />

erreicht werden. Das Ziel der „Sicherheit miteinander“<br />

erfordert hingegen eine gemeinsame Handlungsfähigkeit<br />

in den Bereichen der Außen-, Sicherheits- und der Verteidigungspolitik.<br />

Eine solche Zusammenarbeit kam erst in Schwung, als auf<br />

dem britisch-französischen Gipfel in St. Malo 1998 deutlich<br />

wurde, dass sowohl Frankreich als auch Großbritannien<br />

den Aufbau einer eigenen Europäischen Verteidigungsidentität<br />

unterstützen. Auf dem Gipfel der Europäischen<br />

Union in Köln 1999 wurde diese dann ins Leben gerufen<br />

und in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik<br />

der Europäischen Union integriert. Das ist nur neun Jahre<br />

her, aber in diesen neun Jahren hat sich die Europäische<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit einer für europäische<br />

Verhältnisse hohen Geschwindigkeit entwickelt.<br />

Schon 1999 beschlossen die Staats- und Regierungschefs<br />

der Mitgliedsstaaten mit dem so genannten „Helsinki<br />

Headline Goal“ die Bildung einer Kriseninterventionstruppe<br />

der Europäischen Union von 50.000 bis 60.000<br />

Soldaten, die innerhalb von 60 Tagen einsatzbereit und<br />

mindestens ein Jahr einsetzbar ist. Ein Jahr später, 2000,<br />

wurde im portugiesischen Feira im Rahmen eines „zivilen<br />

Headline Goals“ der Aufbau einer 5000 Mann starken Polizeitruppe<br />

für Polizeieinsätze beschlossen.<br />

Der erste Einsatz von Soldaten unter europäischem Kommando<br />

fand 2003 im Rahmen der Operation Concordia<br />

in der Republik Mazedonien statt, wo die Europäische<br />

Union die dortige NATO-Operation ablöste. Es folgte<br />

ein Militäreinsatz der Europäischen Union im Kongo, um<br />

die Situation in der Krisenprovinz Bunja zu beruhigen.<br />

Mittlerweile hat die Europäische Union von der NATO<br />

die Verantwortung für Frieden und Stabilität in Bosnien-<br />

Herzegowina übernommen. Dort sind zurzeit 2500 europäische<br />

Soldaten unter europäischem Kommando stationiert.<br />

Es sind Streitkräfte der Europäischen Union. Auf<br />

ihren Uniformen tragen sie das europäische Symbol: Die<br />

Sterne auf blauem Grund. Im Kosovo läuft gegenwärtig<br />

der EULEX-Einsatz der Europäischen Union an, der die<br />

Kosovaren beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung<br />

und eines effektiven Justizsystems unterstützen soll.<br />

Heute ist Europa selbst dazu in der Lage, die Sicherheit<br />

auf dem Balkan zu gewährleisten.<br />

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

ist das sich am schnellsten entwickelnde Politikfeld in der<br />

Europäischen Union. Viele Aufgaben aus den Bereichen<br />

Sicherheit und Verteidigung können nur auf europäischer<br />

Ebene wirksam angegangen werden. Ich nenne hier als<br />

39


Die Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

Beispiele nur die Sicherung der europäischen Außengrenzen,<br />

der Kampf gegen die internationale Kriminalität oder<br />

die Zerschlagung terroristischer Finanzierungsnetze. Hier<br />

sind die einzelnen Mitgliedsstaaten allein überfordert und<br />

die NATO hat keine Instrumente, um beispielsweise Finanzierungsnetze<br />

der Terroristen auszutrocknen.<br />

Die Europäische Union braucht eine starke und wirksame<br />

Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, damit<br />

sie ihre Interessen in der Welt vertreten, die Sicherheit ihrer<br />

Bürger schützen und die Menschenrechte verteidigen<br />

kann. Bei dieser Politik müssen sowohl zivile als auch militärische<br />

Mittel und Kapazitäten zum Einsatz kommen,<br />

und eine enge und nahtlose Zusammenarbeit zwischen<br />

allen Akteuren ist unerlässlich. Außerdem müssen Transparenz<br />

und Kosteneffizienz gewährleistet sein, damit die<br />

europäische Verteidigung Rückhalt in der Öffentlichkeit<br />

findet.<br />

Bislang bestimmen die Mitgliedstaaten ihre Sicherheitsinteressen<br />

auf rein nationaler Basis. Der Begriff „europäisches<br />

Sicherheitsinteresse“ hingegen ist politisch nach wie<br />

vor tabu. Dieses Tabu jedoch ist nicht länger akzeptabel.<br />

In Anbetracht der sich ständig erweiternden politischen,<br />

wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen<br />

zwischen den Mitgliedstaaten einerseits und der Herausforderungen<br />

der Globalisierung mit ihren länderübergreifenden<br />

Bedrohungen andererseits ist das Konzept rein<br />

nationaler Sicherheitsinteressen in Europa einfach nicht<br />

mehr zeitgemäß.<br />

Es ist daher sowohl möglich als auch notwendig, in Absprache<br />

die gemeinsamen Sicherheitsinteressen der Union<br />

festzulegen. Hierzu gehören beispielsweise die Sicherheit<br />

in unserer Nachbarschaft, der Schutz der Außengrenzen<br />

und kritischer Infrastrukturen, sowie die Sicherung der<br />

Energieversorgung und der Handelswege. Nur wenn wir<br />

eine klare Vorstellung von unseren gemeinsamen Interessen<br />

haben, können wir unsere gemeinsame Politik kohärenter<br />

und effektiver gestalten. Es ist folglich höchste Zeit<br />

für eine offene Debatte darüber, welches die gemeinsamen<br />

Sicherheitsinteressen der Union sind.<br />

Die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 analysiert<br />

die Bedrohungen nach dem 11. September (Terrorismus,<br />

Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale<br />

Konflikte, Staatszerfall und organisiertes Verbrechen) und<br />

legt strategische Zielsetzungen fest, die die Grundlage für<br />

Teilstrategien bildeten (Nichtverbreitung, Terrorismusbekämpfung<br />

usw.).<br />

Im Dezember 2007 beschloss der Europäische Rat die<br />

Überprüfung der Sicherheitsstrategie. Wir im Europäischen<br />

Parlament begrüßen diese Entscheidung und fordern<br />

den Europäischen Rat auf, eine breite und offene Debatte<br />

über eine mögliche Überarbeitung der Sicherheitsstrategie<br />

in Gang zu setzen. Obwohl viele Elemente der Strategie<br />

nach wie vor Gültigkeit haben, gibt es durchaus einige,<br />

die eventuell angepasst werden sollten. Das betrifft insbesondere<br />

die Beziehungen der EU mit Russland und ihr<br />

Engagement in Afrika, aber auch allgemeine Aspekte wie<br />

die Verbindung zwischen innerer und äußerer Sicherheit.<br />

Neben einer gemeinsamen Strategie braucht die Europäische<br />

Union die Mittel zur Umsetzung ihrer Politiken.<br />

Sie muss sowohl über zivile als auch über militärische Kapazitäten<br />

verfügen, um die Europäische Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik zu stärken und ihren internationalen<br />

Verpflichtungen nachzukommen.<br />

Im militärischen Bereich hat die Aufstellung von Gefechtsverbänden<br />

(Battle Groups) zur Entwicklung der europäischen<br />

Fähigkeiten beigetragen. Die Union braucht jedoch<br />

Truppen, die für einen längeren Zeitraum verfügbar sind.<br />

Das Europäische Parlament hat daher vorgeschlagen, das<br />

Eurocorps als ständige Truppe der Europäischen Union<br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

Dabei zeigen die Erfahrungen, dass im Hinblick auf die<br />

Operationen der Streitkräfte, die Grenzüberwachung,<br />

den Schutz kritischer Infrastruktureinrichtungen und<br />

die Katastrophenbewältigung der Kapazitätsbedarf unter<br />

technologischen Gesichtspunkten sehr ähnlich oder gar<br />

identisch ist. Das bietet neue Möglichkeiten zur Nutzung<br />

von Synergien und zur Verbesserung der Interoperabilität<br />

40


zwischen Streitkräften und Sicherheitskräften.<br />

Die Union sollte daher ihre Anstrengungen auf die Kapazitäten<br />

konzentrieren, die sowohl für Verteidigungs- als<br />

auch für Sicherheitszwecke eingesetzt werden können.<br />

Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind die<br />

satellitengestützte Aufklärung, unbemannte Flugkörper,<br />

Hubschrauber und Geräte der Telekommunikation sowie<br />

der Luft- und Seeverkehr. Gleichermaßen bedarf es einer<br />

gemeinsamen technischen Norm für geschützte Telekommunikationsverbindungen<br />

und der entsprechenden Mittel<br />

für den Schutz kritischer Infrastruktureinrichtungen.<br />

−−<br />

−−<br />

Die geostrategische Lage erfordert im Rahmen der<br />

NATO ein gesamteuropäisches Raketenabwehrsystem,<br />

einschließlich der entsprechenden Kommando-<br />

und Kontrollstrukturen und einer direkten<br />

Verbindung mit den in Europa stationierten US-<br />

Raketenabwehrsystemen, bei dem fortgeschrittene<br />

europäische Technologie zum Einsatz kommt.<br />

Stärkung des Europäischen Verteidigungskollegs und<br />

dessen Umwandlung in eine dauerhafte Struktur, die<br />

dazu beiträgt, in der politischen und militärischen<br />

Elite eine spezifische europäische Sicherheitskultur<br />

zu entwickeln.<br />

Zum Aufbau der für eine starke Europäische Sicherheitsund<br />

Verteidigungspolitik benötigten Kapazitäten müssen<br />

die Mitgliedstaaten mehr und besser zusammenarbeiten<br />

als in der Vergangenheit. Das macht eine stärkere Einbeziehung<br />

der Union und Strukturreformen notwendig,<br />

vor allem um bestehende Barrieren zwischen Verteidigung<br />

und Sicherheit zu überwinden.<br />

Im Einzelnen sollten unverzüglich die folgenden<br />

Schritte unternommen werden:<br />

Es sind Strukturreformen in vielen Bereichen notwendig,<br />

um die Bedingungen für eine starke Gemeinsame Außenund<br />

Sicherheitspolitik sowie die Europäische Sicherheitsund<br />

Verteidigungspolitik zu schaffen. Dabei kommt es<br />

in erster Linie darauf an, die traditionelle Trennung zwischen<br />

ziviler und militärischer Forschung zu überwinden,<br />

einen funktionierenden Verteidigungs- und Sicherheitsbinnenmarkt<br />

zu schaffen, die europäischen strategischen<br />

Ressourcen zu entwickeln und die Herausbildung einer<br />

gemeinsamen europäischen Sicherheitskultur zu fördern.<br />

−−<br />

−−<br />

−−<br />

Aufstockung der Gemeinschaftsmittel für die<br />

Sicherheitsforschung und Ermöglichung gemeinsamer<br />

Forschungsprogramme zwischen Kommission<br />

und EDA<br />

Schaffung eines europäischen Verteidigungs- und<br />

Sicherheitsmarktes durch<br />

a) Annahme der Legislativvorschläge der Kommission<br />

zum öffentlichen Beschaffungswesen und zur<br />

innergemeinschaftlichen Verbringung und<br />

b) die Einleitung weiterer Initiativen, insbesondere<br />

in den Bereichen der Versorgungs- und Informationssicherheit<br />

Europäisierung strategischer Ressourcen durch<br />

a) die Genehmigung der Nutzung von Galileo<br />

und GMES für Sicherheits- und Verteidigungszwecke<br />

und<br />

b) die Entwicklung gemeinsamer Kapazitäten in den<br />

Bereichen strategischer Transport und Logistik<br />

41


Innere Führung – das europäische Potential<br />

einer nationalen Führungsphilosophie<br />

Text:<br />

Brigadegeneral Alois Bach<br />

Der mit der Globalisierung einhergehende grundlegende<br />

Wandel des Sicherheitsumfeldes hat neue Risiken und Bedrohungen<br />

mit sich gebracht, die sich nicht nur auf die<br />

unmittelbare Umgebung der Bundesrepublik Deutschland<br />

auswirken, sondern auch die Sicherheit der gesamten<br />

internationalen Gemeinschaft berühren. Als Konsequenz<br />

hat sich die räumliche Dimension unseres Sicherheitsdenkens<br />

in den letzten Jahren spürbar vergrößert. Wenn wir<br />

von Sicherheit für Deutschland sprechen, müssen wir berücksichtigen,<br />

dass diese untrennbar mit der politischen<br />

Entwicklung Europas und der Welt verbunden ist.<br />

Globale Herausforderungen, Risiken und Gefährdungen<br />

– wie internationaler Terrorismus, Proliferation und Regionalkonflikte<br />

– prägen die Sicherheitslandschaft des 21.<br />

Jahrhunderts. Diese und insbesondere die asymmetrische<br />

Kriegsführung, die dadurch bestimmt ist, dass sich nur<br />

eine Seite an Recht, Gesetz und allgemeine Moralvorstellungen<br />

bindet und so die Ausübung von Gewalt legalisiert<br />

und reglementiert, machen deutlich, dass heute kein Staat<br />

der Welt alleine in der Lage ist, für Frieden, Freiheit, Sicherheit<br />

und Wohlstand zu sorgen.<br />

Das Grundgesetz fixiert mit dem Auftrag zur Wahrung<br />

des Friedens, zur Einigung Europas, zur Beachtung des<br />

Völkerrechts, zur friedlichen Streitbeilegung und zur Einordnung<br />

in ein gegenseitiges kollektives Sicherheitssystem<br />

Orientierungspunkte für die deutsche Sicherheitspolitik,<br />

aber auch für die Streitkräfte als ein wesentliches Instrument<br />

der Staatsgewalt. Daher ist Deutschlands Sicherheitspolitik<br />

multilateral orientiert und die Bundeswehr<br />

durch die Integration in die Kommandostrukturen der<br />

NATO bereits seit Aufstellung Teil multinationaler Strukturen.<br />

Besonders nach dem Ende des Kalten Krieges und<br />

mit der Wiedervereinigung haben die Streitkräfte der Bundesrepublik<br />

Deutschland zunehmend einen dynamischen<br />

und sich verstärkenden Prozess der Einbindung in multinationale<br />

Streitkräftestrukturen erfahren. Indiz hierfür ist<br />

die Integration in bi- und multinationale Stäbe und Verbände,<br />

wie zum Beispiel das Eurokorps mit der Deutsch-<br />

Französischen Brigade, das Multinationale Korps Nordost<br />

oder das Deutsch-Niederländische Korps. Darüber hinaus<br />

Alois Bach<br />

sind aber vor allem die zunehmenden Auslandseinsätze<br />

der Bundeswehr, meist im multinationalen Rahmen,<br />

sichtbarer Ausdruck der gewachsenen internationalen<br />

Verantwortung Deutschlands.<br />

Die Zugehörigkeit zur Europäischen Union fördert für<br />

die Mitgliedstaaten und somit auch für Deutschland politische<br />

Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Nicht zuletzt<br />

darum ist es Deutschlands herausragendes politisches<br />

Ziel, die Europäische Union als Stabilitätsraum Europas<br />

zu stärken und den Prozess der europäischen Integration<br />

voranzutreiben. Dabei wird es zukünftig im Rahmen der<br />

Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik für<br />

die Europäische Union von besonderer Bedeutung sein,<br />

den eigenen Beitrag zu ihrer Sicherheit zu stärken. Neben<br />

der Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik als integralem Bestandteil einer „Gemeinsamen<br />

Außen- und Sicherheitspolitik“ ist vor allem<br />

auch die Europäische Sicherheitsstrategie Ausdruck dieser<br />

Erkenntnis.<br />

Die wichtigsten Anforderungen zur Entwicklung der militärischen<br />

Fähigkeiten der Europäischen Union an die<br />

Mitgliedstaaten werden im sogenannten „Planziel 2010“<br />

festgeschrieben. Hinsichtlich des Instruments „Streitkräfte“<br />

gibt es Überlegungen, die – neben dem EU-Battle-<br />

42


Group-Konzept und dem European Headline Goal – eine<br />

„Europäische Armee“ anstreben. Diesbezüglich ist festzustellen,<br />

dass die Europäische Union durch eine Vielzahl<br />

von historisch gewachsenen außen- und sicherheitspolitischen<br />

Traditionen gekennzeichnet ist. Bereits bei den in<br />

der Vergangenheit unter Verantwortung der Europäischen<br />

Union geführten Operationen wurde deutlich, dass die<br />

Verteidigungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten substanzielle<br />

Unterschiede hinsichtlich strategischer Planung,<br />

Ausrüstung, Wehrform und Führungsstile aufweist.<br />

Geht es um die Fragestellung der Effizienzsteigerung europäischen<br />

Handelns, muss unter anderem auch die Frage<br />

beantwortet werden, wie es um eine gemeinsame europäische<br />

Führungskultur für die Streitkräfte bestellt ist, ob und<br />

wo gegebenenfalls Handlungsbedarf besteht. Zweckmäßig<br />

erscheint es zu beobachten, wie sich zum Beispiel das konkrete<br />

Zusammenwirken zwischen den Streitkräfteangehörigen<br />

verschiedener Nationen in Stäben und Verbänden<br />

sowohl im Standortdienst als auch unter Einsatzbedingungen<br />

gestaltet. Darüber hinaus gilt es zuzuordnen, inwieweit<br />

sich nationale Eigenheiten und Referenzsysteme<br />

wie Militärkulturen, Führungsstile und Wehrrechtssysteme<br />

auf die multinationale Integration auswirken.<br />

Neben dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr<br />

ist dieser Frage auch der Beirat für Fragen der Inneren<br />

Führung nachgegangen. Auf Empfehlung des Beirates<br />

sind zwei Studien in Auftrag gegeben worden, welche<br />

die Führungskonzeptionen und Wehrrechtsordnungen<br />

von elf europäischen Staaten mit der Führungskonzeption<br />

der Bundeswehr, der „Inneren Führung“, vergleichen.<br />

Betrachtet man die deutsche Führungsphilosophie und<br />

Unternehmenskultur unter dem Aspekt, inwieweit sie<br />

Impulsgeber für ein europagemeinsames Streitkräftedispositiv<br />

sein kann, lässt sich grundsätzlich feststellen: Es ist<br />

sicherlich nicht ganz grundlos, dass die „Innere Führung“<br />

häufig als Exportschlager bezeichnet wird. Zahlreiche Delegationen<br />

benachbarter und befreundeter Staaten haben<br />

sich am Zentrum Innere Führung über die Konzeption<br />

der „Inneren Führung“ informiert. Dabei gilt ihr Augenmerk<br />

auch der Frage einer Übertragbarkeit auf die eigenen<br />

Streitkräfte. Auch im Zuge von sogenannten Partnerschaftsseminaren<br />

geht es ebenso um die Darstellung der<br />

eigenen Führungsphilosophie, wie um das Kennenlernen<br />

der Führungskulturen unserer Verbündeten. Was zeichnet<br />

also die Führungsphilosophie der Bundeswehr aus, was<br />

macht sie für andere so interessant?<br />

Eine Besonderheit des Konzepts der „Inneren Führung“<br />

ist, dass die deutschen Streitkräfte eine ganzheitliche Führungsphilosophie<br />

besitzen, die nach der totalen Niederlage<br />

im Zweiten Weltkrieg und dem vorausgegangenen<br />

Missbrauch von Befehlsbefugnis systematisch erarbeitet<br />

wurde. Das Konzept der „Inneren Führung“ ist eng mit<br />

dem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat verknüpft<br />

und überträgt die Idee dieses bewusst demokratischen<br />

Neuanfangs in die Bundeswehr. „Innere Führung“ fußt<br />

auf der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, dem<br />

Grundgesetz, und lässt sich nur aus der historischen und<br />

politischen Situation Deutschlands nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg verstehen.<br />

„Innere Führung“ ist die vom Grundgesetz ausgehende<br />

ziel- und werteorientierte Konzeption für die Stellung der<br />

Streitkräfte im Staat und des Soldaten in der <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Auch die staatsorganisatorischen Rahmenbedingungen<br />

sind in Deutschland insofern besonders, als dass die Möglichkeiten<br />

des Einsatzes der Streitkräfte durch die Verfassung<br />

genau festgelegt sind und eine Zustimmung des Parlaments<br />

für den jeweiligen Einsatz gesondert erforderlich<br />

ist. Weiterhin existieren mit dem Wehrbeauftragten des<br />

Deutschen Bundestags und dem parlamentarischen Verteidigungsausschuss<br />

in der Verfassung festgelegte Kontrollorgane<br />

gegenüber den Streitkräften.<br />

Im Gegensatz dazu sind die über viele Jahrhunderte gewachsenen<br />

militärischen Führungsphilosophien anderer<br />

traditioneller Demokratien weniger ganzheitlich. Als Beispiel<br />

sei hier die britische Armee genannt, die jedoch über<br />

keine teilstreitkräfteübergreifende und niedergeschriebene<br />

Führungskonzeption verfügt. Auch andere NATO-Partner<br />

verfügen über keine Führungskonzepte, die mit der<br />

Inneren Führung vergleichbar sind.<br />

43


Innere Führung – das europäische Potential einer nationalen Führungsphilosophie<br />

Trotz umfassender politischer Zusammenarbeit der europäischen<br />

Staaten und ihren Streitkräften im Rahmen der<br />

EU ist unverändert festzustellen, dass trotz zahlreicher biund<br />

multilateraler Kooperationen noch kein einheitliches<br />

oder zumindest harmonisiertes europäisches Wehrrechtssystem<br />

vorhanden ist. Stattdessen obliegt die Regelung<br />

wehrrechtlicher Bestimmungen den nationalen Entscheidungsträgern.<br />

In der Praxis bedeutet dies das Aufeinanderprallen<br />

unterschiedlichster Wehrrechtssysteme.<br />

Während diese Auswirkungen in einigen Bereichen, in<br />

denen Rechte des Soldaten (wie das aktive und passive<br />

Wahlrecht, die Vereinigungsfreiheit und die politische<br />

Neutralität) berührt werden, eher gering sind und wenig<br />

Auswirkungen auf den täglichen Dienst haben, gibt es<br />

Bereiche, in denen die uneinheitlichen wehrrechtlichen<br />

Bestimmungen zu Irritationen oder gar zu einer Beeinträchtigung<br />

in der Führungsfähigkeit multinationaler<br />

Truppenteile führen können. Felder, in denen diese Problematik<br />

denkbar wäre, finden sich im Disziplinarrecht, in<br />

den Rechtsschutzmöglichkeiten von Soldaten, im Wehrstrafrecht<br />

sowie in der Frage der Verbindlichkeit von Befehlen<br />

in multinationalen Stäben und Verbänden.<br />

Um den gemeinsamen Dienstbetrieb von Streitkräften<br />

verschiedener europäischer Nationen noch konfliktfreier<br />

zu gestalten, Verunsicherungen zu vermeiden und die<br />

Führungsfähigkeit multinationaler Verbände nachhaltig<br />

zu sichern, erscheint langfristig die Etablierung einer<br />

einvernehmlichen europäischen Wehrrechtsordnung als<br />

überlegenswert.<br />

Der Gedanke, eine europäische Wehrrechtsreform in den<br />

Streitkräften zu etablieren, ist durchaus nicht neu. Bereits<br />

die Gründerväter der Konzeption der „Inneren Führung“,<br />

unter ihnen Graf v. Baudissin, verstanden diese als ein<br />

Fundament für ein zukünftiges europäisches Wehrrecht.<br />

Ebenso waren bereits im Vertrag über die Gründung der<br />

Europäischen Verteidigungsgemeinschaft von 1952 klare<br />

vereinheitlichte Reglements, u.a. über das „Innere Gefüge“,<br />

das Personalwesen und die Verwendung von Sprachen<br />

getroffen worden. Damals glaubte man an die baldige<br />

Schaffung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft,<br />

die durch ein gemeinsames Wehrrecht verbunden werden<br />

sollte. Die Verwirklichung scheiterte letztendlich daran,<br />

dass die französische Nationalversammlung 1954 den Vertrag<br />

nicht ratifizierte. Im Zuge dieser Entscheidung wurde<br />

jedoch auch deutlich, dass verschiedene Verhandlungspartner,<br />

allen voran Frankreich, wenig Interesse zeigten,<br />

die eigene über Jahrhunderte gewachsene und aus französischer<br />

Sicht bewährte Führungsphilosophie durch die<br />

Führungskonzeption der jungen deutschen Demokratie<br />

mit ihren neu aufgestellten Streitkräften beeinflussen zu<br />

lassen.<br />

Die damit seinerzeit verworfene Idee einer Europäischen<br />

Verteidigungsgemeinschaft ist zumindest seit 1994 wieder<br />

aktuell. In der Erkenntnis der Notwendigkeit, die Sicherheitskooperation<br />

durch die Förderung von Normen für<br />

verantwortungsbewusstes und kooperatives Verhalten auf<br />

dem Feld der Sicherheitspolitik zu stärken, haben sich alle<br />

europäischen Staaten mit dem „Verhaltenskodex zu politisch-militärischen<br />

Aspekten der Sicherheit“ der Organisation<br />

für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa<br />

(OSZE) vom 03. Dezember 1994 auf ein gemeinsames<br />

Minimum an Standards zur Gestaltung der nationalen<br />

Streitkräfte festgelegt. Liest man zwischen den Zeilen dieses<br />

Dokuments, lassen sich Parallelen zu den Zielen und<br />

Anforderungen der „Inneren Führung“ in einem internationalen<br />

verbindlichen Kontext erkennen: Legitimation,<br />

Integration, Motivation und Gestaltung der Inneren Ordnung.<br />

Im Kern zielt die „Innere Führung“ darauf ab, durch Führung,<br />

Erziehung und Ausbildung die Legitimation des<br />

militärischen Auftrags und Handelns zu verdeutlichen,<br />

die Streitkräfte in die pluralistische, freiheitlich demokratische<br />

<strong>Gesellschaft</strong>sordnung einzubinden, die Bereitschaft<br />

der Soldat(inn)en zur gewissenhaften Pflichterfüllung und<br />

zum gewissensgeleitetem Gehorsam zu stärken, sowie die<br />

Gestaltung einer mit diesen Grundsätzen vereinbaren Inneren<br />

Ordnung zu fördern. Zielsetzung der Inneren Führung<br />

in Verbindung mit dem Leitbild als „Staatsbürgers in<br />

Uniform“ ist es letztlich, einsatzfähige Streitkräfte sowie<br />

44


aus innerer Überzeugung einsatzbereite Soldaten zu haben.<br />

Die Legitimation des soldatischen Auftrags, die dem Primat<br />

der Politik entspringt, ist unverzichtbares Ziel einer<br />

jeden Führungsphilosophie. Begründungen für das soldatische<br />

Handeln müssen sowohl der <strong>Gesellschaft</strong> als auch<br />

dem einzelnen Soldaten verständlich gemacht werden.<br />

Im Zeitalter der Auslandseinsätze ist es unerlässlich, die<br />

komplexen Hintergründe für den Einsatz der Streitkräfte<br />

außerhalb des heimischen Territoriums gerade gegenüber<br />

den Soldat(inn)en zu verdeutlichen und zu rechtfertigen.<br />

Jeder Soldat soll seinen Dienst als rechtlich, politisch und<br />

ethisch legitimiert verstehen. Der Auftrag der Bundeswehr<br />

– der Schutz Deutschlands und seiner Staatsbürger,<br />

Sicherung außenpolitischer Handlungsfähigkeit, Förderung<br />

von Stabilität im europäischen und im globalen<br />

Rahmen, Bündnisverteidigung sowie multinationale Zusammenarbeit<br />

und Integration – sollen vom deutschen<br />

Soldaten als legitimer Auftrag angesehen werden, für den<br />

er sich aus eigener Überzeugung einsetzt. Der Soldat, dessen<br />

Grundpflicht es ist, der Bundesrepublik Deutschland<br />

treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen<br />

Volkes tapfer zu verteidigen, soll für dieses Dienen<br />

eine Legitimation durch die Verfassung erkennen und ein<br />

Berufverständnis entwickeln, das die Werte, die er verteidigen<br />

soll, bejaht.<br />

Im „OSZE-Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten<br />

der Sicherheit“ verpflichtet sich jeder Teilnehmerstaat,<br />

seine Verteidigungsausgaben vom eigenen Gesetzgeber<br />

genehmigen zu lassen. Ebenso ist zu gewährleisten,<br />

dass die militärischen Kräfte durch die verfassungsgemäß<br />

und demokratisch legitimierten Organe wirksam geführt<br />

und kontrolliert werden, um so ihre Verantwortlichkeiten<br />

nach Verfassung und Gesetz zu erfüllen. Durch die Bindung<br />

an Recht und Gesetz, sowie das Element der Kontrolle,<br />

wird hier die Legitimation militärischen Handelns<br />

deutlich, die eine unverzichtbare Basis supranationalen<br />

Wirkens darstellt.<br />

Durch die mit seinem Beruf einhergehenden Pflichten<br />

werden die Soldat(inn)en in ihrer Lebensführung eingeschränkt.<br />

Damit diese Unterschiede zur zivilen Lebensordnung<br />

nicht zur Ausgrenzung aus der <strong>Gesellschaft</strong> führen,<br />

ist es ein Ziel der „Inneren Führung“, die Integration des<br />

Soldaten und der gesamten Streitkräfte in die <strong>Gesellschaft</strong><br />

zu fördern. Die Streitkräfte dürfen kein Eigenleben im<br />

Sinne eines „Staates im Staate“ führen, sondern sollen in<br />

die <strong>Gesellschaft</strong> eingebettet sein. Die Bevölkerung soll die<br />

Aufgaben der Bundeswehr in Systemen kollektiver Sicherheit<br />

und in Einsätzen verstehen, an ihnen Anteil nehmen<br />

und sie als legitim betrachten. Diese Integration stärkt die<br />

Beziehung zwischen Streitkräften und <strong>Gesellschaft</strong>. Einschränkungen<br />

des Soldaten in seiner Lebensführung können<br />

nur durch die Erfordernisse des militärischen Dienstes<br />

begründet werden. Ziel ist es, die Unterschiede zwischen<br />

den Streitkräften und dem zivilen Umfeld auf ein für die<br />

militärische Auftragserfüllung notwendiges Maß zu begrenzen.<br />

Dabei darf jedoch die Priorität der Auftragserfüllung<br />

und Funktionalität nicht aus den Augen verloren<br />

werden.<br />

In Übereinstimmung mit diesem Verständnis der Einbindung<br />

von Streitkräften und ihrer Angehörigen als ein<br />

Instrument staatlicher Gewalt sehen auch die OSZE-Teilnehmerstaaten<br />

die Integration ihrer Streitkräfte in die zivile<br />

<strong>Gesellschaft</strong> als wichtigen Ausdruck ihrer Demokratie<br />

und haben sich daher verpflichtet, diese zu fördern. Sie<br />

setzen auf Transparenz und öffentlichen Zugang zu Informationen,<br />

welche die Streitkräfte betreffen.<br />

„Innere Führung“ zielt auch auf die Motivation der<br />

Soldat(inn)en zur gewissenhaften Pflichterfüllung, zum<br />

gewissensgeleiteten Gehorsam, zur Übernahme von Verantwortung<br />

und Stärkung der Zusammenarbeit sowie<br />

zur Wahrung der Disziplin und des Zusammenhaltes. Sie<br />

soll ein Klima schaffen, in dem der Soldat bereit ist, die<br />

ihm übertragenen Aufgaben anzunehmen und seinen militärischen<br />

und staatsbürgerlichen Pflichten umfassend,<br />

nach bestem Wissen und Gewissen, nachzukommen.<br />

Motivation wächst auf dem Fundament von Legitimation<br />

und Integration. Nur unter dieser Gesamtschau kann<br />

45


Innere Führung – das europäische Potential einer nationalen Führungsphilosophie<br />

das zentrale Element der „Inneren Führung“, das Leitbild<br />

vom „Staatsbürger in Uniform“ verwirklicht werden.<br />

Dieses Leitbild ergibt sich aus dem Menschenbild unserer<br />

Verfassung. Der darin abgebildete Idealtypus fordert<br />

von den Soldat(inn)en, sich als freie Persönlichkeit und<br />

verantwortungs bewusste Staatsbürger für den Auftrag einsatzbereit<br />

zu halten.<br />

Der Aufklärer und Dichter Johann G. Seume hat diesbezüglich<br />

gesagt: „Wo man anfängt, den Krieger von<br />

dem Bürger zu trennen, ist die Sache der Freiheit und<br />

Gerechtigkeit schon halb verloren“. Eine in diesem Zitat<br />

beschriebene Trennung des Soldaten von seinen staatsbürgerlichen<br />

Rechten und Pflichten würde den Grundsätzen<br />

der „Inneren Führung“ zuwiderlaufen. Um dies<br />

zu verdeutlichen, schufen die Gründerväter der „Inneren<br />

Führung“ ein Leitbild, in dem die zuvor beschriebenen<br />

drei Eigenschaften des Soldaten untrennbar zum Ideal<br />

des „Staatsbürger in Uniform“ verbunden sind. Er steht<br />

für eine freie und mündige Persönlichkeit, die aus eigener<br />

Verantwortung heraus handelt und die Konsequenzen<br />

seiner Handlungen verantworten kann. Das Leitbild ist<br />

öffentlichkeitswirksamer Ausdruck für die Bindung an<br />

Recht und Gesetz – im Denken wie im Handeln. Recht<br />

und Soldatische Ordnung, eines der drei hauptsächlichen<br />

Gestaltungsfelder der Inneren Führung, bildet den Rahmen<br />

und ist den Soldat(inn)en eine Verhaltenssicherheit<br />

schaffende Orientierungshilfe. Die Innere Ordnung zeigt<br />

Wege auf, die unter Berücksichtigung der Rechtsordnung<br />

zur wirkungsvollen Auftragserfüllung auch im Einsatz<br />

führen.<br />

Auch die Teilnehmerstaaten der OSZE zeichnen ein Bild<br />

vom Soldaten, dessen Handeln durch Recht und Gesetz<br />

geleitet und gebunden ist. Sie haben sich verpflichtet<br />

zu gewährleisten, dass die Angehörigen der Streitkräfte<br />

nach dem innerstaatlichen Recht und dem Völkerrecht<br />

für ihre Handlungen persönlich verantwortlich sind. Dabei<br />

stellt der Verhaltenskodex besonders heraus, dass die<br />

Verantwortlichkeit der Vorgesetzten die Untergebenen in<br />

keiner Weise von ihrer persönlichen Verantwortung entbindet.<br />

Militärischer Dienst steht im Einklang mit den<br />

verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen,<br />

berücksichtigt dienstliche Erfordernisse und schränkt<br />

Grundfreiheiten nur da ein, wo es zwingend erforderlich<br />

und durch Gesetz geregelt ist.<br />

Die offene und dynamische Konzeption der „Inneren Führung“<br />

hat sich als Führungsphilosophie und Führungskultur<br />

der Bundeswehr in über 50 Jahren bewährt. Im Zuge<br />

komplexer Reformen der Streitkräftestrukturen und zunehmend<br />

multinationaler Einsätze hat sie ihre Tragfähigkeit<br />

unter Beweis gestellt und sich so zu einem Stabilitätsanker<br />

unserer Streitkräfte entwickelt. Bauzeichnungen<br />

entstehen auf dem Reißbrett, Führungsphilosophien und<br />

-kulturen wachsen in ihrem historischen Umfeld durch<br />

Erfahrungen und Tradition. Auch wenn „Innere Führung“<br />

häufig als Exportprodukt der Bundeswehr bezeichnet wird,<br />

ist sie u.a. aufgrund ihrer Bindung an das Grundgesetz der<br />

Bundesrepublik Deutschland in ihrer Gesamtheit nicht<br />

dazu geeignet, anderen Armeen übergestülpt zu werden.<br />

Dennoch bietet sie in ihrem Kernbestand ein Fundament,<br />

auf dem Überlegungen zur Harmonisierung europäischer<br />

Führungskonzeptionen gut gedeihen können.<br />

Der „Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten<br />

der Sicherheit“ der OSZE ist in wesentlichen Teilbereichen<br />

deckungsgleich mit den Zielen und Anforderungen<br />

der „Inneren Führung“. Als politische Willensbekundung<br />

setzt er einen Startpunkt in einem Entwicklungsprozess,<br />

der im Rahmen zunehmender multinationaler Sicherheitsbemühungen<br />

langfristig wachsende Bedeutung erlangen<br />

wird. Auch wenn es dem ‚OSZE-Verhaltenskodex’ im<br />

Vergleich zum „Vertrag über die Gründung der Europäischen<br />

Verteidigungsgemeinschaft“ von 1954 an Konkretisierung<br />

mangelt, steht er dennoch für die grundsätzliche<br />

Bereitschaft zu zielgerichteten Reformen und Festlegung<br />

gemeinsamer Zielpunkte, die es weiter zu entwickelt gilt.<br />

„Innere Führung“ kann hierzu einen wesentlichen Beitrag<br />

leisten.<br />

Bereits im Weißbuch 2006 (S. 81) ist festgeschrieben,<br />

„Innere Führung“ als Ausgangspunkt eines Dialoges mit<br />

den (europäischen) Partnern über Führungsprinzipien zu<br />

46


sehen. „Innere Führung“ kann nicht verordnet werden,<br />

sondern ihr Beispiel kann Schule machen. Der „Inneren<br />

Führung“ eröffnen sich im multinationalen Umfeld besonders<br />

dann Optionen, wenn sie (vor-)gelebt wird. Die Entwicklung<br />

gemeinsamer Vorstellungen von Führung bzw.<br />

von ersten Ansätzen zu einer gemeinsamen Führungsphilosophie<br />

ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Integration<br />

sowohl im Hinblick auf multinationale Strukturen und<br />

Einsätze als auch zur Intensivierung sicherheitspolitischer<br />

Zusammenarbeit.<br />

47


Innere Führung braucht Führung<br />

Text:<br />

Brigadegeneral Heinrich-Wilhelm Steiner<br />

Die Einsatzarmee Bundeswehr ist fester Bestandteil der<br />

verteidigungs- und sicherheitspolitischen Wirklichkeit<br />

des 21. Jahrhunderts. Diese Realität liefert die Vorgabe für<br />

Planung, Struktur und Einsatz unserer Streitkräfte, sie ist<br />

aber auch Ausgangspunkt der diesbezüglichen Debatten<br />

in Parlament und Medien. Globalisierung, Kampf gegen<br />

den internationalen Terrorismus, demographischer Wandel<br />

und Weiterentwicklung von der Industrie- zur Informationsgesellschaft<br />

sind nur einige Aspekte des aktuellen<br />

Einsatzlagebildes und seiner Rahmenbedingungen. Sie<br />

prägen in vielfältiger Weise die Entwicklung der Bundeswehr<br />

und bedingen den kontinuierlichen Denk- und Anpassungsprozess,<br />

den wir als Transformation bezeichnet<br />

haben.<br />

Die Einsätze der Bundeswehr erfolgen auf hohem Niveau.<br />

Rund 6.300 Soldatinnen und Soldaten erfüllen in derzeit<br />

neun unterschiedlichen Missionen ihren Auftrag. Dabei<br />

steht der fordernde Einsatz am Hindukusch im dienstlichen<br />

und öffentlichen Fokus des Interesses. Die wachsende<br />

Bedrohung auch im Norden Afghanistans schmälert<br />

nicht den Erfolg des deutschen Bundeswehreinsatzes<br />

in dieser Region. Vielmehr hat es den Anschein, dass die<br />

wirkungsvolle Aufbauleistung im Lande unter dem Schutz<br />

und mit der Unterstützung durch unsere Soldatinnen<br />

und Soldaten offensichtlich zunehmend die hergebrachten<br />

Machtstrukturen und ideologischen Einflusssphären<br />

bedroht. Die Absicht der Gegner ist, Gewalt zu streuen<br />

und die afghanische Bevölkerung aktiv zu verunsichern.<br />

Damit steigen die Anforderungen, auch an die deutschen<br />

Einsatzkräfte. Dieses risikobehaftete Spektrum, aber auch<br />

andere Missionen, wie die laufenden Vorbereitungen für<br />

eine aktive Bekämpfung der Piraterie sowie die Beteiligung<br />

an der schwierigen Beobachtermission im Sudan<br />

zeigen darüber hinaus auf, dass die Intensität und die Variationsbreite<br />

möglicher Einsätze insgesamt weiter ansteigen.<br />

Höchste Belastungen sowie – das muss klar gesagt<br />

werden – Verwundungen und tödliche Verluste werden<br />

damit zunehmend wahrscheinlicher.<br />

Wenn sich nun die Einsatzrealität so darstellt, dann muss<br />

die Bundeswehr als Dienstherr dafür Sorge tragen, dass<br />

Heinrich-Wilhelm Steiner<br />

die Soldatinnen und Soldaten den Belastungen im Einsatz<br />

standhalten können. Wenn der risikoreiche Einsatz körperliche<br />

und/oder psychische Folgen haben kann, erwarten<br />

die Betroffenen zu recht breite Unterstützung. Und<br />

auch die Angehörigen daheim rücken in den Fokus des<br />

Dienstherrn. Deren Alltags- und sonstige Probleme entwickeln<br />

sich unverzüglich zu Belastungen der Soldaten<br />

und Soldatinnen im Einsatz, da sie aus der Ferne nur sehr<br />

begrenzt eingreifen und helfen können. Somit hängen –<br />

plakativ formuliert – Ausbildung, Einsatzversorgungsgesetz<br />

und Kindergartenplatz unmittelbar zusammen. Hier<br />

gilt es noch, Bewusstsein zu bilden und Hürden zu überwinden.<br />

Und der Blick muss über den Horizont des aktiven Personals<br />

hinaus gehen. Um zukunftsfähig zu bleiben muss<br />

auch weiterhin qualifiziertes und motiviertes Personal für<br />

den Dienst in den Streitkräften gewonnen werden. Dies<br />

wird zunehmend Kraft beanspruchen, denn der demographische<br />

Wandel mit der vorausgesagten Intensität wird<br />

bereits in kurzer Zeit auch die Bundeswehr erreichen. Im<br />

Wettbewerb mit einer weiterhin wachsenden und an ausgebildeten<br />

Fachkräften interessierten Wirtschaft wird sich<br />

die Bundeswehr in der Nachwuchsgewinnung sehr ernstzunehmenden<br />

Konkurrenten stellen müssen.<br />

Insgesamt verlangt das, in einer verschärften Arbeitsmarktsituation<br />

solche Anreize zu bieten, die es ermöglichen, ge-<br />

48


nügend geeignete Frauen und Männer für die Streitkräfte<br />

zu gewinnen, um die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

verfügbar zu haben und gleichzeitig Menschen<br />

zu engagieren, die über ein unverzichtbares ethisch-moralisches<br />

Rüstzeug verfügen. Die dargestellten Realitäten des<br />

Einsatzes bilden dabei die Messlatte für das berufliche Anforderungsprofil<br />

und die private Belastbarkeit. Die nachhaltige<br />

Sicherstellung der personellen Bedarfsdeckung für<br />

die Streitkräfte wird vor diesen Hintergründen zur zentralen<br />

strategischen Herausforderung.<br />

Führung und Menschenführung<br />

An dieser Stelle kommt der Inneren Führung eine Schlüsselrolle<br />

zu. Die Mehrzahl der dargestellten Herausforderungen<br />

liegt an den Schnittstellen zwischen der Bundeswehr<br />

und der sie umgebenden Zivilgesellschaft. Die<br />

Bedingungen, unter denen ein Personaltransfer in die<br />

Streitkräfte hinein erfolgt, sind zu gestalten. Gleiches gilt<br />

für den Weg als Soldatin und Soldat zurück in ein ziviles<br />

Beschäftigungsverhältnis. Für die Gestaltung der Bedingungen<br />

liegt die Verantwortung bei den Vorgesetzten, ob<br />

als militärische Führer, die maßgeblichen Anteil an der<br />

Persönlichkeitsbildung haben oder als Verantwortliche<br />

in Führungsstäben, die entsprechende Gesetzesinitiativen<br />

voran bringen, konzeptionelle Grundlagen erstellen oder<br />

Handlungsanweisungen geben. In diesem Zusammenhang<br />

sei die neugefasste Zentrale Dienstvorschrift ZDv<br />

10/1 „Innere Führung“, mit der Selbstverständnis und<br />

Führungskultur auf Grundlage gewonnener Einsatzerfahrungen<br />

und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf<br />

einen modernen Stand gebracht worden sind, hier besonders<br />

herausgestellt. Es ist ein Grundlagenwerk, das keine<br />

Zweifel aufkommen lässt: Es fordert den Vorgesetzten als<br />

handelnden und vorausschauenden Verantwortungsträger<br />

auf, die Grundsätze der Inneren Führung aktiv mit Leben<br />

zu füllen und beispielhaft zu führen.<br />

Und die Praxis zeigt, dass die Bundeswehr in jeder Hinsicht<br />

die Anforderungen an den „Staatsbürger in Uniform“<br />

Ernst nimmt. Wir sind uns bewusst, dass wir mehr denn<br />

je freie Persönlichkeiten, verantwortungsbewusste Staatsbürgerinnen<br />

und Staatsbürger sowie einsatzbereite Soldatinnen<br />

und Soldaten brauchen, um den vielfältigen Aufträgen<br />

und Aufgaben für unsere Streitkräfte gewachsen zu<br />

sein. Deshalb werden durch die Innere Führung bei jedem<br />

Soldaten Herz und Verstand fordernd angesprochen.<br />

Die Vorgesetzten auf allen Ebenen leben im Dienstalltag<br />

Innere Führung vor und tragen eine besondere Verantwortung<br />

für deren Gestaltung in allen Bereichen des<br />

militärischen Dienstes. Jeder Vorgesetzte wird von seinen<br />

Soldatinnen und Soldaten im Grundbetrieb wie im Einsatz<br />

als Gestalter der Inneren Führung wahrgenommen.<br />

Sie sind im Positiven wie im Negativen Multiplikatoren<br />

mit großem Einfluss auf den Geist der Truppe.<br />

Vor Ort gewinnt das Gestaltungsfeld Menschenführung<br />

eine herausragende Bedeutung. Vorgesetzte, die hier erkennbare<br />

Defizite haben, schwächen nicht nur das Vertrauen<br />

in ihre Führungsfähigkeit und den Zusammenhalt<br />

ihres unterstellten Bereiches. In der Einsatzarmee wirken<br />

sie sich darüber hinaus mit ihrem Fehlverhalten unmittelbar<br />

auf die Einsatzbereitschaft der Truppe aus. Zudem<br />

sind sie über die Rückmeldungen ihrer Soldatinnen und<br />

Soldaten im zivilen Umfeld Multiplikatoren eines möglichen<br />

Negativbildes über die Bundeswehr mit unmittelbaren<br />

Auswirkungen auf die Personalgewinnung.<br />

Menschenführung ist die Kernaufgabe aller Vorgesetzten<br />

in der Bundeswehr. Die Herausforderung besteht gerade<br />

darin, den jüngeren Vorgesetzten, die vielfältige und komplizierte<br />

Leistungen zu erbringen haben, den erforderlichen<br />

Kenntnis- und Erfahrungstand erwerben zu lassen, damit<br />

sie auch unter Extrembelastungen gegenüber ihren Untergebenen<br />

ihren Mann und ihre Frau stehen können. Neben<br />

einer positiven Grundeinstellung zum Menschen gehört<br />

dazu die uneingeschränkte Beherzigung des Grundsatzes<br />

„Wer Menschenwürde verteidigt, der muss Menschen<br />

würdig behandeln.“ Grundsätze dieser Abstraktionsebene<br />

werden nicht ohne weiteres verstanden, sie bedürfen<br />

vielmehr der Vermittlung, Reflexion und Kontrolle. Und<br />

diese Forderung bringt mich dazu, die Bedeutung einer an<br />

den Grundsätzen der Inneren Führung orientierten, ebenengerechten<br />

und helfenden Dienstaufsicht zu betonen.<br />

49


Innere Führung Braucht Führung<br />

Gerade die Vorgesetzten in den Verbänden und Einheiten,<br />

die Kommandeure, Chefs und Spieße müssen dafür Sorge<br />

tragen, dass sie mit Überblick, Geduld und Einfühlungsvermögen<br />

insbesondere ihren jüngeren Unteroffizieren<br />

und Offizieren Hilfestellung geben. Der Austausch praktischer<br />

und auch theoretischer Diensterfahrung und die<br />

Abstellung erkannter Mängel trägt wesentlich dazu bei,<br />

Führungsverhalten zu festigen und zu optimieren. Es versteht<br />

sich von selbst, dass ein solcher Prozess nur dann<br />

glaubwürdig verlaufen kann, wenn die uneingeschränkte<br />

Bereitschaft besteht, Härten und Entbehrungen nicht nur<br />

zu delegieren, sondern zu teilen. Hinsichtlich der Grundlagenvermittlung,<br />

die zu erfolgreicher Menschenführung<br />

beiträgt, verdient das Lehrgangsangebot des Zentrums Innere<br />

Führung besondere Erwähnung. Die Pflichtlehrgänge<br />

für Kommandeure, Einheitsführer und Spieße und die<br />

Lehrgänge zur Einsatzvorbereitung vermitteln Fachwissen<br />

und Kompetenzen, ohne die eine „Lizenz zur Menschenführung“<br />

nur unvollständig wäre!<br />

Politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit versus<br />

„freundliches Desinteresse“<br />

Ein weiteres Feld, das die aktive Gestaltung durch die<br />

Vorgesetzten besonders verlangt, ist die politische Bildung.<br />

Auch sie hat angesichts der Einsätze ein stärkeres<br />

Gewicht gewonnen. Die Soldatinnen und Soldaten stellen<br />

anspruchsvolle Fragen nach der Legitimation. Sie müssen<br />

über die politischen Hintergründe, sicherheitspolitischen<br />

Interessen sowie die daraus hervorgehende Notwendigkeit<br />

ihrer jeweiligen Einsätze rechtzeitig und angemessen<br />

informiert werden. Vor, während und nach dem Einsatz<br />

sollen die Vorgesetzten aller Ebenen durch politische Bildung<br />

dazu beitragen, dass die ihnen anvertrauten Soldatinnen<br />

und Soldaten die notwendigen Kenntnisse über<br />

den aktuellen Einsatz, das Einsatzland und die jeweiligen<br />

besonderen Bedingungen erwerben.<br />

Diesem umfassenden Anspruch wurde mit der Neufassung<br />

der Zentralen Dienstvorschrift 12/1 „Politische<br />

Bildung“ im November 2007 konzeptionell Rechnung<br />

getragen. Auch hier kommt es darauf an, diese Vorgaben<br />

sorgfältig und ideenreich umzusetzen. Wissen und Einstellungen<br />

im Zusammenhang mit der Begründung und<br />

Erklärung der Einsätze und ihrer erheblichen Anforderungen<br />

haben über die handwerklichen Fähigkeiten hinaus<br />

einen entscheidenden Stellenwert. Politische Bildung ist<br />

eine weitere Kernaufgabe aller Vorgesetzten und darüber<br />

hinaus gesetzliche Verpflichtung der Disziplinarvorgesetzten.<br />

Sie ist bei jeder sich bietenden Gelegenheit – auch<br />

im Einsatz – durchzuführen. Sachkenntnis, ein fundierter<br />

eigener Standpunkt und die Bereitschaft zum offenen Gespräch<br />

sind zwingende Voraussetzung, damit Soldatinnen<br />

und Soldaten die obigen Vorgaben als kluge politische Bildung<br />

„hautnah“ erfahren. Was aber nicht heißt, dass es<br />

ein Abrücken von Gehorsamspflicht und Loyalität geben<br />

könne.<br />

Ich kann gut nachvollziehen, dass es manchem Vorgesetzten<br />

schwer fällt, gemeinsam mit seinen Soldatinnen<br />

und Soldaten diese anspruchsvollen Themenfelder der<br />

politischen Bildung zu behandeln. Häufig ist der Wissensvorsprung<br />

begrenzt und die Erfahrungen mit Kultur,<br />

Geschichte, gesellschaftlichen und weiteren Rahmenbedingungen<br />

wenig ausgeprägt. Solche nachvollziehbaren<br />

Lücken dürfen aber keinesfalls zu einer Vermeidungshaltung<br />

führen. Viel erfolgreichversprechender ist es, offene<br />

Fragen im Dialog zu ergründen und gemeinsam Antworten<br />

zu suchen und zu finden. Auf diesem Weg gewähren<br />

die dienstlich bereitgestellten Informationen und Hilfen<br />

wertvolle Unterstützung. Beispielhaft sei das Aktionsprogramm<br />

Politische Bildung „Dimension Kulturen“, die<br />

Angebote des Netzwerkes Politische Bildung und des Zentrums<br />

Innere Führung erwähnt.<br />

Zusammengefasst folgt daraus, dass militärische Führer<br />

und andere Vorgesetzte ihren Unterstellten gegebenenfalls<br />

vermitteln müssen, warum sie in den Auslandseinsatz entsandt<br />

werden, der für sie oftmals Entbehrungen und ein<br />

erhöhtes Risiko bedeutet. Die Soldatinnen und Soldaten<br />

wollen dabei die Hintergründe ihres Einsatzes nicht nur<br />

kennen, sondern auch verstehen.<br />

Derzeit wird ein neues Aktionsprogramm zur politischen<br />

Bildung entwickelt, das sich mit diesen Fragestellungen<br />

50


auf kognitiver und affektiver Ebene auseinandersetzen<br />

wird. Das Projekt verfolgt das Ziel, griffige Hilfestellungen<br />

für die Auseinandersetzung mit Fragen der Legitimation<br />

von Einsätzen anzubieten. Damit soll eine weitere<br />

praktische Grundlage für die Bewältigung der Aufgaben<br />

als militärischer Vorgesetzter, aber auch für das Gespräch<br />

mit Multiplikatoren mit Wirkung in den dienstlichen und<br />

privaten Bereich sowie in die Öffentlichkeit hinein gegeben<br />

werden.<br />

Es gibt ohne Zweifel Handlungsbedarf, denn das von<br />

Bundespräsident Horst Köhler festgestellte „freundliche<br />

Desinteresse“ der <strong>Gesellschaft</strong> an der Bundeswehr ist leider<br />

immer noch erlebte Wirklichkeit. Defizite bei der Legitimation<br />

und bei der Integration sind weiterhin zu überwinden.<br />

Unwissen über die Realität der Bundeswehr, die<br />

Notwendigkeit der Einsätze und den Beruf der Soldatin /<br />

des Soldaten führen zu einer Schieflage für die Einsatzarmee<br />

Bundeswehr, die das Risiko eines zumindest partiellen<br />

Abreißens der Verbindung zwischen <strong>Gesellschaft</strong> und<br />

Streitkräften beinhaltet. Diese Verbindung aufrechtzuerhalten<br />

und insbesondere die Legitimation der Auslandseinsätze<br />

auch nach außen zu kommunizieren, hat zwar<br />

zunächst eine politische Dimension, aber jeder Angehörige<br />

der Streitkräfte trägt mit seinen Beitrag zur lebendigen<br />

Diskussion in allen gesellschaftlichen Bereichen dazu bei.<br />

Politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit sind in der<br />

Bundeswehr nicht neu. Sie haben jedoch in der aktuellen<br />

Lage einen neuen Stellenwert gewonnen. Nur wer die<br />

Realität der Einsatzarmee Bundeswehr versteht und annimmt,<br />

wird bereit sein, zu den Streitkräften zu kommen,<br />

bei ihnen zu bleiben oder ihnen – als Staatsbürger und<br />

Steuerzahler – die notwendigen Ressourcen zur Verfügung<br />

zu stellen. Im Einklang mit der Inneren Führung bedeutet<br />

das für die Bundeswehr, noch offener und dialogbereiter<br />

zu sein, um nicht zuletzt auch im übertragenen Sinne im<br />

Gespräch zu bleiben. Wir erheben aber auch den Anspruch<br />

an die nichtuniformierte Öffentlichkeit, sich „ihrer<br />

Bundeswehr“ beherzt anzunehmen.<br />

Vereinbarkeit von Familie und Dienst<br />

Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber den Soldatinnen<br />

und Soldaten zu erfüllen, war schon immer ein<br />

besonderes Anliegen der Streitkräfte. Die Marine hat beispielsweise,<br />

ihrer spezifischen Situation geschuldet, wegen<br />

der hohen Anzahl an Seetagen schon über Jahrzehnte auf<br />

diesem Feld Hervorragendes geleistet. Mit dem Beginn<br />

der Auslandseinsätze standen nun die Familien aus den<br />

gesamten Streitkräften vor dieser im allgemeinen neuen<br />

Situation.<br />

Für die Motivation und Einsatzbereitschaft der Soldatinnen<br />

und Soldaten im Auslandseinsatz ist es mitentscheidend,<br />

ob und wie die Betreuung ihrer Familienangehörigen<br />

sichergestellt wird. Daher wurden bereits mit Beginn<br />

des Engagements in Somalia im Jahre 1993 in 15 Standorten<br />

des Heeres erstmals Familienbetreuungszentren der<br />

Bundeswehr eingerichtet. Heute hat sich deren Zahl auf<br />

31 mehr als verdoppelt. Neu ist zudem, dass die Familienbetreuungsorganisation<br />

so auszugestalten ist, dass sie<br />

als Kernelement der Vereinbarkeit von Familie und Dienst<br />

sowohl während besonderer Auslandsverwendungen als<br />

auch im Grundbetrieb wirken kann.<br />

Mit In-Kraft-Treten des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes<br />

Anfang 2005, das einen eigenen Abschnitt<br />

„Vereinbarkeit von Familie und Dienst für Soldatinnen<br />

und Soldaten“ beinhaltet, wurden die Streitkräfte<br />

auch gesetzlich verpflichtet, ihre Aktivitäten auf diesem<br />

Feld weiter zu verstärken. Die dreifache Anforderung aus<br />

gesetzlicher Verpflichtung, Steigerung der Einsatzbereitschaft<br />

und Erhöhung der Attraktivität des Dienstes macht<br />

unmittelbar einsichtig, warum familienfreundliche Maßnahmen<br />

notwendig und angemessen für die Bundeswehr<br />

sind. Vorgesetzten steht bereits heute eine ganze Palette<br />

von Maßnahmen zur Verfügung, die gesetzliche Verpflichtung<br />

auszufüllen und zur Attraktivität ihrer Einheit bzw.<br />

ihres Verbandes als Arbeitgeber beizutragen.<br />

Mehr als 62.000 Berufs- und Zeitsoldaten und -soldatinnen<br />

haben Kinder, von denen fast 33.000 unter sechs<br />

Jahren alt sind. Eine vermutlich hohe fünfstellige Zahl der<br />

51


Innere Führung Braucht Führung<br />

Soldatinnen und Soldaten mit Kindern dürfte alleinerziehend<br />

sein. Bei vielen verheirateten oder in einer Partnerschaft<br />

lebenden Soldatinnen und Soldaten mit Kindern<br />

sind beide Elternteile berufstätig und kämpfen de facto<br />

mit ähnlichen Problemen wie Alleinerziehende. Grundsätzlich<br />

tragen zwar die Eltern die Verantwortung für ihre<br />

Kinder. Zugleich aber unterliegen die Eltern als Soldaten<br />

der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die sich somit recht<br />

schnell auch direkt auf deren Familien erstreckt.<br />

Mit der im Mai 2007 erlassenen Teilkonzeption „Vereinbarkeit<br />

von Familie und Dienst“ ist ein erster wesentlicher<br />

Meilenstein erreicht worden. Sie umfasst Forderungen zu<br />

den Gestaltungs- und Aufgabenfeldern Personalführung,<br />

Führungskompetenz, Organisation des Dienstes, Dienstzeit,<br />

Informationsarbeit, finanzielle und geldwerte Leistungen<br />

sowie Dienstleistungen für Familien. Zu diesen<br />

Dienstleistungen zählen beispielsweise Kinderbetreuung<br />

und Pflege von Angehörigen, Familienbetreuung, sozialdienstliche<br />

Beratung und Betreuung oder die Wohnungsfürsorge.<br />

Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist eine außerordentlich<br />

vielschichtige Aufgabe. Sie kann nur mit einem<br />

umfassenden und ganzheitlichen Ansatz gelöst werden.<br />

Der Erfolg wird aber nicht von selbst eintreten. Die zentralen<br />

Vorgaben müssen jetzt ideenreich durch die Verbände<br />

und Einheiten umgesetzt werden. Dabei kommt<br />

es einmal mehr auf die militärischen Vorgesetzten an. Ihr<br />

Engagement und ihre positive Einstellung zu diesem Gestaltungsfeld<br />

müssen in konkrete lokale Initiativen münden.<br />

Diese sind entscheidend für nachhaltige Erfolge. Oft<br />

können schon einfache Maßnahmen wie die Gewährung<br />

flexibler Dienstzeiten für betroffene Soldatenfamilien große<br />

Hilfen sein, es geht nicht immer um die kostenintensiven<br />

und breit angelegten Lösungen (z.B. Krippen- bzw.<br />

Kindergartenplätze). Am Anfang muss das offene Gespräch<br />

stehen, denn Probleme, Bedürfnisse und Wünsche<br />

in Familien und Partnerschaften sind so unterschiedlich<br />

wie die Menschen selbst. Und vermeintliche Grenzen<br />

müssen, wenn sie außerhalb der eigenen Zuständigkeit<br />

liegen sollten, unter Einbeziehung vorgesetzter Führungsebenen<br />

beseitigt werden.<br />

Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr als<br />

Markenzeichen<br />

Eine am Dienst in den Streitkräften interessierte und diesen<br />

unterstützende Öffentlichkeit wird nur dann zu erreichen<br />

sein, wenn die Streitkräfte trotz der großen Herausforderungen<br />

und objektiv schwierigeren Rahmenbedingungen<br />

in jeder Hinsicht attraktiv bleiben. Das heißt, wir müssen<br />

qualifiziertes Personal im Dienst halten können (=binden)<br />

und es, soweit es dort nicht vorhanden ist, auf dem freien<br />

Arbeitsmarkt anwerben (=gewinnen). Wir müssen die<br />

Konkurrenzfähigkeit zu Industrie und Wirtschaft, aber<br />

auch zum übrigen öffentlichen Dienst erhalten oder ggf.<br />

herstellen. Der Soldatenberuf muss auch unter den Bedingungen<br />

einer Einsatzarmee attraktiv sein. Wie kann die<br />

Bundeswehr bereits heute wirken, wie können die Vorgesetzten<br />

schon heute die Zukunft positiv gestalten?<br />

Grundsätzlich muss unser Personal im Rahmen eines<br />

modernen und auf das zivile Umfeld abgestimmten Ausbildungs-<br />

und Bildungskonzepts zielgerichtet und anforderungsgerecht<br />

qualifiziert werden. Ein zukunftsfähiges<br />

Personalmanagement muss dann für eine einerseits bedarfsgerechte<br />

und andererseits individuell motivierte Weiterentwicklung<br />

der einzelnen Soldatin und des einzelnen<br />

Soldaten Sorge tragen. Darunter fällt auch lebenslanges<br />

Lernen, das in diesem Zusammenhang nicht zur Floskel<br />

verflachen, sondern noch mehr zur erlebten Wirklichkeit<br />

in der Bundeswehr werden muss. Freiräume zu geben, um<br />

entsprechende Angebote wahrzunehmen, liegt in der Zuständigkeit<br />

der Vorgesetzten, sich die Freiräume zu nehmen,<br />

liegt im eigenen Selbstverständnis begründet.<br />

Wenn wir die Bindung unserer Soldatinnen und Soldaten<br />

an den Arbeitgeber Bundeswehr sicherstellen wollen,<br />

dann brauchen wir auch ein attraktives und konkurrenzfähiges<br />

Arbeitsumfeld. Dabei spielt es eine besondere Rolle,<br />

wie die Streitkräfte ihrer besonderen Verpflichtung zur Betreuung<br />

nachkommen und welche Möglichkeiten insbesondere<br />

den Soldaten und Soldatinnen auf Zeit für ihr Berufsleben<br />

nach der Verpflichtungszeit in der Bundeswehr<br />

eröffnet werden. Vorgesetzte eröffnen Perspektiven durch<br />

52


eingehende Potenzialbeurteilungen, schaffen Berufszufriedenheit<br />

durch Führen mit Auftrag und gestalten, z.B.<br />

durch eine herausfordernde und interessante Ausbildung,<br />

auch Routinedienste attraktiv.<br />

Aus der Perspektive potenzieller Bewerberinnen und Bewerber<br />

ebenso wie aus der unserer jungen Soldatinnen<br />

und Soldaten stellt sich der Dienst in der Bundeswehr im<br />

Regelfall zunächst nur als eine mögliche Variante für die<br />

persönliche Berufs- und Lebensperspektive dar. Sie messen<br />

und bewerten die konkreten Angebote der Streitkräfte<br />

im Vergleich zu konkurrierenden Möglichkeiten. Die<br />

Bundeswehr wird dabei als Großorganisation insgesamt<br />

absehbar keinen leichten Stand haben. Die Verknappung<br />

des Angebots vor allem an qualifizierten Arbeitskräften<br />

kreuzt sich mit den steigenden – und mit anderen, zivilen<br />

und durchgängig ungefährlichen Arbeitsfeldern nicht vergleichbaren<br />

– Anforderungen durch die Einsätze.<br />

Wir müssen folglich alle denkbaren Möglichkeiten in den<br />

Blick nehmen, die geeignet sind, dieses anspruchsvolle<br />

Ziel des rundum attraktiven Dienstes als Markenzeichen<br />

der Bundeswehr zu erreichen. Eine zukunftsorientierte<br />

Ausbildung, eine angemessene Besoldung und gute Aufstiegschancen<br />

bilden dabei die unverzichtbare Basis.<br />

Die Wirklichkeit der Einsätze mit ihren Risiken, Belastungen<br />

und langen Abwesenheitszeiten hat aber auch<br />

die sanitätsdienstliche Versorgung, die medizinische und<br />

soziale Betreuung im Falle einer gesundheitlichen Beeinträchtigung<br />

oder des Todes und die Familienbetreuung<br />

zu Gradmessern für die Attraktivität des Dienstes in der<br />

Bundeswehr werden lassen. Darüber hinaus sind auch die<br />

Qualität von Unterkünften und Lehreinrichtungen, von<br />

Verpflegung, Wohnungsfürsorge und sicherlich auch von<br />

äußeren (öffentlichen) Zeichen der Anerkennung für den<br />

fordernden Dienst.<br />

In den aufgezählten Bereichen ist in den vergangenen<br />

Jahren viel Neues geschaffen worden. Der erheblich gestiegenen<br />

Gefahr für Leib und Leben als den greifbarsten<br />

Risiken der Auslandseinsätze hat der Bundesminister der<br />

Verteidigung durch zwei Gesetzesvorstöße Rechnung getragen.<br />

Das Einsatzversorgungsgesetz und das Einsatzweiterverwendungsgesetz<br />

haben die gesicherte und angemessene<br />

Versorgung im Einsatz verletzter oder verwundeter<br />

Soldatinnen und Soldaten zum Ziel. Kernpunkt des Einsatzversorgungsgesetzes<br />

ist der Rechtsbegriff des „Einsatzunfalls“.<br />

Darunter ist jede gesundheitliche Schädigung<br />

zu verstehen, die ein Soldat während des Einsatzes aufgrund<br />

einer Verwundung oder wegen eines Dienstunfalls<br />

im Einsatzgebiet erleidet. Führt der Dienstunfall zu einer<br />

Erwerbsminderung von mindestens 50 Prozent, so löst<br />

dies die Einsatzversorgung aus, die der Soldat bei seinem<br />

Ausscheiden aus dem Dienst erhält.<br />

Das im November 2007 verabschiedete Einsatzweiterverwendungsgesetz<br />

ermöglicht Einsatzgeschädigten eine ihrer<br />

Verwendungsfähigkeit entsprechende berufliche Perspektive<br />

in der Bundeswehr. Hierzu soll Einsatzgeschädigten<br />

aller Statusgruppen zunächst die gesundheitliche Wiederherstellung<br />

ihrer Dienst- und Arbeitsfähigkeit sowie eine<br />

berufliche Qualifizierung im Soldatenstatus ermöglicht<br />

werden. Im Fall einer Minderung der Erwerbsfähigkeit<br />

um mindestens 50 Prozent kann die betroffene Person<br />

ausscheiden und die Leistungen nach dem Einsatzversorgungsgesetz<br />

in Anspruch nehmen. Alternativ kann sie<br />

aber auch auf Antrag in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten<br />

berufen oder in ein Beamten- oder Arbeitnehmerverhältnis<br />

übernommen werden.<br />

Die Universitäten der Bundeswehr haben Bachelor- und<br />

Masterabschlüsse eingeführt. Mit der Anpassung an diese<br />

europaweit anerkannten Abschlüsse bleibt die Ausbildung<br />

zum Offizier der Bundeswehr mit Blick auf eine spätere zivilberufliche<br />

Karriere weiter attraktiv. Die Möglichkeiten<br />

der Aus- und Weiterbildung für Bewerber ohne Berufsausbildung<br />

sowie für Mannschaften und Unteroffiziere im<br />

Rahmen der Weiterqualifizierung sind in vielen Details<br />

verbessert worden. Fernausbildung als neuer strategischer<br />

Ansatz ergänzt und erweitert die herkömmlichen Ausbildungsangebote<br />

durch gezielte Nutzung moderner Ausbildungstechnologien.<br />

Fernausbildung hat insbesondere<br />

das Potenzial, Ausbildung im Team und als Individuum<br />

53


Innere Führung Braucht Führung<br />

lage- und bedarfsgerecht auf die Erfordernisse des Einsatzes<br />

auszurichten und Einsatzerfahrungen schnell in den<br />

Kreislauf der Ausbildungsanforderungen einzubringen.<br />

Noch manches in der Entstehung befindliche Projekt<br />

könnte hier aufgeführt werden. Aber die aufgeführten<br />

Beispiele reichen aus, um zu verdeutlichen, dass die Bundeswehr<br />

als Arbeitgeber den Berg der Herausforderungen<br />

besteigt und mehr als die ersten Basislager hinter sich gelassen<br />

hat. Manche Steilwand ist noch zu erklimmen, aber<br />

die Kondition ist erkennbar gut, die Erfahrung hilfreich<br />

und bei den nächsten Hochlagern kann neue Ausrüstung<br />

aufgenommen werden.<br />

Innere Führung als Schlüssel zur Einsatzbereitschaft<br />

Die Konzeption der Inneren Führung hat von Anbeginn<br />

an das Spannungsfeld zwischen Anspruch an die Führungskultur<br />

und im täglichen Dienst erlebbarer Wirklichkeit<br />

abgedeckt. Jede Gesetzesinitiative, jede einzelne Maßnahme<br />

oder auch Aufforderung an die Vorgesetzten soll<br />

sich positiv auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr<br />

auswirken. Hierzu zählen unverändert eine gute Ausbildung,<br />

eine gesicherte Versorgung und nicht zuletzt ein als<br />

sinnvoll erachteter und fordernd gestalteter Dienst. Menschenführung,<br />

politische Bildung, Recht und soldatische<br />

Ordnung, Dienstgestaltung und Ausbildung, Fürsorge<br />

und Betreuung – diese und die weiteren Gestaltungsfelder<br />

der Inneren Führung erfordern Soldatinnen und Soldaten<br />

und insbesondere Vorgesetzte, die sich Tag für Tag aktiv<br />

und beherzt engagieren, Innere Führung erlebbar machen<br />

und damit Vertrauen schaffen.<br />

nicht den Blick dafür verstellen, dass insbesondere den<br />

militärischen Vorgesetzten bereits heute vielseitige und<br />

positive Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen,<br />

um den Dienst und dessen Rahmenbedingungen in den<br />

Streitkräften attraktiv zu gestalten. Sie, die Vorgesetzten,<br />

haben die Pflicht und Ehre, unser Selbstverständnis und<br />

unsere Führungskultur zu leben und zu gestalten. Sie sind<br />

ohne Zweifel die vornehmsten Träger der Inneren Führung.<br />

Augustinus hatte zwar nicht die Bundeswehr im Blick, als<br />

er vor beinahe 1600 Jahren schrieb: „In Dir muss brennen,<br />

was Du in anderen entzünden willst!“ Aber wenn alle ihre<br />

Möglichkeiten konsequent und engagiert nutzen, wird es<br />

uns gemeinsam gelingen, die strategische Herausforderung<br />

der Personalgewinnung zu meistern und unser hervorragendes<br />

Personal, das wir für die Einsatzbereitschaft<br />

der Bundeswehr dauerhaft benötigen, zu prägen und zu<br />

halten.<br />

Oder anders gesagt: Innere Führung und Einsatzfähigkeit<br />

der Streitkräfte stehen in einem unmittelbaren Bedingungszusammenhang.<br />

Eine zeitgemäße und auftragsgerechte<br />

Ausrüstung und Bewaffnung haben für einsatzbereite<br />

und attraktive Streitkräfte ihre wichtige Bedeutung<br />

ebenso wie eine angemessene bauliche Infrastruktur oder<br />

eine attraktive Besoldung für die Angehörigen der Bundeswehr.<br />

Ohne Zweifel sind auf allen angesprochenen<br />

Feldern noch Verbesserungen erforderlich. Das sollte aber<br />

54


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals<br />

der Bundeswehr<br />

Text:<br />

Brigadegeneral Karl H. Schreiner<br />

Die veränderte sicherheitspolitische Lage, die Herausforderungen<br />

der Globalisierung, gesellschaftliche und<br />

technologische Veränderungen haben die Rahmenbedingungen<br />

militärischen Handelns signifikant verändert.<br />

Das Ausbildungssystem der Bundeswehr muss diesen<br />

grundlegend neuen Rahmenbedingungen angemessen<br />

Rechnung tragen, indem die Inhalte und Verfahren von<br />

Ausbildung und Bildung in den Streitkräften, Methodik<br />

und Didaktik der Vermittlung sowie Verwendung moderner<br />

Ausbildungstechnologie neu gedacht, konzipiert und<br />

kommuniziert werden. 1 Dabei erfordern die konsequente<br />

Einsatzorientierung und die knappen Haushaltsmittel die<br />

rasche Trennung von überflüssigen Ausbildungsinhalten,<br />

die Standhaftigkeit zur Beibehaltung bewährter Inhalte<br />

und Verfahren und den Mut zur Implementierung als<br />

erforderlich angesehener neuer Themen. Die Einführung<br />

neuer Themen und Verfahren in die Bundeswehr kann<br />

nur dann Erfolg haben, wenn Führer und Geführte die<br />

Möglichkeit zur Aus- und Weiterbildung haben. Die Erkenntnisse<br />

aus und die Erfordernisse für Auslandseinsätze<br />

bedürfen zwingend gezielter Ausbildungsmaßnahmen zur<br />

Stärkung der Handlungssicherheit.<br />

Dies gilt in besonderer Weise für das Spitzenpersonal der<br />

Bundeswehr 2 , das die künftigen Rahmenbedingungen<br />

und deren Einfluss für die Entwicklung der Streitkräfte<br />

zeitgerecht analysieren und diesen komplexen Veränderungsprozess<br />

im Kontext von Politik und <strong>Gesellschaft</strong> koordinieren<br />

und weit vorausschauend steuern und gestalten<br />

muss.<br />

Sicherheitspolitische Herausforderungen<br />

des 21. Jahrhunderts<br />

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen wir vor gewaltigen<br />

Herausforderungen: Die demographische Entwicklung in<br />

den europäischen Staaten, in den benachbarten Regionen<br />

sowie im globalen Maßstab, daraus resultierende mögliche<br />

Wanderungsbewegungen und wachsender Migrationsdruck,<br />

Rohstoff- und Energieknappheit, Klimawandel und<br />

Karl H. Schreiner<br />

globale Umweltprobleme, Umverteilung des Wohlstands 3 ,<br />

die künftige Entwicklung der Staatenwelt mit dem möglichen<br />

Verlust der Gewaltmonopole der Staaten, zerfallende<br />

Staaten und die denkbare Entstehung einer neuen Weltordnung,<br />

um nur einige zu nennen, betreffen Sicherheit<br />

und Wohlfahrt der industrialisierten Welt – und damit<br />

uns unmittelbar. Humanitäre Katastrophen, Hunger und<br />

Unterentwicklung sind nicht mehr nur isolierte Probleme<br />

der so genannten Dritten Welt. Parallel dazu stehen<br />

wir vor neuen Sicherheitsbedrohungen, die von weltweit<br />

agierenden Terror-Netzwerken, der Weiterverbreitung<br />

von Massenvernichtungsmitteln sowie Bürgerkriegen und<br />

Gewalt in unterschiedlichsten Krisenregionen ausgehen.<br />

„Nicht verursacht, aber verstärkt wird diese globale Problematik<br />

durch ein Phänomen, das man „begrenzte Staatlichkeit“<br />

nennen könnte. Damit sind Länder gemeint,<br />

deren Regierungen nur teilweise oder gar nicht über die<br />

Kontrolle der Gewaltmittel nach innen und außen – also<br />

ein legitimes Gewaltmonopol – verfügen und die nicht<br />

oder nur zum Teil in der Lage sind, politische Entscheidungen<br />

der Zentralregierung auch durchzusetzen.“ 4<br />

Die moderne Staatenwelt beruht auf der Annahme<br />

moderner Nationalstaaten, die über ein funktionierendes<br />

1 Vgl. dazu Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (Hrsg.): Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt. Opladen 2003 sowie Bockstette, Carsten/ Jertz, Walter und Quandt, Siegfried (Hrsg): Strategisches Informations- und Kommunikationsmanagement.<br />

Handbuch der Sicherheitspolitischen Kommunikation und Medienarbeit. Bonn 2006.<br />

2 Unter Spitzenpersonal im Kontext dieses Beitrages werden die Generale/Admirale, das Führungspersonal (Kommandeure) sowie die Offiziere im General-/Admiralstabsdienst verstanden. Im weiteren Sinne gehören auch die Stabsoffiziere<br />

der Bundeswehr dazu.<br />

3 Vgl. dazu Gabor Steingart: Weltkrieg um Wohlstand. Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden. 3. Auflage München 2006.<br />

4 Thomas Risse, Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit. In: Internationale Politik Heft 9/2005, S. 6.<br />

55


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

Gewaltmonopol nach innen und nach außen verfügen<br />

und an deren Durchsetzungsfähigkeit keine Zweifel bestehen.<br />

Dies entspricht aber schon heute nicht mehr in<br />

Gänze der Realität. 5 Vielmehr muss in einigen Gebieten<br />

unter den Bedingungen „begrenzter Staatlichkeit“ regiert<br />

werden. Es müssen dort Governance-Leistungen in den<br />

Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt erbracht<br />

werden, ohne dass „effektive Gebietsherrschaft“ als zentrales<br />

Kernelement von Staatlichkeit vollständig gegeben<br />

wäre. Unter diesen Voraussetzungen ist zu vermuten, dass<br />

sich veränderte politische Regierungsformen herausbilden,<br />

die in der Wissenschaft als „neue Formen des Regierens“ 6<br />

bezeichnet werden. Damit werden zum Beispiel nichtstaatliche<br />

Akteure direkt in die politische Steuerung einbezogen.<br />

Zu solchen Akteuren gehören Wirtschaftsunternehmen<br />

und Nichtregierungsorganisationen ebenso wie<br />

Familienclans und klientilistische Netzwerke, wie Risse<br />

treffend beschreibt 7 .<br />

Politik, Wissenschaft, <strong>Gesellschaft</strong> und Militär müssen<br />

sich mit diesem diffusen Lagebild, das nicht mehr den<br />

klassischen Vorstellungen von Staaten und Staatsmacht<br />

entspricht, verstärkt auseinandersetzen. Komplexität, Vielfalt,<br />

Dynamik sowie Differenzierung und Vernetzung sind<br />

Kennzeichen der Globalisierung, zu deren Beherrschung<br />

wir bisher vielfach keine wirkungsvollen Instrumente entwickelt<br />

haben. Sicher ist, dass viele Instrumente und Verfahren<br />

des vergangenen Jahrhunderts für die Bewältigung<br />

der zukünftigen Herausforderungen nicht mehr wirkungsvoll<br />

sein werden 8 . Wir müssen erkennen, dass die Versuche,<br />

einen erweiterten Sicherheitsbegriff 9 zu definieren<br />

und vor allem konsequent zu praktizieren, prozedural und<br />

inhaltlich letztlich noch in den Kinderschuhen stecken.<br />

Das umfassende Sicherheitsverständnis leitet sich „aus der<br />

Erkenntnis ab, dass die Durchsetzung und Verteidigung<br />

unserer Interessen und Werte nur mittels einer Zusammenfassung<br />

außen- und entwicklungspolitischer, militärischer,<br />

wirtschaftlicher, rechtlicher und innenpolitischer<br />

Instrumente erfolgen kann.“ 10 Gleiches gilt im Kern für<br />

die Begriffe „Comprehensive Approach“ und „vernetzte<br />

Sicherheit“. Alle diese Ansätze erfordern ein hohes Maß<br />

an Wissen, konsequentes und wirkungsvolles Wissensmanagement<br />

und das entschlossene Beschreiten neuer Wege<br />

jenseits der eingetretenen Pfade klassischer Ressortzuständigkeiten,<br />

wissenschaftlicher Institute und Fakultäten<br />

oder militärischen Denk- und Handlungsmuster.<br />

„Dies gilt insbesondere für den militärischen Führer, der<br />

in einer Einsatzarmee viel größeren Herausforderungen<br />

ausgesetzt ist. Sein Berufsbild ist heute weitaus vielfältiger<br />

und komplexer als früher. In den ersten Jahrzehnten der<br />

Bundeswehr standen die traditionellen militärischen Qualifikationen<br />

im Vordergrund. Sie haben nicht an Bedeutung<br />

verloren. Hinzu kommen allerdings neue und nicht<br />

mehr vorrangig nur militärische Qualifikationen, die sich<br />

aus dem erweiterten Auftrag ergeben. Allen voran die Fähigkeit<br />

zum Entscheiden und Handeln ins Ungewisse bei<br />

gleichzeitiger hoher Eigenständigkeit und persönlicher<br />

Verantwortung.“ 11<br />

Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft 12<br />

Das laufende Jahrhundert wird auch geprägt sein von<br />

einer Explosion des Wissens durch Vernetzung der Wissensträger<br />

und der produktiven Reaktion der <strong>Gesellschaft</strong><br />

auf diesen Wandel. Wissen und Information werden zu<br />

zentralen wirtschaftlichen Ressourcen der Zivilisation der<br />

Zukunft. Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf den<br />

Stellenwert der Bildung in unseren künftigen <strong>Gesellschaft</strong>en.<br />

Wissen und Information sind so bedeutsam, dass sich<br />

Investitionen im Bildungsbereich zu einem der Schlüsselfaktoren<br />

zum Überleben einer Nation in einer sich ändernden<br />

Welt entwickeln. Dem können sich die Streitkräfte<br />

nicht verschließen, da dieselben Kräfte, die unsere<br />

Wirtschaft und unsere <strong>Gesellschaft</strong> verändern, auch den<br />

Umgang mit militärischer Gewalt und Krieg verändern<br />

werden. 13<br />

Wissen und Bildung haben die Entwicklung von Staaten<br />

und <strong>Gesellschaft</strong>en stets entscheidend beeinflusst. Dies<br />

5 Vgl. dazu Herfried Münkler. Die neuen Kriege. 5. Auflage Reinbek bei Hamburg 2003. | 6 Vgl dazu Risse a.a.O., S. 9. | 7 Ebd.<br />

8 Die Dimension der Herausforderungen beschreibt in trefflicher Weise Thomas Friedman: Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2006.<br />

9 Vgl. dazu Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff. Hamburg/Berlin/Bonn 2001.<br />

10 Friedrich Wilhelm Ploeger: Sicherheitspolitik und Selbstverständnis der Bundeswehr. In: Carsten Bockstette, Walter Jertz, Siegfried Quandt (Hrsg.): Strategisches Informations- und Kommunikationsmanagement. Handbuch der Sicherheitspolitischen<br />

Kommunikation und Medienarbeit. Bonn 2006. S. 17.<br />

11 Karl H. Schreiner: Die Bundeswehrelite und die Transformation der Bundeswehr. In: Elmar Wiesendahl (Hrsg.): Eliten in der Transformation von <strong>Gesellschaft</strong> und Bundeswehr. Paderborn/München/Wien/Zürich 2007, S. 127.<br />

12 Der Begriff „Knowledge Society“ wurde 1966 durch den amerikanischen Soziologen Robert E. Lane geprägt und gilt in zunehmendem Maße als Trendbegriff. Robert E. Lane: The Decline of Politics and Ideology in a Knowledgeable<br />

Society. In: American Sociological Review 5/1966, S. 650. Der Begriff wird oft im Kontext der postindustriellen <strong>Gesellschaft</strong> benutzt. Befördert wurde dies wesentlich durch Daniel Bell u.a. in The Coming of Post-Industrial Society.New York<br />

1973, S. 176, 212-265.<br />

13 Vgl. dazu Toffler a.a.O., S. 22.<br />

56


galt und gilt auch für die Rolle des Militärs. Der preußische<br />

Militärtheoretiker Carl von Clausewitz hat bereits<br />

treffend festgestellt, dass „jede Zeit ihre eigenen Kriege ...<br />

hatte“ 14 und also wohl auch „ihre eigene Kriegstheorie“<br />

behalten werde. 15<br />

Mit dem Begriff der Wissensgesellschaft geht jedoch etwas<br />

entscheidend Neues einher: Die Ökonomisierung des<br />

Wissens, mit der „die ökonomische Wertschöpfung wesentlich<br />

vom Wissen abhängt. Wissen ist nicht mehr bloß<br />

eine gesellschaftliche Voraussetzung, sondern ein strategisches<br />

Thema der Ökonomie selbst.“ 16 „Tatsächlich werden<br />

wir Zeugen, wie plötzlich eine neue Zivilisation auf unserem<br />

Planeten entsteht“ 17 .<br />

Globalisierung ist in diesem Kontext mit bedeutsamen<br />

Dimensionen und Prozessen verbunden, denen Individuen,<br />

<strong>Gesellschaft</strong>en und Staaten bei der Erfüllung der<br />

Bildungs- und Ausbildungserfordernisse gegenüberstehen<br />

und nicht entgehen können. Dem Entschwinden signifikanter<br />

kultureller Unterschiede, der Möglichkeit des<br />

realen und virtuellen Zusammentreffens von Menschen<br />

unterschiedlicher kultureller Herkunft an nahezu jedem<br />

Ort der Erde, den Auswirkungen auf das Phänomen Zeit,<br />

der Entdifferenzierung der Kulturen, der Veränderung des<br />

Zeichenvorrats und den Auswirkungen auf Werte und<br />

Normen kann niemand entrinnen. 18<br />

Diese Entwicklung stellt im Kern eine Revolution dar,<br />

„weil der Produktionsfaktor Wissen praktisch unerschöpflich<br />

ist, während Boden, Arbeit, Rohstoffe und vielleicht<br />

sogar Kapital als begrenzte Ressourcen gelten müssen.“ 19<br />

In einer kaum noch nachvollziehbaren Geschwindigkeit<br />

wird Wissen und Information produziert. Die mit der<br />

Industriegesellschaft einhergehende Enzyklopädisierung<br />

und Explosion des Wissens findet an der Schwelle zur<br />

Wissensgesellschaft ihren Ausdruck in deren Virtualisierung<br />

und Digitalisierung 20 . Die virtuelle Dimension der<br />

Infosphäre 21 lässt Raum und Zeit schrumpfen, an Bedeutung<br />

verlieren. Das für die Bewältigung des Daseins erforderliche<br />

Wissen und die entsprechenden Informationen<br />

werden jederzeit und überall zur Verfügung stehen.<br />

Wissen und Information werden zu einer begehrten Ware,<br />

deren Verfügbarkeit von enormer Bedeutung ist. So können<br />

bereits heute bewaffnete Auseinandersetzungen allein<br />

durch Informationsüberlegenheit militärisch gewonnen<br />

werden. Die Verwirklichung der Wissensgesellschaft erfordert<br />

enorme geistige und wahrscheinlich auch große<br />

finanzielle Anstrengungen. Globalisierung und virtuelle<br />

Infosphäre entbinden nicht von der Verfügbarkeit konventionellen<br />

Wissens. Im Gegenteil: Globalisierung erfordert<br />

ständig und weltweit eine sehr differenzierte und<br />

genaue Analyse der in den einzelnen Regionen ablaufenden<br />

Prozesse und vorhandenen Ressourcen. Vor diesem<br />

Hintergrund erhält auch Geopolitik eine völlig neue und<br />

herausragende Bedeutung.<br />

Es ist davon auszugehen, dass mit dieser Entwicklung<br />

auch ein neuer Typ von „Wissenssoldaten“ entstehen wird:<br />

„Intellektuelle mit und ohne Uniform, die sich mit dem<br />

Gedanken beschäftigen, dass mit Hilfe von Wissen Kriege<br />

gewonnen oder verhindert werden können.“ 22 Es ist deshalb<br />

folgerichtig, dass wir uns auch im Militär intensiv<br />

mit den Anforderungen der künftigen Wissensgesellschaft<br />

auseinandersetzen. Wir werden Vordenker benötigen, die<br />

einzelne Komponenten wissensbasierter Strukturen herausarbeiten<br />

und miteinander vernetzen. Dazu benötigen<br />

wir hervorragend ausgebildete Spezialisten, Generalisten<br />

mit Weitblick und interdisplinär denkende Akteure, die<br />

komplizierte Wechselbeziehungen analysieren und auf<br />

dieser Basis Wissensmodelle und -strategien entwerfen 23 .<br />

Dieses Wissen und diese Wissensstrategien werden wichtiger<br />

sein als Waffen und Taktik. Eine mögliche erfolgreiche<br />

Bewältigung dieser riesigen Herausforderung setzt allerdings<br />

die Anerkennung vorstellbarer Bilder der Welt von<br />

morgen voraus. Politisches, gesellschaftliches, wirtschaftliches<br />

und militärisches Denken und Handeln für das 21.<br />

Jahrhundert muss diesem Anspruch gerecht werden. In<br />

der Konsequenz bedeutet dies, wie der frühere Oberbe-<br />

14 Carl von Clausewitz. Vom Kriege. 19. Auflage Bonn 1991, S. 973. | 15 Ebd. sowie S. 298ff. (Wissen).<br />

16 Wolfgang Leithold: Wissensgesellschaft. In: Karl-Rudolf Korte und Werner Weidenfeld (Hrsg.): Deutschland-Trendbuch. Fakten und Orientierungen. Bonn 2001, S. 432.<br />

17 Alvin und Heidi Toffler: Überleben im 21. Jahrhundert. Stuttgart 1994, S. 339.<br />

18 Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (Hrsg.): Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt. Opladen 2003, S. 61ff. | 19 Vgl. A. und H. Toffler a.a.O., S. 88.<br />

20 Die ersten modernen, durch Vielzahl von Spezialisten verfassten Enzyklopädien wurden im späten 18. Jahrhundert veröffentlicht. Die nachhaltige Wirkung der Wissensgesellschaft ist auch daran zu erkennen, dass der Brockhaus-Verlag<br />

im Anfang 2008 verkündete, dass es voraussichtlich keine weitere gedruckte Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie geben werde. Künftig wird dieses Werk voraussichtlich nur noch in ständig aktualisierter Form im Internet verfügbar sein.<br />

21 Vgl. dazu Konrad Becker u.a.: Die Politik der Infosphäre. World-Information.Org. Bonn 2002. | 22 A. und H. Toffler a.a.O., S. 199.<br />

23 Die Diskussion über wirkungsbezogene Ansätze von Operationen (Effect Based Approach to Operations EBAO) zeigt erste Ansätze in diese Richtung.<br />

57


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

fehlshaber der multinationalen Streitkräfte im Irak, David.<br />

H. Petraeus, treffend feststellt: „The most powerful<br />

tool any soldier carries is not his weapon but his mind“. 24<br />

Es ist davon auszugehen, dass sich aus den ersten Ansätzen<br />

technischer Möglichkeiten rasch Entwicklungen hin<br />

zu einer „Wissensstrategie“ ergeben werden, die dazu führen,<br />

dass der richtige Nutzen von Information und Wissen<br />

ein bedeutsamer strategischer Faktor sein wird. Wer in<br />

Zukunft erfolgreich sein will, dies gilt gleichermaßen für<br />

Politik, <strong>Gesellschaft</strong>, Wirtschaft und Militär, muss „mindestens<br />

vier Schlüsselfunktionen im Umgang mit Wissen<br />

erfüllen. ... Informationen erwerben, verarbeiten, verteilen<br />

und schützen“. 25<br />

Dem muss auch das Ausbildungssystem der Streitkräfte<br />

angemessen Rechnung tragen. Die Umorientierung der<br />

Streitkräfte auf die neuen Aufgaben und insbesondere<br />

die Notwendigkeit zu konsequenter Einsatzorientierung<br />

erfordert zwingend eine Schwerpunktverlagerung auf die<br />

neuen und zugleich komplexen Anforderungen. Dies gilt<br />

in besonderer Weise für das Spitzenpersonal der Bundeswehr,<br />

das diesen Prozess gestalten soll. Dieses Personal<br />

muss an der Schnittlinie von fachlicher Entscheidungskompetenz,<br />

Organisationsentwicklung sowie Personalentwicklung<br />

über den je angemessenen Mix an Talenten,<br />

Qualifikationen und Kompetenzen verfügen, um komplexe<br />

und zukunftsrelevante Herausforderungen erfolgreich<br />

zu meistern.<br />

Auswirkungen auf die Ausbildung des Spitzenpersonals<br />

der Bundeswehr<br />

Diese bewusst weitreichend beschriebene komplexe Situation<br />

setzt den Rahmen für die Aus- und Weiterbildung<br />

des Spitzenpersonals der Bundeswehr. Verfahren und Inhalte<br />

der künftigen Aus- und Weiterbildung entscheiden<br />

über die erfolgreiche Regeneration des Spitzenpersonals<br />

der Bundeswehr.<br />

Dabei sind folgende Fragen von entscheidender<br />

Bedeutung:<br />

−− Welche wesentlichen Zukunftstreiber sind<br />

entscheidend für die Entwicklung des künftigen<br />

Fähigkeitsprofils von Streitkräften, national wie<br />

international?<br />

−− Wie wird das künftige Fähigkeitsprofil der<br />

Bundeswehr aussehen?<br />

−− Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für<br />

‧ das Aufgabenprofil/die Aufgabenprofile des<br />

Spitzenpersonals der Bundeswehr?<br />

‧ die in der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu<br />

lehrenden Ziele, Methoden und Inhalte?<br />

‧ das Verhältnis von Inhalts- zu<br />

Methodenkompetenz?<br />

−− Werden wir vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels<br />

vom Kampf um Arbeitsplätze zum Kampf<br />

um Arbeitskräfte das richtige Personal für die Bundeswehr<br />

gewinnen können?<br />

−− Welche Fähigkeiten (Talente, Qualifikationen und<br />

Kompetenzen) benötigt das künftige Spitzenpersonal<br />

zu welcher Zeit und in welchem Umfang?<br />

−− Gelingt es uns, das richtige Personal aus dem Bestand<br />

der Bundeswehr für die Wahrnehmung von<br />

Spitzenpositionen zu gewinnen?<br />

−− Welches Basisprofil muss jede(r) künftige Angehörige<br />

des Spitzenpersonals der Bundeswehr verpflichtend<br />

erfüllen?<br />

−− Wie verhalten sich Basis- und Individualprofile<br />

zueinander und wie wirkt sich eine zunehmende Profildifferenzierung<br />

auf das Ausbildungssystem aus?<br />

Die Ausbildung des Spitzenpersonals der Bundeswehr erfordert<br />

in besonderem Maße Zukunftsorientierung, Stringenz<br />

– und mutige, aber auch schnelle Entscheidungen.<br />

Gerade der Bereich der Ausbildung muss vor dem Hintergrund<br />

der sich ändernden Rahmenbedingungen und Anforderungen<br />

im Hinblick auf Streich- und Einsparpotenziale,<br />

zusätzlichen Bildungs- und Ausbildungsbedarf und<br />

Wirtschaftlichkeit genau untersucht werden. Ausbildung<br />

24 David H. Petraeus: To Ph. D. or Not to Ph. D. In: American Interest Vol II, No 6, July/August 2007, S. 16.<br />

25 A. und H. Toffler a.a.O., S. 203.<br />

58


muss, noch stärker als bisher, Schritt halten mit dem Innovationstempo<br />

heutiger <strong>Gesellschaft</strong>en und der eigenen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> sowie der Lernfähigkeit möglicher oder realer<br />

Opponenten. Deshalb sind Flexibilität, Adaptionsvermögen<br />

und Einsatzrelevanz wesentliche Bestimmungsfaktoren<br />

für Ausbildung. Ausbildungskonzepte und -pläne sind<br />

konsequent darauf auszurichten. Motor der Weiterentwicklung<br />

der Streitkräfte wie auch ihrer Vorbereitung auf<br />

mögliche Einsätze wird in allen Planungskategorien ein<br />

anspruchsvoller, sehr komplexer Prozess der Konzeptentwicklung<br />

und des Experimentierens sein. Dies wird sich<br />

auf die Ausbildung nachhaltig auswirken müssen. Aufgrund<br />

der neuen Qualität von Übungen und Einsätzen<br />

werden der streitkräftegemeinsame und multinationale<br />

Anteil an Ausbildung weiter steigen. Diese Forderungen<br />

gelten in besonderer Weise für die in der Regel kostenintensive<br />

Aus- und Weiterbildung des Spitzenpersonals.<br />

Hieraus ergeben sich hohe Anforderungen an ein zu schaffendes<br />

streitkräftegemeinsames, gesamtheitlich orientiertes<br />

und modernes Ausbildungssystem, das unter Berücksichtigung<br />

der verfügbaren Ressourcen und technologischen<br />

Entwicklungen dem Transformationsprozess angemessen<br />

Rechnung tragen muss. Ein gemeinsames „Ausbildungssystem<br />

Bundeswehr“ ist eine essentielle Grundlage<br />

für ein zu schaffendes Personalentwicklungskonzept der<br />

Streitkräfte, in dem die Ausbildung des Spitzenpersonals<br />

integraler und zugleich herausgehobener Bestandteil sein<br />

muss.<br />

Die Angehörigen der Streitkräfte stellen in ihrer Gesamtheit<br />

den entscheidenden wertschöpfenden Faktor im<br />

Transformationsprozess dar. Dies gilt in besonderer Weise<br />

für das Spitzenpersonal der Bundeswehr und dem bereits<br />

heute in den Streitkräften dienenden Nachwuchs des Spitzenpersonals.<br />

Der Bundespräsident, Dr. Horst Köhler, hat in seiner<br />

Rede zum fünfzigjährigen Bestehen der Führungsakademie<br />

der Bundeswehr am 14. September 2007 festgestellt:<br />

„Geistiges Fundament der Führungsakademie waren und<br />

sind erstens das Bekenntnis zur systematischen Bestenauslese,<br />

das heißt also: zur Elite, und zweitens die Überzeugung:<br />

Militärische Führungskunst setzt mehr voraus als<br />

grundsolides militärisches Handwerk: Sie verlangt eine<br />

möglichst breite Bildung und wissenschaftliche Schulung.<br />

... Der militärische Führer und vor allem der Stabsoffizier<br />

braucht mehr als rein militärisches Können. Er braucht<br />

eine breite Allgemeinbildung, fundierte politische Kenntnisse<br />

und wissenschaftlichen Geist. ... Heutzutage wenigstens<br />

sollte auch dem letzten klar sein: Der im Sinne<br />

der Führungsakademie gebildete Offizier, der über seine<br />

Bildung eben nicht seine militärische Entschlossenheit<br />

verliert, ist im Zweifel der bessere Soldat, weil er sich besser<br />

in der Welt orientieren kann, weil er offener für neue<br />

Eindrücke ist und selbständig weiterlernt, weil sein Urteil<br />

freier, proportionierter und abgewogener ist, weil er historisches<br />

Bewusstsein und also Respekt vor fremden Kulturen<br />

hat, weil er artikulierter ist, weil er mehr Empathie<br />

aufbringt, ohne sich von ihr lähmen zu lassen, und weil er<br />

unduldsamer gegen Unrecht und Gemeinheit wird. Alle<br />

diese Qualitäten sind heute wichtiger denn je.“<br />

Seit einigen Jahren wird in den Streitkräften über ein neu<br />

zu formulierendes „Bild des Offiziers“ nachgedacht, aus<br />

dem sich in der Hoffnung vieler Anhänger dieser Idee ein<br />

neues Ausbildungskonzept auch für das Spitzenpersonal<br />

der Bundeswehr ergeben könnte. Dieses Bild konnte jedoch<br />

bisher nicht voll umfänglich gezeichnet werden, weil<br />

sehr unterschiedliche Vorstellungswelten – manchmal<br />

unversöhnlich – aufeinanderprallten: Anhänger konservativer<br />

Vorstellungen, die vor allem das traditionelle Bild<br />

des Soldaten fortschreiben wollten, die sehr heterogenen<br />

Vorstellungen der Teilstreitkräfte, der Uniformträger- und<br />

Organisationsbereiche, die unterschiedlichen Truppengattungen<br />

und Verwendungsbereiche sowie die Befürworter<br />

des Transformationsprozesses und Vertreter einer rationalen<br />

zukunftsorientierten Fähigkeitsanalyse ließen die gemeinsame<br />

Entwicklung eines einheitlichen Bildes nicht<br />

zu. Es stellt sich auch die Frage, ob ein solches Bild die<br />

59


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

sehr heterogenen und vielschichtigen Erwartungen erfüllen<br />

und hinsichtlich der Definition der erforderlichen<br />

Ausbildung tatsächlich weiterhelfen kann.<br />

Die Suche nach einem solchen Bild offenbart teilweise<br />

Anflüge von Hilflosigkeit. 26 „Bei Orientierungsverlust und<br />

tiefer Verunsicherung besteht auch ein Hang zur Flucht in<br />

die Geschichte, allerdings nicht zu ihren realen Gehalten.<br />

In den Vordergrund rücken dann falsche Historisierung<br />

und Mythenbildung, Heldenverehrung, Festhalten an<br />

Traditionalismen“. 27<br />

Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Frage nach der<br />

optimalen Nutzung der Ressourcen der Mitarbeiter: Ihrer<br />

Talente, Stärken, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten.<br />

Die quantitative und qualitative Personalsicherung<br />

wird auf den aufgezeigten Rahmenbedingungen zu einer<br />

strategischen Schwerpunktaufgabe. 28<br />

Der Transformationsprozess der Bundeswehr in seiner<br />

Funktion als zielgerichtetes, fortgesetztes Optimierungsverfahren<br />

verlangt, den Themenbereich „Human Resources“<br />

einer genauen Überprüfung zu unterziehen und dort,<br />

wo notwendig, weiter zu entwickeln und zu verbessern.<br />

Wertorientierte Personalarbeit verspricht im Transformationsprozess<br />

eine besonders wirkungsvolle Wertschöpfung.<br />

29 Die Menschen in der Bundeswehr stehen nicht<br />

nur im Mittelpunkt; sie stellen das wichtigste „Kapital“<br />

der Bundeswehr dar. Die Aufgabengebiete Personalbeschaffung,<br />

Personalcontrolling, Personalführung, Personalplanung<br />

und insbesondere Personalentwicklung bieten<br />

noch erhebliches Entwicklungspotenzial zur Verbesserung<br />

der Auftragserfüllung der Bundeswehr.<br />

Konkret geht es dabei sowohl um die Verfahren zur Einstellung,<br />

zur Auswahl, zur Ausbildung, zum Einsatz, zur<br />

Entwicklung und zur Förderung als auch um die optimale<br />

Nutzung der vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

des militärischen Spitzenpersonals. Künftig muss noch<br />

besser sicher gestellt werden, dass der richtige Mann/die<br />

richtige Frau mit der geforderten Ausbildung, zum gewünschten<br />

Zeitpunkt, am vorgesehenen Platz zum Einsatz<br />

kommt. Dabei spielt vor allem eine talentbasierte Personalauswahl<br />

eine entscheidende Rolle.<br />

Insgesamt muss es Ziel sein, über den anforderungs- und<br />

leistungsgerechten Umgang mit der Ressource „Personal“<br />

eine Steigerung der Motivation und damit im besseren<br />

Einklang mit Art. 33 Abs. 2 GG eine optimierte Auftragsdurchführung<br />

im neuen Aufgabenspektrum zu erreichen.<br />

Gerade die demografische Situation und das nur begrenzt<br />

vorhandene Bewerberpotenzial werden uns zwingen, die<br />

Talente der Betroffenen und deren intellektuelles, physisches<br />

und psychisches Entwicklungspotenzial valide,<br />

zuverlässig, objektiv und stringent bedarfsorientiert zu<br />

analysieren und weiter zu entwickeln. Die erworbenen<br />

Qualifikationen und Kompetenzen müssen im Verwendungsaufbau<br />

zielgerichteter als bisher zum Einsatz gebracht.<br />

So können wir es uns künftig nicht mehr leisten,<br />

die an den Universitäten erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

vielfach brach liegen zu lassen.<br />

Bei der Weiterentwicklung der Ausbildung des Spitzenpersonals<br />

stehen zunächst der Wissensbedarf und die Professionalität<br />

im Vordergrund. Wo immer möglich, sinnvoll<br />

und zweckmäßig muss die Reflexion des Bildungs- und<br />

Ausbildungsbedarfs und -anspruchs sich jedoch auch an<br />

gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen ausrichten, nicht<br />

zuletzt auch, um attraktiv zu bleiben.<br />

Aus diesem Grund wird sich die Bundeswehr den Entwicklungen<br />

des Bologna-Prozesses nicht verschließen<br />

können. Employability erfordert vom Mitarbeiter die Bereitschaft<br />

zu aktivem dienstzeitlangem Lernen. Dies kann<br />

nur attraktiv sein, wenn damit Aufstiegs- und Beförderungsmöglichkeiten<br />

im Sinne Art 33 Abs 2 GG verbunden<br />

sind. Vorstellbar wäre es, wenn Beförderungs- und<br />

Verwendungsentscheidungen an die Teilnahme an Ausund<br />

Weiterbildungsmaßnahmen, vielleicht sogar an den<br />

26 Ähnliche Erkenntnisse zeigen sich bei der Entwicklung neuer Werdegangsmodelle und Kompetenzfelder/-bereiche.<br />

27 Martin Kutz: Deutsche Soldaten. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Darmstadt 2006, S. 279.<br />

28 Vgl. dazu Manfred Becker: Personalentwicklung – Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis, 4. Auflage, Stuttgart 2005.<br />

29 Vgl. dazu Manfred Becker: Wertewandel in turbulenter Zeit. Wertorientierte Personalarbeit im Transformationsprozess der Erwartungen, Systeme und Instrumente, München und Mering 2006.<br />

60


vorherigen Erwerb von „Credit-Points“ gebunden werden<br />

könnten. Dabei muss insbesondere auch an die Teilnahme<br />

von Fernausbildungsmaßnahmen gedacht werden, die in<br />

Umfang und Anzahl erheblich ausgeweitet werden müssen.<br />

Angesichts der Dynamik dieser Prozesse müssen wir uns<br />

davon verabschieden, dass die Aus- und Weiterbildung<br />

des Spitzenpersonals der Streitkräfte mit den bisherigen<br />

administrativ aufwändigen und bürokratischen Verfahren<br />

geplant und gesteuert werden können. Wir müssen lernen,<br />

festgestellten Handlungsbedarf schneller als bisher in<br />

Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen umzusetzen. Dazu<br />

ist ein engerer und kontinuierlicher Abstimmungsprozess<br />

zwischen Bedarfsträger und den Ausbildungseinrichtungen<br />

unvermeidbar. Vorgesetzte und Mitarbeiter(innen)<br />

müssen ihr Interesse an guter und zeitgerechter Aus- und<br />

Weiterbildung in einem dienstzeitbegleitenden Prozess<br />

jederzeit einbringen können. Dafür müssen die entsprechenden<br />

Verfahren geschaffen werden.<br />

In einer zunehmend auf Differenzierung und Diversifizierung<br />

ausgerichteten <strong>Gesellschaft</strong> im Globalisierungsprozess<br />

wird es zunehmend schwieriger, einheitliche Erziehungsund<br />

Ausbildungsziele zu formulieren. Hinzu kommen<br />

der dramatische Verfall der Halbwertzeiten des gültigen<br />

Wissens und der gleichzeitige explodierende Wissensumfang,<br />

die im Ergebnis die langfristige Formulierung eines<br />

stabilen Wissenskodex nahezu unmöglich machen. Dabei<br />

stellt sich für das Spitzenpersonal vor allem die Frage nach<br />

dem kleinsten gemeinsamen Nenner für eine gemeinsame<br />

Ausbildung. Das zu erreichende Bildungs- und Ausbildungsziel<br />

hat der Generalinspekteur der Bundeswehr in<br />

einer Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr am<br />

05. Juli 2005 wie folgt formuliert:<br />

„Das Berufsbild des Soldaten ... verlangt einen Offizier<br />

mit klarem Profil, das auf einem festen moralischen und<br />

ethischen Fundament ruht. Zur soldatischen Professionalität<br />

gehören heute selbstverständlich nach wie vor die<br />

soldatischen Grundfertigkeiten und das traditionelle militärische<br />

Handwerkszeug. Es wird aber die individuelle<br />

Bereitschaft und die intellektuelle Fähigkeit verlangt, diese<br />

Fertigkeiten unter den Bedingungen der veränderten Einsatzwelt<br />

anzuwenden. Ohne interkulturelle Kompetenz,<br />

Innovationsfähigkeit, technisches Verständnis sowie hohe<br />

physische und psychische Belastbarkeit sind die Aufgaben<br />

nicht zu bewältigen.“ 30<br />

Merkmal des Offizierberufes ist es, Menschen zu führen.<br />

Dazu gehören Ausbildung und zeitgemäße Menschenführung<br />

durch Partizipation und Kooperation. Dies verlangt<br />

eine positive Einstellung zum Menschen und das Führen<br />

mit Herz und Verstand, um das Vertrauen unterstellter Soldaten<br />

zu gewinnen und sie motivieren zu können. Es beinhaltet<br />

auch die Vorbereitung auf extreme Belastungen im<br />

Einsatz, ohne die Pflicht zur Fürsorge zu vernachlässigen.<br />

Dies verlangt einen Offizier mit klarem Profil. Zur soldatischen<br />

Professionalität gehören heute selbstverständlich<br />

nach wie vor die soldatischen Grundfertigkeiten und das<br />

traditionelle militärische Handwerkszeug. Es wird aber<br />

die individuelle Bereitschaft und intellektuelle Fähigkeit<br />

verlangt, diese Fertigkeiten unter den Bedingungen der<br />

veränderten Einsatzwelt anzuwenden. Nur der so gebildete<br />

und ausgebildete militärische Führer wird der Herausforderung<br />

gerecht werden, seine unterstellten Soldatinnen<br />

und Soldaten auch in schwierigen Situationen sicher zu<br />

führen. Ethische Integrität und moralisches Verantwortungsbewusstsein<br />

haben dabei herausragende Bedeutung.<br />

31<br />

Für die Streitkräfte bedeutet dies, dass sie einen neuen<br />

Bildungsanspruch formulieren müssen. Dies gilt in besonderer<br />

Weise für das Spitzenpersonal. Wissen und Informationen<br />

erhalten in und für die Streitkräfte – wie in<br />

der gesamten <strong>Gesellschaft</strong> – einen anderen Stellenwert. Jedes<br />

Nachdenken über friedenssichernde oder -erhaltende<br />

Maßnahmen, das diese Ressourcen außer Acht lässt, ist<br />

daher schon im Ansatz verfehlt. Jedoch reicht die „Waffe<br />

des Wissens“ allein nicht aus, um Kriege zu verhindern<br />

30 Rede des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, an der Führungsakademie der Bundeswehr am 05. Juli 2005.<br />

31 Vgl. dazu Karl H. Schreiner, a.a.O., S. 128f.<br />

61


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

oder ihre Ausbreitung zu begrenzen, selbst wenn sie den<br />

Einsatz der Medien einschließt.<br />

Die auf uns zurollende und täglich zunehmende Wissensfülle<br />

aber ist es, die zugleich letztlich alles Wissen in kurzer<br />

Zeit relativiert. Wenn der Philosoph Luhmann schreibt,<br />

dass Wissen aus „veränderungsbereiten“, als wahr geltenden<br />

kognitiven Schemata besteht, die den Umweltbezug<br />

sozialer und psychischer Systeme steuern 32 , dann erfordert<br />

dies Erfahrungsoffenheit und permanente Enttäuschungsbereitschaft.<br />

Wenn Experiment und Innovation treibende<br />

Elemente der Informations- und Wissensgesellschaft sind,<br />

dann müssen wir den Stress bei den Menschen zur Kenntnis<br />

nehmen, die letztlich nur eine Existenz anstreben, in<br />

der die Konstanten größer sind als die Unsicherheiten 33 .<br />

Dies können die Menschen aber nur dann ertragen, wenn<br />

sie auf geistig-emotionale Fundamente zurückgreifen<br />

können. Dies bedeutet, dass Sinngebung und Vertrauen<br />

wichtiger sind, denn jemals zuvor.<br />

Im Zeitalter des Internets, der Roboter und der Maschinen<br />

besteht die Gefahr, dass der Mensch mehr und mehr<br />

als Fehlerquelle identifiziert und als Entscheider aus technischen<br />

Systemen und Prozessen verdrängt wird. Der Soziologe<br />

Johannes Weyer hat dazu in einem hervorragenden<br />

Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom<br />

01. September 2005 ausgeführt: „Das überzogene Streben<br />

nach Optimierung, nach Perfektion, nach totaler Sicherheit<br />

beschert Systemarchitekturen, die mit modernsten<br />

elektronischen Mitteln einem Kontroll-Paradigma folgen,<br />

das tendenziell den menschlichen Entscheider überflüssig<br />

macht und damit dessen Fähigkeiten zum Management<br />

aushöhlt.“<br />

Paradoxerweise werden so neue Unsicherheiten geschaffen.<br />

Die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft<br />

kann jedoch nicht darin bestehen, ständig neues Wissen<br />

zu generieren und die <strong>Gesellschaft</strong> damit zu konfrontieren.<br />

Vielmehr besteht sie darin, Lernfähigkeit von Individuen<br />

und Organisationen zu erhalten, also eine Technik<br />

zu entwickeln, die nutzer- und fehlerfreundlich ist.<br />

Gerade in der gegenwärtigen Situation, an der Schwelle<br />

einer fundamental neuen Technologie, sind die Ingenieure,<br />

Techniker, aber auch die Planer und Organisatoren<br />

auf gesellschaftliche Orientierungen angewiesen, weil sie<br />

ansonsten der Faszination des technisch Machbaren erliegen.<br />

Daher brauchen wir „institutionalisierte Dauerreflexion“,<br />

die technische Entwicklungen kritisch-konstruktiv<br />

beobachtet und an ihrer Gestaltung mitwirkt. Auch die<br />

<strong>Gesellschaft</strong> der Zukunft, in der menschliche Akteure und<br />

technische Agenten nebeneinander existieren, braucht<br />

Aufklärung, damit sie eine gesunde Balance von Mensch<br />

und Technik findet. Die Traditionen des Humanismus<br />

und unser Menschenbild dürfen nicht über Bord geworfen<br />

werden. Dies gilt in besonderer Weise für eine Institution<br />

wie die Bundeswehr.<br />

Fazit<br />

Der Weg in die Wissens- und Bildungsgesellschaft erfordert<br />

von den Angehörigen der Bundeswehr die Bereitschaft<br />

zu dienstzeitlangem und dienstzeitbegleitendem Lernen.<br />

Dem müssen die Streitkräfte im Transformationsprozess<br />

durch systematische Auswahl und Zuweisung der strategischen<br />

Ausbildungs- und Bildungsthemen, stringente<br />

Optimierung und Zusammenführung der Themenfelder<br />

Organisationsentwicklung, Personalentwicklung und<br />

Ausbildung sowie Nutzung moderner Ausbildungstechnologien<br />

stärker als bisher Rechnung tragen, um die vorhandenen<br />

Profile der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

noch intensiver zu nutzen als bisher. Dies gilt für das gesamte<br />

Ausbildungssystem der Bundeswehr, in pointierter<br />

und herausgehobener Weise jedoch auch und gerade für<br />

die Aus- und Weiterbildung des (militärischen) Spitzenpersonals<br />

der Bundeswehr.<br />

Transformation ist dabei nicht allein eine Frage der Fähigkeiten,<br />

sondern auch der Bereitschaft. Es reicht also nicht<br />

32 Vgl. dazu Niklas Luhmann: Die Soziologie des Wissens. Probleme ihrer theoretischen Konstruktion. In: <strong>Gesellschaft</strong>sstruktur und Sematik, Bd. 4, Frankfurt/Main 1995, S. 189ff.<br />

33 Vgl. dazu Gertrud Höhler: Die Sinn-Macher. Wer siegen will muss führen, München 2004, S. 33ff.<br />

62


aus, nur die richtigen strategischen Entscheidungen zu<br />

treffen und die Wege zu den so ermittelten Zielen durch<br />

die Schaffung entsprechender Verfahren und Strukturen zu<br />

bahnen. Vielmehr muss auch die Transformationsbereitschaft<br />

geschaffen und wo immer möglich gefördert werden.<br />

Für diesen richtigen „mindset“ ist wiederum an erster<br />

Stelle die oberste Führung unmittelbar verantwortlich. Sie<br />

muss mit ihren Persönlichkeiten für eine Vertrauens- und<br />

Leistungskultur stehen sowie den Glauben an die eigenen<br />

Stärken und zukunftsorientierten Optimismus vorleben.<br />

Anders ausgedrückt: Transformation erfordert einen starken<br />

und unmissverständlichen Willen, der an der Spitze<br />

beginnen und von dort nach unten wirken muss.<br />

Die Angehörigen des Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

leiten und führen in aller Regel Menschen. Sie geben Veränderungsinhalte<br />

vor, müssen die Mitarbeiter(innen) von<br />

der Notwendigkeit der Veränderung überzeugen, gemeinsam<br />

mit ihnen neue Fähigkeiten aufbauen und im Idealfall<br />

aus dem so zu Tage geförderten Innovationspotenzial<br />

neue Ziele entwickeln. Dabei sind sie als Führungskräfte<br />

ständig in der Pflicht, den von ihnen angestoßenen<br />

Prozess in Fahrt und auf Kurs zu halten. Sie müssen den<br />

gesamten Transformationsprozess transparent gestalten.<br />

Hierzu bedarf es einer umfassenden Information und<br />

Kommunikation, die eine strategische Bedeutung für die<br />

Transformation hat und deshalb systematisch geplant und<br />

durchgeführt werden muss. Sie müssen darauf achten,<br />

dass alle Anstrengungen nachvollziehbar der Erreichung<br />

der gesteckten Ziele dienen; sie müssen Schlüsselkräfte<br />

und Leistungsträger gezielt identifizieren, fördern und in<br />

den Prozess einbinden; sie müssen die Nachhaltigkeit der<br />

erreichten Veränderungen langfristig sicherstellen. 34 Diese<br />

Aufgaben erfolgen im gesamtgesellschaftlichen Kontext.<br />

„Die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung<br />

eines Gemeinwesens hängt zunehmend von der<br />

Leistungs- und Wandlungsfähigkeit seines Bildungssystems<br />

ab ... Das Ausbildungssystem der Bundeswehr ist als<br />

Teil des allgemeinen Bildungswesens von diesem abhängig.<br />

Es ist dennoch ein in sich geschlossener Teil, der den<br />

militärischen Anforderungen entsprechen muss.“ 35 Unter<br />

den Rahmenbedingungen einer <strong>Gesellschaft</strong> auf dem Weg<br />

von der Industrie- zur Wissens- oder Bildungsgesellschaft<br />

trifft diese Aussage auch heute noch zu. Das Wirken der<br />

Bildungskommission war unmittelbar mit der Aufstellung<br />

der Hochschulen der Bundeswehr und der Einrichtung des<br />

Hochschulstudiums als Regelstudium für das angehende<br />

Offizierkorps der Bundeswehr verbunden. Diese universitäre<br />

und zivil anerkannte Ausbildung hat sich bis heute als<br />

wegweisend erwiesen und erleichtert der Bundeswehr den<br />

Weg in die Wissens- und Bildungsgesellschaft. 36<br />

Vor 38 Jahren legte die Bildungskommission beim Bundesminister<br />

der Verteidigung ihr „Gutachten zur Neuordnung<br />

der Bildung und Ausbildung in der Bundeswehr<br />

vor“. In der Zwischenzeit haben sich fast alle Rahmenbedingungen<br />

signifikant verändert. Unser Land erlebt<br />

wieder eine breit angelegte Bildungsdebatte und soll nach<br />

den Worten der Bundeskanzlerin Angela Merkel eine „Bildungsrepublik“<br />

werden.<br />

Im Vergleich zu vielen anderen Vorschlägen der Bildungskommission<br />

ist die Weiterentwicklung der Ausbildung des<br />

militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr damals im<br />

Ansatz stecken geblieben. Umso größer erscheint der Reformdruck<br />

für dieses Personal heute.<br />

Die Bildungskommission hat bereits damals festgestellt,<br />

dass „die Weiterentwicklung von Reformansätzen zu einer<br />

umfassenden Neuordnung ... jedoch nicht zu einer statischen<br />

Struktur des künftigen Ausbildungssystems führen<br />

(darf). Dieses muss vielmehr wandlungsfähig sein“ 37 .<br />

Für die Bundeswehr haben sich grundlegend neue Rahmenbedingungen<br />

ergeben. Die veränderte sicherheitspolitische<br />

Lage, die Herausforderungen der Globalisierung,<br />

gesellschaftliche und technologische Veränderungen haben<br />

die Rahmenbedingungen militärischen Handelns signifikant<br />

modifiziert. Dem muss das Ausbildungssystem<br />

34 Vgl. dazu Karl H. Schreiner, a.a.O., S. 131.<br />

35 Bildungskommission beim Bundesminister der Verteidigung: Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr. Gutachten der Bildungskommission an den Bundesminister der Verteidigung. Bonn 1971, S. 17f.<br />

36 Vgl. dazu Thiele, Ralph: Gerhard von Scharnhorst. Zur Identität der Bundeswehr in der Transformation. Bonn 2006, S. 159.<br />

37 Bildungskommission beim Bundesminister der Verteidigung: Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr. Gutachten der Bildungskommission an den Bundesminister der Verteidigung. Bonn 1971, S. 25.<br />

63


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

der Bundeswehr angemessen Rechnung tragen, indem die<br />

Inhalte und Verfahren von Ausbildung und Bildung in<br />

den Streitkräften, Methodik und Didaktik sowie moderner<br />

Ausbildungstechnologie neu gedacht, konzipiert und<br />

kommuniziert werden müssen. 38<br />

Es wäre sehr zu wünschen, wenn sich die Bundeswehr<br />

zu einer „Bildungsreform für das 21. Jahrhundert“ 39<br />

durchringen könnte, um die Zukunft erfolgreicher zu<br />

bestehen.<br />

38 Vgl. dazu Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (Hrsg.): Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt. Opladen 2003 sowie Bockstette, Carsten/ Jertz, Walter und Quandt, Siegfried (Hrsg): Strategisches Informations- und Kommunikationsmanagement.<br />

Handbuch der Sicherheitspolitischen Kommunikation und Medienarbeit. Bonn 2006.<br />

39 Bernhard Gertz: Braucht die Bundeswehr eine neue Bildungsreform für das 21. Jahrhundert? In: Andreas Prüfert (Hrsg.): Ausbildung und Bildung im Militär. Zur Debatte um das Führungskräftetraining der Bundeswehr. Baden-Baden<br />

1999, S. 9.<br />

64


Vorüberlegungen zu einer berufsethischen Ausbildung<br />

in den Streitkräften<br />

Text:<br />

Dr. Jochen Bohn<br />

Mensch sein und bleiben im Einsatz<br />

Die Einführung einer eigenständigen berufsethischen<br />

Ausbildung in den Streitkräften kann zahlreiche Missverständnisse<br />

und Fehldeutungen provozieren: Sie kann den<br />

öffentlichen Eindruck erwecken, deutsche Soldatinnen<br />

und Soldaten seien ganz allgemein norm- und wertlose<br />

Moralversager. Mit ihr kann die Absicht verbunden sein,<br />

die gegebenen rechtlichen Handlungsbelastungen durch<br />

ethische zu ergänzen oder gar zu überbieten. Sie kann der<br />

Idee folgen, es müsse für vermeintlich gesonderte Menschen<br />

ein gesondertes ethisches Alphabet entworfen werden.<br />

An ihr kann die Hoffnung hängen, militärische Berufsethik<br />

sei ein die Führung entlastendes Allheilmittel,<br />

durch das erkannte moralische „Mängel abgestellt“ würden.<br />

Oder sie kann sich den Zweck setzen, ein besonders<br />

schlagkräftiges Instrument zur Rechtfertigung politischer<br />

und militärischer Entscheidungen zu etablieren.<br />

Und dennoch: Die Entwicklung einer militärischen Berufsethik<br />

und die Einführung einer eigenständigen berufsethischen<br />

Ausbildung in den Streitkräften sind unentbehrlich<br />

und überfällig. Schon seit Jahren sind die<br />

sicherheitspolitischen und militärischen Fakten den durch<br />

sie notwendig gewordenen existenziellen Neuorientierungen<br />

weit enteilt. Die „harten“ Fähigkeiten der Bundeswehr<br />

wurden den veränderten Herausforderungen rasch<br />

angepasst, die scheinbar „weichen“ Fragen nach einem<br />

veränderten soldatischen Selbstverständnis, nach einem<br />

veränderten militärischen Berufsethos wurden dagegen<br />

lange Zeit allzu stiefmütterlich behandelt. Zunehmend<br />

erweist sich aber gerade das Weiche als besonders hart und<br />

hartnäckig. Im Einsatz, dort, wo die Grenzen menschlicher<br />

Existenz nahezu täglich spürbar werden, lässt sich die<br />

Frage nach dem Menschsein und Menschbleiben früher<br />

oder später nicht mehr zurückdrängen. Der Mensch in<br />

Uniform wird spätestens an diesen Grenzen dazu genötigt,<br />

sich in seinem Verhältnis zu sich selbst, zum Anderen, zum<br />

Fremden, zum System Militär und nicht zuletzt zu der ihn<br />

beobachtenden Öffentlichkeit grundlegend zu orientieren.<br />

Und spätestens an diesen Grenzen stellt der Mensch<br />

in Uniform fest, dass ihm politische Mehrheiten, militärische<br />

Vorgaben, juristische Schemata oder ökonomische<br />

Jochen Bohn<br />

Anreize letztlich nicht weiterhelfen. Spätestens hier sucht<br />

auch der Mensch in Uniform nach dem, was ihn wirklich<br />

treibt, nach den tiefsten Antrieben seiner Existenz, nach<br />

den Bestimmungsgründen seines Wollens und Handelns.<br />

Spätestens hier sucht er – nach seinem Ethos. Wer also<br />

Soldaten entsenden will, die den existenziellen Herausforderungen<br />

aktueller Einsätze gewachsen und die an ihren<br />

persönlichen Grenzen verantwortliche Entscheidungen zu<br />

treffen in der Lage sind, der wird ihnen ein überzeugendes<br />

Berufsethos anbieten und zugleich einen gesonderten Reflexionsraum<br />

öffnen müssen, in dem sie sich dieses Ethos<br />

in kritischer Auseinandersetzung aneignen können. Daher<br />

noch einmal: Die Entwicklung einer militärischen Berufsethik<br />

und die Einführung einer eigenständigen berufsethischen<br />

Ausbildung in den Streitkräften sind unentbehrlich<br />

und überfällig.<br />

Innere Führung und Berufsethik<br />

Militärische Berufsethik innerhalb der Bundeswehr muss<br />

eingebunden sein in die Gesamtkonzeption der Inneren<br />

Führung. Diese Konzeption ist bleibende Grundlage militärischen<br />

Dienens und Führens. Ihr Leitbild vom „Staatsbürger<br />

in Uniform“ prägt das Selbstverständnis deutscher<br />

Soldatinnen und Soldaten. Klarheit und Eindeutigkeit<br />

dieses Leitbildes sind jedoch angesichts veränderter si-<br />

65


Vorüberlegungen zu einer berufsethischen Ausbildung in den Streitkräften<br />

cherheitspolitischer Lagen, neuer Konfliktszenarien und<br />

neuer militärischer Einsatzoptionen zunehmend gefährdet.<br />

Die traditionellen Orientierungen, Bindungen und<br />

Begrenzungen des „Staatsbürgers in Uniform“ sind fragwürdig<br />

geworden, und so bedarf es einer grundlegenden<br />

Reformulierung und Neuvergewisserung dieser Idee. Die<br />

Neufassung der ZDv 10/1 „Innere Führung“ vom 28.<br />

Januar 2008 ist darum bemüht, diesem Bedürfnis nachzukommen.<br />

Hier werden insbesondere die Werte und<br />

Normen der freiheitlich demokratischen Grundordnung<br />

als Fundament des Leitbildes vom „Staatsbürger in Uniform“<br />

hervorgehoben. Damit erfahren zwar die Ethik als<br />

praktische Reflexion dieser Werte und Normen und die<br />

berufsethische Bildung innerhalb der Streitkräfte eine<br />

deutliche Würdigung. Allerdings wird keine Perspektive<br />

eröffnet, wie diese Würdigung in geeigneter Weise umgesetzt<br />

werden kann.<br />

Grundsätzlich bekräftigt die neu gefasste ZDv 10/1 lediglich<br />

die bisherige Praxis einer in die Gestaltungsfelder<br />

Menschenführung, politische Bildung sowie Recht und<br />

soldatische Ordnung integrierten berufsethischen Reflexion.<br />

Diese Orientierungsorte sind wichtig, bedürfen jedoch<br />

der Ergänzung durch ein erkennbar eigenständiges<br />

berufsethisches Bildungsangebot. Wird auf ein derartiges<br />

Angebot auch künftig verzichtet, so bleibt es dauerhaft bei<br />

misslichen Irritationen und Defiziten: Es fehlt die übergreifende<br />

und vereinheitlichende Verständigung über das,<br />

was militärische Berufsethik sein soll, über ihre Begriffe,<br />

Inhalte und Ziele, über ihre Möglichkeiten und Grenzen.<br />

Zugleich kursiert inner- wie außermilitärisch eine verwirrende<br />

Vielfalt militärethischer Entwürfe. Vor diesem<br />

Hintergrund werden die Verantwortlichen auf den verschiedenen<br />

Führungsebenen der Bundeswehr regelrecht<br />

dazu genötigt, nach eigenem Gutdünken moralisierendmotivierende<br />

Substitute zu produzieren und diese in ihrem<br />

Zuständigkeitsbereich als Insellösung anzubieten. Es<br />

fehlen professionelle Institutionen, Strukturen und Curricula.<br />

Insbesondere die Offiziere bleiben so in ihrer Vorbildfunktion<br />

und Ausbildungsverantwortung weitgehend<br />

sich selbst überlassen, können sie doch in Fragen militärspezifischer<br />

Ethik nicht auf eine fundierte und orientierende<br />

Ausbildung zurückgreifen.<br />

Neue Lebenskunde oder berufsethische<br />

Bildungsreform<br />

Abhilfe scheint die anstehende Neukonzeption des Lebenskundlichen<br />

Unterrichtes (LKU) zu schaffen. Die neue<br />

ZDv 10/4 versteht diesen Unterricht als nun verpflichtende<br />

(!) „berufsethische Qualifizierungsmaßnahme“, durch<br />

die Soldatinnen und Soldaten dazu befähigt werden, „sich<br />

selbstbestimmt an den Werten und Normen des Grundgesetzes<br />

und den daraus resultierenden Werten und Normen<br />

des soldatischen Handelns zu orientieren und sie zur<br />

Richtschnur des gesamten Verhaltens als Staatsbürger in<br />

Uniform zu machen“. Der LKU wird künftig zwar „in<br />

der Regel von Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorgern“<br />

erteilt. Im „Bedarfsfall“ können nun jedoch auch<br />

„berufsethisch besonders qualifizierte Lehrkräfte“ mit<br />

einer geeigneten akademischen Ausbildung – „beispielsweise<br />

Religionswissenschaften, Philosophie, Psychologie,<br />

Rechtsphilosophie“ – herangezogen werden. Die neue<br />

Lebenskunde „schärft das Gewissen, bildet moralisches<br />

Urteilsvermögen aus und unterstützt das verantwortliche<br />

Handeln der Soldatinnen und Soldaten“. Sie „entwickelt<br />

in besonderer Weise Kompetenzen für eine verantwortliche<br />

Lebensführung“.<br />

Was auf den ersten Blick erfreuliche Perspektiven eröffnet,<br />

wirkt bei näherem Hinsehen eher wie eine besorgniserregende<br />

Notlösung: So liegt ganz allgemein der Verdacht<br />

nahe, dass eine breit angelegte berufsethische Bildungsreform<br />

in den Streitkräften durch den recht bequemen<br />

Rückgriff auf bestehende kirchliche Strukturen vermieden<br />

werden soll. Dabei ist fraglich, ob die Kirchen über die<br />

vorgesehene inhaltliche Engführung des LKU tatsächlich<br />

glücklich sein können. Und wird nicht durch die<br />

grundsätzliche Bindung berufsethischer Bildung an die<br />

Militärseelsorge in der soldatischen Wahrnehmung eine<br />

Verknüpfung zwischen Ethik und Konfession erzeugt, die<br />

nicht nur der Ethik, sondern auch der Kirche abträglich<br />

ist? Schon jetzt ist zu erwarten, dass der neue LKU die<br />

Militärseelsorge sowohl personell als auch inhaltlich überfordern<br />

wird. Die Kirchen sind in der Bundeswehr längst<br />

nicht mehr flächendeckend präsent und es bedarf erheblicher<br />

Fortbildungsbemühungen, um die Seelsorgerinnen<br />

66


und Seelsorger an den Standorten in berufsethischen Fragen<br />

angemessen zu qualifizieren. Aber was ist überhaupt<br />

unter berufsethischer Qualifikation zu verstehen? Was ist<br />

militärische Berufsethik? Wer legt ihre Inhalte und Curricula<br />

bundeswehrübergreifend fest? Zwischen den Kirchen<br />

mag diese Verständigung noch gelingen. Aber was ist mit<br />

den zahlreichen Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr,<br />

die darüber hinaus eingebunden werden müssen?<br />

Und was ist mit den „berufsethisch besonders qualifizierten<br />

Lehrkräften“? Woran sollen sie sich orientieren, worauf<br />

sind sie inhaltlich verpflichtet? Wer koordiniert und<br />

kontrolliert ihr Lehrangebot?<br />

Auf diese und ähnliche Fragen gibt die ZDv 10/4 keine<br />

befriedigende Antwort. Grundsätzlich ist offenbar nicht<br />

erkannt, dass Ethik inzwischen zu einem eigenständigen,<br />

komplexen und differenzierten Fach herangewachsen<br />

ist, dessen Inhalte und Methoden sich nicht mehr von<br />

selbst erschließen und das auch von fachnah gebildeten<br />

Theologen oder Philosophen nicht mehr ohne deutliche<br />

Spezialisierung qualifiziert vertreten werden kann – erst<br />

recht nicht von Religionswissenschaftlern oder Psychologen.<br />

Insgesamt scheint die Neukonzeption des LKU als<br />

„berufsethische Qualifizierungsmaßnahme“ nicht wirklich<br />

geglückt. Die Militärseelsorge hätte sich wohl einen<br />

besseren Dienst erwiesen, wenn sie sich nachdrücklicher<br />

für die Stärkung des religiös-seelsorgerlichen Aspektes des<br />

LKU eingesetzt hätte. Die Konzeption und Einführung<br />

einer berufsethischen Ausbildung in den Streitkräften ist,<br />

anders als die anstehende Neugestaltung der Lebenskunde,<br />

ein großes und tiefgreifendes Reformprojekt, das die<br />

Militärseelsorge gar nicht (alleine) bewältigen kann, ja,<br />

das mit guten Gründen gar nicht unter dem Dach der<br />

Militärseelsorge bewältigt werden darf – wenngleich der<br />

Beitrag der Militärseelsorge zur Bewältigung dieses Projektes<br />

selbstverständlich unverzichtbar ist.<br />

Was nun zu tun wäre<br />

Nicht selten bildet einen Arbeitskreis, wer irgendwie, irgendwo,<br />

irgendwann einmal nicht mehr weiter weiß.<br />

Recht zusammengesetzt und recht genutzt sind Arbeitskreise<br />

jedoch oftmals auch notwendige Mittel zur Vorbereitung<br />

und Gestaltung von Zukunft. Die nachhaltige Implementierung<br />

berufsethischer Ausbildung innerhalb der<br />

Bundeswehr setzt intensive und koordinierte Planungsarbeit<br />

voraus.<br />

Höchst sinnvoll ist daher zunächst – dies zeigt nicht zuletzt<br />

der Blick auf Erfahrungen anderer Streitkräfte mit<br />

vergleichbaren berufsethischen Bildungsreformen – die<br />

Einsetzung einer Planungskommission. In zwei eng miteinander<br />

vernetzten Arbeitsgruppen hätte diese Kommission<br />

zum einen die wissenschaftlich gegründete inhaltliche<br />

Ausgestaltung und curriculare Umsetzung, zum anderen<br />

die militärisch haltbare institutionelle, strukturelle und<br />

personelle Organisation berufsethischer Bildung vorzubereiten.<br />

Die Planungsarbeit der Kommission und ihrer<br />

Arbeitsgruppen könnte etwa an folgende Vorgaben gebunden<br />

werden:<br />

−−<br />

−−<br />

−−<br />

−−<br />

−−<br />

Militärische Berufsethik in der Bundeswehr soll<br />

verstanden werden als integrativer Bestandteil der<br />

Inneren Führung, soll deutlich interdisziplinär<br />

angelegt sein und ausgeprägten Praxisbezug<br />

erkennen lassen.<br />

Unter Berücksichtigung und Einbindung des<br />

berufsethischen Beitrages der Militärseelsorge soll<br />

auch der Idee eines konfessionell unabhängigen<br />

berufsethischen Bildungsangebotes nachgegangen<br />

werden.<br />

Alle Dienstgradgruppen sollen von berufsethischer<br />

Ausbildung erreicht werden. Inhalte und Curricula<br />

sind auf die jeweiligen Bildungsvoraussetzungen<br />

abzustimmen.<br />

Vor allem das Führungspersonal der Bundeswehr bedarf<br />

einer berufsethischen Reflexionskompetenz. Ziel<br />

ist daher die Integration militärischer Berufsethik als<br />

prüfungsrelevantes Pflichtfach in die Laufbahnlehrgänge<br />

der Offizier- und Unteroffizierausbildung.<br />

Alle Offiziere sollen auf akademischem Niveau in<br />

berufsethischer Reflexion geschult sein. Ausgewählte<br />

Offiziere sollen darüber hinaus dazu befähigt<br />

werden, in der Truppe die Grundlagen militärischer<br />

Berufsethik im Rahmen der Aus- und Fortbildung<br />

zu vermitteln.<br />

67


Vorüberlegungen zu einer berufsethischen Ausbildung in den Streitkräften<br />

−−<br />

−−<br />

Die bestehenden Zentren, Schulen, Akademien und<br />

Institute der Streitkräfte sind mit ihrer Infrastruktur<br />

und mit ihren Fachkompetenzen in Planung und<br />

Verwirklichung berufsethischer Bildung einzubinden.<br />

Es ist zu prüfen, ob die Gründung einer zentralen<br />

Steuerungseinrichtung sinnvoll erscheint. Hier wäre<br />

die gesamte berufsethische Bildung in den Streitkräften<br />

inhaltlich, organisatorisch und personell zu<br />

koordinieren.<br />

Bildungsressourcen und -potenziale nutzen<br />

Wesentliche Beiträge zu einer berufsethischen Bildungsreform<br />

wären von den Universitäten der Bundeswehr zu<br />

erwarten. Sowohl die vorgeschlagene Planungskommission,<br />

als auch die denkbare Steuerungseinrichtung könnten<br />

auf die Ressourcen und Potenziale der beiden hauseigenen<br />

akademischen Bildungseinrichtungen zurückgreifen. In<br />

Hamburg oder München ließe sich etwa die berufsethische<br />

Grundlagenforschung ansiedeln und international<br />

vernetzen. Zudem wäre die Einführung eines für alle studierenden<br />

Offiziere verpflichtenden berufsethischen Begleitstudiums<br />

vorstellbar.<br />

Erste Rahmenbedingungen für die Verwirklichung dieser<br />

und ähnlicher Vorhaben werden am Institut für Theologie<br />

und Ethik an der Universität der Bundeswehr München<br />

schon jetzt geschaffen. Angesichts des offensichtlichen<br />

berufsethischen Orientierungsbedarfs hat das Institut beschlossen,<br />

künftig in der Entwicklung und Vermittlung<br />

militärischer Berufsethik einen Schwerpunkt zu setzen.<br />

Diese Schwerpunktsetzung findet ihren Ausdruck in der<br />

inhaltlichen Profilierung der beiden Professuren des Instituts<br />

sowie in der Neugestaltung des Ethik-Lehrangebotes<br />

innerhalb der verschiedenen Module des neuen BA/MA-<br />

Studiengangs Staats- und Sozialwissenschaften.<br />

Darüber hinaus ist beabsichtigt, die Einrichtung einer<br />

„Forschungsstelle Militärische Berufsethik“ voranzutreiben.<br />

Unter wissenschaftlicher Mitwirkung besonders<br />

qualifizierter Offiziere sollen hier in Forschung und Lehre<br />

grundlegende Pilotprojekte auf den Weg gebracht werden.<br />

Zum einen ist die Herausgabe eines Handbuches „Ethik<br />

im Einsatz. Berufsethische Leitlinien für Soldatinnen und<br />

Soldaten“ (Arbeitstitel) angedacht. Dieses Handbuch soll<br />

auf die besondere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

der Bundeswehr unter den Rahmenbedingungen<br />

der „Inneren Führung“ zugeschnitten sein und wichtige<br />

Impulse liefern für die inhaltliche Ausgestaltung und curriculare<br />

Umsetzung berufsethischer Ausbildung in den<br />

Streitkräften. Zum anderen könnte eine „Forschungsstelle<br />

Militärische Berufsethik“ einführende akademische Lehrveranstaltungen<br />

entwickeln. Derzeit wird an den Universitäten<br />

der Bundeswehr nur ein sehr kleiner Teil des Offiziernachwuchses<br />

von einem berufsethischen Lehrangebot<br />

erreicht. Soll künftig allen Offizieren die Möglichkeit eröffnet<br />

werden, sich in akademischer Freiheit und auf wissenschaftlichem<br />

Niveau ein tragendes Berufsethos kritisch<br />

anzueignen, so dürfte sich die Einführung eines allgemein<br />

verpflichtenden berufsethischen Begleitstudiums an beiden<br />

Universitäten als kluge Lösung erweisen. In Vorbereitung<br />

auf ein derartiges Begleitstudium könnten in München<br />

im Rahmen der bestehenden Struktur studium plus<br />

berufsethische Vorlesungen und Seminare angeboten, erprobt<br />

und evaluiert werden. Langfristig ist ein Ausbau der<br />

„Forschungsstelle Militärische Berufsethik“ zur zentralen<br />

berufsethischen Forschungs- und Bildungseinrichtung<br />

denkbar. Im Rahmen von Präsenzseminaren, Fernstudienkursen<br />

oder eLearning-Programmen könnten sich hier<br />

dann beispielsweise jene Offiziere weiter qualifizieren, die<br />

selbst zur Vermittlung berufsethischer Grundlagen in der<br />

Truppe befähigt werden sollen.<br />

Sehen, urteilen, handeln<br />

Seit nunmehr zwei Jahren beteiligen sich die Professoren<br />

und Mitarbeiter des Instituts für Theologie und Ethik an<br />

den Debatten zur Entwicklung und Vermittlung einer militärischen<br />

Berufsethik in der Bundeswehr. Erfahrungsgemäß<br />

wird der dringende Bildungsbedarf vielerorts erkannt<br />

und ist den meisten Verantwortungsträgern auch sehr bewusst.<br />

Allerdings lassen sich in Politik, Militär, Kirche und<br />

Wissenschaft trotz vereinzelter kleiner Fortschritte einige<br />

höchst lästige und hinderliche Neigungen beobachten: Zu<br />

sehr wird auf Bestehendes gesetzt, der Wille zur Selbst-<br />

68


echtfertigung ist besonders ausgeprägt. Zu tief sind die<br />

Gräben zwischen den einzelnen Verantwortungsebenen,<br />

Institutionen und Personen, zu deutlich die inhaltlichen<br />

Differenzen, zu massiv die Vorbehalte, zu groß der Argwohn.<br />

Zu viele (vermeintliche) Lösungen ergeben sich<br />

eher zufällig, koordinierte Zusammenarbeit findet kaum<br />

statt, ein perspektivischer Konsens bildet sich selten. Insgesamt<br />

sind dadurch die Schritte hin zur echten Bildungsreform<br />

schlechtweg zu klein, zu zögerlich, zu mühsam.<br />

Die katholische Soziallehre kennt den ebenso schlichten<br />

wie richtigen ethischen Dreischritt „Sehen, urteilen,<br />

handeln“. Werden die Entwicklung einer militärischen<br />

Berufsethik und die Einführung einer berufsethischen<br />

Ausbildung in den Streitkräften selbst als ethische Herausforderungen<br />

wahrgenommen, so lässt sich mit Blick<br />

auf die gegenwärtige Situation festhalten: Das andrängende<br />

Bedürfnis nach einem tragenden soldatischen<br />

Ethos und nach berufsethischen Grundorientierungen ist<br />

unübersehbar und wird auch von niemandem ernsthaft<br />

geleugnet. Das Urteil darüber, auf welchem Wege dieser<br />

Not abgeholfen werden kann, ist unter den Kennern von<br />

Lage und Materie nicht wirklich strittig. Was nun noch<br />

fehlt, ist die Tat, die mutige und langfristig wirkungsvolle<br />

Entscheidung „von oben“. Nicht, um den bestehenden<br />

Strukturen, Institutionen oder Funktionen so rasch wie<br />

möglich weitere Rechtfertigungen oder Entlastungen zu<br />

verschaffen. Maß und Mitte der Entscheidung für eine<br />

berufsethische Bildungsreform wären vielmehr die Menschen,<br />

die Menschen in Uniform. Militärische Berufsethik<br />

dient vor allem der einzelnen Soldatin und dem einzelnen<br />

Soldaten, die auch genau hinsehen, scharf urteilen und<br />

verantwortlich handeln müssen – und dies oftmals an den<br />

Grenzen ihrer eigenen Existenz, oftmals in Bruchteilen<br />

von Sekunden. Im Einsatz, aber auch nach dem Einsatz<br />

hilft militärische Berufsethik den Menschen in Uniform<br />

dabei, Mensch zu sein und Mensch zu bleiben. Sie hilft<br />

ihnen dabei, nicht mehr sein zu müssen als – Menschen.<br />

69


Feldlagerkulturen als gelebte Innere Führung<br />

in multinationalen Einsatzszenarien<br />

Text:<br />

Dr. Maren Tomforde<br />

An russischem Kriegsschrott, Nomadengruppen, schwer<br />

beladenen Eselskarren und nach Wasser bittenden Hirtenjungen<br />

vorbei geht der Weg von der Stadt in das Feldlager<br />

Kunduz der Bundeswehr. Die meisten Soldatinnen und<br />

Soldaten 1 , die in Kunduz – oder auch in anderen Feldlagern<br />

der Bundeswehr in Afghanistan stationiert sind,<br />

sehen diese Bilder nur selten. Sie können während ihres<br />

mehrmonatigen Aufenthalts das Lager, welches nur wenig<br />

Abwechslung bietet, aufgrund der Sicherheitsbestimmungen<br />

selten oder nie verlassen. Fast alle Menschen, die sich<br />

in fremdkulturelle Zusammenhänge begeben, erleben auf<br />

die eine oder andere Weise einen Kulturschock. Bei den<br />

meisten Bundeswehr-Soldaten bleibt dieser Kulturschock<br />

in den Einsatzgebieten aus, da sie durch das vorwiegende<br />

Leben und Arbeiten im Feldlager nicht mit massiven<br />

Fremdheitserfahrungen konfrontiert sind, die bei einem<br />

„normalen“ Einleben in die Gastgesellschaften des Balkans<br />

und Afghanistans aufkommen würden. Stattdessen<br />

müssen sich die Kontingentangehörigen vielmehr in das<br />

Lagerleben enkulturieren und ein Teil der eigenen Einheit/Kompanie<br />

bzw. auch der (multinationalen) Lagergemeinschaft<br />

werden.<br />

Der vorliegende Artikel vertritt die folgenden drei Thesen:<br />

1. Nach 16 Jahren Einsatzerfahrung hat sich innerhalb der<br />

Bundeswehr eine neue militärische Subkultur „Bundeswehr<br />

im Einsatz“ herausgebildet. 2. Die Einsatzteilnahme<br />

und der mehrmonatige Aufenthalt in einem Feldlager<br />

wirken als Sozialisationsinstanz in diese neue Subkultur.<br />

3. Neben ihrer Bundeswehridentität bilden die Soldaten<br />

in den Einsatzgebieten eine transnationale „militärische<br />

Einsatzprofi-Mentalität“ heraus, die sie mit Angehörigen<br />

anderer Streitkräfte teilen. Die Teilnahme an einem oder<br />

mehreren Auslandseinsätzen kann somit im Sinne des Ethnologen<br />

Arnold van Gennep als wichtiger Übergang oder<br />

rites de passage auf dem Weg zu einem „neuen Soldaten-<br />

Typus“ und einer neuen Streitkräftesubkultur innerhalb<br />

einer neu strukturierten Bundeswehr gewertet werden.<br />

Kultur und Subkultur<br />

Der Erörterung der vorgestellten Thesen muss eine knappe<br />

Auseinandersetzung mit dem in den Geisteswissen-<br />

Maren Tomforde<br />

schaften schillernden Kulturbegriff vorausgehen, da dieser<br />

auf sehr unterschiedliche Weise definiert werden kann.<br />

In den theoretischen Auffassungen des Funktionalismus<br />

und Strukturalismus bis Mitte des 20. Jahrhunderts dominierten<br />

Vorstellungen von einer Einheitlichkeit, Verbindlichkeit<br />

und Determiniertheit von Kultur, deren verhaltenslenkender<br />

und verhaltensbestimmender Charakter<br />

vor allem durch Mythen, Riten und Werte zum Ausdruck<br />

kommt. Diese Vorstellungen sind mittlerweile durch eine<br />

Konzeption von Kultur, die Prozesse und Praktiken in<br />

den Mittelpunkt stellt, abgelöst worden. Anstelle von einer<br />

Homogenität und klaren Abgrenzbarkeit von Kulturen<br />

werden somit die Variationen und Differenzierungen,<br />

aber auch deren Wechselwirkung gesehen. Diese entstehen<br />

unter anderem dadurch, dass kulturelle Elemente von<br />

sozialen Akteuren produziert, reproduziert und transformiert<br />

werden. Kulturelle Eigenheiten können nur solange<br />

bestehen, wie sie von einer Gruppe gelebt, praktiziert und<br />

tradiert werden. Kultur bezeichnet somit das sozial erworbene,<br />

verinnerlichte Orientierungssystem einer Gruppe,<br />

welches u.a. aus Glaubens- und Handlungsweisen, Interaktionsmustern,<br />

Beziehungsstrukturen, Normen, Werten<br />

und einem gemeinsamen Zeichenvorrat besteht.<br />

Wir alle tragen in unserem Inneren Muster des Denkens,<br />

Fühlens und potenziellen Handelns, die wir ein Leben<br />

1 Im folgenden wird aus vereinfachenden Gründen das generische Maskulinum verwendet, welches gleichermaßen für Frauen gilt.<br />

70


lang erlernt haben. Dieser erlernte Habitus beeinflusst<br />

wiederum unsere gesellschaftlichen Strukturen, welche die<br />

Basis für Praktiken und Vorstellungen darstellen, die unbewusst<br />

unser Handeln bestimmen. Soziokulturelle Praxis<br />

und Strukturen stehen in einem dialektischen Verhältnis<br />

zueinander. Kultur ist einerseits Produkt menschlichen<br />

Handelns, andererseits sind die ‚Produzenten‘ dieser Kultur<br />

auch Kulturträger. Kultur ist somit auch kein statisches<br />

System mit starren Verhaltensmustern und Strukturen,<br />

sondern befindet sich ständig ‚im Fluss‘. Kulturen<br />

einer ethnischen Gruppe, einer Migrantengruppe oder<br />

einer Streitkraft werden konstant generiert und implizit<br />

verhandelt. Die Vielfalt menschlicher Daseinsgestaltung<br />

liegt u.a. in dem steten Wandlungs- und Austauschprozess<br />

begründet, dem Kulturen durch die Dialektik zwischen<br />

soziokultureller Praxis und Strukturen unterliegen.<br />

Es ist durch eben diese Kultur, dass Erfahrungen ihre<br />

Bedeutung erlangen und dass wir in Interaktion miteinander<br />

treten, weshalb im Rahmen eines postmodernen<br />

Kultur-Diskurses der Begriff „culturing“ eingeführt wurde.<br />

Dieser verdeutlicht, dass Kultur eng verknüpft ist mit<br />

Praxis und seinen Akteuren und von dieser komplexen<br />

Alltagspraxis nicht losgelöst als ein abgrenzbares, unveränderbares,<br />

starres Objekt behandelt werden sollte. Die<br />

dem Text zugrunde liegende weitgefasste Definition von<br />

Kultur impliziert, dass im Rahmen dieses Beitrags einsatzspezifische<br />

Kultur(en) und Identitätsbildungsprozesse nur<br />

exemplarisch dargestellt werden können.<br />

Für die Untersuchung von Feldlagerkultur in den Auslandseinsätzen<br />

der Bundeswehr wird die These verfolgt,<br />

dass die Missionen inklusive spezifischer Handlungs- und<br />

Denkmuster der Soldaten eine Subkultur bzw. Mikrokultur<br />

der Bundeswehr darstellen. Wie andere „informelle<br />

Kulturen“ der Streitkräfte (wie z.B. die einzelnen Teilstreitkräfte<br />

oder Dienstgradgruppen) stellen die Einsätze<br />

und deren soziokulturelle Eigenheiten mittlerweile ein<br />

integrales Subsystem der Bundeswehr dar. Subkulturen in<br />

Organisationen entstehen dann, wenn eine Gruppe von<br />

Mitgliedern regelmäßig miteinander interagiert und sie<br />

sich selbst auch als spezifische Gruppierung identifiziert.<br />

Je komplexer das Zusammenleben beziehungsweise der<br />

Lebenskontext ist, desto mehr werden Mitglieder einer<br />

Organisation bemüht sein, diese Komplexität durch das<br />

Herausbilden subkultureller Strukturen zu reduzieren.<br />

Jede Subkultur entwickelt eine eigene Identität, kann sich<br />

selbst auch wieder in mehrere Subkulturen aufteilen und<br />

befindet sich in Abgrenzung zu anderen Subkulturen innerhalb<br />

einer Organisation. Die Unterteilung in Eigenund<br />

Binnenwelt sowie in Fremd- und Außenwelt dient<br />

insbesondere in komplexen settings zur Orientierung<br />

und Identitätsbildung. In bezug auf die Bundeswehr im<br />

Auslandseinsatz wird die Anpassung an neue, komplexere<br />

Aufgaben und Strukturen nicht nur auf formeller Ebene,<br />

sondern und insbesondere durch spezifische soziokulturelle<br />

Praktiken während des Einsatzes vollzogen. Es bildet<br />

sich in Folge dessen eine einsatzspezifische Gemeinschaft<br />

heraus, die sich sowohl von der Truppe im Heimatland<br />

als auch von der <strong>Gesellschaft</strong> des Gastlandes durch eigene<br />

Identität(en) und soziokulturelle Handlungs- und<br />

Denkmuster abgrenzt. Diese Muster werden in den seit<br />

nunmehr 1992 bestehenden Auslandseinsätzen von Kontingent<br />

zu Kontingent, von Einsatzgebiet zu Einsatzgebiet<br />

u.a. durch Geschichten, Mythen, Bilder (u.a. Kontingent-<br />

CDs), Rituale, Witze, Handlungsabläufe sowie durch die<br />

als Kulturträger agierenden Soldaten tradiert.<br />

Feldlagerkultur<br />

Das alltägliche Leben in den Feldlagern der Bundeswehr<br />

gestaltet sich für die meisten Kontingentangehörigen relativ<br />

monoton: Die Feldlager sind räumlich abgegrenzte<br />

Einheiten, die nur die wenigsten Soldaten (circa nur 10<br />

bis 25 Prozent der Kontingentangehörigen) aus sicherheitstechnischen<br />

Gründen mit einem dienstlichen Auftrag<br />

(z.B. für Aufbauarbeiten, Patrouillendienst, Kontaktaufnahme<br />

zur einheimischen Bevölkerung) verlassen dürfen.<br />

Die Feldlager zeichnen sich durch relativ kurze Wege<br />

zwischen den Schlaf-, Dienst- und Freizeitbereichen aus;<br />

die Joggingstrecken entlang der äußeren Zäune der Lager<br />

betragen z.B. im Durchschnitt nur drei Kilometer. Dies<br />

bedeutet, dass sich die Soldaten während einer viermonatigen<br />

Kontingentzeit auf einem relativ begrenzten Raum<br />

bewegen, den sie nur gelegentlich für Dienstangelegenhei-<br />

71


Feldlagerkulturen als gelebte Innere Führung in multinationalen Einsatzszenarien<br />

ten oder seltene sogenannte Betreuungsfahrten zu Sehenswürdigkeiten<br />

des Gastlandes verlassen können.<br />

Die Übergänge zwischen Dienst und Freizeit sind nicht<br />

nur durch die fehlende räumliche Trennung zwischen Arbeitsplatz<br />

und Wohnort fließend, sondern auch durch die<br />

Tatsache, dass innerhalb der Feldlager generell die Uniform<br />

getragen wird. Nur für sportliche Aktivitäten dürfen<br />

private, zivile Kleidungsstücke angezogen werden. Mit<br />

anderen Worten wird das Leben im Einsatz von uniformierten<br />

Soldaten (zumeist Männern) geprägt. In der Regel<br />

sind zwischen mehreren Hundert und bis zu mehreren<br />

Tausend Mann in einem Lager untergebracht. Die Soldaten<br />

setzen sich dabei oftmals aus mehreren Nationen zusammen,<br />

wobei eine Nation in einem Feldlager meistens<br />

„tonangebend“ ist. So ist beispielsweise das Feldlager Prizren<br />

(Kosovo) von der Bundeswehr aufgebaut und nach<br />

deren Bedürfnissen und Vorstellungen gestaltet worden,<br />

denen sich andere Nationen wie die Italiener, Franzosen,<br />

Österreicher oder Georgier anpassen müssen. Diese Lager<br />

wirken „deutsch“. Sie haben Straßen mit Bürgersteigen,<br />

deutschen Namen und Verkehrsschilder. Es gilt die deutsche<br />

Straßenverkehrsordnung, die dazu beiträgt, dass im<br />

Feldlager für zu schnelles Fahren oder Falschparken von<br />

den Feldjägern Strafzettel verteilt werden können. Neben<br />

dem Großteil des militärischen Geräts kommen auch die<br />

Baumaterialien und Wohncontainer aus Deutschland,<br />

ebenso wie das Mobiliar, Gebrauchsgüter des täglichen<br />

Bedarfs sowie ein Großteil der täglichen Truppenverpflegung.<br />

So ist es prinzipiell möglich, dass ein Soldat für vier<br />

Monate in Afghanistan eingesetzt sein kann, ohne das<br />

Feldlager zwischendurch verlassen, ohne landestypische<br />

Speisen gegessen, die einheimische Währung gesehen oder<br />

die Sprache des Gastlandes gehört zu haben. Stattdessen<br />

müssen sich die Kontingentangehörigen mit den Abläufen<br />

und Diensterfordernissen innerhalb des Feldlagers vertraut<br />

machen und sich dort ihr zeitlich begrenztes Leben fern<br />

der Familie und der Heimat unter den Kameraden einrichten.<br />

Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Soldaten<br />

auf Vierbett- oder Zweibettunterkünften untergebracht<br />

sind, ist Privatsphäre im Einsatzgebiet ein rares Gut in einem<br />

Umfeld, in dem theoretisch jeder jeden beobachten<br />

und potentiell kontrollieren kann: sei es in den Gemeinschaftsunterkünften,<br />

dem Speisesaal, dem Fitnesszelt oder<br />

den sogenannten Betreuungseinrichtungen, in denen die<br />

uniformierten Soldaten abends bei einem Glas Bier entspannen,<br />

Musik hören, fernsehen und/oder Kicker spielen<br />

können. Die Soldaten finden sich im Feldlager in Strukturen<br />

gleich einer „totalen Institution“ nach Erving Goffman<br />

(1973) wieder, die bestimmen, wer sie sind, wie und<br />

mit wem sie wann, wo, wie agieren oder auch von wem sie<br />

wie kontrolliert werden können.<br />

Durch die „kurzen Wege“ innerhalb eines Feldlagers, die<br />

idealtypischen Tagesabläufe von „aufstehen-Frühstückantreten-Dienst-Mittagessen-Dienst-Abendessen-nach<br />

Hause telefonieren-Sport-Fernsehen/Betreuungseinrichtung-schlafengehen“<br />

und die bereits bekannten Gesichter<br />

kann das Lagerleben auf die Dauer sehr monoton<br />

und eintönig werden. Hinzu kommt, dass der Alltag im<br />

Einsatz in der Regel sehr überschaubar ist. Stress kommt<br />

meist „nur“ durch eine angespannte Sicherheitslage, hohe<br />

Arbeitsbelastung oder durch negative Nachrichten aus der<br />

Heimat, aber nicht durch andere übliche alltägliche Stressmomente<br />

wie z.B. durch Staus auf dem Weg zur Arbeit,<br />

lange Schlangen an der Supermarktkasse, enervierende<br />

Behördenpost oder kaputte Waschmaschinen auf. Dafür<br />

müssen die Einsatzsoldaten mit anderen permanenten,<br />

aber oft unterdrückten Belastungen klar kommen: latente<br />

Gefahr durch Minen und Bombenanschläge, extreme<br />

Klimabedingungen im Sommer wie Winter, hohe Luftverschmutzung<br />

und Feinstaub, Mehrmannstuben, fehlende<br />

Privatsphäre, Trennung vom gewohnten Umfeld zu<br />

Hause, monotones und stark geregeltes Lagerleben, Kontakt<br />

zu immer gleichen Leuten, sowie das tagtägliche Tragen<br />

der Uniform/schweren Stiefel und der P8-Pistole/des<br />

G36-Gewehrs, die jeder Soldat 24-Stunden „am Mann“<br />

zu haben hat. Das Leben der Einsatzsoldaten wird somit<br />

einerseits von der potentiell bestehenden Gefahr außerhalb<br />

des Lagers sowie andererseits von Routine, Langeweile,<br />

zum Teil auch mangelnder Arbeitsauslastung und dem<br />

Gefühl des „Eingesperrtseins“ innerhalb des Lagers dominiert.<br />

Die Lagermonotonie gekoppelt mit der diametral<br />

gegenüberstehenden Gefährdungslage der Einsatzgebiete<br />

72


können bei einigen Soldaten leicht in den sogenannten<br />

„Lagerkoller“ und in unbewussten Belastungen münden,<br />

die nur in Extremsituationen herauskommen.<br />

Um mit diesen bewussten und unterbewussten Belastungen<br />

zurecht zu kommen, wenden die Soldaten diverse<br />

Strategien an. So hegen sie z.B., wenn möglich, täglichen<br />

Kontakt zur Familie nach Hause, der per Telefon (meist<br />

Handy), Internet und Feldpost hergestellt wird. Der regelmäßige<br />

Austausch mit dem Partner und den Kindern<br />

scheint für viele Soldaten und deren Angehörigen ein Weg<br />

zu sein, um die räumliche Trennung überbrücken zu können.<br />

Ferner schicken viele Soldaten ihren Kindern und<br />

Partnerinnen zu Hause kleine Geschenke aus dem Marketenderladen<br />

des Lagers, während die Familien deutsche<br />

(z.T. saisonbedingte) Spezialitäten und Selbstgemachtes<br />

(wie Kekse oder Videos der Familie) in das Einsatzland<br />

senden. Um die Einsatzzeit erträglicher und überschaubarer<br />

zu gestalten, verfügen viele Soldaten daneben über<br />

einen „Kontingentkalender“, auf dem die bereits abgeleisteten<br />

Einsatztage durchgestrichen werden. Andere schneiden<br />

für jeden vergangenen Tag einen Zentimeter von einem<br />

Maßband ab. Die Maßnahmen des „Tagezählens“,<br />

eine gute Kameradschaft, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl,<br />

eine Einsatzidentität sowie einsatzspezifische<br />

Aktivitäten und Handlungsmuster helfen den Soldaten<br />

die zum Teil extremen Herausforderungen eines Einsatzes<br />

zu meistern.<br />

Für die Zeit des Einsatzes ist das Feldlager sowohl formale<br />

Organisation, als auch Wohnort der Soldaten: die Grenzen<br />

zwischen den drei Bereichen Schlafen, Freizeit und Arbeit<br />

verschwimmen oder sind zum Teil nicht mehr existent.<br />

Gleichzeitig existieren klare Grenzen zur Zivilgesellschaft,<br />

sowohl sozial als auch geographisch. Es wird klar zwischen<br />

den Sphären „drinnen“ und „draußen“ unterschieden.<br />

In dem Innenbereich gelten nicht nur andere Normen,<br />

Verhaltensweisen, Regeln und gesetzliche Vorschriften als<br />

im Außenbereich, sondern auch die Kleidung, die medizinische<br />

Versorgung sowie die steuerfreien Einkaufsmöglichkeiten<br />

unterscheiden sich zum Teil drastisch von der<br />

Wirklichkeit der Einsatzgebiete. Das Feldlager stellt also<br />

im wahrsten Sinne eine Welt für sich dar, die losgelöst<br />

von ihrem Umfeld zu existieren scheint; eine Mikrogesellschaft,<br />

die autark ist und in deren Regeln und Strukturen<br />

„Neuankömmlinge“ initiiert werden.<br />

Die zweite Sozialisation<br />

Für die meisten Soldaten konzentrieren sich die sozialen<br />

Kontakte während eines Einsatzes auf das militärische<br />

Einsatzumfeld, an das sich die Soldaten anpassen müssen<br />

und in das sie mittels einer sogenannten „zweiten Sozialisation“<br />

enkulturiert werden. Abschluss dieser Sozialisation<br />

stellt die medal parade am Ende eines jeden Kontingents<br />

dar, während der die Soldaten für ihre Auslandsdienste<br />

mit einer Medaille ausgezeichnet werden. Der Begriff der<br />

Sozialisation steht für den Prozess des Mitgliedwerdens in<br />

einer <strong>Gesellschaft</strong>. Es handelt sich dabei um einen Prozess<br />

der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit<br />

in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich<br />

vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Das Individuum<br />

ist dabei nicht nur passiver Rezipient gesellschaftlicher<br />

Normen und Werte, sondern verarbeitet Einflüsse<br />

und Inputs der Umwelt und lässt sie auf verschiedenste<br />

Weisen auf die subjektive Wahrnehmung eigener Identität<br />

wirken.<br />

Soldaten werden während der Grundausbildung und auch<br />

während ihres soldatischen Dienstes danach in das spezifische<br />

militärische Handwerk eingewiesen, das unter anderem<br />

den Gehorsam und das Handwerk des Verletzens<br />

und Tötens beinhaltet. Ihnen werden militärische Tugenden<br />

wie z.B. Gehorsam, Disziplin, Loyalität, Tapferkeit<br />

und Opferbereitschaft mit auf den Weg gegeben. Ferner<br />

spielen Zeichen der (Hyper-)Männlichkeit, das kameradschaftliche<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl sowie normenkonformes<br />

Verhalten eine zentrale Rolle. Somit durchlaufen<br />

die Soldaten eine ganz besondere Art der Sozialisation,<br />

die sich in Werten, Normen und Verhaltensweisen klar<br />

vom zivilen Bereich unterscheidet.<br />

Während des Auslandseinsatzes findet die Sozialisation<br />

zum Einsatzsoldaten mehr auf informeller, denn auf formeller<br />

Ebene statt. Für die militärische Führung muss der<br />

73


Feldlagerkulturen als gelebte Innere Führung in multinationalen Einsatzszenarien<br />

Soldat im Einsatz seinen Dienst genauso leisten wie am<br />

Heimatstandort, bloß unter erschwerten Bedingungen.<br />

Um mit den neuen Rahmenbedingungen und Einsatzanforderungen<br />

auch psychisch fertig zu werden, bereiten<br />

sich die Kameraden neben den offiziellen Ausbildungsabschnitten<br />

auch gegenseitig auf die Belastungen der Einsätze<br />

vor und geben ihr einsatzspezifisches Wissen von<br />

Kontingent zu Kontingent, von Kamerad zu Kamerad<br />

weiter. Als Ergebnis dieses informellen Prozesses sowie der<br />

einsatzspezifischen Erfahrungen bilden die Soldaten eine<br />

neue Identität des transnationalen „militärischen Einsatzprofis“<br />

heraus, dessen Entwicklung durch den formellen<br />

Ritus der medal parade abgeschlossen wird.<br />

Die meisten Soldaten kommen somit nicht ohne Vorerfahrungen<br />

über die Abläufe im Feldlager und Einsatzgebiet<br />

in den Kosovo, nach Bosnien-Herzegowina oder nach<br />

Afghanistan. Durch diese Vorerfahrungen, Geschichten<br />

und persönliche Kontakte zu Kameraden bringen sie ein<br />

gewisses Vorwissen, konkrete Erwartungen und Vorstellungen<br />

in den Einsatz mit. Soldaten konditionieren sich<br />

durch Erzählungen und Bilder gegenseitig und tragen<br />

somit zur Konstitution sowie dem Erhalt subkultureller<br />

Strukturen im Einsatz bei. Die Weitergabe von Einsatzmythen<br />

und Geschichten schafft enge Verbindungen und<br />

Solidarität unter den Soldaten, da unterstrichen wird,<br />

dass alle „in einem Boot“ sitzen und mit den gleichen<br />

Schwierigkeiten und Belastungen konfrontiert sind, egal<br />

ob Mannschaftssoldat oder Offizier, egal ob im ruhigen<br />

Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) oder unruhig-gefährlichen<br />

Masar-e-Sharif (Afghanistan). Dieser rege Austausch<br />

zwischen einsatzerfahrenen und einsatzunerfahrenen Soldaten<br />

in Deutschland und im Einsatzgebiet trägt maßgeblich<br />

dazu bei, dass soziokulturelle Aspekte der Einsätze<br />

von Kontingent zu Kontingent und von Einsatzland zu<br />

Einsatzland weitergetragen werden. Soldaten, die bereits<br />

mehrmals an einem Auslandseinsatz teilgenommen haben,<br />

können als wichtige Kulturträger angesehen werden,<br />

die (unbewusst) den Fortbestand einsatzspezifischer Subkulturen<br />

unterstützen.<br />

Bildung von transnationaler Einsatzidentität<br />

Auslandseinsätze verlangen nach komplexen Identitätsstrategien,<br />

da die Soldaten nicht mehr nur Teil ihrer Einheit<br />

oder nationalen Streitkraft, sondern auch Teil von<br />

Einsatzkontingenten, -Brigaden und multinationaler Verbände<br />

sind und somit homogene Identitätsmuster obsolet<br />

geworden sind. Die neue Situation in den Auslandseinsätzen<br />

erfordern komplexere Identitätsstrategien.<br />

Ebenso wie der Begriff „Kultur“ ist auch der Terminus<br />

„Identität“ zu einer viel strapazierten Schlüsselvokabel<br />

für unterschiedlichste Phänomene geworden. Gruppenspezifische<br />

Identitätsbildung, d.h. die kollektive Identitätsbildung,<br />

wird hier als das Stiften einer gemeinsamen<br />

Vorstellungswelt in Abgrenzung zu Fremdbildern verstanden,<br />

die sich auf ein Repertoire an Erinnerungen bezieht<br />

und die ständige Aktualisierung der Handelnden bedarf.<br />

Somit ist Identität losgelöst von festen Orten und bedarf<br />

einer immerwährenden Einbettung in aktuelle Kontexte.<br />

Für Gruppen besteht die Möglichkeit variierender Selbstzuschreibungen<br />

und bindungsschaffender, produktiv imaginären<br />

Praktiken, die der Aushandlung von Identitäten<br />

und Macht dienen. Gruppengrenzen müssen zum Teil<br />

uminterpretiert oder neu gezogen werden, da Unterschiede<br />

– je nach Situation – kreiert oder negiert werden müssen,<br />

um Kohäsion einer Gruppe zu erreichen.<br />

Während eines Auslandseinsatzes hilft die Schaffung einer<br />

corporate identity, Schwierigkeiten vor Ort und die<br />

Trennung von zu Hause zu überwinden. Der Umgang<br />

mit der ständigen Gefahr, den klimatischen Bedingungen,<br />

der Trennung von der Familie, den fehlenden Wochenenden<br />

oder auch dem ständigen Dresscode verbindet die<br />

Soldaten. Es entsteht eine enge Einsatzkameradschaft und<br />

–identität. Ein Beispiel für die im Auslandseinsatz entstehende<br />

corporate identity sind kleine Veränderungen der<br />

Uniform, die bei der Bundeswehr im Heimatland weder<br />

zu finden noch erlaubt wären. Beispielsweise tragen viele<br />

Kontingentangehörige aller Dienstgradgruppen während<br />

des Einsatzes Namensschilder, die einen flecktarnfarbenden<br />

Untergrund aufweisen, auf denen neben dem Namen<br />

auch die Flagge Deutschlands und z.B. der NATO<br />

74


aufgestickt sind. Zusätzlich werden neben dem ISAF-,<br />

EUFOR-, oder KFOR-Logo am Hemdsärmel noch kompaniespezifische<br />

Aufnäher mit eigens für das Kontingent<br />

entworfenem Logo getragen. Solche Aufnäher und Veränderungen<br />

der Uniform sind in der Regel innerhalb der<br />

Bundeswehr genehmigungspflichtig. Das Tragen einer<br />

Uniform, die „Identitätsmarker“ aufweist, verdeutlicht,<br />

wie wichtig es für die Kameraden ist, deutliche Zeichen<br />

der Zugehörigkeit zur „Wir-Gruppe“ zu tragen und sich<br />

gleichzeitig von der „Sie-Gruppe“ zu unterscheiden, die<br />

situational aus Besuchern, Kameraden anderer Einheiten/<br />

Feldlager/Nationen oder den Einheimischen des Einsatzlandes<br />

bestehen kann. Abgrenzung ist wichtig, um Zusammenhalt<br />

innerhalb der eigenen Gruppe zu schaffen. Wie<br />

diese „eigene Gruppe“, die „Wir-Gruppe“ definiert wird,<br />

ist situationsabhängig. Wichtige Bezugspunkte kollektiver<br />

Identität während der Missionen sind die eigene Einheit,<br />

die Bundeswehr, die Nation Deutschland, das Kontingent,<br />

die VN-Peacekeeping-Truppen. Je nach Ort und<br />

Situation wird der eine oder andere Bezugspunkt stärker<br />

hervorgehoben. Beispielsweise überwiegt im Feldlageralltag<br />

bei den Soldaten die Selbstdefinition als Angehöriger<br />

einer bestimmten Einheit. Treten sie in Kontakt mit italienischen<br />

oder französischen Kameraden, mit denen sie gemeinsam<br />

im multinationalen Stab den Dienst verrichten,<br />

besteht ein starker Bezug zu einer bundeswehrspezifischen<br />

Selbstdefinition. Verlassen die Männer und Frauen das<br />

Feldlager, müssen sie sich gegenüber der lokalen Bevölkerung<br />

abgrenzen und der internationalen Friedenstruppe<br />

zuordnen. Während internationale Kameraden im Feldlager<br />

kaum extra begrüßt werden, so wird außerhalb des Lagers<br />

jedem ausländischen Kameraden und jedem Auto mit<br />

VN-, NATO- oder EU-Kennzeichen extra zugewunken<br />

und eine multinationale Einsatzsolidarität zum Ausdruck<br />

gebracht. Bei den Soldaten bildet sich somit eine neue,<br />

soldatische Identität heraus, welche die militärischen, politischen,<br />

soziokulturellen und psychologischen Erfahrungen<br />

der Soldaten in (multinationalen) Auslandseinsätzen<br />

mit beinhaltet und während des Friedenseinsatzes generierte<br />

internalisierte Normen und Werte aufweist.<br />

Fazit<br />

Dieser Artikel hat aufgezeigt, dass die Einsatzteilnahme als<br />

zweite Sozialisationsinstanz für die Soldaten in eine transformierte<br />

Bundeswehr wirkt. Die Teilnahme trägt dazu<br />

bei, die Soldaten vor Ort in den Auslandseinsätzen in ihr<br />

neues Aufgabenfeld zu initiieren und sie in die (multi-)<br />

nationale „Einsatzkameradschaft“ zu sozialisieren. Die<br />

Einsatzteilnahme ist somit als wichtiger Übergang vom<br />

„klassisch“ ausgerichteten Soldaten zum Einsatzsoldaten<br />

in einer neu strukturierten bzw. transformierten Bundeswehr<br />

zu werten. Im Laufe der letzten Jahre haben sich<br />

in den deutschen Einsatzgebieten ferner soziokulturelle<br />

Handlungs- und Denkmuster sowie einsatzspezifische<br />

Identitäten entwickelt, die in ihrer Gänze dazu beitragen,<br />

dass die Auslandsmissionen subkulturelle Strukturen angenommen<br />

haben, die nicht nur die Bundeswehr in struktureller,<br />

sondern sukzessive auch in soziokultureller Hinsicht<br />

beeinflussen werden.<br />

75


Einsatzarmee und Erinnerung.<br />

Bemerkungen zu Gedenkkulturen in der Bundeswehr<br />

Text:<br />

Prof. Dr. Loretana de Libero<br />

„Den Toten unserer Bundeswehr“, so beginnt die Inschrift<br />

am geplanten ‚Ehrenmal’ im Berliner Bendlerblock. Allen<br />

Bundeswehrangehörigen soll es gewidmet sein, die in den<br />

letzten 50 Jahren in Ausübung ihres Dienstes „für Frieden,<br />

Recht und Freiheit“ gestorben sind. Mit diesem Vorhaben<br />

reagiert das Bundesministerium der Verteidigung auf<br />

Wünsche und Bedürfnisse in der Truppe. In den Liegenschaften<br />

der deutschen Streitkräfte wurden eine Vielzahl<br />

an Gedenkstätten, zumeist „Ehrenmale“ genannt, von<br />

den Soldaten errichtet. Dieser Brauch wurde von den<br />

1990er Jahren an auch in die Feldlager auswärtiger Einsatzorte<br />

getragen. Ein zentrales Dank- und Erinnerungszeichen<br />

hat es für „Staatsbürger in Uniform“ bisher nicht<br />

gegeben. Nachdem der Bundesminister der Verteidigung<br />

Anfang 2006 Überlegungen zu einem „Firmendenkmal“<br />

verkündet hatte, entwickelte sich über zwei Jahre hinweg<br />

eine rege Debatte. Jetzt, da sich der Baubeginn verzögert,<br />

scheinen Kritiker und Befürworter vorerst ein wenig zur<br />

Ruhe gekommen zu sein. Rückschauend lässt sich feststellen,<br />

dass es in der bisherigen Diskussion zumeist nicht um<br />

die Toten ging. In Artikeln, Reden und Interviews jedweder<br />

politischer Couleur wurde gerungen um die Rolle<br />

der Bundeswehr in der Demokratie, um Sinn und Zweck<br />

der Auslandseinsätze, um Ängste vor einer Militarisierung<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> oder vor einer Heroisierung des Soldatentods.<br />

Befürchtet, gelegentlich gar eindringlich gefordert,<br />

wurde ein soldatischer bzw. bürgerlicher „Totenkult“, der<br />

den Tod instrumentalisieren und künftige Kampfeinsätze<br />

legitimieren sollte. Der Streit um den geeigneten Standort,<br />

um Prestige und Design schienen mitunter wichtiger<br />

als die gegenwärtigen Probleme einer Armee im Einsatz,<br />

wie etwa eine angemessene Versorgung von Versehrten<br />

und Hinterbliebenen, wie Fragen nach dem Rechtsschutz<br />

in einem Krisenszenario oder der Sicherstellung einer adäquaten<br />

materiellen Ausstattung.<br />

Die Bundeswehr, die unter Parlamentsvorbehalt steht,<br />

führt keinen Krieg, die toten Angehörigen dieser Armee,<br />

derer nunmehr in und mit einem Denkmal in Berlin gedacht<br />

werden soll, sind nicht auf einem Schlachtfeld „gefallen“,<br />

oder haben gar, wie es in früheren Kriegen hieß, in<br />

Schützengräben „den Heldentod erlitten“. Die politischen<br />

Loretana de Libero<br />

und militärischen Repräsentanten des Verteidigungsministeriums<br />

sprechen daher korrekt von Soldaten bzw.<br />

Bundeswehrangehörigen, die im Einsatz oder im Dienst<br />

ums Leben gekommen sind. Der Parlamentarische Staatssekretär<br />

beim Bundesminister der Verteidigung Christian<br />

Schmidt (CSU) hat sich darüber hinaus mit deutlichen<br />

Worten gegen einen emotional aufgeladenen Sprachgebrauch<br />

gewandt, wie er immer wieder von so manchem<br />

Verbandsvertreter oder Politiker zu hören ist, die vom<br />

„Krieg“, in dem wir uns befänden, vom „höchsten Opfer“,<br />

das erbracht worden sei, und einer „Wahrheit“, die verschleiert<br />

würde, schwadronieren. Weder verharmlost die<br />

Bundesregierung die Gefahren in einem Auslandseinsatz<br />

noch baut sie ein „Kriegerdenkmal für Gefallene der Bundeswehr“<br />

(so die „Berliner Zeitung“ vom 26. Mai 2007).<br />

Heldisches Pathos, das immer wieder durch die Gazetten<br />

der Republik geistert, ist angesichts der Trauer, der Nöte<br />

und Bedürfnisse der Betroffenen, fehl am Platz.<br />

Das geplante Erinnerungszeichen ist allen 2.600 Toten der<br />

Bundeswehr gewidmet, d.h. also den Soldatinnen, Soldaten<br />

und zivilen Angehörigen der Armee, die seit 1956<br />

während ihres Dienstes oder durch ihren Einsatz im Inund<br />

Ausland zu Tode gekommen sind. Allen solle gedacht<br />

werden, so Verteidigungsminister Franz Josef Jung, niemand<br />

dürfe aus der Erinnerung ausgeschlossen werden.<br />

76


Nur derer symbolisch zu gedenken, die im Einsatz getötet<br />

wurden, würde in der Tat bedeuten, die „Staatsbürger<br />

in Uniform“, die zum Beispiel bei einem Hilfseinsatz im<br />

Innern, etwa der Flutkatastrophe in Hamburg 1962, ihr<br />

Leben verloren haben, als ‚Tote zweiter Klasse’ zu diffamieren.<br />

Von einigen Interessengruppen gefordertes Abund<br />

Ausgrenzen, Hierarchisieren oder Aufrechnen könnte<br />

zu einem bedenklichen Sonderbewusstsein in der Armee<br />

führen, das nur bestimmten Toten, und zwar ausschließlich<br />

denen, die seit 1993 im Auslandseinsatz ihr Leben<br />

verloren haben, Verehrung zugestehen wollte. Im Tod wären<br />

somit nicht alle gleich, was das Gedenken angeht: Die<br />

in der Iller ertrunkenen 15 Rekruten des Luftlande-Jäger-<br />

Batallions 19 aus der Anfangszeit der Bundeswehr etwa<br />

stünden gegen die Soldaten, die in Afghanistan Selbstmordanschlägen<br />

zum Opfer fielen. Auch der überkommene<br />

Gedanke von einem „ewigen Ruherecht“ für die Toten<br />

der Einsätze, wie vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge<br />

e.V. gefordert, ist der Sache nicht dienlich und<br />

würde in der Öffentlichkeit nur das Bild von einer Sonderrolle<br />

des Militärs befördern. Zudem ist fraglich, ob die<br />

Familienangehörigen eines Getöteten oder Verunglückten<br />

einem solchen Ansinnen zustimmen würden.<br />

Bei Betrachtung der Gedenkpraxis in der Bundeswehr fällt<br />

auf, dass die gewählten Formen in der Truppe selbst, die<br />

ja vielfach auf Eigeninitiative zurückgehen, sehr schlicht<br />

gehalten sind. Es existieren viele Beispiele gelebter Erinnerung<br />

in bundesdeutschen Standorten. Neben christlichen<br />

Ritualen wie etwa der Gedenkandacht oder dem militärischen<br />

Zeremoniell wie dem Gedenkappell zu Jahrestagen<br />

finden sich Formen, die bisweilen auch die Frage nach der<br />

Wertorientierung der deutschen Streitkräfte beantworten:<br />

Als identitätsstiftend wird seit jeher die Benennung<br />

von Kasernen nach verstorbenen Vorbildern angesehen.<br />

Die Bundeswehr besitzt zumindest einen Kasernenpatron<br />

aus den eigenen Reihen: im sächsischen Delitzsch ist<br />

die Unteroffizierschule des Heeres seit 1992 nach dem<br />

Feldwebel Erich Boldt (1933-1961, Panzerpionierkompanie<br />

70) benannt. Erich Boldt starb, als er während einer<br />

Sprengausbildung zwei Soldaten vor einer detonierenden<br />

Sprengladung schützen wollte. Der Jahrgangsbeste der<br />

Feldwebellehrgänge an der Pionierschule erhält zudem<br />

den „Feldwebel-Boldt-Gedächtnis-Preis“, der 1982 vom<br />

Bund Deutscher Pioniere gestiftet wurde. Nach Oberleutnant<br />

Ludger Hölker (1934-1964, Jagdbombergeschwader<br />

32) ist 1977 das Auditorium Maximum der Offizierschule<br />

der Luftwaffe im bayrischen Fürstenfeldbruck benannt<br />

(„Ludger-Hölker-Saal“). Sein Geschwader ehrte ihn 1984<br />

mit einer Straßenbenennung in der Schwabstadl-Kaserne<br />

in Lechfeld. Der Pilot setzte sein Leben ein, um eine Flugkatastrophe<br />

in Straßberg zu verhindern.<br />

Eine gängige Form militärischer Erinnerungskultur ist<br />

zum einen der Findling, zum anderen der obeliskähnliche<br />

Gedenkstein. Diese Wahl ist zwar so neu nicht, folgen hier<br />

doch die Soldaten den ihnen bekannten Beispielen aus<br />

ihren Städten und Gemeinden, aber der einfache Stein,<br />

der zumeist nur eine Tafel mit Namen der Verstorbenen<br />

aufweist, lenkt nicht von seiner eigentlichen Funktion des<br />

Trauern und Erinnerns ab. Das moderne Totengedenken<br />

in der Bundeswehr dient nämlich nicht dazu, den Einsatz<br />

militärischer Mittel politisch zu legitimieren, auch wenn<br />

dies in der Presse bisweilen mit Blick auf das geplante ‚Ehrenmal’<br />

eingefordert oder geargwöhnt wird. Eine solche<br />

Zielsetzung wäre zweifelsohne bedenklich, würde es doch<br />

bedeuten, dass erst der Tod des Soldaten den jeweiligen<br />

Auftrag oder gar die Existenz einer Armee rechtfertigen<br />

würde. Über das ‚dulce et decorum’ dürften wir nach<br />

den Erfahrungen zweier Weltkriege jedoch hinaus sein.<br />

Auf das ‚wofür’ des militärischen Dienens hat nicht ein<br />

‚Ehrenmal’ Antwort zu geben, das hieße, den Tod von<br />

Soldaten zu instrumentalisieren. Das internationale Engagement<br />

der Bundeswehr als einer Armee im Bündnis,<br />

von humanitären bis zu bewaffneten Einsätzen, gründet<br />

sich in einem Verteidigungskonzept unter dem Primat der<br />

Politik, das die Wahrung von Frieden, Recht und Freiheit<br />

als verfassungsmäßigen Auftrag fordert. Im Soldatengesetz<br />

heißt es: „Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik<br />

Deutschland treu zu dienen und das Recht und<br />

die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“<br />

(ZDv 14/5 § 7). Sinn und Notwendigkeit des Auftrags<br />

müssen kommuniziert werden, dies hat aber im Rahmen<br />

der politisch-historischen Bildung und nicht im Dunkel<br />

77


Einsatzarmee und Erinnerung – Bemerkungen zu Gedenkkulturen in der Bundeswehr<br />

einer Ehrenhalle zu erfolgen.<br />

Seit 1993 sind im Auslandseinsatz weit mehr als 70 Soldaten<br />

gestorben, sie kamen im wesentlichen durch Fremdeinwirkung<br />

ums Leben oder waren Opfer von Terroranschlägen.<br />

Der erste Soldat, der in einem Auslandseinsatz<br />

(UNTAC) getötet wurde, war der 26jährige Sanitätsfeldwebel<br />

Alexander Arndt, der am 14. Oktober 1993<br />

in Phnom Penh auf offener Straße erschossen wurde. In<br />

der Bundeswehr-Publizistik wird die Erinnerung an ihn<br />

bis heute wachgehalten. In der Blücher-Kaserne seht zudem<br />

seit Oktober 2007 ein Gedenkstein zur Erinnerung<br />

an Arndt, welches ihm das jetzige Lazarettregiment 31<br />

geweiht hat. Auf dem Gelände der Burgwald-Kaserne im<br />

hessischen Frankenberg erinnert das Bataillon Elektronische<br />

Kampfführung 932 mit einem Basaltstein an vier<br />

Soldaten des ISAF-Kontingents, die bei einem Sprengstoffattentat<br />

am 7. Juni 2003 in Kabul getötet wurden.<br />

Auf dem Stein selbst findet sich eine Tafel mit Namen der<br />

Toten.<br />

In den Einsatzgebieten selbst wurden ebenfalls angemessene<br />

Gedenkformen gefunden, die sich dem Pathos verweigern:<br />

Im deutschen Feldlager Rajlovać (Camp Capitaine<br />

Carreau) in Bosnien-Herzegowina wurde auf dem ‚Europaplatz’<br />

ein Erinnerungszeichen an die im Einsatzland<br />

gestorbenen Angehörigen der Bundeswehr errichtet. Als<br />

Folge der Truppenreduzierung und damit der Aufgabe des<br />

Lagers ist der Stein im August 2007 auf das Gelände der<br />

deutschen Botschaft in Sarajevo verbracht worden. Nach<br />

dem ersten im KFOR-Einsatz im Kosovo verunglückten<br />

Soldaten, Oberstabsarzt Dr. Sven Eckelmann (1999), ist<br />

im Feldlager Prizren im Kosovo eine Straße benannt worden.<br />

In diesem Feldlager steht ebenfalls ein Gedenkstein,<br />

auf welchem neben Bundeswehrangehörigen auch Soldaten<br />

aus anderen Nationen aufgeführt werden, die während<br />

des Dienstes im Kosovo ums Leben gekommen sind. In<br />

Afghanistan stehen zur Zeit mehrere Erinnerungszeichen,<br />

davon beispielsweise eines im Feldlager Camp Warehouse<br />

in Kabul mit der knappen Inschrift „Den Toten zu Ehren“,<br />

eines im Feldlager Camp Marmal in Mazar-e-Sharif oder<br />

das Mal mit einer von der Stadt Berlin gestifteten Plastik,<br />

dem Berliner Bären, der seit 2003 auf dem Gedenkstein<br />

des deutschen ISAF-Kontingents am Kabul International<br />

Airport steht.<br />

Die Inschrift des geplanten Bundeswehr-Denkmals lautet:<br />

„Den Toten unserer Bundeswehr / Für Frieden, Recht<br />

und Freiheit.“ Die Wortwahl erinnert an eine Gedenkformel<br />

am „Ehrenmal des deutschen Heeres“, das 1972 auf<br />

der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz errichtet wurde.<br />

Gedachte die Bundeswehr an diesem Ort bis 1994 ausschließlich<br />

den Gefallenen der früheren deutschen Heere,<br />

wurde die Stätte schließlich umgestaltet und als zentrale<br />

Widmung die ganzheitliche Formel geprägt: „Den Toten<br />

des Deutschen Heeres“. Seit 2006 wird vor Ort mit einer<br />

„schlichte(n) Stele“ zusätzlich an die „im Dienst und Einsatz<br />

zu Tode gekommenen Angehörigen des Heeres der<br />

Bundeswehr“ gedacht. Folgende Inschrift steht auf dem<br />

kleinen, hellen Stein geschrieben: „Den Heeressoldaten<br />

/ der Bundeswehr, / die für Frieden, Recht und Freiheit<br />

/ ihr Leben ließen“. Das Kuratorium hatte am 17. November<br />

2005 beschlossen, dass „das Ehrenmal durch eine<br />

Stele zu erweitern (sei), um Angehörigen und Kameraden<br />

Gefallener [sic!] des Heeres der Bundeswehr im Rahmen<br />

des Ehrenmals einen Ort des Gedenkens, Besinnens und<br />

der Identifikation zu schaffen“ (www.ehrenmal-heer.de).<br />

Angesichts einer 50jährigen Erfolgsgeschichte sind demgegenüber<br />

im „Ehrenmal der Bundeswehr“ die Toten vergangener<br />

deutscher Armeen zu recht nicht einbezogen.<br />

Längst überfällig mag es dem Betrachter erscheinen, dass<br />

sich die Bundeswehr endlich auf sich besinnt, zumal deren<br />

Tote in vielen alten Denkmalen, die in den Liegenschaften<br />

stehen, vor allem in den drei TSK-Ehrenmalen<br />

der Nachkriegszeit erst spät und dann immer nur „mitgedacht“<br />

wurden. Nur das Wissen um Geschichte kann<br />

späteren Generationen helfen, zwischen dem Siegesmal<br />

der kaiserlichen Armee, den Nachkriegs-Denkmälern für<br />

Wehrmachts-Soldaten und der Erinnerungsstätte einer<br />

Parlamentsarmee zu unterscheiden.<br />

Die Bundeswehr trauert um ihre Toten, das ist ihr gutes<br />

Recht, aber wird das ‚Ehrenmal’ des Architekten Andreas<br />

Meck, das, so die offizielle Broschüre, öffentliches Erin-<br />

78


nern und persönliches Trauern ermöglichen soll, dieser<br />

Parlamentsarmee gerecht? Ein Sakralkörper aus Gold,<br />

ähnlich einem griechischen Tempel klassischer Zeit, stellt<br />

das geplante „Ehrenmal“ dar: 13 Pfeiler besitzt es an seiner<br />

41 Meter langen Seite, keine jedoch an seiner Schmalseite,<br />

aber immerhin fünf Fahnenstangen, und, wie der Architekt<br />

in der offiziellen Broschüre ausführt, eine „Cella“.<br />

Im antiken Tempel war die Cella zumeist ein fensterloser<br />

Raum, in dem das überlebensgroße Götterbild aufgestellt<br />

war. Die moderne „Cella“ ist ebenfalls ohne Fenster und<br />

ganz in schwarz gehalten. Von einem Oberlicht beleuchtet<br />

dient nach der im Sommer 2008 überarbeiteten Konzeption<br />

nunmehr eine Bruchsteinkante als Ablage für Blumen<br />

und Kränze. Der Architekt sucht auf der sakralen<br />

Klaviatur von Licht und Dunkel zu spielen, der schwarze<br />

Raum wird goldschimmernden Wänden gegenübergestellt,<br />

der Besucher soll aus dem Dunkel der „Cella“ in<br />

das helle Gold der „Hoffnung“ treten. Aus der Ferne besehen<br />

ähnelt der bronzene Bau ein wenig dem ‚Goldenen<br />

Tempel’ von Amritsar, dem Sri Harmandir Sahib aus dem<br />

16. Jahrhundert. Bei näherer Betrachtung erweist sich die<br />

scheinbar geschlossene Bronzehaut des Baukörpers als ein<br />

Netz von ausgestanzten, halben Erkennungsmarken. Was<br />

die Symbolik des Gefallenentodes mit den 2.600 Toten<br />

der Bundeswehr zu tun hat, bleibt offen. In Atlantic City<br />

(New Jersey) steht seit 2000 ein „Korean War Memorial“.<br />

Als Teil eines größeren Ensembles hält dort eine überlebensgroße<br />

Plastik, „The Mourning Soldier“, in ihrer linken<br />

Hand mehrere Erkennungsmarken. Wohlgemerkt, es<br />

handelt sich bei diesem „Korean War Memorial“ um eine<br />

Erinnerungsstätte für die Gefallenen einer kriegerischen<br />

Auseinandersetzung.<br />

Was aber will uns der Künstler konkret mit seinem Erinnerungsmal<br />

sagen? Meck versichert, dass seine Architektur<br />

„unaufgeregt“ sei. Sie mag in ihrer Statik unaufgeregt sein,<br />

doch scheint sie in ihrer sakralisierenden Symbolsprache<br />

der neuen Bundeswehr wenig gerecht zu werden. Goldenes<br />

Gepränge passt nicht zu einer nüchternen Parlamentsarmee.<br />

Als eine „Armee ohne Pathos“ haben sich die aufgeschlossenen<br />

Militärreformer der Gründerphase wie Wolf<br />

Graf von Baudissin die Bundeswehr gedacht. „Grundlegend<br />

Neues“ sollte geschaffen werden, so die klassisch<br />

gewordene Forderung aus der Himmeroder Denkschrift<br />

von 1950. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten,<br />

was dem einen eine ästhetische Pein, ist dem anderen<br />

eine angemessene Form des Erinnerns. Und doch scheint<br />

der Entwurf für ein gewisses Unvermögen zu stehen, sich<br />

dem Soldatentod jenseits epigonaler Reproduktion zu nähern.<br />

Wie tröstlich mag wohl für jemanden ein „Kleid“<br />

von gebrochenen Erkennungsmarken sein, der ein Familienmitglied<br />

bei einem Terroranschlag verloren hat?<br />

In der Luftlande-/Transportschule in Altenstadt wurde im<br />

September 2008 ein schlichter Gedenksein enthüllt. Auf<br />

ihm stehen die Namen der 19 Soldaten, die seit 1958 bei<br />

Sprungunfällen und im Flugeinsatz ums Leben gekommen<br />

sind. Den Lebenden und den Toten wurde hier ein<br />

angemessener Ort der Erinnerung geschaffen. Vielfältige<br />

Erinnerungskulturen existieren in der modernen Bundeswehr,<br />

deren steinerne Formen vor allem für eines stehen:<br />

sie würdigen die Toten, sie nennen ihre Namen, nicht<br />

mehr und nicht weniger.<br />

79


Architekturhistorische Anmerkungen zum Ehrenmal der Luftwaffe und<br />

Luftfahrt in Fürstenfeldbruck<br />

Text:<br />

Oliver Becker M.A.<br />

Am 20. Mai 1966 wurde in Fürstenfeldbruck das sogenannte<br />

Luftwaffen-Ehrenmal im Rahmen einer Feierstunde<br />

durch den Vorstand der „Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal<br />

e.V.“ der Bundesluftwaffe übergeben. 1 Im Mittelpunkt der<br />

Veranstaltung standen, neben einer Kranzniederlegung<br />

„im Schein der Fackeln,“ 2 die Ansprachen des Kardinals<br />

Julius Döpfner sowie des ersten Luftwaffeninspekteurs<br />

General a. D. Josef Kammhuber.<br />

Diesem Ereignis war ein Jahrzehnt der Planung und<br />

schrittweisen Realisierung des Projekts vorausgegangen.<br />

Initiiert wurde es von einer Gruppe von Kriegsveteranen<br />

um die Generale a. D. Karl-Eduard Wilke und Alfred<br />

Mahnke. „Am Anfang war die Idee und die Idee war bei<br />

einigen wenigen Luftwaffenangehörigen, und sie verkörperten<br />

zunächst allein die Idee. Nichts als die Idee und<br />

der brennende Wunsch nach der Verwirklichung standen<br />

am Beginn der Errichtung eines den Toten der Luftstreitkräfte<br />

und der Luftfahrt gewidmeten Ehrenmals.“ 3 Nach<br />

anderthalbjähriger Vorarbeit trat diese Gruppe 1957 mit<br />

der Gründung einer Stiftung als Rechtsträger für einen<br />

Memorialbau an die Öffentlichkeit. 4 Historisch fällt dieser<br />

Schritt in die Zeit nach der engagiert geführten gesellschaftlichen<br />

Debatte über die Wiederbewaffnung der<br />

Bundesrepublik Deutschlands, die mit der Wiedergewinnung<br />

der Wehrhoheit und der dadurch ermöglichten<br />

Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 einen<br />

vorläufigen Abschluss gefunden hatte. Die öffentliche<br />

Artikulierung des Wunsches nach Formen des Totengedenkens<br />

gefallener deutscher Soldaten durch Kriegsteilnehmer<br />

steht dabei in engem Zusammenhang mit der<br />

Rehabilitierung der Angehörigen der ehemaligen Wehrmacht,<br />

Reichsmarine und Luftwaffe, wie sie zu dieser Zeit<br />

in den sogenannten „Ehrenerklärungen“ durch hochrangige<br />

Politiker vorbereitet wurde. 5<br />

Nach einer internen Ausschreibung des Bauvorhabens unter<br />

Architekten, die der alten Luftwaffe angehört hatten, 6<br />

setzt sich am 18. März 1960 im Rahmen eines Wettbewerbs<br />

der Entwurf des Hannoveraner Professors Ernst<br />

Oliver Becker<br />

Zinsser durch. 7<br />

Zinsser hatte sich in diesen Jahren bereits durch seine<br />

Beiträge am Wiederaufbau des kriegszerstörten Hannover<br />

einen Namen gemacht. Er hatte seine Karriere als junger<br />

Architekt 1932 allerdings mit einem prämierten Entwurf<br />

für einen Memorialbau, das „Reichsehrenmal“ in Bad<br />

Berka (Thüringen), begonnen. Während er nach dem<br />

Krieg hauptsächlich Büro- und Geschäftsgebäude plante,<br />

die sich mit ihrer klaren und funktionalen Gestaltung an<br />

internationalen Vorbildern, vor allem der skandinavischen<br />

Moderne orientierten, befasste sich Zinsser vorher auch<br />

mit der Anlage von „Thingplätzen“ und ähnlichen nationalsozialistischen<br />

„Kultstätten“ und erhielt zahlreiche<br />

Aufträge für Industriebauten (Leichtmetallwerk der VLW,<br />

Focke-Flugzeugwerk). Gerade diese Tätigkeit erlaubte<br />

es ihm, sich während des Krieges dem Militärdienst zu<br />

entziehen. Bemerkenswert ist, dass Zinsser dennoch den<br />

Auftrag für das Ehrenmal erhielt, obgleich vorher ausdrücklich<br />

ein Architekt gesucht wurde, der Angehöriger<br />

der ehemaligen Luftwaffe gewesen war. 8<br />

Der Entwurf Zinssers wurde bis zur Fertigstellung ohne<br />

wesentliche Änderungen umgesetzt. Das kreisförmige<br />

1 Die vorliegende Studie beruht wesentlich auf einem aus drei Ordnern bestehenden Konvolut unterschiedlicher Dokumente, das in der OSLw bewahrt wird. Die Unterlagen der „Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V.“, nach einer handschriftlichen<br />

Notiz „mehrere Kartons,“ sind im Mai 2000 von der OSLw an das Bundesarchiv / Militärarchiv in Freiburg übergeben worden.<br />

2 Vgl. die von der im folgenden als Stiftung bezeichneten „Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V.“ zu jenem Anlass herausgegebene Einladung. Auch Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. (Hg.), Luftwaffen-Ehrenmal in Fürstenfeldbruck, o.O. 1988,<br />

S. 16f. | 3 Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. (1988), S. 5.<br />

4 Im Text der Einladung zur Übergabe heißt es: „Ihr seid unvergessen. Dieses Wort – unausgesprochen, aber fest verankert in den Herzen einiger ehemaliger Luftwaffenangehöriger – entfachte im Jahre 1956 zu Hannover diesen kleinen<br />

Kreis, den Toten gegenüber das Wort einzulösen, es lebendig zu machen.“ Unter den in der OSLw verbliebenen Dokumenten informiert ein einseitiges undatiertes Typoskript (verfasst nach dem 20. Mai 1966): „Der Gedanke zur Schaffung<br />

eines Ehrenmals für alle deutschen Luftwaffensoldaten wurde bereits im November 1955 geäußert.“ Die Stiftung wurde am 24. Juni 1957 ins Leben gerufen.<br />

5 Vgl. hierzu beispielsweise K. von Lingen, Kesselrings letzte Schlacht, Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung: der Fall Kesselring, Paderborn 2004, S. 269f.<br />

6 K.-E. Wilke, Unser Luftwaffen-Ehrenmal. Ein Rückblick, in: Deutscher Luftwaffenblock, Pressemitteilungen des Bundes Deutscher Fallschirmjäger e.V., Gemeinschaft der Jagdflieger e.V., Luftwaffenring e.V., Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V.,<br />

o.J. (1962/63), S. [2], und ders., Kleine Übersicht über die Geschichte der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck / Obb., Typoskript, Celle 1984, S. 1.<br />

7 Bemerkenswert ist, das Wilke bereits 1957 oder 1958 angeblich begleitet von Zinsser in Fürstenfeldbruck das geplante Vorhaben dem Schulkommandeur und dem Leiter der Standortverwaltung vorlegte. Diese interessante Notiz<br />

macht der dann bereits pensionierte Leiter der Standortverwaltung Fürstenfeldbruck, W. Merfeld, 1986 in einer handschriftlichen Skizze der Entstehung des Ehrenmals. Das eng beschriebene zwölfseitige Manuskript ist den in der OSLw<br />

verwahrten Dokumenten beigefügt.<br />

8 Hierzu J. Lubitz, Ernst Zinsser (1904-1985), in. http://www.architekten-portrait.de (18. September 2008). Siehe auch R. Haas, Ernst Zinsser, Leben und Werk eines Architekten der Fünfziger Jahre in Hannover, Hannover 2000.<br />

80


Ehrenmal besteht aus einem nach innen schräg vorspringenden<br />

6 m hohen Betonkragen mit einem Durchmesser<br />

von 30 m. Dieser Mauerring ist von außen angeböscht,<br />

sodass das Mal zunächst als flacher Hügel erscheint, über<br />

den sich ein schmaler Betonkranz legt. Ein Segment dieses<br />

Hanges ist ausgeschnitten und an beiden Seiten durch Betonmauern<br />

abgefangen. Durch diesen einzigen, sich nach<br />

innen verjüngenden und von zwei mächtigen, knapp 5 m<br />

hohen Pylonen flankierten Zugang ist das Innere der Anlage<br />

erschlossen. Eine achtstufige Freitreppe führt in diesen<br />

runden, nach oben offenen platzartigen Raum, dessen<br />

Bodenniveau – ein Ring großformatiger Betonplatten<br />

schließt eine Rasenfläche ein – etwa 3m unter dem Laufhorizont<br />

der Umgebung liegt. Ein um wenige Meter nach<br />

Norden aus dem Mittelpunkt des Raumes verschobener<br />

wiederum abgesenkter und von Süden über vier Stufen<br />

betretbarer, mit Flusskieseln gepflasterter Kreis mit einem<br />

Durchmesser von 10 m bildet das Zentrum der Anlage.<br />

Hier ist ein vom Hannoveraner Bildhauer Kurt Lehmann<br />

entworfener, 5x5x1,2 m messender, bis auf ein auf der<br />

Oberseite eingelegtes stilisiertes Eisernes Kreuz (1,9x1,9<br />

m) aus Stahlblech schmuckloser Betonquader aufgestellt.<br />

Vor den Zugang und axial auf das Zentrum bezogen ist<br />

ein nach außen, auf einen geschotterten ‚Prozessionsweg’<br />

hin vorspringendes Rednerpult aus gleichem Material gestellt.<br />

Etwa 200 m vor dem Rundbau bildet eine breite<br />

Treppe den repräsentativen Zugang, der von niedrigen<br />

Betonmauern – rechts als Brüstung eine Terrasse einfassend<br />

– gerahmt wird. Die im Entwurf noch nicht vorgesehenen<br />

Inschriften aus auf die Mauern gesetzten Bronzelettern<br />

werden erst, wie auch das Kreuz aus Profileisen<br />

am Eingangsbereich, der Lorbeerkranz an der ‚Kanzel’<br />

und eine Portraitplakette des Initiators Wilke 1977, 1979<br />

bzw. 1985 angebracht. Die „verhältnismäßig reizlose Atmosphäre<br />

des gewählten Platzes“ machte eine Gestaltung<br />

des den Bau umgebenen Geländes durch Bepflanzung<br />

erforderlich, damit „man sich für die Gedenkstätte ein<br />

besonderes Milieu schafft und sich durch eigene Räumlichkeit<br />

von der Umwelt abschließt.“ 9 Die gärtnerische<br />

Gestaltung der „Waldwiese“ 10 wurde später ergänzt durch<br />

die Pflanzung einer heute schulterhohen Buchenhecke,<br />

die sich rund um das Ehrenmal und oberhalb der Wangen<br />

des Zugangs hinauf zieht.<br />

Die klare, einfache Formensprache, die mit den geometrischen<br />

Grundformen des Quadrates, des Kreises und<br />

des Dreiecks arbeitet, und die Verwendung des gleichen<br />

Materials für Mauern, Bodenbelag und Gedenkstein, die<br />

durchgängig aus grobem, nachträglich mit Spitzeisen bearbeitetem<br />

Beton bestehen, erzeugt ein durchaus gewolltes<br />

und als dem Zweck des Baus angemessen empfundenes<br />

Pathos der Schlichtheit. „Die einheitliche Behandlung aller<br />

Bauteile soll der Anlage den Ausdruck der Großzügigkeit<br />

und Ruhe geben.“ 11<br />

Obgleich man davon überzeugt war, mit dem gewählten<br />

Beton ein für die Zeit charakteristisches Baumaterial zu<br />

verwenden, zeigt ein typologischer Vergleich rasch, wie sehr<br />

das Ehrenmal einer bis in die 20er Jahre zurückreichenden<br />

Architekturtradition verpflichtet blieb. Bestechend sind<br />

Vergleiche mit anderen Entwürfen dieser Denkmalsgattung,<br />

wie z.B. Robert Tischlers Freikorps-Ehrenmal von<br />

1921-33 (Annaberg / Schlesien), das Schlageter-Nationaldenkmal,<br />

das Clemens Holzmeister 1931 in Düsseldorf<br />

ausführte, oder ein Entwurf von Wilhelm Kreis für ein<br />

„Ehrenmal“ am Dnjepr (um 1939-45). In allen Fällen<br />

handelt es sich um zentral organisierte Rundbauten. Wie<br />

Holzmeister, konzipiert auch Zinsser eine durch einen<br />

Mauerring eingefasste offene Anlage, deren Zentrum in<br />

das umgebende Gelände eingetieft ist. Das Beispiel aus<br />

Schlesien ist gekennzeichnet durch seinen burgartigen<br />

Charakter, der sowohl durch die bossierten Natursteine<br />

des Mauerwerks, als auch durch schlitzartige Wandöffnungen<br />

und vor allem durch die an den äußeren Ring angefügten<br />

Risalite betont wird. Seine isolierte Position auf<br />

einer felsigen Kuppe lässt daran denken, dass auch für das<br />

Luftwaffen-Ehrenmal eine erhöhte Lage vorgesehen war<br />

(Schaumburg, am Lohberg bei Fallingbostel). Antike oder<br />

vorgeschichtliche Tumulus- bzw. Hügelgräber evozieren<br />

Fürstenfeldbruck und das Projekt von Kreis gleichermaßen,<br />

nur, dass am Dnjepr der (steinerne) Kegelstumpf auf<br />

die ringförmige Sockelmauer aufgesetzt ist und oben von<br />

9 Zinsser, Ehrenmal für die Toten der Luftwaffe, Erläuterungsbericht, Typoskript, Hannover 1962, S. 1.<br />

10 Ebda., S. 2<br />

11 Ebda.<br />

81


Architekturhistorische Anmerkungen zum Ehrenmal der Luftwaffe und Luftfahrt in<br />

Fürstenfeldbruck<br />

einer Art Plattform und einer Plastik (ein auf einem Globus<br />

sitzender Adler) gekrönt wird. Das Material war bei<br />

jedem der Beispiele natürlich aussagekräftig gewählt, eine<br />

klare Bevorzugung von Granit für diese Bauaufgabe ist<br />

aber erst in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft<br />

festzustellen, während in der Weimarer Republik die Gattung<br />

noch nicht auf eine bestimmte Materialikonografie<br />

festgelegt war und hier experimenteller Spielraum blieb<br />

(Naturstein, dunkler Klinker). Bemerkenswert ist, dass<br />

eine Sakralisierung des Denkmals, wie sie die Nationalsozialisten<br />

im Rahmen ihrer kultischen Heldenverehrung<br />

propagiert hatten, von Zinsser weitertransportiert wurde,<br />

der sich der Terminologie des christlichen Kirchenbaus<br />

bediente, wenn er von der „Rednerkanzel“ sprach, die<br />

„hier eine ähnliche Funktion [hat,] wie der Lettner in der<br />

Klosterkirche, nämlich die Trennung des Laienschiffs vom<br />

Allerheiligsten.“ Für Zinsser wurde die Wiese vor dem Ehrenmal<br />

folglich zum „Laienschiff“, an der „Kanzel“ vorbei<br />

könne der Besucher den „Weiheraum (Allerheiligstes)“<br />

betreten. 12<br />

Gleichzeitig mit den konkurrierenden Entwürfen wurden<br />

verschiedene Standorte für das Projekt diskutiert, bevor<br />

die Wahl auf Fürstenfeldbruck fiel. Hier war bereits 1935<br />

ein Flugfeld angelegt und ab 1937 mit der Einrichtung<br />

der Luftkriegsschule IV das Zentrum der Offizierausbildung<br />

der Luftwaffe geschaffen worden. Nachdem der<br />

Fliegerhorst mit dem Kriegsende der Kontrolle der USamerikanischen<br />

Besatzungsmacht unterstellt und von ihr<br />

genutzt worden ist, konnte er schließlich 1957 der neu<br />

gebildeten Bundesluftwaffe übergeben werden. 13<br />

Mit der kostenlosen Überlassung eines Geländes in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft zum oberbayrischen Fliegerhorst<br />

durch den damaligen Inspekteur Kammhuber, vermutlich<br />

über die Bundesvermögensverwaltung, war die Standortfrage<br />

bald geklärt. Die Alternativen – ein Gelände bei Fallingbostel<br />

in der Lüneburger Heide und eine Stelle an der<br />

Schaumburg im Weserbergland – erwiesen sich als mit zu<br />

hohem Kostenaufwand verbunden oder zu abgelegen, obgleich<br />

auch hier das Bauland durch den Bund bzw. einen<br />

privaten Grundbesitzer kostenfrei zur Verfügung gestellt<br />

werden sollte und in der Heide im Herbst 1956 (!) sogar<br />

schon Vermessungen vorgenommen wurden. Angeblich<br />

intervenierte schließlich Kammhuber zugunsten Fürstenfeldbrucks.<br />

14<br />

Die für den Bau erforderlichen Mittel wurden in den folgenden<br />

Jahren durch Spenden aus der Luftfahrtindustrie,<br />

der Bundesluftwaffe, und von Traditionsverbänden aufgebracht.<br />

Darüber hinaus gab es, besonders in Bayern und<br />

Schleswig-Holstein, sogar öffentliche Sammlungen und<br />

Spendenaufrufe in der Presse. 15 Mit dieser Finanzierung<br />

und vorbereitenden Erdarbeiten durch eine Pioniereinheit<br />

der Luftwaffe konnte der Auftrag für den Bau an die Firma<br />

Wayss und Freytag aus Augsburg vergeben werden und<br />

am 24. September 1961 inszenierten Wilke und Mahnke<br />

die feierliche Grundsteinlegung. Eine handgeschriebene<br />

Pergamenturkunde gibt Auskunft über die Zielsetzung des<br />

Projekts, „welches zur Ehrung der Toten in den beiden<br />

großen Kriegen 1914-18 und 1939-45 hier am Fliegerhorst<br />

Fürstenfeldbruck entstehen soll.“ Nach dem durch<br />

Schriftgröße hervorgehobenen Versprechen „Ihr seid unvergessen“<br />

folgt ein kurzes Gedenken an den kurz vorher<br />

verstorbenen Ehrenpräsidenten der Stiftung, Generalfeldmarschall<br />

Albert Kesselring, und ein Abriss der bisherigen<br />

Entstehungsgeschichte des Projektes. Weiter unten wird<br />

dann eine Fertigstellung des begonnenen Baus gelobt,<br />

der an jene Soldaten erinnern soll, „die für die Freiheit<br />

Deutschlands gekämpft und das Höchste, sich selbst,<br />

gegeben haben.“ Der Text endet schließlich nach einem<br />

Rekurs auf die gerade errichtete Berliner Mauer und die<br />

Bedrohung der deutschen Freiheit „aus dem Osten“ mit<br />

dem Anruf „Gott schütze Deutschland.“ 16<br />

Ob die Arbeiten tatsächlich in den „nächsten 14 Monaten<br />

zügig vorangetrieben werden“ konnten, wie eine anlässlich<br />

der Auflösung der Stiftung 1988 erschienene kleine<br />

Schrift zum Ehrenmal angibt, ist fraglich, da sich das am<br />

19. Dezember 1961 bei der Bezirksregierung Oberbayern<br />

beantragte Baugenehmigungsverfahren in die Länge<br />

zog. Erst mit der verspäteten Vorlage der erforderlichen<br />

12 Ebda. Die gewählte Begrifflichkeit gewinnt vor dem Hintergrund, dass sich der Hannoveraner Architekt vor dem Krieg mit der Planung der erwähnten „Thingplätze“ und von Freilichtbühnen für kultische Aufführungen befasst hatte,<br />

einen ganz anderen Beigeschmack!<br />

13 W. Merfeld, Kurzgeschichte des Standortes der Bundesluftwaffe Fürstenfeldbruck, Typoskript, Fürstenfeldbruck 1963, S. 1f. Dieser Text ist zusammen mit dem Protokoll der ersten provisorischen Grundsteinlegung 1961 zwei Jahre später<br />

anlässlich des Beginns einer zweiten Bauphase in das Fundament des Gedenksteines vermauert worden. Eine ausführliche Niederschrift darüber ist als ebenfalls von Merfeld zum 18. Oktober 1963 verfasstes dreiseitiges Typoskript (Kopie)<br />

unter den Dokumenten zum Ehrenmal, die sich in der OSLw befinden.<br />

14 Wilke (1962/63): „Verlagerung des Denkmalplatzes an den Fliegerhorst Fürstenfeldbruck bei München auf Drängen des Inspekteurs der Luftwaffe, um der steten, lebendigen Verbindung willen mit der jungen Bundesluftwaffe.“ Nach W.<br />

Merfeld, Luftwaffen-Ehrenmal in Fürstenfeldbruck, Manuskript, Fürstenfeldbruck 1986, S. [7], hatte Wilke mit Kammhuber und dem Bundesminister für Verteidigung „eine Reihe von Standorten“ durchgesprochen.<br />

15 Bis 1966 erreichte das Spendenaufkommen je nach Quelle eine Höhe von 495.000,- bis 505.000,- DM (knapp 253.000-258.000,- €).<br />

16 Die Urkunde ist als verkleinerte Fotokopie den Dokumenten der OSLw über das Ehrenmal beigefügt. H. Jung, Fürstenfeldbruck, Chronik eines Fliegerhorstes (1935-1994), Andechs 1994, S. 87, zitiert Teile des Urkundentextes, lässt aber<br />

bei der oben referierten Passage genau diese wohl inzwischen als problematisch empfundene Stelle aus.<br />

82


ausreichend detaillierten Planzeichnungen am 14. Mai<br />

1963 war der Weg zur Erteilung frei. 17 Unabhängig davon<br />

scheinen die Arbeiten aber schon im Herbst 1962 so weit<br />

vorangeschritten zu sein, dass am 18. November des Jahres,<br />

am Volkstrauertag, die Einweihung der Anlage vorgenommen<br />

werden konnte. In seiner Ansprache erklärte<br />

Wilke: „Unsere Toten haben eine würdige Heimstätte gefunden.<br />

Unvergessen bleibt der Ruhm des deutschen Soldaten,<br />

der in zwei großen Kriegen sich mit seinem Leben<br />

für unser Vaterland eingesetzt hat, als es galt, im ritterlichen<br />

Kampf Volk und Heimat zu schützen.“ 18 Die von<br />

Wilke später in seiner Übersicht über die Geschichte der<br />

Errichtung des Ehrenmals gemachte Angabe, dass bereits<br />

zu dieser Gelegenheit Ansprachen von Kammhuber und<br />

Döpfer gehalten worden seien, beruht offensichtlich auf<br />

einem Irrtum. 19<br />

Dem ersten, wesentlichen Bauabschnitt, der zu diesem<br />

Datum fertiggestellt war, folgen in den nächsten dreieinhalb<br />

Jahren zwei weitere. Zunächst konzentrierten sich die<br />

Arbeiten auf den monumentalen Gedenkstein im Zentrum<br />

der Anlage. An dieser Stelle befand sich zum Zeitpunkt<br />

der Einweihung eine hölzerne Attrappe, die auf die<br />

endgültige Gestaltung des Denkmals vorauswies, ihr allerdings<br />

nicht vollständig entsprach. 20 Dieses Provisorium<br />

wurde im Oktober 1963 durch den bereits beschriebenen<br />

Kiesbetonblock ersetzt. 21 Im Zuge der Fertigstellung des<br />

Denkmalkerns konnte auch die seit der Grundsteinlegung<br />

bei der Standortverwaltung verwahrte zylinderförmige<br />

kupferne Dokumentenkapsel am 18. Oktober 1963<br />

in den Gedenkstein eingesetzt werden. 22 Die anderthalbstündige<br />

Zeremonie wurde offenbar ohne Teilnahme der<br />

Öffentlichkeit in kleinstem Rahmen durchgeführt. Unter<br />

den Beteiligten, die als „Zeugen“ das Protokoll unterzeichneten,<br />

sind, neben dem Leiter der Standortverwaltung<br />

Merfeld, ein Hauptmann Lappe als Vertreter des<br />

Schulkommandeurs, weitere Angehörige der Standortverwaltung<br />

sowie der verantwortliche Polier. Ein Repräsentant<br />

der Stiftung oder der Presse scheint dagegen nicht<br />

teilgenommen zu haben. 23<br />

Der dritte und letzte zusammenhängende Bauabschnitt<br />

fiel in die folgenden zweieinhalb Jahre. Dabei ging es im<br />

wesentlichen um die künstlerische Ausgestaltung des Zugangsbereiches<br />

mit dem Tor und den flankierenden Mauern.<br />

Schließlich konnte das fertiggestellte Ehrenmal im<br />

Mai 1966 im Rahmen einer wiederum großangelegten,<br />

mit einem Großen Zapfenstreich endenden Feier, bei der<br />

die Stiftung als Veranstalter auftrat und in der Durchführung<br />

von der 1. Luftwaffendivision unterstützt wurde, der<br />

Luftwaffe übergeben werden. 24 Neben den bereits oben<br />

genannten Rednern sprach auch Wilke in seiner Funktion<br />

als Vorsitzender der Stiftung. Aus der in der Presse<br />

erscheinenden Paraphrase seiner Rede ist zu erschließen,<br />

dass es sich dabei zumindest teilweise um eine wörtliche<br />

Wiederholung des Urkundentextes von 1961 handelt. 25<br />

Widersprüchlich bleiben Angaben über den Zweck der<br />

Feier. Während in der Einladung allgemein von einer<br />

Übergabe der Anlage „an unsere Luftwaffe“ gesprochen<br />

wird, hieß es in der Presse, sie sei lediglich „in die Obhut<br />

der Luftwaffe“ genommen worden. Dagegen wird später<br />

behauptet, dass „das Luftwaffenehrenmal von der Stiftung<br />

in das Eigentum der aktiven Bundesluftwaffe übergeben<br />

werden konnte.“ 26 Dies ist deswegen bedeutsam, weil ein<br />

in Fotokopie und Abschrift vorliegendes Protokoll belegt,<br />

dass Übergabeverhandlungen zwischen der Stiftung und<br />

der zuständigen Wehrbereichsverwaltung erst im Juli / August<br />

zum Abschluss gebracht und mit der Unterzeichnung<br />

rechtswirksam werden. Eine vermutlich von Wilke 1977<br />

verfasste „Kurze zeitliche Übersicht über die Geschichte<br />

17 Über den Vorgang gibt ein 1964 zu datierendes Schreiben der Wehrbereichsverwaltung VI an das BMVg mit dem Az. 45-10-31-06 ausführlich Auskunft. Danach reichten die dem Baugesuch beigefügten Risse nicht, um die Gestalt des<br />

Monumentes klar zu machen. Dem Projekt wurde mit der Auflage, bis zum 1. März 1962 „gesonderte Pläne im M. 1:10 bzw. 1:1 für die Schrifttafel und das eigentliche Ehrenmal vorzulegen“, zugestimmt. Einer Bitte um Fristverlängerung<br />

seitens der Stiftung und einer weiteren Anmahnung der Behörde folgt schließlich der Ersuch um die endgültige Baugenehmigung Mitte Mai 1963.<br />

18 Wilke (1962/63). In späteren Publikationen wird diese Rhetorik dann bezeichnenderweise auf ein erträgliches Maß reduziert, wenn es etwa bei Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. (1988), S. 16, zu dieser Rede heißt: „Er [d.i. Wilke] sagte<br />

zusammenfassend, unsere Toten haben eine würdige Heim- und Gedenkstätte gefunden.“<br />

19 Der tatsächliche Verlauf der Feierlichkeit geht dagegen aus einem unter den in Fürstenfeldbruck verwahrten Dokumenten erhaltenen Programm hervor, in dem die Festredner namentlich aufgeführt sind.<br />

20 Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. (1988), S. 13f. mit einer Abbildung des Provisoriums, das z.b. wesentlich höher und anlässlich der Feier an der Vorderseite mit einem Eisernen Kreuz geschmückt war. Auch: Jung (1994), S. 96.<br />

21 Dieses „eigentliche Ehrenmal“ war seiner Gestalt nach Anfang 1962 noch nicht festgelegt. Zinsser (1962), S. 1, bietet in seinem Bericht noch eine Plastik als Alternative zum Gedenkstein an.<br />

22 Hierzu und zu den Dokumenten der Kapsel noch hinzugefügten Schriftstücken u.s.w. vgl. das von Merfeld 1963 angefertigte sehr detaillierte Protokoll. Punkt 2. gibt an: „Gemäß der Entscheidung des Stiftungsvorstandes wurde mit dem<br />

2. Bauabschnitt im Oktober 1963 begonnen, der zum Heldengedenktag 1963, am 16.11.1963, fertig sein soll.“ Die Bezeichnung „Heldengedenktag“ reflektiert einmal mehr das geistige Klima, in dem das Ehrenmalprojekt entsteht. Der nach<br />

dem Ersten Weltkrieg durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ins Leben gerufenen Volkstrauertag wurde zunächst am 5. Sonntag vor Ostern begangen, wurde aber erst unter der nationalsozialistischen Herrschaft nationaler<br />

Feiertag. Im Mittelpunkt stand nun nicht mehr Kommemorierung der Toten, sondern die Heldenverehrung. In Absetzung gegen diese Tradition ist seit 1952 der zweite Sonntag vor dem 1. Advent als Volkstrauertag gesetzlicher Feiertag in<br />

der Bundesrepublik. Gedacht wird der Kriegstoten und Opfer von Gewaltherrschaft aller Nationen. Da Merfeld (1963), S. 4, in seiner Kurzgeschichte des Standorts wiederholt diesen geltenden Begriff verwendet, bleibt zu vermuten, dass<br />

er im Protokoll auf eine im Kreis der Veteranen übliche Terminologie referiert. „Volkstrauertag“ allerdings auch bei Wilke (1984), S. 1.<br />

23 Wilke (1984) erwähnt die Zeremonie nicht. Bei Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. (1988), S. 16, heißt es nach einer Aufzählung von Merfelds Ergänzungen des Kapselinhalts knapp: „Das Einsetzen in den Denkmalskern erfolgte am<br />

18.10.1963 in der Zeit zwischen 9.00-10.30.“ Ebenso ist nur an einer Stelle zu in den vorliegenden Dokumenten die Rede von einer Enthüllung des Steins am 16. November 1963. Angaben über Art und Durchführung dieses Ereignisses<br />

fehlen.<br />

24 Quellen für den Ablauf dieser Übergabezeremonie sind die in gedruckter Form vorliegende Einladung durch die Stiftung, ein in den Brucker Nachrichten, Nr. 121, vom 23. Mai 1966, erschienener Artikel, sowie der durch weitere Korrespondenz<br />

und Aktenvermerke zu technischen Einzelheiten ergänzte umfangreiche Umsetzung des Befehls des BMVg FÜ L II 6, Az. 01-52-01, vom 9. März 1966 durch die 1. Luftwaffendivision.<br />

25 Die Brucker Nachrichten, Nr. 121, vom 23. Mai 1963 zitieren aus dem Redetext: „Unsere Toten haben eine würdige Heimstätte gefunden und unvergessen bleibt der Ruhm des deutschen Soldaten, der in zwei großen Kriegen sich mit<br />

seinem Leben für unser Vaterland eingesetzt hat, als es galt, in ritterlichem Kampf Volk und Heimat zu schützen.“<br />

26 Stiftung Luftwaffen-Ehrenmal e.V. (1988), S. 15. Von einer „Übergabe der Gedenkstätte in die Obhut der aktiven Luftwaffe“ sprechen auch Wilke (1984), S. 1, sowie eine auf diesem Text beruhende kurze Übersicht der Entstehung des<br />

Ehrenmals, die von der inzwischen nach Fürstenfeldbruck übergesiedelten Stiftung 1985 zusammengestellt wird.<br />

83


Architekturhistorische Anmerkungen zum Ehrenmal der Luftwaffe und Luftfahrt in<br />

Fürstenfeldbruck<br />

der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt<br />

zu Fürstenfeldbruck“ unterscheidet schließlich dezidiert<br />

zwischen der „Übergabe des Ehrenmals in die Obhut<br />

der Luftwaffe“ am 20. Mai 1966 und einer „Übergabe der<br />

Luftwaffengedenkstätte durch den 1. Inspekteur der Luftwaffe,<br />

General a. D. Josef Kammhuber, München, im Beisein<br />

von Abordnungen aller Waffengattungen von einst an<br />

den Inspekteur der Luftwaffe“ am 13. Mai 1972. 27<br />

In den folgenden Jahren führte die Schule regelmäßig<br />

die Gedenkfeiern zum Volkstrauertag durch. Die Stiftung<br />

tritt an der Schule 1976 noch einmal im Rahmen<br />

der Übergabe eines sogenannten „Ehrenbuchs der Verbände<br />

der deutschen Luftwaffe von 1939-1945“ in Erscheinung,<br />

allerdings scheinen zu diesem Anlass keine<br />

öffentlichen Veranstaltungen am Ehrenmal durchgeführt<br />

worden zu sein. Die Stätte stand schließlich 1977 wieder<br />

im Zentrum eines Treffens der Angehörigen der ehemaligen<br />

Luftwaffe, das zunächst für Mai des Jahres geplant<br />

war. Inzwischen hatte sich das gesellschaftliche Klima in<br />

der Bundesrepublik erheblich verändert. Insbesondere die<br />

Aufarbeitung und Einordnung der Zeit der nationalsozialistischen<br />

Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges wurden<br />

kritisch diskutiert. Diese Stimmung spiegeln, wenn<br />

auch nur ansatzweise, die unter den Dokumenten befindlichen<br />

Weisungen und Briefwechsel wider. Die Affäre um<br />

den wegen seiner Verbindung zur rechtsradikalen Szene<br />

in Verruf geratene Weltkriegskampfflieger Hans-Ulrich<br />

Rudel, in deren Zusammenhang im Oktober 1976 zwei<br />

hohe Offiziere der Bundesluftwaffe ihren Abschied nehmen<br />

mussten, führte schließlich auch zu Missstimmungen<br />

zwischen Stiftung und Schule. 28 Bereits vorher war der für<br />

die Veranstaltung vorgesehene Termin auf den 12./13.<br />

November, also den Volkstrauertag, verschoben worden.<br />

Ob diese Änderung durch die Affäre veranlasst wurde,<br />

geht aus den Unterlagen nicht hervor, ist darüber hinaus<br />

fraglich, da nun die Gedenkfeiern des Vereines und der<br />

Bundesluftwaffe zeitlich eng zusammengerückt oder sogar<br />

gemeinsam begangen werden mussten. Etwas unglücklich<br />

und für die Beteiligten überraschend entschied sich die<br />

Bundeswehr, die Veranstaltung der Stiftung am Feiertag<br />

selbst stattfinden zu lassen und die Zeremonie in eigener<br />

Sache am Abend davor und eine Kranzniederlegung am<br />

13. November unmittelbar vor dem Eintreffen der Veteranen<br />

durchzuführen. 29 Für die Luftwaffe war wichtig, sich<br />

deutlich von den Traditionsverbänden abzusetzen, ohne<br />

aber personelle und materielle Unterstützung für deren<br />

Gedenken zu versagen. 30 Eine Mitschrift der Besprechung<br />

bei Fü L I 3 am 7. November 1977 enthält die Notiz:<br />

„InspLw wünscht rein mil. Veranstaltung, so schlicht wie<br />

möglich ohne Brimborium!“ Man fürchtet dabei weniger<br />

Störungen der Gedenkfeiern von außerhalb, als das<br />

Erscheinen „unerwünschte[r] Personen“, 31 wie etwa Rudels,<br />

auf den in den Dokumenten als „R“ referiert wird:<br />

„Theoretisch wird Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass<br />

‚R’ in Begleitung eines Sympathisanten (aktiver Offz. in<br />

Uniform) Zugang zum Fliegerhorst versuchen könnte. ‚R’<br />

hat zwar abgesagt, aber man glaubt ihm nicht!“ 32 Darüber<br />

hinaus waren Inhalt und Umfang des Totengedenkens<br />

inzwischen bei der Bundesluftwaffe anders als bei den<br />

Traditionsverbänden. Während letztere weiterhin ihre in<br />

den Weltkriegen gefallenen Kameraden sowie im Dienst<br />

zu Tode gekommene Soldaten der Bundesluftwaffe betrauerten,<br />

zielte die Veranstaltung der Luftwaffe auf einen<br />

allgemeiner gefassten Kreis. 33<br />

27 Wilke, Kurze zeitliche Übersicht über die Geschichte der Errichtung des Ehrenmals der Luftwaffe und der Luftfahrt zu Fürstenfeldbruck, Typoskript, Celle 1977. Der zweiseitige Text befindet sich bei den Ehrenmal-Dokumenten der OSLw.<br />

In einer ebenfalls vorliegenden vorherigen Korrekturfassung ist diese Unterscheidung handschriftlich in den zunächst nur von „Übergaben“ sprechenden Text eingefügt.<br />

28 Angedeutet beispielsweise in einem Brief Wilkes an den Befehlshaber im Wehrbereich VI, Generalmajor Frodel, in dem es heißt: „Um es kurz zu machen, um alles auf einen kurzen Nenner zu bringen! Seit wir ein letztes Mal miteinander<br />

korrespondiert haben, hat sich mancherlei getan, darunter wenig erfreuliches.“ Wilke zitiert in einem weiteren wohl an Mitglieder der Stiftung und anderer Traditionsvereine gerichteten Schreiben (29. März 1977) den Präsidenten des<br />

Dachverbands „Deutscher Luftwaffenblock e.V.“, General a. D. K. Student zur Verlegung des Termins: „Die von Ihnen [d.i. Wilke] und Major a. D. H. Schnaars am 8.12.76 in Bonn mit herbeigeführte Entscheidung für den Volkstrauertag 1977<br />

ist angesichts der verworrenen Lage einzig und allein richtig.“ Nach der Veranstaltung (30. November 1977) schreibt der Vorsitzende des „Luftwaffenrings e.V.“ Schnaars an den zuständigen Projektoffizier Oberstleutnant Ewe: „Die Rede<br />

des Herrn Generals [F. Noack] am Sonntag hat bei den früheren Kampffliegern und Fallschirmjägern sowie bei allen anderen Personen eine sehr große Missbilligung hinterlassen.“<br />

29 Dazu die Weisung des Inspekteurs der Luftwaffe vom 12. November 1977 und eine Aktennotiz über ein Telefonat vom 3. November 1977: „Information Kdr OSLw durch O. i.G. Bottke, Fü L I, am 03.11.1977. Anlässlich des Volkstrauertages<br />

1977 findet am Samstag, 12.11.1977, 11.00 Uhr, am Luftwaffenehrenmal Fürstenfeldbruck eine Trauerfeier in Anwesenheit des Inspekteurs und des stv. Inspekteurs der Luftwaffe statt. OSLw stellt Einsatz Luftwaffenmusikkorps sicher.<br />

Das Programm des Deutschen Luftwaffenblocks am 12. und 13.11.1977 läuft gem. Absprache in alleiniger Verantwortung des Deutschen Luftwaffenblocks. OSLw stellt 2 Ehrenposten u. sorgt für Einsatz eines LwMusikkorps;“ vgl. auch die<br />

entsprechende „verkehrsrechtliche Anordnung“ durch das Landratsamt Fürstenfeldbruck (Az. VI/2-140-3/1) vom 9. November 1977. Den Missmut über diese Regelung bringt ein Schreiben des Generals a. D. Peltz vom 16. November 1977<br />

an den Schulkommandeur zum Ausdruck, in dem er sein Erstaunen über die getrennten Feiern beschreibt: „Aus den Gesprächen [...] entnahm ich, dass eine Anordnung des Ministeriums in Bonn vorlag, die diesen uns unverständlichen<br />

Ablauf bestimmte. Da wurde der Truppe befohlen, einen Tag vor dem Totengedenken ein Zeremoniell zu absolvieren, das doch ohne Sinn und Inhalt sein muss, wenn die Angehörigen und Kameraden der zu Ehrenden zu der geplanten<br />

gemeinsamen Feierstunde sich erst einen Tag später versammeln, nämlich am Totensonntag. Sie sollten also nicht dabei sein. Sie können sich unsere Gemütsverfassung vorstellen, nachdem wir begriffen hatten, was hier vorging.“ Etwas<br />

anekdotenhaft referiert Peltz die Entschuldigung des Schulkommandeurs, nicht an der Veranstaltung der Veteranen teilnehmen zu können, da ihm seine Dienstmütze abhanden gekommen und sein Anzug nunmehr unvollständig sei. Auf<br />

diesen Vorfall rekurriert noch ein weiterer Brief Schnaars vom 30. November 1977 und die diesbezügliche Antwort von Oberstleutnant Ewe.<br />

30 Vgl. das Fernschreiben des LwAusbKdo an die OSLw vom 21. Oktober 1977.<br />

31 Fernschreiben des BMVg an die OSLw vom 3. November 1977. An Störungen aus anderer Richtung dachte vermutlich Wilke, der einer Aktennotiz zufolge telefonisch seine „Sorge wegen evtl. Sabotage“ mitteilt. Er habe „schon dreimal<br />

so etwas erlebt.“ Er äußerte sich allerdings schon in einem Brief an den Projektoffizier vom 18. September 1977 zuversichtlich: „Ein Glückszufall will es, dass der 1. Hauptkommissar der dortigen Landespolizei, Herr Heller, ein ehem. KG 2er<br />

ist. Wir sind also in besten Händen bezgl. nötiger Absperrungen, Unterbindung von irgendwelchen Störaktionen und der Verkehrsregelung.“<br />

32 Mitschrift der Besprechung bei Fü L I 3 am 3. November 1977. Weiter wird angeraten: „Maj. a. D. Schnaars sollte erläutert werden, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist, wenn ‚R’ u./od. Gesinnungsgenossen die Veranstaltungen<br />

(Feierstunde / Kameradschaftsabend) zu einer Demonstration missbrauchen. Vielleicht kann Maj. a. D. Schnaars auf Gen. a. D. Wilke Einfluß ausüben.“ Dass die Sorge nicht unberechtigt ist, verrät eine schriftliche Meldung eines als<br />

Besucherführer eingeteilten Leutnants vom 28. November 1977: „Auftragsgemäß wollte ich Herrn Strehle zu den Sitzreihen der Gäste am Ehrenmal führen. Herr Strehle lehnte dies mit der Begründung, er wolle frei fotografieren, ab. Ich<br />

begleitete ihn auf dem Weg hinter das Ehrenmal und versuchte Herrn Strehle zu bewegen, doch zu den vorgeschriebenen Sitzreihen zu gehen. Innerhalb dieses Gespräches sagte Herr Strehle wörtlich: (Zitat) ‚Der Kamerad Rudel kommt<br />

heute.’ Als ich fragte, ob er nicht den Sonntag und die dann stattfindende Trauerfeier des Luftwaffenblocks meine, sagte Herr Strehle wörtlich: (Zitat) ‚Einige Herren werden sich wundern.’ Diese Äußerungen veranlassten mich, OTL Ewe<br />

zu informieren.“<br />

84


Für die Veteranen hielt Hauptmann a. D. und „Kameradschaftsführer<br />

ehemaliger Transportflieger“ Max Fleckenstein<br />

die „vielbeachtete“ 34 Festrede, in der nun auch die<br />

Debatte über die Vergangenheitsbewältigung reflektiert<br />

wird: „Es ist töricht, wenn Neunmalkluge da sagen, sie<br />

sind doch für ein schlechtes Regime gefallen, ihr Tod sei<br />

umsonst, und was man noch alles an Negativem aufbringen<br />

kann in diesen Krämerseelen.“ Schließlich schrieb die<br />

Presse über „gemeinsames Denken – getrennte Feier“ 35<br />

und berichtete: „Unter dem Eindruck psychologischer<br />

Belastungen, die ihren Ursprung in der Entlassung von<br />

Luftwaffengeneralen in Zusammenhang mit der Affäre<br />

um Oberst a. D. Rudel haben soll, stand die diesjährige<br />

Totenehrung am Luftwaffenehrenmal in Fürstenfeldbruck.<br />

Außer einem Musikzug und einer Ehrenwache<br />

nahm kein offizieller Vertreter der Bundesluftwaffe an<br />

der Gedenkfeier teil. Die Luftwaffe hatte ihre Trauerfeier<br />

bereits am Samstag durchgeführt. [...] Die Totenehrung<br />

der Bundesluftwaffe am Samstag hatte unter starken Sicherheitsvorkehrungen<br />

unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

stattgefunden. [...] Keine der befragten Luftwaffendienststellen<br />

wollte Auskunft geben, warum die Soldaten<br />

der Bundesluftwaffe nicht gemeinsam mit den Soldaten<br />

der ehemaligen Luftwaffe der toten Kameraden gedenken.<br />

[...] Privat hatten einige Offiziere durchblicken lassen, dass<br />

unter allen Umständen ein Zusammentreffen mit Oberst<br />

a. D. Rudel vermieden werden sollte. So waren die ehemaligen<br />

Luftwaffensoldaten am Sonntag allein unter sich.<br />

Auch der Landrat und der Bürgermeister hatten es beim<br />

Besuch der Samstagsveranstaltung bewenden lassen.“<br />

Die Form, in der die Bundesluftwaffe die Gedenkstunde<br />

am Ehrenmal durchgeführt hatte, wurde bindend für die<br />

Gestaltung der jährlich zum Volkstrauertag begangenen<br />

Zeremonie. In einem noch im November 1977 gegebenen<br />

Grundsatzbefehl des Schulkommandeurs heißt es zur<br />

Durchführung: „Der geplante Verlauf der Feierstunde hat<br />

dem Ablauf der Feier am 12. November 1977 zu entsprechen.“<br />

Um die Stiftung wurde es hingegen zunehmend<br />

stiller. Kranzniederlegungen fanden allerdings regelmäßig<br />

statt, nicht allein durch die Veteranen – durch die Angehörigen<br />

der ehemaligen „Legion Condor“ immerhin bis<br />

mindestens 1983 36 – sondern ebenso bis in die Gegenwart<br />

durch Vertreter anderer Nationen, wie insbesondere dem<br />

britischen Luftwaffenattaché. Für die Organisation und<br />

Durchführung aller Gedenkveranstaltungen war nach ihrer<br />

Verlegung von Neubiberg nach Fürstenfeldbruck im<br />

Herbst 1977 allein die OSLw zuständig.<br />

Einen reger Briefwechsel und zahlreiche weitere Dokumente<br />

beziehen sich auf eine Reihe von Vorfällen mutwilliger<br />

Beschädigung des Ehrenmals. 1982-1984 werden die<br />

Mauern wiederholt mit Farbe besprüht und ein Besucher<br />

registriert, dass aus der im Sommer 1977 angebrachten<br />

Inschrift „Ihr seid unvergessen“ Buchstaben herausgebrochen<br />

waren. In diesem Zusammenhang wurden von der<br />

Stiftung Absicherungsmaßnahmen – Verbesserung der<br />

Beleuchtung, Absperrungen, sogar Bewachung durch die<br />

Luftwaffe – angemahnt. 37 Gleichzeitig wurden erste Renovierungsmaßnahmen<br />

erforderlich, da beispielsweise Risse<br />

im Beton aufgetreten waren. 38<br />

Die 1984 nach Fürstenfeldbruck verlegte Stiftung, der<br />

nun Generalmajor a. D. Roderich Cescotti vorstand, beschloss<br />

am 13. November 1987 ihre Auflösung, nachdem<br />

ein Jahr zuvor noch eine Feierstunde zum 25-jährigen Bestehen<br />

des Ehrenmals begangen worden war.<br />

Eine Bewertung des Luftwaffen-Ehrenmals im Rahmen<br />

der Memorialkultur der Bundesrepublik ist nicht einfach.<br />

Eine einseitige Interpretation des Baus in Hinblick auf die<br />

mögliche ideologische Orientierung seiner Träger – der<br />

Veteranen – ist schon deshalb zu plakativ, weil sich in den<br />

vorliegenden Schriftstücken immer wieder auch Bekenntnisse<br />

zur demokratischen Grundordnung Westdeutschlands,<br />

beispielsweise in der Bewunderung Adenauers o.ä.,<br />

33 In einem Mitteilungsblatt des „Deutschen Luftwaffenblocks“ ruft zur „Ehrung unserer Toten sowie der im Dienst tödlich verunglückten Angehörigen unserer Bundesluftwaffe“ auf; vgl. auch die Pressemitteilung des „Deutschen Luftwaffenblocks“<br />

vom 24. Oktober 1977. Eine Weisung des Ministeriums („Blauer Brief“ Nr. 1/77) vom 14. September 1977 bestimmt dagegen: „Am zweiten Sonntag im November wird alljährlich der Toten gedacht, die als Opfer beider Weltkriege<br />

ihr Leben lassen mussten. An diesem Volkstrauertag gedenkt die Luftwaffe aber auch ihrer Kameraden, die für die Erhaltung des Friedens in der Bundeswehr gestorben sind. Bei den örtlichen Feierstunden am Volkstrauertag – oder an<br />

dessen Vorabend – ist von allen Kommandeuren in ihren Gedenkansprachen als Abschluß, anschließend an die allgemeine Ehrung der Opfer beider Weltkriege, jener Kameraden des Verbandes zu gedenken, die seit der Gründung der<br />

Luftwaffe im Jahre 1956 in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben einbüßten.“<br />

34 So Wilke in einem Brief vom 6. Mai 1983 an den Leiter Schulstab Oberstleutnant M. Niederfeld.<br />

35 Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 14. November 1977.<br />

36 Wilke in einem Schreiben an den Bundesminister für Verteidigung M. Wörner vom 16. November 1983.<br />

37 Brief Wilkes an den Leiter Schulstab vom 4. Oktober 1983, sowie sein oben bereits zitierte Schreiben an den Verteidigungsminister vom 16. November 1983; Durchschrift eines Briefes von den neuen Vorsitzenden der Stiftung Cescotti an<br />

Zinsser vom 7. Oktober 1984 für den Leiter der Standortverwaltung. Bei diesem beklagt Wilke brieflich bereits am 15. Oktober 1983, dass die gerichtlichen Verfahren eingestellt worden seien: „Das war doch kein Hausfriedensbruch; sondern<br />

Schändung!“ Und in einem Schreiben an den Chefredakteur des Fürstenfeldbrucker Tageblatts betont er am 9. Oktober 1983: „Für mich sind es immer wieder dieselben ‚Reisenden’, die als Chaoten sich dazu hergeben, das Ansehen des<br />

Deutschen Volkes im In- und Ausland durch Verbrecherische Untaten in steigendem Maße zu schmälern und zu schmähen und das alles im Zeichen einer falsch verstandenen Friedensbotschaft schlimmer denn je.“ Kurz vorher hatte<br />

er Einspruch gegen die Einstellung des Verfahrens gegen zwei junge Männer bei der Staatsanwaltschaft am Münchener Landgericht II eingelegt. Die beiden Fürstenfeldbrucker waren im Mai 1983 nachts in das Ehrenmal eingedrungen<br />

und durch die Polizei aufgegriffen worden. Da keine Beschädigung am Bau festgestellt werden konnte, wurden die beiden nach der Aufnahme ihrer Personalien auf freien Fuß gesetzt, die Luftwaffe als Hausherr stellte lediglich Strafantrag<br />

wegen Hausfriedensbruchs; s. Benachrichtigung des Kasernenkommandanten Oberstleutnant W. Ertl an den Leiter der Standortverwaltung Fürstenfeldbruck vom 5. Mai 1983.<br />

38 Diese Maßnahmen einfordernd schreibt Wilke am 6. Juli 1983 an Oberstleutnant Niederfeld: „Wir wollen aber angesichts der Lw.Offz.Schule mit den vielen Offz.Anwärtern usw. keine Ruine dort stehen haben, sondern ein lebendiges<br />

Stück bester deutscher Tradition.“<br />

85


Architekturhistorische Anmerkungen zum Ehrenmal der Luftwaffe und Luftfahrt in<br />

Fürstenfeldbruck<br />

finden lassen. Anders als bei Rudel gewinnt man eher den<br />

Eindruck, dass sich die Geschichte des Ehrenmals vor<br />

dem Hintergrund eines fundamentaler Wandlung unterworfenen<br />

gesellschaftlichen Diskurses abspielt, an dessen<br />

aktueller Ausprägung die Initiatoren des Baus nicht mehr<br />

teilhaben. Obgleich bereits die Himmeroder Denkschrift<br />

vom Oktober 1950 eine wesentliche Grundlage und<br />

Grundvoraussetzung für das Traditionsverständnis der zukünftigen<br />

Bundeswehr formulierte, indem es heißt, „dass<br />

ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht<br />

heute grundlegend Neues zu schaffen ist,“ 39 wird in den<br />

Äußerungen der Angehörigen der ehemaligen Luftwaffe<br />

immer wieder das große Unverständnis gegenüber diesen<br />

Veränderungen spürbar. Ihrem Wertekanon entsprach<br />

vielmehr die durch die besonderen innen- und außenpolitischen<br />

Erfordernisse motivierte Äußerung eines Konrad<br />

Adenauer, der noch sieben Jahre nach Kriegsende feststellen<br />

konnte, dass „der gute Ruf und die große Leistung des<br />

deutschen Soldaten [...] in unserem Volke noch lebendig<br />

sind und auch bleiben werden.“ 40<br />

39 Zitiert nach H.-J. Rautenberg / N. Wiggershaus, Die ‚Himmeroder Denkschrift’ vom Oktober 1950, Karlsruhe 1977, S. 53.<br />

40 Aus einer am 3. Dezember 1952 im Bundestag gehaltenen Rede, zitiert nach L. de Libero, Tradition in Zeiten der Transformation. Zum Traditionsverständnis der Bundeswehr im frühen 21. Jahrhundert, Paderborn u.a., 2006.<br />

86


Prolegomena für ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten<br />

Text:<br />

Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack<br />

Wer es heute unternimmt, durch das slowenische Kobarid<br />

zu wandern, wird – sofern er nicht geschichtsinteressiert<br />

ist – zunächst nicht ermessen können, welche Bedeutung<br />

dieser Ort für die Militärgeschichte besitzt. Kobarid ist<br />

ein kleiner verträumter Ort am Oberlauf der Soca, die<br />

türkisblau an den Bergen Krn und Batognica vorbei nach<br />

Italien fließt. Vor gut 90 Jahren hieß der Ort Karfreit und<br />

die Soca ist auch unter dem Namen Isonzo bekannt geworden.<br />

Hier, so die damalige amtliche k.u.k. Geschichtsschreibung,<br />

fand im Jahre 1917 „das Wunder von Karfreit“<br />

statt. Es war dies die Zurückdrängung der in dieser<br />

Gegend stehenden italienischen Truppen durch die k.u.k.<br />

Armee mit deutscher Unterstützung weit nach Italien hinein.<br />

Mehrere hunderttausend europäische Soldaten haben<br />

sich hier gegenseitig niedergemetzelt. Die aus insgesamt<br />

12 Schlachten bestehende kriegerische Auseinandersetzung<br />

rangiert mit ihren immensen Verlusten knapp hinter<br />

Verdun. Bis heute ist sie in der Erinnerung europäischer<br />

Völker präsent.<br />

Die folgende Abhandlung stellt den Versuch dar, Konturen<br />

eines Projektes zu eruieren, das so keine Vorläufer<br />

besitzt. Sie versucht zu ergründen, welche Rahmenbedingungen<br />

für die Schaffung eines Lese- und Lernbuches zur<br />

europäischen Geschichte bestehen, das für die Soldatinnen<br />

und Soldaten europäischer Armeen geschrieben werden<br />

könnte. Dabei nimmt es Bezug auf andere supranationale<br />

Projekte, die sich beispielsweise mit der Aufarbeitung der<br />

Bedeutung des Zweiten Weltkrieges für die europäische<br />

Zeitgeschichte befasst haben. 1 Ferner ist in den letzten<br />

Jahren ein deutsch-französisches Schulbuch für die gymnasiale<br />

Oberstufe entstanden, in dem es gelungen ist, eine<br />

rein nationale Sichtweise auf die jeweils eigene Geschichte<br />

zu überwinden. 2<br />

Überlegungen zu einem Geschichtsbuch für europäische<br />

Soldaten besitzen derzeit noch werkstattartigen Charakter.<br />

Probleme der didaktisch-inhaltlichen Seite des Vorhabens<br />

scheinen identifizierbar und damit lösbar zu sein.<br />

Gleichwohl muss betont werden, dass es sich um eine<br />

Hans-Hubertus Mack<br />

ambitionierte Aufgabe handelt, bei deren möglicher Realisierung<br />

zahlreiche schwierige Fragen einvernehmlich zu<br />

lösen wären. Kein Zweifel besteht jedoch daran, dass es<br />

sich um ein Zukunftsprojekt handelt, dessen Wertschöpfung<br />

sich schrittweise einstellen würde. Wie bei allem<br />

Neuen, könnte es zunächst Berührungsängste geben, da<br />

ein solches Projekt natürlich in der Lage ist, am eigenen<br />

Selbstverständnis zu rütteln und auch die Behandlung des<br />

Themas „Militärgeschichte in der Vermittlung“ gewissermaßen<br />

auf den Kopf zu stellen.<br />

Gleichwohl ist beabsichtigt, in innovativer Absicht dieses<br />

Thema zu diskutieren, um damit auszuloten, ob es gelingen<br />

könnte, unseren Soldatinnen und Soldaten einen<br />

angemessenen, sprich reflektierten Zugang, zu unserer gemeinsamen<br />

europäischen Geschichte entwickeln zu helfen.<br />

Noch immer kranken zahlreiche Geschichtsprojekte, die<br />

mit dem Etikett „international“ versehen sind daran, dass<br />

sie lediglich nationalgeschichtliche Betrachtungsweisen<br />

zu Sammelbänden zusammenfassen. Diese unangemessene<br />

Sichtweise zu durchbrechen, wäre die Absicht des zu<br />

schaffenden Geschichtsbuches.<br />

1 Vgl. hierzu Jörg Echternkamp und Stefan Martens (Hrsg.), Der Zweite Weltkrieg in Europa. Erfahrung und Erinnerung. Im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Potsdam, Paderborn,<br />

München, Wien, Zürich 2007.<br />

2 Vgl. Histoire/Geschichte. Europa und die Welt seit 1945, Hrsg. von G. Quintrec und P. Geiss, Stuttgart und Leipzig 2006.<br />

87


Prolegomena für ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten<br />

Europa als Raum gemeinsamer Geschichte<br />

Soldaten spielen sowohl in der Täter- als auch in der<br />

Opferperspektive der Militärgeschichte eine bedeutende<br />

Rolle. Sie gehören als Teil der Exekutive dem staatlichen<br />

Gewaltmonopol an. Auch wenn die Zeiten vorbei zu sein<br />

scheinen, in denen Soldaten die Hauptlast der Kriegsereignisse<br />

und -folgen zu ertragen haben, so wächst den<br />

Vertretern der bewaffneten Macht eines Staates in der<br />

Herstellung und Bewahrung des Friedens heute ein hohes<br />

Maß an Verantwortung zu, das manchmal den für den<br />

jeweiligen Dienstgrad vorgesehenen Handlungs- und Verantwortungsrahmen<br />

bei weitem übersteigt. Die geistige<br />

Beweglichkeit und Ambiguitätstoleranz, die heute gefordert<br />

werden, müssen durch eine entsprechend prägende<br />

Lernkultur, die den ganzheitlichen Menschen zum Gegenstand<br />

hat, angelegt werden. Nur wenn Soldaten Maßstäbe<br />

zur sachgerechten Beurteilung und Bewertung von<br />

historischen Ereignissen und Phänomenen besitzen, kann<br />

deren Einordnung in das jeweilige Weltbild möglichst<br />

bruchlos erfolgen.<br />

Die Frage, wie wir unsere eigene (deutsche) Geschichte in<br />

Europa einbringen wollen, und wie wir uns als europäische<br />

Nationen darin aus unterschiedlichen Perspektiven<br />

kommend, miteinander verständigen oder noch besser<br />

verstehen wollen, steht heute in einem gesamteuropäischen<br />

Kontext zur Beantwortung an.<br />

Besonders dringlich wird die Aufgabe der sachgerechten<br />

Einordnung von Geschichte, wenn wir im Rahmen friedensunterstützender<br />

militärischer Operationen unter europäischem<br />

Mandat in andere Kulturräume vordringen<br />

und uns möglicherweise die vorgängige Geschichte unserer<br />

Vorfahren an diesen Orten ins Bewusstsein tritt. Wie<br />

also sollen Soldatinnen und Soldaten reagieren, wenn sie<br />

an jedweden Orten der Welt der Geschichte ihrer Nationen<br />

begegnen?<br />

Unterschiedliche methodische Zugänge zu gemeinsam erlebter<br />

Geschichte kennzeichnen die moderne Geschichtswissenschaft.<br />

Sie betreffen natürlich zunächst solche Ereignisse,<br />

die als Zäsuren oder Epochenumbrüche stark<br />

in die Lebenswelt der Menschen eingegriffen haben und<br />

mehrere Generationen zur Stellungnahme herausforderten.<br />

Um was es beispielsweise bei der Europäisierung der<br />

Zeitgeschichte in der Weltkriegsforschung geht, das zeigt<br />

der neuerlich von Jörg Echternkamp und Stefan Martens<br />

beschrittene Weg kollektiver Formen der Erfahrung und<br />

Erinnerung an solche Traumata, der das Blickfeld über<br />

eine rein nationale Geschichtsbetrachtung hinaus erweitert<br />

und neue Einsichten zu vermitteln in der Lage ist. Die<br />

Frage, ob und wie der Weltkrieg im Bewusstsein der Menschen<br />

auch über das eigentliche Datum seiner Beendigung,<br />

dem Mai 1945, hinauswirkt, lässt schablonenhafte Einteilungen<br />

der Epochen von Zeitgeschichte obsolet werden<br />

und eröffnet die Chance, der Geschichtsbetrachtung eine<br />

europäische Dimension zu verleihen, indem nicht nur das<br />

„Eigene“ eine Rolle spielt, sondern auch das „Andere“ in<br />

den Blick gerät. Eine in diesem Sinne vorangetriebene<br />

Geschichtsbetrachtung kreist nicht nur um die eigene Bevölkerung<br />

und deren Schicksal, sondern bezieht auch das<br />

Leiden und die Erfahrungen anderer europäischer Bevölkerungen<br />

in die Betrachtungen ein. „Eine Europäisierung<br />

des Geschichtsbildes“, so die beiden Historiker, „kann<br />

daher allein auf ein compositum mixtum hinauslaufen,<br />

das nur dann eine lebendige, identitätsstiftende Wirkung<br />

entfalten kann, wenn es gelingt, die spätestens seit dem<br />

Aufstieg des Nationalismus im 19. Jahrhundert bekannten<br />

Inklusions- und Exklusionsmechanismen weitgehend<br />

außer Kraft zu setzen. Auch vor diesem Hintergrund kann<br />

eine europäische Weltkriegsforschung ihren Beitrag leisten:<br />

nicht als Legitimationswissenschaft des ‚Projektes Europa‘,<br />

sondern als ein Reservoir an historischem Wissen,<br />

aus dem eine Europäische Zeitgeschichte schöpfen kann,<br />

auch in der Praxis des Geschichtsunterrichts und der musealen<br />

Vermittlung.“ 3<br />

Wenn wir also gemeinsame europäische Geschichte erfahrbar<br />

machen, dann erkennen wir auch, dass Leiden und<br />

Sterben, Flucht und Vertreibung, Aufstieg und Fall nicht<br />

3 Vgl. Echternkamp/Martens, a.a.O., S. 13.<br />

88


nur rein nationale Angelegenheiten sind; zugleich ergibt<br />

sich auch die Chance, das Maß an eigener Verantwortung<br />

oder gar Schuld zu erkennen. Man kann beurteilen, ob es<br />

mögliche Handlungsspielräume gab und wie und ob sie<br />

genutzt wurden und schließlich gewinnt man die Möglichkeit,<br />

eine Zukunftsperspektive zu entwickeln, die auf<br />

einigermaßen realistischen Annahmen beruht. Was für<br />

ein Bild von Europa wir dann entwickeln wollen, hängt<br />

von der Frage ab, was aus dem Prozess gemeinschaftlicher<br />

Geschichtsbetrachtung mitzunehmen ist. Europa dabei<br />

ausschließlich als den Ausgangs- und Fluchtpunkt einer<br />

zwangsläufigen politisch-historischen Entwicklung sehen<br />

zu wollen, greift jedoch zu kurz.<br />

Bis heute ist Europa ein Kontinent, der nicht klar begrenzt<br />

werden kann. Es ist ein Raum der Pluralität, des Nebeneinander<br />

unterschiedlichster Kulturen und Geschichten,<br />

vor allem aber ist es für seine Völker ein Schicksalsraum.<br />

Aus dem, was auf diesem Kontinent im Namen der Völker<br />

passiert ist, gibt es kein Entrinnen. Die nacheilende Wirkung<br />

der eigenen Geschichte ergreift derzeit viele <strong>Gesellschaft</strong>en,<br />

und es werden heute Diskurse angestoßen, die<br />

noch vor Jahren unmöglich gewesen wären.<br />

Ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten sollte als<br />

ein zentrales Anliegen Verständnis für das Einigungswerk<br />

Europas erzeugen helfen. Sowohl die Schaffung von funktionierenden<br />

Rechts- und Sozialstaaten der Mitgliedsländer<br />

als auch deren Integration in Europa ist eine der<br />

größten kulturellen Leistungen, die europäische Völker je<br />

erbracht haben. Der Weg nach Europa ist gekennzeichnet<br />

durch Herausforderungen, Erfolge und Rückschläge.<br />

Einer der Kernpunkte des im Ganzen erfolgreichen Einigungsprozesses<br />

ist die strukturelle Lösung der Sicherheitsfrage<br />

zwischen den europäischen Staaten. Was unterscheidet<br />

Europa in dieser Hinsicht von allen anderen Plätzen<br />

der Welt? Einer Antwort hierauf auf die Spur zu kommen,<br />

erfordert es, das Funktionsprinzip des europäischen Einigungswerkes<br />

in wenigen Zügen nachzuzeichnen. Eine<br />

solche Betrachtung gibt aus Sicht des Verfassers den Rahmen<br />

dafür ab, vor dem ein so ungewöhnlicher Beitrag zur<br />

historischen Bildung verstanden werden könnte. Deshalb<br />

soll es didaktischen und ersten groben inhaltlichen Überlegungen<br />

vorangestellt werden.<br />

Die Vergemeinschaftung der Sicherheit in Europa<br />

Das Einigungswerk der Europäischen Union gibt vordergründig<br />

manchen Anlass zu Enttäuschungen; manche<br />

bemängeln lautstark das Demokratiedefizit der Gemeinschaft,<br />

andere befürchten das nahende Ende des Nationalstaates.<br />

Fragen des nationalen Prestiges und schlichtweg<br />

nationale Interessen konterkarieren in manchen Politikbereichen<br />

eine wirklich vernünftige Regelung. Nur wenige<br />

sind bereit, in der europäischen Integration einen im Ende<br />

offenen, aber durch gemeinsame Werte geleiteten Prozess<br />

zu erkennen. So leistete etwa die versagte Zustimmung<br />

der Iren zum Reformvertrag den Europa-Skeptikern Vorschub.<br />

Natürlich wäre es schöner gewesen, hätten die Bürger<br />

der Union gemeinschaftlich dieses wichtige Papier des<br />

Konsenses durchgewunken und die Union damit fit für<br />

das 21. Jahrhundert gemacht.<br />

Befindet sich also Europa wieder einmal in der Krise? Viel<br />

Arbeit wird erforderlich sein, um den stotternden Motor<br />

der Integration wieder zum geräuschlosen Laufen zu<br />

bringen, aber es ist doch keineswegs zu verkennen, dass<br />

Europa insgesamt eine enorm positive Gesamtbilanz vorzuweisen<br />

hat. Ein Thema dieser Erfolgsgeschichte ist die<br />

immer deutlicher an Gestalt gewinnende Vergemeinschaftung<br />

der Sicherheit.<br />

Dieser Prozess hat den Kontinent aus jahrhundertelangen<br />

zwischenstaatlichen Kriegen heraus in eine Lage versetzt,<br />

die als strukturell befriedet bezeichnet werden kann. „Die<br />

größte Errungenschaft des Europäischen Integrationsprozesses“,<br />

so schreibt Gerhard Brunn mit Blick auf die<br />

Fähigkeit des europäischen Umgangs mit Krisen “ist möglicherweise<br />

die damit entstandene Kultur des Konfliktmanagements.<br />

Sie stellt sicher, dass alle Konflikte zwischen<br />

89


Prolegomena für ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten<br />

den Mitgliedstaaten der EU ohne Gewalt und Gewaltandrohung<br />

bearbeitet werden. Das macht die EU zu einer<br />

Friedensgemeinschaft, in der Krieg zwischen den Mitgliedern<br />

nicht nur undenkbar, sondern auch strukturell<br />

unmöglich geworden sind. Ihr Erfolgsgeheimnis besteht<br />

in dem permanenten institutionalisierten Verhandlungsund<br />

Konsensfindungsprozess von Politikern, Beamten,<br />

Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft, in dem nationale<br />

und gemeinschaftliche Interessen verhandelt und<br />

zusammengeführt werden.“ 4<br />

Der Prozess der europäischen Vergemeinschaftung (Integration)<br />

kommt auf leisen Sohlen daher. Er hat inzwischen<br />

ein beachtliches Ausmaß erreicht, auch wenn die letzten<br />

Erweiterungen die Scharniere der Gemeinschaft zum<br />

Knirschen gebracht haben. So scheint es, als hätten sich<br />

die Abstimmungs- und Regelungsprozesse auf Grund veränderter<br />

Parameter innerhalb der Gemeinschaft eher verlangsamt.<br />

Ist die EU in ihrem Einigungsprozess vorläufig<br />

an Kapazitätsgrenzen gestoßen?<br />

Vom politisch-wirtschaftlichen Gewicht her sehen manche<br />

in Europa einen „global player“, wieder andere unterstellen<br />

ihm die Ambitionen eines „benevolent empire“ 5 , und<br />

es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dieses dennoch<br />

politisch stabil organisierte Gebilde, das den Nationalstaat<br />

keineswegs abgeschafft, aber eingehegt hat, sich langsam<br />

tastend in der Verbreitung seiner Kernbotschaften, die da<br />

heißen: Menschenrechte, wirtschaftliche Prosperität, politische<br />

Stabilität weiter ausdehnt. Die Europäische Union<br />

setzt in nicht wenigen Staaten – vor allem den noch<br />

jungen europäischen, aber auch solchen, die eine Zugehörigkeit<br />

in naher Zukunft anstreben – den Traum frei,<br />

dass deren Bewohner ein besseres Leben in Freiheit und<br />

Rechtssicherheit haben werden, und sie mit ihrer Hände<br />

Arbeit zumindest einen bescheidenen Wohlstand erwirtschaften<br />

können. Vielleicht schafft es die Union gar, aus<br />

den Konfliktzonen ihrer Ränder eines Tages ganz normale,<br />

unauffällige Landstriche zu machen.<br />

Je mehr sich die Europäische Union erweiterte, desto bedeutungsvoller<br />

wurde die Frage einer eigenen Sicherheitsagenda,<br />

der ein eigenes Sicherheitsinteresse zugrunde lag.<br />

Die Projektion von Sicherheit wurde durch Assoziation<br />

und Stabilisierung gewährleistet. Dabei kam, wie am Beispiel<br />

des Balkan deutlich wird, immer das gesamte Spektrum<br />

von Hilfsmassnahmen zum Einsatz. Nicht nur die<br />

große Erweiterung der Gemeinschaft im Jahre 2004, bei<br />

der unter anderem acht ehemals osteuropäische Staaten,<br />

aber auch Zypern und Malta Eingang in die EU fanden,<br />

sondern auch Maßnahmen, die in die Peripherie der Gemeinschaft<br />

strahlen (z.B. das ENP [Europäische Nachbarschaftsprogramm]<br />

von 2004 oder das unlängst in Angriff<br />

genommenen Projekt der Mittelmeerunion) sind dazu in<br />

der Lage, mittelfristig einen befriedeten Saum der Gemeinschaft<br />

in den Raum noch politisch wenig gefestigter<br />

und/oder gefährdeter Regionen hineinzuschieben. Bezüglich<br />

ihrer Fähigkeit, ein eigenes sicherheitspolitisches<br />

Profil zu gewinnen, hat die Union bereits in der Vergangenheit<br />

manche wichtigen Schritte unternommen (GASP<br />

und ESVP), aber auch in der Praxis des Einsatzes erreicht<br />

sie ihre Ziele weitgehend und bisher ohne größere Zwischenfälle<br />

(z.B. Operation Artemis). Gleichwohl bleiben<br />

auch die Grenzen europäischer Möglichkeiten sichtbar.<br />

Die Bildung einer gemeinsamen europäischen<br />

Identität<br />

Vor allem im Verhältnis der Europäischen Union zur<br />

NATO ist immer wieder die Rede davon, dass Europa in<br />

seinen militärischen Strukturen und Fähigkeiten eine eigene<br />

Verteidigungsidentität 6 schaffen müsse, die es ermöglicht,<br />

zu einer echten Lastenteilung der Sicherheitsagenda<br />

beizutragen, ohne dabei Redundanzen zur Struktur der<br />

NATO zu schaffen. Dabei bietet die EU den strukturellen<br />

Vorteil, dass sie politische, wirtschaftliche und militärische<br />

Mittel, verbunden mit einer Früherkennung von Krisenzuständen<br />

besitzt, wie sie zur nachhaltigen Bekämpfung<br />

von Situationen der Instabilität benötigt werden. Offenbar<br />

hat sich nun eine Verteidigungsidentität Europas in<br />

4 Gerhard Brunn, Die europäische Einigung von 1945 bis heute. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Band 472, Bonn 2005, S. 307.<br />

5 Vgl. hierzu Alan Posener, Imperium der Zukunft. Warum Europa Weltmacht werden muss, München 2007.<br />

6 Vgl. hierzu neuerlich Dieter Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik? Europa, die deutsche Luftwaffe und der Strategiewechsel der NATO 1958 bis 1968 in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2/2008, S. 225.<br />

90


ihrem organisatorischen Kontext bereits als eine Tatsache<br />

abgezeichnet. Ein Bündnis demokratischer Staaten West-,<br />

Mittel- und Osteuropas hat eigene sicherheitspolitische<br />

Ziele neben jenen der NATO identifiziert und sich dazu<br />

eine notwendige Organisationsstruktur aufgebaut. Nun<br />

stellt sich die Frage, wie die in den Streitkräften der europäischen<br />

Staaten dienenden Soldatinnen und Soldaten<br />

darin unterstützt werden können, einen dieser gewachsenen<br />

Verantwortung entsprechenden Handlungs- und<br />

Erwartungshorizont auszubilden. Neben eine nationale<br />

Identität muss eine solche treten, die sinnstiftendes und<br />

reflektiertes Handeln in europäischer Absicht ermöglicht,<br />

sprich: es muss so etwas wie eine „Europäische Identität“<br />

wachsen.<br />

Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Inneren<br />

Führung und deren zeitgemäßer Ausgestaltung<br />

angesichts neuer Erfordernisse hat Generalmajor Robert<br />

Bergman treffend auf den Umstand hingewiesen, dass sich<br />

auch die Innere Führung nicht nur der Internationalität,<br />

sondern auch der Europäisierung stellen muss. Er schreibt<br />

hierzu: „Besondere Bedeutung für die künftige Weiterentwicklung<br />

der Inneren Führung kommt dem Projekt<br />

der Europäisierung nationaler Streitkräfte im Zuge der<br />

angestrebten Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

zu. ... Als Ergebnis einer multinationalen<br />

Führungsphilosophie könnte sich ein europäisches Leitbild<br />

abzeichnen.“ 7<br />

In ihrer engen Verquickung zur Inneren Führung könnte<br />

möglicherweise einer in diesem Sinne betriebenen historischen<br />

Bildung als Prozess die Aufgabe zukommen, Hilfestellung<br />

bei der Ausprägung eines solchen Leitbildes zu<br />

leisten und darüber hinaus zu einem gemeinsamen europäischen<br />

Geschichtsbewusstsein beitragen.<br />

Individuelle historische Identitäten in der<br />

Veränderung<br />

Betrachten wir vom Einzelnen ausgehend zunächst die<br />

Bedingungen, die geschaffen werden müssen, damit sich<br />

reflektiertes historisches Lernen überhaupt vollziehen<br />

kann. Der Philosoph Karl Jaspers hat das Ziel, mit dem<br />

man Geschichte in der Vermittlung betreiben kann, sehr<br />

einprägsam auf den Punkt gebracht, wenn er sagt: „Unwahre<br />

Geschichtlichkeit bloß verstehender Bildung ist der<br />

Wille zur Wiederholung, die wahre aber die Bereitschaft,<br />

die Quelle zu finden, welches jedes und darum auch das<br />

gegenwärtige Leben nährt. Dann entsteht ohne Absicht<br />

und Plan jene Aneignung; unabsehbar ist, welche verwirklichende<br />

Macht der Erinnerung innewohnt. Die heutige<br />

Situation mit ihrer Gefahr des Abreißens der Geschichte<br />

fordert auf, die Möglichkeit dieser Erinnerung bewußt zu<br />

ergreifen.“ 8<br />

Die bereits in den ausgehenden zwanziger Jahren des letzten<br />

Jahrhunderts durch Jaspers erkannten gesellschaftlichen<br />

Bedingungen muten auch heute noch erstaunlich modern<br />

an. Wenn wir über die Folgen der Moderne in ihren wesentlichen<br />

wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen<br />

Bedingungen nachdenken, so wird uns gerade im Moment<br />

der Krise vor Augen geführt, dass die Postmoderne neue<br />

Antworten auf einen verloren gegangenen Konsens in Fragen<br />

der Gerechtigkeit und Wahrheit fordert. 9 Folgerichtig<br />

muss man die Postmoderne auch als Handlungsrahmen<br />

für Maßnahmen der historischen Bildung zugrunde legen.<br />

In dieser sind verlässliche Strukturen, auf die sich Individuen<br />

in ihrer Lebensorientierung berufen könnten, diffus,<br />

ja teilweise sogar zerbrochen. Folgt man soziologischen<br />

oder anderen wissenschaftlichen Erklärungsversuchen des<br />

heutigen gesellschaftlichen Wandels, so hat beispielsweise<br />

die soziale Beschleunigung, der nahezu alle Lebensbereiche<br />

unterworfen zu sein scheinen, die Zeit förmlich verflüssigt;<br />

der „time flow“ ist das vorherrschende Medium,<br />

auf dem Lebenssinn konstituiert werden muss. 10 Worauf<br />

also können Soldatinnen und Soldaten ihre Vorstellungen<br />

von einer erstrebenswerten Zukunft gründen? Taugen ihnen<br />

die Verheißungen der Moderne noch dafür? Allein die<br />

wachsende Zahl der Appelle an Erziehung und Bildung<br />

machen deutlich, dass sich unsere <strong>Gesellschaft</strong> ihrer selbst<br />

nicht mehr sicher zu sein scheint.<br />

7 Robert Bergmann, Zeitgemäße Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Inneren Führung, in: IF plus, Beilage zur Zeitschrift für Innere Führung 1/2008, S. 12.<br />

8 Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, 9. Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage, Berlin und New York 1999, S. 113.<br />

9 Vgl. hierzu den sehr anregenden und auf die Verhältnisse von postmodernen Armeen zugeschnittenen Beitrag von Edwin R. Micewski und Barbara Schörner, Streitkräfte in der Postmoderne, in: ÖMZ, 3/2007, hier vor allem S. 271.<br />

10 Vgl. hierzu die besonders aufschlussreiche Darstellung von Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main 2005.<br />

91


Prolegomena für ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten<br />

Besonderen Einfluss auf das Selbstverständnis in postmodernen<br />

Streitkräften Dienender hat das sich rasant<br />

wandelnde Verhältnis von <strong>Gesellschaft</strong> und Militär<br />

schlechthin. Die förmliche Entgrenzung des Einsatzraumes<br />

heutiger Armeen – auch dem der Bundeswehr (siehe<br />

hierzu etwa das immer wieder gerne erwähnte Zitat,<br />

nach dem die Sicherheit der Bundesrepublik am Hindukusch<br />

verteidigt wird) – führt die Streitkräfte förmlich<br />

aus dem Land hinaus, das verteidigt werden soll, hin zu<br />

Maßnahmen präventiver Sicherheitspolitik anderenorts.<br />

Die hiervon Betroffenen unterliegen jedoch nach wie vor<br />

dem menschlich verständlichen vitalen Bedürfnis für das,<br />

was sie tun, Sinn zu begründen. Insofern unterscheiden<br />

sie sich nicht von den Mitgliedern anderer Generationen.<br />

Allerdings fordern junge Menschen heute sinnhaftes Tun<br />

viel selbstbewusster als früher ein, weil sie in einer postmodernen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> darauf hoffen können, in einem<br />

Nebeneinander unterschiedlicher Lebensentwürfe akzeptiert<br />

zu werden.<br />

Geschichtsbewusstsein als Kategorie ist der in der modernen<br />

Geschichtsdidaktik gebräuchliche Begriff für den<br />

vielerorts noch benutzten Begriff der „historischen Bildung“.<br />

Gemeint ist hiermit ein lebenslanger Prozess des<br />

Individuums, in dem dieses in die Lage versetzt wird,<br />

Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftserwartung<br />

in ein stimmiges Ganzes zu bringen. Es<br />

geht in der Individualentwicklung darum, Zeiterfahrungen<br />

mit Sinn zu verknüpfen, es geht um Sinnstiftung auf<br />

der Achse der Zeit. Das ist in nicht nur in unserer <strong>Gesellschaft</strong><br />

mit dem ständigen Zwang zur Anpassung der Identitäten<br />

gerade für unsere Soldatinnen und Soldaten nicht<br />

leicht. Noch „gestern“ waren die Fähigkeiten gefragt, im<br />

Gefecht der verbundenen Waffen in herkömmlichen Gefechtsarten<br />

kämpfen zu können, heute geht es vorrangig<br />

darum, Krisen in allen Teilen der Welt im Rahmen vernetzter<br />

Operationsführung zu beherrschen und nachhaltig<br />

einzudämmen. Dabei muss beachtet werden, dass die<br />

Identitäten unserer Soldatinnen und Soldaten weitgehend<br />

ausgebildet sind, wenn sie zur Armee kommen. Sie werden<br />

als Konstrukt durch zahlreiche unterschiedliche psychologische<br />

Prozesse konstituiert. Sie gegebenenfalls einer<br />

neuen Orientierung zu öffnen, erfordert einen zielgerichteten<br />

Lernprozess, in dem es darum gehen muss, die Enge<br />

einer möglichen Fixierung auf eigene Lebensweltbezüge<br />

zu relativieren oder auch kollektiv vermittelten Deutungsmustern<br />

kritisch gegenüber zu treten.<br />

Wozu Geschichte in den unterschiedlichen Staaten Europas<br />

möglicherweise dient, muss offengelegt werden,<br />

Mythen müssen dekonstruiert, gemeinsame, tief in das<br />

Selbstverständnis der Nationen eingreifende Ereignisse<br />

müssen möglichst kollektiv erinnert werden. Vor allem<br />

nationale Geschichtskulturen müssen auf den Prüfstand<br />

gestellt werden, damit die Annahmen, auf denen sie fußen,<br />

für alle verständlich werden. Die aktive Teilnahme an<br />

den in den <strong>Gesellschaft</strong>en geführten Diskursen über die<br />

eigene nationale Geschichte muss ermöglicht werden.<br />

Ergebnis eines solchen Prozesses sollte es sein, dass die in<br />

diesen Prozess Eingebundenen die Befähigung zur Rollenflexibilität<br />

und Identitätsbalance erwerben. 11 Nähert man<br />

sich der Frage an, welche konkrete Fähigkeit mit der Entwicklung<br />

des Geschichtsbewusstseins gelernt werden soll,<br />

damit die Orientierungsfähigkeit der vorgängig beschriebenen<br />

Sinnstiftung gegeben ist, so weist der Geschichtsdidaktiker<br />

Jörn Rüsen auf die Fähigkeit, historisch zu<br />

erzählen, hin. Durch diese Fähigkeit der narrativen Kompetenz<br />

sei es dem Menschen möglich, sich in der Zeit zu<br />

orientieren.<br />

„Historisches Lernen muß zu einem engagierten Geschichtsbewusstsein<br />

führen, da dieses eine Orientierungsfunktion<br />

wahrnehmen muß, in der die eigene Identität<br />

der Lernenden auf dem Spiel der Interaktion mit anderen<br />

steht. Geschichte lernen heißt, sie so erzählen zu lernen,<br />

daß man in und mit ihr die Anerkennung findet, ohne die<br />

man nicht man selber sein will oder kann. Nun kann ein<br />

solches Engagement des Geschichtsbewußtseins auf ganz<br />

verschiedene Weise ausgeprägt werden, je nachdem, wie<br />

sich in ihm die jeweils auf dem Spiel stehende Identität<br />

11 Vgl hierzu im Einzelnen die Ausführungen von Jörn Rüsen, Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen, Köln, Weimar und Wien 1994, S. 48.<br />

92


zur Sprache bringt. Besonnenheit meint eine Orientierung,<br />

die auf der Fähigkeit beruht, sich im historischen<br />

Erzählen auf diskursive Weise ins Spiel zu bringen. Hier<br />

ist das Geschichtsbewußtsein nicht auf eine zwanghafte<br />

oder gewaltsame Selbstbehauptung mit allen schmerzhaften<br />

Folgen für die Beteiligten reduziert, sondern es ist<br />

aufgrund eines Lernprozesses in Bewegung geraten: Es hat<br />

sich geöffnet auf einen dauernden Zuwachs an Zeiterfahrungen,<br />

die in einer ständigen Bewegung zwischen der Erfahrung<br />

des Andersseins der anderen und der Behauptung<br />

der Eigenen verarbeitet werden.“ 12<br />

Im Menschen selber werden im Rahmen der Sozialisation<br />

immer schon historische Identitätsanteile sedimentiert.<br />

Sich dieser persönlichen, förmlich automatisch im Prozess<br />

des Daseinsvollzuges angelegten Bestandteile bewusst zu<br />

werden und zudem die verschiedenen Deutungen über<br />

Ereignisse der Geschichte innerhalb der eigenen <strong>Gesellschaft</strong><br />

zur Kenntnis zu nehmen, ist bereits eine große Leistung<br />

des Individuums, zu der dieses durch Lernprozesse<br />

befähigt werden muss. Erst die Fähigkeit, beide Perspektiven<br />

einer kritischen Geschichtsbetrachtung vollziehen zu<br />

können, sich also sowohl der eigenen, bereits angelegten<br />

Bestandteile kritisch zu nähern als sie auch historisch erzählend<br />

– diskursiv – in der Welt zu verhandeln und dabei<br />

vorgegebene Deutungen zu durchleuchten, das wäre<br />

ein zugegeben hohes, aber anzustrebendes Ziel des Geschichtsbewusstseins.<br />

Eine große Anforderung und das eigentlich Neue für das<br />

Geschichtsbewusstsein der europäischen Soldatinnen und<br />

Soldaten wäre in dem hier behandelten Kontext nun, ganz<br />

gezielt im weiter oben dargelegten Sinne am dauernden<br />

„Zuwachs an Zeiterfahrung“ anderer Nationen zu partizipieren.<br />

Dieser Zuwachs an Zeiterfahrung könnte eine Horizonterweiterung<br />

darstellen und müsste durch die gezielte<br />

Initiierung von Diskursen der Betroffenen miteinander<br />

verstetigt und vertieft werden. Dies wiederum könnte in<br />

Lernsituationen geschehen, in die man europäische Soldatinnen<br />

und Soldaten hineinversetzt. Auch wenn dieser<br />

Vorschlag natürlich den Rahmen des hier behandelten<br />

Kontextes – der Erstellung eines Lese- und Lernbuches –<br />

übersteigt, so wird er für eine nachhaltige Form des Kennenlernens<br />

unterschiedlicher historischer Perspektiven im<br />

europäischen Kontext gehalten, die vorzugsweise in geeigneten<br />

Foren stattfinden könnten. Solche Foren existieren<br />

bereits für unterschiedliche Ausbildungsbelange. 13 Es<br />

müsste geprüft werden, in welcher Weise Themen gemeinsamer<br />

Geschichte dort eingebracht werden könnten.<br />

Kollektive historische Identitäten in europäischer<br />

Perspektive<br />

Individuelle Voraussetzungen des Erwerbs speziell auf das<br />

historische Urteil gerichteter Kompetenzen beschreiben<br />

jedoch nur einen, wenngleich auch wichtigen Teil, durch<br />

den das Geschichtsbewusstsein nachhaltige Prägung erfährt.<br />

Individuelles Geschichtsbewusstsein hat sich stets<br />

auch mit einer kollektiv definierten Auffassungen vom<br />

Verlauf der Geschichte auseinanderzusetzen. Solche lassen<br />

sich in universalen Geschichtsbildern finden, wie sie im<br />

Bewusstsein und in der Kultur der europäischen Nationen<br />

verankert sind und zum kulturellen Gedächtnis der<br />

Völker gehören. Sie bilden gleichsam die Folie, vor deren<br />

Hintergrund sich die Sinnstiftung über die Zukunftserwartungen<br />

vollzieht, und sie sind am treffendsten mit dem<br />

Begriff des Weltbildes bezeichnet. 14<br />

Dabei sind diese keinesfalls genaue Abbildungen dessen,<br />

was historisch wirklich passiert ist, ja sie können sogar<br />

schlichtweg falsch sein, aber sie stellen eine bisweilen<br />

stabile und auch veränderungsresistente gesellschaftliche<br />

Konstruktion der Wirklichkeit dar. Deshalb ist es wichtig,<br />

dass die Geschichtswissenschaft sich ihrer annimmt<br />

und ihre Annahmen überprüft. Vor allem die jungen<br />

Nationalstaaten, die erst vor wenigen Jahren in Europa<br />

entstanden sind, bedienen sich ihrer, wenn es darum<br />

geht, ihr Herkommen zu begründen und eigene staatliche<br />

Identität zu konstituieren. Auch die Bundesrepublik<br />

Deutschland besitzt solche Vorstellungen vom Lauf der<br />

12 Vgl. Rüsen, a.a.O., S. 51.<br />

13 Vgl. hierzu beispielsweise das Projekt European Non Commissioned Officers Academy (ENCOA) im Rahmen der deutsch-schweizerischen und österreichischen Unteroffizierausbildung.<br />

14 Vgl. hierzu Karl-Ernst Jeismann, Geschichtsbilder: Zeitdeutung und Zukunftsperspektive, in: Politik und Zeitgeschichte, Beilage der Wochenzeitschrift Das Parlament, B 51-52, 2002, S. 13ff.<br />

93


Prolegomena für ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten<br />

Geschichte, die jedoch über die Zeit hinweg revidiert werden<br />

mussten. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands<br />

galt es beispielsweise, zwei völlig divergierende nationale<br />

Geschichtsbilder in ein neues stimmiges zu überführen.<br />

Je nachdem, wie offen und pluralistisch eine <strong>Gesellschaft</strong><br />

ist, desto eher können Geschichtsbilder auch unter den<br />

Mitgliedern einer <strong>Gesellschaft</strong> differieren.<br />

Für den hier behandelten Kontext ist es von Bedeutung,<br />

darauf hinzuweisen, dass auch für Europa immer schon<br />

universale Geschichtsbilder existierten, die prägend in das<br />

Selbstverständnis von Herrschafts- und Machtausübung<br />

der Verantwortlichen eingriffen und sich konkret in der<br />

Lebenswelt an Begriffen und Formen festmachen ließen.<br />

So verstanden sich die Kaiser des alten deutschen Reiches<br />

beispielsweise als Herrscher über das „heilige römische<br />

Reich deutscher Nation“. Der Reichsgedanke war nicht<br />

nur stilbildend, sondern bestärkte auch bei den Herrschern<br />

die Auffassung, dass man förmlich direkter Nachfolger der<br />

Kaiser des untergegangenen römischen Reiches sei. Dies<br />

verlieh ihnen Legitimation und Handlungssicherheit. Unter<br />

dem Eindruck des aufkommenden Rationalität und<br />

der Moderne und befördert durch die Gedanken der Philosophen<br />

der Aufklärung entwickelte sich das Geschichtsbild<br />

Europas fort und mündete ein in die Auffassung, in<br />

Europa einen Kontinent sehen zu wollen, in dem sich die<br />

politischen und wirtschaftlichen Ereignisse ständig zum<br />

Besseren entwickeln. Eine große Bedeutung kam in diesem<br />

Zusammenhang der Diskussion um die Menschenund<br />

Bürgerrechte zu.<br />

Mit Blick auf die sogenannten „großen europäischen Nationen“<br />

meint der Historiker Karl-Ernst Jeismann nun für<br />

letztere ein Schwinden der Wirkungsmächtigkeit nationaler<br />

Geschichtsbilder festmachen zu können, das in erster<br />

Linie dem Umstand geschuldet zu sein scheint, dass das<br />

„Projekt der Moderne“ an seinen Widersprüchen unterzugehen<br />

drohe und das ihn schließlich in die Frage einmünden<br />

lässt, welches Bild von der kommenden Geschichte<br />

wir uns überhaupt noch machen können. 15 Auch wenn<br />

man Jeismann sicherlich zustimmen kann, dass dieser<br />

Prozess in den pluralistischen Bürgergesellschaften mancher<br />

europäischer Länder stattfindet, so kann allerdings<br />

dem entgegengehalten werden, dass sich der empirische<br />

Befund mit Blick auf ganz Europa nicht uneingeschränkt<br />

bewahrheitet.<br />

Nach wie vor haben Konflikte und auch Kriege an der Peripherie<br />

des europäischen Kontinents damit zu tun, dass<br />

sich unterschiedliche Ethnien auf Grund vermeintlich alter<br />

hergeleiteter Ansprüche aus der Geschichte gegenseitig<br />

in blutige Konflikte stürzen. Geführt werden sie dabei<br />

oftmals von klassischen Intellektuellen, die es eigentlich<br />

hätten besser wissen müssen. Ein Musterbeispiel für eine<br />

solche Katastrophe bietet in der Nachschau die Lage in<br />

Bosnien-Herzegowina der neunziger Jahre des vergangenen<br />

Jahrhunderts an, wo der Dichter und promovierte<br />

Psychoanalytiker Radovan Karadzic und der Schriftsteller<br />

und Historiker (!) Alia Izetbegovic ihre Gefolgsleute<br />

aufeinander hetzten. Stellvertreter Karadzics war Prof.<br />

Dr. Nikola Koljevic, der als Literaturwissenschaftler in<br />

Oxford gelehrt hatte und schließlich agierte da noch als<br />

Vizepräsidentin Prof. Dr. Biljana Plavsic, eine Biologie-<br />

Professorin. Dieses Beispiel zeigt einprägsam, dass es in<br />

einem zusammenwachsenden Europa darauf ankommen<br />

wird, einzelne Menschen zu befähigen und zu bilden, damit<br />

sie die Kompetenz erwerben, partikulare und universale<br />

Geschichtsbilder, vor allem solche, die in unzulässiger<br />

Weise verfälscht oder indoktriniert sind, aus eigener Kraft<br />

gegeneinander abzugleichen. Zu diesem Prozess ist es unbedingt<br />

erforderlich, dass sie die Fähigkeit zur kritischen<br />

Geschichtsreflexion besitzen.<br />

Ein möglicher Rahmen, in dem eine realistische Zukunftsperspektive<br />

in integrativer Absicht gefasst werden könnte,<br />

wäre es, nationale Entwürfe der Geschichte in ein gemeinsames<br />

europäisches Verständnis der Geschichte einmünden<br />

zu lassen. Dieses Bewusstsein könnte davon künden,<br />

dass sich die Eigenheiten und Merkmale eines Volkes, so<br />

es sie denn gibt, als Varianten und Beiträge zur europä-<br />

15 Vgl. Jeismann, a.a.O., S. 19.<br />

94


ischen Gemeinsamkeit darstellen lassen. 16 Natürlich lassen<br />

sich Geschichtsbilder nicht verordnen. Aber es sollte<br />

möglich sein, ihre gegenseitige Bedingtheit voneinander<br />

in diesem Raum der Erde in ein stimmiges, verstehbares<br />

Bild zu bringen.<br />

Europa ist ein Nebeneinander von unterschiedlichen<br />

Kulturen, Religionen und Traditionen, welche die Regionen<br />

einbringen. Sie werden geeint durch einen für alle<br />

verbindlichen Kanon der Menschen- und Bürgerrechte<br />

und gestalten werteorientiert eine gemeinsame Zukunft<br />

in Frieden, Prosperität und Offenheit.<br />

Konturen inhaltlicher Strukturen und didaktische<br />

Überlegungen<br />

Ein Geschichtswerk, das als Lese- und Lernbuch angelegt<br />

ist, würde demnach in den einzelnen europäischen<br />

Ländern auf unterschiedliche Geschichtskulturen treffen.<br />

Daneben stehen die institutionellen Kontexte der jeweiligen<br />

Militäradministrationen, die ihrerseits auf eigene<br />

Erfahrungen im Zusammenhang mit der Geschichtsvermittlung<br />

oder der Handhabung der Geschichte generell<br />

blicken. Die Herausforderung beginnt bereits mit der<br />

Frage, was die europäischen Armeen unter historischer<br />

Bildung verstehen und wie und ob dieses Thema in den<br />

jeweiligen Ausbildungsvorschriften überhaupt abgebildet<br />

ist. Wird Geschichte nur als ein „Steinbruch“ genutzt, aus<br />

dem man sich Dinge holt, die aktuelle Fragestellungen<br />

mit historischen Fakten unterlegen, wird Geschichtsvermittlung<br />

als ein lebenslanger geistiger Prozess verstanden,<br />

mit dem man sich mühevoll die Fähigkeit zum historischen<br />

Denken und Urteilen aneignet? Inwieweit besteht<br />

überhaupt die Möglichkeit, mit seriösen Denk-Angeboten<br />

zur gemeinsamen europäischen Geschichte neben „lessons<br />

learned“ Arrangements zu bestehen?<br />

Ferner kann man davon ausgehen, dass sich alle Streitkräfte<br />

Europas in der ihnen eigenen Art und von unterschiedlichen<br />

Ausgangspunkten kommend, in einem rasanten<br />

Transformationsprozess befinden. Allein dieser Umstand<br />

kann Folgen für den Umgang mit Geschichte haben. Neben<br />

vielen ungeklärten Fragen stellt sich auch jene nach<br />

den zu behandelnden Epochenabschnitten. Entlang der<br />

historisch notwendigen Überblicke sollte unbedingt Militärgeschichte,<br />

die Geschichte der bewaffneten Macht<br />

eines Staates in Krieg und Frieden und in ihren Bezügen<br />

zur <strong>Gesellschaft</strong>, Technik und Wirtschaft, nur um einige<br />

wichtige Kernbereiche zu nennen, abgebildet werden.<br />

Sicherlich stellt die Epoche nach dem Dreißigjährigen<br />

Krieg eine sogar noch das heutige Europa prägende Zeit<br />

dar. Mit der Erreichung des Friedensschlusses von Münster<br />

und Osnabrück im Jahre 1648 wurde Europa in einen<br />

rechtlich definierten Gleichgewichtszustand transferiert,<br />

der dessen Einzelstaaten stärkte und eben durch die Neubewertung<br />

des Rechts schlechthin eine konfliktlösende<br />

und rechtssichernde Wirkung entfaltete. Das Reich verlor<br />

zwar an Einfluss, gewann aber durch die geschaffenen<br />

neuen Institutionen (Reichstag, Reichskammergericht,<br />

Reichsarmee etc.) ein Stück weit an Identität hinzu. Die<br />

hier etablierte Ordnung überdauerte im Wesentlichen bis<br />

ins 19. Jahrhundert. Auch letzteres ist für das Verständnis<br />

des europäischen Kontinents von ausschlaggebender<br />

Bedeutung, weil es zahlreiche wichtige Phänomene – wie<br />

beispielsweise den Kolonialismus der Europäer und die<br />

Vorgeschichte der großen Konflikte des 20. Jahrhunderts<br />

enthält und auch heute wieder modern anmutende Fragestellungen<br />

aufwirft (Balkanregion, Völkerrechtsfragen).<br />

Erster und Zweiter Weltkrieg als Welt- und vor allem<br />

auch europäisches Ereignis sollten in ihrer Entstehungsund<br />

Wirkungsgeschichte zweckmäßigerweise gemeinsam<br />

betrachtet werden, um zu begreifen, in welcher Weise sie<br />

in den europäischen Staaten wirkten und im kollektiven<br />

Erinnern noch heute eine Rolle spielen. In dieser Epoche<br />

bereits angelegt, ist die Ausgangslage für den sich anschließenden<br />

„Kalten Krieg“, der bis zu seiner Überwindung<br />

Europa und vor allem auch Deutschland spaltete. Eine interessante<br />

Frage hierbei wäre jene, ob diese Konfrontation<br />

zwangsläufig so kommen musste oder aber ob sie vielleicht<br />

vermeidbar gewesen wäre. Daneben ist die vielschichtige<br />

16 Vgl. Jeismann, a.a.O., S. 21.<br />

95


Prolegomena für ein europäisches Geschichtsbuch für Soldaten<br />

Entwicklung der europäischen Integration, wie oben bereits<br />

dargelegt, zu thematisieren. Mit dem Ende der europäischen<br />

Teilung und Europas Fähigkeit, gemeinschaftlich<br />

auf den wesentlichen Handlungsfeldern zu agieren (Politik,<br />

Handel, Finanzen, Sicherheit etc.) sollte die Abhandlung<br />

fortfahren. Nicht zu vergessen wäre die Aufbereitung<br />

der Ereignisse auf dem Balkan in den neunziger Jahren des<br />

20. Jahrhunderts, die ein Licht auf die Fähigkeit Europas<br />

werfen könnte, mit Krisen umzugehen. Die Aufarbeitung<br />

von europäischen Diktaturerfahrungen wäre ein ebenso<br />

lohnender, diachron anzulegender Aspekt einer europäischen<br />

Geschichtsbetrachtung.<br />

Eng verknüpft mit den sicherheitspolitischen Parametern<br />

und gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen der<br />

Epochen und auf diese zu beziehen sind zu jeder Zeit<br />

die Erscheinungsformen des Militärischen. In der Phase<br />

der aufkommenden Nationalstaaten sind sie geprägt von<br />

der Landesverteidigung durch stehende Heere und deren<br />

Bewährung in klassischen militärischen Konflikten. Die<br />

Weltkriege verändern die militärische Auseinandersetzung<br />

hin zu den totalen Kriegen, die nicht nur Wehrpflichtheere<br />

gegeneinander führen, sondern die gesamte <strong>Gesellschaft</strong><br />

für den Prozess des Krieges mobilisieren. Mit der<br />

Konfrontation im Rahmen des Kalten Krieges standen<br />

sich in den beiden Blöcken NATO und Warschauer-Pakt<br />

zwei Systeme gegenüber, deren Armeen der eigenen Logik<br />

der gegenseitigen (atomaren) Abschreckung folgten.<br />

Kleine, vor allem neutrale Staaten, setzten hingegen auf<br />

Strategien des Abhaltens, die aus heutiger Sicht schon<br />

als „asymmetrisch“ bezeichnet werden können. Moderne<br />

Interventionsstreitkräfte, die das gesamte Spektrum der<br />

Sicherheit bedienen können, sind kennzeichnend für die<br />

heutige Lage, wobei sich die Konflikte selbst sehr stark<br />

asymmetrisch gestalten können. Das Vorhandensein,<br />

staatlicher, halbstaatlicher und nichtstaatlicher Akteure<br />

erinnert seinem Wesen nach – mit allem Vorbehalt – an<br />

das Kriegsbild des Dreißigjährigen Krieges.<br />

Unterschiedliche Perspektiven europäischer<br />

Geschichte mit vertauschten Rollen<br />

Es hätte zugegeben einen gewissen Reiz, die o.a. Themen<br />

mit vertauschten Rollen behandeln zu lassen. Warum<br />

sollte nicht ein Deutscher beispielsweise etwas über<br />

Frankreichs Rolle in Europa schreiben, ein Brite sich dem<br />

Thema der deutschen Wiedervereinigung widmen und<br />

ein Österreicher die Lage auf dem Balkan am Ende der<br />

1990er Jahre beleuchten? Es könnte besonders spannend<br />

sein, unterschiedlich gefärbte, durch Herkunft und Nationalität<br />

bedingte Meinungen und Auffassungen multiperspektivisch<br />

angelegt in diesem Buch wiederzufinden. Das<br />

hieße jedoch auch, dass die Autorenschaft zwangsläufig<br />

international angelegt sein müsste. Zu den unterschiedlichen<br />

Perspektiven, mit denen Geschichte betrachtet wird,<br />

kann man durchaus auch die Richtung, in der Geschichte<br />

„erzählt“ wird, hinzurechnen. Zwar sind zur besseren<br />

Einordnung der Themen systematische und strukturelle<br />

Betrachtungsweisen unerlässlich, jedoch sollten auch die<br />

einzelnen Menschen zu Wort kommen. Individuelle Erlebnisberichte,<br />

Zeitzeugenaussagen, vereinzelte Tagebuchausschnitte<br />

könnten die Darstellung abrunden und das<br />

Interesse am Lesen selbst nähren.<br />

Ein kritisch reflektierender Blick auf die europäische Militärgeschichte<br />

sollte dazu dienen, eine kompakte und<br />

nicht ausufernde, lesbare Darstellung zu schaffen, welche<br />

die lebenden Generationen europäischer Soldaten dazu<br />

in die Lage versetzt, ihre Handlungen in Gegenwart und<br />

Zukunft auf Erfahrung und Erinnerung der Geschichte<br />

zu gründen. Dabei spielen auch rezente Sachverhalte wie<br />

z.B. die Bedeutung der Staaten China und Indien, das<br />

Verhältnis zu Afrika oder auch der Terrorismus in seinen<br />

Erscheinungsformen und Wirkungen eine nicht unerhebliche<br />

Rolle.<br />

96


Im Rahmen der Einsatzvorbereitung, zu der das Militärgeschichtliche<br />

Forschungsamt in seiner Reihe „Wegweiser<br />

zur Geschichte“ bestimmte Schwerpunktregionen in<br />

abgeschlossenen Bänden behandelt, hat es sich bewährt,<br />

eine Karte mit Erinnerungsorten beizufügen, die für die<br />

dort lebende Bevölkerung von besonderer Relevanz sind<br />

(z.B. das Amselfeld für Serbien und das Kosovo). Wichtig<br />

wäre es, in einem europäischen Geschichtsbuch für Soldaten<br />

eine Übersicht zu finden, die bedeutsame Orte der gemeinsamen<br />

europäischen Geschichte bereithält. Vielleicht<br />

könnte es gelingen, damit auch zu einer gemeinsamen europäischen<br />

Gedenkkultur beizutragen.<br />

„Europa ist der bindende Auftrag der Vernunft“<br />

„Ich sage hier wie zuhause: Ein guter Deutscher kann kein<br />

Nationalist sein. Ein guter Deutscher weiss, dass er sich<br />

einer europäischen Bestimmung nicht versagen kann.<br />

Durch Europa kehrt Deutschland heim zu sich selbst und<br />

den aufbauenden Kräften seiner Geschichte. Unser Europa,<br />

aus der Erfahrung von Leiden und Scheitern geboren,<br />

ist der bindende Auftrag der Vernunft.“ 17<br />

In diesen Worten des ehemaligen Bundeskanzlers Willy<br />

Brandt anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises<br />

1971 liegt gewissermaßen das Vermächtnis, auf dem<br />

sich ein gemeinsames europäisches Geschichtsbewusstsein<br />

unserer Soldatinnen und Soldaten gründen könnte. Europa<br />

braucht Soldaten, die die Botschaft dieses Kontinents<br />

„aus der Erfahrung von Leiden und Scheitern“ verstanden<br />

haben. Dazu könnte ein Geschichtsbuch für europäische<br />

Soldatinnen und Soldaten einen bescheidenen, aber aus<br />

Sicht des Autors notwendigen Beitrag leisten.<br />

17 Vortrag des Bundeskanzlers Willy Brandt am 11. Dezember 1971 in Oslo anlässlich der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1971, zit. nach: http://nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/1971/brandt-lecture-t.html<br />

97


Von der preußischen Heeresreform<br />

zum europäischen Selbstverständnis?<br />

Text:<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

„Tradition ist die Überlieferung von Werten und Normen.<br />

Sie hilft den Soldatinnen und Soldaten bei der Bestimmung<br />

ihres Berufs- und Selbstverständnisses.“ 1<br />

„Eine Tradition selber zu schaffen, ist viel schwieriger, aber<br />

auch großartiger, als sie in den Resten und Formen verjährter<br />

Gesinnungen zu suchen und zu pflegen.“ 2<br />

I. Prolegomena<br />

Epochale Einschnitte wie die Französische Revolution von<br />

1789 mit ihren Auswirkungen auf das Militärwesen und<br />

die sicherheitspolitischen Herausforderungen nach Beendigung<br />

des Kalten Krieges mit dem annus mirabilis 1989<br />

stellen in (militär-)historiographischer Hinsicht durch<br />

ihre fundamentalen politischen, gesellschaftlichen und<br />

sozioökonomischen Veränderungen auch militärische Revolutionen<br />

dar: „Military revolutions (...) fundamentally<br />

change the framework of war (...) Military revolutions<br />

recast society and the state as well as military organizations.<br />

They alter the capacity of states to create and project<br />

military power.” 3 Die alten und neuen, vielschichtigen,<br />

in erster Linie außerkontinentale Szenarien ‘gordischer<br />

Komplexität’, die an die Stelle einer eindimensionalen<br />

Bedrohung durch den Warschauer Pakt traten, verändern<br />

das Kriegsbild und verlangen nach neuen Antworten. 4<br />

Verfolgt man den gegenwärtigen sicherheitspolitischen<br />

Diskurs in allen seinen (insbesondere auch US-) Varianten,<br />

so stellt man das Bemühen fest, das zunächst Unbekannte,<br />

die Phänomenologie der ‚Neuen Kriege’, 5 zu analysieren<br />

und mit Begriffen (Militärische Revolution [MR],<br />

Revolution in Military Affairs [RMA], 4th-Generation-<br />

Warfare [4GW], Operations other than War [OOTW],<br />

Small Wars, 3-Block-War etc.) zu belegen – ein Prozess<br />

anhaltender ‚Zwischensummen’. 6 Ihre Gemeinsamkeit<br />

liegt in der Einsicht, dass sich die gegenwärtigen und zukünftigen<br />

sicherheitspolitischen Herausforderungen fundamental<br />

– im geographischen wie mentalen Raum – von<br />

der militärischen Erfahrungswelt des Kalten Krieges mit<br />

Eberhard Birk<br />

seinem bipolaren Konfrontationsmuster im Herzen Europas<br />

unterscheidet.<br />

Die Bundeswehr firmiert daher auch nicht erst seit dem<br />

Weißbuch von 2006 als Einsatzarmee, deren Handlungsradius,<br />

politische Mandatierung vorausgesetzt, zwischen<br />

‚Hindelang und Hindukusch’ ein globaler geworden ist.<br />

Die seit den Zeitikonen „11/9“ (1989) und „9/11“ (2001)<br />

zunächst schleichende ressortübergreifende sicherheitspolitische<br />

Realitätsakzeptanz erfuhr insbesondere auf militärischem<br />

Terrain unter dem Begriff der Transformation<br />

in den letzten Jahren eine wahrnehmbare Beschleunigung.<br />

Die zunehmende Zahl der Einsätze und die ‚Kadenz’ für<br />

einzelne Soldaten sowie Verbände machen die Bundeswehr<br />

zu einer ‚normalen Armee’, deren friedenserhaltener<br />

Einsatz von 1955 bis 1989 an der innerdeutschen Grenze<br />

für viele aktive Soldaten von heute ‚Kriegsgeschichte’ ist.<br />

So wie sich die eruptiven und evolutionären Veränderungsprozesse<br />

wechselseitig verschränken und studieren lassen,<br />

so halten auch die Reaktionen darauf ein historisch-politisches<br />

‚lessons-learned’-Potential zur Verfügung, wenn<br />

man das zeitabhängige Detail vom grundsätzlichen Denkmuster<br />

trennt. Aber wie bei allen historischen Analogiebildungen<br />

ist der Erkenntnisgewinn nicht immer ohne Ab-<br />

1 Pkt. 630 der ZDv 10/1 „Innere Führung. Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr“ vom 28. Januar 2008.<br />

2 Theodor Heuss, Soldatentum in unserer Zeit, Tübingen 1959, S. 22.<br />

3 Vorwort von MacGregor Knox and Murray Williamson (Hg.), The Dynamics of Military Revolutions 1300 – 2050, Cambridge University Press 2001, S. 6-7.<br />

4 Grundsätzlich lassen sich – verkürzt – mehrere neuzeitliche militärische Revolutionen in diesem Sinne identifizieren: die Entstehung des modernen Staates im 16./17. Jahrhundert (MR I: Staat); die Französische Revolution (MR II: Nation),<br />

die Industrielle Revolution (MR III: Wirtschaft und Technik), die Kombination aller MR in beiden Weltkriegen (MR IV: MR I-III + Ideologie als ‚Totaler Krieg’); das nukleare Zeitalter des Kalten Krieges (MR V: Nuklearisierung) sowie seit 1991<br />

die Globalisierung (MR VI: Globalisierung, Information, Molekularisierung); vgl. hierzu Eberhard Birk, Abschied vom Bild des Offiziers?, in: Eberhard Birk (Hg.), Einsatzarmee und Innere Führung (=<strong>Gneisenau</strong> Blätter 6), Fürstenfeldbruck<br />

2007, S. 62-70, hier S. 63-65.<br />

5 Vgl. statt vieler Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg 2002.<br />

6 Vgl. hierzu alleine die ‘Legion’ an Aufsätzen in den US-amerikanischen Zeitschriften wie Joint Forces Quarterly, Military Review, Parameters, The National Interest, Foreign Affairs, Journal of Military History, Small Wars Journal etc. sowie<br />

für die geschichtswissenschaftliche Perspektive Michael Roberts, Die militärische Revolution, Frankfurt/M. 1990, MacGregor Knox and Murray Williamson (Hg.), The Dynamics of Military Revolutions und Colin S. Gray, Strategy for Chaos.<br />

Revolutions in Military Affairs and The Evidence of History, London 2002.<br />

98


striche auf die gegenwärtige Situation übertragbar: „Die<br />

geistige Auseinandersetzung mit der Geschichte bietet<br />

dem Menschen nicht Ausbildung, sondern Bildung, nicht<br />

Handlungsanweisung, sondern Horizonte. Man lernt aus<br />

der Geschichte nicht, was man tun soll: Aber man kann<br />

aus ihr lernen, was man bedenken muss.“ 7<br />

Die Zeit der preußischen Heeresreform vor 200 Jahren,<br />

als es galt, das absolutistisch-preußische auf die Höhe des<br />

revolutionär-französischen Kriegsbildes zu ‚transformieren’,<br />

kann hierbei „moderner“ und lehrreicher sein als jene<br />

vor 20 Jahren. Die preußische Heeresreform könnte daher<br />

als verdichteter ‚archimedischer Punkt’ sicherheitspolitischer<br />

und militärhistorischer Analogiebildung für das sich<br />

abzeichnende Kriegsbild und Anforderungsprofil für soldatische<br />

Bewährung in der Gegenwart dienen.<br />

Bekanntlich wurde vom Königreich Preußen nach der in<br />

ihren Auswirkungen katastrophalen ‚Doppelschlacht’ von<br />

Jena und Auerstädt am 14. Oktober 1806 das evidente<br />

Modernisierungsdefizit in Form der Gesamtheit der Preußischen<br />

Reformen „nicht mit, sondern gegen Napoleon“ 8<br />

aufgearbeitet. Indes: Wenn sich die gegenwärtige Transformation<br />

der Bundeswehr nur mit der Aufstellung der<br />

Bundeswehr und der preußischen Reformzeit vergleichen<br />

lässt 9 – beide erfolgten nach politischen, militärischen<br />

und moralischen Katastrophen –, und die preußische<br />

Militärreform gar als Idealtypus einer Militärreform bezeichnet<br />

wird, 10 sie darüber hinaus zum Traditionskanon<br />

der Bundeswehr wie auch die Gesamtheit der Stein-Hardenbergischen<br />

Reformen 11 zum historisch-politischen<br />

Selbstverständnis der Bundesrepublik zählt, so bietet es<br />

sich geradezu an, sie auch auf ihren möglichen Modellcharakter<br />

für ein europäisches Traditionsverständnis zu<br />

befragen.<br />

Ihr Charme liegt – erstens – darin begründet, dass auf<br />

der Basis der staatsbürgerlichen Idee die Vereinigung von<br />

Staat, Nation und Armee – der ‚Staatsbürger in Uniform’<br />

– eine tief reichende Traditionswurzel findet. Ihr Erfolgsversprechen<br />

liegt – zweitens – darin begründet, dass mit<br />

der erfolgreichen Befreiung von der französischen Besatzungsherrschaft<br />

durch die anti-napoleonischen Kriege<br />

1813/15 eine ‚Transformation’ mit erfolgreichem Abschluss<br />

in überschaubarer Zeit als ein militärhistorisches<br />

Vor- bzw. Urbild präsentiert werden kann.<br />

Aus politischen Gründen wird diese nationale Traditionslinie<br />

indes nur über einen hohen Abstraktionsgrad<br />

als Nukleus für ein europäisches Traditionsverständnis<br />

dienen können. Die mentale Trennung vom militärischinstrumentellen<br />

Charakter des Begriffes wird hierfür genauso<br />

notwendig sein wie die Identifikation mit der Wertgebundenheit<br />

soldatischen Dienens, die den europäischen<br />

Demokratien durch ihr historisches Erbe aufgetragen ist.<br />

Die rein militärhistorische Betrachtung des Marschierens<br />

gegeneinander muss demnach – durchaus dialektisch im<br />

Sinne Hegels – auf eine politisch und ethisch fundierte<br />

gemeinsame Basis, die auf gemeinsame gegenwartsbezogene<br />

und zukunftsfähige Werthaltungen rekurriert, ‚transformiert’<br />

werden. 12<br />

Implizit ist vor diesem skizzierten Hintergrund eine<br />

multiperspektivische Annäherung notwendig, die zunächst<br />

– kurz aber dennoch notwendig und paradigmatisch<br />

– die intellektuelle Herausforderung am Beispiel des<br />

Spannungsfeldes von Tradition und Bundeswehr skizziert<br />

(II.), bevor die preußische Heeresreform auf ihr Europäisierungspotential<br />

hinterfragt wird (III.). Ihrer nationalen<br />

Verortung wegen gilt es parallel – gegebenenfalls unabhängig<br />

davon – auf der Basis einer Projektionsfläche in Form<br />

einer Bestandsaufnahme von Chancen und (vorläufigen)<br />

Grenzen der Europäisierungsoptionen (IV.) ein mögliches<br />

europäisches Traditionsmodell zu entwickeln und vorzuschlagen,<br />

das von allen europäischen Armeen resp. einer<br />

europäischen Armee akzeptiert werden kann (V.).<br />

II. Das Spannungsfeld Tradition und Bundeswehr<br />

Diachrone und synchrone Reflexionen über die deutsche<br />

militärische Tradition haben seit jeher Konjunktur. Das Bestreben,<br />

sich auf Jahrzehnte und Jahrhunderte lange identitätsstiftende<br />

militärische Kontinu itätslinien zu berufen,<br />

7 Weisung zur Intensivierung der historischen Bildung in den Streitkräften, BMVg, GI, Fü S I 7 – Az 35-20-01 vom 2. März 1994 in Anlehnung an die Ausführungen des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum Thema ‚Geschichte,<br />

Politik und Nation’ auf dem 16. Internationalen Kongress der Geschichtswissenschaften am 25. August 1985. Die Weisung wurde als Anlage 6 der neuen ZDv 12/1 ‚Politische Bildung in der Bundeswehr’ vom November 2007 beigefügt.<br />

8 Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, 4., überarbeitete Auflage München 2001 (=Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 12), S. 109 (Hervorhebung im Original).<br />

9 In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, dass genau in diesen Kontext die Publikation von Georg Eckert, Von Valmy bis Leipzig. Quellen und Dokumente zur Geschichte der preußischen Heeresreform, Hannover-Frankfurt/M.<br />

1955 fällt, vgl. auch Richard Dietrich, Staats- und Heeresreform in Preußen, in: Neue Politische Literatur 2 (1957), Sp. 403-420, hier Sp. 403.<br />

10 Vgl. Dierk Walter, Albrecht Graf von Roon und die Heeresreorganisation von 1859/60, in: Militärische Reformer in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Potsdam 2007 (=Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte Band 2), S. 23-34,<br />

hier S. 24.<br />

11 Vgl. Walther Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen, Darmstadt 1977 (=Erträge der Forschung Band 65).<br />

12 So auch als ‚nationale’ Fundierung eines erweiterten Traditionsverständnis der Bundeswehr als Einsatzarmee, vgl. Loretana de Libero, Tradition und Einsatz. Zu ethischen Aspekten der deutschen Sicherheitsvorsorge, in: Eberhard Birk<br />

(Hg.), Einsatzarmee und Innere Führung (=<strong>Gneisenau</strong> Blätter 6), Fürstenfeldbruck 2007, S. 58-61.<br />

99


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

ist unübersehbar. Insbesondere in Zeiten des Umbruchs<br />

und der Auflösung kollektiver Erinnerungskulturen versprechen<br />

Traditionen ein gewisses Maß an Orientierung<br />

und Sicherheit, mentaler Stabilität und Gewissheit. Andererseits<br />

gehören diese kulturellen Wissensbestände nach<br />

eruptiven Umwälzungen überholten Zeitaltern an, so dass<br />

sich ihre Deutungshoheit natürlich an den neuen Rahmenbedingungen<br />

zu messen hat. Wenngleich dieser Diskurs<br />

für Außenstehende oftmals akademischen Charakter hat,<br />

so verbirgt sich in ihm die notwendige klärende Fragestellung<br />

nach dem von der Politik zugestandenen Freiraum<br />

für die Konstruktion eines (militär-)historisch-politischen<br />

Selbstverständnisses der ‚bewaffneten Macht’. 13<br />

Im Gegensatz zu vielen europäischen Nationen haben<br />

die Deutschen seit dem Untergang des Heiligen Römischen<br />

Reiches deutscher Nation im August 1806 in den<br />

letzten beiden Jahrhunderten eine vielfach gebrochene<br />

staatliche und militärische Entwicklung durchlaufen, die<br />

nicht nur die Frage nach staatlich-gesellschaftlichen Traditionen,<br />

sondern auch jene nach dem ‚gültigen Erbe des<br />

deutschen Soldaten’ 14 grundsätzlich zu einem schwierigen<br />

intellektuellen und operationellen-pragmatischen Unterfangen<br />

machten. 15 Die Existenz von königlichen Heeren<br />

der Kontingentsarmee des Kaiserreiches, der Reichswehr,<br />

Wehrmacht, NVA und Bundeswehr machen die Traditionsbildung<br />

der Bundeswehr, einer Armee in einer Republik<br />

vor dem Hintergrund diffiziler historischer (Dis)-Kontinuitäten,<br />

zu einer geistigen Herausforderung. Die Frage<br />

nach der Tradition steht im Schnittpunkt politischen und<br />

militärischen Selbstverständnisses.<br />

Soldaten verlangen in allen Armeen eine ‚Tradition’, die<br />

ihre Stellung in eine militärhistorische Kontinuitätslinie<br />

einfügt. Dabei rekurrieren sie meist auf Rituale sowie Formen<br />

militärischen Brauchtums oder kriegsgeschichtliche<br />

Ereignisse, die von den historisch-politischen Rahmenbedingung<br />

isoliert werden und hierbei zu einer Heroisierung<br />

des epochenübergreifendend ewig-zeitlosen Soldatischen<br />

und ‚pflichtbewussten’ Standhaltens im Gefecht gerinnen.<br />

Diese individuelle und kollektive Präferenz, militärische<br />

Traditionsbildung an rein militärisch-handwerklicher<br />

Funktionalität auszurichten, kollidiert in aller Regel mit<br />

ihrem verfassungsmäßigen Auftrag, der von Politik und<br />

<strong>Gesellschaft</strong> normativ verlangt werden muss. Die „bewaffnete<br />

Macht“ eines Staates ist kein Selbstzweck, denn Legitimation,<br />

Auftrag und Struktur werden von der Politik<br />

verantwortet. In anderen Worten: Traditionsbestände sind<br />

aktuelle und zeitbezogen begründungspflichtige Bestandsaufnahmen,<br />

die dynamischen Veränderungsprozessen unterliegen<br />

und gegebenenfalls Anknüpfungspunkte an ältere<br />

Traditionskerne gegenüber jüngeren Kontinuitätslinien<br />

notwendig machen können. 16<br />

Diese schwierige Herausforderung war auch in der Aufstellungsphase<br />

der Bundeswehr zu bewältigen, als mit<br />

dem ‚unpolitischen Soldaten’ der Reichswehr, dem bereits<br />

1941-45 mit dem bolschewistischen Feindbild konfrontierten<br />

ideologisierten Kämpfer der Wehrmacht und dem<br />

bundesrepublikanischen ‚Staatsbürger in Uniform’ drei<br />

Orientierungsoptionen für das zukünftige Traditionsverständnis<br />

der Bundeswehr virulent waren. 17 Das historischpolitische<br />

und militärische Selbstverständnis der neuen<br />

Bundeswehr musste indes mit einer geistigen Umorientierung<br />

beginnen: Die Desavouierung der Potenzen Nation<br />

und Armee bedeutete einen kompletten Traditionsbruch,<br />

der Verlust des als zuvor natürlich empfundenen politischen<br />

und sozialen Führungs- und Mitentscheidungsanspruchs<br />

des Militärs erforderte den sukzessiven Erwerb<br />

von Vertrauen bei den neuen Alliierten, in der Politik<br />

sowie bei der <strong>Gesellschaft</strong> und setzte somit eine kritische<br />

Selbstreflexion insbesondere des Führungspersonals mit<br />

Erfahrungen in vier deutschen Armeen mit unterschiedlichen<br />

politischen Systemen (Kaiserreich, Weimarer Republik,<br />

‚Drittes Reich’ und Bundesrepublik) und Eiden<br />

voraus.<br />

Die Bundesrepublik Deutschland bestand bereits seit<br />

über sechs Jahren, bevor sie neue Streitkräfte unter völlig<br />

neuen Rahmenbedingungen erhielt – politisch-strategisch<br />

als Bündnisarmee eingebunden in der NATO 18 ,<br />

rüstungskontrollpolitisch in der WEU, 19 national unter<br />

13 Vgl. grundsätzlich Eberhard Birk, Militärische Tradition. Beiträge aus politikwissenschaftlicher und militärhistorischer Perspektive, Hamburg 2006.<br />

14 So der Untertitel bei Donald Abenheim, Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem gültigen Erbe des deutschen Soldaten, München 1989 (=Beiträge zur Militärgeschichte Bd. 27). Noch stärker an der klassischen Betrachtungsweise<br />

von Tradition ist der Originaltitel angelehnt: Reforging the Iron Cross: The Search for Tradition in the German Armed Forces (Princton, N.J.: Princton University Press, 1988).<br />

15 Zur Geschichte des Traditionsverständnis der Bundeswehr vgl. trotz des leicht missverständlichen Titels Loretana de Libero, Tradition in Zeiten der Transformation, Paderborn 2006.<br />

16 Vgl. Eberhard Birk, Das Traditionsverständnis der Bundeswehr und seine Umsetzung an der Offizierschule der Luftwaffe, in: Ulrich vom Hagen/Björn Kilian (Hg.), Perspektiven der Inneren Führung. Zur gesellschaftlichen Integration der<br />

Bundeswehr, Berlin 2005 (=Wissenschaft & Sicherheit Bd. 2), S. 57-75.<br />

17 Vgl. Hans-Joachim Harder, Traditionspflege in der Bundeswehr 1956-1972, in: ders./Wiggershaus (Hg.), Tradition und Traditionspflege in den Aufbaujahren der Bundeswehr, Herford/Bonn 1985 (=Entwicklung deutscher militärischer<br />

Tradition Bd. 2), S. 97-151.<br />

18 Vgl. Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr (Hg.), Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956 (4 Bände), München 1982/1997.<br />

19 Vgl. Eberhard Birk, Der Funktionswandel der Westeuropäischen Union (WEU) im europäischen Integrationsprozess, Würzburg 1999, S. 86-92.<br />

100


dem Primat parlamentarisch-demokratischer Kontrolle.<br />

Die veränderten Rahmenbedingungen machten auch ein<br />

innermilitärisches Umdenken notwendig. In der gelegentlich<br />

als ‚magna charta’ der Bundeswehr bezeichneten<br />

Himmeroder Denkschrift vom Oktober 1950 war deshalb<br />

auch eine klare Absage an die alte Wehrmacht verankert.<br />

Es sollte „ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht<br />

heute grundlegend Neues“ 20 entstehen – ein angekündigter<br />

Paradigmenwechsel nach den Erfahrungen mit<br />

verschiedenen ‚Irrungen und Wirrungen’ preußisch-deutscher<br />

Militärgeschichte. Die neue Armee konnte daher<br />

nicht auf alte ‘Traditionen’ zurückgreifen – sie waren zu<br />

einem „Monstrum“ 21 geworden. Wenn sich die Bundesrepublik<br />

Deutschland dem Staats- und <strong>Gesellschaft</strong>sbild<br />

des Westens näherte, dann konnte die bewaffnete Macht<br />

in diesem Staat militärischen Urbildern vergangener deutscher<br />

Armeen keine traditionsbildende Kraft zubilligen,<br />

die diesen Vorstellungen diametral entgegenstanden. 22<br />

Nicht nur der Wechsel von Staats- und Regierungsformen,<br />

sondern auch der Untergang und die Neuaufstellung von<br />

Streitkräften, die Neujustierung von Politischer Kultur<br />

und Konstruktionen kollektiver militärischer Memorialkulturen<br />

machen selbst bei einer personellen Kontinuität<br />

alter Eliten in neuen Führungspositionen deutlich, dass<br />

das „Traditionsproblem (...) in einer sich entwickelnden<br />

<strong>Gesellschaft</strong> von jeder Generation neu gestellt werden<br />

wird.“ 23 Damit wird deutlich, dass neben der Option<br />

‚tradere’ grundsätzlich auch stets die Option ‚damnatio<br />

memoriae’ existiert. Dabei gilt es über individuelle Präferenzen<br />

hinaus in der Militärgeschichte zu tradierende<br />

wertorientierte Anknüpfungspunkte zu definieren, die<br />

den aktuellen Auftrag mit einer historischen Kontinuität<br />

verbinden.<br />

Das Traditionsverständnis der Bundeswehr hat sich über<br />

mehrere Stationen und Prozesse entwickelt. 24 Erst die<br />

‘Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege<br />

in der Bundeswehr’, der (2.) ‘Traditionserlass’<br />

vom 20. September 1982, stellten die noch immer gültige<br />

Maxime auf: „Tradition ist die Überlieferung von Werten<br />

und Normen. Sie bildet sich in einem Prozess wertorientierter<br />

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.<br />

Tradition verbindet die Generationen, sichert Identität<br />

und schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft<br />

(...) Sie setzt Verständnis für historische, politische<br />

und gesellschaftliche Zusammenhänge voraus (...) Maßstab<br />

für Traditionsverständnis und Traditionspflege in der<br />

Bundeswehr sind das Grundgesetz und die der Bundeswehr<br />

übertragenen Aufgaben und Pflichten (...) Die Darstellung<br />

der Wertgebundenheit der Streitkräfte und ihres<br />

demokratischen Selbstverständnisses ist die Grundlage<br />

der Traditionspflege der Bundeswehr.“ 25 Damit wird die<br />

Bundeswehr in ihrem Traditionsverständnis auf die im<br />

Grundgesetz niedergelegte Werteordnung der Bundesrepublik<br />

Deutschland verpflichtet, die sich im Kern mit den<br />

zentralen Begriffen: Freiheit, Recht und Demokratie beschreiben<br />

lassen. Dies korrespondiert mit den Zielen der<br />

NATO: „Die Parteien (...) sind entschlossen, die Freiheit,<br />

das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker,<br />

die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit<br />

der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu<br />

gewährleisten.“ 26<br />

Will man indes ein museales Traditionsverständnis verhindern<br />

und Tradition als geistige Haltung im Truppenalltag<br />

verankern, dann muss sie logisch, einfach und richtig sein.<br />

Das ist Tradition dann, wenn sie den aktuellen politischen<br />

Auftrag und das Werteverständnis der Soldaten mit kompatiblen<br />

militärhistorischen Ereignissen, Prozessen oder<br />

Personen verknüpfen kann. Hierzu muss sie eine Orientierung<br />

für die Bewältigung von Gegenwart und Zukunft<br />

erwarten lassen und dabei die Notwendigkeit kontinuierlicher<br />

und erfolgreicher Transformation, das Einschreiten<br />

gegen Unrecht, Gewalt und Tyrannei sowie eine lebendige<br />

Bindung der Streitkräfte an die Werte und Zielsetzungen<br />

einer freiheitlichen Demokratie und somit Einigkeit und<br />

Recht und Freiheit widerspiegeln.<br />

Deshalb hat die deutsche Bundeswehr in der auf die politischen,<br />

gesellschaftlichen und militärischen Veränderungen<br />

im Zuge der Französischen Revolution durch einen<br />

20 Die Himmeroder Denkschrift ist abgedruckt in: Hans-Jürgen Rautenberg und Norbert Wiggershaus, Die ‚Himmeroder Denkschrift’ vom Oktober 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitritt der Bundesrepublik<br />

Deutschland zur westeuropäische Verteidigung, Karlsruhe 1977, S. 36-57, hier S. 53.<br />

21 So bezeichnete Kopernikus das auf ihn überkommene, der Realität längst widersprechende Paradigma des geozentrischen Weltbildes, zit. nach Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 12. Aufl. Frankfurt am Main<br />

1993, S. 82. Der Übergang vom geo- zum heliozentrischen Weltbildes mag hierbei als Metapher für die Notwendigkeit des Übergangs vom vormodernen zum modernen Traditionsmodell erscheinen; vgl. dazu Eberhard Birk, Anmerkungen<br />

zum Traditionsverständnis der Bundeswehr, in: Deutschland-Archiv 2/2004, S. 282-289, hier S. 283-285.<br />

22 Vgl. Eberhard Birk, Einigkeit und Recht und Freiheit. Gedanken und Vorüberlegungen für den Traditionsbegriff einer Bundeswehr mit europäischer Perspektive, in: Militärgeschichte 4/2001 (11. Jg.), S. 64-72, hier S. 66.<br />

23 So Gordon A. Craig in seinem ‘Vorwort zur amerikanischen Ausgabe’ von Donald Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. XI.<br />

24 Vgl. dazu de Libero, Tradition in Zeiten der Transformation und Birk, Militärische Tradition sowie John Zimmermann, Vom Umgang mit der Vergangenheit. Zur historischen Bildung und Traditionspflege in der Bundeswehr, in: Die Bundeswehr<br />

1955 bis 2005. Rückblenden – Einsichten – Perspektiven, hg. im Auftrag des MGFA von Frank Nägler, München 2007 (=Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 7), S. 115-129.<br />

25 Vgl. ‚Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr’, BMVg Fü S I 3 – Az 35-08-07 vom 20. September 1982, abgedruckt in Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 230-234. Die angeführten Zitate<br />

entstammen den Punkten 1 und 2.<br />

26 Vgl. die Präambel des Nordatlantikvertrages, abgedruckt in: BGBl. 1955 II, S. 289.<br />

101


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

Transformationsprozess reagierenden preußischen (Militär-)Reform,<br />

dem militärischen Widerstand gegen Hitler<br />

und das NS-Regime und der eigenen Geschichte der<br />

Bundeswehr als Parlaments- und Verteidigungsarmee im<br />

Bündnis seit 1955 sowie der Konzeption der Inneren Führung<br />

für eine nunmehr als ‚Einsatzarmee’ sich verstehende<br />

Streitkraft die logische, einfache und richtige Tradition. 27<br />

Sie spiegelt damit in ihrem Geschichts- und Traditionsverständnis<br />

das Bewahrenswerte wider. Dies ist – egal ob aus<br />

deutscher, europäischer oder nordatlantischer Perspektive<br />

– Einigkeit und Recht und Freiheit für Deutschland, die<br />

EU und die NATO.<br />

Die Notwendigkeit des geistigen Umorientierens könnte<br />

nun zu Beginn des 21. Jahrhunderts, vergleichbar des<br />

preußischen Debakels von 1806 und der ‚deutschen Katastrophe’<br />

28 von 1933-45 auf der ‚Agenda’ stehen – nicht<br />

eines ‚Jena und Auerstädt’ oder politischen, militärischen<br />

und moralischen Versagens wegen, sondern weil sich<br />

die EU vor dem Hintergrund eines fundamentalen sicherheitspolitischen<br />

Paradigmawechsels nach dem Ende<br />

der bipolaren Systemkonfrontation und dem scheinbar<br />

unumkehrbaren Prozess zunehmender politischer, wirtschaftlicher<br />

und sozio-kultureller Europäisierung als globaler<br />

Akteur auf dem Weg zu europäischen (integrierten)<br />

Streitkräften befindet. 29 Ob diese Streitkräfte eine längere<br />

Übergangszeit als noch-nationale Armeen haben werden<br />

oder die Überlegungen von synchronisierten resp. integrierten<br />

europäischen Streitkräften ausgehen, 30 ist hierbei<br />

zweitrangig.<br />

Zu fragen ist, inwieweit aus einem erfolgreichen nationalen<br />

Traditionselement für andere nationale Armeen mit<br />

unterschiedlichen Traditionslinien und militärischen Führungskulturen<br />

genügend Potential für ein gemeinsames<br />

europäisches Traditionsbild bereitgestellt werden kann,<br />

um hierfür als Nukleus zu dienen.<br />

III. Das europäische Potential der preußischen Heeresreform<br />

als Traditionsbestand<br />

Die preußische Heeresreform war die militärische Antwort<br />

auf die Umwälzungen des Militärwesens im Zuge<br />

der Französischen Revolution. Die Delegitimation des absolutistischen<br />

Staates und Heeres nach der in ihren Auswirkungen<br />

vernichtenden ‘Doppelschlacht’ bei Jena und<br />

Auerstädt am 14. Oktober 1806 31 – eine ‚Standesarmee’<br />

wurde durch eine ‚Nationalarmee’ besiegt – verlangte in<br />

einer ‘Revolution von oben’ auf der Basis der staatsbürgerlichen<br />

Idee die Vereinigung von Staat, Nation und Armee.<br />

Die Ursachen, Zielsetzungen und Folgen der Gesamtheit<br />

der Preußischen Reformen sind hinreichend bekannt; 32<br />

gleiches gilt auch für die einzelnen Facetten der ‚äußeren’<br />

und ‚inneren’ Dimensionen der preußischen Heeresreform.<br />

33<br />

Scharnhorst brauchte als Vorsitzender der Militärreorganisationskommission<br />

(MRK), dem geistigen und organisatorischen<br />

Gravitationszentrum der Heeresreform,<br />

neue konzeptionelle Denker, idealiter: geistige Profile mit<br />

Bewährung im Einsatz. <strong>Gneisenau</strong> war, Zufall einer ‚Personalplanung’,<br />

die das Wort ‚Potential’ noch nicht kannte,<br />

in jeder Hinsicht der richtige Mann an der richtigen<br />

Stelle. Er betrieb bereits in jungen Jahren ein individuelles,<br />

geradezu humanistisches Bildungsprogramm, studierte<br />

die ‚Klassiker’, las allgemein- und militärhistorische<br />

Werke, lernte die englische, französische, italienische und<br />

polnische Sprache, und galt später sogar als der einzige<br />

preußische General, der fehlerloses Deutsch sprach und<br />

schrieb. Parallel dazu studierte er über die Lektüre und<br />

Analyse sämtlich verfügbarer Informationen die revolutionäre<br />

Kriegführung Napoleons. <strong>Gneisenau</strong> sah das Alte,<br />

i.e. den Niedergang friderizianischer Weisheiten in ihrer<br />

Kulmination von ‚Jena und Auerstädt’ am 14. Oktober<br />

1806, er sah das Neue Napoleons und er sah das Mögli-<br />

27 Zum Traditionsverständnis vgl. Karl H. Schreiner, Das aktuelle Traditionsverständnis der Bundeswehr, in: Eberhard Birk (Hg.), Militärische Tradition (=<strong>Gneisenau</strong> Blätter 3), Fürstenfeldbruck 2004, S. 37-45 und Loretana de Libero, Diese<br />

Tradition steht ihr gut. Von der Schwierigkeit der Truppe, sich selbst Vorbild zu sein, in: IF – Zeitschrift für Innere Führung 2/2008, S. 46-51.<br />

28 Vgl. Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe, Wiesbaden 1946.<br />

29 Die französische Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli 2008 drängte auf eine Forcierung beim Aufbau einer der gewachsenen politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der EU adäquaten militärischen Macht, vgl. ‚French Presidency<br />

of the Council of the European Union’ mit der Zielrichtung: ‚Europe taking action to meet today’s challenges’; ebenso der britische Außenminister: Miliband backs strong EU military force, in: Guardian vom 2. Juli 2008. Die neue Situation<br />

ist nur bedingt mit der EVG in der Formationsphase des Kalten Krieges vergleichbar, als der äußere Druck größer war als die intra-westeuropäische Bereitschaft zu einer integrierten Verteidigung; heute scheinen sich diese Fronten<br />

tendenziell verkehrt zu haben.<br />

30 Vgl. hierzu den Vorschlag SAFE (Standing Armed Forces Europe) von Eberhard Birk, „Euro-Soldat“ im Anmarsch?, in: Y. Magazin der Bundeswehr 8/2002, S. 19, der sich als Akronym variieren lässt in Synchronized / Strategic Armed<br />

Forces Europe, so im Redemanuskript von Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments (=Rede vor EVP-ED - Fraktion am 2. Juli 2008).<br />

31 Als Beispiel der militärischen Auswirkungen der Französischen Revolution auf die Operationsführung vgl. Stuart McCarthy, Capitalising on Military Revolution: Lessons from the Grande Armée’s Victory at Jena-Auerstädt, in: Australian<br />

defence force journal (2003), 158, S. 37-52.<br />

32 Vgl. statt vieler Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 1967, 5. akt. Aufl. München 1989 und Barbara Vogel (Hg.), Preußische<br />

Reformen 1807 bis 1820, Königstein/Ts. 1980 (=Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Geschichte, Band 96). Im Zentrum der personengebundenen und historiographischen Untersuchungen stand dabei zunächst der Reichsfreiherr vom<br />

und zum Stein, vgl. so auch zuletzt Heinz Duchhardt/Karl Teppe (Hg.), Karl vom und zum Stein: Der Akteur, der Autor, seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, Mainz 2003 (=Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte<br />

Mainz, Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 58).<br />

33 Für die ‚äußeren’ Aspekte vgl. Heinz G. Nitschke, Die Preußischen Militärreformen 1807-1813, Berlin 1983 (=Kleinere Beiträge zur Geschichte Preußens Bd. 2), für die ‚inneren’ Aspekte vgl. Heinz Stübig, Armee und Nation. Die<br />

pädagogisch-politischen Motive der preußischen Heeresreform 1807-1814, Frankfurt/M. 1971 (=Europäische Hochschulschriften, Reihe 11, Bd. 5) sowie als Gesamtdarstellung noch immer grundlegend Rainer Wohlfeil, Vom Stehenden Heer<br />

des Absolutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht 1789-1814 (=Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939 Bd. 1 Abschn. II), hg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Frankfurt/M. 1964, S. 81-153 und Dierk Walter, Preußische<br />

Reformen 1807-1870. Militärische Innovation und der Mythos der ‚Roonschen Heeresreform’, Paderborn 2003, S. 235-324 (=Krieg in der Geschichte Band 16).<br />

102


che während seiner Verteidigung von Kolberg 1807, die<br />

ihm die Berufung in die MRK einbrachte. Als kongenialer<br />

Partner Scharnhorsts wurde er zum unverzichtbaren spiritus<br />

rector der preußischen Militärreform.<br />

Die Reformer um Scharnhorst und <strong>Gneisenau</strong> mussten<br />

radikal mit allen überlieferten militärischen Gewissheiten<br />

des vor-napoleonischen Militärstaates Preußen brechen –<br />

die militärische Katastrophe von 1806 ließ keine Wahl.<br />

Die reformerische – auch machtpolitische – Zielsetzung<br />

beschrieb <strong>Gneisenau</strong> konzis: „Der dreifache Primat der<br />

Waffen, der Constitution, der Wissenschaften ist es allein,<br />

der uns aufrecht zwischen den mächtigsten Nachbarn erhalten<br />

kann!“ 34 Eine lediglich innermilitärische Erneuerung<br />

wurde daher als aussichtslos verworfen: So wie die<br />

napoleonische Kriegführung ohne die Französische Revolution<br />

und ihre Grundlagen undenkbar war, so bestand<br />

auch eine Wechselwirkung zwischen der Gesamtheit der<br />

Preußischen Reformen auf den unterschiedlichen Politikfeldern<br />

– Aufhebung der Erbuntertänigkeit der Bauern,<br />

Etablierung einer Kommunalverfassung, Neuorganisation<br />

der Verwaltung, Regierung mit ressortverantwortlichen<br />

Staatsministern, Freiheit des Eigentums, Fortfall des<br />

Zunftzwanges, Judenemanzipation, universitäre Selbstverwaltung,<br />

Freiheit von Forschung und Lehre etc. – und<br />

der Militärreform. Sämtliche Reformen waren nur in ihrer<br />

wechselseitigen Verschränkung verständlich.<br />

Ihr Grundgedanke wurde sinnbildlich veranschaulicht<br />

durch die Einsicht <strong>Gneisenau</strong>s: „Aber es ist billig und<br />

staatsklug zugleich, daß man den Völkern ein Vaterland<br />

gebe, wenn sie ein Vaterland kräftig verteidigen sollen.“ 35<br />

Hierzu war die Einbeziehung des Bürgertums in den neuen<br />

Staat und über den Gedanken der Wehrpflicht in die<br />

neue Armee unerlässlich: „Alle Bewohner eines Staates“,<br />

so die zentrale Forderung Scharnhorsts in seinem Entwurf<br />

für die Verfassung einer Reservearmee vom 31. August<br />

1807, „sind geborene Verteidiger desselben.“ 36 Um seinem<br />

Ideal – „Armee und Nation inniger zu vereinen“ 37 – nahe<br />

zu kommen, gab es nur die Möglichkeit der Wehrpflicht,<br />

die den bürgerlichen Wehrpflichtigen zwar nicht zur Normalität<br />

machte, wohl aber zur Norm erhob. Gleichzeitig<br />

war dies aber auch die einzig verbleibende Möglichkeit der<br />

Wehrform, um der limitierenden Schranken wegen – drohender<br />

Staatsbankrott durch Reparationszahlungen und<br />

Kontinentalsperre – eine feldeinsatztaugliche und bündnisfähige<br />

Streitkraft zu erreichen.<br />

Gleichwohl war der Untertan hierfür und aus grundsätzlichen<br />

Erwägungen hinsichtlich des neuen, aufgeklärten<br />

Menschenbildes wegen zum Bürger zu ‚transformieren’<br />

und dem bürgerlichen Rechtsempfinden entgegenzukommen.<br />

38 Daher galt es auch den Staat erhaltens- und verteidigenswert<br />

zu gestalten. Eine liberale, bürgerliche Rechte<br />

garantierende Verfassung des Staates würde an die Stelle<br />

des zuvor zum Kriegsdienst gepressten und zur Desertion<br />

neigenden Söldner einen Verteidiger des Staates aus Überzeugung<br />

– gegebenenfalls mit ‚Enthusiasmus’ – setzen.<br />

Bürgerliche Freiheitsrechte garantieren den Einsatz für<br />

die Aufrechterhaltung der äußeren Sicherheit. Diese Erkenntnis<br />

setzte einen Lernprozess voraus, der ohne Frage<br />

eines externen Anstoßes bedurfte. Der tiefste Grund dieses<br />

Anstoßes wurde von Napoleon selbst formuliert: „Die<br />

Freiheit, das ist ein guter code civil.“ Freiheit setzt Kräfte<br />

frei und führt sowohl Staat und <strong>Gesellschaft</strong> als auch dem<br />

Militär ein neues Potential zu.<br />

Geradezu ‚klassisch’ formulierte <strong>Gneisenau</strong> die anhaltende<br />

Frage nach der Nutzbarmachung der damals wie heute so<br />

drängenden geistig-intellektuellen Potentialfrage – auch<br />

der zukünftigen Offiziere – in einem programmatischen<br />

Zeitungsartikel, dem ‚Volksfreund’ vom 2. Juli 1808, der<br />

neben seiner Absicht, das Bürgertum als Träger der Modernität<br />

für die Sache des Militärs zu gewinnen, i.e. den<br />

Offizierberuf für die Söhne des Bildungs- und Besitzbürgertums<br />

‚propagandistisch’ anzubieten resp. einzufordern,<br />

gleichfalls als grundsätzliches Desiderat für die heutige<br />

<strong>Gesellschaft</strong>s- und Bildungspolitik gelesen werden kann:<br />

„Die Geburt gibt kein Monopol für Verdienste; räumt<br />

man dieser zu viele Rechte ein, so schlafen im Schoße einer<br />

Nation eine Menge Kräfte unentwickelt und unbenutzt,<br />

und der aufstrebende Flügel des Genies wird durch<br />

drückende Verhältnisse gelähmt. Währenddem ein Reich<br />

in seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht<br />

34 <strong>Gneisenau</strong> in seinem Brief vom 28. August 1814 an E. M. Arndt, zit. nach G. H. Pertz / Hans Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von <strong>Gneisenau</strong>, Bd. IV, von H. Delbrück, Berlin 1880, S. 280f.<br />

35 So <strong>Gneisenau</strong> in einer Denkschrift an König Friedrich Wilhelm III. vom August 1808, abgedruckt in: <strong>Gneisenau</strong>, hg. v. BMVg Fü S I 3, 1987, S. 100 (=Schriftenreihe Innere Führung, Beiheft 2/87 zur Information für die Truppe).<br />

36 Zit. nach Hansjürgen Usczeck/Christa Gudzent (Hg.), Gerhard von Scharnhorst. Ausgewählte militärische Schriften, Berlin/O. 1986, S. 236.<br />

37 Zit. nach Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften. Mit e. Einf. Hrsg. von Ursula von Gersdorff, Osnabrück 1983 (=Bibliotheca rerum militarium; 49), S. 308.<br />

38 Vgl. Walther Hubatsch, Stein und Kant, in: ders., Stein-Studien. Die preußischen Reformen des Reichsfreiherrn Karl vom Stein zwischen Revolution und Restauration, Köln, Berlin 1975, S. 48-63. Bei fast allen politischen und militärischen<br />

Reformern – insbesondere bei <strong>Gneisenau</strong> – lassen sich philosophische Grundgedanken von Kant nachweisen.<br />

103


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

in seinem elendesten Dorfe ein Cäsar dem Pfluge, und ein<br />

Epaminondas nährt sich karg von dem Ertrage der Arbeit<br />

seiner Hände. Man greife daher zu dem einfachen und<br />

sicheren Mittel, dem Genie, wo immer es sich auch befindet,<br />

eine Laufbahn zu öffnen und die Talente und Tugenden<br />

aufzumuntern, von welchem Range und Stande<br />

sie auch sein mögen. Man schließe ebenfalls dem Bürgerlichen<br />

die Triumphpforte auf, durch die das Vorurteil nur<br />

den Adligen einziehen lassen will. Die neue Zeit braucht<br />

mehr als alte Titel und Pergamente, sie braucht frische Tat<br />

und Kraft.“ 39<br />

Die verfolgte Zielsetzung der Integration des Bürgertums<br />

in Staat und Armee war ohne Alternative. Das ‚Reglement<br />

über die Besetzung der Stellen der Portepeefähnriche und<br />

über die Wahl zum Offizier bei der Infanterie, Kavallerie<br />

und Artillerie vom 8. August 1808’ verfügte kategorisch:<br />

„Einen Anspruch auf Offizierstellen können in Friedenszeiten<br />

nur Kenntnisse und Bildung gewähren, im Kriege ausgezeichnete<br />

Tapferkeit, Tätigkeit und Überblick (...) Aller<br />

bisher stattgehabte Vorzug des Standes hört beim Militär<br />

ganz auf, und jeder hat gleiche Pflichten und Rechte.“ 40<br />

Es genügte nicht mehr, als Offizier einer rein soldatischen<br />

Elite anzugehören, wenn die neben Besitz klassischen bürgerlichen<br />

Attribute ‚Kenntnisse und Bildung’ fehlten. Die<br />

Qualifikation für den Zugang zum Offizierberuf wurde<br />

so verbreitert, dass damit eine Grundlegung erfolgte, die<br />

Epochen übergreifende Bedeutung besitzt.<br />

Stellt man sich der Herausforderung, aus der preußischen<br />

Heeresreform als Nukleus des Überlieferns Würdiges herauszudestillieren,<br />

so hat man sich dessen bewusst zu sein,<br />

dass es sich dann nicht um die Übertragung einzelner<br />

Details, sondern nur um fundamental richtig Gedachtes<br />

handeln kann, das durch eine geistige Übersetzungsleistung<br />

in die Gegenwart zu transformieren ist. Letzteres ist<br />

ja bekanntlich auch der Grund, weshalb sich die Bundeswehr<br />

auf die preußische Heeresreform als Traditionssäule<br />

beruft. 41<br />

Fundamental politisch richtig gedacht wurden die Preußischen<br />

Reformen als Reaktion auf ein äußeres und inneres<br />

Modernisierungsdefizit, die Zugrundelegung eines neuen<br />

Menschenbildes und die Vernetzung und wechselseitige<br />

Abhängigkeit von Reformen auf den unterschiedlichen<br />

Handlungsfeldern. Fundamental militärisch richtig gedacht<br />

wurde sie als Contra zu den militärischen Auswirkungen<br />

der Französischen Revolution mit ihrem individuell-bürgerlichen<br />

und nationalen Freiheitsideal, mit dem<br />

‚Staatsbürger in Uniform’ und der publizistischen Begleitung<br />

des Transformationsprozesses sowie, insbesondere<br />

durch <strong>Gneisenau</strong>, durch die Vorbereitung eines neuen<br />

‚doppelpoligen’ Kriegsbildes – einerseits in der ‚klassischen’<br />

Weise der militärischen Duellsituation mit symmetrischem<br />

Kriegsbild und andererseits in asymmetrischen<br />

Kriegsformen, die über eine vergleichbare Dimension wie<br />

gegenwärtig im Irak oder Afghanistan verfügen. 42<br />

Die Kehrseite der Preußischen Reformen ist ihre Nachgeschichte,<br />

die allerdings nicht von den Reformern zu<br />

verantworten ist. Die Rahmenbedingungen der Restaurationsphase<br />

und später im Deutschen Reich nahmen den<br />

Modernisierungsdruck: Die erkennbare staatsbürgerliche,<br />

‚demokratische’ Zielsetzung wurde von der militärischen<br />

Effektivität des Reformwerks entkoppelt, die militärische<br />

Transformation wurde so von ihren politischen und gesellschaftlichen<br />

Implikationen gelöst und instrumentell<br />

für andere Zielsetzungen benutzt.<br />

Als Zwischensumme lässt sich daher festhalten, dass in<br />

der Heeresreform die vier zentralen Handlungsfelder der<br />

Preußischen Reform aufeinander bezogen und miteinander<br />

vernetzt wurden – das Menschenbild der Aufklärung,<br />

die staatlich-gesellschaftlichen Reformen, die Bildungsdimension<br />

und die militärische Transformation: „Aus einer<br />

höheren Warte betrachtet, wurden hier Scharnhorst und<br />

seine Mitstreiter zu Agenten des Epochenwandels.“ 43<br />

Die preußischen (Militär-)Reformen haben ein enormes<br />

staats- und gesellschaftspolitisches wie auch militärisches<br />

Traditionspotential für die Gegenwart. Sämtliche Rahmenbedingungen<br />

waren von den (wenigen) Reformern<br />

39 Zit. nach Eckert, Von Valmy bis Leipzig, S. 144. Die Logik und Schönheit des Arguments leidet hierbei nicht an der historischen Tatsache, dass ein römischer Caesar des 1. vorchristlichen Jahrhunderts natürlich genauso wie ein thebanischer<br />

Epaminondas des 4. vorchristlichen Jahrhunderts von adliger Geburt war – wie sonst hätten sie in Geschichte, Politik und Militär sowie deren Geschichtsschreibung für die Nachwelt Erwähnung gefunden? In der Gedankenwelt<br />

des humanistisch gebildeten <strong>Gneisenau</strong> standen beide für den in die römische und griechische Geschichte zurück projizierten (militärischen) Geniegedanken, der um 1800 die Intellektuellen, das Bürgertum, kurz: die gebildeten Stände<br />

faszinierte.<br />

40 Zit. nach der weitgehend übernommenen Entwurfsfassung vom 30. Juli 1808, abgedruckt in: Usczeck/Gudzent (Hg.), Gerhard von Scharnhorst, S. 255.<br />

41 Dieser andauernde Prozess begann bereits mit dem ‚Handbuch Innere Führung’, hg. v. Bundesministerium für Vereidigung, Bonn 1957 (=Schriftenreihe Innere Führung) unter der Federführung von Wolf Graf von Baudissin; zum Hintergrund<br />

vgl. ders., Die Bedeutung der Reformen aus der Zeit deutscher Erhebung für die Gegenwart, in: ders.: Soldat für den Frieden. Entwürfe für eine zeitgemäße Bundeswehr, hg. u. eingel. von Peter von Schubert, München 1969, S. 86-94<br />

sowie grundsätzlich Heinz Stübig, Die preußische Heeresreform in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/1990, S. 27-40. Die lange Zeit parallel zur Bundeswehr existierende<br />

zweite deutsche Armee berief sich ebenfalls, allerdings mit erheblichen ahistorisch-ideologischen Konstruktionen, auf das Erbe der preußischen Reformer, vgl. Paul A. Koszuszeck, Militärische Traditionspflege in der Nationale Volksarmee<br />

der DDR. Eine Studie zur historischen Legitimation und politisch-ideologischen Erziehung und Bildung der Streitkräfte der DDR, Frankfurt am Main 1991.<br />

42 Zu letzterem vgl. insbesondere Eberhard Birk, Napoleon und <strong>Gneisenau</strong>. Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes, in: ÖMZ 1/2006, S. 59-62. Zur Rolle des ‚kleinen Krieges’ als ‚asymmetrische’ Auseinandersetzung<br />

vor, während und nach der Französischen Revolution vgl. Martin Rink, Der kleine Krieg. Entwicklungen und Trends asymmetrischer Gewalt 1740-1815, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 65 (2006) Heft 2, S. 355-388.<br />

43 Michael Sikora, Gerhard von Scharnhorst – die „Verkörperung“ der preußischen Heeresreform, in: Militärische Reformer in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Potsdam 2007 (=Potsdamer Schriften zur Militärgeschichte Band 2),<br />

S. 11-21, hier S. 15.<br />

104


ichtig analysiert, die grundlegenden Ziele richtig definiert<br />

und die daraus abgeleiteten Maßnahmen durch den<br />

siegreichen Abschluss in den anti-napoleonischen Kriegen<br />

erfolgreich ‚empirisch’ bestätigt – ein Paradebeispiel für<br />

jeden Transformationsprozess. Die Strahlkraft der Reformzeit<br />

als ein herausragendes staatlich-politisches als<br />

auch militärhistorisch freiheitlich deutbares Ereignis auf<br />

das historisch-politische Selbstverständnis der Bundesrepublik<br />

Deutschland einerseits sowie auf das Traditionsverständnis<br />

der Bundeswehr andererseits ist evident.<br />

Ihre ‚nationale’ Stärke impliziert indes eine europäische<br />

Schwäche, denn militärische Tradition in Europa ist national<br />

orientiert und die Summe einzelner nationaler<br />

Traditionen ist – trotz des EU-Wahlspruchs ‚In Vielfalt<br />

vereint’ – keine europäische Tradition. Eine unmittelbare<br />

Relevanz der Heeresreform als einer ‚preußischen’ im<br />

Hinblick auf eine intrinsische Identifikationsstiftung für<br />

den portugiesischen, tschechischen, dänischen oder italienischen<br />

Soldaten ist nur durch eine intellektuelle Abstraktionsleistung<br />

zu erbringen.<br />

Die Heterogenität der unterschiedlichen Nationen, deren<br />

zum Teil langen Armeegeschichten sowie deren meist vormodernen<br />

Traditionsvorstellungen ist offensichtlich: So<br />

mag das britische Traditionsverständnis insular-maritim,<br />

global, anti-europäisch und dem Expeditionscharakter des<br />

Militärischen verhaftet erscheinen; Frankreich als ‚Grande<br />

Nation’ den zivilisatorischen Idealen ebenso huldigen wie<br />

als ehemalige Kolonialmacht und dem von de Gaulle revitalisierten<br />

Führungsanspruch in Europa noch immer vergangener<br />

‚grandeur’ hinterher trauern. Österreich als neutraler<br />

Staat in der EU mit seiner ‚kaiserlichen Aura’ hat seit<br />

2001 einen Traditionserlass, der sich stellenweise bis zum<br />

Wortlaut dem bundesdeutschen Traditionserlass angenähert<br />

hat; 44 Polen hat das Spannungsfeld von (katholischer)<br />

Nation und kommunistischer Vergangenheit auszuhalten<br />

und den neuen demokratischen Normen anzupassen. 45<br />

IV. Rahmenbedingungen einer europäischen<br />

Traditionslinie für die Zukunft<br />

Nationale militärische Führungskulturen in Europa und<br />

ihre jeweilige Ableitung aus den nationalen Geschichten<br />

der bewaffneten Macht sowie deren praktizierten militärischen<br />

Erinnerungskulturen – Tradition – orientieren<br />

sich bisher in der Regel an dem Ziel, eine eigene, genuin<br />

militärische Kontinuitätslinie zu konstruieren. Um ein<br />

Europäisierungspotential zu erlangen resp. zu begründen,<br />

müssen sie sich – gelegentlich durch ‚schmerzhafte’ Lernprozesse<br />

– zu (militär-)historisch-politischen und reflexiven,<br />

über die Gegenwart und ihre Szenarien, der Zukunft<br />

zugewandte Variationen und Adaptionen entwickeln.<br />

Wenngleich gegenwärtig keine existentielle äußere Bedrohung,<br />

keine europäische Verfassung und keine den nationalen<br />

politischen und gesellschaftlichen Diskursen vergleichbare<br />

europäische Öffentlichkeit existieren, stehen<br />

Streitkräfte der EU-Staaten in gemeinsamen Einsätzen auf<br />

drei Kontinenten und deren Randmeeren. 46 Sie vertreten<br />

dort neben nationalen auch europäische Interessen, die<br />

sich auf gemeinsame Ziele und Werte stützen.<br />

Zwar ist offensichtlich, dass Soldaten in der Armee eines<br />

souveränen Nationalstaates dienen, der seine Staatsbürger<br />

schützt – diese Betrachtung ist legitim, aber zusehends<br />

in Erosion begriffen. Der Nationalstaat wurde politisch<br />

„gemacht“ und war – auch als „imagined community“ 47<br />

– ein historischer Sonderweg zur Bewältigung sozialer<br />

Herausforderungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Spätestens<br />

angesichts des säkularen Globalisierungsprozesses<br />

und des grenzüberschreitenden Charakters neuer sicherheitspolitischer<br />

Herausforderungen wird deutlich, dass<br />

die Aufgabenstellung der Zukunft einen größeren europäischen<br />

Rahmen benötigt – aus sozial-, wirtschafts- und<br />

gesellschaftspolitischer als auch aus sicherheits- und verteidigungspolitischer<br />

Perspektive.<br />

Nationale Sicherheits- und Verteidigungspolitiken im<br />

Zuge der Globalisierung zu präferieren verkennt die objektive<br />

Tatsache, dass auch nationale Sicherheit in Europa<br />

heute nur als Ableitungsfunktion gesamteuropäischer<br />

44 Vgl. Verlautbarungsblatt I des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Jahrgang 2001 (53. Folge), Wien 5. Dezember 2001; Inhalt: 117. Anordnung für die Traditionspflege im Bundesheer – Neufassung [Erlass vom 8. Oktober 2001,<br />

GZ 35 100/8–3.7/00], S. 597-638.<br />

45 Vgl. Andrew A. Michta, The soldier-citizen. The politics of the Polish army after communism, New York 1997.<br />

46 Für eine Auflistung – neben Einsätzen von Polizei und zivilen Kräften – der ‚Past and present ESDP Operations’ vgl. http://www.consilium.europa.eu/showPage.asp?id=268&lang=EN&mode=g [20.10.2008].<br />

47 Vgl. Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983.<br />

105


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

Sicherheit denkbar ist. Dies alles erfordert ein grundsätzliches<br />

Umdenken – Transformationen beginnen im Kopf.<br />

Dabei geht es nicht um die Delegitimierung und sofortige<br />

Abschaffung nationaler Streitkräfte. Sicherlich werden die<br />

EU-Staaten für eine Übergangszeit nationale Streitkräfte<br />

behalten wollen. Aber dass es nun gilt, die EU zu einem<br />

strategisch autonomen Akteur vor, während und nach<br />

Krisen weiterzuentwickeln, ist evident. Dazu gehören natürlich<br />

à la longue auch europäische Streitkräfte.<br />

Dies könnte resp. wird mit mehreren Schritten durch<br />

finanziellen Druck, möglichen neuen äußeren Herausforderungen<br />

oder mit einem Schub eines wachsenden<br />

europäischen Bewusstseins zur Schaffung von zunächst<br />

Synchronized und dann Strategic Armed Forces Europe<br />

führen – für beide Varianten wäre das Akronym SAFE<br />

vorzuschlagen –; unberührt hiervon bleiben entweder zunächst<br />

oder ständig nationale Kapazitäten, die neben dem<br />

Schwert SAFE das Schild europäischer Verteidigung bleiben.<br />

Die bereits existierenden multinationalen Streitkräfteformationen<br />

wie zum Beispiel das Eurokorps oder das<br />

Konzept der EU-Battlegroups werden hierbei sicherlich<br />

die katalysatorische Funktion eines wertvollen Nukleus<br />

übernehmen. Sie sind auf dem Weg zu integrierten Streitkräften<br />

weder Hindernis noch ein auf Dauer angelegter<br />

finaler Zustand.<br />

Die zunehmende Vernetzung sicherheits- und verteidigungspolitischer<br />

Analyse-, Entscheidungs- und Handlungsstrukturen<br />

vor dem Hintergrund gemeinsamer<br />

sicherheitspolitischer Herausforderungen sowie der fortzuschreibenden<br />

Europäischen Sicherheitsstrategie macht<br />

neben den politisch-institutionell notwendigen Desiderata<br />

– Verfassungsvertrag, EU-Staatsbürgerschaft und Europäisches<br />

Soldatenstatut resp. Europäisches Soldatengesetz –<br />

auch Überlegungen hinsichtlich der Herausbildung eines<br />

europäischen Bewusstseins für die Soldaten der EU wünschens-<br />

und erstrebenswert, das in eine Politische Kultur<br />

eingebunden sein muss. 48 Dies könnte sukzessive auch zu<br />

einem europäischen militärischen Selbstverständnis führen<br />

– gestützt auf eine ‚europäische Tradition’.<br />

Dies erfordert indes die Intensivierung und Institutionalisierung<br />

der historisch-politischen Bildung für die zukünftigen<br />

Soldaten der EU, was dann auch die Möglichkeit<br />

eröffnet, die noch-nationalen Traditionslinien in Europa<br />

anzunähern. Hierzu wären mehrere Maßnahmen denkbar:<br />

Harmonisierung der Offizier- und Unteroffizierausbildung<br />

durch ein Lehrbuch für europäische Militärgeschichte,<br />

Herausgabe einer Europäischen Militärischen Zeitschrift<br />

(EUMZ), Bildung militärischer und sicherheitspolitischer<br />

<strong>Gesellschaft</strong>en, Schaffung einer ‚europäischen Himmeroder<br />

Denkschrift’, Herausgabe eines europäischen Traditionserlasses<br />

etc. 49<br />

Wenn man sich die in der Himmeroder Denkschrift niedergelegten<br />

Gedanken vergegenwärtigt, so sieht man auf<br />

den ersten Blick, dass mit diesen hier skizzierten Vorschlägen<br />

und Perspektiven eines europäischen Geschichts- und<br />

Traditionsbewusstseins nichts Neues angemahnt wird:<br />

„Durch Schaffung eines europäischen Geschichtsbildes“<br />

soll „ein entscheidender Beitrag für die Entwicklung zum<br />

überzeugten Staatsbürger und europäischen Soldaten geleistet<br />

werden.“ 50 Es geht also um die mehr als ein halbes<br />

Jahrhundert verzögerte Einlösung eines Desiderates:<br />

„Die Verpflichtung Europa gegenüber, in dem diese Ideale<br />

entstanden sind und fortwirken sollen, überdeckt alle traditionellen<br />

Bindungen. Name und Symbole sind darauf<br />

abzustimmen.“ 51<br />

Ein Konzept für eine mögliche europäische Traditionsbildung<br />

hat von einigen Voraussetzungen auszugehen,<br />

um einen Integrationsrahmen für die ‚alten’ und ‚neuen’<br />

EU-Staaten aufzuzeigen. Die nationalen Traditionen sollen<br />

– unter Beibehaltung der Möglichkeit zur nationalen<br />

Weiterentwicklung – nicht durch eine einheitliche europäische<br />

Tradition ersetzt werden. Vielmehr sollen neue,<br />

europäische Perspektiven die nationalen Betrachtungsweisen<br />

von Tradition erweitern, um in europäischem Rahmen<br />

das alte, allen Gemeinsame erneuernd zu bewahren.<br />

Die tief reichenden Wurzeln Europas sind hinreichend<br />

bekannt: Die drei Hügel Europas heißen Akropolis (Demokratie),<br />

Golgatha (Christentum) und Kapitol (Herrschaft<br />

des Römischen Rechts). Deren Grundlegungen<br />

werden ergänzt und transformiert durch die neuzeitlichen<br />

48 Vgl. Andreas Dornheim/Sylvia Greiffenhagen (Hg.), Identität und Politische Kultur, Stuttgart 2003 sowie Eberhard Birk, Innere Führung und militärische Tradition im Spannungsfeld von Theoriendynamik und Politischer Kultur, in: ders.,<br />

Militärische Tradition, S. 71-100.<br />

49 Vgl. hierzu Eberhard Birk, Aspekte der Europäisierung der Historisch-Politischen Bildung in der Bundeswehr, in: Eberhard Birk (Hg.), Aspekte einer europäischen Identität (=<strong>Gneisenau</strong> Blätter 2), Fürstenfeldbruck 2004, S. 54-60. Eine<br />

EUMZ wäre in Anlehnung und Erweiterung der ÖMZ denkbar. Weitere <strong>Gesellschaft</strong>en wären in Anlehnung an die <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> zur Förderung der Offizierschule der Luftwaffe (OSLw) e.V. von 2000 in Fürstenfeldbruck und der<br />

Politisch-Militärischen <strong>Gesellschaft</strong> e.V. von 1997 in Köln – beide übrigens in Anlehnung an die preußischen Heeresreformer <strong>Gneisenau</strong> und Scharnhorst! – denkbar und wünschenswert. Für die Erarbeitung einer ‚europäischen Himmeroder<br />

Denkschrift’ und ‚Richtlinien zu einem europäischen Traditionsverständnis’ wäre neben nationalen Gremien der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlamentes zu beteiligen.<br />

50 Himmeroder Denkschrift, Abschnitt V. D. Erzieherisches, S. 54f.<br />

51 Ebd., V. B. Politisches, S. 53.<br />

106


Entwicklungen Humanismus und Aufklärung, wissenschaftlich-technischer<br />

Fortschritt und wirtschaftliche<br />

Prosperität. Sie bedürfen – neben der Weiterentwicklung<br />

der Philosophie, des technischen Rationalismus sowie der<br />

Natur- und Geisteswissenschaften vor dem Hintergrund<br />

des Spannungsfeldes der Wechselwirkungen von Natur<br />

und Geist – jedoch der Anerkennung des inneren Kerns:<br />

der unverwechselbaren Einzigartigkeit des menschlichen<br />

Individuums und seiner Fähigkeit, sein eigenes Leben<br />

und – als zoon politikon – jenes seiner Gemeinschaft(en)<br />

auf der Grundlage dieser Erkenntnis zu ordnen. Es geht<br />

um die historische Tiefendimension unserer europäischen<br />

Werteordnung. 52 Diese Grundeinsichten bedürfen jedoch<br />

eines konkretisierten Entwurfes eines an historischen<br />

Ereignissen oder Prozessen orientierten europäischen<br />

Geschichtsbildes, 53 das sich mit dem Selbstverständnis der<br />

Staaten der Gegenwart verbinden lässt.<br />

Der „Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für<br />

Europa“ bietet hierfür eine überzeugende Antwort, wenn<br />

er sich in seiner Präambel auf die „kulturellen, religiösen<br />

und humanistischen Überlieferungen Europas, deren<br />

Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind und die zentrale<br />

Stellung des Menschen und die Vorstellung von der<br />

Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte<br />

sowie vom Vorrang des Rechts in seiner <strong>Gesellschaft</strong>“ bezieht<br />

sowie „Gleichheit der Menschen, Freiheit, Geltung<br />

der Vernunft“ postuliert. 54 Es müssen also, dies als Prämisse,<br />

weiterhin Werte und Normen sein, sinnbildlich<br />

gestützt auf einen einheitlichen gesamteuropäischen historischen<br />

Erfahrungshorizont. Die Werte und Normen<br />

sind nur scheinbar abstrakt: durch den demokratischen<br />

Verfassungsstaat gesicherte und einklagbare, personengebundene<br />

und damit unveräußerliche Freiheitsrechte. In<br />

einem europäischen Traditionskonzept müssen sich die<br />

unverzichtbaren Elemente wiederfinden. Den nationalen<br />

militärhistorischen ‚lieux de mémoires’ 55 müssen daher<br />

europäische Optionen zur Seite gestellt werden.<br />

V. Bausteine für eine europäische Traditionslinie<br />

Gleichsam folgerichtig finden sich diese Basiselemente im<br />

Erfahrungshorizont der gesamteuropäischen Erhebung<br />

von 1848/49, dem Widerstand gegen den Totalitarismus<br />

und der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses.<br />

Alle drei hiermit vorgeschlagenen „europäischen Traditionssäulen“<br />

wären – verstanden als aktuelle, gleichwohl<br />

in Zukunft veränderbare Bestandsaufnahme – geeignet,<br />

neben dem westeuropäischen auch den mittel- und osteuropäischen<br />

historischen Erfahrungsschatz zu integrieren.<br />

1. Die gesamteuropäische Erhebung von 1848/49<br />

Die politische und soziale Erhebung, die in der Revolution<br />

von 1848/49 ihren Kulminationspunkt fand, war über die<br />

jeweils ‚national’ wahrgenommenen Ereignisketten hinaus<br />

ein gesamteuropäischer Prozess. 56 Trotz des obrigkeitsstaatlichen<br />

Drucks, für den pars pro toto die Karlsbader<br />

Beschlüsse von 1819 stehen, blieben die Ideen von Nation,<br />

Liberalismus und Verfassungsstaat als politische Leitmotive<br />

des Vormärz, der Epoche vom Wiener Kongress<br />

bis zur Revolution 1848, virulent. 57 Bis dahin bestimmten<br />

die monarchischen Prinzipien des „Systems Metternich“ –<br />

Restauration, Legitimität und Solidarität – die innen- und<br />

außenpolitischen Rahmenbedingungen europäischer Politik.<br />

Nach dem Verlust der politischen Kontrolle der alten<br />

Mächte über die Geschehnisse, die Barrikadenkämpfe in<br />

Berlin, die Erhebungen in Frankreich, Österreich, Ungarn<br />

etc., 58 sahen sich viele Kabinettsregierungen genötigt, Zugeständnisse<br />

zu geben. Die europäische Revolution war<br />

ein vielschichtiger Prozess mit vielfältig differenzierten<br />

Zielen unterschiedlichster Gruppierungen: bäuerliche<br />

Protestbewegungen, bürgerliche Verfassungsbewegung,<br />

Protestaktionen von Teilen der Unterschichten gegen die<br />

bestehende Sozialordnung und die nationalrevolutionären<br />

Bewegungen. 59<br />

Die allgemeine Dramatik dieser Erhebungszeit machte vor<br />

den Soldaten der aktiven Regimenter wie auch der Reservisten<br />

nicht halt. 60 So dokumentieren mehrere Adressen<br />

52 Vgl. Eberhard Birk, Aspekte einer militärischen Tradition für Europa, in: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 2/2004, S. 131-140.<br />

53 Vgl. dazu Susanne Popp, Auf dem Weg zu einem europäischen „Geschichtsbild“. Anmerkungen zur Entstehung eines gesamteuropäischen Bilderkanons, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/2004, S. 23-31.<br />

54 Amtsblatt der Europäischen Union [DE] C 310 (2004), 47. Jahrgang vom 16. Dezember 2004, S. 3.<br />

55 Zum Konzept vgl. Pierre Nora (Hg.), Les Lieux de mémoria, Bd. I (La République), Bd. II in 3 Bdn. (La Nation), Bd. III in 3 Bdn. (Les France), Paris 1984-1992.<br />

56 Vgl. Manfred Botzenhart, 1848/49: Europa im Umbruch. Paderborn-München-Wien-Zürich 1998.<br />

57 Vgl. Dieter Langwiesche, Europa zischen Restauration und Revolution 1815-1849, 4. Aufl. München 2004 (=Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 13).<br />

58 Vgl. die Beiträge in Dow, Dieter/ Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hg.), Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998.<br />

59 Vgl. Wolfgang J. Mommsen, 1848. Die ungewollte Revolution, Frankfurt/M. 2000, S. 300.<br />

60 Vgl. dazu grundsätzlich Dieter Langewiesche, Die Rolle des Militärs in den europäischen Revolutionen von 1848, in: Dow, Dieter/ Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hg.), Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998, S.<br />

915-932 sowie Sabrina Müller, Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49, Paderborn 1999 (=Krieg in der Geschichte Bd. 3).<br />

107


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

und Flugblätter, die zum Teil von Bürgern oder Soldaten<br />

höherer Bildung geschrieben und von einer Vielzahl von<br />

Soldaten unterschrieben wurden, in den südwestdeutschen<br />

Festungen und Standorten deren Auseinandersetzung mit<br />

den revolutionären Zielen: 61 „Wir sind keine geworbenen<br />

Söldlinge, wir sind Bürgersoldaten.“ Vielmehr solle in der<br />

Zukunft die Aufgabe der Soldaten jener der Bürgerwehren<br />

entsprechen: „Vertheidigung des Landes, der Verfassung<br />

und der durch die Gesetze gesicherten Rechte und Freyheit<br />

gegen innere und äußere Feinde.“ Ihre Verbundenheit mit<br />

den Revolutionären brachten sie ebenfalls zum Ausdruck:<br />

„Auf unsere teutschen Brüder schießen wir nicht.“ Diese<br />

Soldaten verstanden sich als „Bürger im Soldatenrock“,<br />

wie es badische Infanteristen am 8. April 1848 in einer<br />

Petition an ihre Vorgesetzten formuliert haben. Darüber<br />

hinaus forderten viele Soldaten in ihren Eingaben eine<br />

allgemeine Humanisierung des Militärdienstes sowie die<br />

Gewährung von sozialen und wirtschaftlichen Zukunftschancen.<br />

In summa bieten diese Haltungen ein enormes<br />

Europäisierungspotential.<br />

In der konkreten historischen Situation scheiterte diese<br />

Erhebung, nachdem die alten Regimes wieder im Vollbesitz<br />

sämtlicher Machtapparate waren, 62 „aber nicht umsonst<br />

war die Revolution, wenn wir an die Fernwirkungen<br />

denken (...) im Verfassungsdenken, in der Loyalität zur<br />

Republik, in der wir leben (...) Die Forderungen, das Volk<br />

zu bewaffnen, gaben der bewaffneten Gewalt eine neue,<br />

demokratische Legitimation.“ 63 Unter dieser Perspektive<br />

betrachtet wäre der dem Wehrdienst unterliegende<br />

Soldat zum Schutz des freien und sozialen Rechtsstaates<br />

verpflichtet. In diesem Zusammenhang ist es aber auch<br />

erlaubt auf <strong>Gneisenau</strong> hinzuweisen, der vier Jahrzehnte<br />

zuvor das 1848 erstrebte Ziel in anderen Worten umschrieb:<br />

„Dem bloß Dienenden zu einem ihm unbekannten<br />

Zwecke ist es gewöhnlich gleich, wem er diene und<br />

wessen Sache er führe; aber der Bürger im Staate, der sein<br />

Vaterland kennt und das Glück einer gerechten Regierung<br />

unter milden Gesetzen und den Fortschritt zum Bessern<br />

in jedem Zweige des inneren Lebens und die Hoffnung<br />

der Zukunft schätzen weiß, bringt mit Freuden sein Opfer<br />

dar, um diese höchsten aller Güter, wo nicht sich, noch<br />

denen zu sichern, denen nach ihm der vaterländische Boden<br />

grünt (...) Die Aufgabe ist, eine von andern Völkern<br />

beneidete Constitution zu haben.“ 64<br />

2. Widerstand gegen den Totalitarismus<br />

Dass politische Partizipationsrechte im totalitären Staat<br />

kein konstitutives Merkmal darstellen, ist evident. Die gesamteuropäische<br />

Erfahrung mit den totalitären Staaten des<br />

20. Jahrhunderts war neben der überzeugten und aktiven<br />

Unterstützung auch das stille Erdulden, der aktive Widerstand<br />

gegen denselben, sei es, um von außen die Befreiung<br />

zu erwirken, oder von innen – friedlich oder gewaltsam<br />

– die Überwindung des Totalitarismus zu erreichen. 65 Im<br />

Kampf gegen den die Freiheits- und Bürgerrechte negierenden<br />

modernen totalen Moloch Staat, den „Leviathan“<br />

in seinen vielfältigen Erscheinungsformen im ‚Zeitalter<br />

der Ideologien’ 66 – Faschismus und Nationalsozialismus,<br />

Sozialismus und Kommunismus 67 –, standen die Europäer<br />

das gesamte 20. Jahrhundert. 68 Dabei nimmt ohne<br />

Zweifel der Kampf gegen das nationalsozialistische „Dritte<br />

Reich“ einen prominenten Platz ein, dies gilt ebenso für<br />

die Erhebungen im kommunistischen Ostblock, wie zum<br />

Beispiel in der DDR 1953, 69 der CSSR 1968 70 oder zuvor<br />

in Ungarn 1956, 71 wo dann im Sommer 1989 die trennende<br />

Systemgrenze im Herzen Europas geöffnet wurde.<br />

Der Drang zur Selbstbestimmung der Nation, mehr Freiheit,<br />

mehr Demokratie und auch mehr Wohlstand – das<br />

waren die Forderungen, die sich in allen Manifesten und<br />

auf allen Bannern fanden, gleichviel, ob sie durch die Straßen<br />

Warschaus oder Prags, Leipzigs oder Budapests getragen<br />

wurden, 72 bevor dann symbolisch und de facto am<br />

9. November 1989 – noch spektakulärer – die Mauer in<br />

61 Für die folgenden Zitate siehe Müller, Soldaten, S. 203 und 204.<br />

62 Vgl. Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 1985, S. 157-175 (=Neue Historische Bibliothek).<br />

63 Wolfgang Hug, Demokraten und Soldaten. Bewaffnete Gewalt in der Revolution von 1848/49 – aus südwestdeutscher Sicht, in: 1848. Epochenjahr für Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland, hg. v. Bernd Rill, München 1998, S.<br />

205-223, hier S. 222.<br />

64 Zit. nach Eckert, Von Valmy bis Leipzig, S. 112.<br />

65 Vgl. Eckhard Jesse (Hg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Bonn 1999.<br />

66 Vgl. Karl Dietrich Bracher, Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1984.<br />

67 Vgl. statt vieler Eric Hobsbawn, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München-Wien 1995 und Mark Mazower, Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert, Berlin 2000 sowie unter anderer Perspektive<br />

Dan Diner, Das Jahrhundert verstehen. Eine universalhistorische Deutung, München 1999.<br />

68 Vgl. Birk, Einigkeit und Recht und Freiheit, S. 70.<br />

69 Vgl. Torsten Diedrich, Waffen gegen das Volk. Der 17. Juni 1953 in der DDR, München 2003.<br />

70 Vgl. Jan Pauer, Prag 1968. Der Einmarsch des Warschauer Paktes. Hintergründe, Planung, Durchführung, Bremen 1995.<br />

71 Vgl. Paul Lendvai, One day that shook the communist world: the 1956 Hungarian uprising and its legacy, Princton (u.a.) 2008 und Peter Kende/Eike Wolgast (Hg.), Der Ungarnaufstand: das Jahr 1956 in der Geschichte des 20. Jahrhunderts;<br />

wissenschaftliches Kolloquium anlässlich des 50. Jahrestages der Revolution 1956 in Ungarn, Budapest 2007.<br />

72 Vgl. Curt Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung 1945 bis 1993, Bonn 1994, S. 420.<br />

108


Berlin fiel. Der frühere deutsche Bundespräsident Richard<br />

von Weizsäcker sagte einst: „Solange das Brandenburger<br />

Tor geschlossen ist, bleibt die deutsche Frage offen.“ Er<br />

hätte aber auch sagen können: „ ... bleibt die europäische<br />

Frage offen“.<br />

Eine militärische Traditionsbildung müsste sich über<br />

den Widerstand gegen den Totalitarismus hinaus an den<br />

Grundlagen eines freiheitlichen und demokratischen<br />

Staats- und <strong>Gesellschaft</strong>sverständnisses orientieren – es genügt<br />

nicht eine totalitäre Ideologie durch eine andere zu<br />

ersetzten! Ein europäisches Traditionsverständnis könnte<br />

sich an die Punkte 15 und 16 des deutschen Traditionserlasses<br />

anlehnen: Demnach sollen „Zeugnisse, Haltungen<br />

und Erfahrungen“ im Traditionsverständnis verankert<br />

werden, „die als ethische und rechtsstaatliche, freiheitliche<br />

und demokratische Traditionen auch für unsere Zeit<br />

beispielhaft und erinnerungswürdig sind“ und „in denen<br />

Soldaten über die militärische Bewährung hinaus an politischen<br />

Erneuerungen teilhatten, die zur Entstehung<br />

einer mündigen Bürgerschaft beigetragen und den Weg<br />

für ein freiheitliches, republikanisches und demokratisches<br />

Deutschland gewiesen haben“ 73 – natürlich müsste<br />

‚Deutschland’ durch ‚EU’ resp. ‚Europa’ ersetzt werden.<br />

Zur Personalisierung für die militärische Traditionsbildung<br />

eignet sich zum Beispiel Caesar von Hofacker (1896-<br />

1944), ein Cousin Stauffenbergs – beide waren übrigens<br />

Ururenkeln von <strong>Gneisenau</strong>. Hofacker war wie viele seiner<br />

Generation Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, zunächst<br />

Monarchist, dann Nationalist; er wurde während<br />

des Zweiten Weltkrieges durch einen für ihn schmerzhaften<br />

Lernprozess – vom ‚Saulus zum Paulus’ – zum Patriot<br />

und erfolgreichen Widerstandskämpfer aus sittlicher<br />

Überzeugung, der auch zum Europäer taugt. 74 In einem<br />

Brief an seine Frau vom 15. Juli 1940 nahm er bereits<br />

visionär die Europapolitik des deutschen Bundeskanzlers<br />

Helmut Kohl und des französischen Präsidenten François<br />

Mitterand mit ihrem symbolischen Händedruck über den<br />

Gräbern von Verdun im September 1984 und die durch<br />

die Einführung des Euro zum 1. Januar 2002 gekrönte Europäische<br />

Wirtschafts- und Währungsunion vorweg: „Ich<br />

würde, wenn es auf mich ankäme, (...) eine Währungsund<br />

Wirtschaftsunion zwischen Frankreich und Deutschland<br />

proklamieren und in einem feierlichen symbolischen<br />

Akt auf den gemeinsamen Totenfeldern von Verdun eine<br />

ewige deutsch-französische Allianz gründen.“ 75<br />

Deshalb liegt der deutsche Verteidigungsminister Jung<br />

mit seiner Interpretation vollkommen richtig, wenn er in<br />

der Traditionssäule des militärischen Widerstandes eine<br />

bewahrenswerte ethische, rechtsstaatliche und damit letztlich<br />

auch eine europäische Dimension erblickt. Bei einer<br />

traditionellen Vereidigung von Rekruten im Bendler-<br />

Block, dem Ort des Umsturzversuches vom Juli 1944 und<br />

nunmehr Sitz des Verteidigungsministeriums in Berlin,<br />

führte er am 20. Juli 2007 aus: „Die Kerngedanken der<br />

europäischen Einigung sind im politischen Vermächtnis<br />

des deutschen Widerstands enthalten. (...) (D)ie Gelöbnisformel<br />

verdeutlicht, dass militärisches Handeln nicht<br />

für sich stehen kann, sondern nur im Dienste von Werten,<br />

wie sie im Grundgesetz verankert sind, die schließlich<br />

die Werte sind, die uns in Europa miteinander verbinden.<br />

Dieser europäische Wertebezug, dessen Tradition und historische<br />

Wurzeln wir heute würdigen, ist ungebrochen lebendig<br />

und bedeutsam.“ 76<br />

3. Der europäische Integrationsprozess nach 1945<br />

Die stärkste Identität stiftende Klammer indes ist ohne Frage<br />

der Erfolg des europäischen Integrationsprozesses nach<br />

1945. Mit der mittel- und osteuropäischen Erhebung in<br />

den Jahren 1989/1991 bot sich die Möglichkeit der Umsetzung<br />

der Vision eines „Europe whole and free“ auch für<br />

den anderen Teil Europas. Dies war bekanntlich auch der<br />

Ansatz der europäischen Einigungsbewegung, die bereits<br />

im Zweiten Weltkrieg und danach im Schatten des Kalten<br />

Krieges herangewachsen war. Sie setzte sich eine gemeinsame<br />

europäische Regierung zum Ziel, die auch für eine<br />

gemeinsame Verteidigung zuständig sein sollte. 77 Hierin<br />

spiegelte sich nicht nur eine konzeptionelle Antwort auf<br />

die bellizistische Vergangenheit des Kontinents wider. Die<br />

europäische Einigungsbestrebung wurde vielmehr gleich-<br />

73 Zit. nach Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 231f.<br />

74 Zu Hofacker vgl. Eberhard Birk, Caesar von Hofacker – „ein fanatischer Treiber und Verfechter des Putschgedankens“, in: ders, Militärische Tradition, S. 101-128.<br />

75 Zit. nach Ulrich Heinemann, Caesar von Hofacker – Stauffenbergs Mann in Paris, in: „Für Deutschland“. Die Männer des 20. Juli, hg. v. Klemens von Klemperer, Enrico Syring, Rainer Zitelmann, Frankfurt/M., Berlin 1994, S. 108-125,<br />

hier S. 114.<br />

76 http://www.franz-josef-jung.de/bt_reden/2007_juli20.pdf<br />

77 Vgl. Walter Lipgens, Die Bedeutung des EVG-Projekts für die europäische Einigungsbewegung, in: Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Stand und Probleme der Forschung, hg. v. MGFA, Boppard 1985, S. 9-30, hier S. 9.<br />

109


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

zeitig „für die Dauer des Ost-West-Konfliktes notgedrungen<br />

zu einem funktionalen Bestandteil der westlichen<br />

Selbstbehauptung in diesem Konflikt.“ 78 Ihre zentrale geschichtsmächtige<br />

Organisationseinheit bildete die mit den<br />

– nomen est omen – Römischen Verträgen vom 25. März<br />

1957 konstituierte EWG, 79 die den größten politischen<br />

und wirtschaftlichen Schritt auf dem Weg zu einem „immer<br />

engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“<br />

bildete und damit symbolisch die historische Tiefe und<br />

geografische Weite für ein unvergleichbares, gesamteuropäisches<br />

historisch-politisches Projekt aufzeigte. Damit<br />

bot dieser Zusammenschluss grundsätzlich die Möglichkeit<br />

eines Beitritts osteuropäischer Völker, denen damals<br />

die Teilnahme versagt blieb. Deren Aufnahme erst machte<br />

die EU zu einer „Union der europäischen Völker“. Sie<br />

bringen mit ihren gewaltlosen Freiheitsrevolutionen einen<br />

Traditionsbestand mit, der die beiden zuerst genannten<br />

Säulen – die gesamteuropäische Erhebung von 1848/49<br />

und den Widerstand gegen den Totalitarismus –, mit der<br />

dritten, dem Erfolg der europäischen Integration, verbindet.<br />

Den alten und neuen europäischen Partnern bietet dieser<br />

Vorschlag eine Plattform der Integration. Die Auflehnung<br />

gegen Absolutismus, totalitäre Ideologien und Tyrannei<br />

sowie das Streben nach Freiheit, Demokratie und nach<br />

Selbstbestimmung auf der Basis der Majestät des Rechts,<br />

bilden ein gesamteuropäisches Erbe, das von allen Europäern<br />

geteilt werden kann. Diese Werte und Normen<br />

spiegeln einen auf ganz Europa übertragbaren Ansatz wider,<br />

sind es doch auch die neuen Partner, die aus freien<br />

Stücken zu den Wertegemeinschaften EU und NATO gezogen<br />

wurden.<br />

Ob dieses Traditionsverständnis sich dann an der preußischen<br />

Heeresreform, dem europäischen Völkerfrühling<br />

von 1848/49 und seinem ‚Bürger’-Soldaten, militärischen<br />

Operationen des Zweiten Weltkrieges (z.B.: Invasion), 80<br />

dem militärischen Widerstand gegen das NS-Regime, 81<br />

den westeuropäischen Sicherheitsstrukturen resp. den<br />

Geschichten nationaler Armeen über die Zeit des Kalten<br />

Krieges hinaus, 82 dem Aufbau eigener militärischer europäischer<br />

Strukturen (z.B. Eurokorps, D/NL-Korps u.a.)<br />

oder EU-Operationen der Gegenwart und Zukunft orientiert,<br />

ist dabei zweitrangig. Klar ist jedoch: Europäische<br />

Streitkräfte müssen sich als ein Mittel für die Durchsetzung<br />

des Friedens in Freiheit als Grundvoraussetzung<br />

militärischen Dienens begreifen. Dieses in Vergangenheit<br />

und Gegenwart verwurzelte soldatische Ethos bietet<br />

Halt, Orientierung und Wertefestigkeit für die Aufgaben<br />

der Zukunft. Europäische Streitkräfte sind dazu da, diese<br />

erstrittenen Güter zu verteidigen und für ihren weiteren<br />

Bestand einzutreten, sind diese doch ihre Tradition.<br />

VI. Fazit<br />

Am Anfang stand die Niederlage gegen Napoleon. „Jena<br />

und Auerstädt“ wurde zur Chiffre eines gesamtstaatlichen<br />

und militärischen Modernisierungsdefizits. Die gebotenen<br />

Staats-, <strong>Gesellschaft</strong>s- und Bildungsreformen spiegelten<br />

sich auch in den Militärreformen wider. Die Neuregelung<br />

des (bürgerlichen) Zugangs zum Offizierberuf sowie die<br />

Notwendigkeit einer zeitadäquaten Bildung, lebenslanges<br />

Lernen in Form allgemeiner und militärfachlicher Weiterbildung<br />

wurden von Scharnhorst und <strong>Gneisenau</strong> bereits<br />

vor 200 Jahren eingefordert. Zeitgleich forderte der damalige<br />

k.k. Feldmarschallleutnant Radetzky 1811 in seiner<br />

Generalquartiermeisterstab-Denkschrift, „dass es nicht<br />

genug sei, als ein ausgezeichnet braver Offizier bekannt<br />

zu sein, sondern dass dabei auch eine gewisse Bildung, die<br />

zum Lernen geschickt macht (...) sehr in Anschlag zu bringen“<br />

ist. 83 Ihre Postulate dienen als Anknüpfungspunkte<br />

für ein heutiges – nationales und europäisches – Berufsverständnis<br />

als Offizier. 84<br />

<strong>Gneisenau</strong> führte hier durch ‚Vorbild’: Er war bildungsbeflissener<br />

Theoretiker und leistungsorientierter Prakti-<br />

78 Ebd., S. 12; vgl. zudem zu den unterschiedlichen Ansätzen Klaus Schwabe, Der Stand der Bemühungen um Zusammenarbeit und Integration in Europa 1948-1950, in: Die westliche Sicherheitsgemeinschaft 1948-1950. Gemeinsame<br />

Probleme und gegensätzliche Nationalinteressen in der Gründungsphase der Nordatlantischen Allianz, i.A. des MGFA hg. v. Norbert Wiggershaus und Roland G. Foerster, Boppard 1988, S. 25-36.<br />

79 Vgl. Franz Knipping, Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas, München 2004 (=20 Tage im 20. Jahrhundert). Für den Vertragstext vgl. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957. Der Vertrag ist in<br />

seiner ursprünglichen Fassung am 01.01.1958 in Kraft getreten gem. Bek. v. 27.12.1957 (BGBl. 1958 II S.1). Die Neufassung trat am 01.11.1993 in Kraft (Bek. v. 19.10.1993, BGBl. II S.1947).<br />

80 Vgl. etwa Hans Umbreit (Hg.), Invasion 1944, Hamburg 1998 (=Vorträge zur Militärgeschichte Bd. 16).<br />

81 Vgl. hierzu Winfried Heinemann, Der militärische Widerstand und der Krieg, in: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945, i.A. des MGFA hg. v. Jörg Echternkamp (=Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/1:<br />

Politisierung, Vernichtung, Überleben), München 2004, S. 743-892 und Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945. Begleitband zur Wanderausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes,<br />

hg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) von Thomas Vogel, 5., völlig überarb. und erw. Aufl. Hamburg-Berlin-Bonn 2000. Das bedeutete jedoch nicht, dass dies von Anbeginn ohne Friktionen in<br />

der Bundeswehr generell bejaht wurde; vgl. Stefan Geilen, Das Widerstandsbild in der Bundeswehr, in: Militärgeschichte, NF 6 (1996), S. 63-71. Zur Schwierigkeit des Begriffes vgl. Klaus-Jürgen Müller, Über den ‚militärischen Widerstand’,<br />

in: Widerstand gegen den Nationalsozialismus, hg. v. Peter Steinbach / Johannes Tuchel, Bonn 1994, S. 266-279.<br />

82 Vgl. hierzu die Reihenwerke des MGFA: ‚Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956’ (4 Bände), München 1982/1997; ‚Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956’ (seit 1998 bisher 6 Bände); ‚Sicherheitspolitik<br />

und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland’ (seit 2006 bisher 8 Bände) oder Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr 1955 bis 2005, im Auftrag des MGFA hg. v. Klaus-Jürgen Bremm, Hans-Hubertus Mack und<br />

Martin Rink, Freiburg/Berlin 2005.<br />

83 Feldmarschalleutnant Graf Radetzky von Radetz, Über die bessere Einrichtung des Generalquartiermeisterstabes, Wien, 1811, 50 S., in: ö.KA, Memoires, Abt 11/96 (Feldmarschallleutnant Graf Radetzky von Radetz, Generalquartiermeisterstab);<br />

auszugsweise abgedruckt in Othmar Hackl: Die Vorgeschichte, Gründung und frühe Entwicklung der Generalstäbe Österreichs, Bayerns und Preußens. Ein Überblick, Osnabrück 1997, S. 249-263, hier S. 261.<br />

84 Vgl. Eberhard Birk, Reformieren und gestalten. Was Scharnhorst, <strong>Gneisenau</strong> und Baudissin heute verlangen würden, in: IF 1/2007, S. 29-32.<br />

110


ker, taktisch-operativ Führender und strategisch-politisch<br />

Denkender und Handelnder in einer Person. Sein militärtheoretisches<br />

Denken hat nicht nur den ‚Staatsbürger in<br />

Uniform’ konzeptionell (vor-)entwickelt, sondern kommt<br />

auch der Phänomenologie der ‚Neuen Kriege’ gedanklich<br />

sehr nahe. Damit ist er auch heute noch aktuell, wenn es<br />

um Fragen des Potentials und der Interkulturellen Kompetenz<br />

sowie das Verständnis der ‚Neuen Kriege’ geht.<br />

Nicht nur ‚seinen’ Clausewitz gilt es für den Offizier der<br />

Gegenwart zu kennen, sondern ‚seinen’ <strong>Gneisenau</strong> neu zu<br />

entdecken und mit modernen Augen zu sehen. Er ist daher<br />

als Vehikel moderner Traditionsadaption geeignet resp.<br />

auch heute noch in vielerlei Hinsicht Vorbild, wenngleich<br />

er glaubte, dass sein ‚Potential’ von seinem Dienstherrn<br />

trotz seiner Bewährung als Reformer und Stabschef Blüchers<br />

in den anti-napoleonischen Kriegen 1813/15 nicht<br />

anerkannt wurde.<br />

Versteht man die preußische Heeresreform als Reaktion<br />

auf eine militärische Revolution und damit auch als intellektuelle<br />

und pragmatisch-funktionale Begegnung einer<br />

existentiellen Herausforderung, so kann sie als beispielhafte<br />

Transformation auch heute noch als Denkfigur herangezogen<br />

werden. Implizit stellt sie aber auch die ‚Gretchenfrage’<br />

an die militärhistorische (Aus-)Bildung: Ist die<br />

Konzentration auf die eigene Geschichte der Bundeswehr<br />

während des Kalten Krieges – auch zur Festigung des<br />

Identität stiftenden Selbst- und Traditionsverständnisses<br />

– nicht der Fortschreibung der altpreußischen Militärgeschichte<br />

vor ‚Jena und Auerstädt’ vergleichbar und müsste<br />

sie sich dann nicht sehr viel stärker auf die Begegnung<br />

politisch-gesellschaftlicher und militärischer Herausforderungen<br />

konzentrieren?<br />

Diese Fragestellung lag bereits der GI-Weisung vom März<br />

1994 zugrunde: „Vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen<br />

sind aber die bisherigen Grundsätze für<br />

die Ausbildung des militärischen Führungspersonals zu<br />

überdenken. Die erforderliche Neugestaltung der Bundeswehr<br />

und das damit verbundene neue Bild des Soldaten<br />

verlangen, sich der geschichtlichen Dimension der veränderten<br />

Rahmenbedingungen bewusst zu werden und der<br />

historischen Bildung bei der Ausbildung des militärischen<br />

Führungspersonals den notwendigen Stellenwert einzuräumen<br />

(...) In einem zusammenwachsenden Europa erfordert<br />

historische Bildung nicht nur die Beschäftigung<br />

mit der eigenen Geschichte, sondern verlangt auch die<br />

Auseinandersetzung mit der Geschichte anderer – auch<br />

außereuropäischer – Nationen. Solcher Umgang mit Geschichte<br />

öffnet Wege zu anderen Völkern und erweitert<br />

damit den eigenen Erfahrungsschatz. Zugleich wird die<br />

Urteilsfähigkeit für die Probleme der eigenen Vergangenheit<br />

geschärft, werden zudem Maßstäbe für Denken und<br />

Handeln in einer sich rasch ändernden Welt gesetzt. Historische<br />

Bildung ist daher eine wesentliche Voraussetzung<br />

für politische Bildung und eine wichtige Vorbedingung<br />

für die Verwirklichung des Leitbildes vom Staatsbürger in<br />

Uniform.“ 85<br />

Gerade dann erweist sich nämlich die zentrale Bedeutung<br />

der preußischen Militärreform für ein modernes – auch<br />

europäisches – Traditionsverständnis, wenn es aufzuzeigen<br />

gelingt, dass die Bezugnahme auf die heutige Wertedimension<br />

in Form der Verknüpfung soldatischen Dienens für<br />

ein bürgerliche Freiheitsrechte offerierendes Staatswesen<br />

genauso möglich ist wie die Bewältigung eines Transformationsprozesses<br />

im Zuge einer militärischen Revolution,<br />

der sich alle europäischen Armeen zu stellen haben.<br />

In einem zunehmenden Europäisierungsprozess werden<br />

die Europäer sukzessive ein ihnen gemeinsames Selbstverständnis<br />

entwickeln und somit die nationalen Selbstbeschreibungen<br />

mit einer europäischen Dimension verbinden.<br />

Die preußische Heeresreform kann hierbei – neben<br />

anderen – als ein mögliches (erfolgreiches) Beispiel dienen.<br />

Dennoch werden die Armeen, die im Gegensatz zur<br />

Bundeswehr auf längere parlamentarische, demokratische<br />

und nationale Kontinuitätslinien verweisen können, nur<br />

schrittweise bereit sein, gemeinsame europäische und<br />

gegebenenfalls ‚integrierte’ Traditionen zu übernehmen.<br />

Wenn für eine Übergangszeit die Soldaten der europäische<br />

Armeen die gemeinsamen Werte und Haltungen aus ihren<br />

nationalen Militärgeschichten ableiten, so ist dies ohne<br />

Probleme hinnehmbar. Selbst die bundeswehrspezifische<br />

85 Zitate aus der GI-Weisung vom 2. März 1994 aus den Punkten 1.1 und 1.2; vgl. zum Zusammenhang ‚Militärische Revolution – Bild des Offiziers’ Birk, Abschied vom Bild des Offiziers?, S. 62-70.<br />

111


Gedanken zur Ausbildung des militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr<br />

‚über-persönliche’ Konstruktion des ‚Staatsbürgers in Uniform’<br />

im Rahmen der Konzeption der Inneren Führung,<br />

der seine Wurzeln in der preußischen Reformzeit findet,<br />

ist als bundesdeutsche Antwort auf die ‚Irrungen und Wirrungen’<br />

der preußisch-deutschen Militärgeschichte des<br />

19. und 20. Jahrhunderts nicht direkt auf die Armee(n)<br />

Europas übertragbar.<br />

Indes, die Synchronisation eines europäischen historischpolitischen<br />

und militärischen Selbstverständnisses wird<br />

kommen. Eine Zukunft, die kommt, bewusst zu gestalten,<br />

ist besser, als am Überholten festzuhalten und dann<br />

getrieben zu werden. Was für die Politik gilt, gilt auch für<br />

das militärische Traditionsverständnis: Es muss – so ‚doppelt’<br />

paradox es klingen mag, „der Zukunft zugewandt“<br />

sein und dabei auf ein gemeinsames Erbe rekurrieren. Die<br />

genannten Bausteine – ein ‚europäisches 1848/49’, der<br />

Widerstand gegen den Totalitarismus im 20. Jahrhundert<br />

und der Erfolg des europäischen Integrationsprozess –<br />

werden dann durch die Topoi Transformation und Einsatz<br />

ihre Erweiterung finden. Im Sinne einer modernen<br />

Traditionsbildung, die militärhistorisch-politische und<br />

wertgebundene zivile Elemente vereint, lässt sich alles im<br />

lateinischen ‚Teamgedanke’: Communitate Valemus – ein<br />

passender, im Grunde ein uralter, europäischer Wahlspruch<br />

– für SAFE und ein zukünftiges gemeinsames Traditionsverständnis<br />

zusammenführen. Wünschenswert ist<br />

deshalb ein gemeinsames Geschichtsbild. Die Weiterentwicklung<br />

gemeinsamer Positionen für die Zukunft wird<br />

dann entschieden leichter fallen.<br />

Natürlich sollte ‚Tradition’ nicht per Ukas vorgegeben<br />

werden; aber wie könnte man Werte und Normen wie<br />

Menschenrechte, Verfassungsstaat – geschützte Freiheit –,<br />

auf die man sich Tag für Tag beruft und für deren Verteidigung<br />

Sold bezogen wird, nicht als traditionswürdig<br />

betrachten? Ein Traditionsbild, umrahmt von Pulverdampf,<br />

Schlachtenszenen und Operationen in der Tiefe<br />

des Raumes, begründet auf wertneutral-instrumentellen<br />

Tugenden wie Disziplin, Gehorsam und Tapferkeit allein<br />

ist schon lange nicht mehr adäquat. Wie im deutschen<br />

Traditionserlass von 1982 richtig festgestellt, kann nur die<br />

‘Überlieferung von Werten und Normen’, wenn auch gelegentlich<br />

orientiert an Personen, Ereignissen und Prozessen,<br />

traditionsstiftend sein. Den Maßstab wird dann eine<br />

europäische Verfassung bilden.<br />

Um dieses Gesamtverständnis zu erreichen, ist es bei aller<br />

Notwendigkeit der Einübung des für die erfolgreiche<br />

Bewährung im Einsatz Erforderlichen, i.e. der militärischfunktionalen<br />

Handlungs- und Führungskompetenz, unabdingbar,<br />

die (Werte-) Bildung zu forcieren. Und genau<br />

auf diese Dimension wies – bewusst oder unbewusst<br />

– bereits der erste Traditionserlass von 1965 mit seinem<br />

Punkt 18 hin: „Geistige Bildung gehört zum besten Erbe<br />

europäischen Soldatentums. Sie befreit den Soldaten zu<br />

geistiger und politischer Mündigkeit und befähigt ihn, der<br />

vielschichtigen Wirklichkeit gerecht zu werden, in der er<br />

handeln muß. Ohne Bildung bleibt Tüchtigkeit blind.“ 86<br />

Was vor der eindimensionalen Bedrohungslage des Kalten<br />

Krieges galt, wird heute vor einem sehr viel komplexeren<br />

Einsatzszenario so wichtig wie die Beherrschung der Waffen.<br />

Dieses soldatische Ethos bietet Halt, Orientierung<br />

und Wertefestigkeit für die Aufgaben der Zukunft.<br />

86 Zit. nach Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 227.<br />

112


Autoren<br />

Brigadegeneral Alois Bach, Jahrgang 1951, verheiratet, zwei Kinder.<br />

1970 Eintritt in die Bundeswehr beim Ausbildungsregiment 10/10 in Ingolstadt, anschließend Ausbildung zum<br />

Panzeroffizier in München und Munster / Lüneburger Heide; 1974-82 Einsatz als Panzerzugführer, als S2 Offizier<br />

und als Kompaniechef in den Panzerbataillonen 304, 220 und 284 in Dornstadt / Ulm; 1982-84 Generalstabsausbildung<br />

an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg; 1984-88 Referent für sicherheitspolitische Fragestellungen<br />

im BND, München; 1988-90 G3 Stabsoffizier der Panzerbrigade 22 in Murnau; 1991-92 Kommandeur<br />

des Panzerbataillon 244 in Landshut; 1993 Teilnahme an einem einjährigen Sicherheitspolitischen Kurs an der<br />

Universität Genf / Schweiz; 1993-94 Sprecher Heeresangelegenheiten im BMVg in Bonn; 1995-98 Referatsleiter im<br />

Presse-/Informationsstab des BMVg, zugleich stellvertretender Sprecher des BMVg in Bonn; 1998-2002 Kommandeur<br />

der Panzergrenadierbrigade 38 „Sachsen-Anhalt“ in Weissenfels; dabei von Dezember 2001 bis Juni 2002<br />

Kommandeur der Multinationalen Brigade „SÜD“ in Prizren / Kosovo und deutscher Befehlshaber im Einsatzland;<br />

2002-2006 Beauftragter für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur in Bonn und Berlin; seit 27. Juni<br />

2006 Kommandeur Zentrum Innere Führung in Koblenz.<br />

Oliver Becker M.A., Oberstleutnant d.R., z. Zt. Florenz.<br />

Abitur 1986; 1986-1992 Wehrdienst, Offizier der Jägertruppe, anschl. Studium der Kunstgeschichte, Philosophie<br />

und Klass. Archäologie an der Universität Göttingen, 2004 Magisterabschluss; Magisterarbeit zum Thema ‚Der<br />

Dom von Salerno’. 2000-2002 Reise durch Asien und Südamerika; seit 2005 unabhängiger Studienaufenthalt<br />

am Kunsthistorischen Institut in Florenz (Max-Planck-Institut) und Arbeit am Dissertationsprojekt „Kontinuität und<br />

Wandel. Die Architektur der Langobarden und Normannen in Unteritalien vom 9.-11. Jahrhundert.“<br />

Dr. Eberhard Birk, Oberstleutnant d.R., Jahrgang 1967, verheiratet, 4 Kinder.<br />

1987-1993 Soldat auf Zeit, 1993-1997 Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Augsburg,<br />

Stipendiat der deutschen Studenten- und Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., 1999 Promotion<br />

zum Dr. phil., 1998-2000 Lehrbeauftragter an der Philosophischen Fakultät an der Universität Augsburg, seit<br />

2000 Dozent für Militärgeschichte und Politische Bildung an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck;<br />

Herausgeber der <strong>Gneisenau</strong> Blätter seit 2004.<br />

Veröffentlichungen (Auswahl):<br />

Monographien: Der Funktionswandel der Westeuropäischen Union (WEU) im europäischen Integrationsprozeß<br />

(=Spektrum Politikwissenschaft Bd. 9), Würzburg 1999; Militärgeschichtliche Skizzen zur Frühen Neuzeit. Anmerkungen<br />

zu einer Phänomenologie der bewaffneten Macht im 17. und 18. Jahrhundert, Hamburg 2005; Militärische<br />

Tradition. Beiträge aus politikwissenschaftlicher und militärhistorischer Perspektive, Hamburg 2006.<br />

Aufsätze: Einigkeit und Recht und Freiheit. Gedanken und Vorüberlegungen für den Traditionsbegriff einer Bundeswehr<br />

mit europäischer Perspektive, in: Militärgeschichte 4/2001 (11. Jg.), S. 64-72; Aspekte einer militärischen<br />

Tradition für Europa, in: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 2/2004, S. 131-140; Anmerkungen zum Traditionsverständnis<br />

der Bundeswehr, in: Deutschland-Archiv. Zeitschrift für das vereinigte Deutschland 2/2004, S.<br />

282-289; Lange und kurze Wege nach Höchstädt, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen 2004 (105.<br />

Jahrgang), S. 241-268; Das Traditionsverständnis der Bundeswehr und seine Umsetzung an der Offizierschule<br />

der Luftwaffe, in: Ulrich vom Hagen/Björn Kilian (Hg.), Perspektiven der Inneren Führung. Zur gesellschaftlichen<br />

Integration der Bundeswehr, Berlin 2005, S. 57-75 (=Wissenschaft & Politik Bd. 2); Alexander der Große und seine<br />

‚Grand Strategy’, in: ÖMZ 5/2005, S. 635-642; Napoleon und <strong>Gneisenau</strong> im Spiegel des Irakkrieges, in: ÖMZ<br />

1/2006; Hannibal und sein strategisches Scheitern. Vom brillanten Eröffnungszug zum konzeptlosen Ende, in:<br />

ÖMZ 6/2006, S. 675-684; Die Schlacht bei Leuthen am 5. Dezember 1757. Eine multiperspektivische Annäherung,<br />

in ÖMZ 1/2008, S. 35-48; „In deinem Lager ist Österreich. Wir anderen sind einzelne Trümmer“. Militärhistorische<br />

Anmerkungen zu Radetzky (Teil I), in: ÖMZ 6/2008, S. 691-700 sowie Teil II in ÖMZ 1/2009 (i.E.).<br />

113


Autoren<br />

Dr. Jochen Bohn, Major d. R., Jahrgang 1969, verheiratet, 4 Kinder.<br />

1988-2000 Soldat auf Zeit (Psychologische Verteidigung/Operative Information), 1991-1995 Studium der Staatsund<br />

Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München, 1997 Einsatz bei HQ SFOR, Combined<br />

Joint Information Campaign Task Force in Sarajevo (BiH), 1997-2000 S6 Offizier bei Feldjägerbataillon 760 in<br />

München, 1998-2001 Studium der Wirtschaftsphilosophie an der FernUniversiät in Hagen, 2003 Promotion zum<br />

Doktor der Staats- und Sozialwissenschaften (Dr. rer. pol.), 2000-heute Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für<br />

Theologie und Ethik der Universität der Bundeswehr München.<br />

Veröffentlichungen (Auswahl):<br />

Monographien und Mitwirkung: Der Mensch im calvinischen Staat. Göttliche Weltordnung und politischer Beruf (=<br />

Biblia et Symbiotica, Bd. 11), Bonn 1995; Biographisches Lexikon der Katholischen Militärseelsorge Deutschlands<br />

1848 bis 1945, u. Mitarb. v. Karl Hengst, Konrad Zillober, Irmingard Böhm u. Jochen Bohn hrsg. v. Hans J. Brandt u.<br />

Peter Häger, Paderborn 2002; Herrschaft ohne Naturrecht. Der Protestantismus zwischen Weltflucht und christlicher<br />

Despotie (= Erfahrung und Denken, Bd. 93), Berlin 2004.<br />

Aufsätze und Artikel: Friedensbewegung Bundeswehr? Korrekturen im Anschluß an Luther, in: zur sache.bw Nr. 6<br />

(2004) 29-37; Glaubend existieren in der Matrix. Mit den Wachowski-Brüdern auf der Suche nach einer Theologie<br />

des Kaninchenbaus, in: Bohrmann, Thomas u. a. (Hg.), Handbuch Theologie und populärer Film Bd. 1, Paderborn<br />

2007, 243-256; Wo bleibt die moralische Transformation? Die Bundeswehr braucht eine nachhaltige berufsethische<br />

Bildungsoffensive, in: zur sache.bw Nr. 11 (2007) 9-12; Religion in der Popmusik – wie praktisch? Religionslose<br />

Anregungen für eine religiöse Debatte, in: Münchener Theologische Zeitschrift 58 (2007) 4, 364-377; Bonhoeffer’s<br />

Religionlessness: Foundation of an as-if Theology, in: Plant, Stephen, Wüstenberg, Ralf K. (Hg.), Religion, Religionlessness<br />

and Contemporary Western Culture. Explorations in Dietrich Bonhoeffer’s Theology (= International<br />

Bonhoeffer Interpretations, Bd. 1), Frankfurt a. M. u. a. 2008, 59-76.<br />

Generalleutnant Hans-Otto Budde, Jahrgang 1948, verheiratet, 2 Kinder<br />

1966 Eintritt in die Bundeswehr beim Fallschirmjägerbataillon 313, Offizierlehrgänge in Hamburg, Hannover und<br />

München, bis 1972 Zugführeroffizier im Fallschirmjägerbataillon 313 bzw. 272, 1972 S2-Offizier im Fallschirmjägerbataillon<br />

272 in Wildeshausen, 1974 Kompaniechef 3./Fallschirmjägerbataillon 272 in Wildeshausen, 1978 – 1980<br />

Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, 1980 – 1982 G2-Stabsoffizier<br />

in der 1. Luftlandedivision in Bruchsal, 1982 – 1983 Generalstabsausbildung am Combined General Staff College<br />

in Fort Leavenworth/USA, 1983 – 1986 G3-Stabsoffizier in der Panzergrenadierbrigade 31 in Oldenburg, 1986<br />

– 1988 Kommandeur Panzergrenadierbataillon 82 in Lüneburg, 1988 – 1990 Referent im Bundesministerium<br />

der Verteidigung (Fü S und P III), 1990 – 1991 Chef des Stabes bei der 5. Panzerdivision in Diez, 1991 – 1995<br />

Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung (Abteilung Personal), 1995 – 1997 Kommandeur Deutsch/<br />

Französische Brigade in Müllheim; dabei 01-07/1997 Kommandeur Multinationale Brigade Centre (SFOR) in Sarajewo/Bosnien-Herzegowina,<br />

1997 – 2001 Chef des Stabes IV. (GE) Korps in Potsdam, 2001 – 2002 Kommandeur<br />

Division Spezielle Operationen in Regensburg, 2002 – 2004 Chef des Stabes im Führungsstab des Heeres im<br />

Bundesministerium der Verteidigung, seit März 2004 Inspekteur des Heeres.<br />

114


Brigadegeneral Dipl.-Ing. Klaus Habersetzer, Jahrgang 1957, verheiratet, 2 Kinder.<br />

1977 Eintritt in die Bundeswehr beim LAR 3 in Roth bei Nürnberg, 1977-78 Offizierlehrgang an der OSLw in Fürstenfeldbruck,<br />

1978-82 Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der UniBw in Neubiber (Dipl.-Ing.), anschl. Vorausbildung<br />

zum FlaRakOffz HAWK bei 1./FlaRakBtl 34 in Rottenburg/Laaber, 1982-83 Ausbildung zum Feuerleitoffizier<br />

HAWK an der US Army Air Defense Artillery School und der Raketenschule der Luftwaffe in Fort Bliss, Texas (USA),<br />

1983-86 Zugführer und Feuerleitoffizier HAWK bei 1./FlaRakBtl 34, 1986-88 Erkundungsoffizier/Staffeleinsatzoffizier<br />

bei 4./FlaRakBtl 33 in Erding, 1988-90 S 3 Einsatzoffizier bei FlaRakBtl 33 in Lenggries, 1990-92 Teilnahme an<br />

der Generalstabsausbildung (35. Genstlehrg. Lw) an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, 1992-<br />

94 EinsGenstOffz bei AStudÜbBw/BerOR in Ottobrunn, 1994-96 Referent im BMVg / Fü L III 2 in Bonn, 1996-99<br />

Kommandeur FlaRakGrp 22 (PATRIOT) in Penzing, 1999-2000 Tutor und Dozent Luftkriegführung im Fachbereich<br />

Führungslehre Luftwaffe an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, 2000-01 DezLtr Konzeptionelle<br />

Weiterentwicklung bei AbtInspizLw im LwA in Köln-Wahn, 2001-03 Gruppenleiter A 3 IV im Luftwaffenführungskommando<br />

in Köln-Wahn, 2003-05 Kommandeur Raketenschule der Luftwaffe und ab 01.04.05 Kommandeur<br />

TakTausbWbZ FlaRakLw USA; Fort Bliss, Texas (USA), 2005-08 Referatsleiter BMVg / Fü L III 6 in Bonn und seit<br />

29.04.2008 Kommandeur der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.<br />

Prof. Dr. Loretana de Libero, Jahrgang 1965.<br />

Historisches Seminar, Universität Potsdam. Seit 1996 Lehrtätigkeit an den Universitäten Göttingen, Hamburg, Kiel,<br />

Oldenburg und Potsdam. 2000-2004 Oberassistentin an der Universität der Bundeswehr Hamburg. 2005 Wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin am Sozialwissenschaftlichen Institut Strausberg, seit 2006 Wissenschaftlerin am Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamt Potsdam. Forschungsschwerpunkte: Alte Geschichte (Archaisches und Klassisches<br />

Griechenland, Römische Republik); Staats- und Verfassungsgeschichte, Eliten- und Stereotypenforschung, Militärische<br />

Erinnerungskultur.<br />

Veröffentlichung mit militärhistorischem Bezug:<br />

Diese Tradition steht ihr gut. Von der Schwierigkeit der Truppe, sich selbst Vorbild zu sein, in: IF – Zeitschrift für<br />

Innere Führung 2/2008, S. 46-51; Tradition und Einsatz. Zu ethischen Aspekten der deutschen Sicherheitsvorsorge,<br />

in: Eberhard Birk (Hrsg.), Einsatzarmee und Innere Führung, <strong>Gneisenau</strong> Blätter 6, 2007, S. 58-61; Aus<br />

den Trümmern der Alten. Zur Diskussion um ein „Ehrenmal der Bundeswehr“, in: Zeitgeschichte-online, Thema:<br />

Das Ehrenmal der Bundeswehr – eine notwendige Debatte, herausgegeben von Jan-Holger Kirsch und Irmgard<br />

Zündorf, September 2007; Tradition in Zeiten der Transformation. Zum Traditionsverständnis der Bundeswehr im<br />

frühen 21. Jahrhundert, Paderborn 2006; Antike Wege in den Krieg, in: Bernd Wegner (Hg.), Wie Kriege entstehen.<br />

Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten (=Krieg in der Geschichte Band 4), Paderborn, 2. Aufl. 2003,<br />

S. 25-44; Lügen, Krieg und der Halbmond von Cannae, in: Antike Welt 34,4, 2003, S. 421-422; Mit eiserner Hand<br />

ins Amt? Kriegsversehrte Aristokraten zwischen Recht und Religion, Ausgrenzung und Integration, in: Res publica<br />

reperta. Zur Verfassung und <strong>Gesellschaft</strong> der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen<br />

Bleicken zum 75. Geburtstag, hrsg. v. J. Spielvogel. Stuttgart 2002, S. 172-191; Vernichtung oder Vertrag? Bemerkungen<br />

zum Kriegsende in der Antike, in: Bernd Wegner (Hg.), Wie Kriege enden. Wege aus dem Krieg von der<br />

Antike bis zur Gegenwart (=Krieg in der Geschichte Band 14), Paderborn 2002, S. 3-23 sowie diverse Beiträge in<br />

der MGFA-Reihe „Wegweiser zur Geschichte“.<br />

115


Autoren<br />

Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack, Jahrgang 1954, verheiratet, 4 Kinder.<br />

1974 Eintritt in die Bundeswehr; 1974-76 Ausbildung zum Offizier des Truppendienstes; 1976-80 Studium der Erziehungswissenschaften<br />

an der Universität der Bundeswehr Neubiberg; 1980-1999 Verwendungen in der Truppe<br />

(zuletzt als Bataillonskommandeur), im BMVg (Referent) und als Dozent Sicherheitspolitik im George C. Marshall<br />

Center, Garmisch-Partenkirchen; 2003-2004 Bereichsleiter für Historische Bildung am MGFA; seit Dezember 2004<br />

Abteilungsleiter Ausbildung, Information, Fachstudien und stellvertretender Amtschef; Teilnehmer am Senior Course<br />

111 am NATO-Defense College ROM vom August 2007-Februar 2008. Mitherausgeber der Zeitschrift ‚Militärgeschichte.<br />

Zeitschrift für historische Bildung’.<br />

Publikationen:<br />

Zeithorizonte verknüpfen - Historische Bildung in der Bundeswehr in den Zeiten der Transformation, in: IF 4/2007,<br />

S. 6-13; Historische Bildung in der Bundeswehr, in: Militärgeschichte 2/2007, S. 4-7; Historische Bildung und Erziehung<br />

in deutschen Streitkräften, in: Erziehung und Streitkräfte, hrsg. im Auftrag der <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> der<br />

OSLw e.V. von Eberhard Birk (= <strong>Gneisenau</strong> Blätter, Band 5, 2007), S. 51-67; Entschieden für Frieden – 50 Jahre<br />

Bundeswehr, Freiburg 2005 (Hrsg. mit Klaus-Jürgen Bremm und Martin Rink); Das Bild des Offiziers zwischen bisheriger<br />

Aufgabenstellung und den veränderten Leistungsanforderungen der Zukunft, in: Führungskräfte in Bundeswehr<br />

und Wirtschaft-Auswahl, Entwicklung, Weiterbildung, Hrsg. durch das Bundesministerium der Verteidigung<br />

Führungsstab der Streitkräfte I 6, Bonn 1996, S. 162-170; In der Pflicht. Militärischer Widerstand und Lehren für die<br />

Innere Führung (zusammen mit v. Senden), in: IFDT 7/94, S. 60-67; Humanistische Geisteshaltung und Bildungsbemühungen<br />

am Beispiel von Heinrich Loriti Glarean (1488-1563), Bad Heilbrunn 1992.<br />

Vizeadmiral Wolfgang E. Nolting, Jahrgang 1948, verheiratet, zwei Kinder.<br />

1967 Eintritt in die Bundeswehr (Crew X/66, SaZ), Ausbildung zum Seeoffizier; 1970-71 Ausbildung zum und Einsatz<br />

als Kampfschwimmeroffizier in der Kampfschwimmerkompanie, Eckernförde; 1971-73 Wachoffizier auf Küstenminensuchboot<br />

„Wetzlar“, 6. Minensuchgeschwader, Wilhelmshaven; 1973-74 Zugoffizier und Stv. Kompaniechef<br />

Kampfschwimmerkompanie, Eckernförde; 1974-78 Kommandant Küstenminensuchboot „Wolfsburg“, 6. Minensuchgeschwader,<br />

Wilhelmshaven; 1978-79 Fachausbildung zum Operationsoffizier; 1979-80 Schiffsoperationsoffizier<br />

Fregatte „Lübeck“, 2. Geleitgeschwader, Wilhelmshaven; 1980-82 Ausbildung an der Führungsakademie der<br />

Bundeswehr 22. Admiralstabsoffizierlehrgang, Hamburg; 1982-84 S3 und Stellvertreter Geschwaderkommandeur<br />

4. Minensuchgeschwader, Wilhelmshaven; 1984-85 Referent im Führungsstab der Marine (operativer Grundsatz),<br />

Bundesministerium der Verteidigung, Bonn; 1985-87 Stabsoffizier beim Stellvertreter Inspekteur der Marine und<br />

Chef des Stabes, Bonn; 1987-91 Kommandeur des 5. Minensuchgeschwaders, Olpenitz; 1991-92 Adjutant Marine<br />

beim Generalinspekteur der Bundeswehr, Bonn; 1992-93 Branch Chief Force Planning, NATO HQ IMS, P&P Division,<br />

Brüssel/Belgien; 1993-95 Kommandeur Flottille der Minenstreitkräfte, Wilhelmshaven; 1995-96 Referatsleiter<br />

im Führungsstab der Marine (Strategie, Konzeption, Grundsatz), Bonn; 1996-98 Stabsabteilungsleiter im Führungsstab<br />

der Marine (Führung und Planung), Bonn; 1998-2000 Assistant Chief of Staff Operations and Logistics beim<br />

HQ Allied Forces North Western Europe, High Wycombe, U.K.; 2000-03 Amtschef Marineamt; 2003-06 Befehlshaber<br />

der Flotte; seit April 2006 Inspekteur der Marine.<br />

Auszeichnungen:<br />

Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold (1990), Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland (2002), Grand Officier de L’Ordre National du Mérite (2006), Legion of Merit [grade : Commander]<br />

(2008).<br />

116


Christian Schmidt (MdB), Jahrgang 1957, verheiratet, zwei Kinder.<br />

Nach dem Abitur Grundwehrdienst bei der 1. Gebirgsdivision; Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen<br />

und Lausanne; 1985 zweites juristisches Staatsexamen, anschl. Tätigkeit als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt<br />

Arbeits- und Wettbewerbsrecht.<br />

Gemeinde- und Kreisrat von 1984-1990; seit 1990 MdB. Dort war er bis Oktober 2002 Außen- und sicherheitspolitischer<br />

Sprecher der CSU-Landesgruppe, Mitglied im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union<br />

und seit 1998 stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss. Seit 1999 Mitglied des Koordinierungsrates<br />

des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums sowie Vorsitzender der Deutsch-Britischen Parlamentariergruppe;<br />

seit Oktober 2002 war Christian Schmidt Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,<br />

Mitglied im Verteidigungsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.<br />

Seit 23. November 2005 ist der Bundeswehrexperte Christian Schmidt Parlamentarischer Staatssekretär beim<br />

Bundesminister der Verteidigung.<br />

General Wolfgang Schneiderhan, Jahrgang 1946, verheiratet, 5 Kinder.<br />

04. April 1966 Diensteintritt in die Bundeswehr in Dornstadt bei Ulm, anschl. Ausbildung zum Panzeroffizier, 1972-74<br />

Hauptamtlicher Jugendoffizier der 10. Panzerdivision in Sigmaringen, 1974-77 Kompaniechef im Panzerbataillon<br />

293 in Stetten am Kalten Markt, 1977-79 20. Generalstabslehrgang (Heer) an der Führungsakademie in Hamburg,<br />

1979-81 Referent im Führungsstab der Streitkräfte (Bereich Militärisches Nachrichtenwesen), 1981-83 G3 der Heimatschutzbrigade<br />

55 in Böblingen, 1983-86 G3-Stabsoffizier im NATO-Hauptquartier Europa-Mitte in Brunsum<br />

(Niederlande), 1986-88 Kommandeur Panzerbataillon 53 in Stetten am Kalten Markt, 1988-90 Chef des Stabes 4.<br />

Panzergrenadierdivision in Regensburg, 1990-92 Stabsoffizier Rüstungskontrolle im NATO-Hauptquartier in Brüssel,<br />

1992-94 Fachbereichsleiter Führungslehre Heer an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg,<br />

1994-97 Kommandeur der Panzerbrigade 39 „Thüringen“ in Erfurt, 1997-99 Stabsabteilungsleiter „Bundeswehr-<br />

Planung“ im Führungsstab der Streitkräfte im BMVg, 1999-2000 Stabsabteilungsleiter „Militärpolitik und Führung“<br />

im Führungsstab der Streitkräfte im BMVg, 2000-02 Leiter Planungsstab im BMVg, seit 2002 Generalinspekteur<br />

der Bundeswehr.<br />

Orden und Ehrenzeichen:<br />

Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Ehrenkreuz der Bundeswehr in<br />

Gold, Großkreuz des Militärverdienstordens des Haschemitischen Königreichs Jordanien, Adlerkreuz 1. Klasse der<br />

Republik Estland, Großoffizier des Kronenordens des Königreichs Belgien, Komturkreuz des Ordens der Ehrenlegion<br />

der Französischen Republik, Komturkreuz des Ordens Legion of Merit der Vereinigten Staaten von Amerika,<br />

Verdienstkreuz 1. Klasse der Verteidigungsministers der Tschechischen Republik, Großoffizierkreuz des Verdienstordens<br />

der Italienischen Republik, Orden der Ehre - Offizierskreuz am Band der Hellenischen Republik, Großes<br />

Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.<br />

Brigadegeneral Karl H. Schreiner, Jahrgang 1952, verheiratet, 3 Kinder.<br />

Eintritt in die Bundeswehr im Juli 1971, Ausbildung zum Reserveoffizier, Laufbahnwechsel in Offizierlaufbahn, diverse<br />

Führungs-, Stabs- und Lehrverwendungen, 1984-1986 Teilnahme am 29. Generalstabslehrgang (Luftwaffe) an<br />

der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, 1986-1988 Abteilungsleiter A 1 Luftwaffenausbildungskommando<br />

in Köln, 1988-1990 Abteilungsleiter A 3 Luftwaffenausbildungskommando, 1990-1992 Referent Fü S IV 3<br />

BMVg in Bonn, 1992-1995 Kommandeur Fliegerhorstgruppe/Jagdgeschwader 71 ‚Richthofen’ in Wittmund, 1995-<br />

1998 Arbeitsbereichleiter im Planungsstab BMVg, 1998-2000 Referatsleiter Fü L I 4 BMVg, 2000-2001 Referatsleiter<br />

Fü L 1 BMVg, 2001-2004 Kommandeur Unteroffizierschule der Luftwaffe in Appen, 2004-2006 Stabsabteilungsleiter<br />

Fü S I, seit 2006 Direktor Lehre an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.<br />

117


Autoren<br />

Horst Steinberg, Jahrgang 1944, verheiratet , zwei Kinder.<br />

1964 – 1967 Maschinenbaustudium an der Fachhochschule in München mit Fachrichtung Flugzeugbau, Abschluss<br />

als Dipl. Ing. (FH); 1967 – 1968 Entwicklungsring Süd (später MBB), Entwicklungsingenieur; 1970 – 1971 Berufsbegleitende<br />

Ausbildung zum Berufspiloten Kl. II mit Instrumentenflugberechtigung; 1968 – 1974 Wehrübungen bei<br />

der Luftwaffe (OL der Reserve); 1968 – 1988 Dornier Werke München (Bereich Marketing, Vertrieb, Kundendienst<br />

und Luftfahrtprojekte, Vertriebsassistent, Vertriebsleiter, Bereichsleiter); 1989 – 1992 DASA - Dornier Aviation North<br />

America Inc. und Dornier Aviation Marketing Services Inc., Washington DC, USA; Geschäftsführer; 1992 – 1996<br />

DASA - Fokker Aircraft BV, Amsterdam, Holland (Geschäftsbereich Marketing und Vertrieb; Bereichsleiter); 1996<br />

– heute HMS Management GmbH, Landsberg; Eigentümer und Geschäftsführer (Industrieberatung im Bereich<br />

Luftfahrt- und Investitionsprojekte, Schwerpunkt Übernahme- und Restrukturierungsprojekte, Zeitmanagement);<br />

1998 – 2000 Rational North America Inc., Chicago, USA; Geschäftsführer; 2003 – 2007 RUAG Aerospace Services,<br />

Oberpfaffenhofen; Geschäftsführer; RUAG Aerospace Deutschland, Oberpfaffenhofen; Vorsitzender der Geschäftsführung.<br />

Brigadegeneral Heinrich-Wilhelm Steiner, Jahrgang 1956, verheiratet, 4 Kinder.<br />

1975 Eintritt in die Bundeswehr als Wehrpflichtiger, 1975-78 Ausbildung zum Unteroffizier Elektronische Aufklärung<br />

und Offizierausbildung Elektronische Kampfführung im Fernmeldebataillon 320 in Frankenberg/E. und an der<br />

FmS/FSHElT in Feldafing, 1978-81 Studium Elektrotechnik an der UniBw in München mit Abschluss: Dipl.-Ing.<br />

(univ.), 1982-85 S 2 Offizier FmBtl 120 und Fernmeldezugführer 3./Fernmeldebataillon 120 in Rotenburg/Wümme,<br />

1985-87 Zugführer Fernmeldeaufklärungszug Fernmeldekompanie 6 in Neumünster, 1987-90 Kompaniechef 3./<br />

Fernmeldebataillon 6 in Neumünster, 1990-92 33. Generalstabslehrgang (Heer) Führungsakademie der Bundeswehr<br />

in Hamburg, 1992-94 G 2 6. Panzergrenadierdivision, G 3 op Territorialkommando Schleswig Holstein/6.<br />

Panzergrenadierdivision in Neumünster/Kiel, 1994-96 G 3 Panzergrenadierbrigade 5 – Kurhessen – in Homberg/<br />

Efze, 1996-98 Kommandeur Fernmelderegiment 320 (Elektronische Kampfführung) in Frankenberg/E., 1998-2000<br />

Personalstabsoffizier im Personalamt der Bundeswehr in Bonn, 2000-01 G 3 Wehrbereichskommando II / 1. Panzerdivision<br />

in Hannover, 2001-03 Dezernatsleiter I 2 u. Abteilungsleiter I (Heer) im Personalamt der Bundeswehr in<br />

Köln, 2003-05 Referatsleiter Fü S Pers im Führungsstab der Streitkräfte, BMVg in Bonn, 2005-2008 General Fernmeldetruppe<br />

und Kommandeur Fernmeldeschule und Fachschule des Heeres für Elektrotechnik, dabei ab Oktober<br />

2006 Kommandeur Führungsunterstützungsschule der Bundeswehr in Feldafing, seit 2008 Stabsabteilungsleiter I<br />

im Führungsstab der Streitkräfte, BMVg in Bonn.<br />

Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz, Jahrgang 1947, verheiratet, ein Kind.<br />

1968 Eintritt in die Luftwaffe, 1968–72 Offizierausbildung und Ausbildung zum Strahlflugzeugführer in den USA,<br />

1973–74 Flugzeugführer auf F-104G, 1./Jagdgeschwader 71 “Richthofen” in Wittmund, 1974 Umschulung auf F-4F<br />

“Phantom” in den USA, 1974–81 Flugzeugführer auf F-4F “Phantom“ und Einsatz als S3 E/W im Stab Fliegende<br />

Gruppe sowie Einsatzstabsoffizier beim Jagdgeschwader 71 “Richthofen“, 1977 Fluglehrer- und Waffenlehrerausbildung<br />

in den USA, 1981–83 Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg,<br />

1983–85 Staffelkapitän 2./Jagdbombergeschwader 35 in Pferdsfeld, 1985–87 Dezernatsleiter A3a bei der 1. Luftwaffendivision<br />

in Meßstetten, 1987–89 Einsatz als Generalstabsoffizier in der OPS-Division NATO HQ SHAPE in<br />

Mons (Belgien), 1989–91 Kommandeur Fliegende Gruppe beim Jagdgeschwader 74 “Mölders“ in Neuburg/Donau,<br />

1991–92 Referent im Führungsstab Luftwaffe (Fü L III 1), BMVg in Bonn, 1992–993 Referent im Planungsstab<br />

BMVg, 1993–94 Kommodore Jagdbombergeschwader 35 in Pferdsfeld, 1994–95 Kommodore Jagdgeschwader<br />

73 “Steinhoff“ in Laage, 1995–98 Referatsleiter im Führungsstab Luftwaffe (Fü L III 4) BMVg, 1998–2000 Kommandeur<br />

NATO E-3A Verband (AWACS) in Geilenkirchen, 2000–02 General Flugsicherheit in der Bundeswehr und<br />

Leiter der Abteilung Flugsicherheit im Luftwaffenamt in Köln-Wahn, 2002–03 Kommandeur 3. Luftwaffendivision,<br />

Berlin, 10-12/2003 Deputy Commander AIRNORTH, Ramstein, seit Januar 2004 Inspekteur der Luftwaffe (über<br />

3500 Flugstunden auf T-37, T-38, F-104 G, B-707/AWACS, MiG-29 , F-4F und EF-2000).<br />

118


Dr. Maren Tomforde, Jahrgang 1970.<br />

1990 bis 1997 Studium der Ethnologie und Politischen Wissenschaften in Münster, Paris und Hamburg. Von 1995<br />

bis 1999 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburgischen Museum für Völkerkunde, 1999 bis 2002 ethnologische<br />

Feldforschungen in Nordthailand, 2003 bis 2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sozialwissenschaftlichen<br />

Institut der Bundeswehr in Strausberg bei Berlin. Sei März 2007 Dozentin an der Führungsakademnie der Bundeswehr<br />

in Hamburg, Federführung für den Bereich „Interkulturelle Kompetenz“.<br />

Neueste Veröffentlichungen:<br />

Towards transnational Identities in the Armed Forces? German-Italian Military Cooperation in Kosovo. In: Joseph<br />

Soeters / Philippe Manigart (eds): The Management of Cultural Diversity during Multinational Crisis Response Operations:<br />

A Comparative Analysis. Routledge: London, 2008. Zu viel verlangt? Interkulturelle Kompetenz während der<br />

Auslandseinsätze der Bundeswehr: In: Kümmel, Gerhard (Hrsg.), Die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Baden-<br />

Baden: Nomos Verlag, 2008. “My pink uniform shows I am one of them”: Sociocultural Dimensions of German<br />

Peacekeeping Missions“. In: Dandeker, Christopher / Caforio, Giuseppe / Kümmel, Gerhard (eds.), The Military,<br />

Society and Politics: Essays in Honor of Juergen Kuhlmann. Forum International, Strausberg: SOWI, 2008. Die Menschenbilder<br />

in der Ethnologie und die Konstruktion des Gegenmenschen. In: Bayer, Stefan / Stümke, Volker (Hg.):<br />

Was ist der Mensch? Berlin: Duncker & Humblot, 2008. How about Pasta and Beer: Intercultural Challenges of<br />

German-Italian Cooperation in Kosovo. In: NATO Defense College (ed.), Cultural Challenges in Military Operations.<br />

Rome: NATO Defense College, 2007. „Soziokulturelle Dimensionen des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan“.<br />

In: Schuh, Horst (Hrsg.), Afghanistan: Land ohne Hoffnung? Kriegsfolgen und Perspektiven in einem verwundeten<br />

Land. Brühl: Fachhochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung, 2007.<br />

Dr. Karl von Wogau, MdEP, Jahrgang 1941, verheiratet.<br />

Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Freiburg, München und Bonn; Rechtsgeschichtliche Promotion<br />

über die Verfassung Vorderösterreichs; Betriebswirtschaftliche Ausbildung bei Insead in Fontainebleau.<br />

1971-1984 Manager bei der Sandoz AG in Basel. Seit 1984 Partner in der Anwaltssozietät Graf von Westphalen<br />

Bappert & Modest in Freiburg.<br />

Mitglied des Bezirksvorstandes der CDU Südbaden, MdEP seit 1979. Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft<br />

und Währung von 1994 – 1999; Mitbegründer und Vorsitzender der „Kangaroo Group“, einer Vereinigung mit dem<br />

Ziel, Europa durch gemeinsame Projekte zu verwirklichen (Binnenmarkt, Währung, Sicherheit und Verteidigung).<br />

Seit 2004 Vorsitzender des neu eingerichteten Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung. Mitglied im<br />

Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, stellv. Mitglied im Ausschuß für Wirtschaft und Währung. Mitglied in der<br />

Delegation für die Beziehungen zur NATO.<br />

Veröffentlichungen:<br />

Der Milliardenjoker, Europa Union Verlag 1988; Soziale Marktwirtschaft - Modell für Europa, Europa Union Verlag<br />

1999; Auf dem Weg zur Europäischen Verteidigung (Hrsg.) Herder Verlag 2003; The Path to European Defence<br />

(Hrsg.), Maklu Verlag 2004.<br />

119


Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter<br />

Band 1<br />

Die humanitäre Intervention als ultima ratio zur Beendigung<br />

oder Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen<br />

2001<br />

mit Beiträgen von:<br />

Peter Fonk, Otfried Höffe, Hans Küng, Claire Marienfeld-Czesla,<br />

Dagmar Schipanski und Rupert Scholz<br />

Band 2<br />

Aspekte einer europäischen Identität<br />

2004<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Markus Ferber, Walter Kolbow, Lothar Rühl,<br />

Theo Stammen, Agata Szyszko und Theo Waigel<br />

Band 3<br />

Militärische Tradition<br />

2004<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Heinz Marzi, Harald Potempa,<br />

Karl H. Schreiner, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg<br />

und John Zimmermann<br />

120


Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter<br />

Band 4<br />

Reform – Revolution – Transformation<br />

2006<br />

mit Beiträgen von:<br />

Oliver Becker, Eberhard Birk, Karl Feldmeyer, Johann Heitzmann,<br />

Walter Mixa, August Pradetto, Wolfgang Schneiderhan,<br />

Karl H. Schreiner, Theo Stammen und Klaus-Peter Stieglitz<br />

Band 5<br />

Erziehung und Streitkräfte<br />

2007<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Angelika Dörfler-Dierken, Thomas Goppel,<br />

Winfried Gräber, Margot Käßmann, Karl Lehmann,<br />

Hans-Hubertus Mack, Eva Matthes, Ulrike Merten und<br />

René Ségur-Cabanac<br />

Band 6<br />

Einsatzarmee und Innere Führung<br />

2007<br />

mit Beiträgen von:<br />

Robert Bergmann, Eberhard Birk, Bernhard Chiari,<br />

Peter Dreist, Loretana de Libero, Franz Josef Jung, Peter Krug,<br />

Reinhold Robbe, Wolfgang Schneiderhan und Javier Solana<br />

121


Zweck Der <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

Zweck der <strong>Gesellschaft</strong><br />

Die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur,<br />

Völkerverständigung, des Sports, die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens<br />

der Bundesrepublik Deutschland sowie Maßnahmen der Soldaten- und Reservistenbetreuung.<br />

Verwirklichung durch:<br />

−− Förderung des Dialoges zwischen Industrie und Luftwaffe<br />

−− Organisation und Durchführung wissenschaftlicher Vorträge und Vortragsreihen im Rahmen der<br />

(sicherheits-) politischen Bildung und ihre Dokumentation für die Öffentlichkeit/ Allgemeinheit<br />

−− Herausgabe einer wissenschaftlichen Schriftenreihe und eigenen Publikationen in Form der<br />

−− sog. „<strong>Gneisenau</strong> Blätter“<br />

−− Organisation und Durchführung von Informations- u. Vortragsveranstaltungen zur Förderung<br />

−− von Wissenschaft und Forschung<br />

−− Einrichtung von Wettbewerben und Vergabe von Preisen im Bereich von Wissenschaft und<br />

Forschung, Kunst und Kultur, mit Organisationen, Schulen und Vereinen der Region<br />

−− Förderung des Sports durch entsprechende sportliche Veranstaltungen mit Organisationen,<br />

Schulen und Vereinen der Stadt und des Landkreises Fürstenfeldbruck sowie europäischen<br />

Luftwaffenakademien<br />

−− Unterstützung internationaler Beziehungen und Austauschprogramme der Offizierschule der<br />

Luftwaffe (OSLw) auf kulturellem und sportlichem Gebiet<br />

−− Förderung der Begegnung zwischen Deutschen und Ausländern<br />

−− Förderung des Natur- u. Landschaftsschutzes durch aktive Teilnahme oder sonstige<br />

Unterstützung von Umweltschutz- u. Umweltaktionstagen<br />

Gründe für Ihre Mitgliedschaft<br />

Die <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> der OSLw lebt wie jeder andere Verein von der Unterstützung seiner<br />

Mitglieder. Unser gemeinnütziger Verein bietet:<br />

– Sie treffen hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Militär.<br />

– Sie treffen und fördern zukünftige Entscheidungsträger der Luftwaffe, sowie befreundeter<br />

Streitkräfte.<br />

– Sie erhalten Zutritt zu interessanten Veranstaltungen und Diskussionen.<br />

– Sie fördern den Leistungswillen der Jugend durch die Vergabe von Bestpreisen, Ausrichtung<br />

von Wettbewerben und Unterstützung von Sportveranstaltungen.<br />

Werden Sie Mitglied und unterstützen Sie uns. Kontaktieren Sie uns direkt oder über die Internetseite<br />

Präsident:<br />

Brigadegeneral Klaus Habersetzer<br />

Offizierschule der Luftwaffe<br />

Kommandeur<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel. 08141 5360-1100<br />

Fax 08141 5360-2920<br />

klaushabersetzer@bundeswehr.org<br />

1. Vorsitzender:<br />

Horst Steinberg<br />

Geschäftsführer<br />

HMS management GmbH<br />

Adlerstraße 11<br />

86899 Landsberg am Lech<br />

Tel. 08191 941391<br />

Fax 08191 941392<br />

hs@hmsgroup.de<br />

2. Vorsitzender:<br />

Generalmajor a.D. Thomas Gericke<br />

Burg Gudenau<br />

53343 Wachtberg<br />

Schriftführer:<br />

Oberstleutnant Wolfgang Saier<br />

Offizierschule der Luftwaffe<br />

Leiter Schulstab<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel. 08141 5360-1130<br />

Fax 08141 5360-2920<br />

wolfgangsaier@bundeswehr.org<br />

Schatzmeister:<br />

Hauptmann d.R. Markus Neumayer<br />

Bernhard-Rössner-Str. 45<br />

82194 Gröbenzell<br />

Tel. 0177 6463807<br />

markus.neumayer@gmx.de<br />

Sparkasse Fürstenfeldbruck | Konto-Nr. 1340603 | BLZ 700 530 70<br />

www.<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />

post@<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />

122


Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Adresse:<br />

<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> zur Förderung<br />

der Offizierschule der<br />

Luftwaffe e.V.<br />

im Auftrag des Vorstands<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

Offizierschule der Luftwaffe<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel.: 08141 5360-1100<br />

Fax: 08141 5360-2920<br />

Heftpreis: € 17,50<br />

© <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />

Produktion:<br />

2G media GmbH<br />

Marktplatz 3<br />

85625 Glonn<br />

Tel.: 08093 3473<br />

Fax: 08093 3475<br />

post@2gmedia.de<br />

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