Technik – Innovation – Strategie - Gneisenau Gesellschaft
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TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN UND STRATEGISCHE FOLGEN: DAS PROBLEM DER<br />
MODERNISIERUNG DER NUKLEARFäHIGEN MITTELSTRECKENWAFFEN IN EUROPA<br />
ter 5500 bis 500 km weltweit ausgeschlossen und seither<br />
beseitigt.<br />
Dies bedeutete, dass alle „cruise missiles“ und „Pershing-<br />
II“ in Nato-Europa abgezogen wurden wie im Osten die<br />
sowjetrussischen Mittelstreckenraketen. Die britischen<br />
und französischen Systeme blieben und bleiben frei wie<br />
alle übrigen und wurden auch nicht auf die amerikanischen<br />
angerechnet. Es war wegen der Belastungen einer<br />
solchen Nebenverhandlung nachvollziehbar, dass Washington<br />
zunächst nicht über Mittelstreckensysteme LRT-<br />
NF („Long Range Theater Nuclear Forces“) oder INF verhandeln<br />
wollte, was die europäischen Nato-Partner, vor<br />
allem der deutsche, verlangten. Erst 1983 kamen solche<br />
Verhandlungen in Gang und wurden 1988 faktisch abgeschlossen.<br />
Nach 1989 wurden alle vom INF-Vertrag<br />
erfassten Waffensysteme beseitigt. „SALT-II“ war nicht<br />
ratifiziert worden, doch beide Seiten hielten sich an die<br />
Vereinbarung von 1979. Die Nato-Nachrüstung hatte<br />
ihr Ziel schließlich in der „doppelten Null-Lösung“ der<br />
weltweiten Beseitigung der boden-gestützten Mittelstreckensysteme<br />
erreicht. Die SS-20-Rüstung der UdSSR war<br />
beseitigt und hatte sich politisch als massive Fehlinvestition<br />
erwiesen.<br />
Die Nato hatte von vornherein keinen zahlenmäßigen<br />
Gleichstand der Gegenrüstung oder Nachrüstung mit<br />
dem sowjetrussischen nuklearen Angriffspotenzial oder<br />
auch nur mit den SS-20 gegenüber Nato-Europa in Aussicht<br />
genommen. Die kompensatorische Gegenrüstung<br />
sollte lediglich einer abschreckenden „strategy of denial“,<br />
also einer Optionsverwehrung dienen. Sie sollte Moskau<br />
davon überzeugen, dass auch eine große Angriffsfähigkeit<br />
gegenüber der Nato nicht ausreichen würde, Westeuropa<br />
zu unterwerfen oder zu „nötigen“ (Schmidt) und von der<br />
Sicherheit der USA abzutrennen. Man hatte militärstrategisch<br />
eine Größenordnung von 200 Zielen zur Abdeckung<br />
vorgesehen, von denen eine größere Zahl in der<br />
westlichen UdSSR lag. Der Zweck war es, Moskau zu demonstrieren,<br />
dass im Kriegsfall die Eskalation nicht vor<br />
Russland haltmachen, sondern es schon beim Ersteinsatz<br />
von Kernwaffen treffen würde.<br />
Dies war bis 1983 von Westeuropa aus nur mit US-Bombern,<br />
britischen und französischen Kampfflugzeugen und<br />
aus der Türkei mit alliierten Jagdbombern möglich gewesen.<br />
Deren Eindringfähigkeit gegen die sowjetrussische<br />
Luftabwehr von Mitteleuropa an ostwärts war fraglich,<br />
wurde aber trotz der Risiken als real, wenngleich auch als<br />
geographisch marginal angenommen. Die besten Chancen<br />
wurden noch Luftangriffen von der Türkei aus nach<br />
Südrussland, gegen die Ukraine und gegen das Kaukasusgebiet<br />
der UdSSR zugeschrieben. Da eine Flugkörperstationierung<br />
in der Türkei gemäß der politischen Verständigung<br />
zwischen Washington und Moskau nach der<br />
Kubakrise von 1962 nicht in Aussicht genommen wurde<br />
und Ankara dies auch ablehnte, kam dafür nur Westeuropa<br />
in Frage <strong>–</strong> und zwar ohne Frankreich, wie Präsident<br />
Giscard d’Estaing 1979 auf Guadeloupe erklärt hatte.<br />
Norwegen und Dänemark hatten seit 1949 Kernwaffen<br />
im Frieden in ihren Grenzen ausgeschlossen. Schließlich<br />
wurde die Stationierung aus politischen und geostrategischen<br />
Gründen sowie der operativen Reichweiten der<br />
Flugkörper auf fünf Länder begrenzt: Großbritannien, die<br />
Niederlande, Belgien, die Bundesrepublik Deutschland<br />
und Italien.<br />
Insgesamt wurden nach dem Nato-Beschluss vom 12. Dezember<br />
1979 572 LRTNF-Kernwaffen (Gefechtsköpfe)<br />
stationiert: 108 „Pershing-II“-Raketen mit je einem Nukleargefechtskopf<br />
in Westdeutschland und 464 auf Vierfach-Werfern<br />
für GLCM-Marschflugkörper, davon 96 auf<br />
24 Werfern in Westdeutschland, 160 auf 40 in Großbritannien,<br />
112 auf 28 in Italien und je 48 auf je 12 in Belgien<br />
und den Niederlanden. Mit diesem Offensivpotenzial<br />
konnten bei zwei Kernwaffen auf jedes Ziel etwa 280 bis<br />
285 Ziele wirksam getroffen werden, bei je einer Waffe<br />
entsprechend mehr. In jedem Fall war die Abdeckung der<br />
200 strategischen Vorrangziele für die Nato-LRTNF in<br />
Europa gesichert und damit die Optionsverwehrung gegen<br />
die Sowjetstreitkräfte und ihre westrussischen Basen.<br />
Der deutsche Partner trug mit 204 Waffen, davon allen<br />
auf Raketen, die schwerste Last und als einziges Stationierungsland<br />
die Systeme, die am schnellsten und als erste