23.11.2013 Aufrufe

Grußwort von Herrn Staatssekretär Dr. Thomas Griese anlässlich ...

Grußwort von Herrn Staatssekretär Dr. Thomas Griese anlässlich ...

Grußwort von Herrn Staatssekretär Dr. Thomas Griese anlässlich ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Grußwort</strong> <strong>von</strong> <strong>Herrn</strong> <strong>Staatssekretär</strong><br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Thomas</strong> <strong>Griese</strong> <strong>anlässlich</strong> der Tagung<br />

"Lange Schatten? Akteure, Netzwerke und Konzepte<br />

bei der Begründung des Naturschutzes in der frühen<br />

Bundesrepublik Deutschland"<br />

am 29.11.2012<br />

in Mainz, Landesmuseum<br />

Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Gliederung<br />

1. Einleitung<br />

2. „Braune Vergangenheit“? – Bitte nicht im<br />

Naturschutz!<br />

3. Verschweigen als Stärke?<br />

4. Grundlinien der Gesetzgebung in einigen<br />

Bereichen der räumlichen Planung und<br />

Kontinuitäten nach 1945<br />

5. Aus der Vergangenheit Folgerungen für die<br />

Zukunft ziehen<br />

6. Dank an die Veranstalter und Referenten


- 2 -<br />

1. Einleitung<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

„Lange Schatten? Akteure, Netzwerke und Konzepte bei<br />

der Begründung des Naturschutzes in der frühen<br />

Bundesrepublik“ ist der Titel der heutigen Tagung. Das<br />

Bild auf dem Flyer verdeutlicht, um welches Thema es<br />

geht: Inwieweit prägen Einflüsse aus der Zeit des<br />

Nationalsozialismus auch den Naturschutz der frühen<br />

Bundesrepublik Deutschland? Solche Einflüsse können<br />

unterschiedlicher Art sein:<br />

• Man kann nach Personen fragen, die zwischen<br />

1933 und 1945 Funktionäre des Naturschutzes<br />

waren.<br />

• Man kann nach Netzwerken fragen, in denen diese<br />

Funktionäre gearbeitet haben und in denen sie<br />

informelle Absprachen trafen.<br />

• Man kann nach Gesetzen fragen und danach,<br />

welche Grundlinien nach 1945 fortgeführt wurden.<br />

• Und man kann nach Gedanken, Ideen, Konzepten<br />

fragen, die aus der Zeit des Nationalsozialismus in<br />

die Bundesrepublik Deutschland „hinüber gebracht<br />

wurden“.<br />

2. „Braune Vergangenheit“? – Bitte nicht im<br />

Naturschutz!


- 3 -<br />

Manche Naturschutzakteure sagen: „Wir im Naturschutz<br />

stehen so unter <strong>Dr</strong>uck, dass jede Diskussion um eine<br />

„braune“ Vergangenheit den Naturschutz nur schwächen<br />

würde.“<br />

Meine Damen und Herren,<br />

diese Einstellung halte ich für verfehlt.<br />

Wer meint, das mit den Kontinuitäten vor und nach 1945<br />

habe sich mit der Verurteilung der führenden Partei- und<br />

Verwaltungskader erschöpft, irrt. Täter waren beileibe<br />

nicht nur Minister, <strong>Staatssekretär</strong>e oder<br />

Vorstandsvorsitzende, sondern auch der „normale“<br />

Mittel- und Unterbau der Organisationen. Die Historiker<br />

haben uns gezeigt, dass das <strong>Dr</strong>itte Reich in der längsten<br />

Zeit seines Bestehens nicht auf Gewalt und Terror fußte,<br />

sondern eine hohe Integrationskraft bewies und breite<br />

Akzeptanz genoss, und das quer durch alle<br />

gesellschaftlichen Schichten. 1 Es macht daher wenig<br />

Sinn, das Problem der Kontinuitäten nur in Bezug auf die<br />

Funktionseliten der NSDAP oder der SS zu beleuchten.<br />

Wir müssen uns auch die „ganz normalen“<br />

Funktionsträger anschauen.<br />

1 Frei, N. 2001: Hitlers Eliten nach 1945 – eine Bilanz. in: N. Frei (Hrsg.): Karrieren im<br />

Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Campus-Verlag. Frankfurt/New York. 303/304<br />

Vgl. auch ders. 1999: Vergangenheitspolitik. dtv. München


- 4 -<br />

Und das auf allen Ebenen der Hierarchie und in allen<br />

Fachbereichen. Zu den Fachbereichen im<br />

Umweltministerium, die mit Planungen im Raum zu tun<br />

haben, möchte ich neben dem Naturschutz z.B. die<br />

Wasserwirtschaft, die Forstwirtschaft und die<br />

Landwirtschaft zählen. Auch sie können sich<br />

entsprechende Fragen stellen.<br />

3. Verschweigen als Stärke?<br />

Und: Wer meint, dass er mit dem Verschweigen einer<br />

belastenden Vergangenheit Stärke zeigt oder Stärke<br />

gewinnt, täuscht sich. Gerade die Geschichte meines<br />

Berufsstandes, der Juristenschaft, zeigt dies hinlänglich.<br />

In den ersten 25 Jahren der Bundesrepublik Deutschland<br />

war einem großen Teil meines Berufsstandes<br />

bedingungslose Solidarität zu den eigenen<br />

Berufsmitgliedern wichtiger als die Aufarbeitung ihrer<br />

Rolle im NS-Staat. Kaum jemand distanzierte sich <strong>von</strong><br />

Kollegen, die sich am Unrechtsregime des<br />

Nationalsozialismus beteiligt hatten, <strong>von</strong> ihrer<br />

Verurteilung ganz zu schweigen.<br />

Zwischen 1945 und 1946 wurde in der amerikanischen<br />

und britischen Zone das sogenannte<br />

„Reißverschlussverfahren“ eingeführt, wonach für jeden


- 5 -<br />

nicht belasteten Richter ein belasteter eingestellt werden<br />

durfte. Ab 1946 durften in beiden Zonen alle ehemaligen<br />

Richter, die das Entnazifizierungsverfahren durchlaufen<br />

hatten, in den Dienst zurückkehren. Es ist die Rede <strong>von</strong><br />

80 % des ehemaligen Justizpersonals, das hier „den<br />

Weg zurück“ in die Gerichte fand. 2 Die Freisprüche für<br />

NS-Juristen werden heute zu den größten Defiziten bei<br />

der Ahndung <strong>von</strong> NS-Verbrechen gezählt. 3 Eugen<br />

Gerstenmaier, damals Bundestagspräsident, sprach<br />

bzgl. des Umgangs mit den Versorgungsansprüchen<br />

belasteter Richter und Beamter <strong>von</strong> „frevelhafte(m)<br />

Zynismus“. 4<br />

Es war u.a. der Spielfilm „Rosen für den Staatsanwalt“,<br />

der im Herbst 1959 die Öffentlichkeit für das Thema der<br />

ungesühnten NS-Justiz sensibilisierte. 5<br />

Für meinen Berufsstand hat sich das in der Folge als<br />

Legitimations- und Ansehensverlust niedergeschlagen. 6<br />

2 Miquel, M. <strong>von</strong> 2001: Juristen: Richter in eigener Sache. In: Frei, N. (Hrsg.):<br />

Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Campus. Frankfurt/New York. 181-<br />

240, (188)<br />

3 Ebenda, 197<br />

4 Frei, N. 1999:Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-<br />

Vergangenheit. Dtv. München. 92<br />

5 Miquel, M. <strong>von</strong> 2001: Juristen: Richter in eigener Sache. In: Frei, N. (Hrsg.):<br />

Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Campus. Frankfurt/New York. 181-<br />

240, (207-209)<br />

6 Frei, N. 2001: Hitlers Eliten nach 1945 – eine Bilanz. In: Norbert Frei (Hrsg.):<br />

Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Campus. Frankfurt/New York. 303-<br />

335/Ders. 1999: Vergangenheitspolitik. dtv. München


- 6 -<br />

4. Grundlinien der Gesetzgebung in einigen<br />

Bereichen der räumlichen Planung und<br />

Kontinuitäten nach 1945<br />

Meine Damen und Herren,<br />

mir als Jurist liegt es nahe, nach Grundlinien zu fragen,<br />

die aus Gesetzen der nationalsozialistischen Ära in die<br />

Gesetze nach 1949 hinüber gezogen wurden.<br />

Ich möchte mich dabei auf Gesetze beschränken, die die<br />

räumliche Planung betreffen. Als Beispiele greife ich<br />

• das Reichsautobahngesetz,<br />

• die Reichsumlegungsordnung und<br />

• das Reichsnaturschutzgesetz<br />

heraus, weil sie anschaulich machen, worum es mir<br />

geht. Ich werde hier keine detaillierte Würdigung dieser<br />

Rechtsbereiche vornehmen – dazu reicht die Zeit nicht, –<br />

sondern mich auf Grundlinien und Tendenzen<br />

beschränken. Ich habe die Partizipationsmöglichkeiten<br />

der Betroffenen herausgegriffen.<br />

Das Reichsautobahngesetz<br />

Das „Gesetz über die Errichtung eines Unternehmens<br />

„Reichsautobahnen““ stammt aus 1933 und wurde<br />

zwischen 1933 und 1941 fünfmal novelliert. 1941 wurde


- 7 -<br />

es schließlich in „Reichsautobahngesetz“ umbenannt.<br />

Der Einfachheit halber wähle ich im Weiteren diesen<br />

Titel.<br />

Die Linienbestimmung, also die Festlegung des<br />

Korridors der neuen Autobahn, bestand gemäß<br />

Reichsautobahngesetz lediglich in einer Entscheidung<br />

des vom Reichskanzler bestellten Generalinspektors für<br />

das deutsche Straßenwesen. Er war unmittelbar dem<br />

Reichskanzler unterstellt.<br />

Die Planfeststellung als Zulassung für einen Straßenbau<br />

war in § 8 des Reichsautobahngesetzes geregelt. Sie<br />

hatte eine ähnliche Rechtswirkung wie heute. Allerdings<br />

war die Beteiligung der Betroffenen nicht vorgesehen.<br />

Einen Rechtsweg gegen die Entscheidung gab es nicht.<br />

Das Recht der Enteignung lag beim Generalinspektor,<br />

ab 1941 beim (Zitat) „Führer und Reichskanzler“. 7<br />

Sie sehen, mit welcher Macht hier der<br />

nationalsozialistische Staat durchgriff, um seine<br />

Vorstellungen zu realisieren: Er kodifizierte eine extrem<br />

7 Gesetz über die Errichtung eines Unternehmens „Reichsautobahnen“ vom 27. Juni<br />

1933, geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 1933 (RGBL. I S. 1081), Gesetz vom<br />

14. Mai 1936 (RGBL. I. S. 440), Gesetz vom 1. Juni 1938 (RGBL. II. S. 207), Gesetz<br />

vom 25. Juli 1938 (RGBL: I: S. 951), Gesetz vom 29. Mai 1941 (RGBL. I. S. 309), neu<br />

bekannt gemacht am 29. Mai 1941 (RGBL. I. S. 312) unter dem Titel<br />

„Reichsautobahngesetz“. §§ 8, 9 b


- 8 -<br />

„schlanke“ Planung, die schnelle Planungs- und<br />

Realisierungsmöglichkeiten garantieren sollte.<br />

Bei der Linienbestimmung ist auch heute keine<br />

Bürgerbeteiligung vorgesehen, da sie dem Einzelnen<br />

gegenüber nicht verbindlich ist. Bürgerbeteiligung ist<br />

aber zentraler Bestandteil der Planfeststellung. 8<br />

Klagemöglichkeiten für den einzelnen Betroffenen gibt es<br />

ebenso wie Klagemöglichkeiten für anerkannte<br />

Vereinigungen, auch wenn sie seit den 1990er Jahren<br />

immer wieder limitiert wurden. 9<br />

Die Reichsumlegungsordnung<br />

Das Umlegungsgesetz <strong>von</strong> 1936 und die<br />

Reichsumlegungsordnung <strong>von</strong> 1937 regelten das<br />

Recht der Flurbereinigung und knüpften dabei an das<br />

Recht der Weimarer Republik an. 10<br />

8 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar<br />

2003 (BGBl. I S. 102), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 14.<br />

August 2009 (BGBl. I S. 2827), §§ 72 - 78<br />

9 Vgl. §§ 17 a und e Bundesfernstraßengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom<br />

28. Juni 2007 (BGBl. I S. 1206), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 31.<br />

Juli 2009 (BGBl. I S. 2585)<br />

10 Umlegungsgesetz vom 26. Juni 1936 (RGBL I S. 518); Reichsumlegungsordnung<br />

vom 16. Juni 1937 (RGBL. I S: 629); vgl. Hillebrandt, R., Engels, C. und Geith, R.<br />

1938: Reichsumlegungsordnung. Erläutert <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. R. Hillebrandt, <strong>Dr</strong>. C. Engels und<br />

<strong>Dr</strong>. E. Geith mit einem Geleitwort <strong>von</strong> R. Walther Darré. C. H. Beck`sche<br />

Verlagsbuchhandlung. München und Berlin. 52: „Im nationalsozialistischen Staate, für<br />

den die Mehrung und Stärkung des Bauerntums eine der vordringlichsten Aufgaben zur<br />

Erhaltung der Volkskräfte und zur Sicherung der Volksernährung aus eigener Scholle


- 9 -<br />

Die Umlegung wurde (Zitat) „<strong>von</strong> Amts wegen betrieben“<br />

(Zitat Ende), wie es in § 4 Reichsumlegungsordnung<br />

hieß. Vor dem Umlegungsbeschluss waren die<br />

Ortsgemeinde, die NSDAP und der Ortsbauernführer zu<br />

hören. Die Betroffenen wurden durch Auslegung des<br />

Umlegungsbeschlusses informiert.<br />

Das Ziel der Umlegung wurde in § 42 Abs. 1<br />

Umlegungsordnung präzisiert. Dort hieß es (Zitat): „Das<br />

Umlegungsgebiet ist neu zu gestalten, wie es die<br />

Grundsätze des nationalsozialistischen Staates und das<br />

gemeine Wohl, insbesondere die nationalsozialistische<br />

Boden- und Raumordnung verlangen. Die Neugestaltung<br />

hat dem Ziel zu dienen, die Ernährungs- und<br />

Selbstversorgungsgrundlage des deutschen Volkes zu<br />

verbessern“. (Zitat Ende) Die sogenannte (Zitat)<br />

„Neubildung des deutschen Bauerntums“ (Zitat Ende)<br />

war dabei ein wesentliches Anliegen. 11<br />

Auch hier eine „schlanke“ Planung, die jeden<br />

vermeintlichen „Umweg“ durch Einbeziehung der<br />

Betroffenen vermied.<br />

ist, hat somit die Umlegung nicht nur wirtschaftliche, sondern darüber hinaus eine<br />

besondere staatspolitische Bedeutung“.<br />

11 Reichsumlegungsordnung vom 16. Juni 1937 (RGBL: I. S. 629). § 42 Abs. 2


- 10 -<br />

Im Vergleich dazu: Im Flurbereinigungsgesetz <strong>von</strong> 1976<br />

kann die obere Flurbereinigungsbehörde die<br />

Flurbereinigung anordnen, wenn sie sie für erforderlich<br />

und das Interesse der Beteiligten für gegeben hält. 12<br />

Der Kommentar Seehusen/Schwede 1991- ebenso wie<br />

seine Neufassung aus 2008 – führt aus, dass die<br />

„Anordnung … <strong>von</strong> Amts wegen nach pflichtgemäßem<br />

Ermessen“ erfolgt; „eines Antrags, einer Zustimmung<br />

oder Abstimmung der Beteiligten bedarf es nicht“. 13 (Zitat<br />

Ende).<br />

In RLP haben wir auf untergesetzlichem Wege<br />

sichergestellt, dass eine Flurbereinigung nicht gegen den<br />

Willen der Betroffenen, übrigens auch nicht gegen den<br />

Willen der Naturschutzvereine angeordnet wird.<br />

Seit 20 Jahren wird <strong>von</strong> der Flurbereinigungsverwaltung<br />

die Vorlage eines positiven Gemeinderatsbeschlusses<br />

vor Anordnung eines Flurbereinigungsverfahrens<br />

12 Flurbereinigungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1976<br />

(BGBl. I S. 546), zuletzt geändert durch Artikel 17 des Gesetzes vom 19. Dezember<br />

2008 (BGBl. I S. 2794). § 4<br />

13 Seehusen/Schwede 1997: Flurbereinigungsgesetz. Kommentar. Neubearbeitet <strong>von</strong><br />

Horst Hegele, Ewald Schoof und <strong>Dr</strong>. Friedrich Schwantag. 7. Neubearbeitete Auflage.<br />

Aschendorffs Juristische Handbücher. Münster § 4, Rdnr. 3/ Seehusen/Schwede 2008:<br />

Flurbereinigungsgesetz. Standardkommentar. 8. Auflage. Begründet <strong>von</strong><br />

Seehusen/Schwede. Fortgeführt <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. Friedrich Schwantag und Klaus Wingerter.<br />

Agricola-Verlag GmbH. Sammlung: Kommentare zu landwirtschaftlichen Gesetzen.<br />

Band 13. § 4, Rdnr. 3


- 11 -<br />

gefordert. Die Zustimmung der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe wird seitdem in vorgeschalteten<br />

Projektuntersuchungen nachgewiesen.<br />

Mit Rundschreiben <strong>von</strong> August 2011 habe ich zusätzlich<br />

(im Rahmen des <strong>von</strong> der Europäischen Union<br />

geforderten Auswahlverfahrens) die Zustimmung der<br />

voraussichtlichen Eigentümer nach Flächenmehrheit und<br />

Anzahl der Eigentümer sowie die Zustimmung der nach<br />

Naturschutzrecht anerkannten Vereine eingefordert.<br />

Die erreichte Zustimmungsqualität dient mit zur<br />

Priorisierung bei der Anordnung neuer Verfahren.<br />

Die bisherigen Erfahrungen mit dieser umfassenden<br />

Bürgerbeteiligung sind ausgezeichnet.<br />

Das Reichsnaturschutzgesetz (RNG)<br />

Zentrales Anliegen des RNG war die Ausweisung <strong>von</strong><br />

Naturdenkmalen und Naturschutzgebieten.<br />

Durch Eintragung des Naturschutzgebietes in das<br />

Reichsnaturschutzbuch, das die oberste<br />

Naturschutzbehörde führte, erhielten die Gebiete den<br />

Schutz des Reichsnaturschutzgesetzes.


- 12 -<br />

Vor der Neueintragung eines Gebietes waren die<br />

berührten Behörden zu hören. Die Betroffenen erhielten<br />

Gelegenheit zur Äußerung. 14<br />

Die Eintragung wurde durch Verordnung der höheren<br />

Naturschutzbehörde – mit Zustimmung der obersten<br />

Naturschutzbehörde - bekannt gegeben. In der<br />

Verordnung wurden Ge- und Verbote geregelt.<br />

Ein ähnliches Verfahren durchliefen die Naturdenkmale,<br />

nur dass hier die untere Naturschutzbehörde zuständig<br />

war. Der Kommentar Klose/Vollbach meinte hierzu<br />

(Zitat): „Die Bewohner eines solchen Raumes, das<br />

„Heimatvolk“ i.e.S., geht die Erhaltung und Pflege ihrer<br />

Naturdenkmale am allermeisten an“. 15 (Zitat Ende).<br />

Auch hier also ein „schlankes“ Verfahren. Stellt man in<br />

Rechnung, dass gem. § 24 Reichsnaturschutzgesetz<br />

rechtmäßige Maßnahmen aufgrund des<br />

Reichsnaturschutzgesetzes keinen Anspruch auf<br />

Entschädigung auslösten, wird der obrigkeitsstaatliche<br />

Durchgriff des Naturschutzes noch deutlicher.<br />

14 Weber, W. und Schoenichen, W. 1936: Das Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni<br />

1935 und die Durchführungsverordnung vom 31. Oktober 1935 nebst ergänzenden<br />

Bestimmungen mit ausführlichen Erläuterungen. Hugo Bermühler Verlag. Berlin-<br />

Lichterfelde. S. 65<br />

15 Klose, H. und Vollbach, A. 1936: Das Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1935<br />

mit Durchführungsverordnung usw. nebst Erläuterungen. Verlag <strong>von</strong> J. Neumann-


- 13 -<br />

Heute ist die Beteiligung der Betroffenen wie die der<br />

Vereinigungen und der Beiräte im Bundesnaturschutz-<br />

und im Landesnaturschutzgesetz fixiert. 16<br />

Bei der Suche nach einem Nationalpark in Rheinland-<br />

Pfalz sind uns die Meinungen und Vorstellungen der<br />

Regionen und der einzelnen Akteure vor Ort sehr<br />

wichtig. Ihre positive Einstellung zum neuen Nationalpark<br />

ist für uns schlichte Notwendigkeit.<br />

Fazit<br />

Obrigkeitsstaatliches Denken musste sicherlich nicht <strong>von</strong><br />

den Nationalsozialisten erfunden werden. Sie konnten an<br />

Traditionen anknüpfen. 17 Aber sie haben es ideologisch<br />

aufgeladen und funktionalisiert: Mit dem Rückbezug auf<br />

den Willen der Volksgemeinschaft wurde es in den<br />

Dienst verbrecherischer Ziele gestellt.<br />

Es gibt keine direkte Linie <strong>von</strong> den<br />

nationalsozialistischen Planungsgesetzen zu unserer<br />

heutigen Rechtslage. Das zu behaupten, wäre verfehlt.<br />

Neudamm. Die Naturschutzgesetzgebung des Reiches. Erster Teil. § 12 RNG, Rdnr. 2,<br />

§ 13 RNG, Rdnr. 1<br />

16 Bundesnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch<br />

Artikel 5 des Gesetzes vom 6.Februar 2012 (BGBl. I S. 148); § 63/Landesgesetz zur<br />

nachhaltigen Entwicklung <strong>von</strong> Natur und Landschaft (Landesnaturschutzgesetz -<br />

LNatSchG -) vom 28. September 2005, GVBL 2005, S. 387. §§ 36, 39


- 14 -<br />

Im Gegenteil: Die neue Werteordnung, die das<br />

Grundgesetz uns brachte, hat sich eindeutig<br />

durchgesetzt. Die damit verbundene Freiheit des<br />

Einzelnen reibt sich heute bisweilen an fortgeführten<br />

Institutionen wie der obrigkeitsstaatlichen Planung, die<br />

entsprechend sukzessive verändert wurden und werden.<br />

Das Wissen um die Vergangenheit schenkt uns die<br />

nötige Sensibilität, uns heute aktiv um Partizipation zu<br />

bemühen.<br />

Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturvorhaben<br />

und bei anderen großräumigen Planungen ist<br />

entsprechend ein Thema öffentlicher<br />

Auseinandersetzung geblieben, wie uns zuletzt Stuttgart<br />

21 vor Augen geführt hat. Eine konfliktvermeidende<br />

Bürgerbeteiligung konnte bisher nicht erfolgreich<br />

kodifiziert werden. Aber sie wird eingefordert.<br />

Das ist uns wichtig. Im Rahmen unserer Stellungnahmen<br />

haben wir daher z.B. das Gesetz zur Vereinheitlichung<br />

und Beschleunigung <strong>von</strong> Planfeststellungsverfahren<br />

kritisch begleitet.<br />

5. Aus der Vergangenheit Folgerungen für die<br />

Zukunft ziehen<br />

17 Vgl. zum Verwaltungsrecht Stolleis, M. 2012: Geschichte des öffentlichen Rechts in<br />

Deutschland. Vierter Band. 1945 – 1990- C. H. Beck. München. 171 ff.


- 15 -<br />

Die Diskussion um die „braune Vergangenheit“ des<br />

Naturschutzes wird heute nicht erstmals geführt. Es hat<br />

in den vergangenen Jahren einige Publikationen und<br />

Untersuchungen, Veranstaltungen und Wortmeldungen<br />

gegeben, die überwiegend auf einzelne Personen oder<br />

Institutionen bezogen waren.<br />

So wissen wir einiges über Hans Klose, Mitarbeiter im<br />

Reichsforstministerium und späterer Leiter der<br />

Vorläuferorganisation des heutigen Bundesamts für<br />

Naturschutz.<br />

Wir wissen einiges über Heinrich Friedrich Wiepking-<br />

Jürgensmann, Mitarbeiter im Planungsstab Heinrich<br />

Himmlers für den Generalplan Ost und später Professor<br />

für Landespflege an der TU Hannover, der eine ganze<br />

Generation Naturschützer ausbildete.<br />

Wir wissen einiges über die Institutionengeschichte des<br />

Bundesamtes für Naturschutz, über den heutigen NABU,<br />

vormals DBV oder über die Geschichte des<br />

Nationalparks Bayerischer Wald.<br />

Auf diesen Ergebnissen baut die Tagung auf.<br />

Ich freue mich sehr, wenn es heute gelingt, ein Stück<br />

mehr über die Kontinuitäten vor und nach 1945 im


- 16 -<br />

Naturschutz zu lernen. Das schenkt uns die nötige<br />

Distanz und gleichzeitig Sensibilität für die Frage, wer<br />

uns bei unserer täglichen Arbeit über die Schultern<br />

schaut. 18<br />

Die Verbrechen zwischen 1933 und 1945 wurden<br />

systematisch geplant und verwirklicht. Viele waren daran<br />

beteiligt. Wir müssen uns verantworten für das, was wir<br />

daraus für die Gestaltung unserer Gesellschaft heute als<br />

Schlussfolgerung ziehen. Wir sind verantwortlich für die<br />

Rahmenbedingungen, die wir für die Zukunft schaffen.<br />

Sie kennen den Grundsatz: Der Zweck heiligt die Mittel.<br />

Funktionäre wie Hans Klose haben nicht nach dem<br />

moralischen Wert bzw. Unwert der Mittel gefragt, die das<br />

verbrecherische Regime der Nationalsozialisten ihnen<br />

für die Verwirklichung <strong>von</strong> Naturschutz bot. Wenn es<br />

dem Naturschutz nutzte, wie Klose ihn verstand, war er<br />

bereit, sich und seine Kompetenzen diesem Regime zur<br />

Verfügung zu stellen.<br />

Ein Beispiel aus Kreisen der Juristen ist Carl Schmitt, der<br />

sich als Stichwortgeber des <strong>Dr</strong>itten Reichs gerierte und<br />

18 Bausinger, H. 1982: Zwischen Grün und Braun. Volkstumsideologie und<br />

Heimatpflege nach dem Ersten Weltkrieg. In: Cancik, H. (Hrsg.): Religions- und<br />

Geistesgeschichte der Weimarer Republik. Patmos Verlag. Düsseldorf. 215-229, 229.


- 17 -<br />

seinen Intellekt zur Legitimation des Unrechtsregimes<br />

nutzte. 19<br />

Die Bandbreite menschlicher Möglichkeiten zu handeln<br />

hat sich nicht <strong>von</strong> allein 1945 so verengt, wie es dem<br />

Kant`schen kategorischen Imperativ entspricht, und wird<br />

das nie tun. 20 Beileibe nicht alles, was Menschen tun,<br />

taugt zur Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung,<br />

wie Kant es forderte. Wie wir handeln, ist unsere<br />

Entscheidung als Individuum und als gesellschaftlicher<br />

Akteur. 21<br />

Es ist an uns, Rahmenbedingungen zu schaffen, die<br />

Grundrechte, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und<br />

Teilhabe stärken und ihre Gefährdung sanktionieren.<br />

Für den Naturschutz kann das z.B. bedeuten, sich<br />

intensiv mit dem Thema Partizipation auseinander zu<br />

setzen: Wie können wir uns ein Bild da<strong>von</strong> machen, was<br />

Menschen wollen, die <strong>von</strong> Naturschutzplanungen in<br />

ihrem Alltag berührt sind? Wie kann Partizipation bei der<br />

Landschaftsplanung aussehen? Wie bei der Ausweisung<br />

19 Vgl. Schmitt, C. 1933: Staat, Bewegung, Volk. Die <strong>Dr</strong>eigliederung der politischen<br />

Einheit. (Der deutsche Staat der Gegenwart). 2. Auflage. Hamburg. 7 ff. In: Hofer, W.<br />

1957: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933 – 1945. Fischer-Bücherei.<br />

Frankfurt/Main. 57/58<br />

20 Vgl. Reemtsma, J.P. 2008: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere<br />

Konstellation der Moderne. Hamburger Edition.


- 18 -<br />

<strong>von</strong> Schutzgebieten? Für die Ausweisung eines<br />

Nationalparks in Rheinland-Pfalz haben wir die Regionen<br />

zur Teilhabe eingeladen.<br />

Auch bzgl. der internationalen Dimension des<br />

Naturschutzes sollten wir uns Fragen stellen: Wie<br />

nehmen wir unsere Verantwortung wahr? Was erwarten<br />

wir <strong>von</strong> anderen? Was <strong>von</strong> uns selbst? Inwieweit<br />

exportieren wir unsere Probleme? Inwieweit stärken wir<br />

Teilhabe? Respektieren wir die Rechte der Indigenen?<br />

6. Dank an die Veranstalter und Referenten<br />

Diese Tagung bleibt nicht dabei stehen, in der<br />

Vergangenheit zu rühren und braunen Staub<br />

aufzuwirbeln. Ich freue mich, dass sie vielmehr danach<br />

fragt, wie unsere Zukunft aussehen soll.<br />

Der Universität Stuttgart danke ich für die Vorbereitung<br />

und Durchführung der heutigen Tagung.<br />

Den Referentinnen und Referenten des heutigen Tages<br />

wünsche ich, dass sie offene Ohren beim Publikum<br />

finden.<br />

21 Welzer, H./Giesecke, D. 2012: Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der<br />

deutschen Erinnerungskultur. Edition Körber-Stiftung. Hamburg


- 19 -<br />

Dem Publikum schließlich wünsche ich anregende<br />

Gespräche, Souveränität auch im Umgang mit<br />

schwierigen Themen und Gelassenheit, die Ihnen allen<br />

gut ansteht.<br />

Der Tagung wünsche ich einen guten Verlauf.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!