Goldmann-Gedächtnisvorlesung ± Historische und aktuelle Aspekte ...
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<strong>Goldmann</strong>-<strong>Gedächtnisvorlesung</strong> <strong>±</strong> <strong>Historische</strong> <strong>und</strong> <strong>aktuelle</strong> <strong>Aspekte</strong> der Stereopsis Klin Monatsbl Augenheilkd 2001; 218 283<br />
Mit haploskopischen Untersuchungen von zwei vertikalen Linienpaaren<br />
konnte er nachweisen, dass bei Identität der Linienpaare<br />
kein Stereoeffekt auftrat.Bei einer Disparität von<br />
15¢¢ trat eine deutliche Stereopsis, bei einer Disparität von 40¢¢<br />
trat Diplopie auf.Man spricht deshalb heute vom Panumschen<br />
Areal der Netzhaut oder von einem Panumschen Raumbereich.Dieser<br />
umgibt den Horopter (Bereich im Raum, dessen<br />
Punkte auf identische Stellen der Netzhäute beider Augen fallen).<br />
Ist die Stereopsis angeboren oder ist sie erworben? Der Empirist<br />
Hermann Helmholtz (1821 <strong>±</strong>1894) glaubte, sie sei erworben,<br />
<strong>und</strong> zwar aufgr<strong>und</strong> eines Kindheitserlebnisses [11].Auf<br />
der Galerie der Garnisonskirche von Potsdam sah er Menschen,<br />
die er für kleine Puppen hielt, <strong>und</strong> bat seine Mutter, im<br />
diese Puppen herunterzureichen.<br />
Im Gegensatz zu Helmholtz hat Ewald Hering (1834<strong>±</strong>1918),<br />
der Nativist [12], die Ansicht vertreten, dass die Gesichtsempfindung<br />
von Anfang an eine dreidimensionale oder raumhafte<br />
sei.Wir werden darauf zurückkommen.<br />
Ganz allgemein kann man sagen, dass die monokularen Anhaltspunkte<br />
für die Stereopsis vor allem für die Ferne wirken<br />
<strong>und</strong> zweifellos durch Erfahrung gebessert werden können,<br />
während die binokulare Stereopsis für die Nähe gilt <strong>und</strong> bereits<br />
beim Säugling vorhanden ist.<br />
Die Beurteilungen mancher Psychologen über den praktischen<br />
Wert der binokularen Stereopsis sind recht eigenartig.So<br />
schreibt James Gibson im Buch ¹Die Sinne <strong>und</strong> der Prozess<br />
der Wahrnehmungª über das Binokularsehen: ¹Die ganze Sache<br />
ist eher Luxuserscheinung der optischen Wahrnehmung.<br />
Das Fehlen der binokularen Stereopsis ist kein ins Gewicht fallender<br />
Nachteilª [7].<br />
Ebenso unverständlich ist die Beurteilung des Psychologen<br />
John P.Frisby, der den Frisby-Test entwickelt hat: ¹Wir können<br />
gut ohne beidäugiges Sehen auskommenª [6].<br />
Ein bekannter Strabologe führte in der Jackson Lecture 1986<br />
aus, die Stereopsis sei zwar für gewisse Beschäftigungen wichtig,<br />
aber wohl eher ein Epiphänomen, also eine Nebenerscheinung<br />
des Binokularsehens, als dessen höchste Form [34].Was<br />
die höchste Form des beidäugigen Sehens ist, wurde allerdings<br />
nicht gesagt.<br />
Im Gegensatz dazu schreibt <strong>Goldmann</strong>: ¹Das binokulare Stereosehen<br />
bedeutet die höchste Ausnützung der Information<br />
des beidäugigen Sehensª [8].<br />
Wenden wir uns nun den verschiedenen Untersuchungsmethoden<br />
der Stereopsis zu.Prinzipiell muss man unterscheiden<br />
zwischen natürlichen Methoden ohne artifizielle Bildtrennung<br />
<strong>und</strong> Methoden mit artifizieller Bildtrennung.<br />
Natürliche Methoden<br />
Natürliche oder direkte Methoden sind solche, die keine Trennung<br />
oder separaten Darstellung der Bilder benötigen.Es gibt<br />
deren recht wenige.<br />
1.Beim Nadelversuch nach Helmholtz [11] befinden sich im<br />
Beobachtungsabstand von 34 cm 3 Nadeln mit eine Dicke von<br />
0,5 mm, wobei die mittlere Nadel verschiebbar ist.Der Proband<br />
muss diese auf die Entfernung der beiden anderen bringen.Helmholtz<br />
konnte bereits die Verschiebung von 0,25 mm<br />
erkennen <strong>und</strong> berechnete daraus einen Stereowinkel von 60<br />
Winkelsek<strong>und</strong>en.<br />
2.Der Stäbchenversuch nach Hering, den Hering selbst allerdings<br />
nicht publiziert hat, den er aber in einem Brief an Pfalz<br />
[32] beschrieben hat.Durch eine Röhre werden drei senkrechte,<br />
verschieden dicke Drähte betrachtet.Der mittlere Draht ist<br />
fix, während die beiden seitlichen so verschoben werden müssen,<br />
dass sie in der gleichen Entfernung gesehen werden wie<br />
der mittlere.<br />
Seit Hering <strong>und</strong> Helmholtz sind eine ganze Reihe solcher Stäbchen-<br />
oder Nadeltests gebaut worden, die meist für die Nähe<br />
gelten.<br />
Wir haben vor Jahren an der Zürcher Augenklinik einen ähnlichen<br />
Test für die Distanz von 3,5 m konstruieren lassen, wobei<br />
der mittlere Stab mit einem Elektromotor verschoben werden<br />
konnte.<br />
3.Beim Fallversuch nach Hering [12] blickt der Proband durch<br />
eine Röhre auf ein Fixationsobjekt.Er muss beurteilen, ob eine<br />
Kugel vor oder hinter dem Fixationsobjekt herunterfällt.<br />
4.Beim Test nach Frisby [6] befinden sich auf der Vorderseite<br />
einer durchsichtigen Plastikplatte dreieckige Pixel von unterschiedlicher<br />
Gröûe.In einem r<strong>und</strong>en zentralen Bereich sind<br />
diese Flecken jedoch auf der Rückseite der Platte angebracht.<br />
Der Proband muss unter 4 Vorlagen auf jene zeigen, wo er das<br />
Zentrum nach hinten versetzt sieht.Es werden drei Platten unterschiedlicher<br />
Dicke in einer Distanz von 40 cm dargeboten.<br />
5.Der Treffversuch mit zwei Bleistiften.<br />
Den Treffversuch mit zwei Bleistiften habe ich natürlich nicht<br />
von Aguilonius, sondern von meinem Lehrer Florian Verrey gelernt<br />
<strong>und</strong> weiter ausgebaut.Der Untersucher hält einen Bleistift<br />
mit stumpfem Ende nach oben auf Augenhöhe des Probanden,<br />
den dieser mit seinem Bleistift von oben treffen<br />
muss.Der Abstand soll variiert werden, so dass ein dynamisches<br />
Element mitspielt.Der Versuch soll stets zuerst beidäugig,<br />
dann einäugig durchgeführt werden <strong>und</strong> das Ergebnis<br />
wird verglichen (Abb. 5).Die Untersuchung geht sehr rasch<br />
vor sich <strong>und</strong> die Resultate sind meist so evident, dass man häufig<br />
auf komplizierte zusätzliche Untersuchungen verzichten<br />
kann [18].<br />
Es gibt in der Ophthalmologie viele Situationen, wo der Treffversuch<br />
sehr nützlich ist.<br />
So zeigt er bereits am Tage nach der Kataraktoperation den<br />
Nutzen der Intraokularlinse.Beim anscheinend konstanten<br />
Strabismus divergens kann er eine Einstellung zu Orthotropie<br />
provozieren <strong>und</strong> dadurch Anamnese <strong>und</strong> Prognose klarstellen.<br />
Der Wert einer Prismenkorrektur, einer Bifokalbrille oder einer<br />
Operation beim Normosensoriker wird eindrücklich demonstriert.Er<br />
kann auch Versicherungsfälle klären, denn bei angeborener<br />
Einäugigkeit kann er ordentlich gut ausfallen, bei er-<br />
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