Goldmann-Gedächtnisvorlesung ± Historische und aktuelle Aspekte ...
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<strong>Goldmann</strong>-<strong>Gedächtnisvorlesung</strong> <strong>±</strong> <strong>Historische</strong> <strong>und</strong> <strong>aktuelle</strong> <strong>Aspekte</strong> der Stereopsis Klin Monatsbl Augenheilkd 2001; 218 281<br />
Der griechische Astronom <strong>und</strong> Mathematiker Claudius Ptolomaeus,<br />
(ca.100<strong>±</strong>160) in Alexandria war am Einfachsehen <strong>und</strong><br />
nicht am Entfernungssehen interessiert.Er kannte die physiologische<br />
Diplopie, aber er glaubte dass die Entfernung monokular<br />
geschätzt würde aufgr<strong>und</strong> der Länge des Sehstrahles<br />
von Auge zu Objekt [3].<br />
Der römische Arzt griechischer Herkunft Galenos von Pergamon<br />
(130<strong>±</strong>200) glaubte, die Bilder beider Augen würden sich<br />
im Chiasma vereinigen, <strong>und</strong> die Einschätzung der Entfernung<br />
beruhe auf der Gröûe der Objekte 3.<br />
Der arabische Gelehrte Alhazen (964 <strong>±</strong> 1038) widersprach als<br />
Erster der Projektionstheorie <strong>und</strong> verlegte die Abbildung in<br />
das Augeninnere.Als Kriterium für Distanz nannte er die Luftperspektive<br />
<strong>und</strong> die parallaktischen Bewegungen der Objekte<br />
oder des Kopfes [3].<br />
Einäugige Kriterien der Stereopsis<br />
Das gibt uns gleich die Gelegenheit, die einäugigen Kriterien<br />
zur Erkennung der Distanz zu besprechen.<br />
1.Bei bekannten Objekten ist das gröûere näher, das kleinere<br />
weiter weg.<br />
2.Auf einem Bild ist die unten befindliche Szenerie meist näher,<br />
die obere ist entfernter.<br />
3.Das verdeckende Objekt ist näher als das verdeckte (Kulissenphänomen).<br />
4.Licht <strong>und</strong> Schatten können in der Natur <strong>und</strong> in der Malerei<br />
einen räumlichen Eindruck schaffen.<br />
5.Die Luftperspektive, bez.die Klarheit der Luft lässt uns an<br />
Föhntagen oder nach einem Regen die Berge näher erscheinen.<br />
6.Die Parallaxe: Durch Bewegungen des Kopfes oder der Objekte<br />
wird die Distanz erkannt.<br />
7.Die italienischen Künstler der Renaissance schufen in der<br />
Malerei die perspektivische Darstellung.<br />
Dabei ist recht interessant, dass schon Leonardo da Vinci<br />
(1452 <strong>±</strong> 1519) darauf hingewiesen hat, dass die räumliche<br />
Empfindung eines Bildes sich wesentlich stärker auswirkt,<br />
wenn man es statt beidäugig nur mit einem Auge betrachtet<br />
[27].<br />
Illusionen<br />
Hier sollen kurz zwei so genannte Kippbilder besprochen werden,<br />
nämlich der Würfel des Genfer Mineralogen Louis Albert<br />
Necker (1786 <strong>±</strong> 1861) <strong>und</strong> die Förstersche Treppe (Abb.1).Beide<br />
Zeichnungen sind nicht perspektivisch (im Gegensatz etwa<br />
zu den Illusionen mit Eisenbahnschienen) <strong>und</strong> vermitteln<br />
trotzdem eine stereoptische Empfindung, die umschlagen<br />
kann.Helmholtz [11] schrieb zur Förster-Treppe, der Umschlag<br />
erfolge leicht <strong>und</strong> ohne bestimmten Gr<strong>und</strong>.Zum Necker-Würfel<br />
steht im Buch ¹Auge <strong>und</strong> Gehirnª von Gregory [9]: ¹Wir dürfen<br />
annehmen, dass es sich um Wahrnehmungshypothesen<br />
handelt.Das visuelle System entwirft alternative Hypothesen<br />
<strong>und</strong> kommt zu keiner Lösung.Dieser Prozess geht bei allen<br />
Wahrnehmungsvorgängen vor sich.ª Auch die zahlreichen psychologischen<br />
Erklärungen sind unbefriedigend.Ich möchte Ihnen<br />
eine neue Hypothese vorschlagen: die Fixations- <strong>und</strong> Lokaladaptationshypothese.Es<br />
kommt darauf an, wo man fixiert.<br />
Wenn man beim Necker-Würfel die untere Ecke des oberen<br />
Rechtecks fixiert, sieht man den Würfel von oben.Wenn man<br />
die obere Ecke des unteren Rhombus fixiert, so sieht man ihn<br />
von unten.Wenn man bei der Treppe den vorderen Absatz fixiert,<br />
so sieht man eine regelrechte Treppe, wenn man den<br />
hinteren Absatz fixiert so sieht man eine überhängende Treppe.Die<br />
Repräsentation der Foveola ist im Kortex stark vergröûert;<br />
die fixierte Stelle erscheint näher.Bei Fixationswechsel<br />
oder weil die Fixation wegen der Lokaladaptation nicht über<br />
längere Zeit eingehalten werden kann tritt der Umschlag auf.<br />
Alle einäugigen Kriterien für das räumliche Sehen waren<br />
längst bekannt, bevor Johannes Kepler (1571 <strong>±</strong> 1630) [17] die<br />
Dioptrik des Auges korrekt darstellte.Er <strong>und</strong> viele Nachfolger<br />
glaubten aber die Entfernung eines Objektes würde durch die<br />
Konvergenzbewegungen der Augen erkannt.<br />
Aguilonius<br />
Einen interessanten Hinweis auf das beidäugige Erkennen der<br />
Entfernung beschrieb der Jesuitenpater Franciscus Aguilonius<br />
(1567<strong>±</strong> 1617) im Werk ¹Opticorum libriª im Jahre 1613 [15].In<br />
seiner Jugend bestand ein Spiel mit anderen Knaben darin, unter<br />
Verschluss eines Auges mit dem Finger einen Stab zu treffen,<br />
was zum Ergötzen der Zuschauer nie gelang.In der w<strong>und</strong>erbaren<br />
Illustration dieser Szene von Peter Paul Rubens versucht<br />
der Gelehrte unter Verschluss seines linken Auges mit<br />
seinem Zeigefinger von der Seite her den von einem Cherub<br />
vorgehaltenen Stab zu treffen (Abb. 2).Für Aguilonius kam damit<br />
klar zum Ausdruck, dass für das Empfinden der Entfernung<br />
die Zusammenarbeit beider Augen nötig ist.Auf meinen Vorschlag<br />
hat unser Zeichner dem Gelehrten einen vertikalen<br />
Heruntergeladen von: Hauptbibliothek Universität Zürich. Urheberrechtlich geschützt.<br />
Abb.1<br />
Schröder-Treppe <strong>und</strong> Necker-Würfel.<br />
Abb. 2<br />
Aguilonius-Rubens original.