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Technik – Innovation – Strategie - Gneisenau Gesellschaft

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<strong>Technik</strong> <strong>–</strong> <strong>Innovation</strong> <strong>–</strong> <strong>Strategie</strong><br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Antulio J. Echevarria II., Thomas Enders,<br />

Friedrich Korkisch, Aarne Kreuzinger-Janik, Wolfgang Peischel,<br />

Hans-Gert Pöttering, Lothar Rühl, Karlheinz Viereck<br />

und Johann-Dietrich Wörner


Motto<br />

„Der dreifache Primat der Waffen, der Constitution,<br />

der Wissenschaften ist es allein, der uns aufrecht<br />

zwischen den mächtigsten Nachbarn erhalten kann!“<br />

[<strong>Gneisenau</strong> in seinem Brief vom 28. August 1814 an Ernst Moritz Arndt]<br />

5


Inhalt<br />

Seite<br />

Grußwort des Präsidenten 8<br />

Brigadegeneral Klaus Habersetzer<br />

Vorwort des 1. Vorsitzenden 9<br />

Horst Steinberg<br />

Europäische Sicherheit <strong>–</strong> Europäische Werte 10<br />

Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering<br />

Das Spannungsfeld von Militärischer Revolution und Revolution in Military Affairs 17<br />

(RMA) am Beispiel von „Königgrätz“<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

Technische Entwicklungen und strategische Folgen: 25<br />

Das Problem der Modernisierung der nuklearfähigen Mittelstreckenwaffen in Europa<br />

Prof. Dr. Lothar Rühl<br />

Zum Nutzen der Definition des <strong>Strategie</strong>begriffes <strong>–</strong> eine perspektivische Betrachtung 30<br />

Brigadier MMag Wolfgang Peischel<br />

Die Geopolitik der USA: Szenarien und kommende Konflikte 42<br />

Dr. Friedrich W. Korkisch<br />

Clausewitz and Contemporary War 54<br />

Dr. Antulio J. Echevarria II<br />

Joint Forces Training als Teil der NATO-Transformation 59<br />

Generalleutnant Karlheinz Viereck<br />

Die operative Bedeutung von luft- und raumgestützter Aufklärung für die 63<br />

Auftragserfüllung der Luftwaffe im Einsatz<br />

Generalleutnant Aarne Kreuzinger-Janik<br />

Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger! 72<br />

Dr. Thomas Enders<br />

Die <strong>Innovation</strong>skraft der Raumfahrt 76<br />

Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner<br />

Zum 250. Geburtstag des preußischen Generalfeldmarschall Neidhardt von <strong>Gneisenau</strong> 84<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

Autoren 90<br />

Bisher erschienene Bände der <strong>Gneisenau</strong> Blätter 94<br />

Die <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> 97<br />

Impressum 98


Grußwort des Präsidenten<br />

Text: Brigadegeneral Klaus Habersetzer<br />

Vor 250 Jahren wurde am 27. Oktober 1760 der Namensgeber<br />

unserer <strong>Gesellschaft</strong> im sächsischen Schildau<br />

geboren. Neben Scharnhorst wurde <strong>Gneisenau</strong> zu einer<br />

treibenden Kraft der preußischen Heeresreform, die vor<br />

200 Jahren das den Anforderungen der napoleonischen<br />

Zeit nicht gewachsene Militär auf eine neue Grundlage zu<br />

stellen hatte. Parallel zu dieser „am Einsatz orientierten“,<br />

erfolgreichen „Transformation“ wurde auch <strong>–</strong> wenngleich<br />

in anderen Begrifflichkeiten <strong>–</strong> die Basis für den „Staatsbürger<br />

in Uniform“ gelegt sowie die Bedeutung umfassender<br />

(u.a. wissenschaftlicher) Bildung für das Offizierkorps<br />

hervorgehoben. Diese wenigen Punkte genügen, um die<br />

anhaltende Aktualität im Denken und Handeln Scharnhorsts,<br />

<strong>Gneisenau</strong>s und Clausewitz’ zu verdeutlichen <strong>–</strong> gerade<br />

in einer Zeit, in der eine Neuausrichtung der Bundeswehr<br />

ansteht, die sich damit aus guten Gründen in der<br />

Tradition der preußischen Reformzeit sieht.<br />

Doch so sehr der Blick zurück in die Geschichte auch<br />

lohnt <strong>–</strong> um den Zusammenhang von Politik, Militär und<br />

Bildung, aber auch der (Selbst-)Verpflichtung zur Leistungsbereitschaft<br />

wach zu halten, gilt es heute nicht, die<br />

Zeit vor 200 Jahren museal zu konservieren, sondern sie<br />

in ihrer Essenz in die Gegenwart zu „übersetzen“. In dieser<br />

hat sich die Bundeswehr mit ihren Soldatinnen und Soldaten<br />

als „Armee im Einsatz“ zu bewähren. Der Fokus liegt<br />

dabei auf militärischer Professionalität, die handwerklichwaffentechnische<br />

Perfektion, interkulturelle Kompetenz<br />

und ein auf Werten basierendes militärisches Selbstverständnis<br />

genauso benötigt, wie das Wissen um aktuelle<br />

und zukünftige Konfliktfelder sowie die Ausbildung an<br />

und die Beherrschung von Führungs-, Aufklärungs- und<br />

Waffensystemen, die wiederum eine nachhaltige Industrie-<br />

und Forschungsbasis benötigen.<br />

Daher stehen Themen wie Sicherheitspolitik, Einsatz,<br />

Berufsverständnis, Innere Führung und Tradition sowie<br />

Rüstung, <strong>Technik</strong> und internationale Zusammenarbeit<br />

weiterhin auf der Agenda der im Jahre 2000 an der OSLw<br />

gegründeten <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>. Insbesondere ihre<br />

Vortragsveranstaltungen wie auch die Beiträge hochkarätiger<br />

Autoren aus Politik, Militär, Wirtschaft, Religion und<br />

8<br />

Klaus Habersetzer<br />

Wissenschaft in den bisherigen Jahresbänden der <strong>Gneisenau</strong><br />

Blätter spiegeln damit auch den gesamtstrategischen<br />

Ansatz einer vernetzten Sicherheitspolitik wider, die<br />

auf der Basis solider historisch-politischer Bildung resp.<br />

Grundlagen in der Gegenwart „der Zukunft zugewandt“<br />

bleibt.<br />

Mit der vorliegenden Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter ist es<br />

uns erneut gelungen, eine Vielzahl renommierter, auch<br />

internationaler Autoren zu gewinnen, die sich dem diesjährigen<br />

Generalthema „<strong>Technik</strong>-<strong>Innovation</strong>-<strong>Strategie</strong>“<br />

aus europa- und sicherheitspolitischer, militärhistorischer,<br />

strategiewissenschaftlicher sowie industriepolitischer Perspektive<br />

annehmen. Mit den verschiedenen Zugängen zum<br />

Thema hoffen wir nicht nur die Erwartungen der bisherigen<br />

Leser der <strong>Gneisenau</strong> Blätter zu erfüllen, sondern auch<br />

den Interessentenkreis für die Tätigkeiten der <strong>Gneisenau</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> zu erweitern.<br />

Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre<br />

Klaus Habersetzer<br />

Brigadegeneral<br />

Präsident der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong>


Vorwort des 1. Vorsitzenden<br />

Text: Horst Steinberg<br />

Liebe Freunde der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong>!<br />

Im 10ten Jahr der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> präsentieren<br />

wir Ihnen die 9. Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter mit dem<br />

Titel „<strong>Technik</strong> <strong>–</strong> <strong>Innovation</strong> <strong>–</strong> <strong>Strategie</strong>“, welche auch als<br />

Zusammenfassung der Vortragsreihe der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

für 2010 stehen könnte.<br />

Die Vortragsthemen von Brigadegeneral Thomas Reiter<br />

über „Raumfahrt <strong>–</strong> Quo Vadis?“, von Prof. Dr. Szodruch<br />

über „Forschungsverbund Luftfahrt“ und die Podiumsdiskussion<br />

über „Die zunehmende Bedeutung unbemannter,<br />

ferngesteuerter und autonomer Systeme“ stehen einzeln<br />

und gesamthaft für die drei Begriffe <strong>Technik</strong>, <strong>Innovation</strong><br />

und <strong>Strategie</strong>.<br />

So überzeugend die Vortragenden ihre Begeisterung für<br />

<strong>Technik</strong> und <strong>Innovation</strong> den Zuhörern vermittelten, so<br />

gewinnt man in unserer <strong>Gesellschaft</strong> oft das Gefühl, dass<br />

Entwicklung, Forschung und Technologie sich oft nur<br />

noch zwischen bürokratischen Leitplanken abspielen und<br />

dadurch an Kraft, Momentum und Begeisterung verlieren.<br />

Wir brauchen jedoch eine positive Einstellung zur <strong>Technik</strong>,<br />

wir brauchen Begeisterung für die <strong>Technik</strong> und wir<br />

brauchen für unsere jungen Ingenieure ein Umfeld, in<br />

dem sie in ihrer Kreativität im Team gefördert werden<br />

und sich <strong>–</strong> von Erfahrenen angeleitet <strong>–</strong> frei entfalten können.<br />

Das Potential dafür ist vorhanden, das Klima dafür<br />

scheint sich tendenziell zu verschlechtern.<br />

Der Ingenieurgeist aber war die Basis unseres industriellen<br />

Fortschritts, unserer Exporterfolge, des Markenzeichens<br />

„Made in Germany“ und letztendlich auch unseres Wohlstandes.<br />

Wir müssen die bestehenden Herausforderungen proaktiv<br />

annehmen: Es entstehen riesige neue Märkte in unserer<br />

globalen Welt <strong>–</strong> und Konkurrenz baut sich auf. Um<br />

unseren Wohlstand zu wahren, hilft nur noch ein stetiger<br />

technischer, qualitativer und innovativer Vorsprung. Die<br />

<strong>Strategie</strong> dafür ist, dass wir uns als <strong>Gesellschaft</strong> immer<br />

wieder aufs Neue zur <strong>Technik</strong> bekennen und die Begeisterung<br />

dafür fördern.<br />

Das Zusammenspiel von <strong>Technik</strong>, <strong>Innovation</strong> und <strong>Strategie</strong>,<br />

das in dieser Ausgabe der <strong>Gneisenau</strong> Blätter von<br />

renommierten Autoren in vielfältiger Weise an unterschiedlichen<br />

Beispielen eindrucksvoll beschrieben wird,<br />

soll im kommenden Jahr weiter entwickelt werden.<br />

Die Veranstaltungsreihe 2011 und die <strong>Gneisenau</strong> Blätter<br />

Nr. 10 werden die Thematik „Energie <strong>–</strong> Mensch <strong>–</strong><br />

<strong>Technik</strong>: Determinanten der Zukunft“ behandeln. Auf<br />

www.gneisenau-gesellschaft.de finden Sie immer aktuell<br />

die Information zu unseren Aktivitäten und Veranstaltungen.<br />

Ich bedanke mich für Ihr Interesse und lade Sie herzlich<br />

zur Lektüre und Diskussion ein.<br />

Mit den besten Grüßen,<br />

Ihr<br />

Horst Steinberg<br />

Horst Steinberg<br />

1. Vorsitzender der <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

9


Europäische Sicherheit <strong>–</strong> Europäische Werte<br />

Text: Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering<br />

Vorbemerkung des Herausgebers<br />

Mit dem vorliegenden Beitrag von Prof. Dr. Hans-Gert<br />

Pöttering, Präsident des Europäischen Parlamentes a.D.,<br />

dokumentieren wir seine Festansprache anlässlich der 8.<br />

Berliner Sicherheitskonferenz im Berlin Congress Center am<br />

8. Dezember 2009 zum Thema „Europäische Sicherheit <strong>–</strong><br />

Europäische Werte“.<br />

Es ist für mich eine große Ehre und Verpflichtung zugleich,<br />

nach meinem Beitrag vom vergangenen Jahr heute<br />

bereits zum 2. Mal auf der Berliner Sicherheitskonferenz<br />

sprechen zu dürfen. Der Einladung nach Berlin bin ich<br />

auch deshalb sehr gerne gefolgt, weil meine auf der 7.<br />

Berliner Sicherheitskonferenz 2008 vorgeschlagene Idee<br />

zur Weiterentwicklung eines Europas der Verteidigung<br />

erfreulich Zuspruch erhielt. Dies gibt mir nun heute die<br />

Gelegenheit, Ihnen die Entwicklungen vorzustellen, die<br />

das Konzept der Synchronized Armed Forces Europe,<br />

kurz SAFE, seither genommen hat. Offensichtlich wurde<br />

das Konzept der Synchronized Armed Forces Europe auch<br />

deshalb so rasch eine Realität in den sicherheitspolitischen<br />

Kreisen, weil die Zeit reif ist, um bei der Entwicklung eines<br />

Europas der Verteidigung weiter voranzukommen.<br />

Darüber hinaus möchte ich heute der Frage nachgehen,<br />

welchen unverzichtbaren und wesentlichen Beitrag die<br />

europäischen Werte für die Sicherheitspolitik des 21.<br />

Jahrhunderts leisten. Werte und Sicherheit gehören im<br />

21. Jahrhundert mehr denn je zusammen. Sie sind nicht<br />

nur der unverzichtbare Nukleus für das friedliche Zusammenleben<br />

und die immer engere Zusammenarbeit unserer<br />

europäischen Völker. Sie sind vielmehr auch das Fundament<br />

für die Sicherheitsarchitektur auf unserem Planeten<br />

insgesamt. Frieden und Sicherheit können weder durch<br />

militärische Stärke allein noch durch ein System bloß<br />

militärischer Bündnisse und einem wie immer auch gearteten<br />

militärischen Gleichgewicht erhalten werden. Diese<br />

leidvolle Erfahrung unserer europäischen Geschichte<br />

kann und sollte man auf die globale Sicherheitsarchitektur<br />

im 21. Jahrhundert übertragen. Deshalb habe ich meinen<br />

10<br />

Hans-Gert Pöttering<br />

Vortrag unter die Überschrift „Europäische Sicherheit <strong>–</strong><br />

Europäische Werte“ gestellt.<br />

Wenn mir am Beginn meiner parlamentarischen Tätigkeit<br />

im Europäischen Parlament im Jahr 1979 jemand zugerufen<br />

hätte: „Und 2009 wirst Du in einem Wiedervereinten<br />

Deutschland, in einer Europäischen Union mit 27 Mitgliedsländern<br />

und einer gemeinsamen Außengrenze mit<br />

Rußland, Weißrußland und der Ukraine auf der östlichen<br />

Seite Berlins eine Rede zur Weiterentwicklung der europäischen<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik halten!“,<br />

dann hätte ich gesagt: „Das ist eine schöne Vision, ein<br />

schöner Traum, aber ich werde es wohl nicht mehr erleben.“<br />

Dieser Traum <strong>–</strong> Sie wissen es alle <strong>–</strong> ist Wirklichkeit<br />

geworden und auch heute, nunmehr 20 Jahre nach dem<br />

Fall der Berliner Mauer bin ich persönlich immer noch<br />

bewegt, dass ich die friedliche Einigung Deutschlands<br />

und Europas erleben durfte. Wir haben allen Anlass, uns<br />

auch heute noch darüber zu freuen und dankbar auf das<br />

Erreichte zurück zu schauen.<br />

Als ich vor einem Jahr auf diesem Podium das Konzept<br />

der Synchronized Armed Forces Europe, kurz SAFE, vorstellte,<br />

waren es zuerst die Presseoffiziere der Bundeswehr,<br />

die das Neue und Interessante dieses Vorschlags aufgriffen<br />

und darüber sogleich auf der Webseite des Bundesministe-


iums der Verteidigung berichteten. So geschah es auch im<br />

Europäischen Parlament, wo mein Vorschlag mit Interesse<br />

aufgenommen und lebhaft diskutiert wurde. Der langjährige<br />

Vorsitzende des Unterausschusses für Sicherheit- und<br />

Verteidigung und heutige Präsident dieses Kongresses,<br />

Karl von Wogau, integrierte SAFE in seinen Bericht zur<br />

Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der<br />

im Februar 2009 mit der deutlichen Mehrheit von 483<br />

zu 111 Stimmen im Europäischen Parlament beschlossen<br />

wurde. Und mittlerweile wird über SAFE nicht nur auf<br />

den Fluren des Europäischen Parlaments diskutiert. Die<br />

Beamten beim Hohen Beauftragten für die Gemeinsame<br />

Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union<br />

verfolgen die Entwicklung von SAFE ebenfalls seit einem<br />

Jahr sehr genau.<br />

Im Dezember vergangenen Jahres kam es dann zum ersten<br />

Besuch eines Präsidenten des Europäischen Parlaments<br />

beim NATO Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, der<br />

im April 2009 von diesem mit einem Besuch in der Konferenz<br />

der Präsidenten im Europäischen Parlament erwidert<br />

wurde. Damit wurde endlich eine Jahrzehnte währende<br />

Sprachlosigkeit zwischen diesen beiden dazu noch in derselben<br />

Stadt angesiedelten Institutionen beendet. Zwar<br />

hatte es in der Amtszeit von NATO-Generalsekretär Lord<br />

Carrington bereits einen Besuch des damaligen Unterausschusses<br />

Sicherheit und Abrüstung des Europäischen Parlaments<br />

gegeben, aber wirkliche tiefgehende Beziehungen<br />

gab es nicht. Beide Seiten sind sich einig darin, dass die Europäische<br />

Union und die NATO in einen Dialog eintreten<br />

müssen. Das Europäische Parlament soll und wird sich an<br />

diesem Dialog beteiligen. Die Überarbeitung der NATO<br />

Sicherheitsstrategie ist ein geeigneter Zeitpunkt, um das<br />

jahrzehntelange Nichtverhältnis durch einen engen partnerschaftlichen<br />

Gedankenaustausch zu ersetzen. Einig waren<br />

wir uns dabei mit dem NATO-Generalsekretär, dass<br />

beide Institutionen ihre unterschiedlichen Fähigkeiten bei<br />

der Lösung der sicherheitspolitischen Herausforderungen<br />

komplementär einsetzen können. Es geht dabei nicht darum,<br />

die Instrumente des Anderen zu kopieren, sondern<br />

ergänzend tätig werden zu können. Und auch in diesem<br />

Rahmen sprachen wir u.a. über das Konzept SAFE.<br />

Erst kürzlich habe ich mich über die Möglichkeit gefreut,<br />

eingeleitet durch ein Vorwort des ehemaligen Generals<br />

und Vorsitzenden des Militärausschusses der NATO, Harald<br />

Kujat, SAFE ausführlicher einer breiteren Öffentlichkeit<br />

vorstellen zu können. Ich tat dies in der ältesten Europäischen<br />

Zeitschrift für Sicherheitspolitik, der seit 1808<br />

erscheinenden Österreichischen Militärischen Zeitschrift<br />

in der Mai/Juni 2009 Ausgabe. Der Chefredakteur der<br />

ÖMZ fasst die österreichische Sicht zu SAFE erfreulicher<br />

Weise in dem Satz zusammen: „Im Ansatz SAFE ist zweifellos<br />

ein Meilenstein in der Stärkung der Europäischen<br />

Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu sehen.“ So ist es<br />

folgerichtig, dass es auf dieser Konferenz zu SAFE in Panel<br />

9 eine sicherlich sehr interessante Diskussion geben wird.<br />

Ich möchte hier nur noch einmal kurz die wesentlichen<br />

Elemente von SAFE skizzieren: Allen großen Entwürfen<br />

zur Entwicklung einer Europäischen Armee war bisher<br />

das gleiche Schicksal beschieden. Sie ließen sich nicht verwirklichen.<br />

Europas Integrationsprozess selbst ist ja immer<br />

mit Geduld und Ausdauer vorangekommen. Dieses auch<br />

als Monnet Prinzip bekannte schrittweise Vorgehen sollte<br />

auch bei der Entwicklung des Europas der Verteidigung<br />

angewendet werden. Ich habe das Glück, als erster Vorsitzender<br />

des 1984 gegründeten Unterausschusses für <strong>–</strong> wie<br />

er damals noch hieß <strong>–</strong> Sicherheit und Abrüstung im Europäischen<br />

Parlament 10 Jahre mit diesen Fragen befasst<br />

gewesen zu sein. Deshalb weiß ich, dass neben den unterschiedlichen<br />

militärischen Traditionen vor allem die in der<br />

Europäischen Union vorhandenen unterschiedlichen Einstellungen<br />

zur militärischen Seite der Sicherheitspolitik,<br />

der Zugehörigkeit zu Bündnissen und zur Neutralität eine<br />

wesentliche Rolle bei allen Fragen der Sicherheitspolitik<br />

spielen. SAFE muss, will es erfolgreich sein, diese Unterschiede<br />

berücksichtigen und kann deshalb nur als Opt-in<br />

Modell auf freiwilliger Basis verwirklicht werden.<br />

Gleichwohl stehen bereits heute, und das erst 10 Jahre<br />

nach der Begründung der Europäischen Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik auf dem Gipfel von Köln im Jahr<br />

1999, Streitkräfte der Mitgliedsländer der Europäischen<br />

Union in gemeinsamen Einsätzen auf drei Kontinenten<br />

11


12<br />

EUROPäISCHE SICHERHEIT <strong>–</strong> EUROPäISCHE WERTE<br />

und deren Randmeeren. Sie vertreten dort neben nationalen<br />

auch europäische Interessen, die sich auf gemeinsame<br />

Werte und Ziele stützen. Dabei müssen alle jene erkennen,<br />

die im Zeitalter von Globalisierung, Klimawandel<br />

und Multipolarität an rein nationalen Konzepten zur Sicherheitspolitik<br />

festhalten wollen, dass auch die nationale<br />

Sicherheit in Europa zunehmend nur als gesamteuropäische<br />

Sicherheit funktioniert.<br />

SAFE soll zunächst für die europäischen Soldatinnen und<br />

Soldaten im Rahmen der Einsätze für die Europäische Sicherheits-<br />

und Verteidigungspolitik wirksam werden. Es<br />

sind die Soldatinnen und Soldaten selbst, die zu Recht<br />

fordern, dass diejenigen, die zusammen eingesetzt werden,<br />

auch zusammen ausgebildet und ausgerüstet werden müssen.<br />

Denn nur dann können sich die europäischen Soldatinnen<br />

und Soldaten voll aufeinander verlassen, wenn<br />

Ausbildungsstand, Einsatzdoktrin und Handlungsfreiheit<br />

im Einsatz auf gleicher Ebene liegen.<br />

Dabei haben wir als Europäisches Parlament, u.a. im letzten<br />

Bericht zum Zustand der Europäischen Sicherheits-<br />

und Verteidigungspolitik, deutlich erklärt, dass dazu für<br />

uns neben den Fragen der Pflichten und Rechte sowie<br />

der Einsatzregeln auch die sozialen Standards, die medizinische<br />

Versorgung sowie die Absicherung im Falle von<br />

Verwundung, Dienstunfähigkeit und Tod gehören. Wir<br />

gehen davon aus, dass das Europäische Parlament künftig<br />

stärker als Anwalt dieser berechtigten Interessen der<br />

Soldatinnen und Soldaten im Einsatz auftreten sollte. Ich<br />

persönlich würde noch einen Schritt weiter gehen und<br />

vorschlagen, das Amt eines europäischen Wehrbeauftragten<br />

beim Europäischen Parlament einzurichten, damit<br />

alle knapp 2 Millionen Soldatinnen und Soldaten in den<br />

Mitgliedsländern der Europäischen Union einen gemeinsamen<br />

Ansprechpartner bei den eben skizzierten Fragen<br />

haben.<br />

SAFE plädiert darüber hinaus für das Prinzip einer immer<br />

stärkeren militärischen europäischen Arbeitsteilung,<br />

die mit der Öffnung der soldatischen Laufbahnen in den<br />

Streitkräften der Mitgliedsländer für alle Bürger der Euro-<br />

päische Union, bei Erfüllung der Sprach- und Leistungskriterien<br />

verbunden werden sollte. Hier ist Belgien ein<br />

Vorbild und Vorreiter. In Belgien sind die militärischen<br />

Laufbahnen für alle Unionsbürger bereits heute geöffnet.<br />

Es wäre begrüßenswert, wenn sich nun in den Mitgliedsländern<br />

der Europäischen Union die politisch und fachlich<br />

Verantwortlichen verstärkt mit der Frage der Implementierung<br />

von SAFE auseinandersetzen würden. So war<br />

erst kürzlich vom neuen Französischen Europaminister<br />

Pierre Lellouche zu hören, dass er sein Augenmerk verstärkt<br />

auch auf die Versäumnisse bei der Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik lenken möchte. Und wir dürfen gespannt<br />

sein, wie die im Koalitionsvertrag der neuen deutschen<br />

Bundesregierung festgelegten Ziele zu diesem wichtigen<br />

Zukunftsthema mit Leben erfüllt und in die Praxis<br />

umgesetzt werden.<br />

Und wie ich aus dem Rat höre, beraten die zuständigen<br />

Diplomaten und Offiziere im Moment darüber, wie die<br />

Ausbildung, die medizinische Versorgung, Logistik und<br />

Transport im Rahmen von gemeinsamen europäischen<br />

Einsätzen künftig besser synchronisiert werden können.<br />

Stellen wir uns einmal kurz gemeinsam vor, welchen<br />

Schub das Europa der Verteidigung erhielte, wenn ein<br />

Tandem z.B. aus dem neutralen Österreich und dem mit<br />

Sitz im Sicherheitsrat bis heute auf eine eigene bedeutende<br />

sicherheitspolitische Tradition zurückblickenden Frankreich<br />

zu den Motoren bei der Implementierung der Synchronzed<br />

Armed Forces Europe werden würde.<br />

Dabei können wir sicher sein, dass uns diese schrittweise<br />

Synchronisierung dabei helfen wird, den Herausforderungen<br />

im Rahmen von Einsätzen der Europäischen Sicherheits-<br />

und Verteidigungspolitik immer besser gerecht zu<br />

werden.<br />

Wir stimmen sicher darin überein, dass unsere Soldatinnen<br />

und Soldaten im Einsatz dort neben nationalen auch<br />

europäische Interessen vertreten und diese sich auf gemeinsame<br />

Werte und Ziele stützen. Diese europäischen<br />

Werte sind in doppelter Hinsicht bedeutsam, so dass ich


mich im Folgenden etwas näher mit ihnen befassen werde.<br />

Sie sind bedeutsam, weil Sicherheit im 21. Jahrhundert<br />

stärker als je zuvor ein ganzes Instrumentarium politischer,<br />

wirtschaftlicher, diplomatischer und kultureller<br />

Maßnahmen verlangt, um erfolgreich und ergebnisorientiert<br />

Sicherheit und Frieden in Freiheit zu garantieren.<br />

Erfolgreiche Sicherheitspolitik beginnt deshalb immer<br />

mit politischer Kooperation. Dazu gehören u.a. neben<br />

dem interkulturellen und interreligiösen Dialog auch die<br />

Förderung von demokratischen Strukturen, der Kampf<br />

gegen Armut, die Hebung des Bildungsstands und der<br />

Kampf gegen die Folgen des Klimawandels. Dies ist der<br />

Grund dafür, warum das Europäische Parlament weltweit<br />

die Zusammenarbeit mit anderen parlamentarischen Versammlungen<br />

sucht, wie z.B. die Zusammenarbeit mit den<br />

afrikanischen Parlamenten und dem Pan-Afrikanischen<br />

Parlament. Wir sind davon überzeugt, dass die Förderung<br />

parlamentarischer Strukturen ein wesentlicher Beitrag für<br />

eine umfassende Sicherheitspolitik ist. Denn Demokratie<br />

funktioniert ohne Parlamentarismus nicht. Ohne frei<br />

gewählte Parlamente gleiten politische Systeme schnell in<br />

Machtmissbrauch, Diktatur und Instabilität ab, die oft die<br />

Ursachen von Konflikten bis hin zu Kriegen sind.<br />

Deshalb entwickelt sich die Europäische Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik unter dem Leitgedanken eines erweiterten<br />

zivil-militärischen Sicherheitsbegriffs. Nicht<br />

nur die Abwesenheit von Krieg bedeutet Sicherheit, sondern<br />

umfassend verstanden gehören hierzu zwingend die<br />

Menschenrechte, die Freiheit und die Demokratie. Diese<br />

Leitidee bestimmt heute unser Handeln in der Welt, weil<br />

wir Europäer selbst so lange durch die Niederungen von<br />

Krieg, Diktatur und Unfreiheit gewandert sind. Die Europäische<br />

Union ist im Vergleich zu allen anderen Friedensordnungen<br />

von der Pax Romana bis zum Versailler<br />

Vertrag deshalb so erfolgreich, weil sie unser gemeinsames<br />

kulturelles Erbe gemeinschaftlich nutzt.<br />

Diese tief reichenden Wurzeln Europas sind hinreichend<br />

bekannt. Die drei Hügel Europas heißen Akropolis, Golgatha<br />

und Kapitol, also die Griechische Philosophie und<br />

die Demokratie, das Juden- und Christentum sowie das<br />

Römische Recht. Diese wurden in der Neuzeit durch die<br />

Aufklärung, den Humanismus, den wissenschaftlichtechnischen<br />

Fortschritt und die wirtschaftliche Prosperität<br />

ergänzt und transformiert. Diese historische Tiefendimension<br />

der europäischen Werteordnung begründet aber<br />

weit aus mehr als gemeinsame politische Institutionen<br />

und Verfahrensregeln. Die Europäische Union formt daraus<br />

einen Rahmen, um im Sinne der Menschen und des<br />

friedlichen Zusammenlebens gemeinsam handeln zu können.<br />

Dieser Rahmen eröffnet uns die Möglichkeit, unsere<br />

europäischen Werte im täglichen Leben und für die Gestaltung<br />

einer gemeinsamen Zukunft lebbar anzuwenden.<br />

Ihr liegen die zentralen Werte Freiheit, Solidarität und<br />

Gerechtigkeit zugrunde: Freiheit, die in der Europäischen<br />

Union mit der Rechtsordnung und dem Demokratieprinzip<br />

geschützt wird, Solidarität, die mit dem Prinzip der<br />

Sozialen Marktwirtschaft praktisch umgesetzt wird, und<br />

Gerechtigkeit, die seit den philosophischen Dialogen Platons<br />

unser Streben nach einer auf Ausgleich und Recht<br />

basierenden, zutiefst europäischen Idee beschreibt.<br />

Die in weltweiten Einsätzen stehenden Soldatinnen und<br />

Soldaten der Mitgliedsländer der Europäischen Union<br />

sind nicht nur ein Instrument zur Erlangung von Stabilität<br />

oder der Befriedung von Konflikten. Sie sind auch<br />

Botschafter der weltweiten Durchsetzung dieser europäischen<br />

Wertevorstellungen. Diese Wertebezogenheit<br />

wird sich umgekehrt auch auf das Selbstverständnis der<br />

europäischen Soldatinnen und Soldaten und ihr soldatisches<br />

Traditionsverständnis auswirken. Mit jedem neuen<br />

Einsatz unter europäischer Führung kommen soldatische<br />

Berufsbilder, militärische Führungskulturen und historisch<br />

unterschiedliche Traditionslinien miteinander in<br />

Berührung. Ich verstehe unsere Aufgabe als politisch und<br />

fachlich Verantwortliche auch so, dass wir diesen Prozess<br />

nicht nur zulassen und durch die Idee von SAFE befördern<br />

und professionalisieren. Ich kann mir vorstellen, dass<br />

aus diesen gemeinsamen Einsätzen selbst eine neue, bis<br />

heute noch unentdeckte europäische sicherheitspolitische<br />

Tradition entstehen wird. Diese gilt es eingebettet in unser<br />

Wertefundament als wesentlichen Bestandteil eines Euro-<br />

13


14<br />

EUROPäISCHE SICHERHEIT <strong>–</strong> EUROPäISCHE WERTE<br />

pas der Verteidigung schon am Beginn dieses Prozesses<br />

mit in den Blick zu nehmen. Das Traditionsverständnis<br />

für die künftigen europäischen Soldatinnen und Soldaten<br />

ist nicht nur vor dem Hintergrund der unterschiedlichen<br />

historischen Erfahrungen und Brüche von Bedeutung. Es<br />

ist bedeutsam für die Verankerung der Streitkräfte im europäischen<br />

Wertekanon und auch ein Instrument zur Erziehung<br />

und Förderung eines gemeinsamen Bewusstseins,<br />

ohne das letztlich Streitkräfte nicht erfolgreich eingesetzt<br />

werden können. Es ist die ins Europäische gehobene Idee<br />

des preußischen Militärreformers <strong>Gneisenau</strong>, der im August<br />

1808 formulierte: „Aber es ist billig und staatsklug<br />

zugleich, dass man den Völkern ein Vaterland gebe, wenn<br />

sie ein Vaterland kräftig verteidigen sollen.“<br />

Wer im Rahmen von europäischen Missionen in Auslandseinsätze<br />

geschickt wird, muss die europäische Dimension<br />

kennen und verstehen. Aus diesem Grund ist es bedeutsam,<br />

dass führende Sicherheitspolitiker im Moment an<br />

einer europäischen Sicherheitsstrategie arbeiten, die mehr<br />

sein wird als die Summe der Sicherheitsstrategien der Mitgliedsländer.<br />

Denn die Europäische Union wird zunehmend<br />

das Instrument, mit dem die Mitgliedsländer ihre<br />

Interessen in der Welt schützen und durchsetzen können.<br />

Wenn sich die Europäische Union nun schrittweise zu einem<br />

strategisch handelnden Akteur der Weltpolitik weiterentwickelt,<br />

werden wir uns in Bezug auf die Streitkräfte<br />

zeitnah mit der Entwicklung einer europäischen sicherheitspolitischen,<br />

einschließlich militärischen, Tradition zu<br />

befassen haben. Und auch hier stehen wir wie in anderen<br />

Politikfeldern auch vor einem bekannten Sachverhalt.<br />

Heute ist die sicherheitspolitische Tradition national orientiert,<br />

aber die Summe der nationalen sicherheitspolitischen<br />

Traditionen ergibt, trotz des Wahlspruchs der Europäische<br />

Union <strong>–</strong> In Vielfalt vereint <strong>–</strong> keine europäische<br />

Tradition. Hier wird also etwas Neues entstehen müssen.<br />

Dieses Neue könnte aber aus einem bereits in der Himmeroder<br />

Denkschrift im Jahr 1950 geäußerten Gedanken<br />

heraus entwickelt werden, der der Gründung der<br />

Bundeswehr vorausging. Das Gründungsdokument der<br />

Bundeswehr sieht in der Schaffung eines europäischen<br />

Geschichtsbildes einen entscheidenden Beitrag für die<br />

Entwicklung zum überzeugten Staatsbürger und europäischen<br />

Soldaten. Dieser Gedanke hat auch heute nichts<br />

von seiner Aktualität verloren. Deshalb arbeitet das Europäische<br />

Parlament an dem Projekt der Errichtung eines<br />

Hauses der Europäischen Geschichte.<br />

Welche Bausteine könnten nun als Fundament für eine<br />

europäische sicherheitspolitische Tradition verwendet<br />

werden? Zu berücksichtigen ist, dass die nationalen Erfahrungen,<br />

das historisch-nationale Gedächtnis allein keine<br />

ausreichende Traditionswirkung für europäische Soldatinnen<br />

und Soldaten wird entfalten können. Der nationalen<br />

Erinnerung muss daher eine europäische Dimension<br />

zur Seite gestellt werden. Diese europäische Dimension<br />

könnte drei Bausteine enthalten, die als gemeinsame Traditionslinien<br />

zum schon skizzierten Werteverständnis der<br />

Europäischen Union maßgeblich beigetragen haben.<br />

Diese drei Elemente sind die europäischen Erhebungen<br />

von 1848/49, der Widerstand gegen den Totalitarismus<br />

im 20. Jahrhundert und die Geschichte des europäischen<br />

Integrationsprozesses nach dem 2. Weltkrieg. Diese europäischen<br />

Traditionssäulen sind geeignet, neben dem<br />

westeuropäischen auch den mittel- und osteuropäischen,<br />

historischen Erfahrungsschatz zu integrieren.<br />

Die politische und soziale Erhebung, die in der Revolution<br />

von 1848/49 ihren Höhepunkt fand, war über die<br />

jeweils national wahrgenommenen Ereignisse hinaus ein<br />

europäischer Prozess. Obwohl die Revolutionen allesamt<br />

scheiterten, blieb die Idee des Bürgers, dem unveräußerliche<br />

Rechte gegeben sind und der als gleichberechtigtes<br />

Glied in seiner Nation mitentscheiden und Anteil an den<br />

Entwicklungen nehmen kann, bis heute lebendig. Die<br />

Ziele von 1848 sind ein großes europäisches Ideal.<br />

Der zweite Baustein ist die den Europäern gemeinsame<br />

Erfahrung mit den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts.<br />

Der Kampf gegen den die Freiheits- und Bürgerrechte<br />

negierenden totalen Staat im Zeitalter der Ideologien


gehört zum gesamteuropäischen Erbe. Er steht im Spannungsverhältnis<br />

in der Auseinandersetzung mit Faschismus<br />

und Nationalsozialismus einerseits, sowie mit Sozialismus<br />

und Kommunismus andererseits. Hierzu gehören<br />

insbesondere der Kampf gegen das nationalsozialistische<br />

„Dritte Reich“, aber auch die Erhebungen im kommunistischen<br />

Ostblock gegen die Sowjetunion, wie zum Beispiel<br />

in der DDR 1953, in Ungarn 1956, der Tschechoslowakei<br />

1968, der Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc 1980,<br />

der singenden Revolution in den drei Baltischen Staaten<br />

im Jahr 1988, bevor am 9. November 1989 die Mauer in<br />

Berlin fiel. Dies alles sind nur die prominentesten Beispiele<br />

für den Drang nach Selbstbestimmung, Freiheit und<br />

Demokratie. Es ließen sich viele weitere finden.<br />

Als dritter Baustein bietet sich der europäische Integrationsprozess<br />

nach 1945 selbst an. Er ist eine starke Identität<br />

stiftende Klammer. Er schuf mit dem Beitritt der mittel-<br />

und osteuropäischen Länder nach deren Selbstbefreiung<br />

in den Jahren 1989/1991 und dem Erreichen der Vision<br />

eines „Europe whole and free“ die Grundlage für eine immer<br />

engere Union der Nationen Europas. Erst die Erweiterung<br />

der Union um die Völker Mittel- und Südosteuropas<br />

machte die Europäische Union zu einer „Union der<br />

europäischen Völker“. Sie bringen durch ihre gewaltlosen<br />

Freiheitsrevolutionen einen Traditionsbestand mit ein, der<br />

die beiden zuerst genannten Säulen <strong>–</strong> die gesamteuropäische<br />

Erhebung von 1848/49 und den Widerstand gegen<br />

den Totalitarismus <strong>–</strong>, mit der dritten, dem Erfolg der europäischen<br />

Integration, verbindet.<br />

Neben diesen großen Linien sind es aber auch immer die<br />

Handlungen Einzelner, die in Zeugnissen, Haltungen und<br />

Erfahrungen verankert sind, die, wie es z.B. im Traditionserlass<br />

der Bundeswehr heißt, „als ethische und rechtsstaatliche,<br />

freiheitliche und demokratische Traditionen auch<br />

für unsere Zeit beispielhaft und erinnerungswürdig sind“<br />

und „in denen Soldaten über die militärische Bewährung<br />

hinaus an politischen Erneuerungen teilhatten, die zur<br />

Entstehung einer mündigen Bürgerschaft beigetragen und<br />

den Weg für ein freiheitliches, republikanisches und demokratisches<br />

Deutschland gewiesen haben.“<br />

Diese Personalisierung der sicherheitspolitischen Traditionsbildung<br />

wird auch zum Herausbilden einer europäischen<br />

militärischen Tradition unerlässlich sein. Bei der<br />

Vorbereitung auf meinen Vortrag stieß ich dabei auf einen<br />

Offizier, der als ein Cousin Stauffenbergs durch einen<br />

schmerzhaften Lernprozess vom Kriegsfreiwilligen im<br />

Ersten Weltkrieg, vom Monarchisten, dann Nationalisten<br />

und dann während des Zweiten Weltkrieges zum Europäer<br />

und Widerstandskämpfer aus sittlicher Überzeugung<br />

wurde. In einem Brief an seine Frau vom 15. Juli 1940<br />

nahm er bereits visionär die Europapolitik des deutschen<br />

Bundeskanzlers Helmut Kohl und des französischen Präsidenten<br />

François Mitterand mit ihrem symbolischen<br />

Händedruck über den Gräbern von Verdun im September<br />

1984 und die durch die Einführung des Euro zum 1. Januar<br />

1999 gekrönte Europäische Wirtschafts- und Währungsunion<br />

vorweg: „Ich würde“, schrieb der in Paris am<br />

Aufstand gegen Hitler beteiligte Oberstleutnant Caesar<br />

von Hofacker (1896 - 1944), „wenn es auf mich ankäme,<br />

[...] eine Währungs- und Wirtschaftsunion zwischen Frankreich<br />

und Deutschland proklamieren und in einem feierlichen<br />

symbolischen Akt auf den gemeinsamen Totenfeldern von Verdun<br />

eine ewige deutsch-französische Allianz gründen.“<br />

Es ist gerade für uns Deutsche beruhigend zu wissen, dass<br />

der Kerngedanke der europäischen Einigung im politischen<br />

Vermächtnis des deutschen Widerstands enthalten<br />

ist. Dieses Vermächtnis kommt in der Überzeugung zum<br />

Ausdruck, nach der militärisches Handeln nicht für sich<br />

stehen kann, sondern nur im Dienste von Werten, wie sie<br />

im Grundgesetz oder dem Vertrag von Lissabon verankert<br />

sind, die schließlich die Werte sind, die uns in Europa<br />

miteinander verbinden. Dieser europäische Wertebezug,<br />

dessen Tradition und historische Wurzeln wir heute diskutieren,<br />

ist lebendig und für das Europa der Verteidigung<br />

unverzichtbar.<br />

Ich bin davon überzeugt, dass sich eine europäische sicherheitspolitische<br />

Tradition im Dreiklang der skizzierten<br />

Bausteine entwickeln sollte. Wir <strong>–</strong> die politisch und<br />

fachlich Handelnden <strong>–</strong> haben es in der Hand, wie schnell<br />

wir dem eingeschlagenen Weg folgen. Die gemeinsamen<br />

15


16<br />

EUROPäISCHE SICHERHEIT <strong>–</strong> EUROPäISCHE WERTE<br />

sicherheitspolitischen Herausforderungen der Mitgliedsländer<br />

der Europäischen Union <strong>–</strong> wie der Internationale<br />

Terrorismus, Piraterie oder die Folgen des Klimawandels <strong>–</strong><br />

drängen uns, den Aufbau eines Europas der Verteidigung<br />

mit all seinen Notwendigkeiten anzugehen. Dazu gehört<br />

auch, ein entsprechendes europäisches Bewusstsein zu fördern,<br />

eine europäische Sicherheitsstrategie zu entwerfen<br />

und daraus eine militärische Tradition zu entwickeln.<br />

Eine zeitgemäße Traditionsbildung wird dabei militärhistorisch-politische<br />

und wertgebundene zivile Elemente vereinigen.<br />

Dabei müssen wir darauf achten, dass neben der<br />

Einübung des militärischen Handwerks und der Beherrschung<br />

der Waffen und Systeme, die Werte-Bildung nicht<br />

zu kurz kommt. Auf diese Dimension muss gerade am Beginn<br />

des als Wissenszeitalter beschriebenen 21. Jahrhunderts<br />

hingewiesen werden. Oder wie es bereits der erste<br />

deutsche Traditionserlass von 1965 mit seinem Punkt 18<br />

formuliert hat: „Geistige Bildung gehört zum besten Erbe<br />

europäischen Soldatentums. Sie befreit den Soldaten zu<br />

geistiger und politischer Mündigkeit und befähigt ihn, der<br />

vielschichtigen Wirklichkeit gerecht zu werden, in der er<br />

handeln muss. Ohne Bildung bleibt Tüchtigkeit blind.“<br />

Dieses Verständnis ist unverzichtbar, wenn wir uns gemeinsam<br />

daran machen, das soldatische Ethos für das<br />

Europa der Verteidigung zu schaffen. Das Europäische<br />

Parlament will dabei ein wesentlicher Akteur und Partner<br />

sein, wenn es um die Ausgestaltung unserer sicherheitspolitischen<br />

Zukunft geht.<br />

Anmerkung:<br />

Die im Beitrag angesprochene „Entschließung des Europäischen<br />

Parlaments vom 19. Februar 2009 zu der Europäischen<br />

Sicherheitsstrategie und die ESVP“ ist digital abrufbar<br />

unter:<br />

www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P6-TA-2009-0075<br />

Die Aussagen zu SAFE befinden sich in den Punkten<br />

51-54.<br />

In seiner Funktion als Präsident des Europäischen Parlamentes<br />

hat Dr. Pöttering den Artikel: „Synchronized Armed<br />

Forces Europe (SAFE). Neue Entwicklungen und Ansätze für<br />

ein Europa der Verteidigung“ in der Österreichischen Militärischen<br />

Zeitschrift 3/2009, S. 277-282 veröffentlicht.


Das Spannungsfeld von Militärischer Revolution und Revolution<br />

in Military Affairs (RMA) am Beispiel von „Königgrätz“<br />

Text: Dr. Eberhard Birk<br />

I. Einführung<br />

Am Morgen vor der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli<br />

1866 galt Österreich noch als die stärkste Macht Zentraleuropas,<br />

1 am Abend des 3. Juli war es Preußen: „Casca<br />

il mondo“ 2 <strong>–</strong> die Welt stürzt ein! Dieses klassische Diktum<br />

des päpstlichen Staatssekretärs Antonelli bringt in<br />

aller Kürze und Prägnanz die zentrale Bedeutung dieser<br />

„Entscheidungsschlacht“ für das europäische Kriegswesen<br />

der neueren und neuesten Geschichte auf den Punkt.<br />

Die politischen Folgen waren dramatisch: Zerschlagung<br />

des Deutschen Bundes, territoriale Abrundung Preußens<br />

durch Annexionen sowie Bildung des Norddeutschen<br />

Bundes als Katalysator der kleindeutschen Lösung durch<br />

Schutz- und Trutzbündnisse mit den erstmals tatsächlich<br />

souveränen süddeutschen Staaten <strong>–</strong> und Österreich<br />

war nach Jahrhunderten ohne staatliche Verbindung mit<br />

‚Deutschland‘.<br />

Der 3. Juli 1866 markiert daher durch die aufstrebende,<br />

das europäische Mächtegleichgewicht herausfordernde<br />

Dynamik Preußens etwas mehr als ein Jahrhundert<br />

nach den Schlesischen Kriegen die Entscheidung zur ersten<br />

deutschen Teilung <strong>–</strong> und das, obwohl der „Deutsche<br />

Krieg“ „auf beiden Seiten nur mit halbem Herzen begonnen<br />

und durchgefochten (wurde, E.B.), auch wenn in Preußen,<br />

mehr noch als in Österreich, die Nation selbst in den Kampf<br />

geführt wurde. Ihre Massenheere schlugen in Gehorsam und<br />

Disziplin die Schlachten, deren Sinn sie nicht verstanden.“ 3<br />

Gleichzeitig zeigte der „Bruderkrieg“ <strong>–</strong> wie der nordamerikanische<br />

Civil War (1861-1865) <strong>–</strong> aber auch das Potential<br />

auf, das neue technologische Entwicklungen auf militärischem<br />

Terrain, eingebunden in eine neue Doktrin, vor<br />

dem Hintergrund der Industriellen Revolution für das<br />

Führen von Kriegen der Zukunft „On the Road to Total<br />

War“ 4 bereit hielt. Dass daher ein Großteil militärischer<br />

Gewissheiten vergangener Zeitalter für die Führung moderner<br />

Armeen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht<br />

Eberhard Birk<br />

mehr anwendbar war, 5 erkannte auch der preußische Generalstabschef<br />

Moltke: „Aber das Fortschreiten der <strong>Technik</strong>,<br />

erleichterte Kommunikation, neue Bewaffnung, kurz, völlig<br />

veränderte Umstände, lassen die Mittel, durch welche früher<br />

der Sieg errungen wurde, und selbst die von den größten Feldherren<br />

aufgestellten Regeln, vielfach als unanwendbar auf die<br />

Gegenwart erscheinen.“ 6<br />

Der Krieg von 1866 war daher einerseits „sozusagen ein<br />

Krieg zwischen den Zeiten und außerhalb der Normen seiner<br />

Epoche“ 7 . Er war aber auch <strong>–</strong> andererseits <strong>–</strong> die Mitte<br />

der sog. Reichseinigungskriege, die sich alle in ihrem Charakter<br />

voneinander, kaum jedoch von den „klassischen“<br />

Kriegsgründen, unterschieden: Der 1864er-Krieg war ein<br />

Bundes-Exekutionskrieg zur Durchsetzung internationalen,<br />

europäischen Rechts, 1866 war ein Sezessionskrieg<br />

Preußens vom Deutschen Bund und der zur Reichseinigung<br />

führende (klein-)deutsch-französische Krieg von<br />

1870/71 war eine um die Hegemonie im west- und zentraleuropäischen<br />

kontinentalen Raum geführte machtpolitische<br />

Auseinandersetzung. 8<br />

So sehr Militärhistoriker und Militärs, nicht zuletzt aus<br />

Gründen des individuellen Professionalisierungsbestre-<br />

1 Der Beitrag ist eine gekürzte Version, die erstmals in der ÖMZ 5/2010, S. 608-616 erschien.<br />

2 Zit. nach Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 199.<br />

3 Wolfgang von Groote, Moltkes Planungen für den Feldzug in Böhmen und ihre Grundlagen, in: ders./Ursula v. Gersdorff (Hg. i.A. des MGFA), Entscheidung 1866. Der Krieg zwischen Österreich und Preußen, Stuttgart 1966, S. 77-104,<br />

hier S. 93f.<br />

4 Vgl. Stig Förster/Jörg Nagler (Hg.), On the Road to Total War. The American Civil War and the German Wars of Unification, 1861-1871, Cambridge 1997.<br />

5 Vgl. Gerhard P. Groß (Hg.), Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2001 (=Vorträge zur Militärgeschichte Band 19) und Michael Epkenhans/Gerhard<br />

P. Groß (Hg.), Das Militär und der Aufbruch in die Moderne 1860-1890, München 2003 (=Beiträge zur Militärgeschichte Band 60).<br />

6 Zit. nach Volkmar Regling, Grundzüge der Landkriegführung zur Zeit des Absolutismus und im 19. Jahrhundert, in: MGFA (Hg.), Deutsche Militärgeschichte 1648-1939 (6 Bde), Band 6 Abschnitt IX, München 1983, S. 11-425, hier S. 386.<br />

7 Groote, Moltkes Planungen, S. 96.<br />

8 Vgl. Josef Becker, Von Bismarcks „spanischer Diversion“ zur „Emser Legende“ des Reichsgründers, in: Johannes Burkhardt, Josef Becker, Stig Förster, Günther Kronenbitter, Lange und kurze Wege in den Ersten Weltkrieg. Vier Augsburger<br />

Beiträge zur Kriegsursachenforschung (=Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg Nr. 49), München 1996, S. 87-113.<br />

17


18<br />

DAS SPANNUNGSFELD VON MILITäRISCHER REVOLUTION UND REVOLUTION<br />

IN MILITARy AFFAIRS (RMA) AM BEISPIEL VON „KÖNIGGRäTZ“<br />

bens, operationsgeschichtliche Studien und Schlachtenbeschreibungen<br />

als objektive „Generalstabsdarstellungen“<br />

und subjektive Zeitzeugenschilderungen kennen, lesen<br />

und kritisch-reflexiv sich anzueignen suchen, so sehr gilt<br />

es gleichzeitig auch den Blick auf die sie begrenzenden<br />

Rahmenbedingungen zu werfen, die oftmals <strong>–</strong> unvorherseh-<br />

und daher nicht steuerbar <strong>–</strong> dem außermilitärischen<br />

Raum entspringen, gleichwohl jedoch dramatisch auf das<br />

Militärwesen einwirken. 9 Die geweitete (militär-) historische<br />

Perspektive, verbunden mit einem auch pädagogischdidaktischen<br />

Impetus, verdeutlicht die Notwendigkeit,<br />

Militärgeschichte eingebunden in die Triebkräfte und<br />

Beschleuniger der allgemeinen Geschichte zu begreifen, 10<br />

will man nicht Gefahr laufen, aufgrund zu eng gefasster<br />

Prämissen zu falschen „Lessons learned“-Konstrukten zu<br />

gelangen, die isolierten Zirkelschlüssen <strong>–</strong> bad history,<br />

worse policy, wrong strategy <strong>–</strong> anhaften.<br />

Daher soll hier, ausgehend von einer Typologie von Militärischen<br />

Revolutionen und Revolutions in Military Affairs,<br />

über die allgemeinen politischen, gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Vorfeld<br />

der sog. Reichseinigungskriege deren Auswirkungen auf<br />

die Grundlagen, Chancen und Grenzen strategischer, operativer<br />

und taktischer Führung <strong>–</strong> bezogen im Fokus auf<br />

den Feldzug der „Entscheidung 1866“ <strong>–</strong> ein Interpretationsmodell<br />

aufgezeigt werden, das es erlaubt, der reinen<br />

Deskription zu entkommen und auch perspektivisch das<br />

Potential hat, auf andere militärhistorisch relevanten Ereignisse<br />

und Prozesse Anwendung zu finden.<br />

II. Militärische Revolutionen (MR) und Revolutions in<br />

Military Affairs (RMA)<br />

1. Militärische Revolution<br />

So wie im 17. und 18. Jahrhundert der Wachstumsprozess<br />

der Staatsgewalt und die stehenden Armeen eine stetige<br />

Verfügungsgewalt der Monarchen über die bewaffnete<br />

Macht bedeuteten, was gegenüber dem Zeitalter vor und<br />

während des Dreißigjährigen Krieges eine Militärische<br />

Revolution darstellte und für ein neues Kriegsbild sorgte,<br />

11 so führte auch die Französische Revolution mit ihren<br />

politischen, gesellschaftlichen und militärischen Auswirkungen<br />

zu einer Revolutionierung des Kriegswesens, das<br />

in Napoleon seinen Meister fand. 12 In diese Reihe Militärischer<br />

Revolutionen gehört auch die ab der Mitte des<br />

19. Jahrhunderts beginnende Industrialisierung, die die<br />

Möglichkeiten der Kriegführung in dramatischer Weise<br />

veränderte. Diese in ihren Auswirkungen das Kriegswesen<br />

revolutionierenden Veränderungsprozesse erfolgten<br />

niemals sofort, aber genauso grundlegend wie es später<br />

die nationalistische und technisch-volkswirtschaftliche<br />

Totalisierung in ihren Verirrungen in der ersten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts 13 wie auch die Nuklearisierung des<br />

Kriegsbildes 14 in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

bewirkte, die nun, spätestens seit der Zeitikone ‚9/11’,<br />

von einem Zeitalter der Ungewissheiten der asymmetrisch<br />

‚Neuen Kriege’ 15 abgelöst wird.<br />

Dieser kursorische Überblick über die die Epochen abgrenzenden<br />

Einschnitte und Prozesse erklärt durch deren<br />

historisch-politischen, gesellschaftlichen und sozialen<br />

Faktoren die Bellizität des neuzeitlichen Europas mit<br />

eruptiven Veränderungsprozessen und Auswirkungen:<br />

„Military revolutions (...) fundamentally change the framework<br />

of war (...) Military revolutions recast society and the<br />

state as well as military organizations. They alter the capacity<br />

of states to create and project military power. And their effects<br />

are additive.“ 16 Das äußere Kennzeichen einer Militärischen<br />

Revolution wäre demnach die Erhöhung des Grades<br />

der Ressourcen-Mobilisierungs-Kapazität durch sich<br />

abwechselnde ‚harte’ und ‚weiche’ Katalysatoren wie Staat,<br />

Nation, Industrialisierung, Ideologisierung sowie Nuklearisierung<br />

und für die Gegenwart möglicherweise ‚Kultur’.<br />

Unter Zugrundelegung dieser Typologie fällt auf, dass<br />

eine Entgrenzung des Krieges insbesondere durch ‘weiche‘<br />

9 Vgl. MacGregor Knox and Murray Williamson (Hg.): The Dynamics of Military Revolutions 1300-2050, Cambridge University Press 2001.<br />

10 Vgl. Rainer Wohlfeil, Wehr-, Kriegs- oder Militärgeschichte?, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen H. 1 (1967), S. 21-29. Die hierüber geführte Diskussion wurde auszugsweise wiedergegeben in: Militärgeschichte. Probleme-Thesen-Wege,<br />

im Auftrag des MGFA ausgewählt und zusammengestellt von Manfred Messerschmidt, Klaus A. Maier, Werner Rahn und Bruno Thoß, Stuttgart 1982, S. 17-59.<br />

11 Vgl. Wolfgang Reinhard, Humanismus und Militarismus, in: F.J. Worstbrock (Hg.), Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus, Weinheim 1986, S. 185-204; Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt/M.<br />

1992 und Geoffrey Parker, Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500-1800, Frankfurt/Main 1990 sowie der auf die ideengeschichtlichen Wurzeln eingehende Werner Hahlweg, Die Heeresreform der<br />

Oranier und die Antike, Berlin 1941.<br />

12 Vgl. für den Überblick hierzu Siegfried Fiedler, Kriegswesen und Kriegführung im Zeitalter der Revolutionskriege, Koblenz 1988 und mit Bezug zum Topos ‚Militärische Revolution’ als Beispiel der militärischen Auswirkungen der<br />

Französischen Revolution auf die Operationsführung statt vieler Stuart McCarthy, Capitalising on Military Revolution: Lessons from the Grande Armée’s Victory at Jena-Auerstädt, in: Australian defence force journal (2003), 158, S. 37-52.<br />

13 Vgl. Stig Förster (Hg.), An der Schwelle zum Totalen Krieg. Die militärische Debatte um den Krieg der Zukunft, Paderborn 2002 (=Krieg in der Geschichte Band 13).<br />

14 Vgl. Michael Salewski (Hg.), Das Zeitalter der Bombe, München 1995, Bernard Brodie (Ed.), The absolute Weapon. Atomic Power and World Order (1946) und Henry A. Kissinger, Kernwaffen und Auswärtige Politik, München 1959.<br />

15 Vgl. statt vieler Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg 2002.<br />

16 Knox/Williamson, Military Revolutions, S. 6-7.


Instabilitätsfaktoren erfolgte: Dies galt in den frühneuzeitlichen,<br />

konfessionell aufgeladenen Staatsbildungskriegen<br />

vor dem Absolutismus, der Nationalisierung im Zuge der<br />

Französischen Revolution, der Ideologisierung in der ersten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts wie auch in der sich für<br />

das 21. Jahrhundert abzeichnenden Konstellation durch<br />

eine sich in asymmetrische Formen kleidende Re-Konfessionalisierung<br />

resp. sich auf die ‚Kultur’ oder religiös<br />

begründete Werte als Movens beziehende Kriegführung.<br />

Dabei gilt für die die Rahmenbedingungen des Kriegswesens<br />

<strong>–</strong> auf strategischer Ebene <strong>–</strong> neu definierenden politischen<br />

und gesellschaftlichen Revolutionen die gleiche<br />

Einsicht wie für die stärker die technologischen, organisatorischen<br />

und doktrinalen betonenden Entwicklungssprünge<br />

auf der operativen Ebene, die unter dem Begriff<br />

„Revolutions in Military Affairs“ firmieren: „The term<br />

‚revolution‘ is not meant to insist that change will be rapid<br />

(...) but only that the change will be profound, that the new<br />

methods of warfare will be more powerful than the old.“ 17<br />

2. Revolutions in Military Affairs (RMA)<br />

Im Gegensatz zu einer MR versteht man unter einer RMA<br />

in der Regel eine rein militärische Effizienzsteigerung „sur<br />

le terrain“: „An RMA involves a paradigm shift in the nature<br />

and conduct of military operations which either renders<br />

obsolete or irrelevant one or more core competencies of a dominant<br />

player, or creates one or more new core competencies,<br />

in some new dimension of warfare, or both.“ 18 Noch umfassender<br />

<strong>–</strong> unter Integration weiterer Facetten <strong>–</strong> formulierte<br />

es der US-amerikanische Verteidigungsminister William<br />

S. Cohen: „A Revolution in Military Affairs (RMA) occurs<br />

when a nation‘s military seizes an opportunity to transform<br />

its strategy, military doctrine, training, education, organization,<br />

equipement, operations, and tactics to achieve decisive<br />

military results in fundmentally new ways.“ 19<br />

Dessen „politischer“ Begriffsdefinition ging eine mehr<br />

als ein Jahrzehnt umfassende wissenschaftliche Diskussion<br />

voraus, die militärhistorische Ereignisse und Prozesse<br />

danach untersuchte, inwieweit sie exemplarisch die Be-<br />

deutung von politisch gewollten, militärisch erwünschten<br />

und informations- resp. rüstungstechnologisch durch große<br />

finanzielle Mittel subventionierte Überlegenheitspotentiale<br />

unterstrichen: „An RMA is a major change in the<br />

nature of warfare brought about by the innovative application<br />

of technologies, which, when combined with dramatic<br />

changes in military doctrine and operational concepts, fundamentally<br />

alters the character and conduct of operations.“ 20<br />

Der zunächst fast ausschließlich technikorientierte Ansatz<br />

wurde durch eine konzeptionelle Modifizierung und Kontextualisierung<br />

begleitet: „It (RMA) is what occurs when the<br />

application of new technologies into a significant number of<br />

military systems combines with innovative operational concepts<br />

and organizational adaption in a way that fundamental<br />

alters the character and conduct of conflict. It does so by<br />

producing a dramatic increase <strong>–</strong> often an order of magnitude<br />

or greater <strong>–</strong> in the combat potential and military effectiveness<br />

of armed forces.“ 21 Für den Erfolg einer RMA sind demnach<br />

vier Elemente von zentraler Bedeutung: (1.) Technologischer<br />

Wandel, (2.) Operationelle Erneuerung, (3.)<br />

Anpassung der Organisation und (4.) Weiterentwicklung<br />

des Streitkräftesystems.<br />

Idealtypisch lässt sich eine RMA wie folgt charakterisieren:<br />

sie nimmt ‚Vorreformen‘ aus vorheriger RMA als evolutionäres<br />

Kontinuitätsmerkmal auf, nutzt die Möglichkeiten<br />

einer neuen MR als Katalysator, steuert technologische<br />

<strong>Innovation</strong> (hardware), bildet eine möglichst TSK-übergreifende<br />

Doktrin (software) und harmonisiert die Faktoren<br />

Raum, Zeit, Kraft und Information. Der Erfolg einer<br />

bewussten Steuerung (waffen-) technologischer, organisatorischer<br />

oder doktrinaler Entwicklungsschübe zeichnet<br />

sich <strong>–</strong> auf operativer Ebene <strong>–</strong> durch die Herstellung einer<br />

(zeitlich begrenzten) positiven Dissymmetrie aus; er wird<br />

auf dem Gefechtsfeld sichtbar. Er ist abhängig von einer<br />

Integration in eine vernetzte Grand Strategy, denn „revolutions<br />

in military affairs take place almost exclusively at the<br />

operational level of war. They rarely affect the strategic level,<br />

except insofar as operational success can determine the larger<br />

strategic equation (...) Moreover revolutions in military af-<br />

17 Andrew W. Marshall (Office of Net Assessment [Pentagon]), Revolutions in Military Affairs, statement prepared for the Subcommittee on Acquisition & Technology, Senate Armed Services Committee, May 5, 1995.<br />

18 Richard O. Hundley, Past Revolutions, Future Transformations. What can the History of Revolutions in Military Affairs tell us about Transforming the U.S. Military? (Santa Monica, C.A.: RAND 1999).<br />

19 William S. Cohen, Annual report to the President and the Congress, Washington D.C.: US Government Printing Office 1999, Kapitel 10 [http://www.defenselink.mil/execsec/adr1999/chap10.html (03.07.2010)].<br />

20 Paul K. Davies, Transforming the armed forces: An Agenda for Change, in: Richard Kugler/Ellen Frost (Ed.), The Global Century: Globalization and National Security (Washington D.C.: NDU Press, 2001).<br />

21 Andrew Krepinevitch, Cavalry to Computer <strong>–</strong> The Pattern of Military Revolution, in: The National Interest Fall 1994, S. 30-42, hier S. 30.<br />

19


20<br />

DAS SPANNUNGSFELD VON MILITäRISCHER REVOLUTION UND REVOLUTION<br />

IN MILITARy AFFAIRS (RMA) AM BEISPIEL VON „KÖNIGGRäTZ“<br />

fairs always occur within the context of politics and strategy<br />

<strong>–</strong> and that content is everything.“ 22<br />

III. Rahmenbedingungen zur Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts<br />

Die Industrielle Revolution hatte, nachdem sie zur Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts wirkungsmächtig auf dem europäischen<br />

Kontinent „Fuß gefasst“ hatte, tiefgreifende politische,<br />

gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungsprozesse<br />

zur Folge: Wechselseitige Verschränkungen und<br />

Abhängigkeiten führten neben einem rasanten Bevölkerungswachstum,<br />

der Verschiebung des wirtschaftlichen<br />

Schrittmachers zur beginnenden Industriegesellschaft,<br />

dem Ausbau von Verkehrs- und Eisenbahnnetzen zu einem<br />

wirtschaftlichen Produktionsanstieg.<br />

Vor diesem Hintergrund öffneten sich auch für das Militär<br />

neue Chancen für die Effizienzsteigerung hinsichtlich der<br />

Faktoren Raum, Zeit, Information und Kraft: Die Verkürzung<br />

des Raumes durch die Nutzung der Eisenbahnlinien<br />

für schnelle Aufmärsche sowie die Beschleunigung<br />

der Zeit, aber auch der nutzbaren Informationsüberlegenheit<br />

durch die <strong>Innovation</strong> beim Kommunikationswesen in<br />

Form der Telegraphie erlaubten es, Truppen, Kriegsmaterial<br />

und Nachschub innerhalb kürzester Zeit <strong>–</strong> gegebenenfalls<br />

mit ‚tödlicher’ Präzision planbar <strong>–</strong> an jeden, durch<br />

die Eisenbahnlinien definierbaren Punkt zu bringen. Zeit-<br />

und Logistikvorsprung konnten bei überlegener Führung<br />

durch flexible Konzentration der Kräfte den militärischen<br />

Sieg auf dem Schlachtfeld ‚garantieren’. Eine unterlassene<br />

und falsche Planungsarbeit, ein dilatorischer Aufbau von<br />

Eisenbahnlinien hingegen konnten in die Katastrophe<br />

führen.<br />

Grundsätzlich wurden hierdurch Besitz, systematischer<br />

Ausbau und Unterhalt eines Eisenbahnnetzes ab der Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts zum militärstrategischen Rückgrat<br />

jeglicher militärischen Planung. 23 Damit wurde jedoch die<br />

militärische Schlagkraft eines Staates von seiner industriellen<br />

Leistungsfähigkeit <strong>–</strong> sie sorgte auch für die Erhöhung<br />

von Letalität und Destruktion durch Feuer (Kraft) <strong>–</strong> stärker<br />

abhängig als von der bloßen Zahl seiner aufgestellten<br />

Truppen.<br />

Dennoch war es natürlich weiterhin ein militärpolitisches<br />

Desiderat, und dies war neben der politischen Absicht der<br />

Abwehr liberalen resp. bürgerlichen Gedankengutes und<br />

der Verhinderung einer Parlamentarisierung der Armee,<br />

das durch die Roonsche preußische Heeresreform angestrebte<br />

Ziel über eine Erhöhung der Friedenspräsenzstärke<br />

durch Herstellung der Wehrgerechtigkeit, der Abschaffung<br />

der Trennung von „Landwehr“ und „Linie“ angesichts<br />

der Konflikte der 1850er Jahre eine auch für kriegerische<br />

Zwecke personalstarke, bestens ausgerüstete und<br />

ausgebildete Streitkraft zu generieren, 24 die eine Synthese<br />

der beiden Prinzipien „Massenheer“ und „Qualitätsheer“<br />

anvisierte.<br />

Ein hoher Bildungs- und Ausbildungsstand war aufgrund<br />

der neuen waffentechnischen Entwicklungen notwendig<br />

geworden. 25 Hierzu zählen insbesondere die Einführung<br />

des von Nikolaus von Dreyse entwickelten Zündnadelgewehres<br />

in der preußischen Armee ab 1848; hinzu kamen<br />

die Einführung des Gussstahl-Hinterladergeschützes bei<br />

der Artillerie sowie neue hochexplosive Zündstoffe: Feuerkraft,<br />

Kadenz, Feuerdichte sowie Reichweite und Treffsicherheit<br />

nahmen zu und machten Frontalangriffe der Infanterie,<br />

die noch dazu von der Artillerie auf Entfernung<br />

gehalten wurde, nahezu unmöglich. Dies erforderte auf<br />

taktischer Ebene die sukzessive Abkehr von geschlossenen<br />

Infanterieformationen, hin zu beweglichen Kompaniekolonnen.<br />

26 Dies erhöhte wiederum die Verantwortung<br />

der taktischen Führer, ggfs. bis hinunter zum einzelnen<br />

Soldaten, deren Selbständigkeit im Gefecht eine neue<br />

Führungsphilosophie <strong>–</strong> eben die „Auftragtaktik“ <strong>–</strong> erforderte.<br />

27<br />

Tatsächlich aber konnten alle diese neuen Möglichkeiten<br />

für die Kriegführung nur dann ihr gesamtes Potential<br />

entfalten, wenn es <strong>–</strong> erstens <strong>–</strong> aufgeschlossene und lern-<br />

22 Knox/Murray, Military Revolutions, S. 179-180.<br />

23 Vgl. für Österreich und Preußen: Burkhard Köster, Militär und Eisenbahn in der Habsburgermonarchie 1825-1859, München 1999 (=Militärgeschichtliche Studien Band 37) und Klaus-Jürgen Bremm, Von der Chaussee zur Schiene.<br />

Militärstrategie und Eisenbahnen in Preußen von 1833 bis zum Feldzug von 1866, München 2005 (=Militärgeschichtliche Studien Band 40).<br />

24 Vgl. Dierk Walter, Preußische Heeresreformen 1807-1870. Militärische <strong>Innovation</strong> und der Mythos der „Roonschen Reform“ (=Krieg in der Geschichte, Bd. 16), Paderborn 2003.<br />

25 Vgl. Franz Felberbauer, Solferino und seine Folgen <strong>–</strong> Sadowa und Sedan, in: ÖMZ 3/2009, S. 293-304.<br />

26 Vgl. Bernd Jürgen Wendt, Einführende Bemerkungen (III. Militär und technologischer Wandel), in: Epkenhans/Groß (Hg.), Das Militär und der Aufbruch in die Moderne 1860-1890, S. 201-207.<br />

27 Vgl. Stephan Leistenschneider, Auftragstaktik im preußisch-deutschen Heer 1871 bis 1914, Hamburg u.a. 2002, S. 40-55. Der Begriff wurde indes von einem württembergischen General geprägt, vgl. Gerhard Hümmelchen, Otto von<br />

Moser. Ein württembergischer General, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 6/1982, S. 196-202, hier S. 198.


willige Spitzenmilitärs gab, die <strong>–</strong> zweitens <strong>–</strong> fähig waren,<br />

den traditional-konservativen Beharrungskräften die militärischen<br />

Vorzüge der neuen Optionen verständlich zu<br />

machen, und <strong>–</strong> drittens <strong>–</strong> in der Lage waren, ihre Synergieeffekte<br />

durch die Bildung einer Doktrin zu entwickeln<br />

sowie <strong>–</strong> viertens <strong>–</strong> einen militärischen Erfolg zu generieren.<br />

IV. Militärische Führung durch Moltke am<br />

Beispiel 1866<br />

Moltke hat keine einheitliche „Kriegslehre“ formuliert,<br />

wohl aber in verschiedenen Publikationen ein „Erbe“ hinterlassen.<br />

28 Viele seiner Einsichten lassen sich <strong>–</strong> insbesondere<br />

auch bezogen auf die MR- und RMA-Konstruktionen<br />

<strong>–</strong> wie ein theoretisches Narrativ zum Feldzug von<br />

1866 lesen. Dessen von Bismarck inszenierte ‚realpolitische’<br />

Konstellation <strong>–</strong> insbesondere das befristete Bündnis<br />

mit dem neuen Königreich Italien zwang die K.k.-Monarchie<br />

zur militärstrategischen Diversion <strong>–</strong> bildete indes den<br />

Bezugsrahmen für die nachfolgende Harmonisierung der<br />

(militärisch-)technischen Mittel der Kriegführung auf militärstrategischer,<br />

operativer und taktischer Ebene durch<br />

den preußischen Generalstabschef.<br />

Da Österreichs Kräfte auch auf dem oberitalienischen<br />

Kriegsschauplatz <strong>–</strong> in doppeltem Sinne „erfolgreich“ <strong>–</strong><br />

gebunden waren, schien, auch in Ermangelung konkreter<br />

und schnell Erfolg versprechender Operationspläne gegen<br />

die preußischen Streitkräfte, selbst eine mögliche Rückeroberung<br />

Schlesiens eher theoretischer Natur zu sein.<br />

Da preußische Verteidigungspositionen zu einer Zersplitterung<br />

der Kräfte und damit zur Verringerung der Möglichkeiten<br />

zum operativen Vorgehen bedeutet hätten, ein<br />

Krieg auf eigenem Territorium ausgeschlossen werden<br />

sollte, blieb als einzige Option, möglichst schnell die eigenen<br />

Kräfte <strong>–</strong> selbst unter Inkaufnahme von Schwierigkeiten<br />

bei der Überwindung von Gebirgszügen und um das<br />

kräftebindende Wirksamwerden des österreichischen Verbündeten<br />

Sachsen sowie ein politisch-diplomatisches oder<br />

gar militärisches Eingreifen Frankreichs als „Schiedsrichter“<br />

zu unterlaufen <strong>–</strong> in Böhmen einmarschieren zu lassen.<br />

Seine grundsätzliche Conclusio formulierte Moltke<br />

bereits 1862 in einem Memorandum: „Der Vorteil Preußens<br />

besteht in der Initiative. Wir können unsere Streitkräfte<br />

schneller aufstellen als alle unsere deutschen Gegner. Der Erfolg<br />

beruht ganz allein in dem sofortigen und rücksichtslosestem<br />

Gebrauch derselben.“ 29<br />

Trotz aller politischer Absicherung und präzise ausgearbeiteter<br />

Aufmarschpläne war sich Moltke darüber im klaren,<br />

dass mit Überschreiten der Grenze zwischen Frieden<br />

und Krieg die „Nebel der Ungewissheit“ den reibungslosen<br />

Ablauf seiner Grundüberlegungen gefährden würden:<br />

„Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das<br />

erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus<br />

(...) Gewiß wird der Feldherr seine großen Ziele stetig<br />

im Auge behalten, unbeirrt darin durch die Wechselfälle der<br />

Gegebenheiten, aber die Wege, auf welchen er sie zu erreichen<br />

hofft, lassen sich auf weit hinaus nie mit Sicherheit feststellen.<br />

Er ist im Laufe des ganzen Feldzuges darauf angewiesen, eine<br />

Reihe von Entschlüssen zu fassen, aufgrund von Situationen,<br />

die nicht vorher zu sehen sind.“ 30<br />

Die sich ändernden ‚Situationen’, i.e. Lageentwicklungen,<br />

sind auch für den taktischen Führer im Kriege relevant,<br />

weshalb der Grundsatz des Führens mit Direktiven auf der<br />

höheren, militärstrategischen Ebene als „Auftragstaktik“<br />

auch auf der operativen und taktischen Führungsebene<br />

ihre Abbildung finden muss. Bereits 1858 formulierte er<br />

hierzu: „Als Regel ist festzuhalten, dass die Disposition alles<br />

das, aber auch nur das enthalten muß, was der Untergebene<br />

zur Erreichung eines bestimmten Zweckes nicht selbständig<br />

bestimmen kann.“ 31<br />

Dieses Prinzip kann sich indes nur dann wirksam und erfolgreich<br />

entfalten, wenn es bereits in Friedenszeiten im<br />

Truppenalltag und in Manövern eingeübt wurde, und <strong>–</strong><br />

was meist vergessen wird <strong>–</strong> der nachgeordnete Bereich<br />

Unterführer hat, die über einen entsprechend breiten Bil-<br />

28 Vgl. Stig Förster (Hg.), Moltke. Vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg. Eine Werkauswahl, Bonn, Berlin 1992; zu seiner Biographie vgl. Eberhard Kessel, Moltke, Stuttgart 1957 sowie zu seiner Bedeutung Roland G. Förster (Hg. i.A. des<br />

MGFA), Generalfeldmarschall von Moltke. Bedeutung und Wirkung, München 1991 (=Beiträge zur Militärgeschichte Bd. 33).<br />

29 Zit. nach Gordon A. Craig, Königgrätz, München 1987, S. 41.<br />

30 Zit. nach Regling, Grundzüge, S. 383.<br />

31 Zit. nach Carl-Gero von Ilsemann, Das operative Denken des Älteren Moltke, in: MGFA (Hg.), Operatives Denken und Handeln in deutschen Streitkräften im 19. und 20. Jahrhundert (=Vorträge zur Militärgeschichte Band 9), Herford<br />

1988, S. 17-44, hier S. 23.<br />

21


22<br />

DAS SPANNUNGSFELD VON MILITäRISCHER REVOLUTION UND REVOLUTION<br />

IN MILITARy AFFAIRS (RMA) AM BEISPIEL VON „KÖNIGGRäTZ“<br />

dungshorizont verfügen. Diese Grundvoraussetzung der<br />

Auftragstaktik fand in dem zeitgenössischen Bonmot, der<br />

preußische Schulmeister habe die Schlacht bei Königgrätz<br />

gewonnen, eine überzeitliche „taktische“ Gültigkeit. Ihr<br />

zur Seite stand die geistesgeschichtliche Dimension der<br />

„operativen“ Führung, die der gebildeten militärischen<br />

Führungspersönlichkeit Ziele, nicht aber einzuhaltende<br />

Wege vorgab. 32 Sie gipfelte in der lapidar-legendären Weisung<br />

Moltkes vom 22. Juni 1866 an die Oberbefehlshaber<br />

der Ersten und Zweiten Armee: „Seine Majestät befehlen,<br />

dass beide Armeen in Böhmen einrücken und die Vereinigung<br />

in Richtung Gitschin aufsuchen.“ 33<br />

Durch die souveräne Handhabung der Aufmarschmöglichkeit<br />

Preußens, das hierfür fünf Eisenbahnlinien zur<br />

Verfügung hatte <strong>–</strong> im Gegensatz dazu konnte der österreichische<br />

Oberkommandierende der Nord-Armee, Feldzeugmeister<br />

Ritter von Benedek, 34 lediglich eine nutzen<br />

<strong>–</strong>, war es Moltke, der seit dem 2. Juni 1866 durch Allerhöchste<br />

Order seines Königs befugt war, alle Befehle über<br />

die operativen Bewegungen der Armee direkt mitzuteilen,<br />

möglich, den aus Tradition angenommenen Vorteil einer<br />

Stellung auf der inneren Linie, die von österreichischer<br />

Seite präferiert wurde, durch ein konzentrisches Vorgehen<br />

seiner Armeen in Flanke und Rücken des dann zur operativen<br />

Immobilität verurteilten Gegners in ihr Gegenteil,<br />

i.e. die Umfassung, zu verkehren. In dieser Situation kann<br />

dieser sich nur noch auf der taktischen Ebene, aufgrund<br />

der hohen Feuerkraft von Artillerie und Handfeuerwaffen,<br />

teuer seine verlorene Manövrierfähigkeit zurückerkämpfen.<br />

35<br />

Der ideale Schnittpunkt der Operationslinien lag nicht<br />

vor dem Feind, sondern mitten in ihm. Gelingt es, nach<br />

den strategischen und operativen Führungstechniken, die<br />

eigenen Truppen, von getrennten Punkten, aus der Bewegung<br />

gleich von den Endpunkten der Bahnen aus, zielsicher<br />

koordiniert mit konzentrischen Angriffsbewegungen<br />

gegen die feindlichen Streitkräfte und das Schlachtfeld zu<br />

konzentrieren <strong>–</strong> so Moltke <strong>–</strong> , „hat die <strong>Strategie</strong> das Beste<br />

geleistet, was sie zu erreichen vermag, und große Resultate<br />

müssen die Folge sein.“ 36 Bei Königgrätz führte Moltke<br />

zum ersten Male in der Kriegsgeschichte drei unabhängig<br />

voneinander operierende Armeen <strong>–</strong> nicht wie Napoleon<br />

vor der Schlacht für die Schlacht <strong>–</strong> mitten im Feind zusammen,<br />

und gewann so die bis dahin größte Schlacht der<br />

Geschichte. 37<br />

V. Feldzug und Schlacht von 1866 im RMA-Prisma<br />

Legt man das zuvor erwähnte Modell zugrunde, lassen<br />

sich die vier zentralen Elemente einer erfolgreichen RMA<br />

<strong>–</strong> technologischer Wandel (1.), operationelle Erneuerung<br />

(2.), Anpassung der Organisation (3.) und Weiterentwicklung<br />

des Streitkräftesystems (4.) <strong>–</strong> wie folgt klassifizieren: 38<br />

1.) Die Einführung des Zündnadelgewehres erhöht den<br />

Einsatzwert der Infanterie in der Defensive durch gestiegene<br />

Feuerkraft, Reichweite und Präzision. Die Nutzung<br />

von Eisenbahnen erhöht Transportkapazität und Geschwindigkeit<br />

über große Distanzen. Die Telegraphie erlaubt<br />

als wichtigstes operatives Führungsmittel durch die<br />

verzugslose Übermittlung von Befehlen resp. Weisungen<br />

die Führung und Koordination weiträumig dislozierter<br />

und marschierender großer Truppenteile. Den Vorteilen<br />

steht indes die Vorausschaubarkeit von Aufmärschen und<br />

logistischen Linien als Nachteil gegenüber.<br />

2.) Der seit 1848 bis im Kern 1914 erfolgte Bedeutungszuwachs<br />

der Eisenbahnlinien für den rasanten personellen<br />

und materiellen Aufwuchs bestimmte in diesem Zeitraum<br />

das Wesen der Militärstrategie mit dem Prinzip:<br />

„Anordnung getrennter Märsche unter Berücksichtigung<br />

rechtzeitiger Versammlung“. Gleichzeitig führte dies zur<br />

Entstehung einer operativen Führungsebene als Scharnier<br />

zwischen der militärstrategischen und taktischen Führungsebene<br />

sowie zu einem Wandel zwischen Offensive<br />

und Defensive: Der Gewinn der äußeren Linie durch<br />

Einsatz der Eisenbahnen (ggfs. Isolierung des Feindes)<br />

auf operativer Ebene zwingt den Feind zum Ergreifen der<br />

Offensive zur Wiedererlangung der verlorenen Manöv-<br />

32 Vgl. hierzu Wolfgang Peischel, Geistesgeschichtliche Grundlagen operativer Führung im deutschsprachigen Raum, in: ÖMZ 5/2002, S. 547-560.<br />

33 Zit. nach Groote, Moltkes Planungen, S. 104.<br />

34 Vgl. Oskar Regele, Benedek, München-Wien 1960 sowie Johann Christoph Allmayer-Beck, Der Feldzug der österreichischen Nord-Armee nach Königgrätz, in: Groote, Entscheidung 1866, S. 105-141.<br />

35 Dieser hier skizzierte konzeptionelle Gedankengang musste indes nicht zwangsläufig in die Niederlage führen, wie der taktische Verlauf der Schlacht bei Königgrätz aus österreichischer Perspektive zeigt.<br />

36 Zit. nach Regling, Grundzüge, S. 387. Unter dem hier von ihm benutzten Begriff ist indes jener der operativen Führung zu nutzen.<br />

37 Vgl. hierzu zuletzt Thorsten Loch/Lars Zacharias, Königgrätz 1866. Die Operationen zwischen dem 22. Juni und 3. Juli 1866, in: ÖMZ 6/2010, S. 707-715.<br />

38 In Anlehnung an Alain Vuitel, Doktrin und Technologie: Zwillings- oder Halbschwestern, in: Air Power Revue (Der Schweizer Armee) Nr. 3, Dezember 2004, S. 5-15, hier S. 8.


ierfreiheit unter Inkaufnahme hoher Verluste gegen feuerstarke<br />

taktische Defensivstellungen.<br />

3.) Ursache des preußischen Erfolges in den „Reichseinigungskriegen“<br />

und Grundlage für die weiteren militärischen<br />

Planungsgrundlagen war die sukzessive Anpassung<br />

der Großorganisation Militär: Die Institutionalisierung<br />

des durch die allgemeine Wehrpflicht stark angestiegenen<br />

„napoleonischen“ Massenheeres, die Organisation<br />

in Korps und Divisionen sowie die ‚Heeresreform’ des<br />

Kriegsministers von Roon mit dreijähriger Wehrdienstpflicht<br />

in der ‚Linie’, sich anschließender Dienstpflicht<br />

in der Reserve und folgender Einteilung in der Landwehr<br />

dienten alleine dem Ziel einer Erhöhung des Mobilisierungsgrades<br />

der bewaffneten Macht des Deutschen Reiches,<br />

wenngleich noch, staatspolitischer Rücksichten wegen,<br />

in den bis 1900 nahezu vereinheitlichten königlichen<br />

Kontingentsarmeen, deren dynastischen Loyalitäten sich<br />

sukzessive zu einer sich als ‚Kaiserheer’ verstehenden, nationalen<br />

Heeres-Streitmacht relativierten.<br />

4.) Verbunden wurden die ersten drei Elemente durch<br />

die Weiterentwicklung des Streitkräftesystems: Führung<br />

durch einen leistungsfähigen Großen Generalstab, Konzentration<br />

großer Kontingente zur Entscheidungsschlacht<br />

auf dem Gefechtsfeld („Getrennt marschieren, vereint<br />

schlagen“), Hervorhebung des Grundsatzes der Führung<br />

nach den Prinzipien der Auftragstaktik resp. Weisungen,<br />

vorurteilslose Evaluation der Kriegserfahrungen sowie die<br />

Implementierung von Ausbildungsstandards auf hohem<br />

Niveau. Hierzu gehörte auch <strong>–</strong> modern formuliert <strong>–</strong> die<br />

Einsicht, dass nicht die Qualität und Quantität der hardware<br />

alleine den erfolgreichen Ausgang von Operationen<br />

und Schlachten entscheidend beeinflussen, sondern deren<br />

Vernetzung resp. Synchronisierung durch intelligente software,<br />

i.e Doktrin.<br />

VI. Fazit und Ausblick<br />

Bismarck und Moltke wurden insbesondere durch ihr<br />

Handeln in der kurzen Epoche der „Reichseinigungskrie-<br />

ge“ zu politischen und militärischen Heroen der kleindeutsch-borussischen<br />

(Militär-) Geschichtsschreibung.<br />

Moltke zog als Urbild des Generalstabsoffiziers Scharen<br />

von Eleven nach sich, die seinem operativen Genius<br />

huldigten, jedoch seinen düsteren Kassandraruf, i.e. die<br />

drohende Entfesselung der industrialisierten Bellona, verdrängten.<br />

Diesen formulierte Moltke in seiner berühmten<br />

Reichstagsrede am 14. Mai 1890: „Die Zeit der Kabinettskriege<br />

liegt hinter uns (...) Meine Herren, es kann ein siebenjähriger,<br />

es kann ein dreißigjähriger Krieg werden, - und<br />

wehe dem, der Europa in Brand steckt, der zuerst die Lunte<br />

in das Pulverfaß schleudert“; vielmehr gehe es dann „um den<br />

Bestand des Reiches, vielleicht um die Fortdauer der gesellschaftlichen<br />

Ordnung und der Zivilisation, jedenfalls um<br />

Hunderttausende von Menschenleben.“ 39 Bismarck hingegen<br />

folgte nichts dergleichen: „Es war eine große Schwäche<br />

Bismarcks (...), dass er zwar zu handeln, aber keine Tradition<br />

zu bilden verstand, dass er neben dem Offizierkorps Moltkes<br />

keine entsprechende Rasse (sic!) von Politikern schuf, die<br />

sich mit seinem Staat und dessen neuen Aufgaben identisch<br />

fühlte, die fortgesetzt bedeutende Menschen von unten aufnahm<br />

und ihrem Takt des Handelns für immer einverleibte.<br />

Geschieht das nicht, so bleibt statt einer regierenden Schicht<br />

aus einem Guß eine Sammlung von Köpfen, die dem Unvorhergesehenen<br />

hilflos gegenübersteht“ 40 <strong>–</strong> oder den „Sprung<br />

ins Dunkle“ wagt. 41<br />

Die Konzentration auf (brillante) operative und taktische<br />

Führung einerseits <strong>–</strong> geradezu analog zur arbeitsteiligen<br />

Industriegesellschaft <strong>–</strong>, andererseits die fahrlässige politische<br />

Führung ohne übergeordnete und integrierende<br />

Grand Strategy führte zur Kulminationskatastrophe des<br />

Ersten Weltkrieges. Während es 1866 und 1870/71 Bismarck<br />

weitgehend gelang, die zum ‚Absoluten’ treibende<br />

Bellona mit ihren neuen Zerstörungskräften in zwei<br />

(neo-)absolutistischen Kabinettskriegen einzuhegen, wagte<br />

die Reichsleitung 1914 den „Sprung ins Dunkle“. Dieser<br />

zu Teilen bewusst und unnötig aufgelöste Zusammenhang<br />

von „Staatskunst und Kriegshandwerk“ 42 machte die<br />

Trennung des militärischen Professionalisierungsprozesses<br />

39 Zit. nach Stig Förster, Helmuth von Moltke und das Problem des industrialisierten Volkskriegs im 19. Jahrhundert, in: Roland G. Förster, Generalfeldmarschall von Moltke, S. 103-115, hier S. 112f.<br />

40 Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte (Lizensausgabe des Dt. Bücherbundes; orig. München 1923), S. 1115f.<br />

41 So der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg, vgl. Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, 2. Auflage Stuttgart 1997, S. 308.<br />

42 Vgl. Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. I, München 1954.<br />

23


24<br />

DAS SPANNUNGSFELD VON MILITäRISCHER REVOLUTION UND REVOLUTION<br />

IN MILITARy AFFAIRS (RMA) AM BEISPIEL VON „KÖNIGGRäTZ“<br />

auf taktischem und operativem Terrain von politisch vertretbaren<br />

Zielsetzungen im Kaiserreich so verhängnisvoll<br />

<strong>–</strong> eine Spätfolge des berauschenden Erfolges in der Phase<br />

der Reichseinigung.<br />

Wie apolitisch das „strategische Denken“ in weiten Teilen<br />

eines sich als Generationen übergreifendes Kooptationskartell<br />

begreifendes preußisch-deutsches (Generalstabs-)<br />

Offizierkorps wurde, zeigt die äußerung: „Wir haben zwar<br />

ein Sedan und ein Königgrätz geschlagen <strong>–</strong> aber bis zu einem<br />

Leuthen haben wir es noch nicht gebracht.“ 43 Das taktischoperative<br />

Dogma nicht kriegsentscheidender Schlachten<br />

wie einem noch fünf Kriegsjahre folgenden „Leuthen“ 44 <strong>–</strong><br />

in gewissem Sinne orientiert an einem nach Überlegenheit<br />

auf dem Schlachtfeld suchenden RMA-Paradigma <strong>–</strong> wurde<br />

über das politisch-strategische gestellt!<br />

Dies dokumentiert indes die Notwendigkeit, die Geschichte<br />

der bewaffneten Macht in allen Staaten und zu allen<br />

Zeiten nicht losgelöst von der allgemeinen Geschichte<br />

und <strong>Strategie</strong>entwicklung zu untersuchen und zu bewerten.<br />

Denn valides Orientierungswissen für politische und<br />

militärische Transformationsprozesse kann nur dann für<br />

die jeweiligen Gegenwarten bereitgestellt werden, wenn<br />

ein zentraler Grundsatz beherzigt wird: „Military history<br />

should be studied in width, depth, and context.“ 45<br />

43 So der Generalleutnant A. von Boguslawski, Betrachtungen über Heerwesen und Kriegführung, Berlin 1897, S. 92.<br />

44 Vgl. dazu Eberhard Birk, Die Schlacht bei Leuthen am 5. Dezember 1757. Eine multiperspektivische Annäherung, in: ÖMZ 1/2008, S. 35-48.<br />

45 Milan Vego, Military History and the Study of Operational Art, in: Joint Forces Quarterly 57 (2nd quarter 2010), S. 124-129, hier S. 127.


Technische Entwicklungen und strategische Folgen: Das Problem der<br />

Modernisierung der nuklearfähigen Mittelstreckenwaffen in Europa<br />

Text: Prof. Dr. Lothar Rühl<br />

I.<br />

Die neuen sowjetrussischen Waffensysteme im europäischen<br />

Maßstab und die Veränderung der Bedrohungslage<br />

für Europa<br />

Im Jahre 1968, als in Washington und Moskau die erste<br />

Verhandlung über eine Begrenzung der Zahl der strategischen<br />

Kernwaffen (SALT für Strategic Arms Limitation<br />

Talks) angedacht wurde, begann die Entwicklung einer<br />

neuen Mittelstreckenrakete mit Festtreibstoff in der<br />

Sowjetunion. Sie wurde von der Nato zunächst SS-X-20<br />

für ein Versuchsvorhaben, später SS-20 genannt. Es handelte<br />

sich nach den Modellen SS-X-14 und SS-X-15, die<br />

in Truppenversuchen erprobt und kurzzeitig auch stationiert<br />

worden waren, um den dritten von der Interkontinentalrakete<br />

SS-13 abgeleiteten landbeweglichen Raketentyp<br />

mittlerer Reichweite mit Festtreibstoff. 1<br />

Die SS-20 löste die ältere SS-11, dazu die weniger leistungsfähigen<br />

SS-4 und SS-5 ab, die Moskau 1962 nach<br />

Kuba zur Vorwärtsstationierung gegenüber den USA zu<br />

bringen versucht und damit die Kubakrise ausgelöst hatte.<br />

Die SS-20 stellte in fünffacher Hinsicht nicht nur eine<br />

als von Moskau ausgegebene bloße „Modernisierung“<br />

des Potenzials dar, sondern auch eine Steigerung der<br />

Offensivfähigkeit, der Systemüberlebensfähigkeit gegen<br />

Präventivschläge, der Reichweite und der Präzision oder<br />

Zielfähigkeit, damit insgesamt der operativ-strategischen<br />

Flexibilität und Kapazität gegenüber den Zielgebieten in<br />

Europa, im Mittleren Osten und in Ostasien gegenüber<br />

China und Japan.<br />

Die technologische Neuentwicklung bestand 1. in Festtreibstoff<br />

und damit in einer erheblichen Verkürzung der<br />

Startvorbereitung und in Verlegungsfähigkeit der Flugkörper,<br />

2. beweglichem Startgerät, 3. drei unabhängig<br />

voneinander auf Bodenziele programmierbaren Gefechtsköpfen<br />

in einer Mehrfach-Angriffsspitze (MIRV), 4. in<br />

der auf etwa 4500 bis 5000 km verlängerten Reichweite,<br />

5. in der Nachladefähigkeit des Werfers.<br />

Lothar Rühl<br />

Bei etwa 280 strategischen Vorrangzielen in Westeuropa<br />

für die sowjetischen Raketenstreitkräfte in Europa 2 hatten<br />

die älteren Mittelstreckenraketen in der westlichen<br />

UdSSR ausgereicht, um alle diese Ziele im europäischen<br />

Nato-Gebiet umfangreich abzudecken. Insofern war es<br />

nicht falsch in Moskau nur von einer „Modernisierung“<br />

zu sprechen.<br />

Doch diese Raketen SS-4, SS-5 und SS-11 waren in ihren<br />

festen Stellungen mit langen Startvorbereitungszeiten<br />

leicht aufklärbar und angreifbar, also für Präventivangriffe<br />

vor ihrem Start hochempfindlich, zudem ungenau gegen<br />

gehärtete Ziele und eben unbeweglich, auch operativ unflexibel<br />

in sich über Stunden rasch ändernden Lagen, da<br />

ihre Startvorkehrungen mehrere Stunden erforderten und<br />

wegen der Kühlung für Satellitenbeobachtung sichtbar<br />

waren.<br />

Was die Zielfähigkeit angeht, so bedeutete die SS-20 mit<br />

einer Punktzielablage von nur etwa 200 m CEP („Circular<br />

Error Probable“ oder Umkreis in dem 50 % der Geschosse<br />

einschlagen, ein statistischer Durchschnittswert)<br />

gegenüber einem CEP von 1500 m für die SS-4/5 eine für<br />

gehärtete Ziele wesentlich verbesserte Durchschlagsfähig-<br />

1 Rühl, Lothar, Mittelstreckenwaffen in Europa: Ihre Bedeutung in <strong>Strategie</strong>, Rüstungskontrolle und Bündnispolitik, NOMOS Baden-Baden 1987 (=SWP Reihe Internationale Politik und Sicherheit Band 24), S. 115 ff.<br />

2 Ebenda S. 116, zitiert nach Stephen M. Meyer, The Soviet Theater Nuclear Forces, Part II, S. 26.<br />

25


26<br />

TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN UND STRATEGISCHE FOLGEN: DAS PROBLEM DER<br />

MODERNISIERUNG DER NUKLEARFäHIGEN MITTELSTRECKENWAFFEN IN EUROPA<br />

keit. Bezogen auf angenommene 350 SS-4/5 (tatsächlich<br />

war der Höchststand zeitweilig 400) und abgesehen von<br />

deren geringerer Zuverlässigkeit als Flugkörper bedeutete<br />

dies quantitativ, dass 350 SS-20-Gefechtsköpfe sämtlich<br />

in einem Umkreis von 750 m um den Mittelpunkt<br />

eines Oberflächenziels auftreffen würden, während von<br />

350 SS-4/5-Gefechtsköpfen etwa 100 weit außerhalb des<br />

750 m Umkreises einschlagen würden. 3<br />

Dabei ist zu bemerken, dass von 350 SS-4/5 bei einem<br />

CEP von 1500 m nur etwa 175 Gefechtsköpfe in diesem<br />

doppelt so weitem Umkreis eintreffen würden. Grob<br />

gerechnet handelte es sich deshalb um eine 2 bis 3fache<br />

Präzisionssteigerung durch die SS-20. Zum ersten Mal<br />

war eine erhebliche Oberflächenpunktzielfähigkeit gesichert<br />

und somit wirksame Angriffe auf militärische und<br />

Infrastruktur-Ziele. Im Gegensatz zu früheren sowjetrussischen<br />

Raketen war die SS-20 keine bloße Terrorwaffe<br />

gegen Städte mehr, obwohl auch sie als solche angesehen<br />

wurde (Helmut Schmidt).<br />

Hinzu kam der seit Beginn der Stationierung 1976 rasch<br />

wachsende Umfang des SS-20-Potenzials: Ende 1982 waren<br />

in der UdSSR nach regierungsamtlicher deutscher<br />

Rechnung 333 SS-20 Startsysteme mit 999 operativen<br />

Gefechtsköpfen zu je bis zu 150kt Sprengkraft stationiert,<br />

davon etwa zwei Drittel gegenüber Westeuropa, genau<br />

243 zum Jahreswechsel 1982/83. Die Zahl der einsatzfähig<br />

und allwetterfähig gegenüber Europa stationierten SS-<br />

20-Gefechtsköpfe wurde 1983 von der Nato bei 729 ohne<br />

Berücksichtigung des möglichen Nachladebestands für je<br />

einen weiteren Flugkörper pro Werfer eingeschätzt, maximal<br />

bei zwei Flugkörpern pro Werfer abgerundet 1400. 4<br />

Die Höchstzahl der operativen SS-4/5 gegenüber Europa<br />

war nicht größer als etwa 400 mit je einem Gefechtskopf.<br />

So war auch die Zahl der einsatzfähigen Gefechtsköpfe<br />

durch die SS-20 ohne Nachladebestand fast verdoppelt.<br />

Die SS-20 stellte also eine strategische Lageveränderung<br />

dar. Insbesondere erlaubte sie der sowjetrussischen Strate-<br />

3 Ebenda S. 117.<br />

4 Weißbuch 1983 Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium der Verteidigung, Bonn 1983, Ziffern 142-147.<br />

gie mit Raketen eine deutliche Unterscheidung zwischen<br />

der Bedrohung Europas und Nordamerikas wegen der klaren<br />

Reichweitenabgrenzung, die telemetrisch messbar war,<br />

und dank der Absetzung von der Interkontinentalrakete<br />

variabler Reichweite SS-11 und deren Nachfolger SS-19.<br />

Dabei war strategisch und rüstungskontrollpolitisch die<br />

Reichweite der SS-20 unterhalb der Untergrenze für die<br />

im SALT-Abkommen von 1972 im amerikanisch-sowjetrussischen<br />

Verhältnis als „strategisch“ eingestuften landgestützten<br />

Interkontinentalraketen bei 5500 km (der kürzesten<br />

Distanz zwischen der UdSSR und den USA über<br />

den Nordatlantik) für das Bedrohungsbild am Horizont<br />

des Westens eine Schlüsselgröße: Diese neue Rakete stieß<br />

in die strategische Abdeckungslücke der „extended deterrence“<br />

(„erweiterte Abschreckung“) zwischen beiden geographischen<br />

Teilen der Allianz und spaltete so das Bündnisgebiet<br />

in zwei geostrategische Teile unterschiedlicher<br />

Sicherheit gegenüber sowjetrussischen Raketenangriffen.<br />

Sie komplizierte die Anwendung der Nato-<strong>Strategie</strong> der<br />

„flexible response“ („flexible Erwiderung“) durch zeitlich<br />

abgestuften, räumlich wie quantitativ begrenzten und auf<br />

ausgewählte Vorrangziele gerichteten selektiven Einsatz<br />

der Nato-Kernwaffen, die ein „Kontinuum“ der Eskalationsfähigkeit<br />

voraussetzte.<br />

Ganz unabhängig von Krieg, der unwahrscheinlich blieb<br />

und auch nicht stattfand, hob die SS-20-Rüstung, die in<br />

großem Umfang erfolgte und die sowjetrussische Angriffsfähigkeit<br />

gegen das Nato-Gebiet in Europa, aber damit<br />

auch gegenüber dem Mittleren Osten und Nordafrika,<br />

rechnerisch Rakete für Rakete wenigstens verdreifachte,<br />

die Logik der Nato-Eskalationsstrategie mit dem Kontinuum<br />

oder ununterbrochenen Zusammenhang für den<br />

Übergang im Einsatz zwischen der regionalen Nuklearbewaffnung<br />

der Alliierten in Europa und den strategischen<br />

Nuklearwaffen der USA in Nordamerika und zur See auf:<br />

Bedrohung durch SS-20 konnte nicht mit Bedrohung der<br />

USA gleichgesetzt oder verwechselt werden.


Damit war das Unterscheidungsproblem der sowjetrussischen<br />

<strong>Strategie</strong> für Bedrohungen der Länder in ihrer eurasischen<br />

Peripherie und einer Bedrohung Nordamerikas<br />

gelöst. Für die Nato war damit das Problem der strategischen<br />

„Abkoppelung“ Europas von Nordamerika in einer<br />

Krise mit Eskalationstendenz oder -risiko entstanden.<br />

Darum sprach Bundeskanzler Helmut Schmidt ab 1977,<br />

als die Stationierung der SS-20 begonnen hatte, von der<br />

SS-20 als einer „eurostrategischen“ Bedrohung und von<br />

einer auf Europa gerichteten „Nötigungswaffe“. 5<br />

Schmidt warf Anfang 1979 in der westlichen Vierer-Gipfelkonferenz<br />

auf Guadeloupe zwischen den Präsidenten<br />

Giscard d’Estaing und Carter, dem britischen Premier<br />

Callaghan und dem deutschen Bundeskanzler diese Problematik<br />

nachdrücklich auf und schloss dabei auch den<br />

neuen sowjetrussischen Mittelstreckenbomber „Backfire“<br />

in diese Kategorie ein, obwohl die Eindringchancen auch<br />

dieses Flugzeugs mit Luft/Boden-Abstandswaffen über<br />

größere Entfernungen gegen die US/Nato-Luftverteidigung<br />

als eher gering eingeschätzt wurden.<br />

II.<br />

Die westliche Erwiderung durch die Nachrüstung im<br />

Mittelstreckenbereich und der INF-Vertrag von 1989<br />

Auf Guadeloupe wurde im Prinzip die Nachrüstung mit<br />

„cruise missiles“ (Marschflugkörpern) und mit der noch<br />

zu beschaffenden Mittelstreckenrakete „Pershing“-II in<br />

Europa durch die USA als strategische Gegenrüstung und<br />

Füllung der in Europa (nicht in den USA) perzipierten<br />

„Abschreckungslücke“ beschlossen. 6<br />

Die USA sahen in der Anfang 1979 vor dem Abschluss<br />

stehenden bilateralen Verhandlung „SALT-II“ den Übergang<br />

zu einer Parität der nuklearstrategischen Systeme<br />

nach der Zahl der Startgeräte mit der UdSSR, wie sie der<br />

Senat als Bedingung für die Zustimmung zum Moskauer<br />

„SALT-I“-Abkommen mit dem ABM-Vertrag über strategische<br />

Raketenabwehr und dem Interimsabkommen über<br />

5 Rühl, a.a.O., S. 125, Rede Helmut Schmidts in Köln am 19.11.1983.<br />

6 Akten des Auswärtigen Amtes zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1979, Institut für Zeitgeschichte München 2010.<br />

7 Vgl. die SALT/START-Abkommen seit 1972.<br />

die Zahl der strategischen Angriffsraketen zu Lande und<br />

zur See auf nuklear angetriebenen Ubooten verlangt hatte.<br />

Die beiderseitigen strategischen Arsenale waren unterschiedlich<br />

zusammengesetzt: Sowjetrussischer Schwerpunkt<br />

auf Landraketen, amerikanischer auf U-Boot-Raketen.<br />

Mehrfachangriffsspitzen MIRV oder MRV waren<br />

noch frei geblieben. Die USA sahen sich technisch qualitativ<br />

und operativ im Vorteil, obwohl sie der UdSSR<br />

eine größere Raketenzahl konzediert hatten, was der US-<br />

Senat monierte. Strategische Langstreckenkampfflugzeuge<br />

(„heavy bombers“) und deren nukleare Bomben waren<br />

ausgeklammert. Auch darin waren die USA im Vorteil.<br />

Die UdSSR versuchte nach 1972 bis 1989 vergeblich, die<br />

nuklearfähigen taktischen Kampfflugzeuge der USA und<br />

der Nato-Partner in Europa als „forward based systems“<br />

der strategischen Luftstreitkräfte (FBS) in SALT einzuschließen<br />

und die britischen und französischen Kernwaffen<br />

auf die erlaubte Zahl der amerikanischen in einem<br />

künftigen Abkommen anzurechnen, was sie schon 1972<br />

in Moskau gefordert hatte.<br />

Auch deshalb zögerte Washington die Verhandlung<br />

„SALT-II“ mit der Thematik der Mittelstreckenwaffen<br />

zu belasten. Alle Systeme unter 5500 km Reichweite als<br />

Verhandlungsobjekte würden unweigerlich auf sowjetrussischer<br />

Seite die taktischen Kampfflugzeuge und Raketen<br />

der Nato in Europa in die Verhandlungen hineinziehen<br />

oder „SALT-II“ blockieren. Andererseits hatte die UdSSR<br />

eine große Überzahl an solchen Systemen gegenüber der<br />

Nato in Europa. 7 Doch „SALT-II“ wurde 1979 ohne Einbeziehung<br />

der Mittelstreckenwaffen abgeschlossen, was<br />

auch bedeutete, dass die gesamte nukleartaktische Bewaffnung<br />

beider Seiten frei von Rüstungskontrolle und die<br />

sowjetrussische Überzahl in diesem Bereich erhalten blieben<br />

(bis auf den heutigen Tag, was die Reichweiten unter<br />

500 km betrifft). Erst mit dem INF-Vertrag von 1989,<br />

der 1988 ausgehandelt war, wurden die bodengestützten<br />

Mittelstreckenwaffen der „Intermediary Nuclear Forces“<br />

zwischen USA und UdSSR in der Reichweitenspanne un-<br />

27


28<br />

TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN UND STRATEGISCHE FOLGEN: DAS PROBLEM DER<br />

MODERNISIERUNG DER NUKLEARFäHIGEN MITTELSTRECKENWAFFEN IN EUROPA<br />

ter 5500 bis 500 km weltweit ausgeschlossen und seither<br />

beseitigt.<br />

Dies bedeutete, dass alle „cruise missiles“ und „Pershing-<br />

II“ in Nato-Europa abgezogen wurden wie im Osten die<br />

sowjetrussischen Mittelstreckenraketen. Die britischen<br />

und französischen Systeme blieben und bleiben frei wie<br />

alle übrigen und wurden auch nicht auf die amerikanischen<br />

angerechnet. Es war wegen der Belastungen einer<br />

solchen Nebenverhandlung nachvollziehbar, dass Washington<br />

zunächst nicht über Mittelstreckensysteme LRT-<br />

NF („Long Range Theater Nuclear Forces“) oder INF verhandeln<br />

wollte, was die europäischen Nato-Partner, vor<br />

allem der deutsche, verlangten. Erst 1983 kamen solche<br />

Verhandlungen in Gang und wurden 1988 faktisch abgeschlossen.<br />

Nach 1989 wurden alle vom INF-Vertrag<br />

erfassten Waffensysteme beseitigt. „SALT-II“ war nicht<br />

ratifiziert worden, doch beide Seiten hielten sich an die<br />

Vereinbarung von 1979. Die Nato-Nachrüstung hatte<br />

ihr Ziel schließlich in der „doppelten Null-Lösung“ der<br />

weltweiten Beseitigung der boden-gestützten Mittelstreckensysteme<br />

erreicht. Die SS-20-Rüstung der UdSSR war<br />

beseitigt und hatte sich politisch als massive Fehlinvestition<br />

erwiesen.<br />

Die Nato hatte von vornherein keinen zahlenmäßigen<br />

Gleichstand der Gegenrüstung oder Nachrüstung mit<br />

dem sowjetrussischen nuklearen Angriffspotenzial oder<br />

auch nur mit den SS-20 gegenüber Nato-Europa in Aussicht<br />

genommen. Die kompensatorische Gegenrüstung<br />

sollte lediglich einer abschreckenden „strategy of denial“,<br />

also einer Optionsverwehrung dienen. Sie sollte Moskau<br />

davon überzeugen, dass auch eine große Angriffsfähigkeit<br />

gegenüber der Nato nicht ausreichen würde, Westeuropa<br />

zu unterwerfen oder zu „nötigen“ (Schmidt) und von der<br />

Sicherheit der USA abzutrennen. Man hatte militärstrategisch<br />

eine Größenordnung von 200 Zielen zur Abdeckung<br />

vorgesehen, von denen eine größere Zahl in der<br />

westlichen UdSSR lag. Der Zweck war es, Moskau zu demonstrieren,<br />

dass im Kriegsfall die Eskalation nicht vor<br />

Russland haltmachen, sondern es schon beim Ersteinsatz<br />

von Kernwaffen treffen würde.<br />

Dies war bis 1983 von Westeuropa aus nur mit US-Bombern,<br />

britischen und französischen Kampfflugzeugen und<br />

aus der Türkei mit alliierten Jagdbombern möglich gewesen.<br />

Deren Eindringfähigkeit gegen die sowjetrussische<br />

Luftabwehr von Mitteleuropa an ostwärts war fraglich,<br />

wurde aber trotz der Risiken als real, wenngleich auch als<br />

geographisch marginal angenommen. Die besten Chancen<br />

wurden noch Luftangriffen von der Türkei aus nach<br />

Südrussland, gegen die Ukraine und gegen das Kaukasusgebiet<br />

der UdSSR zugeschrieben. Da eine Flugkörperstationierung<br />

in der Türkei gemäß der politischen Verständigung<br />

zwischen Washington und Moskau nach der<br />

Kubakrise von 1962 nicht in Aussicht genommen wurde<br />

und Ankara dies auch ablehnte, kam dafür nur Westeuropa<br />

in Frage <strong>–</strong> und zwar ohne Frankreich, wie Präsident<br />

Giscard d’Estaing 1979 auf Guadeloupe erklärt hatte.<br />

Norwegen und Dänemark hatten seit 1949 Kernwaffen<br />

im Frieden in ihren Grenzen ausgeschlossen. Schließlich<br />

wurde die Stationierung aus politischen und geostrategischen<br />

Gründen sowie der operativen Reichweiten der<br />

Flugkörper auf fünf Länder begrenzt: Großbritannien, die<br />

Niederlande, Belgien, die Bundesrepublik Deutschland<br />

und Italien.<br />

Insgesamt wurden nach dem Nato-Beschluss vom 12. Dezember<br />

1979 572 LRTNF-Kernwaffen (Gefechtsköpfe)<br />

stationiert: 108 „Pershing-II“-Raketen mit je einem Nukleargefechtskopf<br />

in Westdeutschland und 464 auf Vierfach-Werfern<br />

für GLCM-Marschflugkörper, davon 96 auf<br />

24 Werfern in Westdeutschland, 160 auf 40 in Großbritannien,<br />

112 auf 28 in Italien und je 48 auf je 12 in Belgien<br />

und den Niederlanden. Mit diesem Offensivpotenzial<br />

konnten bei zwei Kernwaffen auf jedes Ziel etwa 280 bis<br />

285 Ziele wirksam getroffen werden, bei je einer Waffe<br />

entsprechend mehr. In jedem Fall war die Abdeckung der<br />

200 strategischen Vorrangziele für die Nato-LRTNF in<br />

Europa gesichert und damit die Optionsverwehrung gegen<br />

die Sowjetstreitkräfte und ihre westrussischen Basen.<br />

Der deutsche Partner trug mit 204 Waffen, davon allen<br />

auf Raketen, die schwerste Last und als einziges Stationierungsland<br />

die Systeme, die am schnellsten und als erste


ei gleichzeitigem Start sowjetrussisches Gebiet erreichen<br />

konnten. Damit war die Bundesrepublik zwar nicht „singularisiert“<br />

(was Helmut Schmidt unbedingt vermeiden<br />

wollte), aber doch gegenüber der Sowjetunion am stärksten<br />

exponiert. Dies war der Preis, den der deutsche Verbündete<br />

für die ungeteilte nukleare Solidarität der Nato-<br />

Partner und die Verankerung der USA mit weitreichenden<br />

Kernwaffen in Westeuropa zu zahlen hatte. In Konsequenz<br />

drängte die Bundesregierung am stärksten auf „die<br />

doppelte Null-Lösung“ des Problems durch Abzug aller<br />

bodengestützten Mittelstreckensysteme aus Europa in einem<br />

INF-Abkommen mit der UdSSR. Es blieben auf beiden<br />

Seiten die nuklearen Kurzstreckenwaffen, insbesondere<br />

„Lance“-Raketen in Deutschland und nuklearfähige<br />

Kampfflugzeuge in allen Nato-Ländern, in denen diese<br />

schon stationiert waren.<br />

III.<br />

Die Lehren für <strong>Strategie</strong> und Sicherheitspolitik mit<br />

Schlussfolgerungen für regionale Nuklearwaffen und<br />

Flugkörperabwehr als Mittel der militärischen Sicherheitspolitik<br />

Der Washingtoner INF-Vertrag vom Januar 1989, noch<br />

von Präsident Reagan und Präsident Gorbatschow geschlossen,<br />

ist im Kernwaffenbereich und darüber hinaus<br />

bisher das erste und einzige Abkommen über vollständige<br />

weltweite Abrüstung zwischen Washington und Moskau<br />

geblieben. Eine ganze, zwischen 500 und 5500 km weit<br />

gespannte Kategorie von weiter reichenden Angriffssystemen<br />

wurde zwischen beiden Mächten beseitigt.<br />

Andere Staaten haben ihre nuklearfähigen Waffensysteme<br />

in dieser Kategorie wie in der strategischen behalten:<br />

Frankreich, Großbritannien und China; wieder andere<br />

haben in diesem Bereich aufgerüstet: Indien, Pakistan,<br />

Nordkorea und was die Raketen angeht auch Iran mit der<br />

offenkundigen Absicht, sich auf der Nuklearschwelle eine<br />

Kernwaffenoption zu schaffen. Israel hat eine nicht erklärte<br />

Kernwaffenrüstung mit etwa 200 Nuklearsprengköpfen<br />

nach internationaler Schätzung, taktischen nuklearfähigen<br />

Kampfflugzeugen, Raketen und Marschflugkörpern<br />

sowie in Kooperation mit den USA eine Raketenabwehr.<br />

Für Europa und Deutschland stellt sich die Frage nach<br />

Erweiterter Luftverteidigung in der Nato, die im Prinzip<br />

seit langem beschlossene Sache ist, gegen Luft/Boden-<br />

Abstandswaffen und Flugkörperabwehr unabweislich. Die<br />

INF-Geschichte beweist, dass einseitiger Abzug von taktischen<br />

Kernwaffen (was die USA ja schon mit allen bodengestützten<br />

getan haben) ohne Abkommen mit Russland<br />

keinen Rüstungskontrollerfolg geschweige denn ein<br />

Abrüstungsziel erreicht und Sicherheit stabil halten kann.<br />

Der INF-Vertrag ist der einzige nukleare Abrüstungsvertrag<br />

auf „global zero“ zwischen zwei Mächten. Ohne die<br />

kompensatorische Gegenrüstung wäre er nicht erreicht<br />

worden.<br />

29


Zum Nutzen der Definition des <strong>Strategie</strong>begriffes <strong>–</strong><br />

eine perspektivische Betrachtung<br />

Text: Brigadier MMag Wolfgang Peischel<br />

1. Zur Dichotomie von Denken und Handeln<br />

wurde als Göttin der Weisheit, des Kampfes,<br />

der Kriegstaktik sowie der <strong>Strategie</strong> verehrt und galt als<br />

Schirmherrin der Künste und der Wissenschaft. Der Sage<br />

nach sei sie, sozusagen als „Kopfgeburt“, in voller Rüstung<br />

dem Haupt des Zeus entsprungen, nachdem Hephaistos<br />

es auf Geheiß des Göttervaters zerschlagen hatte. Somit<br />

kann die Göttin der <strong>Strategie</strong> auch als Inbegriff für Weisheit<br />

und das Denken an sich gesehen werden. Setzt man<br />

das „Denken“ in begrifflichen Gegensatz zum „Handeln“,<br />

so könnte dem Versuch, den <strong>Strategie</strong>begriff zu erfassen,<br />

damit eine erste vage Richtung gegeben werden <strong>–</strong> weil<br />

Athena eben nicht dem Arm sondern dem Kopf des Zeus<br />

entsprungen ist.<br />

Marc Bloch 1 bescheinigt dem französischen Offizierskorps<br />

des Jahres 1940 zwar hohe fachliche, operative und taktische<br />

Expertise, kritisiert aber dessen über die Erziehung<br />

und Ausbildung gefestigte Einstellung, die ein Negieren<br />

der Werte der Aufklärung erkennen lässt. Frankreich 1940<br />

wäre <strong>–</strong> so Bloch <strong>–</strong> vor allem eine Niederlage des Geistes<br />

und des Denkens gewesen. Hätte eine vorausschauende<br />

<strong>Strategie</strong> nicht das aufgeklärte Offiziersbild zum Ziel haben<br />

müssen, unter Abkehr von absolutistisch-hierarchischen<br />

Strukturen? Wäre nicht gerade über die Neudefinition<br />

des militärischen Führungsdenkens eine Niederlage<br />

zu verhindern gewesen, die auch durch mutiges operatives<br />

und taktisches Handeln nicht mehr abzuwenden war?<br />

2. Ziel des Beitrages<br />

Außer Streit steht, dass es <strong>–</strong> wie Martin Wagener zusammenfassend<br />

feststellt <strong>–</strong> in der Politikwissenschaft wie in<br />

der praktischen Politik zu einer inflationären Verwendung<br />

des Begriffes „<strong>Strategie</strong>“ gekommen, die Herausbildung<br />

einer akademischen Disziplin der „strategischen Studien“<br />

unterblieben sei und die bislang erschienenen Abhandlungen<br />

zur <strong>Strategie</strong>, welche sich vorwiegend den wichtigsten<br />

Militärstrategen sowie der Erörterung der jüngeren<br />

Militärstrategien widmeten, „deutlich untertheoretisiert“<br />

wären 2 .<br />

30<br />

Wolfgang Peischel<br />

Im vorliegenden Beitrag soll nun gerade kein weiterer<br />

Versuch unternommen werden, historisches strategisches<br />

Denken zu analysieren. Vom Versuch einer Bewertung,<br />

welche konkrete Ausformung eines historischen <strong>Strategie</strong>begriffes<br />

den heutigen Anforderungen am besten gerecht<br />

würde oder gar welche Kritik aus heutiger Sicht an nur<br />

aus dem geschichtlichen Kontext verständlichen strategischen<br />

Konzeptionen zu üben wäre, darf nicht viel erwartet<br />

werden.<br />

Im gegenständlichen Beitrag soll der Frage nachgegangen<br />

werden, welche ziel- und richtungsgebenden Inhalte<br />

konstitutiv für einen, den heutigen Herausforderungen<br />

gerecht werdenden, <strong>Strategie</strong>begriff sein könnten. Die<br />

Funktionsprinzipien, die hier auf ihre Relevanz für ein<br />

zeitgemäßes <strong>Strategie</strong>verständnis hin untersucht werden<br />

sollen, entstammen der militärischen Führungslehre 3 <strong>–</strong> es<br />

wurde versucht, sie nach weitest möglicher Abstraktion,<br />

in ihrer grundlegenden Logik auf den Bereich der strategischen<br />

Ziel- und Richtungsgebung zu übertragen.<br />

Die Betrachtung versteigt sich nicht dazu, einen weiteren<br />

Definitionsversuch von <strong>Strategie</strong> zu unternehmen oder<br />

Kritik an bisherigen derartigen Anläufen zu üben, son-<br />

1 Bloch Marc: Die seltsame Niederlage: Frankreich 1940. Der Historiker als Zeuge, S. Fischer Verlag 1992; Vorwort zur deutschen Ausgabe von Ulrich Raulff, Seite 15 ff.<br />

2 Wagener Martin: Über das Wesen der <strong>Strategie</strong>, Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 4/2010, Seite 443;<br />

3 Militärische Führung soll hier in ihrem weitesten Sinne, also unter Einschluß von visionärer Zielfindung, Planung, Umsetzung und prozeßbegleitender Nachsteuerung verstanden werden.


dern widmet sich viel mehr der Frage, wo der spezifische<br />

Nutzen einer Definition von <strong>Strategie</strong> zu liegen hätte <strong>–</strong><br />

das leitende Interesse liegt also nicht darin „wie“ <strong>Strategie</strong><br />

definiert werden soll, sondern „zu welchem Zwecke“.<br />

Funktionsprinzipien strategischen Denkens sollen darauf<br />

hin untersucht werden, ob sie als konstitutiv für das Sollprofil<br />

des <strong>Strategie</strong>verständnisses solcher Staaten gelten<br />

können. Wesentliche Sollanforderungen an ein modernes<br />

<strong>Strategie</strong>verständnis und Funktionsprinzipien, die solchen<br />

Anforderungen gerecht werden könnten, sollen in ihrem<br />

systemischen Zusammenhang dargestellt werden <strong>–</strong> aber<br />

nicht in der Vollständigkeit und Präzision, die notwendig<br />

wäre, um dem Anspruch einer Definition zu genügen.<br />

Dass als „Nutzanwender“ der Betrachtung über das Sollprofil<br />

zeitgemäßen strategischen Denkens pluralistischdemokratisch<br />

verfasste Staaten westlicher Prägung oder<br />

Bündnisse bzw. Solidargemeinschaften solcher Staaten<br />

angesprochen werden, bedeutet nicht, dass als „Träger“<br />

von <strong>Strategie</strong>n nicht auch völlig andere politische oder<br />

wirtschaftliche Akteure beginnend von NGO über multinationale<br />

Wirtschaftsunternehmen bis hin zu ideologisch<br />

motivierten Massenbewegungen in Betracht genommen<br />

werden müssen. Hier scheint gegenüber dem bisherigen<br />

<strong>Strategie</strong>verständnis ein zweifacher Erweiterungsbedarf<br />

gegeben. Erstens müssen Bündnisse oder Solidargemeinschaften<br />

von pluralistisch-demokratischen Staaten in der<br />

Lage sein, eine <strong>Strategie</strong> zu entwerfen, die der Zielfindung<br />

der Mitgliedstaaten übergeordnet ist, um eine der Summe<br />

der Einzelpotentiale entsprechende Außenwirksamkeit zu<br />

erzielen. Zweitens muss weiteren politischen oder wirtschaftlichen<br />

Akteuren eine „strategische Subjektivität“<br />

zugebilligt werden, sobald sie in der Lage sind die <strong>Strategie</strong>n<br />

demokratischer Staaten bzw. ihrer Bündnisse oder<br />

Gemeinschaften zu beeinflussen, insbesondere aber sie herauszufordern.<br />

Ausgegangen wird von drei wesentlichen sprachlichen<br />

Anwendungsgebieten des <strong>Strategie</strong>begriffes <strong>–</strong> dem politi-<br />

schen, dem wirtschaftlichen und einem umgangssprachlichen<br />

Gebrauch. Dabei soll das politische Anwendungsgebiet<br />

die Zielfindung für staatliches Handeln, auch unter<br />

Einschluss der Möglichkeit eines Rückgriffes auf militärische<br />

Kräfte, beinhalten.<br />

Es sollen nun wesentliche beispielhaft ausgewählte Funktionsprinzipien<br />

strategischen Denkens, die dem politischen<br />

und dem wirtschaftlichen <strong>Strategie</strong>verständnis gemeinsam<br />

sind, abgeleitet und von anwendungsbereich-spezifischen<br />

unterschieden werden. Einmal identifiziert, würden sich<br />

solche allgemeinen Prinzipien als Grundlage für eine bereichsübergreifende<br />

strategische Bildung von Führungskräften<br />

aus Politik, Militär und Wirtschaft eignen.<br />

Bereichsspezifische Elemente strategischen Denkens dürfen<br />

dabei nicht auf dem Altar einer allgemeingültigen<br />

<strong>Strategie</strong>definition geopfert werden <strong>–</strong> jeder Anwendungsbereich<br />

soll die Möglichkeit einer im Hinblick auf seine<br />

Bedürfnisse maßgeschneiderten Nutzung des <strong>Strategie</strong>begriffes<br />

behalten. Allerdings müsste bei Verwendung<br />

des Begriffes außerhalb des Tätigkeitsfeldes, dem er entstammt,<br />

eine Definition des Begriffsinhaltes und eine allfällige<br />

„Transpositionsanleitung“ mitgegeben werden. Die<br />

Gesamtstaatstrategie beispielsweise, der Streitkräfte zu<br />

dienen haben und ein Teil derer sie ja selbst sind, wird sich<br />

im Inhalt, den Zeithorizonten und den angewandten Methoden<br />

von der „Unternehmensstrategie“ unterscheiden,<br />

die sie im Hinblick auf eine ökonomische, dem Muster<br />

eines privatwirtschaftlich geführten Betriebes nachempfundene<br />

„Betriebsführung“, verfolgen werden.<br />

Wenn es, was später gezeigt werden soll, grundlegendes<br />

Funktionsprinzip von <strong>Strategie</strong> ist, die oberste staatliche<br />

Ziel- und Richtungsgebung gesamtheitlich zu verfassen,<br />

d.h. sie unter synergetischer Einbindung aller Politikbereiche<br />

des Militärs und der Wirtschaft zu generieren, dann<br />

ist eine saubere Schnittstellendefinition zwischen den Begriffswelten<br />

nicht nur eine semantische Herausforderung<br />

sondern kritischer Erfolgsfaktor für strategisches Denken<br />

an sich.<br />

31


32<br />

ZUM NUTZEN DER DEFINITION DES STRATEGIEBEGRIFFES <strong>–</strong> EINE PERSPEKTIVISCHE BETRACHTUNG<br />

3. Zum Inhalt der angewandten Begriffe <strong>–</strong><br />

eine Arbeitsdefiniton<br />

Von den oben ausgeführten Anwendungsbereichen des<br />

<strong>Strategie</strong>begriffes wird auf den „politischen“ und „wirtschaftlichen“<br />

eingeschränkt, wobei der politische die<br />

Zielfindung auch unter Einschluss der Möglichkeit eines<br />

Rückgriffes auf militärische Kräfte beinhalten soll. Dieser,<br />

das politische strategische Denken „flächendeckend“<br />

begleitende Aspekt ist aber zwingend von „Militärstrategie“<br />

zu unterscheiden, die als eine Teilstrategie unter anderen<br />

nur konstitutiver Bestandteil einer politischen Gesamtstrategie<br />

sein kann.<br />

Es läge nahe, das aus strategischem Denken erfließende<br />

Ergebnis als „strategische Führung“ oder „strategische Planung“<br />

zu bezeichnen. In einem umfassenden Begriffsverständnis<br />

von Führung wäre wohl visionäre Zielfindung,<br />

Planung, Führung im engeren Sinn und Nachsteuerung<br />

beinhaltet. Wenn aber der Aspekt der Zielfindung und<br />

-definition als substanzieller Faktor strategischen Denkens<br />

unterstrichen werden soll, wäre die Subsumierung unter<br />

den Führungsbegriff kontraproduktiv (bezogen auf den<br />

Führungsbegriff i.w.S. nur teilweise zutreffend, auf den<br />

Führungsbegriff i.e.S. sogar widersprüchlich). ähnliches<br />

gälte auch für die Unterordnung strategischen Denkens<br />

unter den Planungsbegriff.<br />

Wenn Zielfindung, Planung und Führung im engeren<br />

Sinne als Prozessschritte zur Erreichung von politischen<br />

Zielen begriffen werden und hinsichtlich der Abgrenzung<br />

zwischen Planung und Führung gilt, was Moltke der ältere<br />

sinngemäß mit „Planung bis zum ersten Zusammentreffen<br />

mit dem Feind <strong>–</strong> ab dann Führung“ gefordert hat,<br />

dann wäre in einer prinzipiellen Abgrenzung zwischen<br />

Zielgebung und Planung auch ein wesentlicher Definitionsfaktor<br />

für strategisches Denken zu finden.<br />

Bedeutet Führung im engeren Sinne die Umsetzung von<br />

Planungen und das zielkonforme Einwirken auf Verbände<br />

in Phasen der Operation, für die es keine vorausschauen-<br />

den Planungen des erforderlichen Auflösungsgrades mehr<br />

gibt, so könnte Planung als eine von einer vorgegebenen<br />

Zielsetzung ausgehende Beurteilung von Möglichkeiten<br />

und Bedingungen gesehen werden, die zum Beurteilungszeitpunkt<br />

gegeben sind oder unter linearer Projektion erkannter<br />

Entwicklungen in die nahe Zukunft prognostiziert<br />

werden können.<br />

Idealtypischer Weise sollte <strong>Strategie</strong> auf einen Zeithorizont<br />

ausgerichtet sein, der jenseits bekannter oder mit relativer<br />

Sicherheit prognostizierbarer Entwicklungen liegt<br />

<strong>–</strong> vereinfacht „<strong>Strategie</strong> jenseits erkennbarer oder prognostizierbarer<br />

Entwicklungen, dieseits dieses Horizontes<br />

operative Planung“ 4 .<br />

So wie ergänzende Planungen natürlich auch für Phasen<br />

nach erster Feindberührung vorliegen müssen, so wird<br />

<strong>Strategie</strong> einen reaktiven Ansatz zur Beantwortung absehbarer<br />

Entwicklungen bereit halten müssen <strong>–</strong> den primären<br />

Fokus aber nicht weiter voraus zu legen, würde den Stellenwert<br />

strategischen Denkens unzulässiger Weise herabmindern.<br />

Reaktive <strong>Strategie</strong> wird <strong>–</strong> auf Augenhöhe <strong>–</strong> vor<br />

allem konkurrierende bzw. gegen sie gerichtete <strong>Strategie</strong>n<br />

anderer internationaler Akteure in ihrer Wirkung zu antizipieren<br />

oder aber Vorkehrungen zu treffen haben, diese<br />

Wirkung spätestens im Anlassfall zu beantworten. Gerade<br />

in diesem Zusammenhang scheint es wichtig, <strong>Strategie</strong>bildung<br />

und -verfolgung auch Akteuren zuzutrauen, die<br />

nicht dem Muster von demokratisch verfassten Staaten<br />

entsprechen, beispielsweise also auch ideologisch motivierten<br />

Massenbewegungen, die keinem Völkerrechtssubjekt<br />

mehr zuordenbar sind.<br />

Da die Begriffe Führung, Planung, (Nach-)Steuerung<br />

dem hier skizzierten Leistungsvermögen strategischen<br />

Denkens nicht gerecht werden oder aber auch unzutreffende<br />

Assoziationen wecken, war nach einem geeigneten<br />

Arbeitsbegriff zu suchen. Mit dem, zugegebenermaßen<br />

etwas holprigen und wenig plakativen Begriff der „strategischen<br />

Ziel- und Richtungsgebung“ konnte jedoch für<br />

4 Vgl. hiezu Malik Fredmund: Malik on Management, Gefährliche Gewinne in trend 6/2004, Seite 160 ff.. Der Autor folgert, daß es ein verhängnisvoller Fehler wäre, aus operativen Daten auf die <strong>Strategie</strong> schließen zu wollen. Dies würde<br />

die Forderung unterstützen, operative Führung von strategischer Zielfindung sauber abzugrenzen, die strategische Zielfindung jedenfalls unbeeinflußt von, auf Basis operativer Planung hochgerechneten Entwicklungen zu betreiben.


die vorliegende Betrachtung eine Formulierung gefunden<br />

werden, mit der verdeutlicht werden soll, dass das Ergebnis<br />

strategischen Denkens im Sinne von „zielfindend/definierend/-gebend“,<br />

„die Planung initiierend“ verstanden<br />

und unmissverständlich von Planung, Führung i.e.S.<br />

und Nachsteuerung unterschieden werden muss.<br />

Für die Zielfindung wird vom Begriff der „Vision“ als<br />

menschlichen Denkkategorien nur unter weitest möglicher<br />

Ausdehnung des zeitlichen Such-Horizontes zugänglichen<br />

kreativen Vorausschau ausgegangen. Die in der<br />

Managementlehre übliche begriffliche Unterscheidung<br />

zwischen Mission und Vision findet hier keine Berücksichtigung,<br />

weil sie nur im Kontext eines Unternehmensleitbildes<br />

Sinn macht.<br />

4. „Strategische Ziel- und Richtungsgebung“ <strong>–</strong><br />

eine Arbeitshypothese<br />

„Strategische Ziel- und Richtungsgebung“ soll als oberste,<br />

zeitlich weitest-vorausschauende, alle ihr zugänglichen<br />

Planungs- und Handlungsstränge gesamtheitlich beeinflussende<br />

Zielfindungs-Funktionalität für ein komplexes<br />

Gemeinwesen verstanden werden, die zwingend dessen sicheren<br />

Weiterbestand zum Ziel haben muss (ohne Selbstbehauptungs-<br />

und Überlebenswillen einer <strong>Gesellschaft</strong><br />

würde sich der Bedarf an strategischer Ziel- und Richtungsgebung<br />

ad absurdum führen), über die reine Überlebenssicherung<br />

und das ökonomische Prosperitätsstreben<br />

hinaus aber auch andere „altruistische“ Ziele haben kann.<br />

Strategische Ziel- und Richtungsgebung wird als erster<br />

Prozessschritt zur Erreichung von Zielen verstanden. Die<br />

kreative und eigeninitiative Schaffung von Visionen, aus<br />

denen nach einer groben Machbarkeitsanalyse zunächst<br />

eine strategische Zielhypothese entsteht, welche ihrerseits<br />

den nachfolgenden Planungsprozess initiiert, in dessen<br />

Verlauf schließlich auch die hinsichtlich des Ressourcenbedarfes<br />

bestimmten strategischen Ziele abgeleitet und<br />

definiert werden können, soll unter den Arbeitsbegriff<br />

strategische Ziel- und Richtungsgebung subsumiert wer-<br />

den. Planung, Führung im engeren Sinne und Nachsteuerung<br />

schließen konsekutiv an den Prozessschritt der strategischen<br />

Ziel- und Richtungsgebung an.<br />

Die Entscheidung über die Bereitstellung der für die Erreichung<br />

des strategischen Zieles erforderlichen Ressourcen<br />

ist untrennbar mit der Aufgabe der strategischen Zielfindung<br />

und -definition verbunden.<br />

5. Beispielhaft ausgewählte, konstitutive Funktionsprinzipien<br />

strategischer Ziel-/Richtungsgebung<br />

5.1. Zeitliche Horizonte strategischen Denkens<br />

Stimmt man der These zu, dass Individuen und einfach<br />

organisierte Gruppen hauptsächlich auf ihre eigene Lebensdauer<br />

und möglicherweise auch noch auf die ihrer<br />

unmittelbaren Nachkommen planen, so könnte man in<br />

der Tatsache, dass komplexere Gemeinwesen über diesen<br />

Horizont hinaus denken müssen, um ihr Überleben zu sichern,<br />

ein Indiz für ein spezifisches Funktionsprinzip strategischer<br />

Ziel- und Richtungsgebung sehen. Wenn dieser<br />

Horizont Generationen weit voraus liegt, so wird sich der<br />

Erfolg oder Misserfolg der langfristigen Zielsetzung im<br />

Leben oder zumindest der Funktionsperiode derer, welche<br />

die strategischen Ziele definiert haben, mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

nicht mehr auswirken. Strategische Ziel-<br />

und Richtungsgebung wird daher Anstrengungen und<br />

Einschränkungen, die im Hinblick auf die Erreichung des<br />

strategischen Zieles notwendigerweise zu unternehmen<br />

bzw. in Kauf zu nehmen waren, auf Sicht nicht durch<br />

greifbare Erfolge „belohnen“ können. Sie bleibt weiterhin<br />

vom Wählerwillen abhängig und gerät damit unweigerlich<br />

in das Spannungsfeld zwischen Demokratie und den<br />

strategischen Zielsetzungen, die zu verfolgen sind, um das<br />

Überleben langfristig zu sichern.<br />

Regierungen, die Umsetzungspläne, mittelfristige Richtungsänderungen,<br />

ja sogar Maßnahmenkataloge zur <strong>Strategie</strong><br />

erklären, tragen dazu bei, den <strong>Strategie</strong>begriff der<br />

Beliebigkeit anheim fallen zu lassen. Sie schaffen damit<br />

aber nicht nur eine begriffliche Unschärfe sondern sie ver-<br />

33


34<br />

ZUM NUTZEN DER DEFINITION DES STRATEGIEBEGRIFFES <strong>–</strong> EINE PERSPEKTIVISCHE BETRACHTUNG<br />

mindern durch eine zeitlich zu kurz gesteckte Ausrichtung<br />

der Zielfindungsinstrumente die visionäre Qualität ihrer<br />

<strong>Strategie</strong> und gefährden so möglicherweise die Zukunftssicherheit<br />

des eigenen Staates.<br />

Strategische Ziel- und Richtungsgebung muss von einem<br />

bestimmten bekannten erreichten Stand der gesellschaftlichen<br />

Entwicklung ausgehen. Sie hat aber hinsichtlich der<br />

strategischen Zielfindung auch die weitere <strong>Gesellschaft</strong>sentwicklung<br />

wie zum Beispiel den Wertewandel oder die<br />

Frage, ob Folgegenerationen die definierten Ziele in der<br />

ursprünglichen Form weiterverfolgen werden, ja sogar ob<br />

sie das heutige Demokratieverständnis beibehalten werden,<br />

auch unter Inkaufnahme von Unwägbarkeiten zu<br />

antizipieren und der Beurteilung zugrunde zu legen. Die<br />

ständige Koppelung des visionären Ansatzes der Zielfindung<br />

mit dem pragmatischen Ansatz, der gedanklichen<br />

Weiterführung gesellschaftlicher Entwicklungen im Hinblick<br />

auf ihre Eignung zur Unterstützung der Zielerreichung,<br />

wird daher eine wesentliche Herausforderung für<br />

strategisches Denken darstellen.<br />

Paradox scheint in diesem Zusammenhang, dass Regierungen<br />

oftmals Entwicklungen, wie die des Wertebewusstseins,<br />

der demokratischen Ambition der Bürger oder<br />

der Verteidigungsbereitschaft linear in die Zukunft projizieren,<br />

obwohl diese schwer prognostizierbar sind, wohingegen<br />

sie beeinflussbare Verläufe wie beispielsweise die<br />

demographische Entwicklung als schicksalhaft gegeben<br />

akzeptieren und ihnen reaktionslos gegenüber stehen.<br />

Überträgt man den aus der militärischen Führungslehre<br />

stammenden Begriff der Führungsüberlegenheit auf die<br />

strategische Ziel- und Richtungsgebung, so kann man<br />

folgern, dass der internationale Akteur die besseren langfristigen<br />

Überlebenschancen hat, dem es gelingt, seine<br />

strategischen Ziele weiter in die Zukunft zu „projizieren“.<br />

Die militärische Führungspraxis zeigt, dass von einer Person<br />

oder einem Planungsteam, unter Wahrung der ange-<br />

strebten Beurteilungsqualität nur eine gewisse zeitliche<br />

Planungsreichweite erzielt und abgedeckt werden kann.<br />

Dies hat zu einer Strukturierung militärischer Beurteilungsaufgaben<br />

in eine militärstrategische, operative und<br />

taktische Aufgabenqualität sowie in eine Zerlegung von<br />

Gefechtsständen in Zellen für das laufende Gefecht und<br />

Planungszellen geführt. Mit der gezielten Entlastung von<br />

Aufgabenqualitäten und zeitlichen Planungs-/Führungsreichweiten,<br />

die nicht in der eigenen Zuständigkeit liegen,<br />

werden Stäbe und Gefechtsstandzellen dazu befähigt,<br />

in ihrem inhaltlichen Verantwortungsbereich spezifisch<br />

befähigtes und geschultes Personal einzusetzen, höchstmögliche<br />

Beurteilungsqualität zu erzielen und mit den<br />

am weitesten in die Zukunft orientierten Zellen den angepeilten<br />

Planungshorizont abzudecken. Das Funktionsprinzip<br />

dieses Ansatzes liegt darin, durch Fokussierung auf<br />

„spezifische“ Aufgabenqualitäten und Zeithorizonte sowie<br />

durch bewusste Entlastung von anderen eine Übersummativität<br />

hinsichtlich des Leistungsvermögens der eingesetzten<br />

Zellen und damit eine signifikante Steigerung der<br />

Arbeitsqualität zu erzielen.<br />

In Analogie dazu könnte strategische Ziel- und Richtungsgebung<br />

Überlegenheit erzielen, wenn sie spezifisch<br />

befähigte und geschulte Kräfte in einer Zelle für die kreative<br />

Zielfindung zusammenfasst und diese bewusst von<br />

Planungs-, Umsetzungs- und Führungsaufgaben i.e.S.<br />

freispielt. Dies setzt allerdings voraus, dass eine übergeordnete<br />

Instanz eingerichtet ist, welche strategische Zielfindung<br />

mit der operativen Planung/Durchführung sowie<br />

den visionären mit dem pragmatischen Ansatz koordiniert.<br />

Insbesondere hätte diese Instanz zu beurteilen, ab<br />

welcher Abweichung der realen Entwicklung vom Plansoll<br />

eine Adaptierung der strategischen Zielsetzung erfolgen<br />

bzw. eine grundlegend neue strategische Zielsetzung gefunden<br />

werden muss. Den stetigen Wandel als Wert per<br />

se zu definieren oder das Leistungsvermögen der gesamten<br />

Führung i.w.S. dadurch zu überfordern, dass eine strategische<br />

Neuausrichtung begonnen wird, bevor die vorhergehende<br />

umgesetzt ist, destabilisiert eher als dass dadurch


ein Mehr an Überlebenssicherheit zu erzielen wäre. Insbesondere<br />

wäre der Nachweis zu führen, dass bei einer Beibehaltung<br />

der bestehenden strategischen Zielsetzung ein<br />

größerer Schaden droht, als er sich infolge der, mit einer<br />

strategischen Neuausrichtung zwangsläufig einhergehenden<br />

Diskontinuität ergeben würde. In besonderem Maße<br />

wäre hier das strategische Controlling gefordert, das zu<br />

bewerten hätte, wieviel strategische Veränderung sich ein<br />

politischer Akteur in der Zeiteinheit wirtschaftlich leisten<br />

kann. Die von Heisenberg sinngemäß so formulierte<br />

Mahnung, dass zwar jede Verbesserung eine Veränderung<br />

bedingt, aber nicht jede Veränderung eine Verbesserung<br />

erbringt, könnte bei dieser Bewertung eine wertvolle Hilfestellung<br />

bieten.<br />

Ein konkreter Nutzen aus einer zutreffenden Definition<br />

strategischer Ziel- und Richtungsgebung könnte also darin<br />

liegen, Ausbildung und Auswahl des Personals für die<br />

Zellen zur kreativen Zielfindung und für die Koordinierungsinstanz<br />

zwischen Zielfindung, Planung und Umsetzung,<br />

an das jeweils geforderte Aufgabenprofil anzupassen<br />

und die Arbeitsqualität der einzelnen Zellen durch strikte<br />

Begrenzung auf definitionskonforme Aufgabenkategorien<br />

zu erhöhen.<br />

Die Aufgabenkategorien für die Zielfindungs- und Koordinierungszellen<br />

sollten demnach folgenden prinzipiellen<br />

Forderungen genügen.<br />

Zellen zur strategischen Zielfindung sollten darauf ausgerichtet<br />

werden, unter Ausblendung der kritisch-rationalen<br />

Beurteilung der gefundenen langfristigen Visionen,<br />

alle unter Anwendung operationaler Kreativität findbaren<br />

Möglichkeiten zu „erdenken“. Diese Möglichkeiten<br />

dürften nicht nach ihrer Umsetzbarkeit sondern nach der<br />

Frage bewertet werden, ob sie das gesamte Spektrum des<br />

Denkbaren erfassen und ob sie vorrangig proaktiv angelegt<br />

sind. Reaktive Ziele, also solche, die als Antwort auf<br />

absehbare Entwicklungen von Gegnern oder Konkurrenten<br />

ins Auge gefasst werden müssen, sind als Ergänzung<br />

notwendig, greifen aber als ausschließliche Grundlage<br />

für die strategische Ausrichtung zu kurz. So wie im Bereich<br />

der Wirtschaft erkannt worden ist, dass „Red Ocean<br />

<strong>–</strong> Ansätzen“ 5 von Beginn an der Keim einer späteren<br />

konfrontativen Entscheidung über die Frage der Marktführerschaft<br />

innewohnt, so sollte auch im Bereich der politischen<br />

<strong>Strategie</strong>, gerade im Hinblick auf die Forderung<br />

nach möglichst konfliktfreien Entwicklungen, den „Blue<br />

Ocean <strong>–</strong> Ansätzen“, also operational-kreativen, proaktiven<br />

strategischen Zielsetzungen, mehr Augenmerk geschenkt<br />

werden.<br />

Führungskräfte mit der einschlägigen operativen Fachexpertise<br />

neigen vielfach dazu, bestehende und bewährte<br />

strategische Konzepte an künftige Herausforderungen<br />

anzupassen oder sie in die Zukunft zu transponieren.<br />

ähnlich dem „Clipper-Syndrom“, welches beschreibt,<br />

dass Segelschiffe einen letzten gewaltigen <strong>Innovation</strong>sschub<br />

in Richtung der schnellen „Clipper“ gerade dann<br />

erfahren haben als die technologische Überlegenheit des<br />

Dampfschiffs sich bereits am Horizont abzuzeichnen begann,<br />

können „kampfwertgesteigerte“ strategische Konzepte<br />

dazu führen, dass neue strategische Möglichkeiten<br />

verschlafen werden, weil die adaptierten alten trügerischer<br />

Weise noch einen mittelfristigen Erfolgszuwachs erbringen.<br />

Mit der Beteiligung von philosophisch vorgebildeten<br />

Führungskräften oder aber auch von fachfremden Experten<br />

an der strategischen Zielfindung, könnte einer solchen<br />

Gefahr entgegen gewirkt werden.<br />

Professor Rohrbach 6 geht in seinem „Deferred Judgement-<br />

Modell“ von einem operational-kreativen und<br />

einem kritisch-rationalen „Betriebsmodus“ im menschlichen<br />

Gehirn aus.<br />

Übertragen auf die strategische Zielgebung könnte für<br />

die Zelle der visionären Zielfindung Personal mit einem<br />

Befähigungsüberhang im operational-kreativen Bereich,<br />

für die analytische Abarbeitung der gefundenen Möglichkeiten<br />

und Ziele Personal mit der überdurchschnitt-<br />

5 Vgl. Chan Kim W., Mauborgne Renée: Der Blaue Ozean als <strong>Strategie</strong>. Wie man neue Märkte schafft, wo es keine Konkurrenz gibt. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005, ISBN 3446402179. Die Autoren weisen nach, dass erfolgreiche<br />

Unternehmen sich nicht vorrangig über den Wettbewerb definieren müssen, sondern durch Kreativität und <strong>Innovation</strong>, im Sinne eines bisher nicht entdeckten Marktes, einen eigenen „Blue Ocean“ schaffen können.<br />

6 Vgl. Vortrag Professor Rohrbach vor dem 14. Generalstabskurs an der Landesverteidigungsakademie, Wien.<br />

35


36<br />

ZUM NUTZEN DER DEFINITION DES STRATEGIEBEGRIFFES <strong>–</strong> EINE PERSPEKTIVISCHE BETRACHTUNG<br />

lichen kritisch-rationalen Eignung eingesetzt werden. Die<br />

Instanz, mit der beide Zellen aufeinander abgestimmt<br />

werden müssten, hätte sich durch eine ausgewogene Begabung<br />

hinsichtlich beider Betriebsmodi auszuzeichnen.<br />

Gerade in privatwirtschaftlich geführten Unternehmen ist<br />

häufig eine Überbetonung des umsetzenden Management-<br />

Bereiches und der vorrangig kritisch rationalen Begabung<br />

der Führungsfunktionen zu beobachten. Der Zwang zum<br />

3-Jahreserfolg macht Investitionen in langfristige Planung<br />

und visionäre Zielfindung, die keinen unmittelbaren<br />

Erfolg für den laufenden Geschäftsfortgang abwerfen,<br />

schwer argumentierbar <strong>–</strong> eine langfristige Überlegenheit<br />

des Unternehmens auf dem Markt wird damit aber kaum<br />

zu erzielen sein.<br />

Begreift man die Schaffung einer Vision als einen in die<br />

Zukunft geworfenen Ausgangspunkt für die Ableitung einer<br />

strategischen Zielsetzung bzw. die im Zuge der Rückwärtsplanung<br />

zu ermittelnden Zwischenziele und die<br />

Umsetzung als ein Heranarbeiten an die Ziele aus dem<br />

gegebenen „status quo“ heraus, so hätte eine über diese<br />

Bereiche koordinierende Instanz zunächst den „kreativvisionären“<br />

mit dem „pragmatischen“ Ansatz zum Zusammenwirken<br />

zu bringen und beide iterativ rückzukoppeln.<br />

Insbesondere hätte sie den Prozess zu steuern, mit<br />

dem nach einer ersten Machbarkeitsanalyse aus der Vision<br />

eine strategische Zielhypothese abgeleitet und nach einem<br />

ersten Beurteilungsdurchgang mit Ressourcenbedarfsermittlung<br />

das strategische Ziel festgelegt wird, im Wege der<br />

Rückwärtsplanung Zwischenziele ermittelt bzw. Phasen<br />

definiert werden und schließlich über Vorwärtsplanung,<br />

operative Führung und Nachsteuerung die Zielerreichung<br />

vorangetrieben wird.<br />

5.2. „Altruistische“ strategische Ziele <strong>–</strong> Nachhaltigkeit<br />

Hinsichtlich ihrer zeitlichen Reichweite lassen sich prinzipiell<br />

drei unterschiedliche Horizonte strategischen Denkens<br />

ableiten.<br />

Der erste fokussiert auf das sichere Überleben der gerade<br />

agierenden Generation des Gemeinwesens, allenfalls auf<br />

das der ersten Folgegeneration.<br />

Im weiteren Horizont wird auch Wohl und Sicherheit von<br />

Folgegenerationen bzw. die langfristige Unternehmensentwicklung<br />

in die Definition des strategischen Zieles<br />

einbezogen, auch <strong>–</strong> und gerade das ist das Kennzeichen<br />

dieses Horizontes <strong>–</strong> wenn Erfolge einer solchen Zielsetzung<br />

innerhalb der Funktionsperiode der gerade agierenden<br />

strategischen Ziel- und Richtungsgebung nicht mehr<br />

wirksam werden.<br />

Der dritte Horizont strategischen Denkens reicht über<br />

das Wohl und Überleben der eigenen Gemeinschaft einschließlich<br />

ihrer Folgegenerationen hinaus. Die Aussöhnung<br />

zwischen unterschiedlichen Kulturen, die Bewahrung<br />

eines gemeinsamen Welterbes, eine gerechte globale<br />

Wohlstandsverteilung, eine gesamtheitliche Verantwortung<br />

für Umwelt- und Ressourcenpolitik, ein gemeinschaftlicher<br />

Beitrag zur <strong>Gesellschaft</strong>sentwicklung wären<br />

Beispiele für „altruistische“ Ziele eines strategischen Denkens<br />

in diesem dritten Horizont. In Wirtschaftsunternehmen<br />

könnten sich derartige Ziele beispielsweise als Verantwortung<br />

für die soziale Absicherung und Entwicklung<br />

der Familien ihrer Mitarbeiter manifestieren. Die in der<br />

zivilen Managementlehre und in den neueren Leadership-<br />

Theorien geforderte „Nachhaltigkeit“ von Führung stellt<br />

genau auf diese Ziele ab. Es gilt dabei aber mit unaufrichtigen<br />

Führungsansätzen aufzuräumen. Mitarbeiterzufriedenheit<br />

ausschließlich aus dem nüchternen Kalkül heraus<br />

zu fördern, dass zufriedene Mitarbeiter den Unternehmenserfolg<br />

in einem höheren Maße mehren als investiert<br />

werden musste um sie zu erzielen, führt zu Misstrauen<br />

und gerade dem Gegenteil davon, was mit nachhaltiger<br />

Führung angestrebt werden sollte. Natürlich wird sich<br />

auch eine ehrlich gemeinte nachhaltige Führung indirekt<br />

wieder günstig auf den Unternehmenserfolg auswirken,<br />

letzterer darf aber nur einen „Kollateralnutzen“ dieses Ansatzes<br />

darstellen.


Wirtschaftliche Überlebensfähigkeit und ein Mindestmaß<br />

an Wohlstand machen Entwicklungsländer tendenziell<br />

weniger krisenanfällig. Wenn der Fortbestand der Geberländer<br />

hinreichend gesichert und ihr Sicherheitsbedürfnis<br />

langfristig gedeckt ist, so könnten mit einem derartigen<br />

Ansatz in diesen Weltregionen auch tatsächlich „altruistische“<br />

humanistische Ziele verfolgt werden.<br />

Wenn sich die These bewahrheitet, dass derjenige Akteur<br />

sein Überleben am besten sichert, der seinen Horizont<br />

strategischen Denkens bei höchstmöglicher Qualität der<br />

strategischen Zielfindung am weitesten in die Zukunft<br />

vorschieben kann, dann wird die strategische Ziel- und<br />

Richtungsgebung gut beraten sein, über den ersten und<br />

zweiten hinaus, auch den dritten Zeithorizont abzudecken.<br />

Der moralisch-ethischen Dimension strategischen<br />

Denkens wird dabei ein grundsätzlich neuer Stellenwert<br />

zukommen.<br />

5.3. Theorie und Empirie<br />

In seinem Buch über „Carl von Clausewitz, Erkenntnis,<br />

Bildung Generalstabsausbildung“ leitet Uwe Hartmann<br />

ab, dass die wesentliche Leistung, welche Clausewitz’<br />

Werk „Vom Kriege“ über andere militärwissenschaftliche<br />

Analysen erhebt, darin besteht, dass philosophische<br />

und empirische Ansätze zu einem synergetischen Ergebnis<br />

verwoben wurden 7 . Dabei wird man gerade auch deduktive<br />

theoretische Elemente unter den von Clausewitz<br />

angewandten philosophischen Ansatz subsumieren müssen.<br />

Das operative Führungsverfahren, insbesondere im<br />

deutschsprachigen Raum, spiegelt dieses Prinzip wieder.<br />

Zunächst werden deduktiv und operational-kreativ eigene<br />

wie gegnerische Möglichkeiten gefunden, aus denen<br />

durch den Kommandeur zunächst eine als Arbeitshypothese<br />

gewählt und dem Stab zur empirisch-rationalen<br />

Beurteilung übergeben wird. Die nicht falsifizierbare Hypothese<br />

wird für die spätere Kommandeursentscheidung<br />

bereitgehalten, welche erfolgt, sobald alle zur Beurteilung<br />

durch den Stab freigegebenen Möglichkeiten ihren<br />

Durchlauf absolviert haben. Gelänge es, die synergetische<br />

Nutzung theoretischer und empirischer Ansätze, die den<br />

7 Hartmann Uwe: „Carl von Clausewitz, Erkenntnis, Bildung Generalstabsausbildung“, München OLZOG 1998, Seite 10 ff.<br />

Clausewitz’schen Analysen zu zeitloser Gültigkeit verholfen<br />

hat und die im operativen Führungsverfahren fortlebt,<br />

auch auf die strategische Ziel- und Richtungsgebung zu<br />

übertragen, so könnte sich daraus ein neues Verständnis<br />

und eine höhere Qualität der strategischen Zieldefinition<br />

ergeben.<br />

Würde die Findung einer Vision und die Ableitung der<br />

Hypothese für ein aus der Vision abgeleitetes, strategisches<br />

Ziel, also die „kreativ-visionäre“ Aufgabenqualität, dem<br />

deduktiv-theoretischen und operative Rückwärtsplanung,<br />

Ressourcenbedarfsermittlung, operative Führung sowie<br />

Nachsteuerung, also die „pragmatische“ Aufgabenqualität<br />

dem empirischen Bearbeitungsmodus zugeordnet, so wäre<br />

damit eine grundsätzliche Übertragung des Prinzips auf<br />

die strategische Ziel- und Richtungsgebung möglich.<br />

Wie weiter oben dargestellt, ist auch die Entscheidung<br />

über die Bereitstellung der für die Erreichung des strategischen<br />

Zieles erforderlichen Ressourcen integraler und<br />

konstitutiver Bestandteil der strategischen Ziel- und Richtungsgebung.<br />

Soll die Kreativität für die Schaffung der Vision<br />

möglichst wenig durch kritisch-rationale Argumente<br />

gehemmt werden, dann sollte für die Erstellung einer<br />

strategischen Arbeitshypothese nur eine grobe Machbarkeitsanalyse<br />

hinsichtlich der entscheidendsten Ressourcen<br />

angestellt werden. Die Ermittlung des konkretisierten<br />

Ressourcenbedarfes bliebe dann dem Planungsdurchgang<br />

vorbehalten, mit dem die strategische Zielhypothese abgearbeitet<br />

wird. Das Ergebnis dieses Planungsdurchganges<br />

wäre an den Ausgangspunkt des Verfahrens rückzukoppeln<br />

und hätte zu einer Abänderung oder Verwerfung der<br />

bearbeiteten Hypothesen zu führen. Wird die Entscheidung<br />

getroffen, eine der beurteilten Hypothesen zum<br />

strategischen Ziel zu erklären, dann hätte die für die strategische<br />

Ziel- und Richtungsgebung verantwortliche Ebene<br />

den ermittelten Ressourcenbedarf zu genehmigen, die<br />

Beschaffung nicht vorhandener Ressourcen in das Ziel mit<br />

aufzunehmen oder das Ziel im Hinblick auf die verfügbaren<br />

Ressourcen abzuändern.<br />

37


38<br />

ZUM NUTZEN DER DEFINITION DES STRATEGIEBEGRIFFES <strong>–</strong> EINE PERSPEKTIVISCHE BETRACHTUNG<br />

5.4. Problemlösung versus Zielfindung<br />

Vielfach wird gefordert, dass <strong>Strategie</strong> Antworten auf bestehende<br />

bzw. sich abzeichnende Probleme zu finden oder<br />

Entwicklungen, die künftig zu Problemen führen könnten,<br />

zu antizipieren hat, um letztere gar nicht erst akut<br />

werden zu lassen. Gleichgültig wie weit diese Prognosen<br />

in die Zukunft reichen sollen, beginnen sie doch alle im<br />

Hier und Jetzt und haben eine grundsätzlich reaktive Ausrichtung.<br />

Zudem birgt die lange Strecke vom gegenwärtigen<br />

Beurteilungszeitpunkt zum angepeilten strategischen<br />

Zielhorizont so viele Unwägbarkeiten, dass eine ausreichende<br />

Prognosequalität kaum zu erwarten ist. Eine neue<br />

<strong>Strategie</strong> reaktiv anlegen zu müssen, ist oftmals schon ein<br />

Indiz dafür, dass die vorhergehende versagt hat.<br />

Wesen einer überlegenen <strong>Strategie</strong> sollte es aber sein, dass<br />

ohne „Auftrag“ oder zwingende Notlage, eigeninitiativ und<br />

proaktiv neue Ziele gesucht werden. Wie oben dargelegt<br />

könnte dieser Ansatz durch eine Differenzierung in operational-kreative<br />

und rational-analytische Bearbeitungszellen<br />

unterstützt werden. Kreativitätstechniken stellen eine<br />

wertvolle Ergänzung dazu dar. Die Einbeziehung philosophisch<br />

vorgebildeter „Perspektiv-Denker“ kann dazu beitragen,<br />

das durch die einschlägige Fachexpertise naturgemäß<br />

ausschließlich problemrelevant und damit zu eng gefasste<br />

Suchfeld für neue strategische Ziele zu erweitern.<br />

Der reaktive, „problembezogene“ Anteil der strategischen<br />

Zielfindung hätte einen ergänzenden Stellenwert zu erhalten.<br />

Richtungskompetenz, Vorsprung und strategische<br />

Überlegenheit werden aber schwergewichtsmäßig durch<br />

visionäre proaktive Zielfindung zu erreichen sein.<br />

5.5. Strukturierung der strategischen Arbeitsressourcen<br />

Prinzipiell ließen sich strategische Aufgaben unter einer<br />

divisionalen oder aber einer prozessorientierten Strukturierung<br />

der Arbeitsressourcen lösen. Für die divisionale<br />

Strukturierung spräche, dass die Verantwortung für alle<br />

im Hinblick auf eine Teilstrategie relevanten Teilschritte<br />

der strategischen Ziel- und Richtungsgebung in einer<br />

Hand zu liegen käme. Der Nachteil dieser Struktur liegt<br />

in der schwierigen horizontalen Koordinierbarkeit, die<br />

im wesentlichen darin begründet ist, dass die Teilschritte<br />

der strategischen Ziel- und Richtungsgebung weder<br />

synchron noch vernetzt ablaufen. Versteht man die strategische<br />

Ziel- und Richtungsgebung komplexer Gemeinwesen<br />

vorrangig als revolvierenden Prozess, gebildet aus<br />

den Teilschritten „Schaffung einer Vision“, „strategische<br />

Zielfindung“, „Initiierung der operativen Planung“, „Ressourcenbedarfsermittlung<br />

sowie -deckung“ und „iterative<br />

Rückkoppelung zum strategischen Ziel“, so wird schnell<br />

klar, dass dieses Funktionsprinzip einer starken teilstrategieübergreifenden<br />

horizontalen Koordination innerhalb<br />

dieses abgeschlossenen Prozessschrittes bedarf und damit<br />

die prozessorientierte Strukturierung der Arbeitsressourcen<br />

gleichsam verlangt. Gerade für den bei Auslandseinsätzen<br />

zur Friedensschaffung geforderten „Comprehensive<br />

Approach“ ist eine teilstrategieübergreifende Koordination<br />

zwingende Voraussetzung.<br />

In der Organisationsstruktur westlicher Demokratien<br />

kommt den einzelnen Ressorts vielfach die Rolle der Träger<br />

von Teilstrategien zu. In ihrer weitgehenden Eigenverantwortung<br />

verwirklichen sie eher die Idee einer divisionalen<br />

Struktur. Nur die Person des Ministers, des hinsichtlich<br />

der Angelegenheiten der Teilstrategie Entscheidenden,<br />

ragt in das horizontal organisierte Kollegialorgan der Regierung<br />

bzw. die Legislative hinein. Die Gefahr besteht<br />

nun darin, dass die Ressortleiter aus ihrer Sicht teilstrategiespezifische<br />

„Kapitel“ einer Gesamtstrategie verfassen,<br />

ohne dass ein ausschließlich dafür abgestellter Stab den<br />

Prozessschritt der gesamtstrategischen, teilstrategieübergreifenden<br />

Zielfindung abgearbeitet hat. Die Bildung eines<br />

solchen Stabes, der wie dargestellt über eine Zelle zur<br />

kreativen Zielfindung und eine Koordinierungsinstanz<br />

zwischen Zielfindung, Planung und Umsetzung verfügen<br />

sollte und der unmittelbar der Regierung bzw. der Gesetzgebung<br />

verantwortlich ist, scheint für die Schaffung einer<br />

Gesamtstrategie, die deutlich mehr ist als die Summe der<br />

Teilstrategien, schwer verzichtbar.


Die Schnittstelle zwischen politischer Entscheidungsfindung<br />

und operativer Planung bzw. Umsetzung verläuft<br />

zwischen dem Minister, als dem Träger der Teilstrategie,<br />

und den obersten Funktionsträgern des Ressorts. Im Sinne<br />

des Primats der Politik liegt die alleinige teilstrategische<br />

Entscheidungskompetenz beim Minister. Die obersten<br />

Verwaltungsorgane werden aber befähigt sein müssen,<br />

„inhaltlich teilstrategisch“ zu denken, um den Ressortleiter<br />

hinsichtlich teilstrategischer Fragen entscheidungsvorbereitend<br />

unterstützen zu können. Durch Schaffung<br />

und „Bewirtschaftung“ interministerieller Netzwerke auf<br />

Beamtenebene können sie dazu beitragen, die der strategischen<br />

Ziel- und Richtungsgebung folgenden Prozessschritte<br />

auf Arbeitsebene jeweils horizontal und teilstrategieübergreifend<br />

abzustimmen und damit den, durch die<br />

divisionale Gliederung in Ressorts eingetretenen Mangel<br />

an horizontaler Koordination zu kompensieren.<br />

Dies setzt voraus, dass in dieser Ebene eingesetzte Funktionen<br />

auch im inhaltlich-gesamtstrategischen Denken<br />

gebildet sein müssten.<br />

5.6. „Comprehensiveness“ <strong>–</strong> Teilstrategieübergreifung<br />

Soll „Strategische Ziel- und Richtungsgebung“ der in der<br />

Arbeitshypothese erhobenen Forderung entsprechen, eine<br />

alle ihr zugänglichen Planungs- und Handlungsstränge gesamtheitlich<br />

beeinflussende Zielfindungs-Funktionalität<br />

zu bieten, dann hätte sie im Bereich der politischen <strong>Strategie</strong><br />

alle Teilstrategien und Ressorts auf eine gesamtstrategische<br />

Zielsetzung hin auszurichten oder sie zumindest<br />

zu einem, hinsichtlich dieser Zielsetzung synergetischen,<br />

Ergebnis zusammenzuführen <strong>–</strong> was unter struktureller<br />

Abbildung eines „Stabes“ zur strategischen Zielgebung<br />

auch bewerkstelligt werden könnte.<br />

Eine solche teilstrategieübergreifende Qualität strategischer<br />

Zielgebung fehlt häufig <strong>–</strong> schon bei einzelnen Staaten,<br />

erst recht aber auch bei Solidargemeinschaften von<br />

Staaten oder Bündnissen.<br />

Dies zeigt sich beispielsweise im Bereich der zwingenden,<br />

wechselseitig bedingten Abhängigkeit von äußerer und<br />

innerer Sicherheit. Militärische Kontingente in friedensschaffenden<br />

Auslandsmissionen finden sich zunehmend<br />

mit dem Bedarf an polizeilichen Aufgabenqualitäten konfrontiert.<br />

Die nationalen Sicherheitskräfte könnten sich<br />

im Falle großflächiger subversiver Bedrohungen verstärkt<br />

auf militärische Assistenzen abstützen müssen. Die Solidaritätsklausel<br />

des EU-Verfassungsvertrages sieht die Möglichkeit<br />

der Abstellung militärischer Kontingente zur Assistenz<br />

in anderen EU-Staaten vor. Die Anschläge u.a. von<br />

Madrid haben gezeigt, dass friedensschaffende Missionen<br />

dadurch äußerst effektiv torpediert werden können, dass<br />

man, statt die Kräfte im Einsatzraum zu beaufschlagen,<br />

die ungeschützte Infrastruktur des Entsendestaates trifft<br />

und ihn dazu zwingt, seine Kontingente aus dem Einsatzraum<br />

abzuberufen. Wie sinnvoll ist es unter Kenntnis<br />

dieser Abhängigkeiten, Außen- und Innenstrategie nicht<br />

gesamtheitlich zu koordinieren, ja sie sogar einander, als<br />

um knappe Ressourcen konkurrierende Bedarfsträger,<br />

argumentativ gegenüber zu stellen? Eine derartige gesamtstrategische<br />

Erfassung äußerer und innerer Sicherheit<br />

bedeutet <strong>–</strong> entgegen einer häufig angezogenen falschen<br />

Ableitung <strong>–</strong> aber keinesfalls, dass damit eine organisatorische<br />

Zusammenfassung von Personalressourcen der beiden<br />

Teilstrategien gemeint wäre oder gar, dass damit eine<br />

Aufweichung der verfassungsmäßig verankerten Trennung<br />

von, der äußeren und inneren Sicherheit dienenden Organen<br />

angestrebt würde.<br />

Die demographische Entwicklung innerhalb der EU bietet<br />

ein weiteres Beispiel. Das Papier des EU-Institute for<br />

Security Studies (EUISS) <strong>–</strong> „What ambitions for European<br />

defence in 2020 8 <strong>–</strong> bewertet die Armutsmigration<br />

über das Mittelmeer als eine der wesentlichen künftigen<br />

Herausforderungen für die Union. Es wird angedacht,<br />

auch militärische Mittel dagegen zum Einsatz zu bringen.<br />

Gleichzeitig stellen viele europäische Staaten fest, dass sie<br />

eine höhere Zuwanderung brauchen, um das zu geringe<br />

Bevölkerungswachstum zu kompensieren. Wo findet sich<br />

8 EU-Institute for Security Studies (EUISS): What ambitions for European defence in 2020, edited by Alvaro de Vasconcelos, Preface by Javier Solana, Original edition jul 2009, 2nd edition (due to Irish „Yes“) oct 2009;<br />

39


40<br />

ZUM NUTZEN DER DEFINITION DES STRATEGIEBEGRIFFES <strong>–</strong> EINE PERSPEKTIVISCHE BETRACHTUNG<br />

eine gesamtheitliche EU-<strong>Strategie</strong> oder auch gesamtstrategische<br />

Ansätze der Mitgliedstaaten, welche außenpolitische<br />

Möglichkeiten, durch Entwicklungshilfe und Investitionen<br />

der Migration an ihrem Ausgangspunkt entgegen<br />

zu wirken, mit sicherheitspolitischen Optionen, ausufernde<br />

Migration einzudämmen, bildungspolitischen Offensiven<br />

zur Integration von Einwanderern und schließlich mit<br />

sozialpolitischen Anreizen zur Hebung der Geburtenrate<br />

im Inland, in einen gesamtheitlichen Denkzusammenhang<br />

stellen und miteinander in Einklang bringen?<br />

6. Zusammenfassung<br />

Abschließend soll nun zusammengefasst werden, welcher<br />

Nutzen aus einer zukunftstauglichen Soll-Definition strategischen<br />

Denkens und strategischer Ziel-/Richtungsgebung<br />

erwartet werden darf.<br />

Aus den dargestellten, beispielhaft ausgewählten Funktionsprinzipien<br />

ergäben sich konstitutive Eckpunkte einer<br />

möglichen <strong>Strategie</strong>-Definition, hinsichtlich derer inhaltliche<br />

Gestaltungsfreiheit bestünde, von denen aber jedenfalls<br />

feststeht, dass sie „Stellschrauben“, kritische Erfolgsfaktoren<br />

für die Wirksamkeit der durch sie beschriebenen<br />

<strong>Strategie</strong> sind. Es wurde versucht darzulegen, wie sich die<br />

inhaltliche Gestaltung dieser Funktionprinzipien auf die<br />

Wirksamkeit der <strong>Strategie</strong> auswirken könnte <strong>–</strong> nicht aber,<br />

wie eine konkrete inhaltliche Gestaltung aussehen sollte.<br />

Würde <strong>Strategie</strong> zuvorderst einmal eher als eine Kategorie<br />

des „Denkens“ als des „Handelns“ begriffen und definiert,<br />

so wäre darüber ihre Reichweite, kreativ-visionäre Qualität<br />

und Gestaltungskraft bestimmbar. Gesamtstrategisches,<br />

also teilstrategieübergreifendes, auf einen möglichst weit<br />

in der Zukunft liegenden Horizont ausgerichtetes Denken<br />

würde dabei nach einer ersten groben Machbarkeitsanalyse<br />

und Ressourcenbedarfs ermittlung in eine konsistente,<br />

widerspruchsfreie strategische Zielsetzung überzuführen<br />

sein, die hinsichtlich ihres Zweckes und ihres Auflösungsgrads<br />

weit von einer Umsetzungsplanung entfernt ist.<br />

Die höhere zeitliche Reichweite einer <strong>Strategie</strong> schafft<br />

Überlegenheit und Vorsprung aber nur dann, wenn die<br />

kreativ-visionäre Qualität der Zielfindung hoch ist <strong>–</strong><br />

Reichweite alleine ist kein Maßstab für die Wirksamkeit<br />

und Gestaltungskraft einer <strong>Strategie</strong>. Die kreativ-visionäre<br />

Qualität einer <strong>Strategie</strong> wird, abgesehen von der Festlegung<br />

des „Suchhorizontes“, maßgeblich dadurch bestimmt, wie<br />

proaktiv sie definiert wird. Je weniger angestrebt wird, auf<br />

bestehende oder aus gedanklicher Fortführung bestehender<br />

Rahmenbedingungen abgeleitete, prognostizierte Entwicklungen<br />

zu reagieren, um schwergewichtsmäßig auf<br />

visionäre Ansätze konzentrieren zu können, umso höher<br />

wird bei gleichem Suchhorizont die Qualität der Zielfindung<br />

ausfallen. Die Erreichung einer derartigen Fokussierung<br />

würde dadurch erleichtert, dass strategisch zielfindende<br />

Zellen definitorisch konsequent von Planungs- und<br />

Umsetzungs- sowie von aktuellen Nachsteuerungsaufgaben<br />

entlastet würden. Eigeninitiative, Ausschöpfung<br />

des Kreativpotentials, Schaffung von Visionen, die nicht<br />

schon von Beginn an den Keim der Konfrontation mit<br />

sich in eine ähnliche Richtung entwickelnden Konkurrenten<br />

in sich tragen („Blue Ocean“-Ansatz), wären dahingehend<br />

als neue Sollforderungen zu definieren, welche die<br />

reaktive Problemlösungsqualität strategischen Denkens in<br />

den Hintergrund drängen müssten.<br />

Eine von Planungs- und Umsetzungsaufgaben entlastete<br />

Zielfindungsqualität würde aber die Definition einer Koordinierungsinstanz<br />

erforderlich machen, welche die Koppelung<br />

der visionären Zielfindung mit dem pragmatischen<br />

Planungsansatz gewährleistet, die Rückwärtsplanung vom<br />

strategischen Ziel mit der vom Beurteilungszeitpunkt<br />

ausgehenden Vorwärtsplanung der Umsetzung harmonisiert<br />

und durch die Abstimmung mit den Ergebnissen<br />

der Machbarkeitsanalyse sowie der Ressourcenbedarfsermittlung<br />

ein Festbeißen an unrealistischen strategischen<br />

Zielen verhindert. Je weiter der Zielhorizont strategische<br />

Ziel-/Richtungsgebung nach vorne definiert wird, umso<br />

eher wird die <strong>Strategie</strong> Überlebenssicherheit auch für Folgegenerationen<br />

bieten und über die eigene Gemeinschaft


hinausgehende gesellschaftliche Entwicklungen fördern<br />

können. Über ein erweitertes Verständnis kulturraumübergreifender<br />

Verantwortung würden politisches „Leadership“,<br />

Nachhaltigkeit und die ethische Dimension<br />

strategischen Denkens eine grundlegende Neubewertung<br />

erfahren.<br />

Hinsichtlich der Gestaltungskraft einer <strong>Strategie</strong> würde<br />

die definitorische Festlegung, dass veränderliche Ausgangsgrößen<br />

nicht statisch in die Machbarkeitsanalyse<br />

Eingang finden, prinzipiell veränderbare aber nicht als<br />

schicksalhaft gegeben akzeptiert werden dürfen, einen<br />

Qualitätssprung bedeuten.<br />

Die Definition einer dem operativen Führungsverfahren<br />

nachempfundenen Methode, mit der deduktiv-theoretische<br />

und empirische Ansätze zu einem synergetischen Ergebnis<br />

verwoben werden, würde es erlauben, das Sollprofil<br />

strategischer Zielgebung zu konkretisieren.<br />

Die Forderung nach synergetischer Bündelung aller teilstrategischen<br />

Ansätze („Comprehensiveness“) zur Vermeidung<br />

von Interferenzen, durch welche die Gestaltungskraft<br />

der Gesamtstrategie geschwächt würde, dürfte<br />

einen wesentlichen definitorischen Faktor darstellen. Dies<br />

erfordert, bei divisionaler Strukturierung in „Ressorts“,<br />

eine horizontale Koordinierung im ersten Prozessschritt<br />

der strategischen Zielfindung auf oberster staatlicher Entscheidungsfindungsebene.<br />

Eine Aussage über die Abbildung<br />

eigens dafür vorgehaltener, beispielsweise in einem<br />

Stab organisierter Arbeitsressourcen, würde die Definition<br />

deutlich schärfen.<br />

Mit der definitorischen Zuordnung von Zeithorizonten<br />

für die strategische Zielgebung bzw. von Planungshorizonten<br />

für die folgenden Prozessschritte und einer<br />

Charakterisierung der in den einzelnen Zeit-/Planungshorizonten<br />

geforderten Aufgabenqualitäten, würde eine<br />

spezifische Auswahl und Ausbildung des Personals ermöglicht.Schließlich<br />

sollte eine zukunftstaugliche Definition<br />

9 Hartmann Uwe: „Carl von Clausewitz, Erkenntnis, Bildung Generalstabsausbildung“, München OLZOG 1998, Seite 43 f.<br />

von <strong>Strategie</strong> auch darüber eine Aussage treffen, ob internationalen,<br />

politisch oder wirtschaftlich wirksamen<br />

Akteuren „strategische Subjektivität“ zuerkannt werden<br />

sollte, sobald sie in der Lage sind, die <strong>Strategie</strong>n demokratischer<br />

Staaten bzw. ihrer Bündnisse oder Gemeinschaften<br />

zu beeinflussen, insbesondere aber sie herauszufordern.<br />

Die „... unter Militärtheoretikern herrschende Verwirrung<br />

selbst über zentrale militärische Begriffe wie <strong>Strategie</strong> und<br />

Taktik ...“ war eines der vier Hauptdefizite, das Clausewitz<br />

der preußischen Kathederlehre anlastete und nicht<br />

nur für semantische Unschärfen, sondern für die schwere<br />

Niederlage in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt<br />

verantwortlich machte 9 .<br />

Auch heute führt eine unklare Definition des <strong>Strategie</strong>begriffes<br />

nicht nur dazu, dass er durch seine fast beliebige,<br />

undifferenzierte und unkommentierte Anwendung dramatisch<br />

an Aussagekraft verliert, sondern vor allem dazu,<br />

dass grundlegende zukunftsorientierte Funktionsprinzipien<br />

strategischen Denkens, welche konstitutiv für die Gestaltungskraft<br />

einer <strong>Strategie</strong> wären, nicht vollinhaltlich<br />

erkannt und folglich konzeptionell, damit gleichzeitig<br />

auch definitorisch, außer Acht gelassen werden. Dadurch<br />

wird das erreichbare Leistungsvermögen einer <strong>Strategie</strong><br />

beschnitten, mögliche Überlegenheit bzw. erzielbarer Vorsprung<br />

verspielt und die Zukunftssicherheit des eigenen<br />

Gemeinwesens sowie ein darüber hinausgehendes Gemeinwohl<br />

gefährdet.<br />

Mit dem vorliegenden Beitrag sollte <strong>–</strong> im Sinne eines zur<br />

Diskussion anregenden Gedankenanstoßes <strong>–</strong> versucht<br />

werden, ausgewählte grundlegende Funktionsprinzipien<br />

strategischer Ziel-/Richtungsgebung zu analysieren und<br />

ihre mögliche Auswirkung auf die Gestaltungskraft der<br />

durch sie zu definierenden <strong>Strategie</strong> aufzuzeigen.<br />

41


Die Geopolitik der USA: Szenarien und kommende Konflikte<br />

Text: Dr. Friedrich W. Korkisch<br />

Aus der Sicht Washingtons:<br />

Neue Mächte auf Expansionskurs, Amerikas Grand<br />

Strategy, und die Marginalisierung Europas<br />

Grundlagen<br />

Geopolitik ist einmal Theorie und Lehre über die Ursachen<br />

staatlicher Macht, dann gelebte makropolitische<br />

Entwicklung. Geopolitik ist raumbezogen: Sie ist geographischer<br />

Ausdruck einer Macht im Verhältnis zu anderen<br />

Mächten. Dabei geht der Gewinn eines Staates zumeist<br />

zu Lasten eines anderen, zeigt das aktuelle Verhältnis der<br />

Mächte zueinander, ist somit stets in Bewegung. Geopolitik<br />

zeigt Kernräume, Einflussgebiete und Konfrontationslinien;<br />

das mag auf Karten oft nicht sichtbar sein, aber<br />

die Instrumente der Geopolitik, nämlich die aktuelle Politik,<br />

militärische Mittel und Wirtschaft, sind Ausdruck<br />

von Machtverhältnissen. Geopolitik ist daher Zustand<br />

wie auch angestrebtes Ziel. Und Geopolitik ist Politik im<br />

weitesten Sinn, also nicht nur ein makrostrategisch-militärischer<br />

Zustand.<br />

Ist Geopolitik die Kombination von Geographie und<br />

Politik, ist die verwandte Geostrategie eine von Politik<br />

und <strong>Strategie</strong>, quasi der Weg, um Macht zu erhalten oder<br />

auszuweiten. Beide nützen Außenpolitik, wirtschaftliche<br />

Stärke, Schwächen von Antagonisten, Militärstrategie<br />

und deren Kapazitäten, Power Projection und rasche und<br />

effektive Force Deployments. 1<br />

Historisch gesehen agierten Mächte und vor allem Seemächte<br />

immer geopolitisch, und dies schon lange bevor<br />

es den Begriff „Geopolitik“ gab, der sich ja eher zögernd<br />

erst nach dem Ersten Weltkrieg verbreitete. Schon in der<br />

Antike hatten Staaten 2 expansiv ausgeholt, später waren es<br />

die europäischen Mächte auf der Suche nach Ressourcen,<br />

Edelmetallen und Absatzmärkten; sie sicherten ihre neu<br />

gewonnen Gebiete durch lines of communication, durch<br />

Flotten, Festungen, Stützpunkten und gezielte Auswanderung.<br />

3 Dies führte, nach dem ökonomisch-politischen<br />

European Miracle am Beginn der Neuzeit, zum späteren,<br />

42<br />

Friedrich W. Korkisch<br />

weitgehend wirtschaftspolitisch determinierten, sich in<br />

mehreren Schüben abspielenden Kolonialismus, der zum<br />

British Empire führte, zu den Kolonien Frankreichs, jenen<br />

von Spanien, Portugal, Italien, der Niederlande, Belgiens<br />

samt Dänemark, dann des Deutschen Reiches, gefolgt von<br />

den Ambitionen der USA und Japans. 4 Russland dehnte<br />

sein Reich bis zum Pazifik, nach Alaska und Kalifornien,<br />

in die Mongolei und bis zum Kaukasus aus.<br />

Geopolitische Prozesse dauern Jahrzehnte, mit langem<br />

Aufstieg von Staaten zu Mittelmächten und dann zu<br />

Großmächten. Abstiege hingegen können galoppierend<br />

sein, wie jener der europäischen Kolonialmächte von<br />

1945 bis 1960, die des Deutschen Reiches oder Japans als<br />

Folge der Niederlagen von 1945 oder der der Sowjetunion<br />

zwischen 1980 und 1990.<br />

In den USA war Expansion (siehe etwa den Spanisch-<br />

Amerikanischen Krieg) überwiegend von territorialen<br />

Überlegungen getragen. Aber, die Kolonien brachten den<br />

Kolonialmächten finanziell wenig, waren immer budgetpolitische<br />

Negativposten. Aber man wollte sie nicht anderen<br />

Mächten überlassen, also etwa die Philippinen nicht<br />

Japan.<br />

1 Militärstrategie ist hier ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von <strong>Strategie</strong>n wie Verteidigungsstrategie, Seestrategie, Luftstrategie, Nuklearstrategie und gleichlautenden Doktrinen etc.<br />

2 Die Anwendung von Seemacht und Handelspolitik der antiken griechischen Stadtstaaten und das Gewinnen von Verbündeten zum Ausmanövrieren konkurrierender Mächte, war ja die Grundlage für Alfred Thayer Mahans Untersuchung<br />

der Seestrategie und deren Übertragung auf seine Zeit.<br />

3 Dies zeigt sich durch die britischen Stützpunkte im Mittelmeer, rund um Afrika und bei der Basis Singapur deren einziger Zweck die Sicherung Indiens war (damals von Afghanistan bis Burma reichend). Die USA verfolgten mit ihren<br />

Stützpunkten zur Sicherung des Panama Kanals und nach 1945 zur Einkreisung der Sowjetunion und dann Chinas und zur Sicherung der Gegenküsten eine ähnliche Konzeption.<br />

4 In diesem Zusammenhang ist der Hinweis interessant, dass die Depression von 1873 (sie dauert bis 1895) Auslöser für den weiteren europäischen Expansionismus in Richtung Afrika und Asien bzw. Balkan und dem Mittleren Osten<br />

war, ausgelöst von England. Waren die ersten Schübe merkantilistischer Natur, gefolgt von Mission und Handelsinteressen, kamen nun innenpolitische Überlegungen dazu: neben den Begründungen, wie White Man’s Burden, Verbreitung<br />

der christlichen Zivilisation etc., ging es um die Ruhigstellung der immer mehr revoltierenden Arbeiter in den europäischen Großstädten.


Geopolitik ist zwangsläufig auch Ideologie: Großbritannien<br />

sah sich als das von Gott auserwählte Volk, so auch<br />

die USA: Diese hatten noch nicht den Pazifik erreicht, da<br />

dachten Autoren, Senatoren und Präsidenten schon an<br />

eine USA von der Arktis bis Feuerland. Die USA hatten<br />

noch keine Flotte, die diesen Namen verdient hätte, aber<br />

man sprach den Pazifik als „American Ocean“ an, und<br />

der Atlantik wurde zum „American Lake“; der Amazonas<br />

wurde zur logischen Verlängerung des Mississippi, Brasilien<br />

die Fortsetzung Floridas. Klar, dass man in London<br />

sich um Kanadas Weiterbestand Sorgen machte.<br />

Senator Albert Beveridge war der Prototyp eines betont<br />

national argumentierenden Politikers, der die Überlegenheit<br />

Amerikas und dessen missionarische Pflicht hervorhob.<br />

Er meinte am 9. Januar 1900 im Senat:<br />

„Mr. President...The Philippines are ours forever. And just<br />

beyond the Philippines are China’s illimitable markets. We<br />

will not retreat from either…We will not abandon our opportunity<br />

in the Orient. We will not renounce our part in the<br />

mission of our race, trustee, under God…and thanks to the<br />

Almighty God that He has marked us as His chosen people…<br />

The Pacific is our Ocean…The power that rules the Pacific,<br />

is the power that rules the world and that power is and will<br />

forever be the American Republic. God has been preparing<br />

the English-speaking and the Teutonic peoples…as the master<br />

organizers of the world…This is the divine mission of America.”<br />

5<br />

Das sind ewig gültige Leitlinien. Amerikanische Weltkarten<br />

zeigen die Westliche Hemisphäre im Zentrum der<br />

Welt. Das zeigt auch den wechselnden „geopolitical tilt“<br />

der USA zwischen Atlantik und Pazifik, heute überlagert<br />

von den energiepolitischen Erfordernissen des Middle East<br />

(aus der Sicht der USA reichte dieser seit 1945 immer von<br />

Mauretanien bis zum Irak, obwohl das State Department<br />

hier den Near East vorgelagert sieht). Zwecks geopolitischer<br />

Trennung Russland von China, betonte Zbigniew Brzezinski<br />

nach 1975 die Bedeutung Zentralasiens für die USA.<br />

Geopolitik ist Politik von Großmächten und da es heute<br />

in Europa solche Mächte nicht mehr gibt, fallen für Europa<br />

solche Überlegungen weg. Dennoch kann man geopolitische<br />

Vorstellungen auch in Europa ausmachen; sie<br />

finden sich etwa in wirtschaftspolitischen Überlegungen,<br />

vor allem in Großbritannien und Frankreich. 6 Nach der<br />

Europäischen Sicherheits-<strong>Strategie</strong> (ESS) vom Dezember<br />

2003 sieht sich Europa auf Grund seiner Bevölkerungszahl<br />

und Wirtschaftskraft als globaler Akteur, ist andererseits,<br />

mit krisenbedingt sich marginalisierenden militärischen<br />

Potentialen unter Titeln wie ESVP, GASP, EVP,<br />

den Verträgen von Amsterdam, Nizza und Lissabon auf<br />

Europa konzentriert. Und die inhaltlich dünne ESS wiederum<br />

stand 2003 noch ganz im Zeichen des interventionistischen<br />

Helsinki Headline Goal, nun heruntergefahren<br />

auf das bescheidene Battle Group Konzept, denn den Rest<br />

macht die NATO.<br />

Die daher in den letzten Jahren genannte Geoökonomie<br />

ist eine andere Ebene; bei ihr können im Rahmen eines<br />

allgemeinen Wirtschaftswachstums viele Staaten gewinnen,<br />

ohne dass andere Staaten deswegen verlieren. Wirtschaftliche<br />

Macht ist - wie schon erwähnt - das Fundament<br />

für die Umsetzung von Geostrategie. Koppelt man<br />

Geoökonomie und Globalisierung, haben die USA und<br />

Europa noch gewisse Vorteile, die aber mit zunehmenden<br />

Einkommensverlusten erkauft werden müssen, denn der<br />

Globalisierungsgewinner ist Asien.<br />

Ein weiteres Element ist der aktive Einsatz kulturpolitischer<br />

Mittel zur direkten und indirekten Beeinflussung<br />

von Völkern innerhalb oder außerhalb des eigenen „geopolitical<br />

arc“. Das wird oft als Geokultur, in den USA nun<br />

Public Diplomacy oder artverwandt Strategic Communication<br />

bzw. konfliktbezogen als Cyber War bezeichnet. 7<br />

Die USA und Geopolitik: Ein Rückblick<br />

Strategische Überlegungen lassen sich bis Thomas Jefferson<br />

zurückverfolgen; in keinem Land haben akademische<br />

und militärische Autoren einen derart großen Einfluss auf<br />

5 Congressional Record, 56th Congress, 1st Session, S 704-712, Superintendent of Documents, Washington, DC, 1901.<br />

6 Etwa im Zusammenhang mit maritimen Überlegungen, Stützpunkten europäischer Staaten (Großbritannien, Frankreich) in Übersee, Interventionskonzepten auf Basis der Battle Groups mit amphibischen Komponenten und des A-400M.<br />

7 Was man früher als Propaganda bezeichnete, doch der Begriff ist seit 1945 eher negativ besetzt.<br />

43


44<br />

DIE GEOPOLITIK DER USA: SZENARIEN UND KOMMENDE KONFLIKTE<br />

das politische, strategische und wirtschaftliche Denken<br />

gehabt wie in den USA <strong>–</strong> sie prägten so das amerikanische<br />

Weltbild. Dabei wurde erst in den letzten 50 Jahren von<br />

Geopolitik gesprochen, davor waren es die Maritime Strategy<br />

(übernommen von der Royal Navy), Grand Design<br />

(Roosevelts Konzept zum Sieg über die Achsenmächte),<br />

Grand Strategy (ein britischer Begriff) oder Political Geography<br />

(aus dem Deutschen übernommen).<br />

Alfred Thayer Mahan (1840-1914) sah Amerika als kommende<br />

Seemacht. Er beschrieb die amerikanische Geopolitik<br />

bevor dieser Begriff existierte. Er betonte die engen<br />

Beziehungen zu Kanada, Großbritannien und Australien,<br />

forderte eine Verteidigung Amerikas weit vor seinen<br />

Küsten, am besten mit Verbündeten an den trans-oceanic<br />

opposite coasts. Die USA müssen sich mit Großbritannien<br />

verbinden, um das Entstehen einer starken feindlichen<br />

Seemacht im Atlantik zu verhindern. Für Amerikas sei aus<br />

wirtschaftlichen Gründen eine “open sea” and „free trade“<br />

wichtig. 8 Und: Mahan sah den kommenden Aufstieg Chinas.<br />

Seine Grundsätze waren:<br />

− Amerika ist eine Insel, die von den beiden großen<br />

Ozeanen umgeben ist.<br />

− Amerika hat eine eigene politische Kultur entwickelt,<br />

die für die ganze Welt ein Beispiel abgeben wird.<br />

− Amerika hat alle erforderlichen Rohstoffe und Industrien,<br />

um zu einer führenden Macht aufzusteigen.<br />

− Amerika benötigt eine starke Marine mit Schlachtschiffen.<br />

− Der Bau eines Kanals, am günstigsten in Panama,<br />

ist vordringlich; damit können beide Flotten, je<br />

nach Bedarf, durch eine „Swing Strategy“ verstärkt<br />

werden.<br />

− Amerikas natürliche Feinde sind Japan und<br />

Russland.<br />

Die Kontrolle der Gegenküsten begleitet daher die amerikanische<br />

Geopolitik seit einem Jahrhundert. Mahan gilt<br />

auch als Schöpfer der Begriffe Middle East, National Interest,<br />

National Strategy, National Security, National Cha-<br />

racter, National Policy, Common Defense, Political Strategy,<br />

Strategic Lines, Sea Frontier, Operations of War, Grand<br />

Tactics und von Doctrine für den Bereich Sea Power. 9<br />

Auch Halford Mackinder (1861-1947) hatte bedeutenden<br />

Einfluss auf das geopolitische Denken aller Mächte nach<br />

1918. Er versuchte nach 1918 eine Nachkriegsgestaltung<br />

Osteuropas und des Mittleren Ostens. Er befürwortete<br />

1924, wie William Stead zuvor, eine „Atlantic Community“<br />

mit den USA. Mackinder erkannte vor seinem Tod,<br />

dass die Sowjetunion, bei einem weiteren Anwachsen ihrer<br />

wirtschaftlichen und militärischen Stärke, zwangsläufig<br />

zum größten Gegner für die westlichen Demokratien<br />

werden musste, und schlug ein Bündnis der USA, von<br />

Großbritannien und Frankreich vor. 10 Er hatte maßgeblichen<br />

Einfluss auf Karl Haushofer, Isaiah Bowman, James<br />

Burnham und Nicholas Spykman, später auf Robert<br />

Strausz-Hupe, Henry Kissinger, Zbigniew Brzezinski, Colin<br />

Gray, Mackubin T. Owens, wie Mahan auf zahllose<br />

Militärs, aber auch auf die sowjetische Geopolitik. Heute<br />

kann man rund 100 bedeutende Autoren ausmachen, die<br />

das makropolitische und strategische Denken der USA<br />

prägten.<br />

Spykman sah zehn Faktoren, die darüber entscheiden, ob<br />

ein Staat schwach oder stark sei: Die Größe, seine Grenzen,<br />

die Homogenität der Bevölkerung, Rohstoffe, die<br />

zivilisatorische und industrielle Entwicklung, der technische<br />

Standard, Wohlstand, Kapital, Moral, die soziale<br />

Integration und politische Stabilität, capital accumulation,<br />

ethnic homogeneity, social integration, innere Stabilität und<br />

Moral. Betreffend der USA drehte er Mackinders Theorie<br />

um und meinte:<br />

“Who controls the Rimland rules Eurasia, who rules Eurasia,<br />

controls the destinies of the world. …The main political objective<br />

of the United States ... both in peace and war, must be<br />

… to prevent unification of the Old World centers of power in<br />

coalition hostile to her own interest.” 11<br />

8 Alfred T. Mahan: The Influence of Sea Power Upon History; Mahan on Naval Strategy. Selections from the Writings of Rear Admiral Alfred Thayer Mahan. Little, Brown & Co., Boston, 1890, Reprint by Dover Publications, New York, 1987;<br />

Alfred Thayer Mahan (With an Introduction by John B. Hattendorf): Mahan on Naval Strategy. Selections from the Writings of Rear Admiral Alfred Thayer Mahan. Naval Institute Press, Annapolis, MD, 1991.<br />

9 Mahan war bei Kaiser Wilhelm II. ebenso populär wie bei Lord Fisher und der Royal Navy, oder in der Kaiserlichen Japanischen Marine. Er konnte aber weder die Bedeutung der U-Boote erkennen noch die des Flugzeuges.<br />

10 James E. Dougherty, Robert L. Pfaltzgraff: Contending Theories of International Relations. Lippincott-Longman, London, New York, 5th Ed., 2001. S. 162-163.<br />

11 Nicholas Spykman: The Geography of Peace. Harcourt, Brace & Co., New York, 1944, S. 43-44.


Damit herrscht Seemacht über Landmacht, auch Luftmacht<br />

über Landmacht.<br />

Der Politologe Hans J. Morgenthau sah acht ‚elements<br />

of national power‘, die die Stellung eines Staates (wie die<br />

USA) im internationalen Gefüge ausmachen: Geographie,<br />

Ressourcen, industrielle Kapazität, militärisch Macht, die<br />

Größe der Bevölkerung, den „national character“, die „national<br />

morale“, und die Qualität der Diplomatie. 12<br />

Colin Gray, Autor zahlreicher Bücher über Geopolitik,<br />

<strong>Strategie</strong> und die Außenpolitik der USA, meinte ebenfalls,<br />

die USA können die Rimlands kontrollieren und von dort<br />

aus eine Expansion des Heartland verhindern. Man sollte<br />

die Staaten am Rimland unterstützen, sodass diese dem<br />

Druck aus den Heartland besser widerstehen können.<br />

Gray (The Continued Primacy of Geography; The Geopolitics<br />

of Super Power) sieht die NATO als ideale Organisation<br />

zur Kontrolle des europäischen Rimland.<br />

„The United States is an insular power of continental size.<br />

Both psychologically and in terms of military logistics, its traditionally<br />

protective oceanic distances retain major strategic<br />

significance in the nuclear missile age … The oceanic isolation<br />

of the United States from Europe and Asia can be a source<br />

of security or insecurity, depending upon the balance of naval<br />

strength.” 13<br />

Neue geopolitische Konzepte: Weder eine Fortress<br />

America, noch ein Battleship America<br />

Moderne Geopolitik ist nicht nur das Entsenden von<br />

Flotten und Luftverbänden, der Unterhalt von Militärbasen<br />

und Interventionen zur Abhaltung störender fremder<br />

Interessen etwa in den umstrittenen Randzonen, denn<br />

eine klare Demarkationslinie wie der Eiserne Vorgang ist<br />

historisch gesehen eher atypisch. Moderne Geopolitik ist<br />

auch Auslands- und Katastrophenhilfe, Assistenzen, Austausch<br />

von Wissenschaftlern und Studenten, Zugang zu<br />

Ressourcen, ist multilaterales Handeln, wenn vorteilhaft,<br />

und unilaterales, wenn erforderlich.<br />

Isolationistische Ideen, wie eine Fortress America nach<br />

1930 (man erinnere sich an die Ideen einer „Fortress Europe“<br />

Ende der achtziger Jahre als Option zum Vertrag<br />

von Maastricht), sind angesichts globaler Interdependenzen<br />

irreal und Pat Buchanan vertritt daher eine Weltsicht,<br />

die eher zu 1940 passt. Anders Robert Art, der Verfasser<br />

des Buches A Grand Strategy for America. Schon in den<br />

siebziger Jahren kam es nach Vietnam zu neuen strategischen<br />

Überlegungen, die Robert Art als Off Shore Balancing<br />

und unter Anwendung eines Selective Engagement als<br />

mögliche Rückzugsvariante von der „Global Cop“-Rolle<br />

bezeichnete. Selective Commitment entspricht einem begrenzten<br />

Interventionismus, angelehnt an die Battleship<br />

America-Konzepte von 1937/38, aber ganz im Sinne des<br />

modernen National Interest. Hier liegt somit keine spezielle<br />

„Grand Strategy“ vor, sondern ein globales Handeln<br />

nach den aktuellen internationalen Entwicklungen. Die<br />

USA intervenieren immer dann, wenn es das eigene Nationale<br />

Interesse gebietet. Art machte den Begriff Off Shore<br />

Balancing zu einem Teil des geostrategischen Vokabulars. 14<br />

Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater unter Präsident<br />

Carter, ist einer der herausragenden geopolitischen Denker<br />

der Gegenwart: Die europäischen Mächte und Russland<br />

haben abgedankt, nunmehr kommt es zur Konkurrenz<br />

mit den aufsteigenden Mächten China und Indien.<br />

Amerika sei in der vorteilhaften Position, dass es wie ein<br />

Zuseher seine Macht konservieren kann. Brzezinski beschreibt<br />

die amerikanische Geopolitik für das 21. Jahrhundert<br />

als eine Eindämmung Eurasiens. 15 Denn alle<br />

Gefahren für Amerika werden von Eurasien ausgehen.<br />

Brzezinski verlangte daher zwecks geopolitischer Trennung<br />

der Sowjetunion von China ein amerikanisches Engagement<br />

in Zentralasien. Indien ist ein ideales Glacis für<br />

amerikanische Interventionen, denn nach dem Verlust des<br />

Irans 1979, bleibt sonst nur Israel als verlässlicher Verbündeter.<br />

Niemand weiß, wie sich die Türkei oder ägypten<br />

entwickeln werden.<br />

12 Hans J. Morgenthau: Politics Among Nations. McGraw Hill, New York, 1948 (Reprint 1993), S. 124-158; James Dougherty, Robert Pfaltzgraff: Contending Theories. S. 75-80.<br />

13 Colin S. Gray: The Geopolitics of Superpower. The Univ. Press of Kentucky, Lexington, KY, 1988, S. 45. Dieses Buch hatte die Chance, das vermutlich wichtigste nach 1945 verfasste Werk über Geopolitik zu werden, wenn nicht durch<br />

den Untergang der Sowjetunion (das Kernthema von Gray) die Masse seiner Überlegungen hinfällig geworden wären.<br />

14 Robert Art: A Grand Strategy for America. Cornell Univ. Ithaca, London, UK, 2003, S. 87-90. Der Verfasser hatte Gelegenheit in San Francisco mit Art ein längeres Gespräch zu führen.<br />

15 Zbigniew Brzezinski: The Grand Chessboard. American Primacy and its Geostrategic Imperatives. Basic Books, New York, 1997. S. 30-31.<br />

45


46<br />

DIE GEOPOLITIK DER USA: SZENARIEN UND KOMMENDE KONFLIKTE<br />

Der von Mackinder, Spykman und Paul Kennedy beeinflusste<br />

Robert Kaplan, sieht die Gefahren ebenfalls von<br />

Eurasien ausgehend, dort befänden sind instabile „shatter<br />

zones“, mit religionsspezifischen Paranoias, mit unkontrollierbaren<br />

und durch Bevölkerungsüberschüsse sich<br />

ausbreitenden Megastädten ohne Ordnung, die sich mit<br />

Raketen und Massenvernichtungswaffen gegenseitig bekämpfen,<br />

aber auch gegen die westliche Welt schlagen<br />

könnten. Indien kann zerfallen, so auch Pakistan und Saudi<br />

Arabien (die Ölstaaten werden nach und nach wieder<br />

verarmen), dazu neue Bündnisse vom Mittleren Osten bis<br />

China; am Ende des 21.Jahrhunderts wird nichts mehr so<br />

sein wie an dessen Beginn. 16<br />

Die überragende Kernfrage:<br />

Welche Zukunft für den Westen?<br />

Welche Zukunft steht den westlichen Demokratien und<br />

Industriestaaten in Zukunft bevor? Keine sichere und<br />

auch keine im Sinne der vergangenen 150 Jahre mit stetigem<br />

Fortschritt, Wachstum und wachsendem Wohlstand,<br />

nur unterbrochen von Kriegen, die eher Schrittmacher für<br />

den weiteren Aufstieg Europas und der USA waren. Aufgrund<br />

einer sich seit 1980 abzeichnenden Entwicklung eines<br />

nach unten weisenden Trends und demographischem<br />

Abstieg, stehen den westlichen Industriestaaten härtere<br />

Zeiten bevor. Der gegenwärtige Trend verstärkt (a) Verluste<br />

bei der globalen politischen Rolle, (b) bei Produktion,<br />

Handel und <strong>Innovation</strong>en und (c) die demographischen<br />

Entwicklungen führen vor allem in Europa und Japan zu<br />

ernsten Problemen bei der weiteren Finanzierung ökonomischen<br />

Wachstums und der sozialen Kosten. Das National<br />

Health Program von Obama ist daher, so Ökonomen,<br />

gar nicht finanzierbar.<br />

Wohlstand, Bildung, <strong>Innovation</strong>en und Investitionen verlagern<br />

sich, aber nicht im Sinne einer globalen Verbesserung<br />

für die Armen, sondern zunächst in Form von Verlusten<br />

für die klassischen Industriestaaten. Das könnte, so<br />

einige Futuristen, dazu führen, dass europäische Facharbeiter<br />

auf Job-Suche in Billiglohnländer ausweichen müs-<br />

16 Robert D. Kaplan: The Revenge of Geography, Foreign Policy, May/June 2009, http://www.foreignpolicy.com.<br />

17 Hierzu zahlreiche Kommentare und Beiträge, siehe z.B. Martin Wolf: Why the West Faces a Harsher Future, FT.com, 12. Juli 2010.<br />

sen, weil sie in 20 oder 30 Jahren in Europa keine Beschäftigung<br />

mehr finden.<br />

Stephen King, Ökonom und Berater großer Banken, ist<br />

der Autor des Buches Losing Control: the Emerging Threats<br />

to Western Prosperity (yale University Press, New Haven,<br />

CT, 2010) und er sieht eine sich verschärfende Disparität<br />

zwischen den sich abzeichnenden Entwicklungen auf<br />

der einen, und der naiven Haltung vieler Politiker auf der<br />

anderen Seite; letztere glauben, der nach 1945 eingeschlagene<br />

Weg könne weiter verfolgt werden, es bedürfe nur<br />

kleiner Korrekturen. Nur, Europa, Russland, die USA und<br />

Japan vereinigen auf sich gerade 14 % der Weltbevölkerung,<br />

Tendenz sinkend. 17<br />

Die Europäische Union ist immer dann, wenn sie auf eine<br />

eigenständige Politik pocht, fast automatisch auf einem<br />

Kurs, der sich den amerikanischen Intentionen entgegenstellt.<br />

Das zeigte sich 2009 und 2010 in mehreren Fällen,<br />

etwa bei Fragen der Terrorbekämpfung, bei der Rüstungskontrolle,<br />

den Atomwaffen in Europa, bei der Lösung der<br />

Wirtschaftskrise, Reglementierungen von Banken und<br />

diversen Abgaben. Und viele europäische Staaten stellen<br />

sich seit vielen Jahren im Streit Israels mit den arabischen<br />

Staaten und Palästinensern gegen Israel und die USA.<br />

Andererseits haben die USA unter Präsident Obama kaum<br />

klare Ziele, wenngleich solche in zahllosen <strong>Strategie</strong>papieren<br />

und außenpolitischen Richtlinien vorgegeben sind. So<br />

versucht Obama eine positive Entwicklung in Richtung<br />

Russland, China, Indien und Europa, überlagert durch<br />

eine Israel-kritische Haltung des Weißen Hauses und eine<br />

starke Anbiederung an die islamischen Staaten, während<br />

Hillary Clinton die traditionellen Wege nicht verlassen<br />

will. Viele dieser Handreichungen bleiben unerwidert,<br />

können bestehende Spannungen nicht aus der Welt schaffen.<br />

Maßgebliche Politiker, wie etwa Senator Joseph Lieberman<br />

(D, CT), haben die Politik von Präsident Obama<br />

als „politics in dissaray“ kritisiert.


Für die USA sind enge Beziehungen zu Großbritannien,<br />

den Baltischen Staaten, Polen, Bulgarien und Rumänien<br />

sinnvoll, sie markieren und garantieren die Trennlinien<br />

zum russischen Einflussbereich. Die USA sehen sich aber<br />

in Europa immer wieder vor neue unkalkulierbare Problemen<br />

gestellt und gute Beziehungen zu Finnland oder<br />

Schweden sind bereits wichtiger, als solche zu einigen verbündeten<br />

NATO Staaten.<br />

USA, Europa: Die Transatlantischen Beziehungen<br />

Die immer stärkere Annäherung der Bundesrepublik<br />

Deutschland an Russland unter Bundeskanzler Gerhard<br />

Schröder 2003/2005 und die Anbiederung von Präsident<br />

Jacques Chirac an Putin, hatte in Washington ärger und<br />

Besorgnis ausgelöst. In Moskau sprach man von einer<br />

„Neuen Weltordnung“, aber in den USA fragten Kommentatoren,<br />

ob man es mit einem neuen Rapallo zu tun<br />

habe und Chirac entdeckte die Anti-NATO-Haltung von<br />

DeGaulle. Andere sahen eine Politik, die an die Achse<br />

Paris-Moskau und das Rote Madrid während des Spanischen<br />

Bürgerkrieges erinnere. Aber Frankreich ging es<br />

damals um eine Doppelstrategie: Eine Annäherung an<br />

Moskau zwecks Kontrolle von Deutschland und dessen<br />

Distanzierung zu Washington, London und zur NATO.<br />

Damit konnte aber Putin Paris und Berlin gleichermaßen<br />

kontrollieren und versuchen, über die Energiefrage, die<br />

deutsche Politik (negativ) zu beeinflussen. Das schürte<br />

in Washington und London Misstrauen, während Berlin<br />

zwischen „prowestlichen“ Loyalitätserklärungen und gegenläufigen<br />

Wirtschaftsinteressen hin und her schwankte.<br />

Es war paradoxerweise Joschka Fischer, der mit seiner Pro-<br />

NATO-Politik erfolgreich gegensteuerte.<br />

Typisch war in diesem Zusammenhang die Kritik vieler<br />

europäischer Politiker an den amerikanischen Raketenabwehrprojekten<br />

in Europa, wo viele Regierungen sich nicht<br />

scheuten, von einem „aggressiven“ amerikanischen Vorgehen,<br />

einem neuen Wettrüsten und neuem Kalten Krieg zu<br />

sprechen. Was dabei übersehen wurde, war die Erklärung<br />

russischer Militärs, dass diese Raketen für Russland keine<br />

Gefahr bedeuten und man auf Europa ohnedies Atomraketen<br />

richten könne. Washington gab nach und holte<br />

doppelt aus: Bessere Raketen am Balkan, Radars in Israel<br />

und Tschechien, rund 60 Patriot PAC3 in Polen, abgesegnet<br />

durch die NATO, plus 135 Atomwaffen in Europa.<br />

Diese Politik um die Gunst Moskaus wurde von Sarkozy<br />

durch eine Wendung in Richtung Washington und<br />

NATO beendet, weil für Frankreich in diesem Spiel nichts<br />

zu gewinnen war. Auch alle britischen Regierungen banden<br />

sich in den letzten 50 Jahren fest an Washington,<br />

besonders nach der deutschen Wiedervereinigung. Dazu<br />

kommt eine hohe Abhängigkeit der meisten EU-Staaten<br />

von russischer Energie und eine steigende Abhängigkeit<br />

der deutschen Wirtschaft von Aufträgen aus Russland.<br />

Die Meinung, dass die russische Regierung von den Einnahmen<br />

aus den europäischen Erdgas- und Ölimporten<br />

genauso abhängig ist wie Europa von diesen Energielieferungen<br />

ist ein „strategischer“ Irrtum: Europa ist von der<br />

Energie und von den Exporten nach Russland gleichermaßen<br />

abhängig, Russland muss sich nur nach den Weltmarktpreisen<br />

richten und trachten, Liefermonopole und<br />

Verteilungsmonopole in der Hand zu behalten, wofür es,<br />

wie man erkennen konnte, bereit ist auch bis zum äußersten<br />

politischen Druck auszuüben.<br />

Kommentatoren verweisen zunehmend auf die Richtigkeit<br />

der langfristigen Beurteilungen der Bush-Administration<br />

und diversen Experten (samt den drastischen äußerungen<br />

des damaligen Vizepräsidenten Cheney), die in der EU<br />

einen potentiellen Antagonisten erkannten und daher versucht<br />

hatten, Brüssel und die europäischen Regierungen<br />

verlässlicher an Washington zu binden, also eine geopolitische<br />

Ausrichtung gegen Russland und China, etwa auch<br />

in Richtung Mittlerer Osten, Zentralasien und Afrika. Als<br />

im Herbst 2009 bei einer Übung in Belarus amphibische<br />

Landungen und A-Waffeneinsätze gegen Polen geübt wurden,<br />

nahm die EU dies trotz Vorstellungen Polens stillschweigend<br />

hin.<br />

47


48<br />

DIE GEOPOLITIK DER USA: SZENARIEN UND KOMMENDE KONFLIKTE<br />

Der Bruch in der NATO:<br />

Das gestörte Verhältnis zur Türkei<br />

Im Frühjahr wurde in mehreren Kommentaren in amerikanischen<br />

Zeitschriften das Verhältnis der Türkei zu den<br />

USA beleuchtet. Das Verhältnis beider Staaten war auch<br />

in der Vergangehiet immer wieder schwer belastet. Der<br />

Bruch kam Ende 2002 als sich die Türkei weigerte, ohne<br />

erhebliche finanzielle Zahlungen, amerikanischen Truppen<br />

die Operation gegen den Norden des Iraks zu gewähren,<br />

was man in Washington als glatte Erpressung einstufte.<br />

18 Der Genozid gegen die Armenier belastet schubweise<br />

das Verhältnis zu den USA, zu Frankreich, den Niederlanden,<br />

Dänemark etc.<br />

Dazu kam der von der Türkei vorsätzlich eingeleitete<br />

Bruch mit Israel, der seit 2008 erkennbar wurde, und<br />

in Folge der Vorgänge auf den die israelische Blockade<br />

des Gaza-Streifens ansteuernden Schiffen an Intensität<br />

zunahm. 19 Die Massen in den arabischen Staaten sehen<br />

daher Ankara als neuen Verbündeten und weniger die eigenen<br />

Regime.<br />

In den USA mehren sich die Stimmen, die von einer<br />

Reorientierung der Türkei warnen. Stephan Sestanovich<br />

(Professor an der Columbia University, New york) nannte<br />

die Türkei einen „Wayward Ally“ 20 . Die Türkei verwandelt<br />

sich von einer Demokratie in einen islamischen Staat,<br />

der sich immer stärker vom Westen, von Europa und von<br />

der NATO abwendet. Mit dem Amtsantritt der Regierung<br />

von Recep Erdogan und der Entmachtung des prowestlich<br />

orientierten Militärs (eine schwerwiegende Fehlleistungen<br />

der Europäischen Union, die dies als Voraussetzung für<br />

Verhandlungen betreffend einer EU-Mitgliedschaft machte),<br />

hat die Regierung weitgehenden innenpolitischen<br />

Handlungsspielraum.<br />

Auf der Oberfläche ist die Türkei modern, hat gute Beziehungen<br />

zu seinen Nachbarn und es gibt noch die ferne<br />

Option eines EU-Beitritts. Aber unter der Oberfläche gibt<br />

es andere gefährliche Strömungen: Der bekannte Autor<br />

Thomas L. Friedman stellte in der New york Times (Letter<br />

from Istanbul, 15. Juni) fest, dass sich die Türkei völlig<br />

verändert habe. Nun ist man auf dem Wege einer raschen<br />

Islamisierung, man ist mit dem Iran im bestem Einvernehmen,<br />

die EU ist in den Massenmedien kein Thema<br />

mehr, man zeigt Sympathien für die Hisbollah und Hamas.<br />

Die Regierung betrachtet die EU als „christlichen<br />

Club“. Friedman: „The EU’s rejection of Turkey, a hugely<br />

bad move, has been a key factor prompting Turkey to move<br />

closer to Iran and the Arab world.”<br />

Die Türkei kann ihre Politik deswegen leichter ausspielen,<br />

weil ägypten nunmehr in einer schwachen Position ist,<br />

der Irak der Türkei nichts in den Weg legt, wenn diese<br />

gepanzerte Kolonnen auf irakisches Gebiet schickt und<br />

Ziele im Norden bombardiert. Syrien ist wiederum froh,<br />

sich von Teheran etwas absetzen zu können. Erdogan stritt<br />

auch die Vorwürfe gegen den sudanesischen Präsidenten<br />

Omar Hassan Al-Bashir wegen Völkermordes ab. Ankara<br />

warf nach dem Angriff kurdischer Rebellen am 30./31.<br />

Mai auf die Marinebasis İskenderun (7 türkische Soldaten<br />

getötet), die Frage auf, ob denn die Israelis nicht doch<br />

die PKK unterstützen würden. Am 9. Juni 2010 war Washington<br />

erneut verärgert, als sich die Türkei weigerte, im<br />

UN-Sicherheitsrat den Sanktionen gegen den Iran zuzustimmen,<br />

während sogar China und Russland den amerikanischen<br />

Text akzeptierten. Die amerikanische Botschafterin<br />

bei der UNO Susan Rice übte daher an der Türkei<br />

ungewohnt scharfe Kritik 21 und Verteidigungsminister<br />

Robert Gates verband diese Haltung mit einer Kritik an<br />

der EU:<br />

„If there’s anything to the notion that Turkey is moving eastwards,<br />

it is in no small part because is was pushed, and it was<br />

pushed by some in Europe refusing to give Turkey the kind of<br />

organic link to the west that Turkey sought.“ 22<br />

Im Hintergrund stehen natürlich auch anti-amerikanische<br />

Positionen. Erdogan ist aber pragmatisch genug, um zu<br />

wissen, dass er den Bogen nicht überspannen darf. Er<br />

18 Die Türkei forderte in Gesprächen Summen bis zu 11 Mrd. Dollar. Die USA boten 6 Mrd. Dollar, was die Türkei als zu gering ablehnte; der 4. Inf Div wurde dann im März 2003 tatsächlich die Ausschiffung untersagt.<br />

19 Auf der unter türkischer Flagge fahrenden Mavi Marmara kam es am 31. Mai 2010 zur Enterung des Schiffes mit neun getöteten Türken. Unbeschadet des überzogenen Vorgehens Israels, war der gesamte Vorfall eine Provokation der<br />

türkisch-palästinensischen Seite.<br />

20 In: The New Republic, 1. Juli 2010.<br />

21 State Department Press Release, 9. Juni 2010: “These are very unfortunate choices… They are standing outside the rest of the Security Council, outside the body of the international community…”<br />

22 Zitat in Financial Times, S.1, 9. Juni 2010: Daniel Dombey: Turkey Opposes Iran Sanctions.


hat die Streitkräfte kalt gestellt, die die PKK nicht in den<br />

Griff bekommen, und durch den Geheimdienst werden<br />

Gespräche der hohen Militärs abgehört und potentieller<br />

politischer Widerstand durch Verhaftungen verhindert.<br />

Da die liberalen Parteien zerstritten und handlungsunfähig<br />

sind, kann die Regierung auch zunehmenden Druck<br />

auf kritische Medien ausüben, die Erdogan, so Thomas<br />

Friedman, als „Israel’s contractors… and Tel Aviv’s lawyers“<br />

bezeichnete. Dazu gehörte auch das Vorgehen gegen den<br />

regierungskritischen Medienkonzern Dogan im Herbst<br />

2009. Damit wird für die USA die Türkei zum Problem.<br />

In den USA gibt es Stimmen, die das schlechte Verhältnis<br />

zur Türkei Obama selber anlasten, der es verabsäumt<br />

hatte, der Türkei klar die Grenzen eines NATO-Mitglieds<br />

aufzuzeigen. Man habe, trotz Warnungen, das bilaterale<br />

Verhältnis als in der NATO gut eingebettet und daher als<br />

ausreichend fest betrachtet. Denn dass ein angeblich enger<br />

Verbündeter der USA offen eine konträre Politik betreibt,<br />

und dafür dann noch Beifall erwartet, kam nach 1945<br />

eher selten vor.<br />

Die Krise Türkei-USA ist hingegen eine grundsätzliche,<br />

eine jenseits von Erdogan oder der AKP, jenseits von EU<br />

und NATO: Sie berührt geopolitische, strategische, kulturelle<br />

und wertespezifische-ideologische Fragen der Türkei<br />

selber. Das hat letztlich negative Auswirkungen auf den<br />

Versuch der USA, in den islamischen Staaten Demokratie,<br />

westliche Werte und Menschenrechte zu verankern.<br />

Amerika und China<br />

Es ist paradox, dass die USA gerade mit China seit 1931<br />

freundschaftlich verbunden waren und sogar Mao von<br />

den USA unterstützt wurde, während man zu Japan nie<br />

eine tiefe Freundschaft entwickelte, so wie man in Japan<br />

die Niederlage 1945 nie verkraftet hat und in keinem anderen<br />

Land die Geschichte so stark umgeschrieben wurde,<br />

samt dem Stillschweigen über die Gemetzel an der chinesischen<br />

und koreanischen Zivilbevölkerung, die nie geahndet<br />

wurden.<br />

Unbeschadet dieser Reminiszenzen ist das Verhältnis seit<br />

1946/47 gestört, seit 1990 militärstrategisch zunehmend<br />

gespannt und wirtschaftlich zunehmend belastet, zusätzlich<br />

wegen Chinas Unterstützung für Nord Korea, den<br />

Iran und Burma. Dazu kommt der starke Einfluss auf den<br />

Failed State Pakistan und dessen offene Unterstützung der<br />

Taliban. Und Russlands jüngster geopolitischer Traum einer<br />

Allianz mit China war gegen die USA gerichtet, aber<br />

in dieser von Putin geförderter Allianz hat nun das wirtschaftlich<br />

starke und militärisch wesentlich stärkere China<br />

das Sagen, nicht Russland, in dessen asiatischem Teil gerade<br />

11 Millionen Menschen leben. Und China blickt auf<br />

den Süden Sibiriens…<br />

Thomas Donnelly vom American Enterprise Institute<br />

(AEI) sieht China als klassischen potentiellen Gegner der<br />

USA und kritisiert Obama und Verteidigungsminister<br />

Gates, sich in sinnlosen „Counterinsurgency Wars“ zu<br />

verstricken und die geostrategische Ziele der USA nicht<br />

zu berücksichtigen; ähnlich sieht dies auch Thomas P. M.<br />

Barnett, Professor am Center for Naval Warfare/Naval<br />

War College, in seinem Buch Great Powers: America in the<br />

World After Bush (Putnam Publ. Group, New york, 2009).<br />

Das unterkühlte Verhältnis von Russland zu China ist<br />

noch kein Vorteil für die USA, da China für seine Politik<br />

in Asien und im Westpazifik Russland gar nicht benötigt.<br />

Für Japan wiederum wird ein stärker werdendes China<br />

ebenso zum Problem, wie ein nukleares Nordkorea. Aber<br />

die von Japan verursachten historischen Belastungen vom<br />

ausgehenden 19. Jahrhundert bis 1945 verhindern einen<br />

freundschaftlichen Neubeginn zwischen Japan und seinen<br />

asiatischen Nachbarn. Für viele asiatische Staaten bleiben<br />

nur die USA als möglicher Verbündeter. Japan wiederum<br />

riskiert das Verhältnis zu Washington aus „nationalen“<br />

(sprich neu erwachten nationalistischen) Gründen aufs<br />

Spiel zu setzen, kann aber hier seine Optionen erweitern<br />

(siehe die Stützpunktfragen in Okinawa), weil die USA<br />

Japan als Gegenküste benötigen.<br />

49


50<br />

DIE GEOPOLITIK DER USA: SZENARIEN UND KOMMENDE KONFLIKTE<br />

China sieht sich daher von den USA und Japan eingeengt,<br />

will seine Machtprojektion daher maritim zur Geltung<br />

bringen und hält sich Nord Korea als irrationale Land-<br />

Drohkulisse, eben „One Boot on Sea and One on Shore“.<br />

Es gerät so auf Kollisionskurs zu den USA. Pekings Flottenbauprogramme<br />

gehen über eine „continental navy“ hinaus.<br />

Taiwan ist dabei nur mehr ein Hindernis mit Zeitablauf.<br />

23<br />

China könnte um 2025 versucht sein, mit seiner Flotte<br />

den West-Pazifik unter Kontrolle zu bringen, könnte Japan<br />

links liegen lassen und Guam und Hawaii bedrohen<br />

und (so wie Japan 1942) die Verbindungslinien zwischen<br />

Nordamerika und Australien gefährden. Gegen eine solche<br />

Bedrohung müssten die USA ihre alten Basen (wie<br />

Tinian, Saipan, Noumea, Wake, Midway, Samoa) ausbauen<br />

und Kräfte weiter vorne dislozieren, also in Japan und<br />

Südkorea, allenfalls auch in Vietnam und Thailand, sogar<br />

die geräumten Basen auf den Philippinen werden seit den<br />

Spannungen mit China wieder interessant und werden logistisch<br />

angelaufen.<br />

So haben die USA insofern reagiert, als sie im Juli 2010<br />

Atom-U-Boote mit Tomahawk Marschflugkörpern nach<br />

Subic Bay (Philippinen) und Pusan (Süd Korea) vorübergehend<br />

verlegt haben, wo sie seit Jahrzehnten keine U-<br />

Boote mehr stationiert hatte. Peking hat diese Verlegung<br />

sofort als gegen sich gerichtet kritisiert.<br />

Und noch ein weiterer Schritt wurde gesetzt: Im Raum<br />

Hawaii fanden 2010 große Manöver statt (Rim of the Pacific<br />

2010), an den Übungen nahmen fast 100 Schiffe,<br />

über 200 Flugzeuge und rund 25.000 Mann der USA,<br />

von Australien, Kanada, Bangla Desh, Brunei, der Philippinen,<br />

Singapur, Chile, Kolumbien, Frankreich, Indonesien,<br />

Japan, Süd Korea, Malaysia, der Niederlande, Peru,<br />

Singapur und Thailand teil, mit Vietnam als Beobachter,<br />

also eine klassische, „anti-kontinentale“ Seekoalition von<br />

eurasischen Randstaaten, im traditionellem seestrategischen<br />

Sinn Mahans, und in Richtung der von den USA<br />

23 Siehe: Bill Powell: The Chinese Navy: How Big a Threat to the U.S.?, TIME, 21. April 2010.<br />

geförderten Idee einer „1000 Ship Navy“ diverser locker<br />

verbündeter Staaten möglicher Coalitions of the Willing.<br />

Amerika und Russland<br />

Das amerikanisch-russische Verhältnis hatte sich zwischen<br />

1992 und 1995 völlig neu gestaltet, war aber im letzten<br />

Jahr der Präsidentschaft Jelzins durch die expansive Politik<br />

der wieder an die Macht gekommenen alten Kader<br />

abgekühlt und bewegte sich unter Putin schrittweise auf<br />

das Niveau des Kalten Krieges zurück, auch wenn man<br />

„offiziell“ in Washington auf eine intensive Besuchsdiplomatie<br />

Wert legt und gemeinsame Interessen betont, etwa<br />

im Kampf gegen den Terrorismus, in Umweltfragen und<br />

in der Raumfahrt. Damit enden aber bereits solche Interessen.<br />

Und inoffiziell, im Kongress, bei der CIA, DIA<br />

und im Defense Department spricht man eine deutlichere<br />

Sprache. Russischer Chauvinismus, die Versuche die alte<br />

Sowjetunion wieder herzustellen <strong>–</strong> auch innenpolitisch <strong>–</strong><br />

sind auch für Russlands Nachbarn eine Bedrohung.<br />

Dazu kommen laufende feindselige Aussagen russischer<br />

Militärs an die Adresse der USA und der NATO, die<br />

Drohung mit Atomwaffen, demonstrative Flüge nächst<br />

Guam, über amerikanische Kriegsschiffe, an der Grenze<br />

von Alaska (und in internationalen Zonen der nördlichen<br />

Polarregion), den Virgin Islands beim Flug von<br />

Langstreckenbombern nach Caracas, mehrfach hart an<br />

den Hoheitsgebieten von Norwegen und Großbritannien.<br />

Daher kam es seitens der USA zu scharfen verbalen Reaktionen.<br />

Nach den vorsätzlichen Aggressionshandlungen<br />

2008 gegen Georgien (und Abtrennung von für Russland<br />

interessanten Gebieten zwecks Wiedergewinn von Marinebasen<br />

und Flugplätzen, die 1991 verloren gegangen<br />

sind), kam nun der Machtwechsel in der Ukraine, mit<br />

einer „Re-Sowjetisierung“ des politischen Systems durch<br />

Präsident Janukowitsch: Unterdrückung regierungskritischer<br />

TV-Stationen und Radiostationen wegen „fehlender<br />

Papiere“ oder „Nichteinhaltung von Vorschriften“, umgehende<br />

Außerkraftsetzung von Gesetzen, Nichterteilung<br />

von Einreisegenehmigungen für westliche Journalisten


wegen „Einmischung in die inneren Angelegenheiten des<br />

Landes“, Gleichschaltung der Luftverteidigung und der<br />

Geheimdienste mit jenen Moskaus, Verstärkung der russischen<br />

Schwarzmeer-Flotte „zur Abwehr des gemeinsamen<br />

Feindes“ etc., das alles ist binnen weniger Monate nach<br />

den Wahlen umgesetzt worden.<br />

Im Westen hatte es ja nicht wenige naive Experten gegeben,<br />

die gemeint hatten, ein Rückfall der Ukraine in totalitäre<br />

Verhaltensweisen sei „denkunmöglich“, denn die<br />

Ukraine hätte sich nach 1995 zu einer echten Demokratie<br />

entwickelt. Daher ist man erstaunt, wenn der Leiter des<br />

Geheimdienstes SBU in einem neue geschaffenen Gremium<br />

nun auch die Richter des Landes ernennt und Oppositionsparteien<br />

und Demonstrationen kaum mehr geduldet<br />

werden. Hauptfeinde der Ukraine sind nun wieder die<br />

NATO und die USA. Daher sollte man meinen, die EU<br />

würde das kritisieren; sie will aber dennoch engere Beziehungen<br />

zu Kiew, was man derzeit dort eher ignoriert.<br />

Russland wäre ohne Atomwaffen eben eher (im Sinne von<br />

Helmut Schmidt) ein gigantisches Rohstoff-reiches Ober-<br />

Volta. Im Hintergrund drohen Russland zwei Gefahren:<br />

Der Islam bedroht den Süden des Landes und China den<br />

Osten von Sibirien - gegen beide Gefahren gibt es kaum<br />

Verbündete, auch nicht Indien. Daher ist die Anbiederung<br />

an die EU im Rahmen einer von Moskau erarbeiteten<br />

neuen „Europäischen Sicherheitsordnung“ der Versuch,<br />

sich im Westen eines Europas zu versichern, das ohne<br />

die USA und NATO handlungsunfähig ist und Russland<br />

dann nicht mehr bedrohen könnte. Als Köder verspricht<br />

man wirtschaftliche Verflechtungen und verweist auf kulturelle<br />

Bindungen und vermeintlich gemeinsame Werte. 24<br />

An dieser Frage würde die EU, die NATO, das deutschamerikanische<br />

Verhältnis und vieles mehr zerbrechen und<br />

in Europa einen Zustand herbeiführen, der das Ergebnis<br />

des Zweiten Weltkrieges und den Ausgang des Kalten<br />

Krieges völlig umstößt: Russland wäre nun der finale<br />

Sieger. Dass die USA daher Europa von Russland fern<br />

halten wollen, ist ebenso logisch, wie die Bindungen von<br />

Großbritannien, Frankreich oder von Polen an die USA,<br />

ergänzt von der Angst vieler Staaten vor einer dann geduldeten<br />

russischen Expansionspolitik. Geschichte ist aber<br />

nicht nur in Europa präsent: Jene nach 1914 wird auch in<br />

den USA immer wieder in Erinnerung gerufen.<br />

Amerika und Indien<br />

Indien ist auf Grund der russisch-chinesischen Annäherung<br />

immer mehr von Moskau abgerückt, denn wenn<br />

Russland aus unterschiedlichen Motiven seine Rüstungs-<br />

und Ersatzteillieferungen aussetzen sollte, wäre Indien,<br />

das bei Hi-Tech Systemen fast zu 100 % von Russland<br />

abhängig ist, in einer schwierigen Lage. Dazu kommen<br />

chinesische Verbündete wie Burma und Avancen an die<br />

Adresse von Bangla Desh. Sollte China an der afrikanischen<br />

Ostküste Stützpunkte „einkaufen“, würde es geostrategisch<br />

Indien einkreisen. Zudem stoßen islamistische<br />

Ziele und Hindu-Radikalisierungen aufeinander. Indien<br />

suchte daher die geopolitische Option USA, samt einem<br />

Ausholen nach Madagaskar, den Seychellen oder Süd-<br />

Afrika.<br />

Die USA wiederum erkannten in Indien einen natürlichen<br />

Partner im Eindämmen eurasischer Koalitionen,<br />

womit Indien zur strategischen Gegenküste wird, aber die<br />

USA wollen sich auch nicht in die asiatischen Konflikte<br />

jenseits des eigenen National Interest hineinziehen lassen.<br />

Amerika und Lateinamerika<br />

Lateinamerika war für die USA schon immer eine unkontrollierbare<br />

Manövriermasse von Staaten, die zwischen<br />

enger Anbindung an die USA bis totale Konfrontation<br />

schwankten, was ja auch der Grund für die Gründung<br />

der Organization of American States (OAS) war, plus der<br />

zahllosen politischen und militärischen Interventionen<br />

der USA in diesem Raum. Brasilien kann es sich leisten,<br />

zwischen Nähe und Abstand zu den USA zu wählen, aber<br />

die Staaten, die zu den USA mehr Distanz hielten, sind im<br />

Rückblick betrachtet schlechter gefahren als jene Staaten,<br />

24 Dass diese Idee besonders in Deutschland Zustimmung findet, kann, unter Bezug zu völlig anderen geschichtsträchtigen nationalen Reminiszenzen, nicht überraschen. Interessant ist jedoch, dass dabei Themen wie Georgien, Armenien,<br />

Drohungen gegen die Baltischen Staaten, Nuklearwaffen gegen Europa, Fragen betreffend der Zukunft von Königsberg oder die Raubkunst nicht angesprochen werden.<br />

51


52<br />

DIE GEOPOLITIK DER USA: SZENARIEN UND KOMMENDE KONFLIKTE<br />

die sich enger an die USA anlehnten. Solange daher kein<br />

Staat in Lateinamerika mit einer feindlichen Macht einen<br />

Pakt eingeht (wie in der Vergangenheit Argentinien, Kuba<br />

oder Nicaragua), sehen die USA diverse Entwicklungen<br />

wie in Venezuela und Bolivien gelassen.<br />

Weniger harmlos sind jedoch die Dauerkonflikte um<br />

Grenzen, die fast jeder Staat in Südamerika mit seinen<br />

Nachbarn hat; noch dazu, wo dann sehr rasch solche Staaten<br />

sich lautstark kriegsbereit geben. Probleme schaffen<br />

auch in den nächsten Jahrzehnten die Bevölkerungsexplosion,<br />

Armut, Radikalisierungen, Korruption, Drogenkartelle<br />

und die Unfähigkeit der meisten Regierungen Veränderungen<br />

einzuleiten.<br />

Amerika, Afghanistan, Islam und Israel<br />

Dass nach sieben Kriegsjahren in Afghanistan amerikanische<br />

Geologen dort Eisenerz, Kupfer, Erdgas, Gold, Kobalt,<br />

Lithium und andere Metalle entdeckten, mag Hamid<br />

Karsai erfreut haben, aber ein Drittel aller Rohstoffe im<br />

Land werden bereits von chinesischen Firmen ausgebeutet,<br />

die sich bezüglich Angriffe von Talibans und anderer<br />

Clans in Schweigen hüllen. Peking zahlt auf die Privatkonten<br />

der afghanischen Politiker in Dubai und Teheran<br />

zweistellige Millionen-Dollarbeträge ein, und afghanische<br />

Politiker haben Villen in den Emiraten und in den Nobelvierteln<br />

von Teheran. Afghanistan ist daher kein sicherer<br />

Verbündeter der USA, auch nicht der Irak, nicht ägypten,<br />

eher schon Marokko oder Jordanien.<br />

Das enge amerikanisch-israelische Verhältnis stört die Beziehungen<br />

der USA zur arabischen und islamischen Welt.<br />

Obamas Versuche hier gegenzusteuern und Druck auf Israel<br />

auszuüben, hat zwar die Israel-Lobby in den USA gegen<br />

Obama aufgebracht, die Stimmung in den arabischen<br />

Staaten aber nicht verbessert. Von ägypten bis Pakistan<br />

sehen 60 % der Bevölkerung die USA als „Feind“.<br />

Afrika<br />

Die USA hatten bereits unter Präsident Kennedy die<br />

Wichtigkeit Afrikas erkannt, aber aus der Sicht von Henry<br />

Kissinger ging es zunächst strategisch um ein Niederhalten<br />

kommunistischer Regime und Förderung von prowestlichen<br />

Guerillas, was auch gelang. Nach dem Jom Kippur<br />

Krieg galt es die Einkreisung Israels zu verhindern und die<br />

sowjetischen Stützpunkte in ägypten, yemen, äthiopien<br />

und jene der Satelliten in Angola, Mozambique und Namibia<br />

wegzubekommen, was ebenfalls gelang!<br />

Mit der Installierung von AFRICOM 2006 haben sich die<br />

USA in Afrika politisch, ökonomisch und militärstrategisch<br />

etabliert. Es geht dort aber nicht um Russland, sondern<br />

um die Inbesitznahme von Ressourcen durch China,<br />

nun auch durch Indien und Brasilien, wo sich neue Achsen<br />

von Venezuela, Bolivien, Kuba, Brasilien, Zimbawe,<br />

Sudan, Südafrika und Burma gebildet haben. Rund 50<br />

der 54 Staaten Afrikas sind Failed States, daran wird sich<br />

schon deswegen nichts ändern, da Afrikas Bevölkerung<br />

von derzeit rund 900 Mio. bis 2040 auf 1,8 Mrd. steigen<br />

könnte.<br />

In Afrika ist Europa auf den Rückzug, denn es hat in<br />

völliger Verkennung der Politik Chinas versucht, seine<br />

Geschäftsbasis immer mehr auf die Grundlage von Menschenrechten,<br />

Verbot der Kinderarbeit, Umweltschutzauflagen,<br />

Arbeitsnormen und Verbot von Zwangsarbeit<br />

zu errichten. Chinesische Unterhändler sprechen solche<br />

Hindernisse erst gar nicht an und die Bestechung politischer<br />

Instanzen erfolgt über großzügige „Entwicklungsprojekte“.<br />

Außerdem ist Europa im Falle von Konflikten in Afrika,<br />

bis auf die Restinteressen Frankreichs, nur mehr Zuseher,<br />

da es nach der misslungenen Tschad-Intervention kaum<br />

mehr militärisch intervenieren wird und unwirksames<br />

Peace Keeping kann die African Union auch selber. Europa<br />

ist in Afrika für die USA daher kaum eine Hilfe.<br />

Neue Mächte, neue Antagonisten<br />

Neue Staaten, auch solche mit repressiven politischen<br />

Systemen, werden Europa überholen und in diesem sind<br />

wachsende ungleiche Einkommensverhältnisse das Fundament<br />

für interne Destabilisierungen. Die Globalisierung<br />

begünstigte die aufstrebenden Staaten und leitete die


Schwächung der alten Industriesaaten ein, die glaubten,<br />

offenen Märkte wären auch unbegrenzte Exportmärke. In<br />

Wirklichkeit wurden die westlichen Industriestaaten Exportmärkte<br />

für die Billiglohnländer, ein Zustand, an dem<br />

Japan, die USA und Europa leiden, aber auch Russland,<br />

dessen Industrie nach 1990 völlig zusammengebrochen<br />

ist. Neuerdings legen die aufstrebenden Staaten sogar die<br />

Preise für ihre Importe fest, zwingen zu Investitionen im<br />

Inland und behindern immer mehr den Kapital-Reexport<br />

erwirtschafteter Unternehmensgewinne. Dies ist eine neue<br />

Art eines dirigistischen Staatskapitalismus zwecks Bereicherung<br />

einer dünnen Oberschicht. Es wird zu neuen<br />

Handelsblöcken, zu neuen strategischen Regionalstrukturen<br />

und Konfrontationen kommen.<br />

Militärisch sind bereits rund ein Dutzend Staaten konventionell<br />

stärker als EU-Europa, das Interventionen sehr<br />

gerne den USA überlässt, diese dann gerne als „imperialistisch“<br />

kritisiert.<br />

Die Antwort für den Westen liegt in mehr Leistung und<br />

in der Bereitschaft zu mehr Risiko; wer nur versucht den<br />

erreichten Wohlstand abzusichern, beschleunigt nur den<br />

Niedergang. Wer sich nicht in die Arktis traut, wird einen<br />

hohen Preis zahlen. Das ist auch der Kern der amerikanischen<br />

Kritik an der europäischen Sparvariante: Zu geringe<br />

Dynamik bei Bekämpfung der gegenwärtige Wirtschaftskrise,<br />

Angst vor inneren Destabilisierungen.<br />

Geopolitik und Failing-/Failed States:<br />

Abschottung oder schrittweise Integration?<br />

Thomas Barnett (The Pentagon’s New Map) sieht global<br />

drei Typen von Staaten: (1) Jene mit einem voll funktionsfähigen<br />

politischen und wirtschaftlichen System, die<br />

man auch als den functioning core bezeichnen kann, (2)<br />

deren “Umgebung” mit eher weniger stabilen und im<br />

Core nicht-integrierbarer Staaten, schließlich (3) den Arc<br />

of Crisis oder Arc of Instability, in dem sich die „failing<br />

states“ befinden; dieser Arc reicht von Lateinamerika über<br />

Afrika und Südasien bis Indonesien.<br />

Die USA müssen Staaten des Typs (1) führen. Der sta-<br />

bile Kern muss sich daher gegen die instabilen Staaten<br />

abschotten und sich mit stabilisierten Staaten umgeben.<br />

Instabile Staaten wandern vor allen zwischen den Typen<br />

(2) und (3). Dazu gehört aber auch, instabile Systeme zu<br />

stabilisieren (z.B. Irak, Afghanistan, Pakistan, yemen).<br />

Man kann die Staaten auch noch anders einteilen, nämlich<br />

in pro-demokratische, die einem bestimmten Rule Set<br />

folgen, und dann die anderen, die sich mittelalterlich oder<br />

als Anarchien gegen westliche Organisationen, bestehende<br />

Normen und sonstige Regeln richten.<br />

Barnett und andere Autoren sehen neue aufsteigende<br />

Mächte, welche die USA in den kommenden Jahrzehnten<br />

auch wirtschaftlich und technologisch herausfordern<br />

könnten (Brasilien, Indonesien), sehen jedoch die Probleme<br />

der nächsten Jahrzehnte eher in den failed und failing<br />

states, deren Liste nicht kürzer sondern eher länger wird,<br />

ergänzt etwa durch Kuba, Venezuela, Pakistan und Bangla<br />

Desh. Eine mögliche Konfrontation mit China sehen<br />

einhellig alle Prognosen, sei es die CIA, RAND und andere<br />

Think Tanks, Dutzende Studien und Vision-Papers<br />

wie auch die Experten der National Defense University in<br />

Washington, DC.<br />

Damit wird das 21. Jahrhundert zu Korrekturen der amerikanischen<br />

Geopolitik führen. Konkurrierenden Mächte<br />

werden mit zunehmenden militärischen Potentialen und<br />

Atomwaffen eher mehr gewaltbereit sein (auch untereinander)<br />

als im Augenblick, was wenig positive Ausblicke<br />

ermöglicht. Wer daher eine Integration in die International<br />

Society, also von Staaten mit geordneten Beziehungen<br />

und friedlicher Streitbeilegung verweigert, muss, wie<br />

in der Vergangenheit, als potentieller Antagonist gesehen<br />

werden.<br />

53


Clausewitz and Contemporary War<br />

Text: Antulio J. Echevarria II<br />

Many of Carl von Clausewitz’s modern-day critics maintain<br />

that his definition of strategy <strong>–</strong> which is the “use of<br />

engagements to accomplish the purpose of the war” <strong>–</strong> is<br />

too narrow to be applied to contemporary warfare. 1 The<br />

central argument of these critics is that Clausewitz’s definition<br />

is based on the idea of disarming the enemy, but<br />

most conflicts since World War II have not had that aim. 2<br />

One critic goes so far as to say that Western strategic thinking<br />

is currently in a crisis because it is using a Clausewitzian<br />

paradigm that is inappropriate for solving the types<br />

of conflicts the West is facing today. 3 Some scholars contend<br />

that Clausewitz’s ideas regarding the nature of war<br />

remain useful for the twenty-first century; but that still<br />

leaves open whether his concept of strategy, which seems<br />

to rest on the winning of battles or engagements, has some<br />

utility. 4 This question is particularly acute since modern<br />

counterinsurgency doctrine appears to place a greater priority<br />

on protecting the populace than on defeating insurgents<br />

in battle. This article examines Clausewitz’s concept<br />

of strategy and identifies where it is adequate and where it<br />

falls short in light of the needs of contemporary warfare.<br />

Interestingly, Clausewitz’s definition of strategy is both<br />

narrower and broader than many of his interpreters realize.<br />

It is narrower because it is based on only one means,<br />

combat or violence, and because it pertains only to<br />

the employment of the military instrument of power, and<br />

only in wartime. His definition is broader in the sense that<br />

the idea of violence also includes the threat of violence,<br />

which means it includes any number of military operations,<br />

even those in which fighting rarely occurs.<br />

A Combat-Centric Theory of War<br />

Clausewitz’s masterwork, Vom Kriege, is nothing less than<br />

an attempt to achieve a Copernican-style revolution in<br />

military theory. It is an effort to bring military theory<br />

back to the reality of war <strong>–</strong> by acknowledging the importance<br />

of factors such as violence, friction, and genius, all<br />

of which make war complex. Just as Copernicus’ theory of<br />

54<br />

Antulio J. Echevarria II<br />

the planetary systems demonstrates that the earth revolves<br />

around the sun, so Clausewitz’s Vom Kriege contends that<br />

combat or fighting is the essence of war. Vom Kriege was,<br />

in short, an explicit rejection of the views of some Enlightenment<br />

military writers, such as Heinrich Dietrich von<br />

Bülow (1757-1807), who overlooked the importance of<br />

battle, or dismissed it altogether. Bülow claimed, among<br />

other things, that certain geometric principles related to<br />

angles and bases, if applied properly, would suffice to<br />

bring about victory, making an actual battle unnecessary.<br />

“The history of our times,” Clausewitz declared, “has destroyed<br />

this illusion.” 5 Indeed, for Clausewitz, Napoleon’s<br />

basic approach of seeking battle appeared, at least initially,<br />

to trump other methods.<br />

In contrast to Bülow, Clausewitz believed that war had<br />

only one true means, fighting or combat, which included<br />

simple encounters or engagements as well as major battles.<br />

Fighting “is the only real means in war; everything else<br />

merely supports it.” 6 As he explained, “Every strategic act<br />

comes back to the idea of an engagement, because strategy<br />

is the use of military forces, and the idea of the engagement<br />

lies at the root of that use.” 7 Or, expressed in the lan-<br />

1 Carl von Clausewitz, Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz, 19th Ed., ed. Werner Hahlweg (Bonn: Ferd. Dümmlers, 1991), Book III, Chap. 1, p. 345; hereafter, Vom Kriege.<br />

2 Compare: Martin van Creveld, The Transformation of War (New York: Free Press, 1991); John Keegan, A History of Warfare (New York: Alfred A. Knopf, 1994); Mary Kaldor, New & Old Wars: Organized Violence in a Global Era (Stanford:<br />

Stanford University, 1999); Jeff Huber, “Clausewitz is Dead,” Proceedings 127, no. 3 (March 2001): 119-21; John E. Shephard, “On War: Is Clausewitz Still Relevant,” Parameters (September 1990): 85-99.<br />

3 Jan Willem Honig, “Strategy in a Post-Clausewitzian Setting,” in Gert de Nooy, ed., The Clausewitzian Dictum and the Future of Western Military Strategy (The Hague: Kluwer Law International, 1997).<br />

4 Compare: Antulio J. Echevarria II, Clausewitz and Contemporary War (Oxford University, 2007); Beatrice Heuser, “Clausewitz’s Concept of Strategy and its Relevance for Today”, conference paper, “Clausewitz in the 21st Century,” Oxford<br />

University, March 21, 2005; David J. Lonsdale, The Nature of War in the Information Age: Clausewitzian Future (London: Frank Cass, 2004); Jan Angstrom and Isabelle Duyvesteyn, eds., The Nature of Modern War: Clausewitz and His Critics<br />

Revisited (Stockholm: Swedish National Defense College, 2003); Stuart Kinross, “Clausewitz and Low Intensity Conflict,” Journal of Strategic Studies 27, no. 1, (March 2004): 35-58; Uwe Hartmann, Carl von Clausewitz and the Making of<br />

Modern Strategy (Potsdam: Miles, 2002), 42-46. Colin S. Gray, Modern Strategy (Oxford: Oxford University, 1999), 17.<br />

5 Vom Kriege, IV, Chap. 11, p. 470.<br />

6 Vom Kriege, IV, Chap. 1, p. 419.<br />

7 Vom Kriege, IV, Chap. 3, p. 422-23.


guage of economics, the “decision by arms is for all major<br />

and minor operations in war what the simple settling of<br />

accounts is in commerce; however remote this transaction<br />

is, however seldom such settlements occur, they could never<br />

be absent entirely.” 8 As Clausewitz further explained:<br />

We consider a major battle to be a decisive element, though<br />

admittedly not the only one, that would be necessary in a<br />

war or a campaign... [even] an intended battle is, to the extent<br />

allowed by circumstances, to be considered the temporary<br />

means <strong>–</strong> and thus the center of gravity (Schwerpunkt) of the<br />

entire war plan. 9<br />

Despite the emphasis placed on major battles in this<br />

passage, Clausewitz’s theory was about much more than<br />

simply seeking Napoleonic-style decisive battles to achieve<br />

military victory. The broadness of his theory became<br />

especially evident later as his campaign studies revealed<br />

the limitations of the Corsican’s approach, particularly in<br />

the campaign of 1812. Napoleon was not able to bring the<br />

Russians to a decisive battle; even at Borodino he allowed<br />

the Tsar’s army to escape, and thus was eventually defeated<br />

by an improvised strategy of attrition or exhaustion.<br />

Accordingly, Clausewitz’s mature strategic theory is more<br />

accurately described as being founded on the principal of<br />

destruction (and the threat of it), rather than the principle<br />

of decisive battles. His concept bears little resemblance<br />

to the theory of battles or wars of annihilation, which<br />

some historians have ascribed to the German way of war<br />

from the nineteenth to the mid-twentieth century. 10 Clausewitz<br />

defined destruction as simply the reduction of an<br />

opponent’s forces at a rate proportionally greater than that<br />

at which one’s own losses occur; it might range in degree<br />

from total to an amount sufficient to cause an enemy to<br />

withdraw.<br />

To be sure, the primary purpose of an engagement or a<br />

battle was to destroy the combat capacity of an adversary.<br />

However, it could also be to conquer or defend an area, or<br />

to deceive an enemy; in short, the purpose depended upon<br />

circumstances. 11 There were two components to destroying<br />

an opponent’s combat capacity: physical and psychological.<br />

Destroying an adversary’s psychological capacity,<br />

or breaking his will to fight, was considered more important<br />

diminishing physical capacity, or occupying territory;<br />

loss of morale was the “predominant cause of a decisive<br />

outcome.” 12 At times the mere threat of incurring physical<br />

losses could carry sufficient psychological force to induce<br />

an adversary to surrender, thereby making an actual battle<br />

unnecessary. 13 In other words, if battles and engagements<br />

did not occur, it was, in Clausewitz’s view, due to the fact<br />

that one or more parties decided that the threat of destruction<br />

was too high.<br />

The fact that violence is the essence of war in Clausewitz’s<br />

scheme does not preclude the use of strategic measures<br />

that do not involve combat directly, such as dividing an<br />

opposing alliance, or gaining new allies, or initiating favorable<br />

political events. Clausewitz valued all of these, and<br />

believed that they could “offer a much shorter way to the<br />

aim than the destruction of hostile armed forces;” there<br />

were, in fact, “many ways to the aim,” and most do not require<br />

the overthrow of one’s opponent. 14 In his view it was<br />

at root the threat of destruction that gave such measures<br />

their potential.<br />

The Nature of Contemporary Missions<br />

The fact that Clausewitz’s definition of strategy, like his<br />

concept of war in general, is centered on combat, and on<br />

the threat of it, enables it to encompass those missions and<br />

forms of war in which fighting is considered peripheral<br />

rather than central. Such missions have been known by<br />

various names over time; they have been associated with<br />

low-intensity conflict or operations other than war, and<br />

are being performed more frequently in the new post-<br />

Cold War strategic environment. In 1990, for instance, as<br />

the Cold War ended, the United Nations had five peacekeeping<br />

operations underway, excluding those on the Korean<br />

peninsula, involving about 10,000 troops; whereas in<br />

2006, it had 18 such operations taking place with nearly<br />

8 Vom Kriege, I, Chap. 2, p. 226.<br />

9 Vom Kriege, IV, Chap. 11, p. 471.<br />

10 Compare: Jehuda L. Wallach, Dogma der Vernichtungsschlact (Frankfurt a. M.: Bernard u. Graefe, 1967); Jan Philipp Reemtsma, “The Concept of the War of Annihilation: Clausewitz, Ludendorff, Hitler,” in War of Extermination: The German<br />

Military in World War II, 1941-1944, Hannes Heer and Klaus Naumann, eds., (New York: Berghahn, 2000), 12-35.<br />

11 Vom Kriege, IV, Chap. 4, p. 427; Chap. 3, p. 423; Chap. 5, p. 437.<br />

12 Vom Kriege, IV, Chap. 4, p. 429.<br />

13 Vom Kriege, IV, Chap. 4, p. 433.<br />

14 Vom Kriege, I, Chap. 2, pp. 218-19, p. 221.<br />

55


56<br />

CLAUSEWITZ AND CONTEMPORARy WAR<br />

73,000 troops involved, and peacekeeping costs had risen<br />

from $800 million in 1990 to $41 billion in 2006. 15 Even<br />

accounting for the significant number of combat missions<br />

that took place in Iraq and Afghanistan, the trend is still<br />

upward. The following is a partial list of those missions in<br />

which fighting is not necessarily central:<br />

Show of Force<br />

activities to reassure allies, deter threats, and gain influence.<br />

Arms Control<br />

locating, seizing, and destroying weapons; support to arms<br />

control regimes.<br />

Peace Operations<br />

supporting diplomatic efforts to establish peace settlements<br />

and treaties.<br />

Noncombatant Evacuations<br />

relocating threatened civilian noncombatants.<br />

Humanitarian and Civic Assistance<br />

assistance conducted in conjunction with military<br />

training.<br />

Security Assistance<br />

providing defense articles, military training, and related<br />

services.<br />

Support to Counter-Drug Operations<br />

interdiction of illicit drug traffic.<br />

Combating Terrorism<br />

offensive and defensive measures to counter terrorism.<br />

Foreign Internal Defense<br />

assisting governments in combating lawlessness and insurgency.<br />

Support to Insurgencies<br />

logistical and training support to insurgencies opposing<br />

hostile regimes.<br />

Domestic Support Operations<br />

supporting state and local governments in emergencies.<br />

Foreign Humanitarian Assistance<br />

supporting other governments in emergencies. 16<br />

Obviously, such missions require the capacity to threaten<br />

combat, as well as to deter it, to inflict damage on foes, as<br />

well as to protect noncombatants. Thus, they fit comfortably<br />

within the duality that characterizes the Clausewitzian<br />

paradigm. It is up to military training and education to<br />

prepare officers and soldiers to balance this duality.<br />

This duality also means that Clausewitz’s paradigm applies<br />

equally well to guerrilla warfare and terrorism. The<br />

threat of destruction is certainly implied whenever one<br />

side chooses to avoid a stand-up fight, and seeks instead<br />

to apply violence more parsimoniously or more discretely,<br />

as is the case in these two types of war. A careful reading<br />

of Clausewitz’s work reveals that he understood how<br />

insurgencies, guerrilla wars, and partisan activities differ<br />

in nature from conventional fighting. We find ample evidence<br />

for this in Vom Kriege, Book VI, Chapter 26, “Arming<br />

the Populace,” where he noted that such conflicts<br />

had become a “feature (Erscheinung) of the nineteenth<br />

century.” 17 In 1810 and 1811, he also delivered a series<br />

of lectures at the Kriegsschule on the subject of small wars<br />

(Kleinkrieg), which were based on his analyses of French<br />

operations in the Vendee and the Spanish insurrection<br />

against Napoleon. 18 For the most part, the lectures were<br />

tactical in orientation, aimed at instructing junior officers<br />

in techniques appropriate for countering guerrillas and<br />

partisans. 19 However, he recognized both the advantages<br />

and disadvantages of popular uprisings, and even urged<br />

the Prussian monarchy to pursue a strategy of insurrection<br />

against Napoleon during the French occupation. Clausewitz,<br />

like Antoine-Henri Baron de Jomini (1779-1869),<br />

believed that partisan activities could aid in resisting an<br />

invading force by disrupting its lines of communication,<br />

harassing its outposts and detachments, and destroying its<br />

supply depots. 20<br />

Combat is actually only one component of Clausewitz’s<br />

concept of strategy. The second is purpose, which is divided<br />

into the political objective (Zweck) and the military<br />

aim (Ziel ). This dual purpose-means rationale is similar to<br />

those taught in most military and defense colleges today.<br />

15 UN Peacekeeping Operations, Feb 28, 2006: http://www.un.org/depts/dpko/dpko/bnote.htm.<br />

16 Huba Wass de Czege and Antulio J. Echevarria II, “Toward a Strategy of Positive Ends,” National Security Studies Quarterly 8, no. 1, (Winter 2002): 1-26.<br />

17 Vom Kriege, VI, Chap. 26, p. 799.<br />

18 Carl von Clausewitz, “Meine Vorlesungen über den kleinem Krieg, gehalten auf der Kriegs-Schule 1810 und 1811,” in Carl von Clausewitz: Schriften—Aufsätze—Studien—Briefe, 2 vols., Werner Hahlweg, ed., (Göttingen: Vandenhoeck &<br />

Ruprecht 1990), vol. I, 208-599.<br />

19 Werner Hahlweg, “Clausewitz und der Guerilla-Krieg,” in Freiheit ohne Krieg, Beiträge zur <strong>Strategie</strong>-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorien von Carl von Clausewitz, ed., U. de Maizière (Bonn: Dümmler, 1980), 349-58.<br />

20 Robert B. Asprey, War in the Shadows: The Guerrilla in History (London: Macdonald, 1975).


Within Clausewitz’s framework, strategy aligns the instrument<br />

of violence with the military aim (Ziel ) so that it will<br />

accomplish the war’s political purpose (Zweck). The military<br />

aim, in turn, provides the focal point for the war plan,<br />

and sets the goals and parameters for each campaign plan.<br />

In short, “strategy determines when, where, and with what<br />

forces, the fighting will occur; by means of this threefold<br />

determination it exerts a very important influence on the<br />

outcome of the engagement.” 21<br />

Clausewitz also believed that strategy should maximize the<br />

probability, as well as the rewards, of victory. This activity<br />

was the “quiet labor” of strategy, for which the strategist<br />

rarely received recognition. 22 Strategy performed this labor<br />

by providing every possible advantage to the commander<br />

whose task it was to win the engagements, and to accomplish<br />

other assigned tasks. Such advantages included, but<br />

were not limited to: having the greatest possible numerical<br />

superiority over one’s opponent, making the best use of<br />

the geographic circumstances of the theater of war, and<br />

implementing measures to protect one’s lines of communication<br />

and supply. Vom Kriege addresses five elements<br />

of strategy which influence the outcome of engagements:<br />

(1) intellectual and psychological factors, such as the genius<br />

of the commander and the experience and spirit of the<br />

military force; (2) physical elements, which included the<br />

size, composition, and the nature of the arms of the military<br />

force; (3) mathematical or geometrical factors, such as<br />

lines of operation and converging attacks; (4) geographical<br />

elements, such as the influence of rivers, mountains, and<br />

other types of terrain; and (5) statistical factors, such as<br />

logistical support and maintenance. 23<br />

Clausewitz wrote that, for strategy, there was also “no<br />

such thing as victory.” 24 Victory belonged to the realm of<br />

tactics. Strategy’s main concern was success, and it succeeded<br />

whenever it properly set the conditions for tactical<br />

victories, and fully exploited those victories. In short,<br />

strategy made tactical victories possible, and linked them<br />

together in a purposeful way. The onus was on strategy<br />

to establish conditions that would increase the likelihood<br />

of tactical victory, and to take an active role in exploiting<br />

that victory once it is achieved. In contrast, contemporary<br />

definitions tend to require tactics to find a way to succeed<br />

within the parameters set by strategy. The essential difference,<br />

then, is that under Clausewitz’s concept, strategy<br />

facilitates tactical success, while contemporary definitions,<br />

influenced in part by the doctrine of limited war, tend to<br />

circumscribe it.<br />

Limitations of the Concept<br />

Clausewitz’s definition of strategy only pertains to the application<br />

of force in wartime. It is, thus, closer to campaign<br />

strategy than to military strategy in the contemporary sense.<br />

Nonetheless, it does offer a conceptual foundation for a<br />

broader strategic doctrine today, such as that advanced by<br />

Colin Gray, who defines strategy as “the use that is made<br />

of force and the threat of force for the ends of policy.” 25<br />

Unlike contemporary writers, Clausewitz did not address<br />

the full gamut of military forces or missions, nor how to<br />

integrate them with other means, such as economic or<br />

diplomatic. Today, it is common to advocate for the integration<br />

of naval, air, space, and land power, as well as<br />

diplomatic, economic, and informational means.<br />

The use of military forces in peacetime is clearly not the<br />

subject of Vom Kriege, but contemporary military strategy<br />

must take such use into account. These forces routinely accomplish<br />

important tasks such as the training of allies and<br />

coalition partners, and practicing deployments and redeployments,<br />

which advance national interests by keeping<br />

strategic relationships renewed. Peace may be the ultimate<br />

object of war, as Clausewitz acknowledged, but war, as he<br />

defined it, occurs whenever one party resists the violent<br />

actions of another. That definition actually captures the<br />

state of affairs in many of the so-called peace operations<br />

taking place across the globe today, even if war has not<br />

been officially declared. Nor would it be wrong to extend<br />

the definition to include counter-terrorism and counterdrug,<br />

and similar operations, where the bulk of the forces<br />

21 Vom Kriege, III, Chap. 1, p. 345; II, Chap. 1, p. 277, Chap. 8, p. 373.<br />

22 Vom Kriege, IV, Chap. 12, p. 475.<br />

23 Vom Kriege, III, Chap. 2, p. 354. Psychological elements are discussed further in Book III, Chaps. 3-7, 10; physical elements in Book III, Chaps. 8, 9, 11-14; geometric elements in Book III, Chap. 15, and Book VI, Chaps. 4, 14, 24; statistical<br />

elements in Book III, Chaps. 16, 18, and in Book V, Chaps. 14-16; and geographic elements are discussed in several chapters in Books V, VI, and VII.<br />

24 Vom Kriege, VI, Chap. 3, p. 622.<br />

25 Gray, Modern Strategy, 17.<br />

57


58<br />

CLAUSEWITZ AND CONTEMPORARy WAR<br />

involved are paramilitary or law-enforcement in nature.<br />

Conclusion<br />

As this article has shown, contemporary scholars and analysts<br />

who claim that Clausewitz’s definition of strategy is<br />

obsolete have overlooked the many ways in which force<br />

and the threat of force are already being used in the postmodern<br />

era. Such uses will not necessarily accomplish every<br />

political purpose, but they are prerequisites to success.<br />

Force cannot solve economic, demographic, health, and<br />

other problems, particularly those aggravated by globalization.<br />

However, it can provide security for key personnel,<br />

installations, and other essential resources while those<br />

problems are being solved. In such missions, the ability<br />

to threaten destruction and, if necessary, to carry it out<br />

counts for a great deal.


Joint Forces Training als Teil der NATO-Transformation<br />

Text: Generalleutnant Karlheinz Viereck<br />

„Nichts ist beständiger als der Wandel.“ Dieses Zitat von<br />

Charles Darwin könnte auch als Titel des NATO-Gipfels<br />

von Strasbourg und Kehl im April 2009 dienen, auf dem<br />

die Regierungschefs der Mitgliedstaaten NATO Generalsekretär<br />

Rasmussen mit der Weiterentwicklung des strategischen<br />

Konzeptes der Allianz beauftragten. Es herrschte<br />

Einigkeit darüber, dass der Konsens über die Rolle, den<br />

Auftrag und die <strong>Strategie</strong> zur Bewahrung der Einheit, Sicherheit<br />

und Freiheit des euroatlantischen Raumes einer<br />

Aktualisierung bedarf, damit das bislang erfolgreichste<br />

militärpolitische Bündnis unserer Zeit weiterhin als Garant<br />

für Stabilität in einer unberechenbaren Welt gelten<br />

kann. Unter der Führung von Madeleine Albright legte<br />

eine Kommission (Group of Experts), bestehend aus zwölf<br />

sicherheitspolitischen Experten sowie Vertretern aus Wirtschaft<br />

und Forschung, im Mai diesen Jahres seine Empfehlungen<br />

in Form eines Abschlussberichts vor. Darin<br />

wird die in Art. 5 des NATO-Vertrages festgeschriebene<br />

Beistandsverpflichtung der Mitgliedstaaten als Kernstück<br />

der Allianz betont, dessen Glaubwürdigkeit es durch vorausschauende<br />

und umfassende Planung zu erhalten gilt.<br />

Daneben sollte die Stabilität und Sicherheit des euroatlantischen<br />

Raumes, der Erhalt der Schlüsselposition im<br />

transatlantischen Sicherheitsdialog und der Ausbau von<br />

Partnerschaften mit Staaten und anderen Organisationen<br />

im Zentrum der Bemühungen stehen. Neben diesen vier<br />

Hauptprioritäten wird erstmalig explizit die Bedeutung<br />

der Aus- und Weiterbildung des „wichtigsten Aktivpostens“<br />

der NATO, ihres militärischen und zivilen Personals,<br />

betont und die Einbindung von Partnernationen<br />

und -organisationen in den Prozess gefordert.<br />

Dass Neuausrichtung und Weiterentwicklung bereits vor<br />

der Neuformulierung des strategischen Konzeptes Bestandteile<br />

der Arbeitskultur des Bündnisses waren, zeigt<br />

der Beschluss über die Neuorganisation der NATO-<br />

Kommandostruktur des NATO-Gipfels von Prag im Jahr<br />

2002. Unter der politischen Führung des in Brüssel ansässigen<br />

Hauptquartiers wurden zwei strategische Hauptquartiere<br />

eingesetzt, deren Aufgabenbereich einerseits die<br />

Durchführung und Planung laufender Einsätze, und auf<br />

der anderen Seite das stetigen Bestreben nach Transforma-<br />

Karlheinz Viereck<br />

tion ist. Diese Zuordnung der Tätigkeitsfelder zwischen<br />

Allied Command Operations (ACO) und Allied Command<br />

Transformation (ACT) ermöglicht es, übergreifende<br />

Arbeitsabläufe sowie den Einsatz verfügbarer Ressourcen<br />

effektiver zu gestalten.<br />

Transformation wird in Norfolk, Virginia, im direkten<br />

Umfeld des Supreme Allied Commander Transformation<br />

(SACT) strategisch eingeleitet und umgesetzt. Innovative<br />

Konzepte und Fähigkeiten werden entwickelt und in die<br />

laufende Arbeit integriert. Die Steigerung der Effektivität<br />

und Interoperabilität der NATO und ihrer Partner ist<br />

das Ziel. Die für die Entwicklung und Aufstellung neuer<br />

Ansätze und der dazugehörigen Ausbildungskonzepte<br />

benötigte Standort- und Richtungsbestimmung wurde<br />

2009 in Form des Multiple Futures Project (MFP) vorgenommen.<br />

Die Studie dient als Instrument der Analyse zukünftiger<br />

Bedrohungen, zur Förderung des Verständnisses<br />

aufkommender sicherheitspolitischer Herausforderungen,<br />

stellt militärische und sicherheitspolitische Ableitungen<br />

vor und will zu weiterführenden Diskussionen anregen.<br />

Über die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse für<br />

Erziehung, Ausbildung und Bildung in der Allianz referierte<br />

ich bereits dieses Jahr im Rahmen der Conference of<br />

Commandants der National Defence Colleges in Istanbul.<br />

MFP soll nicht die Zukunft vorhersagen oder Mutma-<br />

59


60<br />

JOINT FORCES TRAINING ALS TEIL DER NATO-TRANSFORMATION<br />

ßungen über politische, die Allianz betreffende Entscheidungen<br />

anstellen. Es will vielmehr als Basis zukünftiger<br />

Planungen berücksichtigt werden. In den Seminaren zur<br />

Neufassung des strategischen Konzeptes war das MFP Teil<br />

des strategischen Inputs des Supreme Allied Commander<br />

Transformation.<br />

Die Aussagen der Group of Experts sind insofern wichtig,<br />

da sie explizit darauf hinweisen, dass zukünftig im Rahmen<br />

des „Comprehensive Approach“ kontinuierlich gut<br />

ausgebildetes, kreatives sowie kritisches militärisches und<br />

ziviles Führungspersonal benötigt wird, das ein hohes Potential<br />

an Reflektionsfähigkeit im asymmetrischen Umfeld<br />

besitzt und das Prinzip des lebenslangen Lernens verinnerlicht<br />

hat. Obwohl diese Aussagen für aktives Lehrpersonal<br />

nichts Neues beinhalten, wurden sie im politischen Umfeld<br />

nie zuvor derart deutlich formuliert. Offiziere müssen<br />

in der Lage sein besonnen Grenzen zu überschreiten, um<br />

den Status Quo konstruktiv hinterfragen zu können. Kreative<br />

Instabilität muss Teil ihres Selbstverständnisses sein,<br />

um über den eigenen Bereich hinaus denken zu können,<br />

ihn in Frage zu stellen und somit Anknüpfungspunkte für<br />

andere Ideen und Lösungsansätze zu schaffen.<br />

Die Aufgabe der Bildung, Ausbildung sowie speziellen<br />

Einsatzvorbereitung dieses Personals liegt bei ACT in der<br />

Verantwortung des Joint Force Trainers (JFT). Ob auf<br />

operativer oder taktischer Ebene, Führer von Verbänden<br />

müssen stetig komplexer werdenden und sich in kurzen<br />

Zeitabständen verändernden Lagen gerecht werden. Interkulturelle<br />

Kompetenz, zivil-militärische Zusammenarbeit,<br />

die Interoperabilität kleiner Einheiten im multinationalen<br />

Verbund im Sinne der Auftragstaktik sowie die Einbeziehung<br />

ziviler Kapazitäten sind die Schlagwörter, die basierend<br />

auf Erfahrungswerten aus den Einsätzen in allen meinen<br />

Projekten Beachtung finden. Das Zitat von George<br />

Bernhard Shaw, „Progress is impossible without change,<br />

and those who cannot change their minds cannot change<br />

anything“, beschreibt zutreffend den von mir angestrebten<br />

Paradigmenwechsel im Ausbildungskonzept der NATO.<br />

Die Leitbegriffe gleichen dabei denen der Grundlagenpapiere:<br />

Effizienz, Effektivität und Erschwinglichkeit.<br />

In meinem Wirkungsbereich als JFT erfährt diese Argumentationskette<br />

besondere Gewichtung, da nach Meinung<br />

der Nationen NATO-Ausbildung lediglich eine<br />

Anpassung der national erworbenen Fähigkeiten an die<br />

Vorgehensweisen im multinationalen Verbund vornimmt,<br />

originäre nationale Ausbildungsabläufe aber nicht berührt.<br />

Vor dem Hintergrund der Einsatzerfahrungen und<br />

kurzfristiger signifikanter änderungen der „operations<br />

requirements“, unterstützt durch angespannte Haushaltslagen,<br />

ist die Bereitschaft nationale Vorbehalte aufzubrechen<br />

und Ausbildung in enger Kooperation mit den Partnernationen<br />

zu betreiben jedoch stark gestiegen. Nur in<br />

enger Zusammenarbeit zwischen NATO, den Nationen<br />

und den Mitarbeitern des JFT sind wir in der Lage unsere<br />

Kommandeure im Einsatz erfolgreich und in der geforderten<br />

Qualität zu unterstützen. Man kann sagen: Keine<br />

Nation kann alleine die notwendigen Ausbildungsvorhaben<br />

für einen Einsatz durchführen. Hier liegt die Chance<br />

der zentralen NATO-Ausbildung; auf diese Weise können<br />

gemeinsame Fähigkeitsstandards besser realisiert werden.<br />

Motiviert durch den Willen der NATO ihr Ausbildungskonzept<br />

grundlegend zu ändern zeigen sich die Nationen<br />

bereit dieses Vorhaben zu unterstützen. Seit der Verabschiedung<br />

der NATO Education, Training, Exercise and<br />

Evaluation Policy (ETEE) durch den NATO-Militärausschuss<br />

im Oktober 2009 besteht daran kein Zweifel mehr.<br />

Sie beschreibt Erziehung und Ausbildung als ganzheitliches<br />

System, das an den politischen und militärstrategischen<br />

Leitlinien sowie an den vom SACEUR klar definierten<br />

Anforderungen an die notwendige Ausbildung<br />

(SACEURS Annual Guidance on ETEE) ausgerichtet ist<br />

und mit Thematiken wie dem Comprehensive Approach<br />

oder Kooperationsprogrammen verknüpft wird.<br />

Als JFT lege ich besonderen Wert auf die Strukturierung<br />

und Standardisierung der Ausbildungskonzepte. Bei Operationen<br />

wie ISAF, an der sich mittlerweile 46 Staaten beteiligen,<br />

kann nichts der Selbstverständlichkeit überlassen<br />

werden. Vielmehr kann in diesem Umfeld erfolgreiche<br />

Führung nur auf Basis einer klar standardisierten, strukturierten<br />

und multinationalen Ausbildung erfolgen, die


darüberhinaus schnell anzupassen ist und nahezu „near<br />

real time“ Fähigkeiten aufweisen muss. Auf sich alleine gestellt<br />

können nicht alle Nationen die unentwegt erforderliche<br />

Anpassung unterschiedlichster Ausbildungen an die<br />

Einsatzlage bewältigen. Daher ist eine frühe einheitliche<br />

multinationale Zu- und Zusammenarbeit für die Nationen<br />

und mit den Nationen wichtiger als je zuvor. Nach<br />

diesen Prinzipien konzipierte Inhalte und deren gezielte<br />

Vermittlung werden zum Katalysator bei der Erstellung<br />

der nötigen Interoperabilität im Einsatz. Einige Nationen<br />

und Organisationen weisen in bestimmten Feldern beachtliche<br />

Expertisen vor, die es für alle zu nutzen gilt. Wir<br />

sollten das Rad nicht immer neu erfinden und als NATO<br />

bescheiden diesen Beitrag honorieren und nutzen.<br />

Bei der Konzeption und Durchführung individueller Ausbildung<br />

stütze ich mich im Rahmen der Aufstellung entsprechender<br />

Programme auf NATO-Education and Training<br />

Facilities (ETF), wie z. B. das Joint Warfare Center<br />

oder das Joint Force Training Center. Zudem arbeiten wir<br />

mit national getragenen Centres of Excellence, und nationalen<br />

Ausbildungseinrichtungen und Trainingszentren<br />

zusammen. ACO und ACT ergänzen und unterstützen<br />

sich gegenseitig. Die Synchronisation und Koordination<br />

der Ausbildungsinhalte sowie die optimale Nutzung der<br />

vorhandenen Teilnehmerkapazitäten bilden ein Kernelement<br />

meiner Agenda, bei dessen Umsetzung ich auf die<br />

umfassende Mithilfe aller angewiesen bin.<br />

Alle durchzuführenden NATO-Ausbildungs- und Trainingsveranstaltungen,<br />

seien es individuelle oder kollektive<br />

Ausbildungen, werden entlang der vier Phasen des NATO<br />

Training Integration Programme (TIP) durchgeführt.<br />

Vom Input über die Konsolidierung des Projektes, bis hin<br />

zum endgültigen Entschluss unter Zustimmung der Nationen<br />

und der folgenden Eingliederung in den endgültig<br />

priorisierten Ausbildungsplan sind neun Monate im TIP<br />

vorgesehen.<br />

Mittels des jährlich von den strategischen Hauptquartieren<br />

zu erstellenden NATO Military Training and Exercise<br />

Programme (MTEP) und Individual Training and Edu-<br />

cation Programme (ITEP) wird das Angebot an Maßnahmen<br />

transparent und priorisiert dargestellt. Dies ist<br />

die Grundlage für die erfolgreiche Durchführung von<br />

Ausbildung im Verbund der strategischen Kommandos,<br />

Nationen und ETFs. Für die erwünschte und notwendige<br />

Zusammenarbeit mit dem zivilen akademischen Bereich<br />

hat sich bei der Einführung neuer Tools oder der laufenden<br />

Neufassung des Kursangebotes die Orientierung in<br />

diesem Bereich als förderlich erwiesen. Das Hauptziel ist:<br />

multinationale Ausbildung zur richtigen Zeit, am richtigen<br />

Platz mit den richtigen Personen durchzuführen.<br />

Daneben werden die für die Erstellung von MTEP und<br />

ITEP nötigen Konferenzen durch terminliche Abstimmung<br />

und örtliche Zentralisation auf ein Minimum reduziert.<br />

Dies gilt auch für die neugefasste Struktur der „altbekannten“<br />

NATO-Traininggroup oder auch der Partnerzusammenarbeit.<br />

Hierbei werden nicht nur die Haushaltsmittel<br />

der Nationen geschont, vielmehr entsteht durch<br />

die direkte Vernetzung aller Beteiligten eine wertvolle Synergie.<br />

Zielsetzung ist es insgesamt mindestens 66 % des<br />

potentiell auszubildenden Personals mit entsprechenden<br />

Maßnahmen zu erreichen. E-TEP (Electronic Training<br />

and Exercise Plan), ein Learning Management System, das<br />

die Inhalte von MTEP und ITEP zusammenführt, bietet<br />

den Nationen einen kohärenten Trainingsplan, der es ihnen<br />

ermöglicht ihr Personal gezielt und planvoll zu fördern<br />

und dabei alle Trainingsmöglichkeiten zu nutzen.<br />

Die Optimierung eines ebenso umfangreichen wie transparenten<br />

Weiterbildungs- und Trainingsprogrammes<br />

kann nur durch ein an den Einsatzerfahrungen ausgerichtetes<br />

und Synergieeffekte nutzendes Handeln der NATO-<br />

Kommandostruktur, NATO-Streitkräftestruktur sowie<br />

der Nationen realisiert werden. Ohne die Bereitschaft<br />

zum Wandel auch im Ausbildungsbereich kann kurzfristig<br />

nicht erfolgreich auf neue Anforderungen der laufenden<br />

Operationen reagiert werden. Nur mit gemeinsamer<br />

Anstrengung können wir Soldaten und ziviles Personal so<br />

auf ihre Aufgaben vorbereiten, wie es die Situation erfordert,<br />

wie sie es verdienen und wie es unsere Kommandeure<br />

im Einsatz erwarten.<br />

61


62<br />

JOINT FORCES TRAINING ALS TEIL DER NATO-TRANSFORMATION<br />

Dies verstehe ich als meinen Auftrag als JFT, an dem Sie<br />

morgen mitarbeiten oder von dessen Ergebnissen sie als<br />

Führer im Einsatz profitieren werden. Vielleicht ist es<br />

in nicht allzu ferner Zukunft sogar an Ihnen, das Ausbildungssystem<br />

der NATO weiter anzupassen und voran<br />

zu bringen. Unabhängig von Ihrer zukünftigen Position<br />

möchte ich Ihnen einen wohlgemeinten Rat geben, der<br />

sich an einem Zitat von Muhammad Ali orienitiert: „I hated<br />

every minute of training, but I said, ‘Don’t quit. Suffer<br />

now and live the rest of your life as a champion!’“


Die Bedeutung von luft- und raumgestützter Aufklärung<br />

für die Auftragserfüllung der Luftwaffe im Einsatz<br />

Text: Generalleutnant Aarne Kreuzinger-Janik<br />

Mit der Verbesserung der Schussweiten der Artilleriegeschosse<br />

zu Beginn des letzten Jahrhunderts wuchs das Bedürfnis<br />

der Streitkräfte, das Kampffeld besser beobachten<br />

zu können. Aus den ersten Ansätzen einer luftgestützten<br />

Gefechtsfeldaufklärung mit Hilfe von Ballonen entstand<br />

die taktische Artillerie-, Gefechts- und Nahfeldaufklärung.<br />

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges besaßen die Streitkräfte<br />

des Kaiserreiches 20 Fessel-Beobachtungsdrachenballone.<br />

Auch während des Zweiten Weltkrieges lieferte die Luftbildaufklärung<br />

wesentliche Beiträge zu Operationsplanungen<br />

für die Land- und Luftstreitkräfte beider Seiten.<br />

Stützten sich im Ersten Weltkrieg die Planungen der Stäbe<br />

zumindest in Teilen auf die Luftaufklärung - 30 Jahre<br />

später waren die Generäle weitgehend von ihr abhängig.<br />

Im Gegensatz zu anderen Aufklärungsmethoden wie etwa<br />

Spionage hatte die Luftaufklärung viele Vorteile: Sie war<br />

schnell und exakt. Militärhistoriker halten sie für kriegsentscheidender<br />

als die Erbeutung der Verschlüsselungsmaschine<br />

„Enigma“ 1941.<br />

Der Befehl zur „Planung der Luftwaffe“ vom 5. August<br />

1957 trug dieser Erkenntnis scheinbar Rechnung. Dieser<br />

ordnete der Taktischen Luftwaffe sechs Aufklärungsgeschwader<br />

bei, die in den Jahren 1959 bis 1961 aufgestellt<br />

werden sollten. Mit der Übertragung der Aufgabe<br />

der Taktischen Luftaufklärung an die Waffenschule 50 in<br />

1959 beginnt das Zeitalter der luftgestützten taktischen<br />

Aufklärung in der neu aufgestellten deutschen Luftwaffe.<br />

Aus historischer Sicht kam es nie zur Aufstellung von<br />

sechs Aufklärungsgeschwadern, die Notwendigkeit und<br />

Essenz luftgestützter Aufklärung war jedoch weiterhin<br />

Grundkonsens bundeswehrgemeinsamen Handelns.<br />

Auch heute leistet die Luftwaffe ihren Beitrag zum Fähigkeitsprofil<br />

der Streitkräfte, indem sie die Fähigkeit zur<br />

luftgestützten Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes,<br />

derzeit für ISAF in Afghanistan, bereitstellt. Mit der<br />

Beschaffung unbemannter Waffensysteme im Bereich der<br />

weiträumigen Aufklärung sowie der Aufklärung in der<br />

Tiefe des Einsatzgebietes trägt sie wesentlich zur effektiven<br />

und effizienten Auftragserfüllung in der Fähigkeitskategorie<br />

Nachrichtengewinnung und Aufklärung (NG&A) bei.<br />

Aarne Kreuzinger-Janik<br />

Dadurch kann die Qualität der Lagebeurteilung durch<br />

die militärischen Führer und damit auch der Schutz der<br />

eingesetzten Soldaten wesentlich erhöht werden. Dabei<br />

stehen neue multispektrale Sensoren und die Auswertung<br />

der Aufklärungsdaten im Vordergrund.<br />

Aufklärung wird in der Luftwaffendienstvorschrift LDv<br />

100/1 „Führung und Einsatz von Luftstreitkräften“ wie<br />

folgt definiert:<br />

„Aufklärung ist der zielgerichtete Einsatz von Kräften und<br />

Mitteln zur Gewinnung von Informationen mittels technischer<br />

Sensoren oder durch Beobachtung. Zielsetzung ist<br />

das Gewinnen von Informationen über Objekte oder Einrichtungen<br />

sowie spezifische Aktivitäten der Kräfte und<br />

Mittel des Gegners mittels technischer Sensoren (signalerfassend<br />

oder abbildend).“<br />

Die gewonnenen Daten und Informationen werden im<br />

Rahmen der Lagebearbeitung zu Nachrichten und umfassenden<br />

Erkenntnissen über die Fähigkeiten, Kräfte,<br />

Absichten, Handlungen und Mittel aller relevanten Akteure<br />

und werden als solche den Bedarfsträgern für deren<br />

Entscheidungen zur Verfügung gestellt. Die Luftwaffe als<br />

Kompetenzträger der abbildenden Aufklärung aus und in<br />

der dritten Dimension verfolgt fähigkeitsbezogen einen<br />

Ansatz sich ergänzender bemannter und unbemannter<br />

63


64<br />

DIE BEDEUTUNG VON LUFT- UND RAUMGESTÜTZTER AUFKLäRUNG FÜR DIE<br />

AUFTRAGSERFÜLLUNG DER LUFTWAFFE IM EINSATZ<br />

luftgestützter Aufklärungsmittel, welche aufgrund des<br />

modularen Sensor-Mixes das gesamte Aufklärungsspektrum<br />

unterhalb der raumgestützten Fähigkeiten abdecken<br />

kann.<br />

Der Abschuss einer U2 im Kalten Krieg am 1. Mai 1960<br />

über dem Hoheitsgebiet der Sowjetunion zeigte allerdings<br />

die Grenzen einer luftgestützten Aufklärung auf und trieb<br />

die Entwicklung von satellitengestützter Aufklärung voran.<br />

Ziel solcher taktischer Aufklärungsmissionen war es,<br />

im Rahmen einer strategischen Lagefeststellung, die Anzahl<br />

von Luftfahrzeugen auf den Flugplätzen festzustellen<br />

sowie Bildmaterial zur Vorbereitung möglicher militärischer<br />

Einsätze zu generieren. Satelliten können heute mit<br />

den unterschiedlichen Sensoren diese Aufgaben durchführen,<br />

ohne einer direkten Gefährdung zu unterliegen.<br />

Parallel mit der Entscheidung Deutschlands für SAR-Lupe<br />

wurde eine Vereinbarung mit Frankreich zur Zusammenarbeit<br />

und gemeinsamen Nutzung des optischen Systems<br />

Hélios II und SAR-Lupe getroffen. Damit können beide<br />

Partner optisches Material und Radarbildmaterial komplementär<br />

nutzen. Das auf Radarsensoren basierende Satellitensystem<br />

SAR-Lupe ermöglicht eine allwetterfähige<br />

und tageszeit-unabhängige Gewinnung von Bildmaterial<br />

und dessen Auswertung ohne geografische und hoheitsrechtliche<br />

Beschränkungen. Erst durch das Zusammenwirken<br />

der unterschiedlichen Sensoren wird der Gesamtnutzen<br />

für die Aufklärung optimiert.<br />

Die Luftwaffe trägt die Materialverantwortung für das<br />

Raumsegment, die raumgestützte Aufklärung wird dabei<br />

durch die Streitkräftebasis abgedeckt. Hier leistet das<br />

Kommando Strategische Aufklärung einen umfassenden<br />

Beitrag zur Beurteilung der Lage für alle Führungsebenen<br />

der Bundeswehr.<br />

Weltweite Führungsfähigkeit, Flexibilität und Präzision<br />

sind entscheidende Faktoren für einen effektiven Einsatz<br />

der Kräfte. Die aktuellen Einsätze der Bundeswehr unter-<br />

1 Dies ist insbesondere bei der Ziel-und Wirkungsanalyse von hoher Bedeutung.<br />

streichen dies. Zukünftige militärische Einsätze sind ohne<br />

die Nutzung des Weltraums und damit raumgestützten<br />

Aufklärung nicht mehr denkbar.<br />

Um die Bedeutung der Aufklärung im Einsatz zu beschreiben,<br />

ist es notwendig, sich dem Begriff Aufklärung<br />

zunächst konzeptionell zu nähern. Danach soll der Bedarf<br />

an luft- und raumgestützter Aufklärung insgesamt für die<br />

Streitkräfte und die Politik beleuchtet werden. Ein kurzer<br />

Überblick über die Aufklärungsarchitektur der Bundeswehr<br />

und der jeweilige Fähigkeitsbeitrag der Luftwaffe<br />

schafft die Grundlage für die Betrachtungen über die Beschaffungen<br />

neuer Waffensysteme und Sensoren sowie deren<br />

Auswirkungen auf das Fähigkeitsprofil der Luftwaffe<br />

und schließt zusammenfassend mit deren Bedeutung für<br />

den Einsatz.<br />

Konzeptionelle Betrachtung<br />

Der verfassungsmäßige Auftrag der Bundeswehr (Bw), die<br />

sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und die internationalen<br />

Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland<br />

prägen das Fähigkeitsprofil der Streitkräfte in einem<br />

deutlich erweiterten Einsatzspektrum. Die aufgaben- und<br />

fähigkeitsorientierte Neuausrichtung der Bundeswehr in<br />

einem ganzheitlichen Systemansatz folgt dem Wandel hin<br />

zu Streitkräften im Einsatz. In einer dementsprechend<br />

ausgerichteten Armee im Einsatz muss Aufklärung den<br />

stark gestiegenen Gesamtbedarf an Informationen über<br />

die Lage in Interessen-, möglichen Krisen- und Einsatzgebieten<br />

und sicherheitspolitisch relevanten Ländern und<br />

Regionen sowie zu militärisch-technologischen Entwicklungen<br />

umfassend, zuverlässig und zeitgerecht decken.<br />

In nationaler Verantwortung gewonnene Informationen<br />

leisten einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung einer<br />

eigenständigen politischen und militärischen Urteils-,<br />

Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit 1 im gesamten<br />

Einsatzspektrum und sind zugleich Voraussetzung für die<br />

gleichberechtigte Teilhabe am Informationsaustausch mit<br />

Partnern.


Nur durch Aufklärung kann im gesamten Aufgabenspektrum<br />

der Bundeswehr ein aktuelles und umfassendes Lagebild<br />

über das jeweilige Einsatzgebiet, die dort vorhandenen<br />

Kräfte, Mittel und Einrichtungen sowie Fähigkeiten,<br />

Absichten und Handlungsoptionen von Gegnern/Konfliktparteien<br />

und über sonstige Risikofaktoren im Einsatzgebiet<br />

gewonnen werden.<br />

Die Aufklärungsarchitektur der Bundeswehr folgt dabei<br />

den in der Teilkonzeption Aufklärung in der Bundeswehr<br />

(TK AufklBw) beschriebenen grundsätzlichen Aufklärungsbereichen<br />

und fordert entsprechende Aufklärungssysteme<br />

mit der Fähigkeit zur<br />

− Weltweiten Aufklärung,<br />

− Weiträumigen Aufklärung und<br />

− Aufklärung im Einsatzgebiet.<br />

Die Luftwaffe trägt als Kompetenzträger in und aus der<br />

dritten Dimension mit ihren Aufklärungsmitteln wesentlich<br />

zur Urteils <strong>–</strong> und Handlungssicherheit der politischen<br />

Leitung und der militärischen Führer im Einsatz bei. Die<br />

dabei gewonnene Urteils- und Handlungssicherheit führt<br />

zu Informationsüberlegenheit und letztendlich zu einer<br />

effektiven Auftragserfüllung im Kontext streitkräftegemeinsamen<br />

Handelns. Insofern ist Aufklärung als eine<br />

Kernfähigkeit der Streitkräfte, die luftgestützte Aufklärung<br />

als eine Kernfähigkeit der Luftwaffe zu betrachten.<br />

Weltweite Aufklärung<br />

Die Weltweite Aufklärung dient grundsätzlich zur nicht<br />

eskalierenden Informationsgewinnung ohne geografische<br />

Beschränkungen. Sie ermöglicht die kontinuierliche<br />

Aufklärung sowohl von Gebieten großer Ausdehnung als<br />

auch von einzelnen Objekten von Interesse und bietet<br />

hohe Aktualität und bedarfsgerechte Aktualisierung von<br />

Informationen. Sie versorgt im wesentlichen die politische<br />

Leitung und militärische Führung mit umfassenden,<br />

strategisch relevanten Informationen als Voraussetzung<br />

für Krisenfrüherkennung, Krisenvorsorge und wirksames<br />

2 High Altitude Long Endurance Unmanned Aircraft System<br />

Krisenmanagement einschließlich der Planung und Vorbereitung<br />

militärischer Einsätze. Sie dient zugleich dem<br />

zeitgerechten Gewinnen aktueller Lageinformationen für<br />

Einsatzkräfte einschließlich der Vorbereitung von Informationsoperationen.<br />

Die Weltweite Aufklärung mit dem Satellitensystem SAR<br />

LUPE liegt in der Zuständigkeit der SKB. Die Luftwaffe<br />

wird sich jedoch mit dem Aufbau eines Weltraumlagezentrums<br />

an der schnell fortschreitenden Entwicklung beteiligen.<br />

Es wird zukünftig die Basis einer nationalen Fähigkeit<br />

zur Bereitstellung sowie Bewertung der Weltraumlage<br />

sicherstellen und dient damit dem Schutz eigener Raumsegmente,<br />

der Bevölkerung im Heimatland sowie der eigenen<br />

Kräfte im Einsatzgebiet gegen die Bedrohung aus der<br />

Luft und aus dem Weltraum.<br />

Weiträumige Aufklärung<br />

Die weiträumige Aufklärung befähigt zur großräumigen,<br />

echtzeitnahen Lagefeststellung in definierten Regionen<br />

besonderen Interesses sowie in potenziellen bzw. aktuellen<br />

Operations- und Einsatzgebieten. Sie verdichtet die Ergebnisse<br />

der weltweiten Aufklärung und ermöglicht damit<br />

auch den gezielten Einsatz weiterer Aufklärungsmittel.<br />

Systeme der weiträumigen Aufklärung liefern in der Regel<br />

jedoch keine hinreichend genauen Daten, die eine punktgenaue<br />

Wirkung über große Entfernungen ohne Nutzung<br />

weiterer Sensoren, z.B. Suchköpfe von Abstandswaffen<br />

oder Aufklärungssysteme im Einsatzgebiet ermöglicht.<br />

Zur weiträumigen Aufklärung sind abbildende und signalerfassende<br />

Sensoren, die sowohl abstandsfähig als auch<br />

penetrierend im Interessengebiet eingesetzt werden können,<br />

erforderlich. Als Träger dieser Sensoren eignen sich<br />

besonders hochfliegende, unbemannte Plattformen mit<br />

langer Verweildauer bzw. großer Reichweite (z.B. HALE<br />

UAS 2 ), die zur echtzeitnahen Informationsübermittlung<br />

befähigt sind, sowie seegestützte Plattformen für überwiegend<br />

maritime Einsatzräume.<br />

65


66<br />

DIE BEDEUTUNG VON LUFT- UND RAUMGESTÜTZTER AUFKLäRUNG FÜR DIE<br />

AUFTRAGSERFÜLLUNG DER LUFTWAFFE IM EINSATZ<br />

Mit der Ausphasung des Waffensystems Breguet Atlantic<br />

BR 1150 SIGINT vergrößert sich die Fähigkeitslücke zur<br />

luftgestützten signalerfassenden weiträumigen Aufklärung.<br />

Diese Lücke wird, zunächst in einer Grundbefähigung,<br />

mit der Einführung des HALE UAS EURO HAWK<br />

teilweise geschlossen. Dieses System wird die Fähigkeit zur<br />

Grundlagengewinnung, Krisenfrüherkennung, dauerhaften<br />

Überwachung sowie zur unmittelbaren Unterstützung<br />

von Einsätzen erheblich verbessern. Es wird komplementär<br />

zu abbildenden Sensoren eingesetzt, um beispielsweise<br />

den funktionalen Status eines Objekts bewerten zu können<br />

oder Kenntnis über Absichten militärisch relevanter<br />

Zielgruppen zu erlangen.<br />

Nach einer Erprobungsphase bei der Wehrtechnischen<br />

Dienststelle der Bundeswehr in Manching wird die Luftwaffe<br />

in 2011 den Prototyp des EURO HAWK übernehmen<br />

und vom Militärflugplatz Schleswig/Jagel, dem<br />

Heimatstandort des Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“,<br />

betreiben. In der Erprobungsphase werden erste<br />

Erfahrungen im Betrieb mit solchen unbemannten Großluftfahrzeugen<br />

gemacht werden können. Dabei versteht<br />

sich die Luftwaffe als „Dienstleister“ für den eigentlichen<br />

Bedarfsträger, die Streitkräftebasis, insbesondere das Kommando<br />

Strategische Aufklärung (KSA).<br />

Die NATO plant zur luftgestützten abbildenden weiträumigen<br />

Aufklärung und Überwachung die Entwicklung<br />

und Beschaffung einer allwetterfähigen luftgestützten Bodenaufklärungskernfähigkeit<br />

(NATO AGS 3 Core). SHA-<br />

PE stuft AGS als Schlüsselfähigkeit für zukünftige NATO<br />

Operationen und zum Schutz der eingesetzten Kräfte ein.<br />

Die operationellen Forderungen der NATO ergeben sich<br />

aus der Notwendigkeit, Aufklärung in bis zu acht Aufklärungs-<br />

und Überwachungsräumen (Orbits) 4 durchführen<br />

zu können. Die derzeitigen Planungen der NATO gehen<br />

noch von einer eigenen Kernfähigkeit von 8 UAS der<br />

HALE Klasse auf Basis des US amerikanischen GLOBAL<br />

HAWK aus, mit der zwei Orbits abgedeckt werden sollen.<br />

Die weiteren Orbits sollen im Bedarfsfall durch interope-<br />

3 Alliance Ground Surveillance<br />

4 Definierte Aufklärungsgebiet, die aus dem Abstand heraus aufgeklärt werden sollen, z.B. um eigene Operationen vorzubereiten oder deren Durchführung zu unterstützen.<br />

5 Beitrag zur Ziel- und Wirkungsanalyse<br />

rable nationale Beistellungen (Contribution in kind) bestückt<br />

werden.<br />

Deutschland plant, als nationale Beistellung zu AGS Core<br />

6 UAS GLOBAL HAWK zu beschaffen. Diese Beschaffungsmaßnahme<br />

schließt somit die nationale Fähigkeitslücke<br />

zur abbildenden weiträumigen Aufklärung und entspricht<br />

gleichzeitig auch der Forderung zur Ergänzung der<br />

NATO eigenen Kernfähigkeit.<br />

Im Rahmen von NATO Operationen profitieren DEU<br />

Streitkräfte unmittelbar von den Aufklärungsergebnissen<br />

des NATO AGS Core. Eine nationale Fähigkeit stellt darüber<br />

hinaus die nationale Handlungs-, Entscheidungs-<br />

und Urteilsfähigkeit 5 sicher.<br />

Da die Luftwaffe gemäß der Teilkonzeption Nachrichtengewinnung<br />

und Aufklärung (TK NG&A) Kompetenzträger<br />

für die Ausbildung in der Luftbildauswertung in den<br />

Streitkräften ist, wird sie sich auch in diesem Bereich und<br />

im Einsatz von Luftfahrzeugen synergetisch einbringen<br />

können.<br />

Aufklärung im Einsatzgebiet<br />

Während die Systeme zur weltweiten und weiträumigen<br />

Aufklärung vorrangig aus dem Abstand bzw. aus weiten<br />

Entfernungen heraus eingesetzt werden und damit im<br />

Schwerpunkt zur Grundlagenbearbeitung, Krisenfrüherkennung<br />

und Überwachung beitragen, schließen die<br />

Systeme zur Aufklärung im Einsatzgebiet die physikalisch<br />

bedingten Erfassungslücken abstandsfähiger Systeme. Sie<br />

decken vorrangig den in Qualität und Quantität steigenden,<br />

jedoch regional begrenzten, einsatzrelevanten Informationsbedarf<br />

der Streitkräfte im Einsatz. Der Ansatz von<br />

Aufklärungsmitteln und -kräften im Einsatzgebiet erfolgt<br />

dort, wo die Aufklärungsmittel der weltweiten und weiträumigen<br />

Aufklärung nicht oder nicht rechtzeitig, bzw.<br />

nicht mit der erforderlichen Genauigkeit aufklären können.


Abbildende Aufklärung nutzt optische, multispektrale<br />

elektro-optische sowie Radarsensoren luft- und raumgestützt<br />

zur Gewinnung von Bildern. Aus diesen Bildern<br />

werden durch Auswertung Informationen für die Bedarfsträger<br />

aufbereitet. Die Forderung nach gelände-, tageszeit-<br />

und witterungsunabhängigem Entdecken, Erkennen,<br />

Identifizieren, Analysieren oder Verfolgen von Objekten<br />

kann nur durch den komplementären, häufig auch zeitgleichen<br />

Einsatz unterschiedlicher Sensoren erfüllt werden.<br />

Die Komplementarität unterschiedlicher Sensoren ist für<br />

die Luftwaffe von herausragender Bedeutung. Je nach Art<br />

der Operation und weiterer Rahmenbedingungen müssen<br />

Einsätze unter nahezu allen Wetterbedingungen sowohl<br />

weiträumig als auch im Einsatzgebiet durchführbar sein.<br />

Hierzu ist ein hoher Grad an Eindring- und Durchsetzungsfähigkeit<br />

notwendig, wozu es neben der unbemannten<br />

Aufklärung weiterhin eines ausreichenden Ansatzes an<br />

bemannten, fliegenden Aufklärungsmitteln bedarf. Mit<br />

dem Einsatz penetrierender, durchsetzungsfähiger REC-<br />

CE TORNADOs ist eine schnelle Schwerpunktverlagerung<br />

möglich. Mit der permanenten Aufklärungsfähigkeit<br />

unbemannter Systeme wird dem Aspekt der kontinuierlichen<br />

Überwachung Rechnung getragen. Zusammen liefern<br />

beide Systeme Informationen zur Aufbereitung eines<br />

ganzheitlichen Lagebildes.<br />

Aufgeklärte Informationen müssen nahezu verzugslos und<br />

gesichert an den Bedarfsträger gelangen, ausgewertet und<br />

ggf. noch während des Einsatzes durch entsprechende<br />

Auftragsergänzungen verdichtet werden können.<br />

Zur Erreichung bestmöglicher Aufklärungsergebnisse sind<br />

elektro-optische, multi-/hyperspektrale, Infrarot- und Radarsensoren<br />

einzusetzen, deren Bild- und Videoprodukte<br />

mögliche Ziele und deren Bewegungen möglichst eindeutig<br />

identifizierbar und geo-referenzierbar (gem. nationaler<br />

und NATO Standards) machen.<br />

Die aktuelle Stabilisierungsoperation in Afghanistan<br />

ist gekennzeichnet durch diffuse Grenzen zwischen den<br />

Konfliktparteien und eine stets latente asymmetrische<br />

Bedrohung, die noch dazu regional völlig unterschiedlich<br />

ausgeprägt ist. Man spricht dort von einem nicht-linearen<br />

Gefechtsfeld, das heißt von einem großen Einsatzraum<br />

mit begrenzten Kräften und ohne klar definierten Frontverlauf.<br />

Außerdem ist die Lage durch eine ständige Gefahr<br />

plötzlicher Eskalation geprägt.<br />

So ist beispielsweise eine vor allem andauernde, unterbrechungsfreie,<br />

also permanente Aufklärung und Überwachung<br />

des Einsatzgebietes mit luftgestützten Systemen<br />

die Grundvoraussetzung für eine unabhängige Entscheidungsfindung<br />

auf allen Führungsebenen.<br />

Am 23. September 2010 hat der Bundesminister der Verteidigung<br />

entschieden, die RECCE TORNADOs des<br />

Einsatzgeschwaders Masar-e Sharif aus Afghanistan abzuziehen<br />

und in einen Reservestatus zu überführen.<br />

Mit dieser Entscheidung geht ein über dreijähriger hocherfolgreicher<br />

Einsatz der Luftwaffe zu Ende. In über 4.200<br />

Einsatzflügen, in denen über 12.300 Ziele und Objekte<br />

erflogen wurden, haben die RECCE TORNADOs einen<br />

substantiellen Beitrag zur ganzheitlichen Lagebeurteilung<br />

der militärischen Führung vor Ort geleistet.<br />

Komplementär zur kontinuierlichen Überwachung größerer<br />

Gebiete mit dem UAS HERON 1 bestand so die<br />

Fähigkeit zur flexiblen, schwerpunktverlagernden penetrierenden<br />

Ziel- und Wirkungsaufklärung.<br />

Die TORNADOs der Luftwaffe lieferten dabei über die<br />

Hälfte aller abbildenden Aufklärungsergebnisse für ISAF.<br />

Die Bandbreite reichte von der Strecken- und Geländeaufklärung<br />

im Vorfeld eigener Operationen bis hin zur<br />

Aufklärung einzelner Gebäude oder verkehrswichtiger Infrastruktur.<br />

Die gelieferten Ergebnisse, insbesondere die<br />

qualitativ hochwertige Auswertung durch das Luftwaffen-<br />

67


68<br />

DIE BEDEUTUNG VON LUFT- UND RAUMGESTÜTZTER AUFKLäRUNG FÜR DIE<br />

AUFTRAGSERFÜLLUNG DER LUFTWAFFE IM EINSATZ<br />

personal vor Ort, fand bei allen Nutzern hohe Akzeptanz<br />

und Anerkennung.<br />

Die Aufklärungsergebnisse haben die Sicherheit der Einsatzkräfte<br />

wesentlich erhöht. Mit diesem Beitrag zur Lagebeurteilung<br />

der militärischen Führung wird der Schutz<br />

der eigenen Soldatinnen und Soldaten sowie des zivilen<br />

Umfelds und damit auch die Durchhaltefähigkeit und Effektivität<br />

der gesamten ISAF-Mission verbessert.<br />

Allerdings zeigen die gesammelten Einsatzerfahrungen<br />

der Luftwaffenbesatzungen auch, dass speziell im Hinblick<br />

auf die bestehende asymmetrische Bedrohung ein<br />

dringender Bedarf an kontinuierlicher und permanenter<br />

Aufklärung und Überwachung im Einsatzgebiet besteht.<br />

Obwohl die TORNADOS ein probates Mittel zur punktuellen<br />

und schnellen schwerpunktbildenden Zielaufklärung<br />

darstellen, sind sie doch, ohne die Möglichkeit der<br />

Luftbetankung, bezüglich ihrer Reichweite und Ausdauer<br />

eingeschränkt.<br />

Darüber hinaus gewinnt die Möglichkeit der Übertragung<br />

von bewegten Daten, also Videoübertragungen, immer<br />

mehr an Bedeutung. Diese Fähigkeit ist eine zwingende<br />

Voraussetzung für den unterstützenden Einsatz zur Hilfe<br />

der Bodentruppen. Mit dem Einsatz des UAS HERON<br />

1, welches als Betreibermodell der Firma Rheinmetall Defense<br />

Electronics (RDE) seit März 2010 der Luftwaffe für<br />

den Einsatz in Afghanistan zur Verfügung gestellt wird,<br />

kann auch diese Fähigkeit in Afghanistan bereitgestellt<br />

werden.<br />

Parallel zu diesem Betreibermodell wird weiterhin an der<br />

Realisierung einer eigenen permanenten Überwachungs-<br />

und Aufklärungsfähigkeit gearbeitet, welche die Kontinuität<br />

in diesem dringend benötigten Bereich zum Schutz<br />

der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten gewährleisten<br />

soll. Hierbei setzt die Luftwaffe weiter auf eine schnell verfügbare<br />

und bei anderen alliierten Partnern erfolgreich im<br />

Einsatz fliegende Plattform, um Synergien beim Betrieb<br />

gleicher Systeme ausnutzen zu können und um das Risiko<br />

bei der Einführung neuer Waffensysteme möglichst gering<br />

zu halten. Diese qualitative Erweiterung der Aufklärungsfähigkeit,<br />

die z.B. in Großbritannien und Italien schon<br />

zur Realität geworden ist, steht der Luftwaffe noch bevor.<br />

Die angesprochenen Nationen setzen auf die Erfahrungen<br />

einer „Parent Air Force“, für die der weltweite operationelle<br />

Einsatz von HALE und MALE UAS schon zur Routine<br />

geworden ist. Aus Sicht der Luftwaffe stellt dies ein zielführendes<br />

Herangehen an eine neue Fähigkeit dar.<br />

Auf der Grundlage der soeben dargestellten Aufklärungsarchitektur,<br />

der beschriebenen Bereiche der Aufklärung<br />

und dem sich daraus ergebenden Bedarf an luftgestützter<br />

abbildender Aufklärung sollen nun im Folgenden die in<br />

die Luftwaffe eingeführten und betriebenen Sensoren betrachtet<br />

werden, um die Bedeutung von Aufklärung für<br />

die Luftwaffe im Einsatz schlussendlich zusammen fassen<br />

zu können.<br />

„Aufklärungsbehälter FMV“ LITENING TOR III<br />

Zur Unterstützung der Einsatzkräfte ist <strong>–</strong> neben der Verfügbarkeit<br />

eines Gesamtlagebildes, zu dem der RECCE<br />

TORNADO kontinuierlich beiträgt <strong>–</strong> ein echtzeitnahes<br />

Lagebild zur Erhöhung des situativen Bewusstseins zunehmend<br />

von besonderer Bedeutung. Hierfür eignen sich<br />

insbesondere luftgestützte Mittel zur Echtzeitübertragung<br />

von „Full Motion Video“ (FMV) mittels Datenlink an die<br />

Einsatzkräfte am Boden hinsichtlich der Aufklärung bzw.<br />

Überwachung schwer einsehbarer Bereiche. Der Empfang<br />

und die Darstellung am Boden wird mittels Remote Optical<br />

Video Enhanced Receiver (ROVER)-Terminals sichergestellt.<br />

Der von der israelischen Firma Rafael entwickelte und<br />

gebaute Laser Designator Pod (LDP) LITENING TOR<br />

III ist ein ursprünglich zur Zielbeleuchtung verwendeter<br />

Sensor mit der Möglichkeit, Bewegtbilddaten (FMV) zu<br />

generieren. Die Integration eines Sendemoduls ermöglicht<br />

darüber hinaus die Übermittlung der gewonnenen


Aufklärungsdaten im Line of Sight (LOS) Betrieb und<br />

trägt somit zur quasi echtzeitnahen Informationsversorgung<br />

bei.<br />

Der Luftwaffe stehen derzeit zwei LDP TOR III zur<br />

Verfügung, die im Rahmen eines CD+E 6 -Projektes mit<br />

FMV-Sendemodulen ausgerüstet und in im Rahmen von<br />

Übungen wie Common Shield oder in GREEN FLAG<br />

Alaska erfolgreich getestet wurden. Somit ist es technisch<br />

möglich, Videosequenzen des LDP an ROVER-Terminals<br />

zu senden.<br />

Diese Fähigkeit bietet die Möglichkeit, flexibel und schnell<br />

Schwerpunkte im gesamten Verantwortungsbereich ISAF,<br />

im Besonderen aber innerhalb des Regionalkommandos<br />

Nord, komplementär zu HERON 1, den am Boden eingesetzten<br />

Truppen zielgerichtet und bedarfsgerecht einen<br />

„digitalen Feldherrnhügel“ zur Verfügung zu stellen.<br />

RECCE LITE<br />

Das System RecceLite verbindet die Vorteile des LDP 7 mit<br />

den Vorzügen einer vollständig digitalen Datenaufzeichnung,<br />

einer kleinen und sehr leistungsfähigen Planungs-<br />

und Auswertestation sowie einer Echtzeit-Übertragungsmöglichkeit<br />

für Bild- und Missionsdaten. Mit dem nun<br />

verfügbaren, in den Aufklärungsbehälter integrierten Datenlink<br />

erreicht RecceLite das volle Leistungsvermögen. 8<br />

Der Recce Lite ist in der Lage, Aufklärungsinformationen<br />

multispektral mittels elektrooptischer Kameras sowie Forward<br />

Looking Infrared (FLIR) Systeme per Datenlink nahezu<br />

zeitverzugslos also in “near real time“ zu einer Bodenempfangsstation<br />

zu übertragen. Die Qualität der digitalen<br />

Sensorergebnisse ist der Nassfilmtechnik dabei gravierend<br />

überlegen. Dank der auf den Flugbetrieb eines Kampfjets<br />

abgestimmten Software der Missions Planungsstation,<br />

kann die Besatzung im Einsatzgebiet <strong>–</strong> auch unter hoher<br />

G-Belastung <strong>–</strong> von der Flugroute abweichen und das Ziel<br />

trotzdem erfolgreich aufklären. Die stabilisierte (INS on<br />

Gimbal) Sensor Nutzlast schwenkt dabei selbständig auf<br />

das Ziel und verfolgt es kontinuierlich weiter. Dabei kön-<br />

6 Concept Development and Experimentation<br />

7 Laser Designator Pod - Echtzeitbeobachtung, gleichzeitiges Generieren elektro-optischer und Infrarotbilder eines Ziels, Abstandsfähigkeit, Agilität.<br />

8 In den Bereichen Echtzeit-Downlink, echtzeitnahe Auswertung und Inflight-Retasking (Uplink).<br />

nen nicht nur Einzelbilder erzeugt, sondern mittels einer<br />

„Mosaik“-Funktion auch Serienbilder zu großen Gesamtflächen<br />

zusammengerechnet und in der Auswerteanlage<br />

entsprechend dargestellt werden. Das System arbeitet im<br />

automatischen wie auch manuellen Modus im gesamten<br />

Einsatzbereich des Waffensystems TORNADO. Die<br />

Besatzung kann während des Fluges per Datenlink mit<br />

neuen Aufklärungszielen beauftragt werden und sieht das<br />

Ergebnis der Aufklärung während des Fluges. Der Aufklärungsbehälter<br />

„RecceLite“ ist das derzeitig einzige verfügbare<br />

serienreife und einsatzerprobte System mit echtzeitnaher<br />

Datenübertragung an eine in das Gesamtsystem<br />

integrierte Empfangs-/Auswertestation.<br />

Der Aufklärungsbehälter wurde im Vorfeld durch die<br />

Luftwaffe sowie im Rahmen der Übung Common Shield<br />

streitkräftegemeinsam erfolgreich erprobt. Dabei wurde<br />

nachgewiesen, dass der „RecceLite“, neben höherer Zuverlässigkeit<br />

der Zielabdeckung, dem derzeit auch genutzten<br />

Aufklärungsbehälter (GAF Telelens Pod) in Auflösungsvermögen<br />

und Bildqualität deutlich überlegen ist.<br />

Neben der Fähigkeit zur echtzeitnahen Datenübertragung<br />

liegen die Stärken des „RecceLite“ besonders markant in<br />

den Bereichen Bewegtzielerkennung und Abstandsfähigkeit<br />

(insbesondere bei Nacht).<br />

Darüber hinaus wird mit dem Einsatz des „RecceLite“ am<br />

TORNADO RECCE die Gefährdung der Lfz-Besatzungen<br />

deutlich verringert, da Aufklärungsflüge nun tageszeitunabhängig<br />

in einer sicheren Flughöhe über Grund<br />

durchgeführt werden können. Durch die echtzeitnahe<br />

Übermittlung von Aufklärungsergebnissen und die damit<br />

verbundenen Zeitvorteile wird die Aktualität des Lagebildes<br />

und damit auch das situative Bewusstsein aller Nutzer/<br />

Bedarfsträger erhöht. Dies führt somit zu einer flexiblen<br />

und verzugslosen Umsetzung der Aufklärungsaufträge.<br />

Darüber hinaus ermöglicht die höhere Qualität der Aufklärungsdaten<br />

eine detailliertere und genauere Auswertung.<br />

Durch diesen Zuwachs an Fähigkeiten, insbesondere<br />

im Bereich der Nachtaufklärung kann ein effektiver<br />

69


70<br />

DIE BEDEUTUNG VON LUFT- UND RAUMGESTÜTZTER AUFKLäRUNG FÜR DIE<br />

AUFTRAGSERFÜLLUNG DER LUFTWAFFE IM EINSATZ<br />

Beitrag zur Lagedarstellung der ISAF Führung und damit<br />

insgesamt zum verbesserten Schutz der eingesetzten Soldaten<br />

geleistet werden.<br />

Insgesamt kann durch den Einsatz des digitalen Aufklärungsbehälters<br />

RecceLite, komplementär zu den Fähigkeiten<br />

der dauerhafte Aufklärung und Überwachung mit<br />

dem MALE System HERON 1 eine deutliche Erweiterung<br />

des bisherigen Fähigkeitsspektrums im Bereich der<br />

penetrierenden Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes<br />

erreicht und der gesamte Aufklärungsprozess im Sinne<br />

der Vernetzten Operationsführung beschleunigt werden.<br />

HERON 1 mit FMV<br />

Seit März 2010 setzt die Luftwaffe das Aufklärungssystem<br />

HERON 1 in Afghanistan zur dauerhaften Überwachung<br />

und Aufklärung im deutschen Verantwortungsbereich<br />

ein. Das System wird der Luftwaffe durch die<br />

Firma Rheinmetall Defence Electronics (RDE) mit dem<br />

Unterauftragnehmer Israel Aerospace Industries (IAI) für<br />

eine vertraglich vereinbarte Anzahl von Flugstunden pro<br />

Monat zur Verfügung gestellt. Einsatzverfügbarkeit und<br />

logistische Versorgung wird durch RDE, der Einsatzflugbetrieb<br />

durch Luftwaffenpersonal sichergestellt.<br />

Die Hauptaufgabe des HERON 1 besteht, komplementär<br />

zur penetrierenden Zielaufklärung durch den TOR-<br />

NADO RECCE, in Überwachung und Aufklärung im<br />

Einsatzgebiet zur Unterstützung der dort operierenden<br />

Kräfte. Darüber hinaus trägt HERON 1 durch Bereitstellen<br />

von Bilddaten an den Geoinformationsdienst der<br />

Bundeswehr (GeoInfoDBw) auch zum Aufbau des 3D-<br />

Geländedatenbestandes hoher Auflösung bei.<br />

Primärer Sensor ist eine stabilisierte elektrooptische/ infrarot<br />

Sensorplattform. Durch diese kann ein echtzeitnahes<br />

Full Motion Video (FMV) bereitgestellt werden, welches<br />

von Soldaten am Boden durch ein Remote Video Terminal<br />

(RVT) empfangen werden kann. Die Sensorplattform<br />

kann durch einen Rüstsatz „Synthetic Aperture Radar<br />

(SAR)“ mit GMTI Fähigkeit ergänzt werden. Durch den<br />

gleichzeitigen Betrieb zweier UAV ist eine Übergabe einer<br />

Mission von einem UAV zum nächsten und somit eine<br />

lang andauernde Stehzeit im Zielgebiet sichergestellt. Die<br />

Integration einer SATCOM Komponente ermöglicht den<br />

Einsatz im gesamten deutschen Verantwortungsbereich<br />

(Area of Responsibility, AOR).<br />

Letztendlich trägt das Aufklärungssystem HERON 1 wesentlich<br />

zu einer bedarfsgerechten, kontinuierlichen, detaillierten<br />

Lageaufklärung und zeitgerechten Lagefeststellung<br />

als Voraussetzung für Entscheidungen vor Ort und<br />

mittelbar auf allen Ebenen der Einsatz- und Operationsführung<br />

bei.<br />

Zusammenfassung<br />

3 Alliance Ground Surveillance<br />

4 Definierte Aufklärungsgebiet, die aus dem Abstand heraus aufgeklärt werden sollen, z.B. um eigene Operationen vorzubereiten oder deren Durchführung zu unterstützen.<br />

5 Beitrag zur Ziel- und Wirkungsanalyse<br />

Luftgestützte Aufklärung in und durch die Luftwaffe bedeutet<br />

Kompetenz im Bereich der abbildenden Aufklärung<br />

aus und in der dritten Dimension. Diese Kompetenz<br />

manifestiert sich zum Einen aus der jahrzehntelangen Erfahrung<br />

mit luftgestützter Aufklärung und der damit einhergehenden<br />

kompetenten, standardisierten, effizienten<br />

Ausbildung von Auswertepersonal für die gesamte Bundeswehr.<br />

Zum Anderen ergibt sich Kompetenz aus der Bereitstellung<br />

qualitativ hochwertiger Sensorausstattung für<br />

die fliegenden Plattformen der Luftwaffe. Mit der Einführung<br />

und dem Einsatz neuer Sensoren, insbesondere der<br />

Einführung digitaler Technologien erweitert die Luftwaffe<br />

ihr Fähigkeitsprofil sowohl im Bereich der penetrierenden<br />

abbildenden taktischen Ziel- und Wirkungsaufklärung als<br />

auch im Feld der permanenten Überwachung und Aufklärung.<br />

SAR-Lupe ist für die Bundeswehr der gelungene Einstieg<br />

in die weltweite abbildende Aufklärung, das System hat<br />

seinen berechtigten Platz in der Reihe der luft- und raumgestützten<br />

Aufklärungsmittel eingenommen. Die Luftwaffe<br />

profitiert vom eigenständigen, weltweiten Zugriff<br />

auf Satellitenbildmaterial durch eine verbesserte über-


geordnete Lagefeststellung als Grundlage der Urteils-,<br />

Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Einsatzbezogen<br />

bilden die Produkte der raumgestützten Aufklärung die<br />

Basis für die Vor- und Nachbereitung sowie Durchführung<br />

von Operationen der Luftstreitkräfte.<br />

Mit dem Jungfernflug des Prototypen und Erprobungsträgers<br />

EURO HAWK am 29. Juni 2010 von PALM DALE<br />

nach EDWARDS Air Force Base, USA beginnt für die<br />

Luftwaffe ein neues Kapitel im Betrieb von fliegenden<br />

Plattformen. Zusammen mit der Streitkräftebasis, des eigentlichen<br />

„Kunden“ für die Daten der signalerfassenden<br />

Aufklärung, wird dieses unbemannte Großluftfahrzeug<br />

weltweit eingesetzt werden. Die Luftwaffe als Betreiber<br />

des UAS leistet einen wesentlichen Beitrag für die signalerfassende<br />

weiträumige Aufklärung und trägt damit zu<br />

einer erheblichen Optimierung des Fähigkeitsspektrums<br />

der Streitkräfte insgesamt bei.<br />

Für die Luftwaffe im Einsatz ist ein wesentliches Kriterium<br />

die Ausrüstung der eingesetzten Soldaten mit einsatzerprobtem<br />

und bewährtem Material. Die Einführung<br />

des digitalen Aufklärungsbehälters Recce Lite innerhalb<br />

weniger Monate trägt dieser Prämisse Rechnung. Auch<br />

die Realisierung der kontinuierlichen Überwachungs-<br />

und Aufklärungsfähigkeit mit dem unbemannten Aufklärungssystem<br />

HERON 1 ist ein Beispiel für schnelle<br />

Implementierung von dringend benötigten Fähigkeiten<br />

im Einsatz zum Schutz der Soldaten. Mit der Beschaffung<br />

eines qualitativ besseren, die militärischen Forderungen<br />

abbildenden MALE Systems ab 2013 muss diese Fähigkeit<br />

weiter ausgebaut werden, um damit eigene operationelle<br />

und logistische Erfahrungen sammeln zu können.<br />

Dies ist für den Aufbau eigener Kompetenz und Expertise<br />

auf diesem Hochtechnologiefeld automatisierter Systeme<br />

zwingend notwendig.<br />

Der Fähigkeitsmix, den die Luftwaffe mit dem TORNA-<br />

DO RECCE und einem MALE UAS den Streitkräften<br />

im Einsatz zur Verfügung stellt, erweitert das Fähigkeits-<br />

profil der Luftwaffe und trägt, in Anlehnung an die Aufklärungsarchitektur<br />

der Bundeswehr, zu einem ganzheitlichen<br />

Ansatz bei.<br />

Die dargestellten Aspekte zeigen, dass luft- und raumgestützte<br />

Aufklärung in ihrer Bedeutung für die Luftwaffe<br />

im Einsatz zweidimensional ist. Zum Einen ist die<br />

Luftwaffe selbst auf Aufklärungsergebnisse für die eigene<br />

Auftragserfüllung angewiesen. Somit greift sie auch auf<br />

Produkte der anderen Organisationsbereiche zurück. Andererseits<br />

liefert die Luftwaffe mit den vorhandenen und<br />

zukünftigen Waffensystemen und deren Sensoren den wesentlichen<br />

Teil an luftgestützter abbildender Aufklärung,<br />

sei es im Bereich der weiträumigen Aufklärung oder im<br />

Bereich der Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes.<br />

Luftgestützte abbildende Aufklärung in all ihren dargestellten<br />

Ausprägungen ist und bleibt eine Kernaufgabe der<br />

Luftwaffe. Sie stellt dabei als Kompetenzträger für diese<br />

Aufgabe im Kontext streitkräftegemeinsamer Auftragserfüllung<br />

den Streitkräften die dringend benötigten Fähigkeiten<br />

zur Verfügung. Dies ist die eigentliche Bedeutung<br />

der Aufklärung für die Luftwaffe im Einsatz.<br />

Die Fähigkeiten der Luftwaffe in diesem für die Auftragserfüllung<br />

der Streitkräfte essentiellen Bereich schaffen<br />

letztendlich Relevanz im Konzert streitkräftegemeinsamer<br />

Auftragserfüllung. So versteht sich die Luftwaffe als kompetenter<br />

„Dienstleister“ in und aus der dritten Dimension<br />

für die Streitkräfte insgesamt.<br />

71


Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger!<br />

Text: Dr. Thomas Enders<br />

Die Konjunktur zieht an, Optimismus ist in die Märkte<br />

zurückgekehrt. Endlich. Bei Airbus haben wir im Sommer<br />

beobachtet, dass Asien boomt, der deutsche Export<br />

davon profitiert und viele Luftfahrtgesellschaften wieder<br />

vermehrt Flugzeuge bestellen. Dennoch besteht Grund<br />

zur Besorgnis, weil die Finanzkrise zur Folge hat, dass die<br />

Staaten den Gürtel enger schnallen müssen und die Verteidigungsausgaben<br />

dabei in den Fokus geraten.<br />

Der Verteidigungsetat hat kaum mehr eine Lobby, weil<br />

seit dem Fall der Mauer die Bedrohung nicht mehr so unmittelbar<br />

empfunden werden kann. Die Politik sagt zwar<br />

„nein“ zu einer Sicherheitspolitik nach Kassenlage, aber<br />

die Wehrpflicht wird jetzt de facto abgeschafft und die<br />

Truppenstärken schrumpfen erheblich. Vor zwanzig Jahren<br />

waren unsere Nachbarn noch besorgt, dass die Bundeswehr<br />

zu groß sein könnte. Heute höre ich im Ausland<br />

vielfach die Befürchtung, dass die Bundeswehr bald zu<br />

klein sein könnte.<br />

In dieser Umbruchsituation gilt es, kühlen Kopf zu bewahren<br />

und <strong>–</strong> wie es der Generalinspekteur getan hat <strong>–</strong> vor allem<br />

die Leistungsfähigkeit der Truppe in den Mittelpunkt<br />

der Debatte zu rücken. Deutschland hat eine Armee im<br />

Einsatz und deshalb eine Verantwortung gegenüber tausenden<br />

Soldaten. Unsere Geschichte, unsere Wirtschaftskraft,<br />

aber auch unsere Lage und Rolle in Europa geben<br />

uns eine internationale Verantwortung, der wir uns stellen<br />

müssen. Deshalb ist für mich klar: die Ausrüstung der<br />

Streitkräfte muss in jedem Fall verbessert werden.<br />

Für eine High-Tech-Exportnation in der Globalisierung<br />

ist die Ausgangslage trotzdem schwierig. Die Wirtschaft<br />

muss anerkennen, dass die Bäume im Verteidigungssektor<br />

nicht in den Himmel wachsen. Wir sind gesprächsbereit,<br />

aber wo ziehen wir die Grenzen? Wenn von Einsparungen<br />

bei Rüstungsprogrammen gesprochen wird, frage ich<br />

mich oft, ob Vielen bewusst ist, welch hohes Gut viele<br />

dieser Technologien darstellen.<br />

In erster Linie sind Technologien der wehrtechnischen<br />

Industrie natürlich ein Garant für unsere Sicherheit. Mit<br />

72<br />

Thomas Enders<br />

ihren <strong>Innovation</strong>en sind sie jedoch oft auch Vorreiter für<br />

zivile Anwendungen und oftmals ein Auslöser für technologischen,<br />

ja gesellschaftlichen Fortschritt. Das Internet<br />

beispielsweise <strong>–</strong> sein Ursprung liegt in einem Projekt<br />

des US-Verteidigungsministeriums Ende der 60er Jahre.<br />

Schnell erkannte man: Die Möglichkeit, sich global zu<br />

vernetzen, war auch für die zivile Wirtschaft von großem<br />

Nutzen. Es wurden unzählige neue Märkte eröffnet. Mehr<br />

noch, es hat unser Leben revolutioniert. Wer kann sich<br />

heute in unserer <strong>Gesellschaft</strong> noch ein Leben ohne Online-Banking<br />

oder youTube vorstellen?<br />

Oder um ein Beispiel aus der Luft- und Raumfahrtindustrie<br />

zu nennen: Fly-by-wire <strong>–</strong> die elektronische Flugsteuerung.<br />

Anfang der 50er Jahre startete mit der Avro Vulcan<br />

das erste Militärflugzeug mit einem kompletten „Fly-bywire“-System.<br />

Über 30 Jahre später folgte mit der A320<br />

im Jahr 1987 die erste zivile Anwendung. „Fly-by-wire“<br />

war revolutionär, ein Meilenstein in der Entwicklung neuer<br />

Flugzeuge, ein Grund für den durchschlagenden Erfolg<br />

der A320. Alle neuen Flugzeugmodelle sind heute mit<br />

dieser Technologie ausgestattet, sogar die unserer Wettbewerber.<br />

Vierzig Jahre nach der Gründung von Airbus ist unstreitig,<br />

dass Europa erst durch Länder übergreifende Koopera-


tion das amerikanische Monopol im zivilen Flugzeugbau<br />

brechen konnte. Was wir Europäer mit Airbus geschaffen<br />

haben, ist einzigartig. Jeder weiß das, jeder respektiert das<br />

<strong>–</strong> selbst unsere härtesten Wettbewerber. Niemand käme<br />

auf die irrwitzige Idee, das Rad der europäischen Integration<br />

bei Airbus zurückzudrehen und Verkehrsflugzeuge<br />

wieder in nationaler Regie zu bauen. Im Gegenteil: in der<br />

zivilen Luftfahrt hat nicht zuletzt die “Vulkankrise“ dem<br />

Projekt eines einheitlichen europäischen Luftraums neuen<br />

Schub gegeben. Denn als sich die dunklen Schwaden<br />

des Eyjafjallajökull am Himmel verflüchtigt hatten, wurde<br />

sichtbar: nicht weniger, sondern mehr Europa ist in der<br />

Luftfahrt für die Bewältigung solcher Krisen nötig. Ein<br />

Flickenteppich von 47 zivilen und militärischen Luftverkehrskontrollzentren<br />

in 27 europäischen Staaten hat<br />

schlicht keine Zukunft.<br />

Umgekehrte Lage im Verteidigungssektor. Errungenschaften<br />

europäischer Kooperation <strong>–</strong> und sie sind mindestens<br />

ebenso zahlreich wie in der zivilen Luftfahrt! <strong>–</strong> gehen in<br />

öffentlichen Debatten oft unter; nationale Reflexe greifen,<br />

vor allem in Krisenzeiten. Das europäische Pionierunternehmen<br />

EADS <strong>–</strong> ein Stück Europa, das wie die EU allzu<br />

oft als Prügelknabe herhalten muss. Die oft gehörte Pauschalkritik<br />

lautet: „Die liefern zu spät und sind zu teuer“.<br />

Europäische Leuchtturmprogramme wie etwa die A400M<br />

(zur Erinnerung: sieben Nationen haben im Jahr 2003<br />

das größte europäische Rüstungsprojekt aller Zeiten auf<br />

den Weg gebracht!) machen nur mit ihren industriellen<br />

Problemen Schlagzeilen. Über die bemerkenswerten technischen<br />

Fortschritte des Programms liest man allenfalls in<br />

Fachblättern.<br />

Ja, Kritik ist gerechtfertigt. Wir haben uns so manches<br />

Mal über- und die technische Komplexität einiger Großprojekte<br />

klar unterschätzt. Vor allem haben wir viel zu<br />

zögerlich und zaghaft eine echte europäische Industrieorganisation<br />

geschaffen. Aber: Das Unternehmen hat den<br />

Preis gezahlt und Lehren aus diesen Erfahrungen gezogen.<br />

Im Jahr 2007 haben die Hauptaktionäre der EADS die<br />

Governance angepasst, die Führungsebene des Unternehmens<br />

effizienter gestaltet. Auch intern haben wir mit über-<br />

holten Strukturen gründlich aufgeräumt. Airbus Military<br />

etwa ist nun in Airbus eingegliedert <strong>–</strong> eine wichtige Maßnahme<br />

gerade für das A400M-Programm-Management.<br />

Sie hat sich gelohnt: Das Flugzeug hat bei den bisherigen<br />

Testflügen Ergebnisse erzielt, die besser als erwartet waren,<br />

auch wenn naturgemäß noch viele technische Herausforderungen<br />

vor uns liegen.<br />

Dem EADS-Management liegt sehr daran, das Verhältnis<br />

zu unseren Regierungskunden <strong>–</strong> insbesondere auch in<br />

Berlin <strong>–</strong> auf ein dauerhaft stabiles Fundament zu stellen.<br />

EADS verfügt mit seinen Divisionen Airbus, Astrium,<br />

Cassidian und Eurocopter über ein hohes Technologieniveau<br />

und großes Produktportfolio. Diese Vielfalt und<br />

Expertise macht uns wettbewerbsfähig, sie hat uns stabil<br />

durch die Wirtschaftskrise gebracht. Diese Robustheit<br />

verdanken wir der Entscheidung visionärer Unternehmensführer<br />

und Politiker Deutschlands, Frankreichs<br />

und Spaniens, die vor mehr als zehn Jahren Mut zur Gemeinsamkeit<br />

hatten und Hauptakteure in der Luft- und<br />

Raumfahrtindustrie ihrer Länder in einem Unternehmen<br />

gebündelt haben.<br />

Vision und Mut haben sich gelohnt. Unsere Heimatländer<br />

Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien<br />

profitieren, Europa insgesamt profitiert. 15.000<br />

High-Tech-Jobs wurden in den letzten zehn Jahren zusätzlich<br />

geschaffen. Was viele nicht wissen: Alleine in<br />

Deutschland arbeiten heute rund 45.000 Menschen für<br />

den EADS-Konzern <strong>–</strong> fast die Hälfte aller Beschäftigten<br />

der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Der Beitrag<br />

des Unternehmens zu den Handelsbilanzen unserer Heimatländer<br />

ist erheblich. In der letzten Dekade haben wir<br />

unser Einkaufsvolumen in Europa sogar fast verdreifacht.<br />

Güter und Dienstleistungen, die wir hier kaufen, belaufen<br />

sich heute auf 31 Milliarden Euro im Vergleich zu elf<br />

Milliarden Euro im Jahr 2000. Aufwendungen für eigenfinanzierte<br />

Forschung und Entwicklung zwischen 2000<br />

und 2009: über 22 Milliarden Euro. Im Schnitt meldet<br />

EADS heute täglich drei neue Patente an. Das ist <strong>Innovation</strong><br />

auf hohem Niveau. Wer in Europa kann Vergleichbares<br />

aufbieten?<br />

73


74<br />

WIR BRAUCHEN MEHR EUROPA, NICHT WENIGER!<br />

Und doch höre ich immer wieder von abenteuerlichen<br />

Denkspielen, die alle nur darauf hinauslaufen, die Europäisierung<br />

zurückzudrehen und wieder nationalen Organisationen<br />

und Unternehmen den Vorrang zu geben. Ich<br />

bin überzeugt: Ein solcher Schritt wäre ein fataler Irrweg,<br />

der das Ende der Luft-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie<br />

in Europa einleiten würde. Wirtschaft und Politik<br />

haben vielmehr ein echtes gemeinsames Interesse, diese<br />

europäische Erfolgsgeschichte fortzuschreiben <strong>–</strong> sonst reiben<br />

sich am Ende andere die Hände über die fehlende<br />

Konkurrenz: Chinesen, Amerikaner, Russen und Inder.<br />

Wir müssen mit Irritationen und Missverständnissen, die<br />

unser Arbeitsverhältnis belasten, so schnell wie möglich<br />

aufräumen und nach Wegen suchen, unsere Zusammenarbeit<br />

bestmöglich zu vertiefen. Ich bin fest davon überzeugt:<br />

Die Zukunft gehört mehr denn je europäisch integrierten<br />

und international aufgestellten Unternehmen: die<br />

Integration unserer Branche jedenfalls ist unumkehrbar.<br />

Um dieses Ziel <strong>–</strong> „mehr Europa“ in der Verteidigung <strong>–</strong><br />

zu realisieren, müssen wir gemeinsam mindestens zwei<br />

grundlegende Voraussetzungen schaffen:<br />

1. Wir brauchen wieder mehr europäischen Teamgeist.<br />

Die Globalisierung gewinnt deutlich an Fahrt <strong>–</strong> nicht zuletzt<br />

in unserer Branche. Neue Märkte tun sich auf, davon<br />

profitieren wir mit qualitativ hochwertigen Produkten.<br />

Aber auch neue Wettbewerber steigen in den Ring. Qualität<br />

alleine reicht nicht aus; Finanz-, Technologie- und Vertriebskraft<br />

sowie politische Unterstützung werden immer<br />

wichtiger. Mit Amerika <strong>–</strong> und künftig auch China sowie<br />

anderen ambitionierten Ländern <strong>–</strong> können wir Europäer<br />

in der Luft- und Raumfahrtindustrie nur gemeinsam konkurrieren.<br />

Wer heute zu sehr in nationalen Denkmustern<br />

verharrt, wird auf Wachstumsmärkten in Zukunft keine<br />

Rolle spielen. Europa wird zum Verlierer der Globalisierung,<br />

wenn die heute vielfach zu beobachtende Renationalisierung<br />

obsiegt. Dieses Bewusstsein muss in Wirtschaft<br />

und Politik reifen. Rasch. Wäre es im Jahr 2010<br />

möglich, eine EADS zu gründen? Ich bin skeptisch. Seit<br />

fast zehn Jahren sind keine bedeutsamen gemeinsamen<br />

europäischen Rüstungsprogramme mehr begonnen wor-<br />

den; neue transatlantische Initiativen gibt es keine. Hier<br />

ist die Politik das Zugpferd. Kurzum: Es ist an der Zeit,<br />

den Schalter umzulegen. Europäisierung sollte Normalität<br />

sein, nicht die Ausnahme. Wir müssen mehr denn je<br />

die Chancen ergreifen, die die europäische Kooperation<br />

bietet.<br />

2. Wir brauchen eine neue, aufgeklärte strategische<br />

Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Politik.<br />

Kooperation gelingt nur, wenn wir realistisch und ehrlich<br />

zueinander sind. Deshalb bedarf es auf beiden Seiten eines<br />

nüchternen Verständnisses über gemeinsame Interessen,<br />

aber auch Divergenzen. Gerade bei klammen Verteidigungsetats<br />

können wir es uns nicht leisten, die jeweils<br />

andere Seite zu überfordern, Wunschbildern anzuhängen<br />

oder uns in nationale Kuschelecken zurückzuziehen.<br />

Wichtig ist: Es geht nicht zuerst um Industriepolitik, wie<br />

es manch einer gerne formuliert. Es geht vielmehr darum,<br />

Prinzipien für ein konstruktives und langfristig angelegtes<br />

Miteinander zu definieren, effektive Vertragsstrukturen zu<br />

schaffen, Risiken mit Augenmaß gleichmäßig zu verteilen<br />

und gemeinsame Projekte so aufzulegen, dass sie für beide<br />

Seiten von Nutzen sind.<br />

Wir müssen Schluss machen mit unrealistischen Anforderungen,<br />

mit überzogenen Versprechungen, mit der Vertagung<br />

von Problemen in die Zukunft, mit Illusionen über<br />

Handlungsalternativen und der Vorstellung, dass eine<br />

Industrie auch ohne Gewinne künftig noch als Lieferant<br />

zur Verfügung stehen kann. Wichtig ist auch: Wir dürfen<br />

diesen Dialog nicht auf die nationale Ebene beschränken.<br />

Eine Erkenntnis aus Programmen wie Eurofighter,<br />

A400M oder NH90 ist doch: Wir haben es mit einer Vielzahl<br />

europäischer Akteure zu tun. Daher müssen wir Wege<br />

finden, wie Entscheidungen möglichst rasch, abgestimmt<br />

getroffen werden können. Denn für Wirtschaft und Politik<br />

gleichermaßen gilt: Zeit ist Geld, Stillstand ist Rückschritt.<br />

Natürlich kann sich die Wirtschaft nicht von den Entwicklungen<br />

der europäischen Streitkräfte abkoppeln.<br />

Wachsen sie zusammen, dann folgen wir ganz natürlich.


Aber selbst wenn der Integrationsprozess politisch stockt,<br />

kann die Wirtschaft nicht stehenbleiben.<br />

Im Lenkflugkörperprogramm METEOR haben wir eine<br />

pragmatische Lösung gefunden. Hier haben die Regierungen<br />

für ein europäisches Programm nicht etwa eine neue<br />

bürokratische Programmagentur geschaffen, sondern sich<br />

darauf verständigt, dass eine Nation im Namen aller das<br />

Programm führt: hier Großbritannien. Das sind Wege,<br />

die tatsächlich in die Zukunft führen. Gibt es nicht viele<br />

solcher Wege? Muss jede Streitkraft alles können und alles<br />

machen? Kann man nicht verstärkt Schwerpunkte bilden<br />

und sich auch im militärischen Alltag besser ergänzen und<br />

unterstützen <strong>–</strong> zum Wohle aller? Sind Kompetenzzentren,<br />

wie wir sie in der Industrie beispielsweise im Militärflugzeug-<br />

und Hubschrauberbereich gegründet haben, nicht<br />

auch ein Weg, nationale Streitkräfte zu erhalten, sie aber<br />

gleichzeitig auf den Weg zu bringen zu einer effizienteren,<br />

europäischen Sicherheitsstruktur, die jeder einzelnen Nation<br />

mehr Sicherheit für weniger Geld bietet?<br />

Wirtschaft und Politik sollten möglichst bald zu einem<br />

strategischen Dialog zusammenfinden. Die anstehende<br />

Bundeswehr-Reform mitsamt ihren Implikationen für<br />

die Wirtschaft bietet den notwendigen Rahmen hierfür.<br />

Denn für mich steht fest: Nur gemeinsam werden wir<br />

Europa weiterhin an der Spitze des politischen, technologischen<br />

und gesellschaftlichen Fortschritts positionieren<br />

können. Das ist eine große Aufgabe. Wenn wir sie<br />

gemeinsam angehen, zusammen mit unseren politischen<br />

und industriellen Partnern in unseren Nachbarländern,<br />

bin ich zuversichtlich, dass in den nächsten ein bis zwei<br />

Jahren wichtige Weichen für die Sicherheit Europas, aber<br />

auch für eine Zukunftsperspektive für die Streitkräfte in<br />

Europa und die Industrie gestellt werden können.<br />

75


Die <strong>Innovation</strong>skraft der Raumfahrt<br />

Text: Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner<br />

Die viel gerühmte Teflonpfanne ist kein Produkt der<br />

Raumfahrt. Auch nicht der Klettverschluss. Teflon <strong>–</strong><br />

oder Polytetrafluorethylen (PTFE) <strong>–</strong> wurde bereits 1938<br />

vom amerikanischen Chemiker Roy Plunkett durch Zufall<br />

entdeckt, als er auf der Suche nach Kältemitteln für<br />

Kühlschränke war. 1954 wurden mit dem innovativen<br />

Material erstmals Pfannen beschichtet. Die Idee zum<br />

Klettverschluss entnahm der Schweizer Ingenieur Georges<br />

de Mestral der Natur und meldete seinen textilen Verschluss<br />

1951 zum Patent an. Soviel zu den Irrtümern.<br />

Die <strong>Innovation</strong>skraft der Raumfahrt bleibt davon unbenommen,<br />

denn die Transferleistungen vom Weltraum<br />

hinab auf die Erde sind vielfältig: hoch effiziente Photovoltaik,<br />

Sensoren für Airbags, sensitive Roboter für die<br />

Automobil-Produktion, Überwachung von Energienetzen<br />

und Auffinden natürlicher Ressourcen aus dem All,<br />

elektronische Nasen zur Feuerfrüherkennung, leichte und<br />

flexible Prothesen, Nierensteinzertrümmerer, Satellitennavigation,<br />

Kommunikation in entlegene Regionen, zuverlässige<br />

Wettervorhersagen und verbesserte Sicherheits-<br />

Infrastrukturen sind nur wenige Beispiele.<br />

Im Folgenden werden Möglichkeiten und Bedeutung der<br />

Raumfahrt für die <strong>Innovation</strong>sfähigkeit unserer <strong>Gesellschaft</strong><br />

aufgezeigt. Ich vertrete hierbei die These, dass die<br />

Raumfahrt eine der großen Technologien unserer Zeit ist,<br />

die unser Leben fundamental bereichert und verändert<br />

haben <strong>–</strong> und es weiterhin auf vielfältige Weise tun.<br />

Der Mensch strebt nach Wissen<br />

Das Wesen des Menschen ist von bemerkenswerter Natur.<br />

Wir werden getrieben von unserer Neugier, unserem<br />

Streben nach immer neuem Wissen. Was wir wissen, ist<br />

uns nicht genug. Ein dauerhafter Zustand der geistigen<br />

Sättigung wurde dem Menschen nicht mit auf seinen<br />

Weg durch die Evolution gegeben. Wissen macht Lust auf<br />

mehr.<br />

„Homo sapiens“ drückt präzise diesen Umstand aus. „Der<br />

einsichtsfähige, der wissende Mensch“ lautet seit 1758<br />

unsere taxonomische Bezeichnung in der Sprache der<br />

76<br />

Johann-Dietrich Wörner<br />

alten Römer. Wissen und insbesondere der beim Menschen<br />

einzigartig ausgeprägte Wissenstransfer von Generation<br />

zu Generation waren offensichtlich das entscheidende Erfolgsrezept,<br />

denn wir gehören zur einzigen überlebenden<br />

Art der Gattung „homo“. Der moderne Mensch behauptet<br />

sich durch gezieltes Einwirken auf seine Umwelt, eine<br />

immer rasantere kulturelle Weiterentwicklung sowie seinem<br />

historischen Bewusstsein, das ihn zum Entwurf von<br />

Zukunftsvisionen befähigt. Ergo: Uns Menschen zeichnen<br />

Kreativität und Selbstreflexion aus.<br />

Die Charakterisierung unserer Art als „einsichtsfähig“ verpflichtet<br />

uns heute mehr als jemals zuvor zu vernunftbasiertem<br />

Handeln. Denn niemals zuvor lebten mehr Menschen<br />

auf der Erde, niemals zuvor mussten wir deshalb<br />

größere, gar globale Herausforderungen meistern. Niemals<br />

zuvor waren Wissen, Invention und <strong>Innovation</strong> so<br />

wichtig wie heute.<br />

Wissen ist die strategische Ressource des<br />

21. Jahrhunderts<br />

Informationen erreichen uns heute aus jeder Richtung:<br />

aus dem Internet und dem Rundfunk, aus Büchern, Zeitungen<br />

und Magazinen sowie aus verbaler und digitaler<br />

Kommunikation. Sie sind das strukturierte aber oft unreflektierte<br />

Produkt der accelerierenden Datenflut, die


Wissenschaft, Medien, Wirtschaft und Verwaltung generieren.<br />

Es kommt allerdings immer stärker darauf an, sie<br />

intelligent zu vernetzen, die richtigen Schlussfolgerungen<br />

aus ihnen zu ziehen und handlungsbestimmendes Wissen<br />

aus ihnen abzuleiten. Denn ohne detailliertes, zielorientiertes<br />

Wissen kann Zukunft nicht geplant und erwirtschaftet<br />

werden.<br />

Die schrumpfende Bevölkerung in Deutschland und<br />

West-Europa führt zu einem Rückgang des so genannten<br />

Humankapitals, der Produktivkraft Mensch. Schätzungen<br />

des Statistischen Bundesamtes gehen von einem Absinken<br />

der deutschen Bevölkerung von etwa 82 Millionen Einwohnern<br />

in 2010 auf 74 Millionen im Jahr 2050 aus. In<br />

vielen anderen Regionen der Welt nimmt die Bevölkerung<br />

hingegen massiv zu, global derzeit um rund 79 Millionen<br />

jährlich. Gegenwärtig zählen die Vereinten Nationen<br />

eine Weltbevölkerung von 6,9 Milliarden Menschen. Für<br />

2025 kalkulieren die VN bereits mit acht Milliarden, für<br />

2050 mit 9,2 Milliarden Menschen. Im Verhältnis also<br />

schrumpft der Anteil der deutschen Bevölkerung noch<br />

stärker.<br />

Deutschland ist zudem ein Land mit wenigen natürlichen<br />

Rohstoffen. Als Produktionsfaktor zum Erhalt des Wohlstandes<br />

unserer postindustrialisierten <strong>Gesellschaft</strong> und<br />

damit als Garant für die Stabilität unserer Sozialordnung<br />

scheiden sie fast vollständig aus. Bereits seit den 1970er<br />

Jahren ist Arbeit zunehmend durch ihren kognitiven Wert<br />

gekennzeichnet. Sichtbar wurde dies im Strukturwandel<br />

hin zur dienstleistungsorientierten <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Die kognitive Leistungsfähigkeit eines jeden Einzelnen beeinflusst<br />

die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wissen ist<br />

zur strategischen Ressource des 21. Jahrhunderts geworden.<br />

Der Wettbewerb um die besten Köpfe ist im vollen<br />

Gange. Er wird sich in den nächsten Jahrzehnten massiv<br />

verschärfen. Bildung und <strong>Innovation</strong> müssen daher nicht<br />

nur als Chance begriffen werden, sondern als unverzichtbare<br />

gesellschaftliche Pflicht. Denn nur auf Basis exzellenter<br />

nationaler Kompetenzen wird sich Deutschland als<br />

bedeutende Wirtschaftsnation mit hohem Lebensstan-<br />

dard, intakter sozialer Fürsorge und effektiver innerer wie<br />

externer Sicherheit in europäischer Kooperation und im<br />

internationalen Wettbewerb behaupten können.<br />

Vom Wissen zur <strong>Innovation</strong>!<br />

Deutschlands Herausforderung besteht, erst recht in Folge<br />

der Wirtschaft- und Finanzkrise, im Wettbewerb der<br />

besten Ideen. Denn der internationale Wettbewerb um<br />

Talente, Technologien und Marktführerschaft wird weiter<br />

zunehmen. Exzellenz und Eliten-Förderung müssen daher<br />

ebenso ein Kernanliegen unserer <strong>Gesellschaft</strong> werden<br />

wie die Vergrößerung des allgemeinen Wissensstandards.<br />

„Wissen ist Macht“ <strong>–</strong> diese Schlussfolgerung des englischen<br />

Aufklärungs-Philosophen Francis Bacon ist heute<br />

aktueller denn je. Wissen allein aber darf kein Selbstzweck<br />

sein. Wissensträger haben eine gesellschaftliche Verantwortung,<br />

die in der Überführung von Wissen in Nutzen<br />

besteht: <strong>Innovation</strong>.<br />

Laut dem Ökonomen Joseph Schumpeter sind <strong>Innovation</strong>en<br />

die Durchsetzung einer technischen oder organisatorischen<br />

Neuerung im Produktionsprozess. Das geht über<br />

die reine Erfindung <strong>–</strong> die Invention <strong>–</strong> hinaus. <strong>Innovation</strong>en<br />

treten demnach insbesondere dann in starkem Maße<br />

auf, wenn sich die Kombination der Produktionsfaktoren<br />

ändert. Das setzt Mut, Neugier und Lust an Erneuerungen<br />

voraus. Mit der zunehmenden Bedeutung des Faktors<br />

Wissen trifft dies gegenwärtig in besonderem Maße zu.<br />

Unsere Herausforderung besteht darin, möglichst viel dieses<br />

<strong>Innovation</strong>spotenzials für unsere <strong>Gesellschaft</strong> zu nutzen.<br />

Wir müssen innovativer werden, die Avantgarde als<br />

Chance begreifen.<br />

Wissensgewinn ist Ziel der Raumfahrt<br />

Dass der Mensch Wissen schafft, liegt also in seiner Natur.<br />

Wissenschaftlicher Ehrgeiz ist auch der Antrieb des<br />

„homo astronauticus“, der danach strebt, die Geheimnisse<br />

und Möglichkeiten der letzten Terra incognita zu erkunden:<br />

das Weltall. Jahrhunderte lang wurde über das Wesen<br />

des Alls philosophiert, erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts<br />

agiert der Mensch dort physisch.<br />

77


78<br />

DIE INNOVATIONSKRAFT DER RAUMFAHRT<br />

Beim Aufbruch ins All war Deutschland von Anfang an<br />

dabei und ist heute eine der führenden Nationen der<br />

internationalen Raumfahrt: 1,2 Milliarden Euro investiert<br />

die Bundesregierung jährlich in diesen Bereich, das<br />

sechsthöchste Raumfahrtbudget weltweit. Die damit<br />

verbundene Erfolgsbilanz kann sich sehen lassen: Deutsche<br />

Wissenschaftler und Ingenieure waren an über 200<br />

Weltraum-Missionen beteiligt, von erdnahen Kommunikations-<br />

und Wettersatelliten bis hin zu Weltraumteleskopen<br />

und Tiefraumsonden. Durch sein Engagement in<br />

der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der EU<br />

gestaltet Deutschland die europäische Raumfahrtpolitik<br />

maßgeblich und pflegt eine intensive wissenschaftliche<br />

und technologische Partnerschaft mit allen Raumfahrtnationen.<br />

Mit 493 Tagen, 15 Stunden und 34 Minuten<br />

Astronautenzeit im All belegt Deutschland zudem den beachtenswerten<br />

dritten Platz in der astronautischen Raumfahrt.<br />

Raumfahrt ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.<br />

Sei es die Live-Übertragung der Fußball-Weltmeisterschaft,<br />

das Krisenmanagement mit Hilfe von Erdbeobachtungssatelliten<br />

oder der abendliche Wetterbericht.<br />

Raumfahrt ist allgegenwärtig: im Haushalt, im Auto, in<br />

vielen Berufen und in der Freizeit. Ohne satellitengestützte<br />

Navigationssysteme für Logistik, Individualverkehr<br />

und Freizeitaktivitäten wie Bergsteigen oder Segeln,<br />

ohne Internet-, Radio- und TV-Transponder im Erdorbit<br />

und ohne hoch aufgelöste Satellitenbilder zur Unterstützung<br />

des Städtebaus, der Waldbrandbekämpfung oder der<br />

Forst- und Landwirtschaft sähe unser Leben gravierend<br />

anders aus. Unser kultureller Fortschritt wäre ärmer ohne<br />

vor Ort gewonnene Erkenntnisse über die Beschaffenheit<br />

unseres Sonnensystems oder die erst fünfzehn Jahre junge<br />

Gewissheit, dass auch andere sonnenähnliche Sterne Planeten<br />

besitzen, auf denen eventuell Leben möglich sein<br />

könnte. Die experimentelle Verifikation von Einsteins<br />

Relativitätstheorie ist mit Hilfe der Raumfahrt möglich,<br />

ebenso der Erkenntnisgewinn über den Einfluss der Gravitation<br />

auf biologische, medizinische und physikalische<br />

Vorgänge. Das Gedankenexperiment „Was wäre, wenn<br />

man einen Tag lang alle Raumfahrt-Applikationen auszu-<br />

schalten würde und nie forschende Astronauten im All gehabt<br />

hätte?“ verdeutlicht die gesellschaftliche, wirtschaftliche<br />

und kulturelle Bedeutung der Raumfahrt drastisch.<br />

Raumfahrt ist eine bedeutende Schlüsseltechnologie<br />

Raumfahrt eröffnet eine Vielzahl von gänzlich neuen<br />

oder deutlich verbesserten Anwendungen. Sie eröffnet<br />

uns Möglichkeiten, wie keiner Generation zuvor. Diese<br />

Möglichkeiten dienen dazu, Deutschlands Wettbewerbs-<br />

und Partnerschaftsfähigkeit nachhaltig zu verbessern. Sie<br />

tragen zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie<br />

dem Klimawandel, dem Ressourcen-Management und<br />

dem zunehmendem Bedarf an mobiler Breitband-Kommunikation<br />

bei.<br />

Raumfahrt hat zudem ein großes Potenzial für den Technologietransfer.<br />

Denn nicht immer bedeutet <strong>Innovation</strong><br />

die Erfindung einer vollkommen neuen, revolutionären<br />

Technologie. Die effizientesten <strong>Innovation</strong>en erreicht<br />

man vielmehr dann, wenn man bestehende Technologien<br />

in Märkten und Branchen einsetzt, für die sie ursprünglich<br />

nicht entwickelt wurden. Die Raumfahrt bietet diesbezüglich<br />

besonders großes Potenzial, da alle hier zum<br />

Einsatz kommenden Technologien höchsten Ansprüchen<br />

genügen müssen: Im Weltraum herrschen extreme Temperaturschwankungen,<br />

Vakuum, Schwerelosigkeit und<br />

harte Strahlung, auch gibt es weder Tankstellen, Steckdosen<br />

noch Reparaturwerkstätten. Alle Systeme müssen daher<br />

weitgehend autonom, zuverlässig und langlebig sein,<br />

zudem möglichst leicht und kompakt, denn der Transport<br />

in den Weltraum ist teuer.<br />

Aus diesem Grund nimmt die Raumfahrt auch in der neuen<br />

High-Tech-<strong>Strategie</strong> der Bundesregierung eine wichtige<br />

Rolle ein. Das am 14. Juli 2010 vom Bundeskabinett<br />

verabschiedete Konzept hat sich zur Aufgabe gesetzt, die<br />

enormen Potenziale Deutschlands in Wissenschaft und<br />

Wirtschaft gezielt zu aktivieren und Lösungen für die globalen<br />

und nationalen Herausforderungen bereitzustellen.<br />

Bundesforschungsministerin Schavan unterstrich: „Wir<br />

wollen aus Wissen und Ideen in Deutschland möglichst<br />

schnell <strong>Innovation</strong>en machen.“ Die High-Tech-<strong>Strategie</strong>


definiert fünf Kernbereiche, in denen sich „die wichtigsten<br />

Menschheitsfragen dieses Jahrhunderts“ entscheiden:<br />

Klima & Energie, Gesundheit & Ernährung, Mobilität,<br />

Sicherheit und Kommunikation. Bei jedem dieser Bereiche<br />

wird Raumfahrt direkt oder indirekt als Schlüsseltechnologie<br />

hervorgehoben. Die <strong>Innovation</strong>skraft der<br />

Raumfahrt soll helfen, „zukunftsträchtige Leitmärkte zu<br />

prägen, diese durch gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben<br />

und damit materiellen, kulturellen und sozialen<br />

Wohlstand zu sichern.“<br />

Aus dem Weltall sieht man besser: Umwelt- und Klima-<br />

Schutz<br />

Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy haben<br />

Anfang 2010 einen deutsch-französischen Satelliten zur<br />

Klimaforschung beschlossen: Merlin. Mit ihm können<br />

ab etwa 2014 natürliche und vom Menschen verursachte<br />

Methan-Konzentration in der Atmosphäre in hoher Auflösung<br />

und Genauigkeit gemessen werden. Als Treibhausgas<br />

ist Methan neben Kohlenstoffdioxid hauptverantwortlich<br />

für die zunehmende Erwärmung unserer Atmosphäre.<br />

Bereits heute führt die beginnende globale Klimaerwärmung<br />

zu einer deutlichen Verschiebung der Klimazonen:<br />

Niederschlagsmuster verändern sich, die kontinentalen<br />

Gletscher schmelzen und im Sommer taut der Eispanzer<br />

des Nordpolarmeeres. Klimaforscher schließen für die Zukunft<br />

nicht aus, dass auch die Grönlandgletscher und die<br />

südpolaren Eismassen verstärkt abschmelzen. Das hätte<br />

eine Verlaufsänderung des Golfstromes und einen Anstieg<br />

des Meeresspiegels zur Folge <strong>–</strong> mit weitreichenden ökologischen,<br />

gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen.<br />

Merlin erweitert die bestehende große deutsche Kompetenz<br />

in der Erdbeobachtung: Mit dem Radar-Satelliten<br />

TerraSAR-X erforschen deutsche Wissenschaftler unabhängig<br />

von der Wetterlage Klima, Verkehr, die Entwicklung<br />

von Ballungszentren oder die Nutzung landwirtschaftlicher<br />

Flächen. Der Zwillingssatellit TanDem-X<br />

ergänzt diese Kapazität und bietet die weltweit einzigartige<br />

Möglichkeit, die Erde aktuell und hoch detailliert dreidimensional<br />

zu betrachten.<br />

Mit dem Satelliten EnMap wird Deutschland schließlich<br />

ein neues Feld der optischen Erdbeobachtung besetzen.<br />

Der Satellit wird mit einem so genannten Hyperspektralsensor<br />

ausgerüstet sein. Seine Aufnahmen bilden die Erdoberfläche<br />

in über 200 schmalen Farbkanälen ab. Hiermit<br />

lassen sich detaillierte Informationen über Gewässer, Vegetation,<br />

Landnutzung oder Gesteinsoberflächen gewinnen.<br />

Die Daten geben beispielsweise Auskunft über die<br />

mineralogische Zusammensetzung der Gesteine, die Schädigung<br />

von Pflanzen durch Luftschadstoffe oder den Grad<br />

der Bodenverschmutzung.<br />

Darüber hinaus engagiert sich Deutschland führend im<br />

Erdbeobachtungsprogramm der ESA und im Programm<br />

der EU zur Globalen Überwachung für Umwelt und Sicherheit,<br />

GMES. Mit dem Zentrum für satellitengestützte<br />

Kriseninformation im Deutschen Zentrum für Luft- und<br />

Raumfahrt (DLR) unterstützt Deutschland Krisenhelfer<br />

weltweit, 2010 etwa nach dem verheerenden Erdbeben in<br />

Haiti oder der Flutkatastrophe in Pakistan.<br />

Agieren im All: Weltraum-Robotik<br />

Deutschland ist Vordenker und Vorreiter in der Weltraumrobotik.<br />

Sie erweitert unseren Handlungshorizont in<br />

fernen, für den Menschen nicht zugänglichen Bereichen,<br />

etwa auf anderen Planeten, Asteroiden oder Monden und<br />

schafft neue Möglichkeiten zur Reparatur und Wartung<br />

von Satelliten. Sie ist hoch spezialisiert in Erkundung und<br />

Manipulation, in hohem Grade autonom, flexibel einsetzbar<br />

und mit fortentwickelter Künstlicher Intelligenz<br />

ausgestattet. Die Bundesregierung hat die <strong>Innovation</strong>skraft<br />

der Weltraumrobotik erkannt und 2009 ihr Robotikprogramm<br />

initiiert. Unter anderem wurde im DLR das<br />

Leistungszentrum Robotik gegründet, das sich auch mit<br />

terrestrischen Anwendungen beschäftigt.<br />

Auch auf der Erde werden Erfindungen der Weltraumrobotik<br />

eingesetzt, etwa bei von Menschenhand nicht<br />

durchführbaren Operationen am schlagenden Herzen,<br />

der Suche nach Überlebenden in zusammengestürzten<br />

Gebäuden oder für hochpräzise Produktionsverfahren. Im<br />

Mercedes-Werk Mettingen montieren seit 2010 Leicht-<br />

79


80<br />

DIE INNOVATIONSKRAFT DER RAUMFAHRT<br />

bauroboter, die ihren technologischen Ursprung in der<br />

Raumfahrt haben, die Hinterachsgetriebe <strong>–</strong> mit geringerem<br />

Aufwand, effizienter und genauer als zuvor. Es basiert<br />

auf dem seit 2005 in der Internationalen Raumstation ISS<br />

genutzten Roboterarm Rokviss. Produziert und vertrieben<br />

wird die bei Mercedes eingesetzte Variante vom Roboterhersteller<br />

Kuka. Deren Hauptvorteile sind das geringe Eigengewicht,<br />

seine schlanke Bauweise und seine Mobilität,<br />

aber vor allem seine sensitiven Fähigkeiten, die ihn zur<br />

Mensch-Maschine-Schnittstelle der nächsten Generation<br />

machen. Seine künstliche Intelligenz ermöglicht es ihm,<br />

über seine Programmierung hinaus relativ selbständig zu<br />

agieren.<br />

Schneller mehr kommunizieren: Heinrich-Hertz<br />

Jede Wirtschaftsnation braucht moderne Infrastrukturen,<br />

die ihre langlebige Funktionsfähigkeit gewährleistet. Hierzu<br />

gehören neben Verkehrswegen, Ver- und Entsorgung<br />

auch allgemein und spezifisch zugängliche Kommunikationseinrichtungen.<br />

Diesbezüglich gewinnt die Breitband-<br />

Kommunkation für schnelle Internet-, Telefon- und Fernseh-Übertragungen<br />

zunehmend an Bedeutung.<br />

Um Deutschland auch auf diesem Gebiet nach vorne zu<br />

bringen, erarbeitet das DLR als deutsche Raumfahrt-Agentur<br />

derzeit das Konzept für einen neuartigen Kommunikationssatelliten<br />

namens Heinrich-Hertz. Die Mission hat<br />

das Ziel, die Systemkompetenz für Kommunikationssatelliten<br />

in Deutschland wieder zu etablieren: Das vollständige<br />

System soll in Deutschland entwickelt, gebaut und<br />

betrieben werden. Heinrich-Hertz ist der erste europäische<br />

Satellit, der im Weltraum neue und innovative Ka-<br />

Band-Technologien erprobt, qualifiziert und operationell<br />

betreibt. Deutschland erschließt somit die Übertragung<br />

von großen Datenvolumen in hoher Geschwindigkeit zu<br />

stationären und insbesondere mobilen Empfängern.<br />

Hierdurch wird eine Vielfalt innovativer Dienste möglich.<br />

Zum einen werden leistungsstarke orbitale Datenrelais<br />

für künftige Raumfahrt-Missionen platziert, die deutlich<br />

höhere Datenraten als heute üblich erwarten lassen. Dies<br />

gilt auch für die kommerzielle Übertragung von High-<br />

Definition-Fernsehen und Internet. Zum anderen hilft<br />

Heinrich-Hertz dabei, den Markt für mobile Kommunikation<br />

der nächsten Generation zu etablieren. Wegweisende<br />

<strong>Innovation</strong>en sind hier das mobile Hochgeschwindigkeits-Internet,<br />

mobiles High-Definition-Fernsehen,<br />

ortsunabhängiger Zugang zu Datenbanken und Diensten,<br />

elektronische Information und Unterhaltung in Flugzeugen,<br />

Auto, Zug, Schiff oder auf dem Handy sowie neue<br />

Verschlüsselungstechnologien für sichere Datenübertragung<br />

der nächsten Generation. Weiterhin erschließt der<br />

Satellit neuartige Anwendungen in der Telemedizin und<br />

erweitert die Kommunikationskapazitäten in sicherheitskritischen<br />

Bereichen, etwa bei Katastropheneinsätzen,<br />

humanitären Hilfsmaßnahmen oder beim Ausfall oder<br />

Überlastung der terrestrischen Netze.<br />

Durch Heinrich-Hertz erlangt Deutschland einen wichtigen<br />

technologischen Vorsprung für die anstehende<br />

nächste Generation von Telekommunikationssatelliten.<br />

Die Entwicklungen für die Heinrich-Hertz-Mission ermöglichen<br />

es zudem, die Abhängigkeit von amerikanischen<br />

ITAR-Bauteilen für Kommunikationssatelliten in<br />

Europa signifikant zu reduzieren. Die Systemkompetenz<br />

ist zudem von strategischer Bedeutung für die wachsende<br />

internationale Verantwortung Deutschlands, etwa beim<br />

Katastrophenschutz oder bei militärischen Einsätzen, die<br />

staatliche Souveränität erfordern. Somit bietet das Missionsdesign<br />

auch neue Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen<br />

von Public-Privat-Partnerships. Heinrich-Hertz soll<br />

2015 starten und 15 Jahre lang in Betrieb sein.<br />

Ein rasanter Wachstumsmarkt: Satelliten-Navigation<br />

Die Logistik- und Transportwirtschaft stützt sich verstärkt<br />

auf die Satelliten-Navigation, einen stetig wachsenden<br />

Markt mit noch vielfältigem <strong>Innovation</strong>spotenzial: Fast<br />

jedes Jahr werden neue Anwendungsmöglichkeiten entwickelt.<br />

Die Bundesregierung fördert daher den Aufbau<br />

des europäischen Navigationssystems Galileo, das ab 2014<br />

eine Vielzahl neuer Dienste ermöglichen wird. Bis zu 14<br />

der geplanten 30 Satelliten werden dann, gleichmäßig auf<br />

drei Bahnebenen in knapp 24.000 Kilometer Höhe verteilt,<br />

präzise Positionssignale liefern. Dies geschieht mit


größerer Zuverlässigkeit als die heute bestehenden Systeme:<br />

Bei gleichzeitiger Nutzung zweier Galileo-Frequenzen<br />

ist weltweit eine Positionsgenauigkeit zwischen acht und<br />

vier Metern erzielbar, durch ergänzende Bodensysteme lokal<br />

sogar bis zu einem Meter.<br />

Damit sich deutsche Hersteller von Navigationsgeräten<br />

und Dienstleister frühzeitig auf das neue System vorbereiten<br />

können, hat das Bundesministerium für Wirtschaft<br />

und Technologie den Aufbau von Galileo-Testzentren finanziert.<br />

In insgesamt fünf Zentren können bereits heute<br />

Empfängertechnologien und innovative Anwendungen<br />

für den Straßen-, Schienen-, Schifffahrts- und Flugverkehr<br />

entwickelt und unter realen Bedingungen getestet<br />

werden. Deutschland ist damit führend in der Vorbereitung<br />

auf den lukrativen Galileo-Markt. Laut Prognose<br />

der Europäischen Kommission werden bis zum Jahr 2020<br />

weltweit bereits rund drei Milliarden Empfangsgeräte für<br />

Satelliten-Navigation in Betrieb sein. Der Weltmarkt für<br />

Produkte und Dienstleistungen der Satelliten-Navigation<br />

soll bis 2025 ein Volumen von 400 Milliarden Euro betragen.<br />

Wissen für Morgen: Weltraumforschung<br />

Ein wichtiger Teil der Raumfahrt beschäftigt sich mit<br />

elementaren Fragen der Grundlagenforschung: Wie entstand<br />

das Leben? Wie entwickelte sich unsere Erde? Was<br />

ist die Beschaffenheit des Universums? Grundlagenforschung<br />

dient zunächst ausschließlich dem Wissenserwerb<br />

und muss keinen unmittelbaren kommerziellen oder<br />

gesellschaftlichen Nutzen haben. Dennoch eröffnet die<br />

Forschung im Weltraum, insbesondere auf der Internationalen<br />

Raumstation ISS, unmittelbare <strong>Innovation</strong>en zur<br />

Verbesserung unseres Lebens auf der Erde.<br />

Ein Beispiel hierfür ist das deutsch-russische Plasmakristall-Experiment.<br />

2001 war es die erste wissenschaftliche<br />

Nutzlast auf der ISS. Plasma ist ein elektrisch leitfähiges<br />

Gas mit einer Temperatur von etwa 30.000 °C. Aus der<br />

experimentellen Erforschung dieses Zustandes im Weltraum<br />

haben sich völlig ungeahnte Möglichkeiten für den<br />

Einsatz von Plasmen auf der Erde ergeben. So schneidet<br />

ein Plasmaschneider Metalle mittels eines Plasmas, das<br />

durch einen elektrischen Lichtbogen erzeugt wird. Die<br />

Vorteile gegenüber dem autogenen Brennschneiden liegen<br />

in der etwa viermal so hohen Schnittgeschwindigkeit<br />

und in dem wegen der hohen Energiedichte geringeren<br />

Wärmeverzug. Außerdem können Plasmaschneider praktisch<br />

alle Metalle schneiden, während autogenes Brennschneiden<br />

weitgehend auf Baustähle beschränkt ist. In<br />

der Plasma-Medizin wird Niedertemperatur-Plasma zum<br />

schnellen und schonenden Desinfizieren von Händen und<br />

Instrumenten benutzt. Diese Plasmen werden zudem zur<br />

Behandlung von chronischen, bislang anders kaum oder<br />

gar nicht behandelbarer Wunden untersucht. Dank der<br />

Raumfahrt-Forschung ist Deutschland weltweit führend<br />

in der Plasma-Medizin.<br />

Ein anderes Beispiel ist das Material-Design. Mit Hilfe der<br />

DLR-Anlage TEMPUS werden unter anderem auf Parabelflügen<br />

und Forschungs-Raketen flüssige Legierungen<br />

untersucht. Dies ist auch für industrielles Material-Design<br />

von Interesse. Das DLR erforscht zudem superleichte und<br />

quasi durchsichtige, hochstabilie Aerogele. Aerogele sind<br />

hochporöse, in der Raumfahrt analysierte Werkstoffe aus<br />

95 Prozent Luft und 5 Prozent Silizium, Kohlenstoff oder<br />

ähnlichen Substanzen. Es ist der leichteste Feststoff der<br />

Welt und hält dem 4.000-fachen seines eigenen Gewichts<br />

stand.<br />

Kommerzielle Anwendung finden diese Technologien<br />

etwa in der Automobil-Industrie: Die innovativen Materialeigenschaften<br />

des Audi „space frame“ beruhen auf Werkstoffversuchen<br />

während der deutschen Spacelab-Mission<br />

D-2 im Jahr 1993. Dunlop hat einen Tennisschläger<br />

auf Grundlage von Aerogelen konstruiert und vermarktet:<br />

Mit 282 Gramm ist der „Dunlop Aerogel“ einer der<br />

leichtesten Tennischläger. Trotz seines dünnen Rahmens<br />

und geringen Gewichts fehlt es dem Schläger aber nicht<br />

an Stabilität und Spielpower. Und auch zwei Weltrekorde<br />

hat die Material-Forschung zu verzeichnen: Der deutsche<br />

Spitzensportler Wojtek Czyz stellte 2008 in Peking im<br />

Weitsprung mit 6,50 Metern einen neuen Rekord bei den<br />

Paralympics auf. Bereits 2005 brach er den Weltrekord auf<br />

81


82<br />

DIE INNOVATIONSKRAFT DER RAUMFAHRT<br />

200m-Sprint (22,75 sec) in Espoo, Finnland. Geholfen<br />

hat hierbei eine Teilprothese, die auf Sprung und Sprint<br />

ausgelegt ist. Sie wurde mit Weltraum-Know-how in Zusammenarbeit<br />

mit der deutschen Firma ISATE erarbeitet.<br />

Das benutzte Gelenk wurde ursprünglich für ein wissenschaftliches<br />

Gerät, das so genannte Alpha Magnetic Spectrometer,<br />

auf der ISS entwickelt.<br />

Souveränes Handeln: Raumfahrt für mehr Sicherheit<br />

Deutschlands Aufgaben in der Welt sind gewachsen. Im<br />

internationalen Kontext übernimmt die Bundesrepublik<br />

Verantwortung für zivile und militärische Sicherheit. Sie<br />

engagiert sich sowohl bei der Bewältigung von Naturkatastrophen<br />

als auch bei internationalen Militär-Einsätzen.<br />

Hierbei hat sich der Aktionsrahmen deutscher Sicherheitskräfte<br />

in den vergangenen beiden Jahrzehnten von<br />

Europa in die ganze Welt ausgeweitet.<br />

Kommunikations-, Navigations- und Erdbeobachtungssatelliten<br />

versorgen die Bundeswehr, das Technische Hilfswerk<br />

und andere Kriseneinsatzkräfte auch in entlegenen<br />

Orten in kürzester Zeit mit den benötigten Informationen<br />

und Infrastrukturen. Lange Zeit war die Bundeswehr<br />

diesbezüglich ausschließlich auf Kapazitäten anderer NA-<br />

TO-Partner, vornehmlich der USA, angewiesen. Doch für<br />

staatliches Handeln, insbesondere für sicherheitskritische<br />

Einsätze, ist souveräne Kommunikation und Aufklärung<br />

unverzichtbar. Diesem Zweck dienen sowohl die seit 2006<br />

in polare Orbits verbrachten fünf in Deutschland entwickelten<br />

und gebauten Radar-Satelliten vom Typ SAR-Lupe<br />

als auch die Kommunikationssatelliten SATCOMBw.<br />

SAR-Lupe kann unabhängig von Wetter und Tageszeit<br />

Bilder mit einer Auflösung von unter einem Meter von<br />

praktisch jedem Punkt der Erde liefern. Außerhalb der<br />

USA und Russlands ist das eine einzigartige Kapazität, die<br />

Deutschlands Rolle als gefragter Partner in der internationalen<br />

Sicherheitskooperation nachhaltig gestärkt hat. Die<br />

beiden 2009 und 2010 in den geostationären Orbit auf<br />

36.000 Kilometer Höhe gestarteten Satelliten der Serie<br />

SATCOMBw ermöglichen den deutschen Streitkräften<br />

unter anderem weltweit abhörsichere Telefongespräche,<br />

Videokonferenzen und Internetzugang.<br />

Space-Situational-Awareness (SSA) ist ein weiteres neues,<br />

raumfahrtimmanentes Thema, dem die Staatengemeinschaft<br />

künftig eine stärkere Aufmerksamkeit wird schenken<br />

müssen. Da die Zahl der Satelliten und des Weltraum-<br />

Schrotts kontinuierlich zu nimmt, besteht die wachsende<br />

Gefahr eines Zusammenstoßes <strong>–</strong> und Kollisionen haben<br />

immer auch eine Vermehrung des Weltraumschrotts durch<br />

weitere Fragmente zur Folge. Die Beschädigung oder der<br />

Ausfall eines Satelliten bedeutet einen gravierenden wirtschaftlichen<br />

Schaden. Diente der Satellit institutionellen<br />

oder sicherheitsrelevanten Interessen, können auch hoheitliche<br />

Dienste gestört werden oder gänzlich ausfallen.<br />

Auf der ESA-Ministerratskonferenz im November 2008<br />

hat Deutschland deshalb das ESA SSA-Vorbereitungsprogramm<br />

mitgezeichnet. Das ESA SSA-Vorbereitungsprogramm<br />

erstreckt sich bis 2011, in einer Folgephase könnte<br />

bis 2019 der Aufbau und Betrieb eines europäischen<br />

SSA-Systems erfolgen. Die Entscheidung hierüber soll auf<br />

der nächsten ESA-Ministerratskonferenz getroffen werden.<br />

Gegenwärtig werden die Nutzeranforderungen (zivil<br />

und militärisch) harmonisiert und darauf aufbauend mit<br />

der Erstellung der Systemanforderungen begonnen. Ein<br />

wichtiger Schwerpunkt ist zudem der Aufbau vorläufiger<br />

Dienste zur Weltraumüberwachung, basierend auf bereits<br />

vorhandenen Kompetenzen. Dies gilt auch für den Programmteil<br />

Weltraumwetter, bei dem neue Weltraumwetter-<br />

und Near-Earth-Orbit-Dienste auf den gegenwärtigen<br />

Einrichtung der Mitgliedstaaten aufbauen. Darüber<br />

hinaus sollen Studien den Bau eines Bread-Board-SAR<br />

Demo-Radar ermöglichen, der insbesondere die optimale<br />

geographische Lage, Frequenz und SAR-Technologien für<br />

ein europäisches SSA-System erproben wird. Der letzte<br />

Programmteil schließlich beinhaltet die IT-Unterstützung<br />

der Pilotdatenzentren für die vorläufigen Dienste, die<br />

Einbindung vorhandener Zentren in den Mitgliedstaaten<br />

und die Übertragungswege zwischen den einzelnen Zentren.<br />

Der Austausch von Daten und Informationen dient<br />

dabei der Erprobung neuer Datensicherheitskonzepten.


Fazit: <strong>Innovation</strong>skraft der Raumfahrt ungebrochen<br />

Der moderne „homo sapiens“ bevölkert seit etwa 160.000<br />

Jahren die Erde und hat auf Grundlage immer neuen Wissens<br />

und neuer <strong>Innovation</strong>en kontinuierlich Lösungen für<br />

gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen<br />

kreiert. Manche Entwicklungen waren Sackgassen, viele<br />

jedoch wegweisend für die einzigartige kulturelle Evolution<br />

der Menschheit.<br />

Den Raumfahrt betreibenden Menschen, den „homo astronauticus“,<br />

hingegen gibt es noch keine hundert Jahre.<br />

Und auch wenn er es bereits bis auf die Oberfläche unseres<br />

Mondes geschafft hat, so kennen wir heute keinesfalls<br />

das gesamte <strong>Innovation</strong>spotenzial, das uns die Raumfahrt<br />

noch eröffnen wird. Evident aber ist, dass Raumfahrt unser<br />

Leben bereits heute in einem größeren Maße prägt, unterstützt<br />

und sichert, als dies beim Start der ersten Raketen<br />

vorstellbar gewesen wäre. Unsere Wissenschaft, Wirtschaft,<br />

Politik und Kultur nutzt diese Schlüsseltechnologie<br />

umfänglich für die konstruktive Zukunftsgestaltung.<br />

Deshalb bleibt Raumfahrt auch 50 Jahre nach Sputnik<br />

eine große Faszination. Sie begeistert Jung und Alt. Denn<br />

Raumfahrt zeigt, was möglich ist. Wer Raumfahrt kann,<br />

kann alles. Diese Überzeugung hilft unserer <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

um den dringend benötigten Nachwuchs für Natur- und<br />

Ingenieurwissenschaften, aber auch für Staats- und Verwaltungswissenschaften<br />

zu gewinnen. Raumfahrt bietet<br />

ein attraktives, abwechslungsreiches und hoch dynamisches<br />

Arbeitsumfeld für eine Vielzahl von Berufen. Sie fordert<br />

zu Mut, Neugier und Lust an Erneuerungen heraus.<br />

So bietet Raumfahrt dieser und künftigen Generationen<br />

ein weites Feld ungehobener <strong>Innovation</strong>sschätze.<br />

Raumfahrt bleibt eine der bedeutendsten Entdeckungsreisen<br />

unserer Zeit, vergleichbar mit den großen Expeditionen<br />

eines Christoph Kolumbus, Ferdinand Magellan oder<br />

James Cook. Wie diese erweitert die Raumfahrt unser<br />

Wissen über die uns umgebene Welt auf fundamentale<br />

Weise und eröffnet vielfältigen Nutzen für unser tägliches<br />

Leben. Raumfahrt ist eine der großen Leistungen und<br />

Chancen unserer Zeit.<br />

83


Zum 250. Geburtstag des preußischen<br />

Generalfeldmarschall Neidhardt von <strong>Gneisenau</strong><br />

Text: Dr. Eberhard Birk<br />

„Das werden wunderbare Zeilen in unserer Geschichte geben“<br />

Als <strong>Gneisenau</strong> nach der „Doppelschlacht“ bei Jena und<br />

Auerstedt (14. Oktober 1806) diese Zeilen schrieb, schien<br />

eine glanzlose, langweilige und unbedeutende preußische<br />

Offizierlaufbahn am Ende zu sein. Tatsächlich aber war<br />

sein Leben bis dahin nur Vorbereitung für größere Herausforderungen.<br />

Neuanfänge und Brüche begleiteten ihn<br />

sein ganzes Leben <strong>–</strong> auch in der Traditionsbildung über<br />

seinen Tod im Jahre 1831 hinaus.<br />

<strong>Gneisenau</strong> wurde wenige Tage vor der letzten ‚großen‘<br />

Schlacht (Torgau, 3. November 1760) des Siebenjährigen<br />

Krieges (1756-63) am 27. Oktober 1760 im sächsischen<br />

Schildau geboren. Militärhistorisch interessant wird seine<br />

Biographie nach ersten Stationen in österreichischen<br />

Diensten und einer Kurzteilnahme am US-Unabhängigkeitskrieg<br />

(1782/83) mit seinem Vorsprechen bei Friedrich<br />

II. („der Große“) vor dessen Tod 1786. War es die<br />

Vermutung, einen möglichen Spezialisten für die asymmetrische<br />

Kriegführung („Kleiner Krieg“) vor sich zu haben,<br />

Altersmilde oder der scharfe Blick für das intellektuelle<br />

Potential <strong>Gneisenau</strong>s?<br />

Gleichwie <strong>–</strong> mit dem gewährten Eintritt in die preußische<br />

Armee begann für <strong>Gneisenau</strong> zunächst die Langeweile des<br />

monotonen Dienstes. Während dieser Zeit und darüber<br />

hinaus betrieb er ein individuelles und militärfachliches<br />

sowie geradezu humanistisches Weiterbildungsprogramm:<br />

Er studierte die ‚Klassiker’, war aber auch mit der aktuellen<br />

philosophischen Gedankenwelt (u.a. Kant) vertraut,<br />

las allgemein- und militärhistorische Werke, lernte die<br />

englische, französische, italienische und polnische Sprache,<br />

und galt später sogar als der einzige preußische General,<br />

der fehlerloses Deutsch sprach und schrieb. Es war<br />

schon immer der Vorteil einer umfassenden historischpolitischen<br />

resp. humanistischen Bildung, sie nicht nur<br />

zweckfrei zu sehen, sondern in ihr ein Ressourcenpotential<br />

zu erblicken, das Horizont erweiternd Handlungssicherheit<br />

und Zusatzoptionen ermöglicht.<br />

84<br />

Eberhard Birk<br />

Als nach der Französischen Revolution (1789) Napoleon<br />

seinen Siegeslauf begann, studierte <strong>Gneisenau</strong> über die<br />

Lektüre und Analyse sämtlich verfügbarer Informationen<br />

die revolutionäre Kriegführung Napoleons mit ihren politischen<br />

und militärischen Neuerungen, ihrer strategischen<br />

und taktischen Initiative, Beweglichkeit, Konzentration<br />

und Überraschung. Wie wenige andere auch sah er die<br />

heraufziehende Katastrophe für Preußen, die dann mit der<br />

„Doppelschlacht“ eintrat. Mit der Übernahme des Kommandos<br />

über preußische Truppen in Kolberg konnte er<br />

von April bis Juli 1807 das von ihm Erlernte gegen französische<br />

Truppen erproben.<br />

Nach der Kapitulation Preußens, die in der Folge erhebliche<br />

territoriale, finanzielle und militärische Beschränkungen<br />

brachte, wurde <strong>Gneisenau</strong> als Stabsoffizier mit<br />

Einsatzerfahrung und intellektuellem Horizont von<br />

Scharnhorst in die Militär-Reorganisations-Kommission<br />

(MRK) geholt, die die preußische Armee nach ihrem Versagen<br />

in jeder Hinsicht neu aufzustellen hatte. Als kongenialer<br />

Partner Scharnhorsts wurde er zum unverzichtbaren<br />

spiritus rector der preußischen Militärreform. Beide<br />

erkannten nicht zuletzt in einem überalterten und geistig<br />

unflexiblen, alten Standestraditionen verpflichteten Offizierkorps<br />

einen der Hauptgründe für die vollkommene<br />

Niederlage gegen Napoleon. ‚Jena und Auerstedt’ wur-


de zur Chiffre eines gesamtstaatlichen und militärischen<br />

Modernisierungsdefizits. Die gebotenen Staats-, <strong>Gesellschaft</strong>s-<br />

und Bildungsreformen spiegelten sich auch in den<br />

Militärreformen wider.<br />

Als „Doppelgestirn“ sorgten Scharnhorst und <strong>Gneisenau</strong><br />

mit ihren Mitarbeitern in der MRK dafür, dass die<br />

Gesamtheit der Preußischen Reformen auf den Ebenen<br />

Politik (Freiherr vom und zum Stein), <strong>Gesellschaft</strong>, Wirtschaft<br />

(Fürst Hardenberg) und Bildung (Humboldt) nach<br />

der „Befreiung im Inneren“ durch die Heeresreform das<br />

Instrument zur „Befreiung nach Außen“ erhielt. Damit<br />

wird deutlich, dass die Zielsetzung der Preußischen Reformen<br />

eine doppelte war: Herstellung eines modernen<br />

Staates mit verteidigenswerten bürgerlichen Freiheitsrechten<br />

sowie die Rückkehr als souveräner Akteur vor dem<br />

Hintergrund eines sich verändernden machtpolitischen<br />

Gefüges in Europa durch die Schaffung militärischer Fähigkeitspotentiale<br />

zur Befreiung von der französischen Besatzungsherrschaft.<br />

Dies wird auch in einem Brief <strong>Gneisenau</strong>s<br />

aus dem Jahre 1814 deutlich: „Der dreifache Primat<br />

der Waffen, der Constitution, der Wissenschaften ist es allein,<br />

der uns aufrecht zwischen den mächtigsten Nachbarn erhalten<br />

kann!“<br />

Diese politische Dimension im Denken <strong>Gneisenau</strong>s bedurfte<br />

eines adäquaten militärischen Unterbaus. Leitende<br />

Idee hierfür war es, die militärischen Grundlagen des<br />

französischen Erfolges für Preußen zu adaptieren: Von<br />

Frankreich lernen, heißt siegen lernen! Neben dem „Argument“<br />

Napoleon waren dies vor allem Organisation und<br />

Motivation der Soldaten, die durch die Idee der individuellen<br />

Freiheit erwuchs. Die Erfolge der französischen Armeen<br />

verdeutlichten, dass das „militärische Genie“ nicht<br />

mehr nur an die adelige Abstammung gebunden war. Die<br />

Neuregelung des (bürgerlichen) Zugangs zum Offizierberuf<br />

sowie die Notwendigkeit einer zeitadäquaten Bildung,<br />

lebenslanges Lernen in Form allgemeiner und militärfachlicher<br />

Weiterbildung wurden von Scharnhorst und <strong>Gneisenau</strong><br />

bereits vor 200 Jahren eingefordert. Ihre Postulate<br />

dienen als Anknüpfungspunkte für das heutige Berufsverständnis<br />

als Offizier. Damals wie heute in der Transforma-<br />

tion gilt, was <strong>Gneisenau</strong> im Juli 1808 formulierte: „Die<br />

neue Zeit braucht mehr als alte Titel und Pergamente, sie<br />

braucht frische Tat und Kraft.“<br />

Hier gilt es zu erkennen, dass die Gesamtheit des preußischen<br />

Reformwerkes den Auswirkungen der Französischen<br />

Revolution als einer Militärischen Revolution reaktiv<br />

zu begegnen hatte, die sehr viel mehr auf politischen<br />

und gesellschaftlichen sowie organisatorischen Veränderungen<br />

des Militärwesens beruhte als auf technischen <strong>Innovation</strong>en.<br />

Neben der Einführung des bürgerlichen Leistungsprinzips<br />

und der Schaffung des (später legendären) Großen Generalstabes<br />

wurde insbesondere die im Zuge der Heeresreform<br />

erfolgte Einführung der allgemeinen Wehrpflicht<br />

in späteren Zeiten als „Meilenstein“ gesehen. Ihr ideeller<br />

Kern ist zeitlos und in historischer Perspektive das Urbild<br />

von Innerer Führung und dem „Staatsbürger in Uniform“:<br />

Die politischen und gesellschaftlichen Reformen<br />

schufen bürgerliche Freiheitsrechte im Inneren, die die<br />

Bereitschaft zum Einstehen für die äußere Sicherheit erhöhten<br />

<strong>–</strong> oder in den Worten <strong>Gneisenau</strong>s: „Es ist billig und<br />

staatsklug zugleich, dass man den Völkern ein Vaterland gebe,<br />

wenn sie ein Vaterland kräftig verteidigen sollen.“ Idealtypisch<br />

ist dies erreicht <strong>–</strong> so <strong>Gneisenau</strong> <strong>–</strong>, wenn es gelingt,<br />

auf der Basis der staatsbürgerlichen Idee „eine von andern<br />

Völkern beneidete Constitution (i.e. Verfassung; E.B.) zu<br />

haben.“ Was wie Pathos klingen mag, ist im sittlichen<br />

Kern eine Rückbindung des militärischen Selbstverständnisses<br />

an ein staatsbürgerlich-republikanisches Ethos.<br />

Der unbedingte Freiheitsbegriff, den <strong>Gneisenau</strong> mit Schiller<br />

teilte, führte bei <strong>Gneisenau</strong> auch zu revolutionären<br />

Überlegungen, nach dem spanischen Vorbild, wo es im<br />

Sommer 1808 zu einer allgemeinen Volkserhebung gegen<br />

die napoleonische Fremdherrschaft gekommen war, eine<br />

Art Partisanenkrieg gegen französische Truppen zu planen<br />

und vorzuschlagen, solange Preußen trotz illegaler und<br />

verdeckter Aufrüstung nicht stark genug war, Napoleon<br />

feldverwendungsfähige Verbände entgegenzustellen.<br />

85


86<br />

ZUM 250. GEBURTSTAG DES PREUSSISCHEN GENERALFELDMARSCHALL NEIDHARDT VON GNEISENAU<br />

Ein Blick in seine im August 1808 geschriebene ‚Konstitution<br />

für die allgemeine Waffenerhebung des nördlichen<br />

Deutschlands gegen Frankreich’ macht dies in politischer<br />

und militärischer Hinsicht deutlich: „Jede Obrigkeit, die<br />

nicht sogleich mit Eifer zur Sammlung, Bewaffnung und<br />

Ausrüstung der Vaterlandsverteidiger mitwirkt, ist sofort ihres<br />

Amtes entsetzt (...) Jeder Bauer, welcher ein mit Diensten<br />

belastetes Grundstück besitzt, befreit dasselbe davon, wenn er<br />

bis zum Ende für die Sache der Unabhängigkeit mitficht (...)<br />

Alles vorrätige Getreide wird beim Vordringen des Feindes<br />

fortgeschafft und die Gegend vor ihm her verödet (...) Man<br />

vermeidet jedoch entscheidende Gefechte, wofern man nicht<br />

des Erfolgs ganz gewiß ist, führt nur den kleinen Krieg, hält<br />

die geschlossenen Kolonnen zurück, ermüdet den Feind und<br />

sucht es in Nachtgefechten zu entscheidendem Handgemenge<br />

zu bringen. Wo der Feind mit Übermacht vordringt, da<br />

weicht man zurück und wirft sich auf dessen Flanke und<br />

Rücken (...) Für den Preußischen Staat wird eine freie Konstitution<br />

proklamiert (...) Diejenigen deutschen Fürsten,<br />

welche niederträchtig genug sind, ihre Truppen gegen uns<br />

marschieren zu lassen, werden ihrer Throne verlustig erklärt<br />

(...) Ihre Minister sind vogelfrei, wenn sie nicht sogleich für<br />

unsere Pläne mitwirken (...) Jeder Adel, der nicht durch im<br />

Unabhängigkeitskriege erhaltene Wunden oder Handlungen<br />

der Tapferkeit oder große dem Vaterlande dargebrachte Opfer<br />

oder durch in ihren Folgen wichtige Ratschläge erneuert wird,<br />

hört auf, und künftighin gilt uns nur der auf solche Weise neu<br />

erworbene Adel (...) Geht man mit Kraft zu Werke, so ist es<br />

unmöglich, dass der Feind diese Kriegsart lange aushalte.“<br />

Selbst wenn <strong>Gneisenau</strong> in seinen Plänen durchaus revolutionäre<br />

militärische und staatspolitische Maßnahmen<br />

einforderte, so sind diese doch in ihrer Abhängigkeit von<br />

den damit verfolgten Zielen zu sehen. Denn es stand zum<br />

Zeitpunkt seiner Niederschrift nach der Niederlage Preußens<br />

gegen Frankreich 1806/07 weder eine Armee zur<br />

Verfügung, die in der Lage gewesen wäre, den napoleonischen<br />

Truppen hinreichenden regulären militärischen<br />

Widerstand entgegenzusetzen, noch wollte <strong>Gneisenau</strong><br />

den ‚Kleinen Krieg’ bzw. den nach spanischem Vorbild<br />

geprägten Volksaufstand als permanente Form der bewaffneten<br />

Macht Preußens etabliert und verstetigt wissen. Der<br />

Zweck heiligte die fehlenden Mittel. Denn <strong>Gneisenau</strong><br />

wollte Preußen nicht aus dem europäischen Konzert des<br />

frühen 19. Jahrhunderts ausklinken. Frankreich war zwar<br />

Gegner, gleichzeitig aber auch Vorbild.<br />

Dass er mit diesen Überlegungen und Zielen im preußischen<br />

König und dem ‚alten’ Adel geborene Gegner hatte,<br />

war evident. So war <strong>Gneisenau</strong> mit diesen vorgetragenen<br />

Positionen nicht nur nahe am ‚Jakobinertum’; die Entfesselung<br />

des ‚Volkskrieges’ würde auch die Grundlagen der<br />

absolutistischen preußischen Staatsraison zerschlagen und<br />

gleichsam einem vorstaatlichen Zustand nahe kommen.<br />

Das offene Aufbegehren konnte erst nach dem Scheitern<br />

der Grande Armée im Russlandfeldzug des Jahres 1812<br />

erfolgen. Der Erfolg der beginnenden „Freiheitskriege“<br />

(1813/15) führte über die Völkerschlacht bei Leipzig im<br />

Oktober 1813 letztlich zur Absetzung Napoleons und seiner<br />

Verbannung nach Elba. Die erfolgreiche Planung der<br />

Feldzüge der Allianz aus Russland, Österreich und Preußen<br />

ging auf <strong>Gneisenau</strong> und den österreichischen Feldmarschallleutnant<br />

Radetzky zurück.<br />

Insbesondere <strong>Gneisenau</strong> war es dann, der nach der Rückkehr<br />

Napoleons als Generalstabchef des legendären Marschall<br />

„Vorwärts“ Blücher an der Ausarbeitung des Feldzuges<br />

gegen den französischen „Schlachtenkaiser“ beteiligt<br />

war. Als nach der verlorenen Schlacht bei Ligny am Abend<br />

des 16. Juni 1815 Blücher auf dem Gefechtsfeld unauffindbar<br />

war, hatte <strong>Gneisenau</strong> einen weitreichenden Entschluss<br />

zu fassen: Rückzug oder Vormarsch mit einem geschlagenen<br />

Heer zur Erfüllung der Bündnisverpflichtung<br />

gegenüber dem britischen Feldherrn Wellington, der bei<br />

Waterloo stand? <strong>Gneisenau</strong> entschied sich bekanntlich<br />

für die zweite Option, womit er den Grundstein für das<br />

rechtzeitige und schlachtentscheidende Erscheinen der<br />

Preußen bei Waterloo zwei Tage später legte.<br />

Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke sah deshalb<br />

auch in Blüchers Generalstabchef <strong>Gneisenau</strong> den<br />

größten Feldherrn, da dieser „die geschlagene Armee zum<br />

Sieg geführt“ hatte. Letztlich waren Radetzky und <strong>Gneisenau</strong><br />

auch die Verkörperung eines langen und erfolgreichen


Lernprozesses. Sie hatten über Jahre ‚ihren’ Napoleon studiert<br />

und ihn <strong>–</strong> allerdings in der Agonie seines Suprematieanspruches<br />

<strong>–</strong> mit den eigenen Prinzipien und Waffen<br />

geschlagen, wie dieser bestätigte: „Ces animaux ont appris<br />

quelque chose.“<br />

Trotz bzw. gerade wegen seiner unermüdlichen Tatkraft<br />

als Militär und Bildungsbürger war er vielen Würdenträgern<br />

in der beginnenden Restaurationsphase suspekt.<br />

Mehr als symbolische Würdigungen, wie die Verleihung<br />

des Dienstgrades Generalfeldmarschall am zehnten Jahrestag<br />

der Schlacht bei Waterloo, hatte er nicht mehr zu<br />

erhoffen. Nur noch einmal wurde er mit einem höheren<br />

Kommando betraut <strong>–</strong> zur Niederschlagung des polnischen<br />

Aufstandes gegen die russische Politik im Jahre 1830/31,<br />

während der er am 23. August 1831 der Cholera erlag.<br />

So sehr herausragende Persönlichkeiten, die die Grenzen<br />

ihrer Zeit sprengen, den Verantwortlichen in Politik und<br />

Militär suspekt sind, so sehr eignen sie sich in späteren<br />

Zeiten mit veränderten Rahmenbedingungen für die Traditionsfindung<br />

und -bildung.<br />

Kaiser Wilhelm I. berief sich am 16. Juni 1871 anlässlich<br />

einer Parade der aus dem Krieg von 1870/71 heimgekehrten<br />

Truppen auf das Reformwerk Scharnhorsts und<br />

<strong>Gneisenau</strong>s: „Wir müssen anerkennen, daß wir nur auf<br />

den Grundlagen weitergebaut haben, welche 1813, 1814<br />

und 1815 gelegt worden sind.“ Im „Dritten Reich“ war es<br />

für die Nationalsozialisten naheliegend, dass sie sich auf<br />

<strong>Gneisenau</strong> als „Tatmensch“ beriefen sowie auf seinen Verteidigungserfolg<br />

bei Kolberg. Goebbels selbst ließ einen<br />

Propagandafilm namens „Kolberg“ drehen, der die deutschen<br />

Truppen in eingeschlossener und auswegloser Situation<br />

zum unbedingten Durchhalten animieren sollte.<br />

Auch die NVA der DDR hat sich auf das Schaffen Scharnhorsts,<br />

<strong>Gneisenau</strong>s und Blüchers berufen. Zum 10. Jahrestag<br />

ihres Bestehens wurde der Scharnhorstorden gestiftet<br />

und nach dem bei den russischen Truppen legendären<br />

<strong>–</strong> seine zweite Schlesische Armee aus der Zeit der ‚Befreiungskriege’<br />

bestand zu mehr als zwei Dritteln aus Truppen<br />

des Zaren <strong>–</strong> ‚Marschall Vorwärts’ 1968 der jedoch nie verliehene<br />

Blücher-Orden. Damit glaubte die NVA bewusst<br />

an ‚nationale’, preußische Traditionen Anschluss finden zu<br />

können, in dem Wissen, dass große Teile ihres Staatsterritorium<br />

einstmals zum preußische Adler gehört hatten. Für<br />

einen ‚sozialistischen’ Staat war dies allerdings eine ideologische<br />

Bankrotterklärung sondergleichen.<br />

So sehr durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht<br />

im Königreich Preußen auch eine wünschenswerte<br />

Phänomenologie eines sozialistischen und proletarischen<br />

‚Massenheeres’ greifbar wurde, so sehr wurde der ideelle<br />

Kern des angestrebten neuen Soldatenbildes (v)erkannt.<br />

Die DDR-, SED- und NVA-Führung wollte sich lieber<br />

auf den im Eid festgelegten „absoluten Gehorsam“ der<br />

Soldaten ihrer Arbeiter-, Bauern- und vor allem herrschaftssichernden<br />

Parteiarmee verlassen: Vertrauen ist gut,<br />

Kontrolle ist besser.<br />

Gleichwohl: Für die DDR und die NVA war <strong>Gneisenau</strong><br />

ein Revolutionär gegen die Monarchie und gleichzeitig<br />

mit seinem Marschall Blücher Vordenker und Vorbild für<br />

die deutsch-russische Waffenbrüderschaft gegen „westliche<br />

Werte“. An die Stelle des damaligen „Feindbildes“<br />

Napoleon und Rheinbund traten im Zuge des ideologisch<br />

überformten konfrontativen Konfliktmusters des<br />

Kalten Krieges die USA/NATO und die Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

Aber auch für deren Bundeswehr nehmen die preußischen<br />

Heeresreformer einen prominenten Platz in ihrem<br />

Traditionsverständnis ein: Öffnung des Offizierberufs für<br />

Bürgerliche, Ursprung des Staatsbürgers in Uniform sowie<br />

eine erfolgreiche Transformation in überschaubarer Zeit<br />

und die Etablierung der allgemeinen Wehrpflicht zur Aufrechterhaltung<br />

der politischen Souveränität eines Staates<br />

im Rahmen einer Allianz zur Verteidigung der „westlichen<br />

Wertegemeinschaft“ NATO sind hier nach wie vor die<br />

Tradition begründenden Argumente.<br />

Dass dieses Traditionsverständnis sich in der Zukunft dynamisch<br />

weiterentwickeln wird, ist mehr als wahrscheinlich.<br />

Sowohl die Einsatzzentrierung wie auch die Tatsache,<br />

87


88<br />

ZUM 250. GEBURTSTAG DES PREUSSISCHEN GENERALFELDMARSCHALL NEIDHARDT VON GNEISENAU<br />

dass die Bundeswehrsoldaten mit europäischen Partnern<br />

in Einsätzen stehen, lassen erwarten, dass einerseits die<br />

europäische Dimension und andererseits die Abbildung<br />

der Einsatzrealität zu Veränderungen in der Traditionsperspektive<br />

führen werden. Aber graduelle Modifikationen<br />

ändern nichts an der fundamentalen Tatsache, dass die<br />

politische und militärische Führung der Bundeswehr den<br />

„Staatsbürger in Uniform“ und damit auch dessen Traditionslinie<br />

<strong>–</strong> ob mit oder ohne allgemeine Wehrpflicht <strong>–</strong> als<br />

alternativlos beibehalten wird.<br />

Vor dem Hintergrund einer Bundeswehr als Armee im<br />

Einsatz ist auch <strong>Gneisenau</strong>s Vorreiterrolle in der Antizipation<br />

dessen, was in der US-amerikanischen ‚strategic<br />

community’ seit Jahren unter dem Begriff ‚4th-Generation-Warfare’<br />

diskutiert wird, von Interesse. Auch darf man<br />

vermuten, dass ein Offizier wie <strong>Gneisenau</strong>, der sich mit<br />

der Gesamtheit politischer, gesellschaftlicher und militärischer<br />

Auswirkungen der Französischen Revolution auseinandersetzte,<br />

für die Offiziere einer als Bündnisarmee<br />

konzipierten Bundeswehr empfohlen hätte, sich mit den<br />

aktuellen und konzeptionellen Kriegsbildern und Erfahrungen<br />

des Hauptverbündeten vertraut zu machen.<br />

Wie kein anderer formulierte <strong>Gneisenau</strong> zudem die anhaltende<br />

Frage nach der Nutzbarmachung der damals wie<br />

heute so drängenden geistig-intellektuellen Potentialfrage<br />

<strong>–</strong> auch der zukünftigen Offiziere: „Die Geburt gibt kein<br />

Monopol für Verdienste; räumt man dieser zu viele Rechte<br />

ein, so schlafen im Schoße einer Nation eine Menge Kräfte<br />

unentwickelt und unbenutzt, und der aufstrebende Flügel des<br />

Genies wird durch die drückenden Verhältnisse gelähmt ...<br />

Man greife daher zu dem einfachen und sicheren Mittel, dem<br />

Genie, wo immer es sich befindet, eine Laufbahn zu öffnen<br />

und die Talente und Tugenden aufzumuntern, von welchem<br />

Range und Stande sie auch sein mögen.“<br />

Dieses Postulat aus <strong>Gneisenau</strong>s Artikel im ‚Volksfreund’<br />

vom 2. Juli 1808 kann jedoch neben seiner Absicht, das<br />

Bürgertum als Träger der Modernität für die Sache des<br />

Militärs zu gewinnen, i.e. den Offizierberuf für die Söhne<br />

des Bürgertums ‚propagandistisch’ anzubieten resp. ein-<br />

zufordern, gleichfalls als grundsätzliches Desiderat für die<br />

heutige <strong>Gesellschaft</strong>s- und Bildungspolitik gelesen werden.<br />

Es mag wie eine ironische Pointe klingen: Der nassauische<br />

Freiherr vom und zum Stein, der verantwortlich die politische<br />

Reform initiierte und steuerte, hatte genauso <strong>–</strong> aus<br />

preußischer Perspektive <strong>–</strong> einen „Migrationshintergrund“<br />

wie der gebürtige Sachse <strong>Gneisenau</strong> und der niedersächsische<br />

Bauernsohn Scharnhorst, der zudem aus einer<br />

„bildungsfernen“ Bevölkerungsschicht stammte. Ihre politische<br />

und militärische „Wahlheimat“ <strong>–</strong> das preußische<br />

Königreich <strong>–</strong> ließ sie, wenn auch in einer Krisensituation,<br />

gewähren und sie brachten ihr leistungsorientiertes Potential<br />

ein. Wäre es vor einem derartigen, freiheitlich-republikanische<br />

Tradition bildenden Hintergrund nicht lohnend,<br />

im Sinne <strong>Gneisenau</strong>s weiter zu denken?<br />

Was könnte die Bundeswehr vor dem Hintergrund ihrer<br />

Einsatzszenarien im ‚islamisch-kaukasischen Krisenbogen’<br />

besser gebrauchen als Soldaten und Offiziere mit Migrationshintergrund?<br />

Sollten nicht mehr Soldaten mit islamisch<br />

geprägtem kulturellen Background in den Streitkräften<br />

und hier insbesondere im Einsatz dienen? Erhöht<br />

dies nicht die Glaubwürdigkeit eines westlich-demokratischen<br />

Politikansatzes im Einsatzraum? Wird dadurch nicht<br />

die interkulturelle Kompetenz mit einem militärischen<br />

Auftrag verbunden, der zu mehrseitigem Nutzen führt?<br />

Es wäre folglich zu wünschen <strong>–</strong> nicht nur aus der Warte<br />

genereller Integrationspolitik <strong>–</strong>, dass die Vielzahl junger<br />

Deutscher mit Migrationshintergrund ihren Weg in die<br />

Bundeswehr finden; Militärdienst war ja bekanntlich stets<br />

ein Vehikel, um in der neuen, gewünschten <strong>Gesellschaft</strong><br />

‚anzukommen’. Dieser Prozess funktioniert jedoch nicht<br />

nur als Einbahnstraße; er muss auf beiden Seiten mit einer<br />

mentalen Öffnung verbunden sein.


90<br />

AUTOREN<br />

Dr. Eberhard Birk, Oberregierungsrat, Oberstleutnant d.R., Jahrgang 1967, verheiratet, vier Kinder.<br />

1987 <strong>–</strong> 1993 Soldat auf Zeit; 1993 <strong>–</strong> 1997 Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität<br />

Augsburg, Stipendiat der deutschen Studenten- und Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.<br />

1995 <strong>–</strong> 1999; 1999 Promotion zum Dr. phil mit einer Diss. zum Thema: „Der Funktionswandel der Westeuropäischen<br />

Union (WEU) im europäischen Integrationsprozeß“, seit Juli 2000 Dozent für Militärgeschichte und Politische<br />

Bildung an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.<br />

Themenschwerpunkte:<br />

Deutsche Militärgeschichte im europäischen Kontext, Tradition, <strong>Strategie</strong> und Sicherheitspolitik.<br />

Monographien:<br />

Militärgeschichtliche Skizzen zur Frühen Neuzeit, Hamburg 2005, Militärische Tradition, Hamburg 2006; zahlreiche<br />

Aufsätze in der ÖMZ, u.a. zu Alexander, Hannibal, Varusschlacht, Oranische Heeresreform, Schlacht bei Leuthen,<br />

Napoleon, Radetzky; Moltke und Königgrätz; zudem zuletzt: Der politische Nukleus militärischer Identitätskonstruktionen<br />

am Beispiel der NVA. Überlegungen zur „fortschrittlichsten deutschen Militärtradition“, in: Deutschland-Archiv.<br />

Zeitschrift für das vereinigte Deutschland 4/2010, S. 687-695 sowie Die preußische Heeresreform als Nukleus einer<br />

europäischen Militärtradition, in: Karl-Heinz Lutz, Martin Rink, Marcus von Salisch (Hrsg.), Reform, Reorganisation,<br />

Transformation. Zum Wandel in den deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation<br />

der Bundeswehr, München 2010, S. 545-562.<br />

Herausgeber der <strong>Gneisenau</strong> Blätter seit 2004 mit den Themen-Bänden: Aspekte einer europäischen Identität<br />

(2004), Militärische Tradition (2004), Transformation (2006), Erziehung und Streitkräfte (2007), Einsatzarmee und<br />

Innere Führung (2007), Militärisches Selbstverständnis (2008), Soldat und digitales Schlachtfeld (2009).<br />

Dr. Antulio J. Echevarria II.<br />

Dr. Antulio J. Echevarria II became the Director of Research for the U.S. Army War College after a military career of<br />

23 years. He has held a variety of command and staff assignments in Europe and the United States. Dr. Echevarria<br />

is the author of Clausewitz and Contemporary War (Oxford University Press, 2007); Imagining Future War (Praeger<br />

Securities International, 2007); and After Clausewitz (University Press of Kansas, 2001). He has also published extensively<br />

in scholarly and professional journals on topics related to military history and theory and strategic thinking.<br />

Dr. Echevarria is a graduate of the U.S. Military Academy, the U.S. Army Command and General Staff College, and<br />

the U.S. Army War College, and holds M.A. and Ph.D. degrees in history from Princeton University.<br />

Dr. Thomas Enders, Jahrgang 1958, verheiratet, vier Kinder.<br />

Studium der Volkswirtschaft, Politik und Geschichte an den Universitäten Bonn und Los Angeles (UCLA); 1987<br />

Promotion in Politikwissenschaft an der Universität Bonn.<br />

Beruflicher Werdegang:<br />

1982 Assistent im Deutschen Bundestag, ab 1985 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung<br />

in St. Augustin, am Forschungsinstitut der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> für Auswärtige Politik in<br />

Bonn sowie am International Institute for Strategic Studies in London; von 1989 bis 1991 gehörte er dem Planungsstab<br />

des Bundesministers der Verteidigung in Bonn an.<br />

1991 Eintritt in die MBB/Dasa (verschiedene Funktionen im Marketing-Bereich), ab 1995 Leiter des Hauptsekretariats<br />

und Büros des Vorstandsvorsitzenden der Dasa; anschließend mehr als drei Jahre lang Direktor Unternehmensentwicklung<br />

und Technologie der Dasa.<br />

Nach Gründung der EADS im Jahr 2000 Leiter des Bereiches Defence and Security Systems; ab Juni 2005<br />

Vorstandsvorsitzender der EADS. Seit 2000 Mitglied des Executive Committee der EADS und seit Juni 2006<br />

Vorsitzender des Airbus Shareholder Committee. Im April 2005 Wahl zum Präsidenten des Bundesverbandes<br />

der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Der Major der Reserve der Bundeswehr ist seit August 2007<br />

Vorstandsvorsitzender von Airbus.


AUTOREN<br />

Brigadegeneral Dipl.-Ing. Klaus Habersetzer, Jahrgang 1957, verheiratet, zwei Kinder.<br />

1977 Eintritt in die Bundeswehr beim LAR 3 in Roth bei Nürnberg, 1977 <strong>–</strong> 1978 Offizierlehrgang an der OSLw<br />

in Fürstenfeldbruck, 1978 <strong>–</strong> 1982 Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der UniBw in Neubiber (Dipl.-Ing.),<br />

anschl. Vorausbildung zum FlaRakOffz HAWK bei 1./FlaRakBtl 34 in Rottenburg/Laaber, 1982 <strong>–</strong> 1983 Ausbildung<br />

zum Feuerleitoffizier HAWK an der US Army Air Defense Artillery School und der Raketenschule der Luftwaffe in<br />

Fort Bliss, Texas (USA), 1983 <strong>–</strong> 1986 Zugführer und Feuerleitoffizier HAWK bei 1./FlaRakBtl 34, 1986 <strong>–</strong> 1988 Erkundungsoffizier/Staffeleinsatzoffizier<br />

bei 4./FlaRakBtl 33 in Erding, 1988 <strong>–</strong> 1990 S 3 Einsatzoffizier bei FlaRakBtl 33 in<br />

Lenggries, 1990 <strong>–</strong> 1992 Teilnahme an der Generalstabsausbildung (35. Genstlehrg. Lw) an der Führungsakademie<br />

der Bundeswehr in Hamburg, 1992 <strong>–</strong> 1994 EinsGenstOffz bei AStudÜbBw/BerOR in Ottobrunn, 1994 <strong>–</strong> 1996 Referent<br />

im BMVg / Fü L III 2 in Bonn, 1996 <strong>–</strong> 1999 Kommandeur FlaRakGrp 22 (PATRIOT) in Penzing, 1999 <strong>–</strong> 2000<br />

Tutor und Dozent Luftkriegführung im Fachbereich Führungslehre Luftwaffe an der Führungsakademie der Bundeswehr<br />

in Hamburg, 2000 <strong>–</strong> 2001 DezLtr Konzeptionelle Weiterentwicklung bei AbtInspizLw im LwA in Köln-Wahn,<br />

2001 <strong>–</strong> 2003 Gruppenleiter A 3 IV im Luftwaffenführungskommando in Köln-Wahn, 2003 <strong>–</strong> 2005 Kommandeur<br />

Raketenschule der Luftwaffe und ab 01.04.2005 Kommandeur TakTausbWbZ FlaRakLw USA; Fort Bliss, Texas<br />

(USA), 2005 <strong>–</strong> 2008 Referatsleiter BMVg / Fü L III 6 in Bonn und seit 29.04.2008 Kommandeur der Offizierschule<br />

der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.<br />

Ministerialrat iR Mag.phil. Friedrich W. Korkisch, PhD, Oberst dhmfD iR, Jahrgang 1940.<br />

1958 Luftstreitkräfte, Dienst u.a. im JaBoGeschwader, Hörsching, G-2/S-2 Kommando Luftstreitkräfte; Luftabteilung,<br />

Generalstabsgruppe B, BMLV; NATO Air Defense Committee; KSZE/OSZE/OSCC Wien; ab 1970 Privatwirtschaft<br />

USA; Studium Univ. Wien, und Zrinyi Univ. Budapest, PhD (summa cum laude); Santa Barbara College, CA; Univ.<br />

of Michigan, Ann Arbor; Alumni NESA/National Defense Univ., Washington DC; Lektor an der Landesverteidigungsakademie<br />

Wien, EFA Alpbach und Corvinus Univ. Budapest; Leiter Institut für Außen- und Sicherheitspolitik, Wien.<br />

Generalleutnant Aarne Kreuzinger-Janik, Jahrgang 1950, verheiratet, zwei Kinder.<br />

1969 Eintritt in die Bundeswehr bei OA-Bataillon der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck; 1969 <strong>–</strong> 1974 Ausbildung zum<br />

Offizier an der Offiziersschule in Neubiberg <strong>–</strong> Ausbildung zum Luftfahrzeugführer in den USA; 1974 <strong>–</strong> 1978 Flugzeugführer<br />

auf F-104G beim Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“, Kerpen; 1978 <strong>–</strong> 1980 Nachrichtenoffizier beim<br />

Jagdbombergeschwader 31 „Boelcke“, Kerpen; 1980 <strong>–</strong> 1981 Einsatzstabsoffizier beim Jagdbombergeschwader 31<br />

„Boelcke“, Kerpen; 1981 <strong>–</strong> 1983 Teilnahme 26. Generalstabsdienstlehrgang der Luftwaffe an der Führungsakademie<br />

der Bundeswehr, Hamburg; 1983 <strong>–</strong> 1985 Planungsstabsoffizier bei der Führungsakademie der Bundeswehr,<br />

Hamburg; 1985 <strong>–</strong> 1988 Staffelkapitän beim Jagdbombergeschwader 34 „Allgäu“, Memmingen; 1988 <strong>–</strong> 1989 Dezernatsleiter<br />

bei der 3. Luftwaffendivision, Kalkar; 1989 <strong>–</strong> 1990 Studienprojektoffizier beim Amt für Studien und<br />

Übungen der Bundeswehr, Bergisch-Gladbach; 1990 <strong>–</strong> 1992 Kommandeur Fliegende Gruppe beim Jagdbombergeschwader<br />

34 „Allgäu“, Memmingen; 1992 <strong>–</strong> 1994 G3-Stabsoffizier bei SHAPE (NATO-Oberkommando Europa)<br />

Mons (Belgien); 1994 <strong>–</strong> 1996 Referent für Militärpolitische Grundlagen im Führungsstab der Streitkräfte (Fü S)<br />

Bundesministerium der Verteidigung, Bonn; 1996 <strong>–</strong> 1997 Kommodore Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“,<br />

Kropp/Jagel (Schleswig-Holstein) zwischenzeitlich: Kommodore Einsatzgeschwader 1 der Luftwaffe Piacenza (Italien);<br />

1997 <strong>–</strong> 1999 Referatsleiter im Führungszentrum der Bundeswehr, Bonn (zuständig für die weltweite, teilstreitkraftübergreifende<br />

Einsatzführung der Bundeswehrkontingente Bundesministerium der Verteidigung); 1999 <strong>–</strong> 2000<br />

Stellvertretender Befehlshaber und General für Nationale Territoriale Aufgaben im Wehrbereich II sowie Beauftragter<br />

für Reservistenangelegenheiten in Niedersachsen und Bremen; 2000 <strong>–</strong> 2003 Stabsabteilungsleiter im<br />

Führungsstab der Luftwaffe (Fü L III) Bundesministerium der Verteidigung, Bonn; 2003 <strong>–</strong> 2006 Kommandeur 3.<br />

Luftwaffendivision, Berlin-Gatow; 2006 <strong>–</strong> 2009 Befehlshaber Luftwaffenführungskommando, Köln <strong>–</strong> Wahn; seit 1.<br />

November 2009 Inspekteur der Luftwaffe, Bundesministerium der Verteidigung, Bonn.<br />

Orden und Ehrenzeichen:<br />

Ehrenkreuz der Bundeswehr (GOLD), Einsatzmedaille der Bundeswehr für den Einsatz im Rahmen der Operation<br />

IFOR, „Ordre National du Mérite“ <strong>–</strong> Stufe Kommandeur <strong>–</strong> (Frankreich).<br />

Flugstunden:<br />

über 2.800 auf den Lfz-Typen T-37, T-38, F-104G „Starfighter“, „Alpha Jet“ und „TORNADO“.<br />

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92<br />

AUTOREN<br />

Brigadier MMag Wolfgang Peischel, Jahrgang 1956.<br />

1982 <strong>–</strong> 1985 Theresianische Militärakademie; 1991 <strong>–</strong> 1994 Ausbildung zum Generalstabsoffizier; 1991 <strong>–</strong> 1997<br />

Studium der Politikwissenschaft; Hauptlehroffizier an der Landesverteidigungsakademie/Wien; 1999 <strong>–</strong> 2000<br />

Verwendung als Leiter des selbstständigen Referats Umfassende Landesverteidigung der Abteilung Militärstrategie<br />

im Bereich der Generalstabsgruppe B; 2001 Truppenverwendung als Kommandant Jägerregiment Wien;<br />

2002 <strong>–</strong> 2008 Leiter Gruppe Struktur- und Programmplanung im Bundesministerium für Landesverteidigung; seit<br />

2009 Chefredakteur ÖMZ.<br />

Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, Jahrgang 1945, verheiratet, zwei Kinder.<br />

Nach Abitur Wehrdienst von 1966 <strong>–</strong> 1968 (Reserveoffizier); anschl. Studium der Rechtswissenschaft, Politik und<br />

Geschichte an den Universitäten Bonn und Genf, 1974 Promotion zum Dr. phil., 1976 Zweites juristisches Staatsexamen.<br />

Wissenschaftlicher Angestellter (1976 <strong>–</strong> 1979), Berufung zum Lehrbeauftragten an der Universität Osnabrück<br />

(1989) und zum Honorarprofessor (1995).<br />

Politische Tätigkeiten (Auswahl):<br />

Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (seit 2010), Präsident des Europäischen Parlaments (16. Januar<br />

2007 <strong>–</strong> 14. Juli 2009), Mitglied des Europäischen Parlaments seit der ersten Direktwahl (seit 1979), Mitglied im Präsidium<br />

der Europäischen Volkspartei (EVP) und der CDU (2007 <strong>–</strong> 2009), kooptiertes Mitglied im Bundesvorstand<br />

der CDU Deutschlands (seit Juli 2009), Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten)<br />

und europäischer Demokraten (EVP-ED) im Europäischen Parlament (1999 <strong>–</strong> 2007), Stellv. Vorsitzender der EVP-<br />

Fraktion im Europäischen Parlament (1994 <strong>–</strong> 1999), Vorsitzender des Unterausschusses ‘Sicherheit und Abrüstung’<br />

des Europäischen Parlaments (1984 <strong>–</strong> 1994).<br />

Auszeichnungen (Auswahl):<br />

Großer Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, Großes Ehrenzeichen der Republik Österreich, ‘Mérite<br />

Européen en or’, Luxemburg, Europäischer Ehrensenator, Großkreuz des päpstlichen Gregoriusordens.<br />

Veröffentlichungen (Auswahl):<br />

Europas vereinigte Staaten <strong>–</strong> Annäherungen an Werte und Ziele, 1993 (zus. mit Ludger Kühnhardt); Kontinent<br />

Europa: Kern, Übergänge, Grenzen, Osnabrück 1998 (zus. mit Ludger Kühnhardt); Weltpartner Europäische Union,<br />

2001 (zus. mit Ludger Kühnhardt); Von der Vision zur Wirklichkeit. Auf dem Weg zur Einigung Europas, Bonn 2004;<br />

Im Dienste Europas, Bonn 2009.<br />

Prof. Dr. sc. pol. Lothar Rühl, Staatssekretär a.D., Jahrgang 1927.<br />

Studium der Rechts-, Staatswissenschaften und Geschichte in Bonn und Paris (Dipl. und Promotion Sorbonne);<br />

1969-73 stv. Chefredakteur DIE WELT, 1973 <strong>–</strong> 1979 ZDF-Korrespondent Brüssel, 1979 <strong>–</strong> 1980 Studioleiter ZDF,<br />

1981/82 stv. Regierungssprecher, 1981 <strong>–</strong> 1982 Ministerialdirektor im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung<br />

und stellvertretender Regierungssprecher, 1982 <strong>–</strong> 1989 Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium<br />

Bonn, 1986 Habilitation; Professor am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der<br />

Universität zu Köln, 1989ff. Internationaler Korrespondent DIE WELT. 1989 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern;<br />

Komm. Franz. Ehrenlegion. Vorstandsmitglied der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des Stockholmer<br />

Internationalen Instituts für Friedensforschung (SIPRI).<br />

Veröffentlichungen (Auswahl):<br />

Mittelstreckenraketen in Europa: ihre Bedeutung in <strong>Strategie</strong>, Rüstungskontrolle und Bündnispolitik, Baden-Baden<br />

1987; Zeitenwende in Europa: der Wandel der Staatenwelt und der Bündnisse, Stuttgart 1990; Deutschland als<br />

europäische Macht: nationale Interessen und internationale Verantwortung, Bonn 1996; Das Reich des Guten.<br />

Machtpolitik und globale <strong>Strategie</strong> Amerikas, Stuttgart 2005 sowie zahlreiche Aufsätze und Artikel in Fachzeitschriften<br />

und Zeitungen.


Horst Steinberg, Jahrgang 1944, verheiratet, zwei Kinder.<br />

1964 <strong>–</strong> 1967 Maschinenbaustudium an der Fachhochschule in München mit Fachrichtung Flugzeugbau, Abschluss<br />

als Dipl. Ing. (FH); 1967 <strong>–</strong> 1968 Entwicklungsring Süd (später MBB), Entwicklungsingenieur; 1970 <strong>–</strong> 1971 Berufsbegleitende<br />

Ausbildung zum Berufspiloten Kl. II mit Instrumentenflugberechtigung; 1968 <strong>–</strong> 1974 Wehrübungen bei der<br />

Luftwaffe (OL der Reserve); 1968 <strong>–</strong> 1988 Dornier Werke München (Bereich Marketing, Vertrieb, Kundendienst und<br />

Luftfahrtprojekte, Vertriebsassistent, Vertriebsleiter, Bereichsleiter); 1989 <strong>–</strong> 1992 DASA - Dornier Aviation North America<br />

Inc. und Dornier Aviation Marketing Services Inc., Washington DC, USA; Geschäftsführer; 1992 <strong>–</strong> 1996 DASA<br />

- Fokker Aircraft BV, Amsterdam, Holland (Geschäftsbereich Marketing und Vertrieb; Bereichsleiter); 1996 <strong>–</strong> heute<br />

HMS Management GmbH, Landsberg; Eigentümer und Geschäftsführer (Industrieberatung im Bereich Luftfahrt-<br />

und Investitionsprojekte, Schwerpunkt Übernahme- und Restrukturierungsprojekte, Zeitmanagement); 1998 <strong>–</strong> 2000<br />

Rational North America Inc., Chicago, USA; Geschäftsführer; 2003 <strong>–</strong> 2007 RUAG Aerospace Services, Oberpfaffenhofen;<br />

Geschäftsführer; RUAG Aerospace Deutschland, Oberpfaffenhofen; Vorsitzender der Geschäftsführung.<br />

Lieutenant General Viereck was born 9 March 1951 in Kassel (Germany).<br />

Lieutenant General Viereck started his military career with the Bundeswehr in 1970. In 1974 he completed his pilot<br />

training at Sheppard AFB, USA. Back in Germany, he served with 2 nd Flying Squadron of Reconnaisance Wing 52<br />

in Leck, first as a combat pilot, then as operations staff officer. In 1982 he began his General Staff Officer Course<br />

at the Bundeswehr Command and Staff College in Hamburg and consequently attended the General Staff Officer<br />

Course at the Danish Defense College in Copenhagen. In 1985 he was assigned General Staff Officer to NATO<br />

Headquarters AIR BALTAP in Denmark. After 2 years he returned to Germany to become at first Deputy Commander,<br />

then Commander of the Flying Group of Fighter Bomber Wing 36 “Westfalen” in Hopsten. From 1990 to 1994,<br />

he held several assignments at the Federal Ministry of Defense in Bonn. After commanding Fighter Bomber Wing<br />

34 “Allgäu” in Memmingen for 2 years, he returned to the Federal Ministry of Defense in 1996 where he became<br />

Chief of Branch III 1, Air Staff, in Bonn. From 1998 to 2000 he served at the Federal Ministry of Defense in Berlin,<br />

Armed Forces Staff as Assistant Deputy Chief of Staff, III Branch, Military Policy and Arms Control. This was followed<br />

in 2000 by an assignment as Deputy Chief of Staff and Director Operations at the NATO Joint Command HQ Northern<br />

Europe in Stavanger, Norway. In 2003 he returned to Germany to become Commander of the 4th Air Division<br />

in Aurich. In 2005 he initially became Deputy Commander of the Bundeswehr Operations Command in Potsdam<br />

and later, on 16 March 2006, its Commander. From April 2006 to February 2007 Lieutenant General Viereck had<br />

the command of the EUFOR mission in the Democratic Republic of the Congo as appointed EU Operation Commander.<br />

His military decorations include the Bundeswehr Cross of Honor in Silver and Gold, the European Security<br />

Defense Policy Service Medal, the Commander of the National Order of Merit (France), Cross of Merit 2 nd Class of<br />

the Estonian Ministry of Defense and the National Defense Medal France.<br />

Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner, Jahrgang 1954.<br />

Studium des Bauingenieurwesens an der TH Berlin und der TU Darmstadt, ab 1982 zweijähriger Forschungsaufenthalt<br />

zum Thema „Erdbebensicherheit“ in Japan; 1985 Promotion an TU Darmstadt. Nach beruflicher Tätigkeit in<br />

Privatwirtschaft ab 1990 Leitung der Prüf- und Versuchanstalt an der TH Darmstadt sowie Technischer Leiter des<br />

Instituts für Konstruktiven Glasbau und Dekan des Fachbereichs Bauingenieurswesen. 1995 Wahl zum Präsidenten<br />

der TU Darmstadt; seit 1. März 2007 Vorsitzender des Vorstandes des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt<br />

(DLR).<br />

Prof. Dr. Wörner erhielt zahlreiche Preise, Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden; er ist Mitglied in verschiedenen<br />

nationalen und internationalen Aufsichtsratsgremien, Beiräten und Kuratorien. Von der Bundesregierung wurde er<br />

in die „Projektgruppe Energiepolitisches Programm“ (PEPP) berufen.<br />

93


94<br />

BISHER ERSCHIENENE BäNDE DER GNEISENAU BLäTTER<br />

Band 1<br />

Die humanitäre Intervention als ultima ratio zur Beendigung<br />

oder Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen<br />

2001<br />

mit Beiträgen von:<br />

Peter Fonk, Otfried Höffe, Hans Küng, Claire Marienfeld-Czesla,<br />

Dagmar Schipanski und Rupert Scholz<br />

Band 2<br />

Aspekte einer europäischen Identität<br />

2004<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Markus Ferber, Walter Kolbow, Lothar Rühl,<br />

Theo Stammen, Agata Szyszko und Theo Waigel<br />

Band 3<br />

Militärische Tradition<br />

2004<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Heinz Marzi, Harald Potempa,<br />

Karl H. Schreiner, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg<br />

und John Zimmermann


BISHER ERSCHIENENE BäNDE DER GNEISENAU BLäTTER<br />

Band 4<br />

Revolution <strong>–</strong> Reform <strong>–</strong> Transformation<br />

2006<br />

mit Beiträgen von:<br />

Oliver Becker, Eberhard Birk, Karl Feldmeyer, Johann Heitzmann,<br />

Walter Mixa, August Pradetto, Wolfgang Schneiderhan,<br />

Karl H. Schreiner, Theo Stammen und Klaus-Peter Stieglitz<br />

Band 5<br />

Erziehung und Streitkräfte<br />

2007<br />

mit Beiträgen von:<br />

Eberhard Birk, Angelika Dörfler-Dierken, Thomas Goppel,<br />

Winfried Gräber, Margot Käßmann, Karl Lehmann,<br />

Hans-Hubertus Mack, Eva Matthes, Ulrike Merten und<br />

René Ségur-Cabanac<br />

Band 6<br />

Einsatzarmee und Innere Führung<br />

2007<br />

mit Beiträgen von:<br />

Robert Bergmann, Eberhard Birk, Bernhard Chiari,<br />

Peter Dreist, Loretana de Libero, Franz Josef Jung, Peter Krug,<br />

Reinhold Robbe, Wolfgang Schneiderhan und Javier Solana<br />

95


96<br />

BISHER ERSCHIENENE BäNDE DER GNEISENAU BLäTTER<br />

Band 7<br />

Militärisches Sebstverständnis<br />

2008<br />

mit Beiträgen von:<br />

Alois Bach, Oliver Becker, Eberhard Birk, Jochen Bohn, Hans-Otto Budde,<br />

Loretana de Libero, Hans-Hubertus Mack, Wolfgang E. Nolting,<br />

Christian Schmidt, Wolfgang Schneiderhan, Karl H. Schreiner,<br />

Heinrich-Wilhelm Steiner, Klaus-Peter Stieglitz, Maren Tomforde und<br />

Karl von Wogau<br />

Band 8<br />

Soldat und digitales Schlachtfeld<br />

2009<br />

mit Beiträgen von:<br />

Axel Binder, Eberhard Birk, Klaus Habersetzer, Aarne Kreuzinger-Janik,<br />

Herfried Münkler, Wolfgang Richter, Harald Schaub und Gerhard Schempp


DIE GNEISENAU-GESELLSCHAFT<br />

<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />

Zweck der <strong>Gesellschaft</strong><br />

Die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur,<br />

Völkerverständigung, des Sports, die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens<br />

der Bundesrepublik Deutschland sowie Maßnahmen der Soldaten- und Reservistenbetreuung.<br />

Verwirklichung durch:<br />

− Förderung des Dialoges zwischen Industrie und Luftwaffe<br />

− Organisation und Durchführung wissenschaftlicher Vorträge und Vortragsreihen im Rahmen der<br />

(sicherheits-) politischen Bildung und ihre Dokumentation für die Öffentlichkeit/Allgemeinheit<br />

− Herausgabe einer wissenschaftlichen Schriftenreihe und eigenen Publikationen in Form der<br />

„<strong>Gneisenau</strong> Blätter“<br />

− Organisation und Durchführung von Informations- u. Vortragsveranstaltungen zur Förderung<br />

von Wissenschaft und Forschung<br />

− Einrichtung von Wettbewerben und Vergabe von Preisen im Bereich von Wissenschaft und<br />

Forschung, Kunst und Kultur, mit Organisationen, Schulen und Vereinen der Region<br />

− Förderung des Sports durch entsprechende sportliche Veranstaltungen mit Organisationen,<br />

Schulen und Vereinen der Stadt und des Landkreises Fürstenfeldbruck sowie europäischen<br />

Luftwaffenakademien<br />

− Unterstützung internationaler Beziehungen und Austauschprogramme der Offizierschule der<br />

Luftwaffe (OSLw) auf kulturellem und sportlichem Gebiet<br />

− Förderung der Begegnung zwischen Deutschen und Ausländern<br />

− Förderung des Natur- u. Landschaftsschutzes durch aktive Teilnahme oder sonstige<br />

Unterstützung von Umweltschutz- u. Umweltaktionstagen<br />

Gründe für Ihre Mitgliedschaft<br />

Die <strong>Gneisenau</strong> <strong>Gesellschaft</strong> der OSLw lebt wie jeder andere Verein von der Unterstützung seiner<br />

Mitglieder. Unser gemeinnütziger Verein bietet:<br />

− Sie treffen hochrangige Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Militär.<br />

− Sie treffen und fördern zukünftige Entscheidungsträger der Luftwaffe sowie befreundeter<br />

Streitkräfte.<br />

− Sie erhalten Zutritt zu interessanten Veranstaltungen und Diskussionen.<br />

− Sie fördern den Leistungswillen der Jugend durch die Vergabe von Bestpreisen, Ausrichtung<br />

von Wettbewerben und Unterstützung von Sportveranstaltungen.<br />

Werden Sie Mitglied und unterstützen Sie uns. Kontaktieren Sie uns direkt oder über die Internetseite.<br />

Sparkasse Fürstenfeldbruck | Konto-Nr. 1340603 | BLZ 700 530 70<br />

Präsident:<br />

Brigadegeneral Klaus Habersetzer<br />

Offizierschule der Luftwaffe<br />

Kommandeur<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel. 08141 5360-1000<br />

Fax 08141 5360-2920<br />

klaushabersetzer@bundeswehr.org<br />

1. Vorsitzender:<br />

Horst Steinberg<br />

Geschäftsführer<br />

HMS management GmbH<br />

Adlerstraße 11<br />

86899 Landsberg am Lech<br />

Tel. 08191 941391<br />

Fax 08191 941392<br />

hs@hmsgroup.de<br />

2. Vorsitzender:<br />

Generalmajor Dieter Naskrent<br />

Kommandeur<br />

Kommando Operative Führung<br />

Luftstreitkräfte<br />

von-Seydlitz-Kaserne<br />

Römerstr. 122<br />

47546 Kalkar<br />

Tel. 02824 90-1000<br />

Fax 02824 90-1008<br />

dieternaskrent@bundeswehr.org<br />

Schriftführer:<br />

Oberstleutnant Wolfgang Saier<br />

Offizierschule der Luftwaffe<br />

Leiter Schulstab<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel. 08141 5360-1130<br />

Fax 08141 5360-2920<br />

wolfgangsaier@bundeswehr.org<br />

Schatzmeister:<br />

Hauptmann Marcin Wrzos<br />

Offizierschule der Luftwaffe<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel. 08141 5360-1001<br />

Fax 08141 5360-2920<br />

marcinwrzos@bundeswehr.org<br />

www.<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />

post@<strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />

97


98<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber: <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> zur Förderung<br />

der Offizierschule der Luftwaffe e.V.<br />

im Auftrag des Vorstands<br />

Dr. Eberhard Birk<br />

Adresse: Offizierschule der Luftwaffe<br />

Postfach 12 64 A/S<br />

82242 Fürstenfeldbruck<br />

Tel.: 08141 5360-1000<br />

Fax: 08141 5360-2920<br />

Heftpreis: € 10,00<br />

© <strong>Gneisenau</strong>-<strong>Gesellschaft</strong><br />

Produktion: 2G media GmbH<br />

Marktplatz 3<br />

85625 Glonn<br />

Tel.: 08093 3473<br />

Fax: 08093 3475<br />

post@2gmedia.de<br />

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