Technik – Innovation – Strategie - Gneisenau Gesellschaft
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DAS SPANNUNGSFELD VON MILITäRISCHER REVOLUTION UND REVOLUTION<br />
IN MILITARy AFFAIRS (RMA) AM BEISPIEL VON „KÖNIGGRäTZ“<br />
fairs always occur within the context of politics and strategy<br />
<strong>–</strong> and that content is everything.“ 22<br />
III. Rahmenbedingungen zur Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts<br />
Die Industrielle Revolution hatte, nachdem sie zur Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts wirkungsmächtig auf dem europäischen<br />
Kontinent „Fuß gefasst“ hatte, tiefgreifende politische,<br />
gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungsprozesse<br />
zur Folge: Wechselseitige Verschränkungen und<br />
Abhängigkeiten führten neben einem rasanten Bevölkerungswachstum,<br />
der Verschiebung des wirtschaftlichen<br />
Schrittmachers zur beginnenden Industriegesellschaft,<br />
dem Ausbau von Verkehrs- und Eisenbahnnetzen zu einem<br />
wirtschaftlichen Produktionsanstieg.<br />
Vor diesem Hintergrund öffneten sich auch für das Militär<br />
neue Chancen für die Effizienzsteigerung hinsichtlich der<br />
Faktoren Raum, Zeit, Information und Kraft: Die Verkürzung<br />
des Raumes durch die Nutzung der Eisenbahnlinien<br />
für schnelle Aufmärsche sowie die Beschleunigung<br />
der Zeit, aber auch der nutzbaren Informationsüberlegenheit<br />
durch die <strong>Innovation</strong> beim Kommunikationswesen in<br />
Form der Telegraphie erlaubten es, Truppen, Kriegsmaterial<br />
und Nachschub innerhalb kürzester Zeit <strong>–</strong> gegebenenfalls<br />
mit ‚tödlicher’ Präzision planbar <strong>–</strong> an jeden, durch<br />
die Eisenbahnlinien definierbaren Punkt zu bringen. Zeit-<br />
und Logistikvorsprung konnten bei überlegener Führung<br />
durch flexible Konzentration der Kräfte den militärischen<br />
Sieg auf dem Schlachtfeld ‚garantieren’. Eine unterlassene<br />
und falsche Planungsarbeit, ein dilatorischer Aufbau von<br />
Eisenbahnlinien hingegen konnten in die Katastrophe<br />
führen.<br />
Grundsätzlich wurden hierdurch Besitz, systematischer<br />
Ausbau und Unterhalt eines Eisenbahnnetzes ab der Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts zum militärstrategischen Rückgrat<br />
jeglicher militärischen Planung. 23 Damit wurde jedoch die<br />
militärische Schlagkraft eines Staates von seiner industriellen<br />
Leistungsfähigkeit <strong>–</strong> sie sorgte auch für die Erhöhung<br />
von Letalität und Destruktion durch Feuer (Kraft) <strong>–</strong> stärker<br />
abhängig als von der bloßen Zahl seiner aufgestellten<br />
Truppen.<br />
Dennoch war es natürlich weiterhin ein militärpolitisches<br />
Desiderat, und dies war neben der politischen Absicht der<br />
Abwehr liberalen resp. bürgerlichen Gedankengutes und<br />
der Verhinderung einer Parlamentarisierung der Armee,<br />
das durch die Roonsche preußische Heeresreform angestrebte<br />
Ziel über eine Erhöhung der Friedenspräsenzstärke<br />
durch Herstellung der Wehrgerechtigkeit, der Abschaffung<br />
der Trennung von „Landwehr“ und „Linie“ angesichts<br />
der Konflikte der 1850er Jahre eine auch für kriegerische<br />
Zwecke personalstarke, bestens ausgerüstete und<br />
ausgebildete Streitkraft zu generieren, 24 die eine Synthese<br />
der beiden Prinzipien „Massenheer“ und „Qualitätsheer“<br />
anvisierte.<br />
Ein hoher Bildungs- und Ausbildungsstand war aufgrund<br />
der neuen waffentechnischen Entwicklungen notwendig<br />
geworden. 25 Hierzu zählen insbesondere die Einführung<br />
des von Nikolaus von Dreyse entwickelten Zündnadelgewehres<br />
in der preußischen Armee ab 1848; hinzu kamen<br />
die Einführung des Gussstahl-Hinterladergeschützes bei<br />
der Artillerie sowie neue hochexplosive Zündstoffe: Feuerkraft,<br />
Kadenz, Feuerdichte sowie Reichweite und Treffsicherheit<br />
nahmen zu und machten Frontalangriffe der Infanterie,<br />
die noch dazu von der Artillerie auf Entfernung<br />
gehalten wurde, nahezu unmöglich. Dies erforderte auf<br />
taktischer Ebene die sukzessive Abkehr von geschlossenen<br />
Infanterieformationen, hin zu beweglichen Kompaniekolonnen.<br />
26 Dies erhöhte wiederum die Verantwortung<br />
der taktischen Führer, ggfs. bis hinunter zum einzelnen<br />
Soldaten, deren Selbständigkeit im Gefecht eine neue<br />
Führungsphilosophie <strong>–</strong> eben die „Auftragtaktik“ <strong>–</strong> erforderte.<br />
27<br />
Tatsächlich aber konnten alle diese neuen Möglichkeiten<br />
für die Kriegführung nur dann ihr gesamtes Potential<br />
entfalten, wenn es <strong>–</strong> erstens <strong>–</strong> aufgeschlossene und lern-<br />
22 Knox/Murray, Military Revolutions, S. 179-180.<br />
23 Vgl. für Österreich und Preußen: Burkhard Köster, Militär und Eisenbahn in der Habsburgermonarchie 1825-1859, München 1999 (=Militärgeschichtliche Studien Band 37) und Klaus-Jürgen Bremm, Von der Chaussee zur Schiene.<br />
Militärstrategie und Eisenbahnen in Preußen von 1833 bis zum Feldzug von 1866, München 2005 (=Militärgeschichtliche Studien Band 40).<br />
24 Vgl. Dierk Walter, Preußische Heeresreformen 1807-1870. Militärische <strong>Innovation</strong> und der Mythos der „Roonschen Reform“ (=Krieg in der Geschichte, Bd. 16), Paderborn 2003.<br />
25 Vgl. Franz Felberbauer, Solferino und seine Folgen <strong>–</strong> Sadowa und Sedan, in: ÖMZ 3/2009, S. 293-304.<br />
26 Vgl. Bernd Jürgen Wendt, Einführende Bemerkungen (III. Militär und technologischer Wandel), in: Epkenhans/Groß (Hg.), Das Militär und der Aufbruch in die Moderne 1860-1890, S. 201-207.<br />
27 Vgl. Stephan Leistenschneider, Auftragstaktik im preußisch-deutschen Heer 1871 bis 1914, Hamburg u.a. 2002, S. 40-55. Der Begriff wurde indes von einem württembergischen General geprägt, vgl. Gerhard Hümmelchen, Otto von<br />
Moser. Ein württembergischer General, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 6/1982, S. 196-202, hier S. 198.