Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
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S.D.G.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dramatische Verdichtung<br />
(der Auferstehungsproblematik<br />
in der griechischen Antike)<br />
in fünf Aufzügen<br />
Zwischen Hoffen und Sehnen der Stadt<br />
Dresden<br />
- im Frühlingszauber ihrer Renaissance –<br />
zugesprochen<br />
November 1997<br />
Juni 1982
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Die Personen<br />
Helios<br />
Selene<br />
Eos<br />
Hemera<br />
Die Horen<br />
Jahrtausende<br />
Klymene<br />
Nereide<br />
Oreade<br />
Najade<br />
Dryade<br />
Echo<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos<br />
Philotinos<br />
Anphit<br />
Zelot<br />
Pleon<br />
Apolausis<br />
Glaukos<br />
Philemon<br />
Gaia<br />
Lachesis<br />
Klotho<br />
Atropos<br />
Erebos<br />
Nyx<br />
Hypnos<br />
Kirke<br />
Eridanos<br />
Gott der Sonne<br />
Göttin des Mondes<br />
Göttin der Morgenröte<br />
= Schwestern des Helios<br />
Gott des Tages<br />
Frühling, Sommer, Herbst, Winter<br />
Mutter des <strong>Phaethon</strong>, hier: auch der Nymphen<br />
Nymphe des Meeres<br />
Nymphe der Berge und Wiesen<br />
Nymphe der Quellen und Flüsse<br />
Nymphe der Bäume und übrigen Pflanzen<br />
Nymphe, von Narkissos nicht geliebt<br />
Sohn der Klymene und des Helios<br />
wahrer Freund des <strong>Phaethon</strong><br />
Die zweckbegleitenden Gefährten des <strong>Phaethon</strong>:<br />
der Ehr- und Ruhmsüchtige<br />
der Zweifler<br />
der Neidische, der Eifersüchtige<br />
der Habgierige<br />
der Genießer<br />
<strong>ein</strong> blinder Bettler<br />
s<strong>ein</strong> halbwüchsiger, <strong>ein</strong>fältiger Führer<br />
die Erdmutter<br />
Parze, den Faden abrollend<br />
Parze, den Faden abmessend<br />
Parze, den Faden abschneidend<br />
Gott der Dunkelheit (des Hades)<br />
Göttin der Nacht; Schwester des Erebos<br />
Gott des Schlafes; Sohn der Nyx<br />
Zauberin; Tochter des Helios<br />
Gott des Flusses Po<br />
Weitere Erwähnte und deren namentliche Bedeutung:<br />
Die Moiren<br />
Nemesis<br />
Eris<br />
Thrinakia<br />
Verzweiflung<br />
Die Schicksalsgöttinnen, hier: den Parzen zugesellt<br />
Tochter der Nyx; Bestraferin, Rächerin aller schlechten<br />
Taten<br />
Göttin der Zwietracht, Anarchie; Tochter der Nyx<br />
auf dieser Insel weiden die Rinder des Helios<br />
Ihr griech. Name wird, der direkten Symbolik wegen,<br />
nicht genannt
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Vorspiel<br />
(Der Garten der Klymene im Morgengrauen:<br />
Eos tritt vom Leichnam des <strong>Phaethon</strong> zurück.<br />
Der Autor betritt die Szene, als ob er etwas<br />
suche. Er findet <strong>ein</strong>en zusammengeknoteten<br />
Faden, betrachtet ihn rätselnd, geht zunächst<br />
wieder. Eos tritt erneut hervor und berührt die<br />
Schulter des Toten).<br />
Eos<br />
<strong>Phaethon</strong>!<br />
(Mehrstimmige Musik durch Posaunen, aus der<br />
Ferne hörbar)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(wie erwachend):<br />
Wer grüßt? – und von woher?<br />
Dort draußen, wo du mich rufst, ist es so<br />
entsetzlich kalt!<br />
(Er versucht, sich mit s<strong>ein</strong>em Gewande<br />
zuzudecken)<br />
Ach, komm doch wieder zurück zur Sonne!<br />
Sende mir doch ihre ersten Strahlen! Eos, die<br />
Morgenröte, berührte mir <strong>ein</strong>st die Stirn, das<br />
Haar – sie tröstete mich in der Kühle des<br />
anbrechenden Tages. Da befiel mich<br />
unauslöschliche Sehnsucht nach dem Licht. Aber<br />
wo bin ich jetzt?<br />
(Der Autor betritt wieder die Szene und nähert<br />
sich dem Daliegenden).<br />
Autor<br />
Verzeihen Sie, <strong>Phaethon</strong>, dass ich Sie in der<br />
Blüte Ihrer Jugend aufschrecke, aber ich komme<br />
aus <strong>ein</strong>em bestimmten Grunde zu Ihnen.<br />
Weswegen, bitte?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Autor<br />
Erinnern Sie sich nicht mehr?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja, doch! Es war so heiß – Helios – der<br />
Sonnenwagen – der Absturz -: Warum eigentlich<br />
noch?<br />
Autor<br />
Ihr Mythos nennt nur den <strong>ein</strong>en Grund: Sie<br />
wollten sich angeblich profilieren und zeigen,<br />
dass Sie Helios´ Sohn seien.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Deswegen riskiert man doch nicht gleich den<br />
Hals!<br />
Autor<br />
Erzählen Sie das mal den Leuten hinter mir!<br />
Oder war es vielleicht <strong>ein</strong>e Frauengeschichte? So<br />
etwas soll <strong>ein</strong>en ja auch um den Verstand<br />
bringen, hört man.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Da müsste ich nachdenken. – N<strong>ein</strong>, dazu fällt mir<br />
nichts Passendes <strong>ein</strong>. Denken Sie, m<strong>ein</strong> Vater<br />
hätte mich deswegen losfahren lassen?<br />
Autor<br />
Eifersucht war also nicht im Spiel?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich hatte nie Grund, eifersüchtig zu s<strong>ein</strong>.<br />
Autor<br />
Und doch waren Sie verzweifelt.<br />
War ich das?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(abweisend)<br />
Autor<br />
Man stürzt sich doch nicht ins Feuer, wenn man,<br />
als Sohn des Helios, beliebige Auswege<br />
geschenkt bekommen hätte! N<strong>ein</strong>, es muss für<br />
Sie <strong>ein</strong>e Sackgasse gewesen s<strong>ein</strong> – finden Sie<br />
nicht auch?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sind Sie Geschichtsschreiber – oder Journalist –<br />
oder Kritiker?<br />
Autor<br />
Bewahre! Ich vertrete nicht die Macht der<br />
öffentlichen M<strong>ein</strong>ung, sondern ich suche die<br />
verbindende Wahrheit<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie wagen es also zu denken? - - N<strong>ein</strong>, auch den<br />
Philosophen sollte man nicht trauen!<br />
Autor<br />
Fürchten Sie denn nicht, <strong>ein</strong> falsches Bild in der<br />
Öffentlichkeit zu hinterlassen? Jeder entschuldigt<br />
Sie mit dem bloßen Hinweis auf Ihre Jugend.<br />
Dafür ist mir aber Ihre Entscheidung –<br />
- zu groß?<br />
- zu endgültig!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Autor<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(ihn aufmerksam ansehend)<br />
Worin wollen Sie das Endgültige entdeckt<br />
haben?<br />
Autor<br />
Die Unausweichlichkeit Ihrer Lösung machte<br />
mich stutzig:
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Sehen Sie, <strong>ein</strong> Sohn des Helios handelt nicht wie<br />
<strong>ein</strong> gewöhnlicher Sterblicher, sondern er setzt<br />
Zeichen. Wollen Sie mir nicht doch sagen, was<br />
Sie tatsächlich mitzuteilen hatten und zu eben<br />
diesem Mittel der Aussage greifen mussten?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist zu lange her – ich mag mich nicht mehr<br />
erinnern.<br />
Aller Jammer quillt wieder auf. – Übrigens: Was<br />
ist aus m<strong>ein</strong>en Eltern, was aus dem Reich der<br />
Götter und Menschen geworden?<br />
Autor<br />
Nur die Sonne sch<strong>ein</strong>t – die Götter sind tot.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was sind denn die Götter ohne die Menschen?<br />
(ironisch):<br />
Warum legen Sie mich nicht <strong>ein</strong>fach zu den<br />
Akten?<br />
Autor<br />
Ich habe Sie nicht geweckt.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So? – Und wer war es dann?<br />
Autor<br />
Ich kam mit der Morgenröte zu Ihnen.<br />
Eos – ist sie hier?<br />
Sehen Sie selbst!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Autor<br />
(auffahrend)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Warum tritt sie nicht zu mir heran? Warum<br />
verbirgt sie sich?<br />
Autor<br />
(zur Seite tretend, die Morgenröte <strong>Phaethon</strong>s<br />
Gesicht erstrahlen lassen):<br />
So sehen Sie doch!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(in Tränen ausbrechend):<br />
Nun werde ich Sie nicht wieder gehen lassen!<br />
Eos – warum antwortest Du mir nicht?<br />
Autor<br />
Sie wird Ihnen antworten können, sobald Sie sie<br />
wieder suchen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Jeden Tag will ich ihre Hände herbeiflehen und<br />
ihre Blicke suchen, ihre Stimme erschauernd<br />
hören, sie liebkosen und notfalls den<br />
Sonnenwagen wieder besteigen, aber – wie kann<br />
dies möglich werden?<br />
Autor<br />
Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen m<strong>ein</strong>e Hilfe<br />
anbiete?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Können Sie mir <strong>ein</strong>e Sprache geben, aus der die<br />
Liebe allumfassend und überpersönlich spricht?<br />
Lassen Sie mich sagen, was das Menschliche<br />
zum Baust<strong>ein</strong> allen Schaffens macht? Lassen Sie<br />
mich m<strong>ein</strong>en Schwestern und Eos zurufen, was<br />
ich damals in m<strong>ein</strong>er Leidenschaft für das<br />
Lebenswerteste aussprechen konnte? Geben Sie<br />
m<strong>ein</strong>en Gedanken unzweifelbare, höchste<br />
Bedeutung, damit jeder weiß, wie unsträflich<br />
m<strong>ein</strong> Wollen je war?<br />
Autor<br />
Ob ich das mit m<strong>ein</strong>en bescheidenen Mitteln<br />
kann, weiß ich nicht. Aber ich werde mich von<br />
Tugenden leiten lassen, die ich in Ihnen<br />
wiedererweckt finde, und von dem Ausmaß Ihrer<br />
Verzweiflung, weil man Ihnen den Rückweg zur<br />
Menschheit abgeschnitten hat. Sie sollen Ihren<br />
Entschluss niemals bereuen müssen, dafür will<br />
ich alle Gründe zusammentragen, die ich von<br />
Ihnen erfahren darf. Wer so heiß liebt, muss ja in<br />
der Entsagung verbrennen. Das will ich von<br />
Ihnen lernen, und das lohnt sich weiterzusagen,<br />
so gut es eben geht.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(nach <strong>ein</strong>igem Sinnen)<br />
Werden Sie nicht Ärger mit dem Publikum und<br />
dem Regisseur bekommen? Wie ist es denn<br />
heute so- : Darf im Theater natürlich empfunden<br />
und gew<strong>ein</strong>t werden?<br />
Autor<br />
Leider ist es zur Mode geworden, Argumente für<br />
das wahrhaft Empfundene als kitschig,<br />
melodramatisch allenfalls, darzustellen und in<br />
Zerrbildern zynisch zu widerlegen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Welche Chance gibt man uns dann noch?<br />
Autor<br />
Die, die uns die Kunst noch übrig gelassen hat!<br />
Vielleicht sollte ich sie zu täuschen versuchen:<br />
Eine Prise Nihilismus, <strong>ein</strong> paarmal gehumpelten<br />
Fatalismus, <strong>ein</strong>en Schuss Arroganz ..., aber am<br />
Ende werde ich all den Unrat opfern müssen –<br />
Sie verstehen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wozu machen Sie sich überhaupt die Mühe?<br />
Autor<br />
Weil ich die leise Hoffnung hege, dass es<br />
Menschen gibt, die noch die Fähigkeit besitzen,<br />
mit uns zu trauern, und die begreifen können,
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dass das <strong>ein</strong>zig Sinnvolle die unbeirrbare Liebe<br />
ist als die unablässige Erneuerung zum Leben.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Das ist der Haken: Man findet sich eben doch<br />
nur mit mir ab. Wer begreift dagegen –<br />
Autor<br />
Die Hoffnungslosigkeit <strong>ein</strong>er trauernden Eos?<br />
Sie wissen - ?<br />
Dazu bin ich ja hier.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Autor<br />
(lächelnd)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nun sagen Sie das noch <strong>ein</strong>mal – aber ganz<br />
langsam!<br />
Autor<br />
In Ihrem Ende liegt zugleich der Anfang Ihrer<br />
Geschichte:<br />
Das ist Ihre Lösung; nur so leben Sie in der Nähe<br />
der Göttin weiter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie sind Geschwister, glauben Sie mir!<br />
Autor<br />
Auch ich habe diese Schwestern sehr lieb.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dann bitten Sie jetzt die Schauspieler, das Stück<br />
zu beginnen. – Ach, helfen Sie mir auf? Ich fühle<br />
mich noch etwas steif vom langen Herumliegen.<br />
Sie sind offenbar der erste, der fast über mich<br />
gestolpert wäre – ist´s nicht so? – Ja, und sagen<br />
Sie den Schauspielern, sie sollen der Wahrheit<br />
zuerst und hernach dem Applaus dienen.<br />
Autor<br />
Sie sind seit jeher, wenn Sie so wollen, die<br />
Treuhänder unseres Spiels.<br />
(Sie gehen langsam ab, <strong>Phaethon</strong> zunächst noch<br />
gestützt).<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wer hat dies veranlasst?<br />
Autor<br />
Es ist <strong>ein</strong> Auftrag, dem ich mich gern unterwerfe.<br />
Ich fand dies hier.<br />
(Er zeigt den zusammengeknoteten Faden)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Der Schicksalsfaden – ja! Jetzt verstehe ich Ihre<br />
Hingabe an m<strong>ein</strong> Ende. Aber werden Sie mich<br />
dann auch so zu Worte kommen lassen, wie ich<br />
wirklich bin?<br />
Autor<br />
Manchmal sehe ich in Sie hin<strong>ein</strong> wie in <strong>ein</strong>en<br />
Spiegel. Vielleicht klingt das anmaßend, aber ich<br />
kann mich Ihrem Mythos so gut anpassen, weil<br />
wir Menschen, die so denken und empfinden wie<br />
Sie, leiden müssen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wollen Sie damit andeuten, dass auch Sie die<br />
Menschheit lieben? M<strong>ein</strong> Bester, besteigen Sie<br />
nicht auch diesen verrückten Rennwagen in die<br />
Ewigkeit – die meisten haben es nicht verdient,<br />
dass man sich ihretwegen den Hals bricht. –<br />
Aber Sie haben natürlich recht: Die Glut in uns<br />
lässt sich nicht ersticken. Sie ist <strong>ein</strong> Leben wert.<br />
Autor<br />
Leben, Liebe und Leid – gehören sie nicht eng<br />
zusammen?
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Erster Aufzug<br />
Erster Auftritt<br />
(Wieder im Garten der Klymene; mit<br />
zunehmendem Licht der aufgehenden Sonne<br />
lösen sich aus den Schatten die Nymphen aus<br />
ihrer tödlichen Erstarrung und treten<br />
nach<strong>ein</strong>ander zum Lichte zusammen)<br />
Oreade<br />
Aus langem Schlafe lockte mich die <strong>ein</strong>st<br />
vertraute Stimme m<strong>ein</strong>es Bruders <strong>Phaethon</strong>.<br />
Herab von m<strong>ein</strong>en altvertrauten Höhen tret´ ich,<br />
durch die Gefilde zögernd streifend, endlich<br />
doch in diesen Garten wieder. Ob ich die Mutter<br />
finde? Sie wenigstens wird wissen, wer mich<br />
rief. Oh, Mutter – Mutter – hörst du mich?<br />
Echo<br />
Zwar ruft nicht uns´re Mutter, aber sieh nur:<br />
Echo ist es, die dir, Schwester, rät: Schlaf weiter,<br />
denn man hat uns längst vergessen.<br />
Oreade<br />
Nicht, Schwester! Komm, zeig dich mir und lass´<br />
uns warten!<br />
Echo<br />
(sich aus <strong>ein</strong>er Felswand lösend)<br />
Wer immer uns rief – er muss doch diese<br />
Umarmung dulden wollen?<br />
(Die Schwestern umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />
Oreade<br />
(Echos Haupt liebkosend)<br />
Du Tiefbekümmerte, ich hab´ dich lang entbehrt!<br />
Du weißt es noch, als wir, von heißer Liebe<br />
unversehrt, durch diesen Garten tanzten, und<br />
uns´re Haare flogen?<br />
Echo<br />
Ja, Schwester! Und Dryade neckte uns, als wir<br />
sie wieder mal nicht finden konnten. Und Najade<br />
zupfte uns heimlich, als wir dastanden und<br />
lauschten –<br />
Oreade<br />
- bis Nereide ihre Hand erhob und beide<br />
ernst zu Tisch gebot. Ja, du erinnerst dich, als<br />
sei´s erst gestern.<br />
Echo<br />
Wer konnte ahnen, dass es so furchtbar enden<br />
würde?<br />
Nereide<br />
Außer dir – wohl niemand, Schwester! Ja, ihr<br />
staunt? Von ebbenden Wogen entwand sich die<br />
Schwester, die dritte. Ich komme zu euch aus den<br />
Fluten des Meeres zurück.<br />
(Sie schreitet ruhig heran)<br />
Oreade<br />
Oh, kluge, erhabene Nereide, bist du´s wirklich?<br />
Nereide<br />
(beide an der Hand fassend)<br />
Ich bin´s – ich hörte die Stimme auch. Zuerst<br />
aber prüft´ ich die Kraft des geheiligten<br />
Elementes. Nun sehr ihr mich vollends lebendig!<br />
(Sie umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />
Najade<br />
(aus dem Gebüsch hervortretend)<br />
Oreade! Nereide! Echo! Ihr seid hier? Wie ist das<br />
möglich?<br />
(Auch sie begrüßen sich herzlich)<br />
Mir war, als hätte ich jemanden rufen hören, und<br />
etwas trieb mich zu neuem Leben. Da schlug ich<br />
die Augen auf und unterschied eure Stimmen. Ist<br />
es wahr? Ihr lebt?<br />
Nereide<br />
Es kam aus dunkler, dumpfer Abgeschiedenheit<br />
des Todes, wie aus Gewölben rief´s zu mir<br />
her<strong>ein</strong>, als ich mich schlafen legte. Nun ist es<br />
heller Tag, er eilt in Stunden rasch dahin, und ihr<br />
seid alle hier – bis auf Dryade.<br />
Dryade<br />
(den Ort mehrmals während des Sprechens<br />
heimlich wechseln)<br />
Ihr sucht mich? Schaut hierher – n<strong>ein</strong>! Hierher!<br />
Ach, wo hört ihr hin? Nach hier – so schaut doch<br />
her –genauer her!<br />
Najade<br />
(jubelnd)<br />
Sie lebt! Sie ist wohl unter uns!<br />
(schmeichelnd)<br />
Komm, zeig dich uns! Sei nicht gleich wieder<br />
neckisch! Komm doch – enthülle dich!<br />
Dryade<br />
Ihr sucht mich n i c h t ? So zeig´ ich mich auch<br />
nicht! Wird Echo euch nicht sagen können, wo<br />
ich bin?<br />
Oreade<br />
Najade hat schon recht: Komm jetzt heraus!<br />
Dryade<br />
(kichert von verschiedenen Seiten, stiftet<br />
Verwirrung)<br />
Najade<br />
Kannst du so grausam s<strong>ein</strong>? Oh, komm hervor,<br />
nimm die ersehnten Züge an, dass wir uns<br />
endlich jetzt ver<strong>ein</strong>t die Hände fassen können!<br />
Dryade<br />
Ich bin so glücklich in Gestalt der Pflanzen, dass<br />
ich - -
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Nereide<br />
Dryade – ich bin hier die Älteste: Genug des<br />
Schabernacks! Nimm Formen an, die wir<br />
umfassen können!<br />
Dryade<br />
(sich in <strong>ein</strong>e Nymphe verwandelnd)<br />
Oh – schade! Wo mir das Spiel so gut gefiel!<br />
(Sie tritt in den Kreis und wird von allen<br />
begrüßt)<br />
Oreade<br />
Jetzt fühle ich den Tag die Glieder schon<br />
durchwärmen.<br />
Najade<br />
(die Hand gegen die Sonne haltend)<br />
Ja, rosig schimmert mir die Haut, und jene nahe<br />
Quelle hier beim Hause hör´ ich wieder durch die<br />
Büsche.<br />
Oreade<br />
Wie Schnee, der taut, schmilzt mir das Leben <strong>ein</strong><br />
zu grünen Fluren, und Blumen fühl´ ich sprießen<br />
zwischen Felsgest<strong>ein</strong> und auf den weiten<br />
Wiesen.<br />
Nereide<br />
Und majestätisch rollt die Welle froh zu<br />
altgewohnten Ufern.<br />
Dryade<br />
Blätter rauschen mir neuen Traum: Verwandle<br />
dich, du heit´re Nymphe – belebe diesen Garten<br />
mit dem Wispern und dem Scherzen d<strong>ein</strong>er<br />
Stimme!<br />
Dryade - !<br />
Oh!<br />
Nereide<br />
Dryade<br />
(beschämt)<br />
Nereide<br />
(Echo um die Schulter fassend, sie anlächelnd)<br />
Was sagt nur dir die Stunde, Echo?<br />
Echo<br />
(seufzt)<br />
Wir möchten´s kaum glauben, aber ich höre die<br />
Bäche rauschen, den Wind säuseln, die Kreatur<br />
sich bekriegen, finde das Meer Ertrunkene<br />
wiegen – es hat sich zu nichts Bedeutungsvollem<br />
geändert. Ach, Nereide, warum fragst du mich?<br />
Ich komme und gehe, und der Tag hat mich nur<br />
begrüßt. Helios erwärmt und hütet m<strong>ein</strong>e<br />
Locken, bis sie Selene, die Köstliche, mit <strong>ein</strong>em<br />
kalten Hauch umgürtet. Und doch ist alles<br />
Leiden noch Leben, noch Hoffnung und mäßiger<br />
Gebrauch von der Liebe, die uns kitzelnd reizt<br />
und hernach mit ihrem grausigen Stachel tötet!<br />
Nereide<br />
Ich will Poseidon bitten, dass er den Schiffen<br />
günstig sei.<br />
Oreade<br />
Ich will Pan anflehen, dass er dir freundliche<br />
Töne spielt, wenn er in d<strong>ein</strong>e Nähe kommt. Und<br />
auch Aphrodite will ich ersuchen, dich zukünftig<br />
nicht zu übersehen.<br />
Echo<br />
Sag´ Eros, er soll mich nicht wieder aufsuchen.<br />
Ach, dann ist mir wohler!<br />
Oreade<br />
Denke doch: Dies soll der Tag nicht s<strong>ein</strong>, an dem<br />
du ins Unglück gestürzt worden bist!<br />
Echo<br />
Heute – n<strong>ein</strong>! Doch dämmert mir <strong>ein</strong> ähnliches<br />
Verhängnis, das ich zu verhindern suchte. –<br />
(sich erinnernd)<br />
Ja, jetzt weiß ich´s: War es nicht <strong>Phaethon</strong>, dem<br />
es noch übler ergangen ist als mir?<br />
Najade<br />
<strong>Phaethon</strong> – ja! Er war´s, dessen Stimme ich<br />
gehört habe. Hieß er uns nicht rufen?<br />
Echo<br />
So lebt er? M<strong>ein</strong> Bruder – lebt?<br />
(freudig erregt)<br />
Dryade<br />
Mir gar nicht fern, erweckte mich s<strong>ein</strong><br />
Zwiegespräch – es kann nicht anders s<strong>ein</strong>: Er ist<br />
zurückgekommen!<br />
Echo<br />
(zu Nereide und Oreade)<br />
Sagt, Schwestern, ihr auch: Lebt <strong>Phaethon</strong> doch?<br />
Nereide<br />
Aus der Erstarrung stieg ich aus den Fluten .Auf<br />
den Wellen lag <strong>ein</strong> metallischer Glanz, und die<br />
Fische ängstigten sich und flohen in kühlere<br />
Tiefen. Ich sage dir: Er ist´s!<br />
Dryade<br />
Sag´, Nereide, was hat dies zu bedeuten?<br />
Najade<br />
Fällt´s euch nicht <strong>ein</strong>? An <strong>ein</strong>em gleichen Tag<br />
wie jetzt, und fast zur gleichen Stunde,<br />
plauderten wir im Garten, hier, als <strong>Phaethon</strong> zu<br />
uns kam mit ebenso vielen Gefährten, wie wir<br />
Schwestern sind. Wir verbargen uns im Gebüsch,<br />
als sie herbeitraten.<br />
Oreade<br />
Oh ja, und herrlich fanden wir es, sie zunächst zu<br />
necken ....
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Najade<br />
(horchen)<br />
Still! Ja, sie kommen. Rasch, verbergt euch – bei<br />
Echo – hier – so – und nun still!<br />
(Die Nymphen halten sich wieder verborgen,<br />
diesmal, um die Ankömmlinge ungesehen zu<br />
erwarten).<br />
Zweiter Auftritt<br />
(<strong>Phaethon</strong> betritt, mit den Gefährten plaudernd,<br />
den Garten)<br />
Philotinos<br />
Dies ist das erstemal, dass du uns d<strong>ein</strong>er Familie<br />
vorstellst – in diesem Garten d<strong>ein</strong>er Mutter!<br />
Welchem Umstande verdanken wir solche Ehre?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Man kennt euch nur als Helden in den üblichen<br />
Wettkämpfen. Aber nach all den Gastmählern<br />
und <strong>ein</strong>em sonst bedeutungsarmen Leben möchte<br />
ich euch dem Urteil der Frauen ausliefern.<br />
Anphit<br />
Du scherzt! Bezweifelst du, dass wir d<strong>ein</strong>er<br />
Mutter nicht überall die gleiche Ehrfurcht<br />
entgegenbringen, und m<strong>ein</strong>st du, dass wir die<br />
Gastfreundschaft nicht stets gebührend zu<br />
würdigen wüssten als ausgerechnet hier?<br />
Zelot<br />
Zudem sollte man denken, du vertraust dem<br />
Urteil kluger Männer, die zugleich unsere Lehrer<br />
sind, weniger als dem Gespür der Weiber!<br />
(Gelächter)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es macht mich staunen, dass du der Weisheit<br />
<strong>ein</strong>es weiblichen Herzens <strong>ein</strong> treffendes Urteil<br />
verweigerst.<br />
Philotinos<br />
Man weiß hingegen, dass <strong>Phaethon</strong>s Mutter von<br />
außergewöhnlicher Anmut ist. Es wird uns leicht<br />
fallen, uns von unserer besten Seite zu zeigen.<br />
Pleon<br />
Kann nicht den Berichten die Probe folgen?<br />
Apolausis<br />
Nach denen, die uns bewirtet haben, muss jetzt<br />
<strong>ein</strong> Wunder folgen! Denn <strong>Phaethon</strong> ist von<br />
auserlesen schönen Dienerinnen umgeben, von<br />
den angenehmsten Wohltaten umschwärmt. Nur<br />
– ich vermisse Knaben in diesem Hause!<br />
Zelot<br />
Du suchst nicht mit <strong>Phaethon</strong>s Augen, sondern<br />
stolperst auf eigenen Pfaden. Du weißt doch: Er<br />
mag k<strong>ein</strong>e Jünglinge und Knaben!<br />
(Gelächter)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ihr solltet mich nicht darum schelten, dass ich<br />
den Gebräuchen m<strong>ein</strong>er Erzieher widerstrebe.<br />
Aber sagt ihr nicht selbst, dass ich von<br />
außergewöhnlichem Reiz umgeben sei? Und<br />
doch ...<br />
(ernst werdend, wie abwesend)<br />
... bin ich durch m<strong>ein</strong>e<br />
Mutter dazu erzogen, <strong>ein</strong>er edlen Jungfrau m<strong>ein</strong><br />
Herz vorzubereiten.<br />
(schnell den Gefährten sich wieder zuwendend):<br />
Ich kette k<strong>ein</strong>e Unmündigen an m<strong>ein</strong> Leben!<br />
Anphit<br />
Es ist ja nicht nur dies: Du scheust dich nicht<br />
<strong>ein</strong>mal, die Waffen ernstlich zu gebrauchen, mit<br />
denen du sonst so gut umzugehen weißt. M<strong>ein</strong>st<br />
du, die Welt sei durch die Zartheit der<br />
Frauenhände erbaut?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Da sie am Unvollkommenen kränkelt, glaube ich<br />
es ebensowenig wie du.<br />
(Gelächter)<br />
Zelot<br />
Mich erstaunt darüber hinaus, dass du so<br />
gelassen den Gewohnheiten des Alltages<br />
fernbleibst. Du nimmst alle Kampfübungen mit<br />
Heiterkeit, du achtest nicht den Ernst der Proben,<br />
aber den Lehrern gibst du ausweichende, sehr<br />
philosophische Antworten auf ihren Unwillen.<br />
Pleon<br />
Eben diese Gewissheit macht uns stutzig: Woher<br />
nimmst du sie, wenn du sie doch nicht begründen<br />
kannst?<br />
Apolausis<br />
Unsere Vergnügungen haben dich nur<br />
nebensächlich erfreut. Glaubst du nicht an den<br />
Sinn menschlicher Genüsse?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong>e Mutter lehrte mich, was dem Griechen <strong>ein</strong><br />
höheres Empfinden abnötigt. So beklage ich<br />
nicht, was ihr Verlust nennt, aber ich leide tiefer<br />
als ihr um gleiche Mißstände und weiß oft nicht,<br />
woher mich diese Regung trifft. Neidet mir also<br />
nicht m<strong>ein</strong>en sch<strong>ein</strong>baren Gleichmut – er dienst<br />
ja nur als Vorwand, um zu überstehen, um mit<br />
euch leben zu können.<br />
Dryade<br />
Dagegen heitert die Natur ihn gern auf!<br />
(Sichtbares Erstaunen der Gefährten)<br />
Anphit<br />
Sprach dort nicht <strong>ein</strong> Mädchen? – Ist d<strong>ein</strong>er<br />
Mutter Gesinde stets so nahe, wenn sich Männer<br />
unterhalten?
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Najade<br />
(wie die anderen Nymphen versteckt):<br />
Ist es nur das Gesinde, was dich so erschreckt?<br />
Anphit<br />
Wahrhaftig – Ort und Stimme wechseln!<br />
<strong>Phaethon</strong>, was hat dies zu bedeuten?<br />
Echo<br />
Was fragst du ihn? Frag´ uns!<br />
Apolausis<br />
Beim Zeus! Diese Stimmen sind für m<strong>ein</strong> Ohr<br />
ungewohnt. Ich glaube, das Gesinde ist es nicht.<br />
Oreade<br />
Sooft ihr die Gefilde durchstreift oder die Wellen<br />
durchkreuzt: Ihr seht uns, doch nie hört ihr uns.<br />
Ihr betet, aber ihr zweifelt zugleich. Warum<br />
wollt ihr uns jetzt sehen, da ihr uns doch hören<br />
könnt?<br />
Najade<br />
Richtig, Schwester! Gib ihnen nur <strong>ein</strong> Rätsel auf!<br />
Oreade<br />
Gebt euch also mit dem <strong>ein</strong>en Sinn zufrieden,<br />
dankt uns für unsere Stimmen – nicht wahr,<br />
Schwestern?<br />
(unterdrücktes Lachen)<br />
Pleon<br />
Du irrst, Schöne! Wir hätten euch gern so, wie<br />
ihr geschaffen seid. Tretet also hervor!<br />
Najade<br />
Wenn wir unsere Gewänder ablegen, wird<br />
Mutter uns schelten, denn es ziemt sich nicht.<br />
Oreade<br />
Wir sind doch k<strong>ein</strong>e Schenkelzeigerinnen, um<br />
Spartas Jugend zur Fruchtbarkeit aufzufordern!<br />
Najade<br />
Es ist doch <strong>ein</strong> gar zu merkwürdiges Ding: Man<br />
muss bei euch die Natur erst locken, damit sie<br />
sich zeige!<br />
(Kichern, Lachen)<br />
Apolausis<br />
Ihr Lieblichen, scheltet uns nicht, straft uns nicht<br />
länger: Kommt heraus – oder sollen wir das<br />
Gebüsch durchstreifen?<br />
Nereide<br />
Du scheust dich also nicht, selbst mit den<br />
Fischen zu spielen, m<strong>ein</strong> Sohn?<br />
(Lachen der Mädchen)<br />
Anphit<br />
Ich bitt´ dich, <strong>Phaethon</strong>, löse dieses Rätsel. Du<br />
lächelst? Kennst du sie etwa?<br />
Ja doch, und ihr ...<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dryade<br />
- Pssst! Wirst du schweigen, Bruder?<br />
Was sagte sie?<br />
Anphit<br />
Dryade<br />
(den Ort wechselnd)<br />
Ich riet ihm nur, m<strong>ein</strong>en Standort nicht genauer<br />
zu bezeichnen.<br />
Anphit<br />
Eben sprachst du noch hier – - und jetzt so rasch<br />
...?<br />
Najade<br />
Menschenart, dass sie nur dem sichtbaren<br />
Augenblick völlig vertrauen, nicht wahr?<br />
Apolausis<br />
Oh n<strong>ein</strong>, du freundliches Kind! Sie weiß zum<br />
Beispiel den Augenblick der Nacht gut zu<br />
planen. Was sträubst du dich also noch?<br />
Du drohtest mir!<br />
Wann?<br />
Soeben!<br />
Najade<br />
Apolausis<br />
Najade<br />
Zelot<br />
Wenn ich nachdenke, möchte ich m<strong>ein</strong>en,<br />
<strong>Phaethon</strong> will uns etwas vorenthalten.<br />
Pleon<br />
Recht hast du! Geizt man so den Freunden<br />
gegenüber?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was trachtet ihr – Beute zu machen?<br />
Zelot<br />
Wir teilte ja nicht nur die Freuden mit<strong>ein</strong>ander,<br />
sondern auch den Kummer laden wir auf <strong>ein</strong>es<br />
jeden Schulter zu gleichen Teilen<br />
Nereide<br />
Bis sich der Augenblick gefügt hat, dem man<br />
all<strong>ein</strong> und abgeschieden die Treue halten kann,<br />
ohne sich das Herz dabei zu zerreißen.<br />
Zelot<br />
Die tiefe Stimme dieser Frau schießt giftige<br />
Pfeile ab!
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Philotinos<br />
Ein solches Wort muss jeden Freund kränken!<br />
So werft!<br />
Nereide<br />
Anphit<br />
Sie geben sich wie weise Gottheiten, aber ihr<br />
Neid ist nach Weiber Art.<br />
Pleon<br />
Lasst uns doch das Geheimnis lüften. Kommt,<br />
wir ergründen ihre Verstecke!<br />
(Man verteilt sich, ohne <strong>Phaethon</strong>, rasch im<br />
Garten, sucht, kehrt zurück):<br />
Pleon<br />
Nichts! Wie ist das möglich?<br />
Dryade<br />
Ihr habt eure Ehre zu retten gesucht, und jetzt<br />
wundert ihr euch, dass ihr mit leeren Armen<br />
zurückkehrt?<br />
Philotinos<br />
Dieses rätselhafte weibische Geschwätz sollte<br />
uns empören, aber es kann uns nicht <strong>ein</strong>mal<br />
ritzen!<br />
Oreade<br />
Die Wunden, die sich Menschen gegenseitig<br />
beibringen, versucht ihr bei uns zu lindern.<br />
Warum öffnet ihr nicht lieber euer Herz?<br />
Echo<br />
Jedoch nicht wieder mit der Waffe!<br />
Nereide<br />
Spotte nicht, Schwester!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Zürne ihr nicht, denn es ist doch wahr: Wer den<br />
Frieden sucht, kann ihn nicht mit der Waffe<br />
erzwingen.<br />
Philotinos<br />
Und doch liegt oft der Sieg in der Herrlichkeit<br />
<strong>ein</strong>es trotzig aufbrausenden männlichen Zornes<br />
begründet.<br />
Zelot<br />
Nur fehlt die Hand, wenn das Auge zuckte.<br />
Anphit<br />
Glaubt ihr, dass <strong>ein</strong> mannhaftes Gemüt bei der<br />
Geschwätzigkeit des Weibes Frieden fände?<br />
Oreade<br />
So zänkisch sind sie nicht. Sie werden erst dazu<br />
gemacht.<br />
Pleon<br />
Da muss ich dir recht geben: Was sie nicht<br />
nachgeworfen bekommen, ersticheln sie mit ihrer<br />
Zunge.<br />
Pleon<br />
Wir haben nichts. Was uns gefällt, bemühen wir<br />
lieber in unsere eigene Tasche.<br />
Nereide<br />
So schmeichelt es eurer Eitelkeit, wenn wir euch<br />
bäten, etwas Kostbares zu verschenken?<br />
Apolausis<br />
Alles hat s<strong>ein</strong>en Preis!<br />
Dryade<br />
Da bin ich neugierig!<br />
Philotinos<br />
Sollten wir uns die Kosten nicht teilen?<br />
Zelot<br />
Glaubst du, du kämest zu kurz?<br />
Anphit<br />
Halt, Freunde! Lasst ihr euch schon von bloßen<br />
Gerüchen die Nasen betören, ohne den Braten<br />
erst kosten zu können?<br />
Pleon<br />
In der Tat: Wir lassen uns von den reizenden<br />
Stimmen bestricken, ohne die Gewähr ihrer<br />
Gestalt erhalten zu haben, die dazu wird passen<br />
müssen!<br />
Najade<br />
Wir spielen doch nur mit eurem Preis wie mit<br />
<strong>ein</strong>em Ball! Er ist euch doch so nahe! Holt ihn<br />
euch, schenkt uns dafür eure Gelassenheit,<br />
Hoheit, Klugheit, Weisheit, Ehrsamkeit – kurz,<br />
alle Tugenden <strong>ein</strong>es wahrhaften Jünglings – legt<br />
sie vor uns nieder, und wir treten sofort zu euch<br />
heraus!<br />
(Ratlosigkeit der Gefährten)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist genug, Schwestern! Habt Dank für euer<br />
Ersch<strong>ein</strong>en!<br />
(Die Nymphen treten hervor. Die Gefährten<br />
weichen <strong>ein</strong> wenig zurück)<br />
Zelot<br />
Ihr seid nicht <strong>Phaethon</strong> Schwestern – wir<br />
kennten euch von früher! N<strong>ein</strong>, ihr seid nicht<br />
Menschen, ihr seid Nymphen.<br />
Oreade<br />
Was suchst du zu erhöhen? Sprachst du doch mit<br />
uns als Menschen, und seid ihr uns nicht Antwort<br />
und Beweis schuldig geblieben? Wozu sollten<br />
wir uns zu Gottheiten gemacht fühlen, wenn ihr
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schon vor den Sterblichen euer wahres Wesen<br />
beschämt <strong>ein</strong>gestehen müsst?<br />
Echo<br />
Die Weisheit der Frau ist nicht in der<br />
Göttlichkeit zu suchen, sondern die Schöpfung<br />
offenbart sich in der weisen Erschaffung der<br />
Frau!<br />
Zelot<br />
(höhnisch lachend)<br />
Philotinos<br />
Aus <strong>ein</strong>es Mannes Mund kam dieses bescheidene<br />
Wort wohl nicht?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich zweifle nicht, dass manches Unglück hätte<br />
verhindert werden können, wenn man ihm von<br />
berufeneren Lippen Schranken gewiesen hätte,<br />
als aus dem Ehrgeiz Leichtsinn zu entfachen.<br />
Sucht man nicht auch hier, um das Große<br />
entkräften zu können, in der Häufung des<br />
Niedrigen den Gegenbeweis, und bemerkt man<br />
darum nicht, wie sehr man sich dadurch mit ihm<br />
selbst verkuppelt?<br />
Nereide<br />
Ein kühnes Wort, m<strong>ein</strong> Bruder!<br />
Zelot<br />
Darum soll es überhört s<strong>ein</strong>.<br />
Apolausis<br />
Der Anblick dieser reizenden Mädchen sollte uns<br />
versöhnlich stimmen, Freunde. Was kann denn<br />
<strong>Phaethon</strong> für die <strong>ein</strong>samen Gedanken s<strong>ein</strong>er<br />
Schwestern?<br />
Pleon<br />
Wie recht du hast, Apolausis! Einem jeden Gaste<br />
<strong>ein</strong> freundliches Lächeln, denk´ ich. Es ist schon<br />
sehr lange her, dass wir euch sahen. Du da –<br />
sagst du mir d<strong>ein</strong>en Namen?<br />
Dryade<br />
Dem Namenlosen ist die Menschheit hold: Man<br />
vergisst sie nach <strong>ein</strong>em misslungenen Abenteuer<br />
um so eher!<br />
Zelot<br />
So will ich dich, schöne Jungfrau, bitten, mich zu<br />
<strong>ein</strong>em Trunk zu laden.<br />
Najade<br />
Täglich habe ich ihn dir dargeboten, aber du<br />
übersiehst m<strong>ein</strong>e Gabe und lässt höchstens die<br />
Hunde daraus saufen. Nun will ich nicht mehr!<br />
Apolausis<br />
Ihr zwei seid spröde Jungfrauen und ungastliche<br />
dazu. Versuch´ ich´s also mit der Ernsteren unter<br />
den Schwestern! In d<strong>ein</strong>em Zögern vermute ich<br />
mehr Freundlichkeit.<br />
(Er nähert sich Oreade)<br />
Oreade<br />
M<strong>ein</strong>e geweitete Seele würde dich, Fremder,<br />
unnötig auffordern; ziellos herumstreifen<br />
würdest du, und am Ende würdest du doch nur<br />
von <strong>ein</strong>em Labyrinth berichten, in das ich dich<br />
gelockt habe.<br />
Philotinos<br />
(ironisch)<br />
Wohl erkenne ich, dass trotzige Worte nicht<br />
fruchten. Auch ahnt mir verborgene Größe, und<br />
ich bitte nun dich, du Ernste voll Majestät, mir<br />
d<strong>ein</strong>e Hand zu reichen, um uns an diesen Tisch<br />
zu laden.<br />
Nereide<br />
Der Kranz, der dich damit schmücken soll,<br />
könnte dir die kühne Stirn zerknittern.<br />
Anphit<br />
Siehst du, Freund: Weder mit Trotz, mit<br />
Übermut noch mit ehrlichem Ernst ist hier<br />
jemand zu gewinnen. Nun sind genug<br />
Artigkeiten ausgetauscht. Versuchen wir´s lieber<br />
mit <strong>ein</strong>er gesunden Portion Zynismus, denn mir<br />
sch<strong>ein</strong>t, die edlen Frauen verstehen sich auf´s<br />
Zuspitzen? Mir bleibt, wie ich sehe, nur <strong>ein</strong><br />
schwermutvolles Kind zu betrauern. Aber sie<br />
steht m<strong>ein</strong>em Gesicht nicht – ob gespielte oder<br />
wirklich empfundene Trauer. Soll doch der<br />
kommen und sie trösten, dem sie ihr Wesen<br />
verdankt!<br />
Schweig´ – Mensch!<br />
Nereide<br />
Anphit<br />
Soll ich vor <strong>ein</strong>es Weibes Zunge –<br />
(auf ihn zutretend)<br />
Nereide<br />
- du rührtest an der tiefsten Wunde. Jetzt, da du´s<br />
weißt, tritt zurück. Du sollst schweigen, Anphit!<br />
Anphit<br />
Bist du nicht die gleiche, die vorhin den Giftpfeil<br />
schoss?<br />
Nereide<br />
Er streifte dich – nicht mehr! Doch gehst du<br />
nicht ungestraft aus, wenn du der Schwester böse<br />
Worte sagst!
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<strong>Phaethon</strong><br />
Hier sollte Ehrfurcht Einhalt gebieten, wo die<br />
Einsicht sich vermissen lässt.<br />
Anphit<br />
So spricht man nicht zu Gästen. Sind wir also<br />
unwillkommen, sagt unser Stolz uns jetzt: Geht,<br />
Freunde!<br />
(Sie wenden sich zum Gehen)<br />
Dritter Auftritt<br />
(Klymene ersch<strong>ein</strong>t)<br />
Was hör´ ich? Habt ihr Streit? Nicht doch:<br />
Nehmt Platz, kommt, lasst euch reichen von<br />
allem, was ihr vorfindet!<br />
Anphit<br />
<strong>Phaethon</strong>s Mutter wollen wir gern Ehrerbietung<br />
bezeigen, wo die Töchter sie verschmähten!<br />
Klymene<br />
Ich bin <strong>Phaethon</strong>s u n d der Mädchen Mutter.<br />
Wenn ihr gekränkt seid, will ich die Ursache<br />
erforschen und schon hier für begangenes<br />
Unrecht um Verzeihung bitten.<br />
Philotinos<br />
Wir sind gekränkt durch losen Mädchenmund.<br />
Klymene<br />
(sich unter den Nymphen umschauend):<br />
Wer war´s im <strong>ein</strong>zelnen?<br />
Zelot<br />
Bis auf die Stille waren´s alle. N<strong>ein</strong>, frag´ sie<br />
lieber selbst.<br />
Klymene<br />
Ihr habt euch töricht aufgeführt – Empörung<br />
verursacht? Wie konntet ihr! Sag´, Nereide, was<br />
bedeutet das?<br />
Nereide<br />
Unser Vergehen war es nur, die Sterblichen zu<br />
necken. Was ihnen der Unmut zu verschweigen<br />
gebot, entlockte ihnen sodann der Zorn. Was sie<br />
kränkt, ist das Ungewohnte unseres Wesens, das<br />
ihnen Schranken weisen musste.<br />
Klymene<br />
So – Schranken? Aber wisst ihr denn nicht, dass<br />
ihr die Menschen nicht herausfordern dürft? Ihr<br />
waret spröde, wie?<br />
Nereide<br />
Wir waren´s – wir sind es noch!<br />
Klymene<br />
Oh, wie ich euch kenne! Und Dryade – neckte<br />
sie die werten Gäste wieder auf ihre Weise?<br />
Dryade<br />
(wieder versteckt)<br />
Ein kl<strong>ein</strong>es Spiel, liebste Mutter!<br />
Klymene<br />
Ah – ich verstehe schon!<br />
(Najade zupft verstohlen an Klymenes Gewand)<br />
Schau doch, Najade – treib´ nicht d<strong>ein</strong>en<br />
Schabernack! Bei euch großen Töchtern<br />
vermisse ich bisweilen den nötigen Ernst. Habt<br />
ihr nicht gehört, wie sehr unsere Gäste sich über<br />
euch beklagen?<br />
Dryade<br />
Sie sollten damit zu Ende kommen, denn wir<br />
werden dir gehorchen, Mutter.<br />
Klymene<br />
Najade – du bist <strong>ein</strong> großes Kind. Geh, lass´ das!<br />
(Najade ersch<strong>ein</strong>t.<br />
Kl<strong>ein</strong>laut):<br />
Najade<br />
Ja, Mutter, aber die Gelegenheit zum Spiel kehrt<br />
nicht so leicht wieder, nicht wahr?<br />
(Sie lächelt zu Apolausis hinüber)<br />
Oreade<br />
Es war genug – verzeiht!<br />
Pleon<br />
Was uns erregte, sei dahin!<br />
Nereide<br />
Dem Sturm folg´ tiefe Stille: Es sei!<br />
Dryade<br />
Ich säusele in Wipfeln und halte nach Helios´<br />
Sonnenwagen Ausschau, der stetig<br />
herniederkommt.<br />
Echo<br />
Wir danken d<strong>ein</strong>en weisen Worten, Mutter, und<br />
wir wollen uns bescheiden, bis wir gerufen<br />
werden.<br />
Anphit<br />
Es liegt im Gemüt, etwas zu tun oder zu lassen.<br />
Daher wollen wir den Groll begraben. Dennoch,<br />
edle Frau, ist die Stunde zu weit fortgeschritten,<br />
als dass wir bleiben könnten. Ein andermal sei<br />
uns <strong>ein</strong> herzlicher Empfang gewiss?<br />
Klymene<br />
Natürlich, Anphit! Mag <strong>Phaethon</strong> euch bis ans<br />
Tor geleiten – unsere Wünsche begleiten euch<br />
bis nach Hause. Lebt wohl!<br />
Lebt wohl!<br />
Die Gefährten
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Vierter Auftritt<br />
Klymene<br />
Kommt jetzt zu Tische, da lässt es sich bequemer<br />
sprechen!<br />
Dryade<br />
(Ihre Stimme aus <strong>ein</strong>em Baume)<br />
Wenn ich mich schüttle, werfe ich sogar etwas<br />
Laub zu euch hinab.<br />
Nereide<br />
Die Mutter rief zu Tisch, Dryade!<br />
Dryade<br />
(hinter dem Baume hervortretend)<br />
Du bist fast noch strenger als sie!<br />
Fünfter Auftritt<br />
(<strong>Phaethon</strong> kommt zurück, setzt sich mit zu<br />
Tische)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Aller Unmut hat s<strong>ein</strong>en Ursprung in eurer<br />
Leichtigkeit des Scherzens gehabt. Vergib,<br />
Mutter, dass ich´s gewähren ließ!<br />
Klymene<br />
Du wirst es mich wissen lassen wollen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja doch, liebste Mutter! Weil ich wusste, dass die<br />
Schwestern sich um diese Zeit hier gern<br />
aufhalten, brachte ich jene Freunde hierher. Ich<br />
wollte sie prüfen, und ich musste entdecken, dass<br />
ihre Gesinnung nur allzu menschlich ist.<br />
Klymene<br />
Du kanntest sie doch: Es sind gewöhnliche<br />
Sterbliche, ruhelose Glücksuchende und der Erde<br />
verhaftet. Sie waren dir noch nie <strong>ein</strong>e gute<br />
Stütze.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Bisher war ich vor ihrer Hilfe ziemlich sicher. –<br />
Ist es nicht überhaupt bemerkenswert, dass sich<br />
kaum Freunde halten, sobald man ihr Herz mehr<br />
prüft als ihre guten Manieren?<br />
Klymene<br />
Dir bleibt ja Philos. Er ist neu – ich hätte ihn<br />
gern kennen gelernt. Im übrigen: Du bist<br />
verwöhnt, <strong>Phaethon</strong>. Bedenke, was dir d<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern sind. Wer soll sich je mit ihnen<br />
messen? Du musst dich unter dem menschlichen<br />
Maß an das Erreichbare halten. Richte darauf<br />
d<strong>ein</strong> Herz, so wird sich auch dir unter weniger<br />
hohen Ansprüchen die Welt öffnen, statt dich<br />
abzuschrecken. Und suchst du in aller<br />
Schwachheit des Weibes Erholung, komm und<br />
ruhe dich bei d<strong>ein</strong>en Schwestern aus. Genügt dir<br />
das nicht, m<strong>ein</strong> Sohn? N<strong>ein</strong>? Ich sehe schon, dass<br />
du um jede Stunde trauerst, die du nicht unter<br />
uns s<strong>ein</strong> kannst .... Du wirst es schwer haben,<br />
<strong>Phaethon</strong>!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja, das bekümmert mich: Die Sorgen der<br />
Vornehmen kitzeln mich nicht, denn ich lebe den<br />
Unsterblichen näher als den Menschen. Das<br />
danke ich euch.<br />
Echo<br />
Liebster, du bist dem Lichte zugeboren. Das<br />
macht dich heiter und dem Leben so leicht<br />
verbunden. Immer will es hinauf, und darum<br />
dünken die Fesseln des Hiers<strong>ein</strong>s oft Qual.<br />
Wir kennen d<strong>ein</strong>en Kummer wohl. Aber es<br />
tröstet uns, dass du aufwärts strebst, den Göttern<br />
zu gefallen. Also trinke vom Licht der Gestirne,<br />
ehe sich der Tag für dich neigen mag.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sie zärtlich an sich ziehend)<br />
Obgleich ich mich ängstige vor dem, was in mir<br />
zur Höhe treibt, kannst du mir Mut zusprechen.<br />
Sag´, ging es dir heute gut? Lass´ auch du dich<br />
<strong>ein</strong> wenig trösten! Von dem, was man dir vorhin<br />
angetan hat, ist morgen das meiste als<br />
unbedeutend vergessen, nicht wahr?<br />
Echo<br />
(sich an ihn schmiegend)<br />
Das danke ich dir, du vergisst mich nicht.<br />
Klymene<br />
Auch Echo scherzte vorhin, wie mir Nereide<br />
soeben lächelnd deutet. Das ist mir <strong>ein</strong> warmer<br />
Trost! So gibt es auch auf d<strong>ein</strong>er hohen Stirn<br />
Glätte, m<strong>ein</strong>e Tochter?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(Echos Stirn küssend, die Locken streichelnd)<br />
Die Still hat ihr Teil ohne Tränen zurück, Mutter.<br />
Wie ging das zu?<br />
Klymene<br />
Echo<br />
M<strong>ein</strong> Bruder selbst hatte uns zu dem heiteren<br />
Spiel ermutigt: Auf s<strong>ein</strong>en Mienen stand schon<br />
angekündigt, was er von uns erwartete. Was<br />
konnten wir zerstören, wenn er´s doch selbst<br />
durchschaut hatte?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Bedeutend kam ich nicht, nur offen. Doch Echo,<br />
weit vorausschauend, gab sich der unbeschwerten<br />
Kurzweil um so eher hin, weil ich´s auch tat.<br />
So waren wir <strong>ein</strong>es Sinnes.
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Klymene<br />
Aber Kinder! Nennt ihr dies Gastfreundschaft?<br />
Was ist dann noch heilig, wenn es der blinde<br />
Witz verletzt?<br />
Nereide<br />
Gib uns, Mutter, Gelegenheit zur Reue.<br />
Dennnoch bekennen wir auch, dass die Männer<br />
von Vorteil und Eigensucht zu <strong>Phaethon</strong>s Leben<br />
gestoßen sind. Nun aber wissen sie, dass wir sie<br />
erkannt haben.<br />
Oreade<br />
Und da sie sich erschmeicheln und hernach<br />
ertrotzen wollten, was sie nicht haben durften ...<br />
Najade<br />
... schlugen wir ihre Heiligkeit nicht gerade sehr<br />
hoch an und verwiesen sie in den entlegeneren<br />
Winkel unseres Schauspiels.<br />
Dryade<br />
Zudem sind sie garstig üble, schwerfällige<br />
Schauspieler, Mutter: Auf alles Unerklärliche<br />
tölpelten sie her<strong>ein</strong>, dass wir lachen mussten.<br />
Klymene<br />
Sollen uns je die Menschen nachsagen können,<br />
dass wir sie nicht zu bewirten wüssten?<br />
Oreade<br />
Wir haben ihnen unsere Vorteile ja angedeutet,<br />
aber sie konnten dergleichen wohl nicht an uns<br />
entdecken!<br />
(Die Mädchen kichern)<br />
Klymene<br />
(seufzt, erhebt sich lächelnd)<br />
Ich sehe schon, wie recht die Fremden hatten:<br />
Mit euch ist k<strong>ein</strong> verständiges Wort zu wechseln.<br />
Mag s<strong>ein</strong>, dass der Tag so herrlich vergangen ist,<br />
mag s<strong>ein</strong>, dass euer Bruder –<br />
Mutter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Klymene<br />
- erheiternd auf euch gewirkt hat - - ihr wolltet<br />
diese Menschen etwas Göttliches lehren, nun,<br />
und das begreifen sie <strong>ein</strong>fach nicht.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mutter, es sind nicht alle so!<br />
Klymene<br />
(streichelt ihm die Wange)<br />
Ich weiß! Aber sie verstehen dich auch nicht<br />
ganz – damit finde dich ab, m<strong>ein</strong> Sohn. Es ist<br />
d<strong>ein</strong> Geschick, Verwirrung zu hinterlassen, wo<br />
du die Wahrheit suchtest. Aber d<strong>ein</strong><br />
ausgleichendes Wesen möge segensreich auf die<br />
Menschen wirken und zur Verantwortung rufen,<br />
ehe es zu spät ist.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wo werde ich diese Kunst vollends lernen?<br />
Klymene<br />
Du musst ja noch nicht fort! Doch d<strong>ein</strong>e Lehrer<br />
berichteten mir große Fortschritte in d<strong>ein</strong>em<br />
Studium. Die Waffe dagegen war noch nie d<strong>ein</strong><br />
Argument. So werden denn groß im Denken!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich habe ja euch! Da wird auch das Herz reden<br />
dürfen!<br />
(Am Eingange des Gartens entsteht Unruhe:<br />
Zwei verschleierte Frauen treten näher).<br />
Sechster Auftritt<br />
Klymene<br />
Von diesen Gästen weiß ich allerdings nichts.<br />
Seid uns willkommen. Wer seid ihr?<br />
(Beim Herzutreten der Frauen weichen <strong>Phaethon</strong><br />
und s<strong>ein</strong>e Schwestern unwillkürlich zurück)<br />
Erste Frau<br />
Ich bin Psuchos und grüße dich und d<strong>ein</strong>e<br />
Kinder, Klymene!<br />
Zweite Frau<br />
Nimm m<strong>ein</strong>en Namen Odä zum Gebrauch – du<br />
kennst auch mich.<br />
Psuchos<br />
Nach langer Zeit betreten wir d<strong>ein</strong> Haus, um uns<br />
nach eurem Besten zu erkundigen.<br />
Odä<br />
Nach dir und d<strong>ein</strong>en Kindern!<br />
Klymene<br />
Auch wir grüßen euch! Wollt ihr nun den<br />
Schleier heben, dass wir euer Gesicht erkennen?<br />
Psuchos<br />
Sogleich – jedoch: Erschreckt nur nicht! Ich bin<br />
die Kühle; m<strong>ein</strong>e Schwester hat sich der<br />
Dichtkunst gewidmet.<br />
Klymene<br />
Als solche seid ihr mir unbekannt. Doch seid<br />
willkommen!<br />
Psuchos<br />
Es liegt selbstverständlich daran, dass wir<br />
unseren Namen mit verschleiert haben, damit wir<br />
nicht ständig genötigt werden, über uns zu<br />
berichten.
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Odä<br />
Wir bitten dich, Klymene, erkenne auch du uns<br />
vorläufig unter diesem Namen wieder, wenn wir<br />
jetzt <strong>ein</strong>en Teil unseres Geheimnisses lüften.<br />
(Sie nehmen den Schleier ab)<br />
Klymene<br />
(erstaunt zurückweichend)<br />
Ich kenne euch: Ihr seid –<br />
Odä<br />
Ich bitte dich: Es bleibt dabei?<br />
Klymene<br />
Gern beuge ich mich eurem Wunsch. Doch wozu<br />
- ?<br />
Psuchos<br />
Es war Odäs Vorschlag. Mehr weiß ich darüber<br />
eigentlich auch nicht. Aber sie hat versprochen,<br />
sich zu gegebener zeit zu enthüllen. Bis dahin<br />
gedulde dich, Klymene!<br />
Odä<br />
So versprach ich´s.<br />
(Sie wendet sich den Mädchen zu)<br />
Du bist – so ehr´ ich dich – die stolze Nereide, in<br />
deren Element sich Helios und Selene<br />
bespiegeln?<br />
Nereide<br />
Nicht stolz! M<strong>ein</strong> Wesen fügt sich der<br />
verliehenen Würde.<br />
Odä<br />
Und du, voll weiter Gedanken und lichter<br />
Erkenntnisse, bist die ernste Oreade?<br />
Oreade<br />
Du sagst mir viel Gutes!<br />
Odä<br />
Dryade, Neckische?<br />
(Sie fasst lächelnd ihr Kinn):<br />
So scherzt du doch nicht immer – wie vorhin?<br />
Dryade<br />
(verlegen)<br />
D<strong>ein</strong> leiser Tadel trifft mich sanft ins Herz. Dir<br />
werd´ ich ehrbar dienen!<br />
Odä<br />
Aus d<strong>ein</strong>en Augen quellen r<strong>ein</strong>e Tränen. Warum,<br />
Najade?<br />
Najade<br />
Du bist k<strong>ein</strong> Mensch, dass du mich so erkennen<br />
darfst!<br />
Odä<br />
Ein leiser Hauch berührte dich -: schon bist du<br />
erschüttert. Du bist nicht für das Leiden<br />
geschaffen! – Und hier? Bist du nicht Echo, die<br />
an des Bruders Brust sich lehnt? Schwermütig<br />
schaust du, Echo? In d<strong>ein</strong>en Augen ziehen<br />
Welten auf und ab! Zehre getrost von der Kraft,<br />
die von den Sterblichen ausgeht, nicht von ihren<br />
Schwächen!<br />
Echo<br />
(sich fassend)<br />
M<strong>ein</strong> Bruder ist mir Welt genug, edle Herrin!<br />
Odä<br />
D<strong>ein</strong> Bruder <strong>Phaethon</strong> – ist es recht?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich schütze sie. Wir sind <strong>ein</strong>ander besonders<br />
zugetan.<br />
Odä<br />
(in merkwürdiger Aufmerksamkeit <strong>Phaethon</strong><br />
anschauend)<br />
Als Schwester doch – dem Bruder – nicht wahr?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nun, da du mich so offen fragst: M<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern haben mich in m<strong>ein</strong>em Urteil über<br />
die Hoheit der Frau sehr gebildet. So ist es mir<br />
bisher schwergefallen, <strong>ein</strong>e Jungfrau zu umwerben.<br />
Odä<br />
Bisher? – Ein stolzes Wort!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(überrascht)<br />
N<strong>ein</strong> – oh – vergib! Ich m<strong>ein</strong>e: So erhaben über<br />
die Herzen der Menschen bin ich nicht.<br />
Vielleicht bin ich aber nicht weit genug<br />
herumgekommen, um auf <strong>ein</strong> solches weibliches<br />
Geschöpf zu stoßen, das so anmutig, so<br />
tugendhaft, so voller Lauterkeit und Liebreiz<br />
<strong>ein</strong>herschreitet – wie – wie – die Morgenröte? –<br />
so jungfräulich und über alle Greuel der<br />
Gesinnungen erhaben.<br />
Odä<br />
Soviel erhoffst du? – Neigst du doch dazu,<br />
Göttliches in Menschen zu erfahren! Lass´ dich<br />
nicht enttäuschen, junger Mann! Die Wesen, die<br />
du findest, sind allesamt dazu geschaffen, an der<br />
Qual des unwiederbringlich Schönen zu leiden.<br />
So saugen sie sich am Augenblick fest und<br />
werten das Vorhaben und Wesen der Götter aus<br />
dem Jetzt, aus dem höchsten Erkennen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So reden auch die Schwestern. Bist du <strong>ein</strong>e<br />
Nymphe wie sie? Doch n<strong>ein</strong> – sie erschauern.<br />
Wer also bist du?
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Klymene<br />
Vergib, Odä, m<strong>ein</strong>en Sohn beunruhigt d<strong>ein</strong>e<br />
angeborene Hoheit. Ich glaube fast, er ist<br />
betroffen.<br />
Odä<br />
(lacht)<br />
Wir geben euch unser Ziel bekannt, sobald die<br />
Zeit dazu reif ist.<br />
Mehr als das!<br />
Odä<br />
(sinnend)<br />
Klymene<br />
Versteht doch: M<strong>ein</strong>e Töchter glauben, dass mit<br />
eurem Namen auch euer Wesen erklärt ist!<br />
Klymene<br />
Bevor du weiterfragst, <strong>Phaethon</strong>, lass´ uns diese<br />
Antwort verschieben. Es ist genug, wenn ich dir<br />
sage, dass Odä unserem Hause gut bekannt ist.<br />
Echo<br />
(dem erregten <strong>Phaethon</strong> die Brust streichelnd)<br />
Bruder! Es liegt vielleicht <strong>ein</strong> heiliger Schwur<br />
auf diesem Geheimnis ihrer Herkunft, und die<br />
Mutter will´s nicht preisgeben.<br />
Sie darf es nicht!<br />
Psuchos<br />
Klymene<br />
Es bleibt ja auch noch viel zu erzählen. Bringt<br />
uns Stühle, Schemel, setzt euch alle, dass wir<br />
noch <strong>ein</strong> wenig uns unterhalten. Ihr müsst ja bald<br />
wieder fort.<br />
Psuchos<br />
Diese Stunde ist kostbar, das geben wir gern zu.<br />
(Man setzt sich)<br />
Klymene<br />
Es ist lange her, dass ich euch bewirten durfte.<br />
Gibt es k<strong>ein</strong>en Aufschub?<br />
Du scherzt, Klymene!<br />
Psuchos<br />
(stutzt, lächelt)<br />
Odä<br />
Zweifelst du vielleicht noch, dass ihr uns so<br />
wichtig waret, dass wir euch gern wiedersehen<br />
wollten?<br />
Nereide<br />
Fragen mag ich nicht, aber ich spüre, dass wir<br />
uns oft begegnet sind. Jetzt aber weiß ich´s nicht<br />
mehr.<br />
Oreade<br />
Das überkommt auch mich sonderbar.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ihr forscht, aber ihr seid ungehorsam.<br />
Dryade<br />
Kannst du dem Winde verbieten, in den Blättern<br />
zu spielen?<br />
Najade<br />
Ja, ja, das m<strong>ein</strong>en wir!<br />
Odä<br />
Wie ich sehe, Klymene, sind d<strong>ein</strong>e Töchter<br />
allerliebst gewachsen und <strong>ein</strong>e Zierde d<strong>ein</strong>es<br />
Hauses. Selbst die Götter könnten sich zu<br />
Bewerbern herniederlassen, m<strong>ein</strong>st du nicht?<br />
Klymene<br />
Dieses Lob haben sie eigentlich nicht verdient –<br />
oder, Kinder?<br />
(Die Nymphen rufen Erstaunen)<br />
Oh ja! Habt ihr schon vergessen, wie ihr mit<br />
<strong>Phaethon</strong>s Gefährten umgesprungen seid?<br />
Dryade<br />
Wir haben sie allesamt in <strong>ein</strong>e Waagschale<br />
hüpfen lassen. Nichts hat sie hinaufzudrücken<br />
vermocht: Die Erde hat sie festgehalten<br />
(Lachen)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Eure Rätsel waren ihnen auch wirklich zu<br />
schwer.<br />
Najade<br />
Mit erhobenen Nasen suchten sie ihre<br />
Männlichkeit uns zu deuten. Dabei stolperten sie<br />
über Baumwurzeln.<br />
Psuchos<br />
Was das Dryades Werk?<br />
Dryade<br />
Bitte, nehmt das nicht so wörtlich! Sie konnten<br />
sich für überhaupt k<strong>ein</strong>e Richtung entscheiden<br />
außer für die, aus der sie kamen.<br />
Odä<br />
Sie standen sich wohl selbst im Wege? Da<br />
musstet ihr sie also wieder gehen lassen.<br />
Nereide<br />
Ein bisschen gekränkt, aber vorläufig<br />
ausgesöhnt! Es deucht ihnen, sie hätten vom<br />
Guten das Beste gesehen. Darum werden sie<br />
wiederkommen.<br />
Oreade<br />
Wenn du willst, führe ich sie das nächste Mal<br />
gleich in die Irre.
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Nereide<br />
Spare dir die Mühe: Von dort kommen sie<br />
gerade.<br />
Psuchos<br />
Sie wissen also immer noch nicht wer ihr seid?<br />
(leise lachend)<br />
Oh, ihr spöttischen Nymphen!<br />
(allgem<strong>ein</strong>e Heiterkeit)<br />
Echo<br />
Wir waren der M<strong>ein</strong>ung, dass ihnen nach ihren<br />
ausschweifenden Gastmählern auch die anmuten<br />
Geschöpfe nichts mehr anhaben möchten. Aber<br />
weil sie sich gegenseitig nichts gönnten, haben<br />
wir doch die Gier nach uns in ihnen erweckt.<br />
Odä<br />
Nur staune ich, dass du dich auch unter die<br />
Scherzenden mischen konntest. Wolltest du dich<br />
rächen?<br />
Echo<br />
(traurig)<br />
Es war m<strong>ein</strong> Bruder, der mich heiter stimmte.<br />
Ihm danke ich manches stille Wort des Trostes.<br />
Odä<br />
Ist d<strong>ein</strong> Gemüt, <strong>Phaethon</strong>, so kristallklar, dass<br />
du, Orpheus ähnlich, das Unabänderliche noch<br />
aufheben kannst?<br />
(Da <strong>Phaethon</strong>, die Hand der Schwester haltend,<br />
verlegen schweigt):<br />
Nun, ich sehe wohl, dass die Liebe unter<br />
Geschwistern <strong>ein</strong>iges vollbringt. Solltest du da in<br />
der Hingabe d<strong>ein</strong>er Liebe an <strong>ein</strong> fremdes<br />
Mädchen nicht noch Gewaltigeres empfinden<br />
können? Langsam begreife ich, was in dir<br />
angelegt ist und zu keimen hofft!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(nach <strong>ein</strong>igem Schweigen sie fest ansehend, in<br />
plötzlicher Empfindung)<br />
Ich fürchte nichts!<br />
Odä<br />
(beiseite sehend)<br />
Das ahnte ich. Dann sei dir Glück beschieden, so<br />
hoch du es immer ansetzt! Ich denke, es hält eher<br />
in dir Einzug, als wir vermuten möchten.<br />
Psuchos<br />
Wie, Schwester – was denkst du?<br />
Odä<br />
(ihr <strong>ein</strong> Zeichen geben)<br />
Nichts! – Mir ist so jung zu Mute – was bedeutet<br />
das?<br />
Was ist dir?!<br />
Psuchos<br />
(sie scharf betrachtend)<br />
Odä<br />
An m<strong>ein</strong>en Sohlen fühle ich der Kindheit Wege,<br />
und mit m<strong>ein</strong>en Händen spüre ich dem <strong>ein</strong>stmals<br />
unbekümmerten Erleben nach. Ich atme den Duft<br />
des hingehenden Tages wie neu. – Klymene, was<br />
empfindest du?<br />
Klymene<br />
Ich fühle mich den Sorgen ferner als zu Zeiten,<br />
da m<strong>ein</strong>e Kinder kl<strong>ein</strong> waren. Jetzt sind sie mir<br />
<strong>ein</strong>e Wohltat. Lass´ mich also nicht klagen:<br />
M<strong>ein</strong>e Töchter übten sich früh in ihren Pflichten,<br />
und <strong>Phaethon</strong> war ihr Gespiele. Wie manchen<br />
Tag tobten sie durch das Gebüsch und jagten<br />
<strong>ein</strong>ander, bis er betroffen vor dem Baum stand<br />
und Dryade ihn verspottete. Dann ballte er die<br />
kl<strong>ein</strong>en Fäuste, wenn sie lachte, und er schlug<br />
verzweifelt die Rinde. Jetzt ist das alles längst<br />
vorüber.<br />
Psuchos<br />
Ihr redet wie Menschen, die Abschied vom<br />
Gewesenen nehmen. Mich fröstelt. Komm,<br />
Schwester, genug geplaudert! Der Weg zurück<br />
könnte zu beginnender Nacht beschwerlich<br />
werden.<br />
Odä<br />
Ich habe doch dich? Was drängst du mich dann?<br />
Klymene<br />
Der Wind ist <strong>ein</strong>geschlafen. Auch der morgige<br />
Tag wird milde werden. Ihr hab noch nichts zu<br />
euch genommen. Soll ich die Dienerinnen rufen<br />
lassen?<br />
Psuchos<br />
Es wird nicht nötig s<strong>ein</strong>. Wir hatten uns<br />
ger<strong>ein</strong>igt, bevor wir in den Garten traten. Wir<br />
wissen ja: Wir sind hier gern gesehen, nicht<br />
wahr?<br />
Klymene<br />
Noch heute nacht wirst du mich grüßen sehen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Das klingt doch sonderbar. Und Odä?<br />
Odä<br />
(sich erhebend)<br />
Erschrick nicht, wenn du mir unverhofft<br />
begegnest! Auch wenn du mich nicht erkennen<br />
wirst: Ich komme zurück!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(verwirrt)<br />
N<strong>ein</strong> – gewiss nicht -, ich begreife nur nicht, wie<br />
das geschehen soll! D<strong>ein</strong> Antlitz hat sich schon<br />
in m<strong>ein</strong>em Herzen <strong>ein</strong>gebrannt – wer könnte dich<br />
je übersehen?
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Odä<br />
(hastig)<br />
Genug – lass´ mich´s erraten – sprich es noch<br />
nicht aus!<br />
Komm, Schwester, wir müssen zurück!<br />
(Psuchos und Odä wenden sich zum Gehen; die<br />
Nymphen begleiten sie, <strong>Phaethon</strong> bleibt wie<br />
erstarrt zurück, von Odä durch <strong>ein</strong>en<br />
bedeutsamen Blick zurückgehalten)<br />
Lebt denn wohl!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Zweiter Aufzug<br />
Erster Auftritt<br />
(<strong>Phaethon</strong> und Philos betreten den Garten;<br />
<strong>Phaethon</strong> mit verbundener Hand)<br />
Philos<br />
Natürlich könntest du <strong>ein</strong> guter Kämpfer s<strong>ein</strong>.<br />
D<strong>ein</strong>e Geschicklichkeit bestreitet niemand, d<strong>ein</strong><br />
Mut wird gerühmt, d<strong>ein</strong>e Treffsicherheit sollte<br />
manchen zur Vorsicht raten: Du scheust k<strong>ein</strong>e<br />
ernstliche Wunde! Was dir noch fehlt, ist der<br />
Wille, kräftig zurückzuschlagen. Wovor fürchtest<br />
du dich?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Die Gem<strong>ein</strong>heit der niederen Instinkte, in den<br />
Armen uns´rer vornehmen Jünglinge zur Taktik<br />
stilisiert!<br />
Philos<br />
Sagen wir: Du scheust dich, jemanden zu<br />
verletzen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Diese Feststellung muss ich wohl gelten lassen.<br />
Philos<br />
Weißt du nicht, wie manchen es kitzeln mag,<br />
dich aus Bosheit herauszufordern? Warum willst<br />
du ihn schonen -–was willst du tun?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du müsstest mich soweit kennen, dass ich dem<br />
Streit ausweiche.<br />
Philos<br />
Und wenn man dich trotzdem irgendwann stellt?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong>e Freunde wissen, dass sie <strong>ein</strong>en leichten<br />
Sieg hätten, und F<strong>ein</strong>de habe ich k<strong>ein</strong>e.<br />
Philos<br />
Was aber bei <strong>ein</strong>em Hinterhalt – <strong>ein</strong>em<br />
räuberischen Überfall?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Habe ich behauptet, ich wolle m<strong>ein</strong> Leben<br />
verschenken?<br />
Philos<br />
Warum lässt du dann zu, dass man dich<br />
ungestraft verletzen darf? Wie gerade heute?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Lass´ gut s<strong>ein</strong>, Philos! M<strong>ein</strong> Auge suchte die<br />
Seele des jungen Mannes, der gegen mich antrat,<br />
deshalb zuckte das Schwert zurück. Es war auch<br />
ihm <strong>ein</strong> p<strong>ein</strong>lich leichter, <strong>ein</strong> ungewollt schneller<br />
Sieg.<br />
Philos<br />
Du glaubst, er hätte dich geschont?
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<strong>Phaethon</strong><br />
S<strong>ein</strong> flammendes Auge suchte nicht mich,<br />
sondern all<strong>ein</strong> den Sieg.<br />
Philos<br />
Dann wirst du ihn enttäuscht haben! Wer mag<br />
mit dir kämpfen, wenn er nicht s<strong>ein</strong>e ganze<br />
Geschicklichkeit durch d<strong>ein</strong>e kraftvolle<br />
Gegenwehr erproben darf?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Vergleich´ er sich doch mit mir in der Art s<strong>ein</strong>es<br />
Willens und zu welchem Ziel er sich geschaffen<br />
fühlt - : was er Großes vorhat! Unsere Lehrer<br />
sollen das Urteil fällen!<br />
Philos<br />
Sie möchten in dir die Mutter ehren, von der du<br />
mir immer das Beste erzählst, wenn du solche<br />
Kühnheit im Denken vorweist und für d<strong>ein</strong><br />
Leben durchsetzen willst.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Erst recht die Schwestern würden sie – ungewollt<br />
– ehren, Philos!<br />
Philos<br />
Deren Schönheit habe ich rühmen hören – aber<br />
noch mehr ihre Unnahbarkeit.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wundere auch du dich nicht, dass sie sich<br />
vorläufig zurückziehen, sobald Fremde<br />
ersch<strong>ein</strong>en: Sie wollen niemandem Hoffnungen<br />
erwecken, den sie nicht mögen.<br />
Sind sie so spröde?<br />
Philos<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie erforschen das Herz – nichts weniger!<br />
Philos<br />
Sie m<strong>ein</strong>en, das reiche aus?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Das weiß ich nicht. Freier kenne ich jedenfalls<br />
noch k<strong>ein</strong>e für sie. Allerdings hält sie ihre Natur<br />
reichlich jung.<br />
Philos<br />
Trotz der Heiterkeit, die aus d<strong>ein</strong>en Worten<br />
blitzt, klopft mir das Herz. Wer sind sie<br />
wirklich?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Am klügsten ist es, sie als fremde Wesen zu<br />
betrachten, um nicht enttäuscht zu werden.<br />
Philos<br />
Dann sind d<strong>ein</strong>e Schwestern Nymphen und <strong>ein</strong>er<br />
Nymphe Kinder – wie du?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mit <strong>ein</strong>em wesentlichen Unterschied zu mir.<br />
Philos<br />
Wir zwei sind sterblich, nicht wahr?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(<strong>Phaethon</strong> nickt)<br />
Philos<br />
(mit leisem Spott)<br />
Dann hast du <strong>ein</strong>en bedeutenden Vorzug: Wir<br />
nehmen unser kl<strong>ein</strong>es Glück als unverhofftes<br />
Geschenk. Wir müssen, um es überhaupt<br />
verdient zu haben, vor dem Allwissenden in<br />
schönen Gedanken und hohem Handeln<br />
wetteifern. Denn die Götter messen uns nicht an<br />
der Fülle unseres ausgeschöpften Glückes,<br />
sondern an der Gesinnung, mit der wir ihr<br />
Geschenk verwalten. Selbst der Unglückliche<br />
darf hoffen, nach s<strong>ein</strong>en Fähigkeiten bestrebt<br />
gewesen zu s<strong>ein</strong>. Darf uns <strong>ein</strong>e Gottheit neiden,<br />
was sie uns ohnehin vorübergehend überließ?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was aber, wenn wir das Gute nicht erkannt und<br />
es vertan haben?<br />
Philos<br />
Der Blinde ist nicht zu strafen, weil er´s nicht<br />
sieht, sondern er macht sich schuldig, wenn er<br />
versäumt, sich zum Guten leiten zu lassen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Quält uns aber nicht unser Gewissen, auch wenn<br />
wir unschuldig genannt werden?<br />
Philos<br />
Dann beklagst du nicht eigenen Verlust!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja, Philos – hier liegt die Ursache m<strong>ein</strong>es<br />
Zögerns: Oft hätte man zu Gunsten anderer<br />
entscheiden können, wo man´s lieber versäumt<br />
oder sich gar nicht getraut hat.<br />
Philos<br />
Zögerst du deshalb, weil du dich nicht übereilt<br />
und zum eigenen Gewinn verteidigen willst?<br />
Hältst du deshalb den Streich aus, den du hättest<br />
abwehren müssen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong>e Tat ist nie r<strong>ein</strong>, solange mir das Gewissen<br />
zum Gegenteil rät. Ich weiß: Man wird über<br />
mich lachen, wenn man davon erfährt.<br />
Philos<br />
Erträgst du es, wenn es wenigstens d<strong>ein</strong>e<br />
Freunde wissen?
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<strong>Phaethon</strong><br />
Du m<strong>ein</strong>st, dann hänge es nicht öffentlich aus?<br />
Oh, im Gegenteil: Das Weltgewöhnliche reibt<br />
sich an uns Ungewöhnlichen doch nur die alte<br />
Haut ab, und in diesem Zustand ist es besonders<br />
bissig.<br />
Philos<br />
Denkst du so hoffnungslos von den Menschen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie sind es in dem Maße, in dem sie sich vom<br />
Willen der Götter lossagen.<br />
Philos<br />
Du machst mich nachdenklich: Wohl achte ich<br />
sie und verehre ihr Tun - - aber es bleibt<br />
rätselhaft. Sie greifen in unser Leben mit Willkür<br />
<strong>ein</strong> und überlassen uns letztlich den Folgen, dem<br />
Elend, dem Leiden der Sterblichen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So unglücklich denke ich nicht von ihnen. Bleibt<br />
nicht gerade hierdurch <strong>ein</strong>e lebendige Brücke<br />
zwischen Göttern und Menschen? Ersch<strong>ein</strong>t ihr<br />
Richten nicht dem Menschen verständlich durch<br />
das Maß, das sie uns dazu mitgeben? Die Götter<br />
gestatten uns Erkenntnisse, die uns unser Das<strong>ein</strong><br />
sinnvoll ordnen lassen.<br />
Philos<br />
So redest du – Sohn <strong>ein</strong>er Nymphe! Du atmest<br />
das Glück übernatürlicher Erneuerung! Dir sind<br />
Hoffnungen angeboren, die nicht mühsam dem<br />
philosophischen Studium entnommen werden<br />
mussten! Was aber sind wir? Ein Glied in der<br />
Kette <strong>ein</strong>er aufsteigenden, hernach sich<br />
verzehrenden Geschlechterkette. Neidlos<br />
bekenne ich, dass ich dich als Freund liebe, weil<br />
d<strong>ein</strong> Wesen so leicht das Große findet und<br />
festhält, um das wir anderen täglich ringen<br />
müssen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wenn es so ist, will auch ich es nicht als<br />
Geschenk! Es sei <strong>ein</strong>e mir gunstvoll anvertraute<br />
Schuld, die ich vor allem an dir abzutragen<br />
gedenke.<br />
Philos<br />
Jeder Gedanke von dir ist menschlicher als alles<br />
Treiben d<strong>ein</strong>er mittelmäßigen Bekanntschaft.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wenn es ihr misslingt, ist es anteilig auch m<strong>ein</strong><br />
Missgeschick. Dann fehlt mir doch die<br />
Überzeugungskraft, die mich befähigen sollte,<br />
öffentliches Unrecht aufzuhalten oder gar zu<br />
tilgen! Unfertig bin ich, trotz m<strong>ein</strong>er Jahre, und<br />
tauge zu politischen Ämtern nur dort, wo von<br />
Frieden die Rede ist. Auf Blut und Tränen kann<br />
ich nicht gedeihen – dort muss ich verkümmern.<br />
Philos<br />
D<strong>ein</strong>e Schuld kann es nicht s<strong>ein</strong>. Jene, die von<br />
dir das Gute wollen und empfangen, zählen vor<br />
allem und zuerst den Nutzen daraus nach, und<br />
alles andere dünkt sie <strong>ein</strong>e hübsche, aber<br />
nutzlose Verpackung, die man fortwirft.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Fühlst du m<strong>ein</strong>en Schmerz? Eine solche Wunde<br />
brennt mehr als diese Schramme hier. Wer und<br />
was kann sie stillen?<br />
Philos<br />
Wenn ich doch beide heilen könnte!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nicht doch! Du tröstest mich, sooft du sie lindern<br />
möchtest. D<strong>ein</strong>e Medizin ist, mich in m<strong>ein</strong>em<br />
Fortkrüppeln im Unvollkommenen nicht zu<br />
verlachen, sondern zu lieben.<br />
Philos<br />
Eigentlich wollte ich dir zeigen, wie natürlich ich<br />
fühlte. Nun denke ich fast, ich bin <strong>ein</strong>e<br />
Ausnahme. Warum aber gerade ich?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du führst d<strong>ein</strong> Leben nicht wie jene, die den<br />
Frevel heimlich zulassen, sondern frei,<br />
öffentlicher Rechenschaft gegenüber ohne<br />
Makel. D<strong>ein</strong>e Lehrer lieben d<strong>ein</strong>en Charakter<br />
wie –<br />
Philos<br />
- wie den d<strong>ein</strong>en! Hoffst du vor m<strong>ein</strong>en Fehlern<br />
so sicher zu s<strong>ein</strong>?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Verstehe ich dich richtig, so m<strong>ein</strong>en wir unter<br />
Freundschaft den Austausch hoher<br />
Empfindungen und wertvoller Gedanken, ohne<br />
damit <strong>ein</strong>ander das Ich abkaufen zu wollen.<br />
Philos<br />
Wobei du stets aus der Fülle d<strong>ein</strong>es Herzens<br />
schenkst, ohne dafür etwas zu fordern.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(nach <strong>ein</strong>igem Besinnen)<br />
- außer Vertrauen!<br />
Philos, es gibt niemanden, in dem ich soviel<br />
Wesensgleiches entdeckte wie in dir. Sei mir<br />
nahe – ich bitte dich – was auch<br />
Widersprüchliches kommen mag!<br />
Philos<br />
Was wirst du fürchten müssen?! – Aber sei<br />
unbesorgt: Wo immer du mich suchst, wirst du<br />
mich finden.
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<strong>Phaethon</strong><br />
Ist es dir nun gleich, woher ich komme?<br />
Philos<br />
D<strong>ein</strong>e Herkunft ist nur dann wichtig, wenn sie<br />
Ursache d<strong>ein</strong>es Willens ist. – Ja, ich muss dich<br />
darum höher achten. Die Wahrheit verschweige<br />
ich dir darum aber nicht!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Zum Schmeichler taugst du nicht, das weiß ich.<br />
Philos<br />
Trotz allem bist du mir mehr Mensch als Erbe!<br />
Verzeih, dass ich so irdisch denke!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong> Freund bist du um so mehr, als du offenbar<br />
nichts Verpflichtendes d´raus ableitest.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So war es: Ich stellte sie – zunächst ohne ihr<br />
Wissen – den Schwestern vor.<br />
Philos<br />
Soll ich dir sagen, was sie taten?<br />
Du weißt davon?<br />
Von wem?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos<br />
(lachend)<br />
(erstaunt)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wie – waren sie tatsächlich so klug, darüber<br />
nicht weiter zureden? Die Mädchen sind sehr<br />
offen mit ihnen umgegangen.<br />
Philos<br />
Bei allem, was mir sonst unverständlich an dir<br />
ersch<strong>ein</strong>en mag, ist es d<strong>ein</strong>e Bescheidenheit, die<br />
ich schätze.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Auch für das Ungewöhnliche gibt es Erklärungen<br />
....Aber soll ich über mich lächeln? Ich kenne sie<br />
ja nicht <strong>ein</strong>mal selber und kann sie darum auch<br />
nicht nennen.<br />
Philos<br />
Das Wesentliche erklärt sich in dir welt- und<br />
lebenszugewandt. Für mich ist es darum k<strong>ein</strong>e<br />
Schande, mit etwas Geheimnisvollen<br />
auskommen zu müssen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Hab´ Dank für d<strong>ein</strong> Vertrauen!<br />
Philos<br />
Endlich fanden sich Ort und Stunde, um dir das<br />
<strong>ein</strong>dringlich zu versichern.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dank auch den Schwestern, dass sie uns haben<br />
plaudern lassen.<br />
Scherzt du?<br />
Philos<br />
(stutzt)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja – <strong>ein</strong> wenig! Ich dachte an die fünf Freunde,<br />
die sich gestern hier bei mir <strong>ein</strong>fanden.<br />
Philos<br />
Sie versammeln wohl alle groben Fehler aufs<br />
beste in sich?<br />
Philos<br />
Wie kamest du überhaupt an die fünf?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Eigentlich kannten wir uns von Jugend auf. Wir<br />
verloren uns jedoch aus den Augen, und so<br />
entfiel ich ihren Interessen. Jetzt, nach Jahren,<br />
hängten sie sich, nachdem wir in dieses Haus<br />
gezogen waren, um irgend<strong>ein</strong>es Vorteils willen<br />
wieder an mich. Zunächst ließ ich sie gewähren,<br />
weil es mir unwichtig schien, was sie wollten.<br />
Bis jetzt weiß ich nicht <strong>ein</strong>mal, ob es der Ruf<br />
m<strong>ein</strong>er Schwestern war, der ihre Neugier weckte.<br />
Jedenfalls führte ich sie hierher.<br />
Philos<br />
Dennoch sch<strong>ein</strong>st du traurig?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong>er Mutter warfen sie mangelnde<br />
Gastfreundschaft vor!<br />
Philos<br />
Habt ihr das zugelassen? – Nun, dann hat man<br />
sie missbraucht?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Man ist den Schwestern <strong>ein</strong>deutig zu nahe<br />
getreten.<br />
Philos<br />
Wussten diese Stutzer denn nicht - ?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nichts ahnten sie – zu alledem!<br />
Philos<br />
Es hätte, in der Tat, den Frevel nur erhöht!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wir ließen´s gut s<strong>ein</strong>, nachdem sie m<strong>ein</strong>e Mutter<br />
hatte versöhnlich stimmen können.
www.grabbe-contacts.conne.net 22<br />
Philos<br />
Dann kommen sie gewiss wieder! – Wie willst<br />
du die Schmarotzer loswerden?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Lass´ sie doch: Sie werden erneut ins Leere<br />
tappen.<br />
Philos<br />
Welche M<strong>ein</strong>ung werden d<strong>ein</strong>e Schwestern nun<br />
aber von mir haben? Oder möchtest du mich<br />
noch nicht in ihr Gespräch ziehen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos, wenn sie noch nicht hier sind, ist es die<br />
Ehrfurcht vor unserem vertrauen Gespräch, das<br />
sie bislang von uns ferngehalten hat.<br />
Philos<br />
Du gibst mir viel für <strong>ein</strong>en Tag, m<strong>ein</strong> Freund!<br />
(Sie drücken <strong>ein</strong>ander die Hand)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Kommt dort nicht –<br />
Philos<br />
- d<strong>ein</strong>e Mutter, <strong>Phaethon</strong>?<br />
Zweiter Auftritt<br />
(Klymene ersch<strong>ein</strong>t)<br />
Klymene<br />
Ein lang ersehnter Gast – Philos, denke ich“?<br />
Er ist es, Mutter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Klymene<br />
Trotz der kurzen Zeit, die ihr euch kennt,<br />
berichtete m<strong>ein</strong> Sohn nur das Beste! Ich bin froh,<br />
dass er s<strong>ein</strong>esgleichen gefunden hat.<br />
Philos<br />
Hoffe ich zwar, <strong>ein</strong> guter Freund zu s<strong>ein</strong>, ist dies<br />
jedoch zuviel Lob. Ich danke dir!<br />
(Sie begrüßen <strong>ein</strong>ander)<br />
Klymene<br />
Glaubst du? – Gestern brachte er – zum<br />
Vergleich womöglich? – s<strong>ein</strong>e Gefährten mit: Er<br />
nennt sie scherzhaft s<strong>ein</strong>e Kletten, aber s<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern wussten davon zu befreien – auf<br />
m<strong>ein</strong>e Kosten allerdings!<br />
Philos<br />
Ja, ich hörte soeben davon. Aber liegt der Fehler<br />
nicht im Missbrauch mütterlichen Vertrauens?<br />
Fand nicht ihr frecher Zugriff auf die<br />
Unbescholtenen so die nötigen Grenzen?<br />
Klymene<br />
Ich sehe, du redest als <strong>ein</strong> freier Mann. Auch du<br />
wirst <strong>ein</strong>same Wege gehen müssen wie m<strong>ein</strong><br />
Sohn.<br />
Philos<br />
Dennoch gibt es zwischen uns Unterschiede.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wir treffen uns immer wieder, von wo wir auch<br />
kommen.<br />
Klymene<br />
Sind diese unterschiede irgendwann<br />
schwerwiegender Natur?<br />
Philos<br />
Wahrheit ist hier Wohltat, nicht Schmuck der<br />
klugen Worte. Und doch: <strong>ein</strong>es jeden Wahrheit!<br />
Klymene<br />
Was fürchtest du dann? – Wirst du auch d<strong>ein</strong>es<br />
Freundes Mutter mögen?<br />
Philos<br />
Kaum wechselten wir die ersten Worte: Schon<br />
fühle ich mich zu Hause!<br />
Klymene<br />
Das Gastrecht macht es.<br />
Philos<br />
Oh, von Ritus k<strong>ein</strong>e Spur – nicht alterprobtes<br />
Handeln: Hier spricht <strong>ein</strong> mütterliches Herz!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Erkennst du ihn, Mutter? Auch Philos hat man<br />
noch nicht zu s<strong>ein</strong>en besten Taten gefordert,<br />
sonst wäre ihm s<strong>ein</strong> Ruhm vorausgetragen<br />
worden.<br />
(Zu Philos):<br />
So aber tratest du mir unversehens in die<br />
Rennbahn.<br />
Philos<br />
War es ungeschickt von mir?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Aber n<strong>ein</strong>! Du wurdest mir zur rechten Stunde<br />
gesandt. Jeder folgende Tag, an dem wir uns<br />
nicht gegenseitig in unseren Gedanken<br />
bereichern konnten, war uns Verlust.<br />
Philos<br />
Ersch<strong>ein</strong>en nicht doch – eher durch die<br />
Gewohnheit als durch die Eigenschaft unserer<br />
Freundschaft – Mutter und Schwestern<br />
vorübergehend weniger bedeutsam als ich?
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<strong>Phaethon</strong><br />
Ihr Wesen lenkt mich auf andere,<br />
gleichbedeutende Pfade des Denkens als d<strong>ein</strong>es.<br />
Beide sind mir gleich wichtig.<br />
Klymene<br />
Eigentlich ist er untadelig und hört gern auf uns.<br />
Sich jedoch zu schützen, und dies all<strong>ein</strong> aus<br />
Notwehr, sch<strong>ein</strong>t er selten in Erwägung zu<br />
ziehen. Sorglos lässt er sich fordern, als wisse er,<br />
wie wohl ihm das Schicksal gesonnen ist.<br />
Philos<br />
(<strong>Phaethon</strong>s verwundete Hand heben):<br />
Natürlich: Von dorther rührt diese Wunde, nicht<br />
vom Übermut!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Im Spiel doch nur!<br />
Darf ich´s sehen?<br />
Klymene<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Lass´ nur! Ich möchte den Schwestern damit<br />
noch <strong>ein</strong>en leichten Schrecken <strong>ein</strong>jagen.<br />
Quäl´ Echo nicht!<br />
Klymene<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
An sie habe ich dabei nicht gedacht. Aber du<br />
weißt ja auch, dass sie sich nicht zu entsetzen<br />
braucht.<br />
Klymene<br />
Nun gut: Entziehe dich den Schönen nur ja nicht!<br />
Lass´ dich <strong>ein</strong> bisschen bedauern – die Männer<br />
brauchen das offenbar!<br />
Dritter Auftritt<br />
(Die Nymphen treten auf, in abwartender<br />
Entfernung Philos aufmerksam betrachtend)<br />
Klymene<br />
Kommt, Töchter, dies ist Philos, von dem auch<br />
<strong>Phaethon</strong> nur Gutes versprach!<br />
Philos<br />
(ehrerbietig)<br />
Auf Anmut war ich zwar gefasst, nicht aber auf<br />
soviel Schönheit, <strong>Phaethon</strong>!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie ist der Wirkstoff m<strong>ein</strong>er selbstgenügsamen<br />
Jugend.<br />
Philos<br />
Gern glaub´ ich´s!<br />
(all<strong>ein</strong> zu <strong>Phaethon</strong> gesprochen):<br />
Ihre Augen forschen auf sonderbar <strong>ein</strong>dringliche<br />
Weise in m<strong>ein</strong>em Herzen. Von solchen Blicken<br />
werde ich zu mir selbst erhoben. – Verzeih, wenn<br />
ich mich gewöhnen muss!<br />
(Er lehnt sich, tief betroffen, an des Freundes<br />
Schulter)<br />
Was ist dir, Philos?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(bewegt)<br />
Philos<br />
Ich sagte es doch: In diesen Augen sticht k<strong>ein</strong><br />
Berechnen, flackert k<strong>ein</strong> Falsch, - klar sind sie,<br />
auf unaussprechliche Weise klar! Es rüttelt an<br />
den Pforten m<strong>ein</strong>er Seele – ich erfuhr dies<br />
nirgendwo – ich fürchte, es gilt k<strong>ein</strong><br />
Entkommen!<br />
Oreade<br />
(auf ihn zuschreitend)<br />
Wer so fühlt, ist auch unser Freund. Sind wir<br />
denn nicht <strong>ein</strong>ander nahe?<br />
Philos<br />
Sch<strong>ein</strong>t es jetzt doch, dass ich aus Eigennutz<br />
eures Bruders Freund s<strong>ein</strong> könnte! S<strong>ein</strong> Wesen<br />
ist es ja, von euch umsegnet, das ihn mir<br />
unersetzlich macht!<br />
Nereide<br />
Gib uns die Hand und nimm uns als Menschen –<br />
nicht doch als Götter!<br />
(die Hand ihm reichend)<br />
Philos<br />
Dies macht es mir noch schwerer!<br />
Oreade<br />
Du bist <strong>ein</strong> Teil auch unseres Lebens, Philos!<br />
Gibst du uns Treue, geben wir dir Ruhe!<br />
Philos<br />
Noch wagte ich, <strong>Phaethon</strong> zu befragen, was ihn<br />
anders machte. Jetzt sehe ich die Kluft zwischen<br />
uns ganz deutlich.<br />
Najade<br />
Warum diese Schwermut? – Schwestern, ihr sehr<br />
ja selbst: Wir begegnen den Menschen viel zu<br />
ernst!<br />
Dryade<br />
Wir hätten ihn zuvor <strong>ein</strong> wenig necken sollen.<br />
Nereide<br />
Wo je der Mensch auf der Suche ist, den<br />
Menschen zu begreifen, sollten die Possen<br />
fehlen. Nur Gottlose wagen es, dem Ernst zu<br />
spotten.<br />
Dryade
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Vergib, Nereide, aber ich hab´s nicht böse<br />
gem<strong>ein</strong>t.<br />
Najade<br />
Aufmuntern wollten wir den schönen Jüngling.<br />
Nereide<br />
Siehst du, Philos: Dies sind m<strong>ein</strong>e Schwestern<br />
Dryade und Najade.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Und du, Nereide, beherrschst das lockere<br />
Gezwitscher mit d<strong>ein</strong>er vollen Stimme.<br />
Philos<br />
(Nereide zulächelnd, auf Echo weisend)<br />
Und wer ist jenes schwermütig sch<strong>ein</strong>ende<br />
Mädchen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist das jüngste und hütet mir m<strong>ein</strong> Herz: Es ist<br />
m<strong>ein</strong>e Schwester Echo.<br />
Philos<br />
Ich sehe wohl: Was brauchst du mich noch?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Schau, Philos, Echo lächelt! So begrüßt euch als<br />
Verbündete!<br />
Echo<br />
(umarmt scheu Philos, widmet sich dann<br />
<strong>Phaethon</strong>s Verband)<br />
Wodurch geschah dies?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Gleich, Echo! – Auch Oreade, Philos, lächelt dir<br />
zu: Du bist daheim!<br />
Philos<br />
Hier könnte ich ewig ausruhen!<br />
(Sie reichen <strong>ein</strong>ander die Hand. Er wendet sich<br />
sodann und geht zur abseits stehenden Klymene)<br />
Echo<br />
Mich wolltest du ja nicht erschrecken, Bruder?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(ihr die Wange küssend)<br />
Verzeih, Schwester – n<strong>ein</strong>!<br />
Echo<br />
(den Verband abwickelnd)<br />
Es gibt auch k<strong>ein</strong>en Anlass – sieh selbst!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Vielleicht war es wirklich nur der Schreck?<br />
Philos<br />
(wieder herzutretend und die Heilung<br />
betrachtend)<br />
Ein tiefer Schnitt war´s – das Schwert zerschlug<br />
dir fast die Daumensehne!<br />
Echo<br />
So stolz waret ihr und wolltet euch <strong>ein</strong>es bloßen<br />
Schrecks wegen gar bew<strong>ein</strong>en lassen?<br />
Philos<br />
(fassunglos)<br />
Ich schwöre – ja, ich war zutiefst besorgt! Es war<br />
die Rechte – sehr doch, hier klebt ja noch das<br />
Blut!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(den Arm um Philos´ Schulter legend)<br />
Ach, Philos! Echo nickte dich mit ihrer<br />
Wunderkraft. Was in und an mir alle Wunden<br />
heilt, geschieht durch ihre Liebe. Ich kann nicht<br />
töten, kann nicht hassen: Es ist ihr Werk!<br />
Philos<br />
Ja, so erklärt sich alles!<br />
(zu Klymene zurücktretend)<br />
Ist dir als Mutter noch das Amt geblieben, das<br />
größer ist als dieser Töchter Wohltat, geh ich<br />
beschämt in Ehrfurcht m<strong>ein</strong>er Wege!<br />
Klymene<br />
Du sinnst? Du glaubst, du rettest dich aus<br />
heiligem Bezirk der Freundschaft ins<br />
gleichgültige Leben zurück?<br />
Philos<br />
(ihre Hände ergreifend und an s<strong>ein</strong>e Lippen<br />
pressend)<br />
N<strong>ein</strong> – n<strong>ein</strong>, ich bleibe!<br />
Klymene<br />
Sei mir – <strong>Phaethon</strong> – <strong>ein</strong> lieber Sohn!<br />
Philos<br />
Für das, was mir noch übrig bleibt, wirst du alle<br />
Kraft von mir fordern müssen.<br />
Klymene<br />
Du weißt, was menschlich ist und uns erhebt. So<br />
bist du m<strong>ein</strong>em Hause genug. Was könnte ich<br />
jemals mehr fordern?<br />
Philos<br />
Teure Mutter – wie könnte ich d<strong>ein</strong>en Töchtern<br />
in Gleichem begegnen?<br />
Klymene<br />
Sie sind durch <strong>Phaethon</strong> längst vorbereitet und<br />
haben soeben erfahren, wie du empfindest. Nun<br />
werden sie d<strong>ein</strong>en Fuß bewachen, dass du nicht<br />
stolperst.<br />
Philos<br />
Mir ist, als strebe alles nur <strong>ein</strong>em Höhepunkt<br />
m<strong>ein</strong>es Lebens zu!
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Echo<br />
Du musst k<strong>ein</strong> Seher s<strong>ein</strong> – wozu auch? Aber<br />
untrüglich empfindest du für das Lebenswerte.<br />
Ehe m<strong>ein</strong> Bruder mich bitten muss, wird er dich<br />
vorher gern um Rat fragen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(plötzlich seltsam ernst)<br />
Doch nicht in allem, Echo?<br />
Echo<br />
Was m<strong>ein</strong>st du jetzt? Auch ich scheue vor<br />
diesem Höhepunkt zurück! - - Ich weiß doch<br />
auch nicht, warum!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sie an sich ziehend)<br />
W<strong>ein</strong>e doch nicht! Dieser Tag ist <strong>ein</strong> Geschenk,<br />
das wir sorgsam in uns wegschließen wollen,<br />
nicht wahr?<br />
Echo<br />
(nickt stumm)<br />
Najade<br />
Was – <strong>ein</strong> Gaukler – <strong>ein</strong> Bettler? Mit<br />
vollgestopften Backen?<br />
Dryade<br />
Lasst sehen, welcher Schelm sich dahinter<br />
verbirgt!<br />
Vierter Auftritt<br />
(Glaukos, von dem halbwüchsigen Philemon<br />
geführt, tritt auf mit langem Stabe und <strong>ein</strong>er<br />
Umhängetasche)<br />
Glaukos<br />
(noch zu Philemon)<br />
Ist es hier? Sind sie es, die wir suchen?<br />
(herbeitretend, zu den Anwesenden)<br />
Heil dem Spender, der uns so empfangen und<br />
bewirten ließ! Als wär´ ich fürstlichen<br />
Geschlechts, erfüllt man mir ungefragt jeden<br />
Wunsch mit größter Zuvorkommenheit. Man<br />
wusch mir die Füße, bot mir <strong>ein</strong> Lager an – nach<br />
so langer Wanderschaft! In Griechenland, das<br />
verkünd´ ich gern, ehrt man den Bettler wie den<br />
Seher mit der gleichen Ehrfurcht, auch den<br />
unbekannten, ruhmlosen!<br />
Klymene<br />
Ehrwürdiger Fremder! Du bist im Hause der<br />
Klymene. Um mich versammelt sind m<strong>ein</strong> Sohn<br />
<strong>Phaethon</strong> und m<strong>ein</strong>e Töchter Nereide, Oreade,<br />
Echo, Najade und Dryade. Hier steht auch<br />
Philos, <strong>Phaethon</strong>s Freund. Sie alle bieten dir<br />
Gesellschaft, ehe sie sich ihren Pflichten wieder<br />
zuwenden. Und du, bist du in der Tat ohne<br />
Namen?<br />
Glaukos<br />
Klymene, <strong>Phaethon</strong>s Mutter! Welch´ <strong>ein</strong><br />
Wohlklang in m<strong>ein</strong>en Ohren! Nun, ich heiße<br />
Glaukos. M<strong>ein</strong> Geschick verhieß mir schon in<br />
der Wiege, nie solle ich das Tageslicht schauen.<br />
Sieh, nun tappe ich ergeben durch´s Leben. An<br />
der Hand <strong>ein</strong>es Knaben erspähe ich des<br />
Menschen Herz und der Welt kurioses Treiben.<br />
Verstehe, dass mich so vieles nur noch heiter<br />
stimmen kann!<br />
Klymene<br />
Spottend oder heiter: Der Weise ist berufen, das<br />
Wichtigste als des Tages Notdurft zu erfassen,<br />
und, je nachdem, was ihm hervorhebenswert<br />
ersch<strong>ein</strong>t, soll er lächeln oder traurig s<strong>ein</strong>.<br />
Glaukos<br />
Obgleich ich graue Haare und k<strong>ein</strong> harmonisches<br />
Äußere an mir habe, bin ich doch k<strong>ein</strong> Esel.<br />
(Er wirft <strong>ein</strong>en soeben abgenagten Knochen<br />
hinter sich durch die Luft)<br />
Sieh, <strong>ein</strong> Garten mit Büschen und Gesträuch? An<br />
solchen Flecken wohnen die Lieblinge der<br />
Götter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(reicht dem Blinden <strong>ein</strong>en Becher W<strong>ein</strong>)<br />
Nimm, Glaukos, trink mit uns auf d<strong>ein</strong> Wohl!<br />
- Wie heißt du, Knabe?<br />
Philemon, Herr!<br />
Philemon<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So nimm auch du, den das Schicksal an das Los<br />
dieses Menschen gekettet hält!<br />
(Er reicht auch ihm <strong>ein</strong>en Becher)<br />
Glaukos<br />
Mir sagt d<strong>ein</strong>e Stimme, dass du jung bist.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Des Lebens Frische lebt in mir. Ich prahle nicht<br />
gern mit Vorzügen, die mir zugefallen sind.<br />
Glaukos<br />
Bescheiden bist du, aber auch selbstbewusst.<br />
Recht hast du: Die Jugend ist nichts<br />
Selbstverständliches. Wie rasch ist sie verblüht!<br />
Was bleibt ...<br />
(wischt sich <strong>ein</strong>e Träne ab)<br />
- nur fauler Ekel in Lumpen!<br />
Philos<br />
Nun, Alter, Philos sagt dir: Zähl´ die besten<br />
Stunden nur! Die anderen vergiss, wenn du dich<br />
ausruhen kannst. Und wer von der Vornehmen<br />
Tisch bettelt, findet auch noch <strong>ein</strong> Bett dazu.
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Glaukos<br />
M<strong>ein</strong>st du, Freund? Ein Bett mit behaglicher<br />
Wärme, Zuversicht in die Ehefrau, in die Freude<br />
am Weibe? M<strong>ein</strong>st du, das fiele <strong>ein</strong>em zu, wann<br />
immer man´s braucht? N<strong>ein</strong>, sag´ ich! Es bleibt<br />
<strong>ein</strong> Traum, den Sonnenkindern vorbehalten. Wo<br />
Armut herrscht, lebt die Trauer. Denkst du etwa,<br />
man lädt mich <strong>ein</strong>, weil ich <strong>ein</strong> schmutziger<br />
Bettler bin? Und käme man vor m<strong>ein</strong>e Tür auf<br />
der Durchreise, vom Unwetter überrascht, und<br />
sähe m<strong>ein</strong>e Umstände zu leben: Was wird man<br />
tun? Im Stehen wird man das Wüten der Natur<br />
abwarten und so rasch danach aufbrechen, wie es<br />
sich eben machen lässt. Bedenke, dass nicht der<br />
Bettler geehrt wird, sondern die Furcht, es könne<br />
<strong>ein</strong> Gott selbst in dieser Verkleidung den<br />
Menschen prüfen und um <strong>ein</strong> Obdach bitten.<br />
Klymene<br />
Armer Mensch! Wir forschen nicht nach<br />
Herkunft oder Geschlecht, wie bieten dir und<br />
Philemon gern Rast und <strong>ein</strong> Nachtlager. Wir<br />
hoffen, dass auch uns die gleiche Liebe<br />
widerfährt, wenn uns der Zufall und die Not an<br />
d<strong>ein</strong>e bescheidene Tür klopfen lassen. Sei also<br />
beruhigt, Glaukos, trink und iss und lebe diese<br />
Nacht als unser Gast.<br />
(Während sich Glaukos bedienen lässt, zeigt<br />
Philemon <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>fältiges und unsicheres<br />
Gebaren)<br />
Glaukos<br />
Dem Zufall verdanke ich seit jeher m<strong>ein</strong> Leben.<br />
Als mich m<strong>ein</strong> richtiger Vater ausgesetzt hatte,<br />
fand mich <strong>ein</strong> armer Kerl, dem gerade das eigene<br />
Kind gestorben war. Besser so <strong>ein</strong>en als gar<br />
k<strong>ein</strong>en, mag er gedacht haben. Konnte <strong>ein</strong><br />
solcher Sohn wie ich noch mehr Schande auf das<br />
Haupt <strong>ein</strong>es Schafdiebes sammeln? Nun, er<br />
wurde dafür aufgehängt. Ich wuchs unter m<strong>ein</strong>er<br />
Ziehmutter heran, die <strong>ein</strong>mal bessere Tage<br />
gesehen haben musste, und ihr verdanke ich<br />
m<strong>ein</strong>e Sprache. Als aber auch sie sich<br />
davonmachte – ich m<strong>ein</strong>e, als sie starb – nahm<br />
ich diese Tasche, <strong>ein</strong>en Stab und allen Mut<br />
zusammen und ging, von mitleidigen Bauern<br />
geführt, von Dorf zu Dorf, von Tür zu Tür,<br />
jahraus, jahr<strong>ein</strong>. Dann fand ich Philemon, von<br />
s<strong>ein</strong>en Altersgenossen verhöhnt – na ja, er ist <strong>ein</strong><br />
bisschen blöde ...? Nun, wir fanden zusammen.<br />
Jetzt endlich sind wir hier.<br />
Nereide<br />
Verzeih, Fremder: Endlich hier? Worauf hast du<br />
gewartet?<br />
Glaukos<br />
D<strong>ein</strong>e dunkle, warme Stimme könnte mir raten,<br />
dir zu vertrauen.<br />
Nereide<br />
Ich bin Nereide, die älteste der Töchter<br />
Klymenes.<br />
Glaukos<br />
Nun, wisse: Da mir die Fähigkeit vorenthalten<br />
wird zu sehen, habe ich das Gesicht nach innen<br />
bekommen. Du verstehst?<br />
Nereide<br />
Du willst damit sagen, du kannst Träume deuten?<br />
Glaukos<br />
Ich deute so vielerlei!<br />
Philos<br />
So bist du also <strong>ein</strong> Seher?<br />
(Währenddessen scharen sich die Nymphen um<br />
den sitzenden Glaukos)<br />
Glaukos<br />
In manchen Dingen, ja!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Klärst du uns d<strong>ein</strong> Wort: Endlich hier?<br />
Glaukos<br />
Unlängst – ich saß im Mittagsschatten <strong>ein</strong>es<br />
Baumes nahe <strong>ein</strong>er Quelle unter Bäumen –<br />
träumte mir, ich würde von m<strong>ein</strong>er Armut erlöst,<br />
wenn ich <strong>ein</strong>em Manne begegnete, der über m<strong>ein</strong><br />
Haupt des Himmels Licht zu bringen vermöchte.<br />
Nereide<br />
Dies ist tatsächlich außerordentlich!<br />
Oreade<br />
Ich neide ihm dieses Gesicht – verspricht es nicht<br />
Unerhörtes?<br />
Najade<br />
Noch mehr: Erleuchtung?<br />
(Da sie schalkhaft lächelt, droht ihr Klymene.<br />
Najade, die Faust gegen die Lippen pressend,<br />
zieht sich aufmerksam <strong>ein</strong> wenig zurück)<br />
Dryade<br />
(aus der Höhe sprechend)<br />
Kam dieser Traum von oben, Glaukos?<br />
Glaukos<br />
(verwirrt)<br />
Wohl fühle ich k<strong>ein</strong> Gemäuer hinter mir, sondern<br />
ringsum hohe Bäume – aber wo bist du,<br />
Mädchen?<br />
Dryade<br />
(rasch vor ihn tretend)<br />
Sorge dich nicht, Glaukos, ich scherzte nur.<br />
Verzeih!
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Glaukos<br />
(zornig)<br />
Treibt ja nicht euren Schabernack mit <strong>ein</strong>em<br />
Boten fremder Welten! Ich weiß gut, was du mir<br />
sagen möchtest, aber hüte dich, mich zu<br />
verspotten!<br />
Klymene<br />
Dryade scherzt – die Natur des Kindes ist leicht<br />
wie <strong>ein</strong> Vogel, aber beständig wie die<br />
Jahreszeiten.<br />
Glaukos<br />
Die Namen d<strong>ein</strong>er Kind sind so hübsch wie ihre<br />
Stimmen: Sie gleichen denen der Nymphen!<br />
Najade<br />
Kennst du ihre Stimmen?<br />
Glaukos<br />
Wüsstest du <strong>ein</strong>en besseren Vergleich, schönes<br />
Kind?<br />
(<strong>Phaethon</strong>, Philos und Klymene wechseln<br />
anerkennende Blicke)<br />
Philos<br />
Du bist <strong>ein</strong> Menschenkenner, Glaukos, und man<br />
soll nicht sagen, du seiest blind. Was führt dich<br />
hierher? Willst du wissen, wo du jenen Mann<br />
finden kannst? Ich fürchte, wir wissen es auch<br />
nicht.<br />
Glaukos<br />
(hörbar Obst verzehrend, den Rest achtlos um<br />
sich streuend)<br />
Mir sagte das im Traum <strong>ein</strong>e liebliche Stimme.<br />
Hierbei erfuhr ich auch den Namen des Mannes.<br />
Klymene<br />
Ist er denn für uns so wichtig?<br />
(aufmerksam)<br />
Glaukos<br />
Der Name war verschlüsselt. Aus <strong>ein</strong>igen<br />
Eigenschaften s<strong>ein</strong>es Aussehens und s<strong>ein</strong>es<br />
Charakters ist er jedoch leicht zu erraten.<br />
Klymene<br />
So frage – sag´ uns, was du weißt! Doch n<strong>ein</strong> –<br />
beschreibe uns den Menschen, denn ich ahne: Du<br />
fragst nicht umsonst zuerst bei uns an!<br />
Glaukos<br />
(listig)<br />
Du hast mich gut verstanden, auch wenn du nur<br />
zu ahnen sch<strong>ein</strong>st.<br />
Philos<br />
Mich dünkt, d<strong>ein</strong> Rätsel gibst du nur unter<br />
gewissen Bedingungen preis?<br />
Glaukos<br />
Nun, so sehr sind diese nicht für mich bindend.<br />
In jedem Haus der Stadt könnte ich zu fragen<br />
anfangen; so erführe <strong>ein</strong> jeder <strong>ein</strong> bisschen mehr<br />
über die Wahrheit, bis ich am Ende die ganze<br />
Stadt davon in Aufruhr versetzt hätte -: dass ich<br />
Helios´ Sohn suche.<br />
(Klymene springt auf, die Nymphen weichen<br />
zurück)<br />
Klymene<br />
Helios´ Sohn, sagst du – in unserer Stadt?<br />
Nereide<br />
Sag´, Glaukos, warum kommst du uns zuerst<br />
damit?<br />
Glaukos<br />
Ich denke, wir sind des Rätsels Lösung hier am<br />
nächsten?<br />
Klymene<br />
(außer sich)<br />
Genug! Was auch d<strong>ein</strong> Gesicht sagen mag,<br />
Fremder, es ist nicht nötig, es jetzt und hier zu<br />
offenbaren! Ich bitte dich, es mir heute abend<br />
zuerst und all<strong>ein</strong> anzuvertrauen. Denn ich habe<br />
Grund genug, alle unnötige Unruhe, alle<br />
widersprüchlichen Gerüchte m<strong>ein</strong>em hause<br />
fernzuhalten, bevor ich sie nicht selber geprüft<br />
habe.<br />
Nereide<br />
Recht, Mutter! Mich lockt auch nicht s<strong>ein</strong>e<br />
Neuigkeit, sondern mich fesselten vielmehr die<br />
näheren Umstände, wie du´s erfuhrest, Glaukos.<br />
Glaukos<br />
Sagte ich nicht: Unter Bäumen im<br />
Mittagsschlafe?<br />
Dryade<br />
Schien auch dort nicht die Sonne heiß durch die<br />
Blätter?<br />
Dryade!<br />
Klymene<br />
Dryade<br />
Sag´ doch selbst, Najade: Verwechselt man nicht<br />
leicht im Halbschlafe das Plätschern des<br />
Wassers, das Glucksen der munteren Quelle mit<br />
dem Raunen und Wispern sich neckender<br />
Nymphen?<br />
Najade<br />
Schon mancher Wanderer glaubte zu hören –<br />
Glaukos<br />
- vergebens, liebe Mädchen: Das hörte ich<br />
genau, was da zu mir gesprochen wurde.
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Najade<br />
Dann war es auch k<strong>ein</strong> Traum. Gib´s zu,<br />
Glaukos: Hast du nicht <strong>ein</strong> bisschen die Ohren<br />
gespitzt?<br />
Ich schwör´s ...!<br />
Glaukos<br />
Najade<br />
(legt ihm den Finger auf die Lippen)<br />
Pssst! Du kannst es nicht!<br />
Glaukos<br />
(greift sie behende und zieht sie gewaltsam auf<br />
s<strong>ein</strong>en Schloß, sie dabei befingernd)<br />
Ha! Spötterin! Du fliegst mir nicht davon! Ja,<br />
kreische nur! Nun beichte, Täubchen: Willst du<br />
mich zum Lügner machen?<br />
Najade<br />
(befreit sich, <strong>ein</strong>en Teil ihres Gewandes Glaukos<br />
überlassend, bebend vor Zorn)<br />
Sag´s ihm, Oreade!<br />
(Der Tumult legt sich allmählich)<br />
Oreade<br />
Pan hatte s<strong>ein</strong>e Flöte verlegt. Ich führte diesen<br />
Strolch in deren Nähe, so dass er sie finden<br />
musste. Nun vernahm ihr Besitzer bald deren<br />
süße Klänge. Er belohnte den Finder mit <strong>ein</strong>em<br />
Geheimnis, das er zu s<strong>ein</strong>em Wohlergehen oder<br />
zu s<strong>ein</strong>em Verderben auszunutzen ihm offen<br />
ließ.<br />
Najade belauschte das Gespräch dieses gierigen<br />
Geschöpfes mit dem <strong>ein</strong>fältigen Jungen dort. Er<br />
hat nun nichts anderes vor, als sich durch das<br />
Geheimnis erpresserisch zu bereichern!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wie, Glaukos – bist du so?<br />
Glaukos<br />
(die Arme schützend über dem Kopfe)<br />
Was hätte ich anderes tun können?!<br />
Klymene<br />
Haltet <strong>ein</strong> – fasst ihn nicht an!<br />
(zu ihm tretend)<br />
Du hast dich unter <strong>ein</strong>em Vorwand in m<strong>ein</strong> Haus<br />
geschlichen. Du hast mit Lügen Menschlichkeit<br />
erschmeichelt. Du hast m<strong>ein</strong>er Tochter Gewalt<br />
angetan. Du bist in das Geheimnis <strong>ein</strong>es Hauses<br />
<strong>ein</strong>gebrochen, willens, es an jedermann zu<br />
verraten – um <strong>ein</strong>es elenden Verräterlohnes<br />
willen. Was du anders hättest machen sollen,<br />
elende Kreatur?<br />
Wärest du vor mich getreten, hättest du mir d<strong>ein</strong><br />
Geheimnis anvertraut, so hätte ich dir für den<br />
Rest d<strong>ein</strong>es jämmerlichen Das<strong>ein</strong>s Obdach und<br />
Brot verliehen. Das hatte Pan, der Liebliche,<br />
gem<strong>ein</strong>t, als der dir riet, dich an mich zu wenden.<br />
Aber du hast, nach d<strong>ein</strong>em Charakter gebildet,<br />
nichts anderes denken können. Du bist unter den<br />
Ärmsten der Unwürdigste, und m<strong>ein</strong> Haus wird<br />
dir verschlossen bleiben, solange ich lebe. Du<br />
hast geurteilt nach dem Geschäft, das du<br />
jahrelang betrieben hast. D<strong>ein</strong> Leben kriecht als<br />
Lüge weiter. Darum geh – noch jetzt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mutter! Kannst du so hart s<strong>ein</strong>? Siehst du nicht,<br />
dass ihn das Unglück s<strong>ein</strong>er verlorenen Kindheit<br />
nicht besser gebildet hat? Was hätte er anders tun<br />
können?<br />
Glaukos<br />
(sich eilig vom Tische neues Obst erraffend und<br />
die Tasche vollstopfend)<br />
Dank, dir, edler <strong>Phaethon</strong>! Du verstehst m<strong>ein</strong><br />
blutendes Herz!<br />
Philos<br />
(mit gezückter Waffe)<br />
Genug, verruchter Bettler! Zum Garten, zum Tor<br />
hinaus! Auf der Stelle verlässt du den Vorzug<br />
barmherziger Menschen! Du bist es nicht wert,<br />
das Licht des Tages zu genießen Du zeigtest<br />
nicht <strong>ein</strong>en Augenblick Reue. Pfui, Ratte!<br />
(Er treibt ihn mit flacher Klinge vom Tische fort.<br />
Glaukos, den Stab und Philemons Hand<br />
ergreifend, wegeilend)<br />
Glaukos<br />
Zu Hilfe! Rettung! Philos – Mörder!<br />
(in Sicherheit, da Philos ihn nicht weiter<br />
verfolgt)<br />
Fluch diesem Hause! Fluch auch <strong>Phaethon</strong>, dass<br />
s<strong>ein</strong> Flehen unerhört bleibt, wo er´s am<br />
inbrünstigsten ausjammert! Fluch Philos! Fluch<br />
dem Reichtum! Fluch der Üppigkeit!<br />
Philos<br />
Kreisch du nur, verdammte Krähe! Mich triffst<br />
du nicht, und das Redliche wird von dem Ekel<br />
d<strong>ein</strong>er Gesinnung verschont bleiben!<br />
(Glaukos und Philemon endgültig ab)<br />
Fünfter Auftritt<br />
Philos<br />
(vor Klymene knieend)<br />
Vergib, teure Klymene, dass ich die Waffe zog!<br />
Ich hätte d<strong>ein</strong>en Garten nicht entheiligen lassen<br />
dürfen!<br />
(Er küsst ihre Hände)<br />
Klymene<br />
Steh auf, Philos! D<strong>ein</strong> Zorn war <strong>ein</strong> notwendiger<br />
Schritt zu übler Stunde. Lasst uns den Vorfall<br />
vergessen, Kinder!<br />
(Philos erhebt sich, geht zu <strong>Phaethon</strong>.
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Dieser, wie aus <strong>ein</strong>er Erstarrung sich lösend)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du hattest recht, Philos. Aber ich hätte es nicht<br />
gekonnt. Was war an jenem Gerücht denn wahr –<br />
was nicht? Was wusste Pan? Was wissen m<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern?<br />
Klymene<br />
Hältst du für so erfragenswert, wenn dir <strong>ein</strong> übler<br />
Charakter <strong>ein</strong>en Verdacht zuspielt?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Gewöhnlich gehe ich dem Gerücht aus dem<br />
Wege. Oreade hat es selbst geklärt: Es stammt<br />
von Pan, der euch so nahe, so vertraut! Was kann<br />
er wissen? Und warum mühst du dich, mir <strong>ein</strong><br />
Geheimnis vorzuenthalten, dessen Inhalt ich<br />
wissen müsste, käme mir das Ganze nicht so<br />
ungeheuerlich vor!<br />
Philos<br />
Hegst du gegen d<strong>ein</strong>e Mutter <strong>ein</strong>en Vorwurf?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wer s<strong>ein</strong>e Mutter so liebt wie ich, ist für jeden<br />
Tag dankbar, an dem er ihr Freude gemacht hat.<br />
Klymene<br />
Und denkst du jetzt, mich betrübt zu sehen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Liebste Mutter, warum weichst du aus? Ich traue<br />
dir nichts Arges zu. Warum dann etwas<br />
verschleiern, was morgen die ganze Stadt wissen<br />
wird?<br />
Klymene<br />
Allerdings, das vergaß ich.<br />
(seufzt)<br />
Oreade<br />
Es hilft doch nichts, Mutter, es ihm zu<br />
verheimlichen! <strong>Phaethon</strong> ist dieser Botschaft<br />
würdiger als wir.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was ihr verschweigen konntet – und ihr habt<br />
mich immer sehr lieb gehabt – kann doch nichts<br />
Böses s<strong>ein</strong>! Ich ahne hingegen, dass es etwas so<br />
Entgegengesetztes s<strong>ein</strong> muss, dass ihr fürchtet,<br />
ich ertrüge es nicht.<br />
Sag´, Mutter: Wer ist m<strong>ein</strong> Vater?<br />
Klymene<br />
(s<strong>ein</strong>e Hände fassend)<br />
Zwing´ dich zur Ruhe, <strong>Phaethon</strong>! Ja, der blinde<br />
Bettler sprach die Wahrheit: D<strong>ein</strong> Vater ist<br />
Helios!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sie innig betrachtend)<br />
Hätte für mich nicht <strong>ein</strong> weniger Großer genügt?<br />
Musstest du mir solche Erbschaft anvertrauen? –<br />
Oh, Mutter!<br />
(Sie umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(nach <strong>ein</strong>igem Überdenken)<br />
Was hat das aber jetzt für mich zu bedeuten?<br />
Welche Wirkung geht von allem Zukünftigen<br />
aus? Wie wird man an m<strong>ein</strong>en Handlungen das<br />
Vergangene werten? Wird man mich messen wie<br />
Helios´ Sohn -: Wie erbärmlich sind dann m<strong>ein</strong>e<br />
Werke gewesen! Wird man mich aber nach dem<br />
messen, was ich Menschliches tun wollte, wird<br />
man dann nicht mitleidig sagen: Es war der Eifer<br />
als s<strong>ein</strong> göttliches Erbteil, das ihn so gegen s<strong>ein</strong>e<br />
eigene Wohlfahrt Ziele ansteuern hieß – fern<br />
allen Genossen?<br />
Was wird es heißen? Sagt´s mir doch!<br />
Philos<br />
Darf ich zuerst sprechen?<br />
Sprich, Philos!<br />
(zu Klymene)<br />
Nereide<br />
(da Klymene außer Fassung)<br />
Philos<br />
(auch auf Klymenes Nicken hin zu <strong>Phaethon</strong>)<br />
Da man weiß, dass du´s bis heute selber nicht<br />
erfahren hattest, wer d<strong>ein</strong> Vater ist, wird jeder<br />
dich nach d<strong>ein</strong>er Menschlichkeit, nach d<strong>ein</strong>er<br />
gewöhnlichen jugendlichen Leistungskraft und<br />
Gesinnung gelten lassen. Was du in Zukunft tust,<br />
mag mit den gleichen Maßstäben gemessen<br />
werden, wenn du dich, nach wie vor als Mensch,<br />
zu ihnen bekennst. Da du – vermutlich? – k<strong>ein</strong><br />
Unsterblicher bist? –<br />
(die Nymphen nicken)<br />
bleibst du dem irdischen Gefühl verhaftet. Lass´<br />
dich auf k<strong>ein</strong>en Fall aus dieser Bahn<br />
herausreizen oder durch Forderungen entehren,<br />
die du nicht erfüllen kannst und willst. Bleib´ dir<br />
auch in Zukunft treu, denn so wird dich d<strong>ein</strong><br />
Vater wollen, <strong>Phaethon</strong>, und nicht mehr!<br />
Nereide<br />
Dem füg´ ich nur hinzu: Du kannst nicht größer<br />
werden: Du bist in d<strong>ein</strong>em Wesen zu Hohem<br />
angelegt – <strong>ein</strong> Freund der Götter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dies Vorrecht erkenne ich nicht an, wenn ich es<br />
mir nicht selber verdienen kann!<br />
Nereide<br />
So sagte ich: Du bist zu Hohem angelegt -:<br />
Beweise, was du bist, so, wie bisher! Du wirst<br />
um jede große Tat wohl ringen müssen, denn du
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bist sterblich und erwirbst es für den Augenblick.<br />
Dies ist der Menschen Los – dem kannst du nicht<br />
entrinnen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Oh, Schwestern – Mutter – Philos, hört mich an!<br />
Begreift ihr nicht, was mich verpflichtet: M<strong>ein</strong>e<br />
Gesinnung, m<strong>ein</strong>e Freiheit, mich entscheiden zu<br />
dürfen? Täglich muss ich mich fragen: Wie weit<br />
hast du dich d<strong>ein</strong>er Erfüllung genähert? Und<br />
begehe ich Fehler: Wieviel werden sie wiegen?<br />
Ist m<strong>ein</strong>e Antwort auf <strong>ein</strong>e unschuldige Frage<br />
wirklich noch die gleiche wie vor <strong>ein</strong>er Stunde?<br />
Ist nicht vielmehr jedes Wort von mir <strong>ein</strong> Orakel<br />
-: sinnbeschwert, wo ich nur harmlos zu scherzen<br />
m<strong>ein</strong>te? Konnt´ ich mich vormals natürlich<br />
äußern, zieht man daraus jetzt Maßstäbe m<strong>ein</strong>es<br />
Fühlens, Wollens und Denkens! Da werden<br />
M<strong>ein</strong>ungen zu Gesetzen, da wird bloßer<br />
Geschmack Willkür, wo man Menschen<br />
vergöttert!<br />
Klymene<br />
Du bist so frei und unbelastet wie immer! Was<br />
kümmert dich, was die Menge sich<br />
zusammendichtet?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(bitter)<br />
Dafür wandelt jetzt die göttliche Vaterschaft<br />
<strong>ein</strong>es bloßen Menschen täglich unter ihnen! –<br />
Denkt ihr, es bliebe mir zukünftig noch <strong>ein</strong><br />
anderer Weg offen als eben der, als Sohn <strong>ein</strong>es<br />
Gottes zum Verkünder <strong>ein</strong>es heiligen fremden<br />
Willens zu werden – aus Glauben Gewissheit zu<br />
machen? Wie aber kann <strong>ein</strong> Mensch dem <strong>ein</strong>en<br />
Gotte dienen und den Willen der anderen Götter<br />
übersehen wollen?<br />
Klymene<br />
Halt, <strong>Phaethon</strong> – halt´ doch <strong>ein</strong>! Das hat d<strong>ein</strong><br />
Vater nie gewollt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ist er <strong>ein</strong> Gott, so überschaute er dies noch vor<br />
der Nacht, in der er mich zeugte!<br />
Klymene<br />
Er wusste um dieses Erbe. Du darfst sicher s<strong>ein</strong>,<br />
dass er dich damit nicht belasten wollte.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nicht in den Olymp – in die Welt hat er mich<br />
gezeugt! Ihr seid ja Nymphen, könnt euch, wie es<br />
euch beliebt, verwandeln – aber ich?<br />
Wie kann <strong>ein</strong> Vater das wollen, dass s<strong>ein</strong> Sohn<br />
nur Mensch, nur sterblich unter s<strong>ein</strong>esgleichen<br />
ist -: immer ihren Missverständnissen,<br />
Verleumdungen, schließlich ihren Verfolgungen<br />
ausgesetzt? Wozu dies Opfer überhaupt? Ist es<br />
nicht besser, die menschliche Unklarheit solcher<br />
göttlichen Botschaft dem Sohne dadurch<br />
vorzuenthalten, indem man ihn erst gar nicht<br />
zeugte? Warum zeugen Götter Menschen, wenn<br />
sie ihnen die Fähigkeit verweigern, wie Götter<br />
über den Sorgen der Erde zu stehen? Warum<br />
also, Mutter, muss ich die Strafe auf mich<br />
nehmen, Helios´ Sohn zu s<strong>ein</strong>, indem ich nichts<br />
aus ihm tun darf? Warum stattete er mich nicht<br />
mit sichtbaren Eigenschaften aus, die mich vor<br />
der Kl<strong>ein</strong>mütigkeit m<strong>ein</strong>er Mitmenschen<br />
schützen könnten?<br />
Klymene<br />
Du lebtest glücklich, als du davon nichts ahntest!<br />
Jetzt quälst du dich – willst mühsam alles anders<br />
sehen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Froh lebte ich mit m<strong>ein</strong>en Schwestern, Freunden,<br />
auch mit dir! Seit Glaukos durch die Straßen<br />
lärmt und <strong>ein</strong>e Feuersbrunst des Neides, auch der<br />
Schadenfreude gegen mich entfacht, denke ich<br />
über m<strong>ein</strong>e Person etwas außergewöhnlich. Das<br />
ist sie ja auch wohl!<br />
Philos<br />
Siehst du k<strong>ein</strong>en Ausweg, dem ersten Ansturm<br />
auszuweichen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Man hat mir zugemutet, als Helios´ Sohn zu<br />
gelten. Soll ich mich jetzt verstecken und in die<br />
Wildnis ziehen? Auch m<strong>ein</strong>e Schwestern und<br />
m<strong>ein</strong>e Mutter sind, so weiß man vielerorts,<br />
bevorzugt -: Lieblinge der Götter! N<strong>ein</strong>, das<br />
Spiel, das Pan in Gang gesetzt, geht wohl nicht<br />
ohne mich zu Ende. Und sag´ doch selbst: Gäbst<br />
du dem Pöbel nach?<br />
Philos<br />
Ich wiche nur aus Klugheit für´s erste der<br />
Gewalt.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Man wird´s auf die Spitze treiben: Wenn ich<br />
k<strong>ein</strong>e Wunder vollbringe, wird m<strong>ein</strong> Name ins<br />
Lächerliche gezogen, und m<strong>ein</strong>en Vater wird<br />
man lästern, sobald ich als bloßer Mensch<br />
entlarvt bin!<br />
Philos<br />
Versuche erst gar nicht, mehr s<strong>ein</strong> zu wollen,<br />
<strong>Phaethon</strong>! Ich werde dir dabei helfen. M<strong>ein</strong> Wort<br />
gilt auch noch etwas, und d<strong>ein</strong>e Mutter hat viele<br />
Freunde. So reicht es hin, dass man erklärt, es sei<br />
nur die leibliche Nachkommenschaft gem<strong>ein</strong>t<br />
gewesen, sonst nichts von d<strong>ein</strong>em Vater. Zwar<br />
ahnt mir mehr, doch soll´s dem Volk genügen.<br />
Bist du so sicher?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos
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Die klugen Männer, die dich kennen, werden<br />
d<strong>ein</strong>en gelehrigen Verstand und d<strong>ein</strong>e ehrlich<br />
Wissbegierde nicht als Verstellung auslegen. Sie<br />
wissen um jugendliches Bemühen. Du bist vor<br />
ihnen k<strong>ein</strong> Lügner. Auch sonst erkennt man die<br />
Mühsal an, mit der du dich in allem vornehmen<br />
Wettstreit übtest. Ein Göttersohn lässt sich wohl<br />
kaum auf diese Weise prüfen und hernach feiern!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wenngleich ich zögere, stimmst du mich ruhig.<br />
Nun denn, der Tag ist ohnehin zu Ende. Wie mag<br />
die Nacht mich an den Morgen entlassen? Denn<br />
ich grüble über m<strong>ein</strong> Los und finde doch k<strong>ein</strong>en<br />
Schluss!<br />
Philos<br />
Noch ist der Tag nicht vorüber! Dort naht <strong>ein</strong><br />
Gast, vor dem auch du hellere Klänge d<strong>ein</strong>er<br />
Seele anstimmen solltest!<br />
Sechster Auftritt<br />
(Odä ersch<strong>ein</strong>t, diesmal all<strong>ein</strong>)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist Odä – <strong>ein</strong>e Verwandte oder Freundin der<br />
Mutter.<br />
Klymene<br />
Heute kommst du all<strong>ein</strong>, Odä?<br />
Odä<br />
Du weißt, die Schwester ist beschäftigt. Sie<br />
konnte mich nicht begleiten, aber sie lässt<br />
herzliche Grüße ausrichten. Sie gelten auch für<br />
euch, ihr Schönen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Grüß dich, Odä! Dies hier ist Philos, m<strong>ein</strong><br />
Freund.<br />
Odä<br />
(Philos kurz, aber fest betrachtend, dann zu<br />
<strong>Phaethon</strong>)<br />
Er passt zu dir: du konntest k<strong>ein</strong>en besseren<br />
finden!<br />
Nereide<br />
(zu den Nymphen)<br />
Die Sonne wirft schon lange Schatten.<br />
Najade<br />
Wir ziehen uns zurück, nicht wahr?<br />
Oreade<br />
Echo, kommst du mit?<br />
Echo<br />
Ja, Schwester! Lebt wohl – bis morgen, Bruder!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(ihre Schläfe küssen)<br />
Lebt wohl – gute Nacht!<br />
Gute Nacht!<br />
Dryade<br />
Odä<br />
Bin ich zu früh oder zu spät gekommen? Der<br />
Aufbruch wirkt sehr hastig!<br />
Klymene<br />
Sie wissen, dass wir uns im engsten Kreise öfter<br />
bis in die späte Nacht unterhalten. So gehen sie<br />
ohne Groll eher; du weißt ja, auch sie haben<br />
Pflichten.<br />
Odä<br />
Liebste Klymene, ich habe <strong>ein</strong>en Wunsch!<br />
Er sei dir gewährt!<br />
Klymene<br />
Odä<br />
(ausweichend)<br />
Warum prüfst du ihn nicht zuerst <strong>ein</strong>mal?<br />
Klymene<br />
Ich schlage dir nichts ab, weil ich dir vertraue.<br />
Odä<br />
Gut denn: Lass´ mich diese Nacht d<strong>ein</strong> Gast<br />
bleiben!<br />
Klymene<br />
Du weißt, dass du gern gesehen bist. Lass´ mich<br />
also nur eben die Dienerschaft rufen und ihr<br />
Anweisungen geben, d<strong>ein</strong> Schlafgemach<br />
herzurichten.<br />
(Sie erhebt sich und will gehen)<br />
Philos<br />
Verzeiht! – Klymene, lass´ mich dich doch ins<br />
Haus begleiten; dort nehme auch ich Abschied<br />
bis morgen, dann komme ich wieder?<br />
Klymene<br />
Warum so früh? Du, dachte ich, würdest<br />
wenigstens noch <strong>ein</strong>e Weile mit uns plaudern<br />
können!<br />
Philos<br />
<strong>Phaethon</strong> hat wenig Zeit gehabt, sich gelassener<br />
in das Neue zu finden. Diese Art Zerstreuung<br />
kommt ihm sicher zu Gute, nachdem auch wir ja<br />
schon ausführlich gesprochen haben. Ich möchte<br />
mich daher auch schon jetzt zurückziehen.<br />
(Er tauscht mit Odä und <strong>Phaethon</strong> Zeichen des<br />
Abschiedes, geht dann mit Klymene zum Hause)
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Siebenter Auftritt<br />
(Odä mit <strong>Phaethon</strong> all<strong>ein</strong>)<br />
Odä<br />
Der Abend wird kühl.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Die letzten Ereignisse hielten m<strong>ein</strong> Blut in<br />
Wallung, darum spüre ich die Erfrischung noch<br />
nicht.<br />
Ich weiß – !<br />
Odä<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich wage nicht zu fragen!<br />
Odä<br />
Wo ich herkomme, ist Licht, ist Lebenswärme.<br />
Seit ich bei dir bin, brauche ich nichts zu<br />
vermissen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist das erstemal, dass wir ungestört<br />
mit<strong>ein</strong>ander sprechen können, nicht wahr?<br />
Odä<br />
Warum sollten wir uns davor fürchten? Wir<br />
kennen uns länger als du denkst. Mich wundert,<br />
dass du dich nicht erinnerst.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ein merkwürdiges Empfinden, wie wenn ich sehr<br />
lange etwas erwartet hätte, überkam mich bei<br />
unserer ersten Begegnung.<br />
Odä<br />
Möchtest du darüber reden?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Von m<strong>ein</strong>en Schwestern bin ich´s gewöhnt, dass<br />
man mir durch Erraten das Herz im voraus<br />
erleichtert. Ob das allerdings auch hier ...?<br />
Du stockst?<br />
Odä<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du machst mich erröten, Odä!<br />
Odä<br />
Diese Art Gefühle könnten nicht den Schwestern<br />
gewidmet s<strong>ein</strong>, nicht wahr?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dann weißt du also um sie!<br />
Odä<br />
Du sandtest mir Blicke in <strong>ein</strong>er Sprache ohne<br />
Missverständnisse – bei allem Abstand! Jetzt bin<br />
ich zurückgekommen – !<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Warum? Was muss ich verbergen?<br />
Odä<br />
Jetzt – nichts mehr! D<strong>ein</strong> Herz liegt offen vor<br />
mir.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es brennt seit gestern brennt´s in m<strong>ein</strong>er Brust<br />
und will sich nicht mehr beruhigen lassen! Ist das<br />
überhitzig hingeworfen?<br />
Odä<br />
Wenn du es aber so empfindest - ?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist nicht d<strong>ein</strong> Körper, den ich schon begehrte<br />
– noch nicht! Aber seit ich dich gesehen habe,<br />
m<strong>ein</strong>e ich, fast daheim zu s<strong>ein</strong>. Wo ist diese<br />
Heimat? Was mag das s<strong>ein</strong>? Nur Liebe – oder ist<br />
es auch die Sehnsucht nach dem, woher du<br />
kommst?<br />
Odä<br />
Weil ich ahnte, dass du mich und niemanden<br />
anderen finden musstest – sonst wäre d<strong>ein</strong> Leben<br />
unglücklich verlaufen – bin ich dir<br />
entgegengekommen! Entbehre ich darum d<strong>ein</strong>er<br />
Achtung?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Seit ich dich ansah, hat sich m<strong>ein</strong> Gemüt<br />
geweitet, und seit ich d<strong>ein</strong>e Stimme höre,<br />
vergleiche ich alle Musik mit ihr und werde nicht<br />
müde, mich zu erinnern. Sag´, Odä: Welche<br />
Welten klaffen zwischen gestern und heute?<br />
Odä<br />
Das Gestern war <strong>ein</strong>e Frage nach dem Wohin.<br />
Bevor ich kam, hatten sich all d<strong>ein</strong>e Jahre auf<br />
diesen Brennpunkt gesammelt. Ich ahnte zudem<br />
die Entdeckung d<strong>ein</strong>es Vaters. Du hast <strong>ein</strong><br />
großes Herz und hängst an der Vollkommenheit.<br />
Der Rückweg zum Alltäglichen ist dir<br />
abgeschnitten. Ich bin <strong>ein</strong> gewichtiger Teil der<br />
Antwort auf d<strong>ein</strong> Leben. Jetzt bist du sicher.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Aber so plötzlich! Ein tiefe Ruhe breitete sich in<br />
mir aus – trotz dieses Brennens! Ich begreif´s<br />
nicht!<br />
Odä<br />
Das ist auch nicht nötig. Jetzt wirst du <strong>ein</strong>e<br />
Entwicklung in dir verspüren, <strong>ein</strong> Reifen, das<br />
dich nicht mehr loslässt.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong>e Mutter kommt zurück. Du bist diese<br />
Nacht unser Gast. Gibt es noch Schranken, so –
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Odä<br />
Es gibt k<strong>ein</strong>e mehr! Mach mir noch diese Nacht<br />
das Brautbett, m<strong>ein</strong> Liebster!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du findest mich in allem eröffnet – ich bin<br />
bereit!<br />
Klymene<br />
(nahe)<br />
In der Halle brennt das Feuer; der Tisch ist<br />
gedeckt, das Nachtlager gerichtet! Kommt doch<br />
mit ins Haus!<br />
(Alle entfernen sich zum Hause)<br />
Dritter Aufzug<br />
Erster Auftritt<br />
(Im Schlafgemach der Odä; <strong>Phaethon</strong> bei ihr,<br />
beide notdürftig bedeckt. Gegen Morgen: Odä im<br />
Aufbruch)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Welch <strong>ein</strong> unerhörtes Vorrecht wiederum mir:<br />
Wo andere um jedes Lächeln kämpfen, um jedes<br />
Stirnrunzeln bangen, um jedes missdeutbare<br />
Wort mit dem Gedanken spielen, ihrem Jammer<br />
womöglich <strong>ein</strong> Ende zu setzen, da senkt sich<br />
d<strong>ein</strong>e Liebe wie <strong>ein</strong> Rausch über mich und<br />
ergießt sich wie <strong>ein</strong> erquickender Ragen auf<br />
Wüstenland. Was nahm ich mir, mit Billigung<br />
m<strong>ein</strong>es Schicksales, heraus, dass ich, wie<br />
betäubt, immer noch nicht fasse, was du mir<br />
schenktest, liebste Braut!<br />
Odä<br />
Was sorgst du dich im Genuss? Nimm mich –<br />
nimm alles!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Gerade ich durfte mich nie über mangelnde<br />
Liebe beklagen: M<strong>ein</strong>e Mutter, m<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern – jetzt, kürzlich, der Freund<br />
überhäufte mich mit Hingabe, ließen mich zu<br />
Menschlichstem gedeihen! Wem unter der Sonne<br />
ist solche Gnade jemals vergönnt? Wer, und<br />
hätte er die edelsten Gedanken, darf sich soweit<br />
darin ergehen, sie zum Grundsatz s<strong>ein</strong>es Lebens<br />
wählen zu dürfen?<br />
N<strong>ein</strong>, Odä, über mir ruht <strong>ein</strong> ganz besonderer<br />
Segen, dessen Ausmaß mir nur unerträglich wird,<br />
weil ich hoffe, dass ich m<strong>ein</strong>es Vaters würdig<br />
s<strong>ein</strong> werde – oder untergehen will!<br />
Odä<br />
Du hast nie mit der Liebe Missbrauch getrieben.<br />
Nun durftest du sie erstmals auskosten wie <strong>ein</strong><br />
Mann! Das überwältigt dich. Aber mich hat es zu<br />
<strong>ein</strong>em neuen Wesen erhoben!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Hat dich denn m<strong>ein</strong>e Unerfahrenheit nicht<br />
abgeschreckt, Liebste?<br />
Odä<br />
Wie könnte ich?! Du hast die Schönheit geliebt,<br />
ohne sie zu vergewaltigen, und als Heiligtum<br />
verehrt, was dir nicht zugesprochen werden<br />
konnte. Jetzt hast du alles!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dies ist nur zu wahr: Nie befiel mich Lüsternheit<br />
nach der Anmut m<strong>ein</strong>er Schwestern oder <strong>ein</strong>es<br />
Knaben.
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Odä<br />
Danke es d<strong>ein</strong>er Mutter: Sie war es, die dich der<br />
allumfassenden Liebe vorbehalten hat.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es macht mich schwindeln, wenn ich begreifen<br />
soll, dass nicht nur m<strong>ein</strong>e Seele, sondern diesmal<br />
und für immer auch m<strong>ein</strong> Körper auskosten<br />
dürfen, was <strong>ein</strong> Mädchen ist.<br />
(Er umarmt sie heftig)<br />
Odä<br />
M<strong>ein</strong> liebster Bräutigam: Der Traum, die Nacht –<br />
geht jetzt zu Ende. Spar´ alle Kraft bis für die<br />
nächste Dämmerstunde!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(fortfahrend, sie zu liebkosen)<br />
Mir ist, als hätte ich m<strong>ein</strong> Leben <strong>ein</strong>er neuen<br />
Geburt geopfert! Nie zuvor war mir vergönnt,<br />
Anmut und Liebreiz ganz zu kosten! Nun atme<br />
ich alles durch die Rosendüfte d<strong>ein</strong>es rötlichen<br />
Gewandes! Oh, ich will mit ihnen fallen und<br />
d<strong>ein</strong>e herrliche Schönheit erstrahlen lassen! –<br />
Wie soll es weitergehen? Wann wirst du den<br />
Brautkranz tragen? Sag´s mir doch!<br />
Odä<br />
(sich sanft befreiend und aufrichtend)<br />
Du ahnst mit Recht: So frei verfügbar bin ich<br />
wieder nicht!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Hast du <strong>ein</strong> heimliches Amt da draußen und<br />
wagst es mir doch nicht zu sagen?<br />
Odä<br />
(wegsehend)<br />
Ja, <strong>Phaethon</strong>: An <strong>ein</strong>e lebenslange Pflicht bin ich<br />
gebunden.<br />
(<strong>Phaethon</strong> ansehend)<br />
Aber hindert das uns in unserer unsäglich tiefen,<br />
heißen Liebe?<br />
(ihn stürmisch liebkosend)<br />
So unverbrüchlich, wie ich dir hier m<strong>ein</strong> Wort<br />
gegeben habe, ist m<strong>ein</strong> Leben dir geweiht!<br />
Ja, m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong>, du sollst mich immer haben –<br />
bis auf diese kurze Tagesfrist, in der ich fort<br />
muss!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wer zwingt dich denn?<br />
Odä<br />
M<strong>ein</strong> Bruder, <strong>Phaethon</strong>!<br />
vor ihn treten und s<strong>ein</strong>e segnenden Hände auf<br />
unsere Häupter erflehen – und ich sage dir: er<br />
wird´s tun!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Versprichst du´s mir?<br />
Odä<br />
Gern sag´ ich´s ihm! Doch versprichst du mir<br />
auch, dass du mich ohne Murren und Misstrauen<br />
zu ihm gehen lässt?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ei ja doch! – Und dennoch, das spüre ich, ist dir<br />
d<strong>ein</strong> Herz unruhig, denn: Horch, leg´ ich m<strong>ein</strong><br />
Ohr an d<strong>ein</strong>en herrlichen Busen und lausche in<br />
all das Wogen hin<strong>ein</strong> dem Leben, dem wilden<br />
Pochen d<strong>ein</strong>es Herzens? ...<br />
Odä<br />
(s<strong>ein</strong> Haar streichelnd)<br />
Ist es nicht die Liebe, <strong>Phaethon</strong>, die so ungestüm<br />
die Freuden dieser Nacht ausläutet?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wie hast du mich beschenkt – in diesen kurzen<br />
Stunden! An dir erblüht die Jugend makellos!<br />
Dir ist das Leben gut: D<strong>ein</strong>er haut entströmt mir<br />
fieberheißes Glühen, auf d<strong>ein</strong>en Brüsten prangen<br />
köstliche Rubine – ach! Ich nasche sie dir gern<br />
herab!<br />
(Odä kleidet sich an)<br />
In d<strong>ein</strong>en schimmernden Armen, die so keck aus<br />
den Falten d<strong>ein</strong>es Gewandes hervorgrüßen,<br />
drängte ich m<strong>ein</strong>e Schultern, in d<strong>ein</strong>en<br />
Schenkeln prangt Erfüllung heißester Sehnsucht<br />
– der liebte nie, dem das nicht Liebe ist!<br />
Odä<br />
Ich mir dünken die Nächte, die vordem so<br />
nutzlos verstrichen sind, wie Diebstahl an dir!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong>e Hände suchen unablässig alle Rundungen<br />
d<strong>ein</strong>es Liebestempels, und m<strong>ein</strong>e Küsse gelten<br />
jedem Winkel d<strong>ein</strong>es Heiligtums!<br />
Odä<br />
Du tratest <strong>ein</strong>: Jetzt gehört er dir – nur dir! Aber<br />
nie darfst du dich mir opfern, <strong>Phaethon</strong>, sondern<br />
bleibe Priester, Wächter in der Stille!<br />
Verschweige der Welt das Heiligste in dir, denn<br />
sie neidet dir dieses Glück, und vor jedem<br />
Zweifel, den sie dir ins Herz zu listen sucht,<br />
komm zu mir!<br />
Kenne ich ihn?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wie kann ich zweifeln, wenn du bei mir bist!<br />
Odä<br />
Du wirst ihn kennen lernen. Ich bringe ihn dir<br />
nahe, sobald es die Zeit erlaubt, und wir werden<br />
Odä<br />
Wenn man jemals ahnt, wie sehr d<strong>ein</strong><br />
Lebensglück in unserer Liebe ganz beschlossen
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liegt, wird mancher Dieb bei der Nacht kommen<br />
und versuchen, dir d<strong>ein</strong>e r<strong>ein</strong>sten Gedanken,<br />
d<strong>ein</strong>e ungetrübte Gesinnung zu entwenden!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wo fänden sie jemals Einlass?<br />
Odä<br />
In eben diesem Geheimnis, das ich zunächst vor<br />
dir noch verborgen halten muss! Dort werden sie<br />
das Misstrauen zuerst ansäen, und hat es erst<br />
Wurzeln gefasst, wird es den Spalt von selbst<br />
vergrößern. Jahr um Jahr stärker, wird endlich<br />
d<strong>ein</strong> gequältes Herz nach m<strong>ein</strong>em ganzen Wesen<br />
fragen wollen. Solange es mir nicht gestattet ist,<br />
darf ich dir darauf k<strong>ein</strong>e Antwort geben.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich werde dich nicht mehr danach fragen.<br />
Odä<br />
Ach, <strong>Phaethon</strong>! – Ach, du bist ja auch <strong>ein</strong><br />
Sterblicher, der um Minuten bangt, weil er<br />
fürchtet, Jahre zu verlieren!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Bist du etwa nicht sterblich, Odä?<br />
Odä<br />
Was tut das hier? M<strong>ein</strong> Bild in dir wird nie<br />
verlöschen, und m<strong>ein</strong> Herz wird dich nie mehr<br />
loslassen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ist das <strong>ein</strong> Schwur?<br />
Odä<br />
Bei m<strong>ein</strong>em Bruder schwöre ich´s!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So schwöre ich dir: K<strong>ein</strong> and´res Mädchen soll<br />
mich je verführen können, an d<strong>ein</strong>er Treue zu<br />
zweifeln oder sie dir zu brechen!<br />
Odä<br />
Diesen Schwur will ich dir erleichtern: Du wirst<br />
auch nie mehr anders können!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Hast du so gewaltige Kraft? Du bist doch nicht<br />
gar Aphrodite?<br />
Odä<br />
(lächelnd)<br />
Das nun zwar nicht! Doch bevor ich dir<br />
begegnete, war ich <strong>ein</strong> unersättliches Weib, voll<br />
Gier nach männlicher Kraft. Da hörte ich endlich<br />
von d<strong>ein</strong>er aufblühenden Jugend. Täglich<br />
lauschte ich auf d<strong>ein</strong>e Stimme. Dann betrat ich<br />
das Haus d<strong>ein</strong>er Mutter, traf dich, weil ich dir<br />
endlich begegnen wollte. Als ich dir aber<br />
gegenüberstand, begann m<strong>ein</strong> Körper sich<br />
plötzlich auf wundervolle Weise in<br />
jungfräuliches Empfinden zurückzuentwickeln.<br />
Da spürte ich, dass du mir <strong>ein</strong> neues Leben zu<br />
schenken geschaffen warst. Ich beschloss, dir<br />
dieses Geschenk – nur dir all<strong>ein</strong> –<br />
zurückzugeben!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was mögen die Götter gewollt haben?<br />
Odä<br />
Ja, <strong>Phaethon</strong>: Nicht um m<strong>ein</strong>etwillen, sondern dir<br />
zu Ehren schuf <strong>ein</strong> Gott mich neu, obgleich ich<br />
lebte! Er wollte nicht d<strong>ein</strong> Unglück, d<strong>ein</strong> Leben<br />
lang <strong>ein</strong>e Frau suchen zu müssen, die es gar nicht<br />
geben könnte.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Womit sollte ich das verdient haben?<br />
Odä<br />
Das weiß ich nicht und will´s auch nicht<br />
ergründen. Bist du der Götter Freund, so dankst<br />
du es ihnen ohnehin täglich durch d<strong>ein</strong><br />
untadeliges Wesen. Grüble nicht: Lass´ es genug<br />
s<strong>ein</strong>!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sich ebenfalls ankleidend)<br />
Odä – Liebste! M<strong>ein</strong> Kopf ist voll von soviel<br />
Neuem, dass mich schwindeln möchte. Nun ist<br />
mit unserer Liebe auch der Mutter Sorge dahin.<br />
Odä<br />
Soll ich´s ihr sagen? So überrascht, möchte sie<br />
erstaunen. Du weißt, wir sind befreundet.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wir sagen es ihr beide, ja?<br />
Odä<br />
Hörst du die Vögel? Sieh, der Morgen graut. Ich<br />
muss nun fort zu m<strong>ein</strong>em Bruder. Heut´ abend<br />
komm ich wieder. Wirst du warten, Liebster?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Der Tag kriecht so fort wie die Schnecke, und<br />
jeder Blick saugt dich aus der Ferne herbei. Ach,<br />
wärest du doch immer noch näher als das<br />
schönste Jetzt!<br />
Odä<br />
Besänftige d<strong>ein</strong> stürmisches Drängen! Warte auf<br />
mich! Oder noch besser: Über Tag schon will ich<br />
zurück s<strong>ein</strong>, da können wir es Klymene auch<br />
zusammen berichten.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du göttliche Braut! Sehnsucht und Ungeduld<br />
sind m<strong>ein</strong>e neuen Geschwister!<br />
(Er umschlingt sie. Odä löst sich)
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Odä<br />
Jetzt muss ich fort! Leb´ wohl!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(noch <strong>ein</strong>en flüchtigen Blick mit ihr tauschend,<br />
ihr nachsehend)<br />
Leb´ wohl!<br />
Zweiter Auftritt<br />
(Im Garten der Klymene, fortgeschrittener<br />
Morgen. Odä wartend, Klymene kommt vom<br />
Hause)<br />
Klymene<br />
Du hast mich rufen lassen?<br />
Odä<br />
Mich nötigte die Pflicht, darum bin ich erst jetzt<br />
zurück.<br />
Klymene<br />
Ich denke, du hast jetzt <strong>ein</strong>e noch schwerere<br />
Pflicht zu tragen.<br />
Odä<br />
Sei nicht unmutig, Klymene: Diesmal ist es mir<br />
ernst!<br />
Klymene<br />
Was soll ich davon glauben? Du stiehlst mir<br />
m<strong>ein</strong>en Sohn - gut, das ist Mütter Los! Aber<br />
warum gerade er?<br />
Odä<br />
Er ist so kostbar, dass ich ihn für mich gewinnen<br />
musste!<br />
Klymene<br />
Du trugst ja jedes Kl<strong>ein</strong>od nicht sehr lange. Aber<br />
glaube mir: Das m<strong>ein</strong>ige wird sofort verblassen,<br />
sobald es s<strong>ein</strong>en Glanz mit anderen teilen muss!<br />
Odä<br />
Sieh her: An m<strong>ein</strong>en Fingern, selbst an m<strong>ein</strong>em<br />
Halse strahlt nichts mehr. Ich hab´ es tief bereut,<br />
seit ich d<strong>ein</strong>en Sohn liebe! M<strong>ein</strong>e Seele ist<br />
seitdem ruhig und fest geworden. Klymene: Ich<br />
raube ihn nicht, ich liebe ihn!<br />
andere. Doch nicht dies Kind – kaum zum<br />
Jüngling erwachsen!<br />
Odä<br />
Klymene! Er ist sehr hoch, sehr ernst – <strong>ein</strong>e<br />
große Seele! Ich will sie nicht entheiligen –<br />
glaub´ mir doch!<br />
Klymene<br />
Wie dann? Willst du ihm etwas Kinder gebären?<br />
Weißt du, was d<strong>ein</strong> Bruder dazu sagen wird,<br />
wenn er´s erfährt? Dieses Verhältnis darf doch<br />
das Licht des Tages nicht sehen! Ihr müsst doch<br />
beide die ganze Wahrheit scheuen! Oh, Zeus!<br />
Das kann nie gut gehen! Du forderst <strong>ein</strong>e<br />
Katastrophe heraus, aber du kannst und kannst<br />
nie satt werden, nicht wahr?<br />
Odä<br />
Da er mich liebt wie ich ihn, kann ihm nichts<br />
geschehen.<br />
Klymene<br />
Nichts? Ja, gerade darum wird er unglücklicher<br />
s<strong>ein</strong> als alle Unfruchtbaren! Du solltest wissen,<br />
dass sich jeder Gatte Kinder wünscht, dass er mit<br />
ihnen, selbst alternd, neues Leben aus der Jugend<br />
saugt, dass er ihnen alle männliche Fürsorge<br />
angedeihen lassen möchte, dass er spüren will,<br />
wie sie heranwachsen, dass er alle Kraft für sie,<br />
für ihr Wohl <strong>ein</strong>setzen wird – und um dies Glück<br />
willst du m<strong>ein</strong> Kind betrügen?<br />
Odä<br />
Ich schenke ihm <strong>ein</strong> lichteres Glück!<br />
Klymene<br />
Zwar weiß ich nicht, womit du <strong>ein</strong>es Menschen<br />
menschlichste Sehnsüchte betäuben willst, aber<br />
du kannst ihm nicht das Leben auf dieser Erde<br />
entziehen und vor d<strong>ein</strong>es Bruders Augen<br />
verhätscheln und wie <strong>ein</strong>e Gottheit prahlen! Er<br />
taugt zu solcher Allmacht nicht, auch wenn er<br />
Helios´ Sohn ist! Er ist zuerst und bis zuletzt <strong>ein</strong><br />
Mensch, und - - ach, ich flehe dich an: Gib mir<br />
diesen <strong>ein</strong>zigen Sohn zurück, ehe er s<strong>ein</strong><br />
namenloses Unglück begreift!<br />
Ich kann nicht!<br />
Odä<br />
Als Braut?<br />
Klymene<br />
Klymene<br />
Soll ich ihm sagen, wer du wirklich bist?<br />
Odä<br />
Ja, liebste Mutter: als Braut – wie anders?<br />
Klymene<br />
Ich bitte dich: Verspotte nicht die Empfindungen<br />
<strong>ein</strong>es Menschen, der aus r<strong>ein</strong>em Herzen liebt!<br />
Such´ dir zu d<strong>ein</strong>en Spielen dutzendweise<br />
Odä<br />
Du bist von allen Weibern doch auch nur <strong>ein</strong><br />
Weib! Wag´s nicht, mich zu verraten!<br />
Klymene<br />
Vor m<strong>ein</strong>em eigenen Unheil ist mir doch nicht<br />
bange! S<strong>ein</strong> Leben ist´s, worum ich zitt´re!
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Odä<br />
Du raubst mir m<strong>ein</strong>e Liebe und <strong>ein</strong> neues Leben!<br />
Klymene<br />
Wenn du ihn liebst, so gib ihn auf – noch jetzt –<br />
noch hier!<br />
Odä<br />
Auch wenn ich müsste: Ich kann nicht!<br />
Klymene<br />
Schenk´ mir den Sohn – schenk´ mir auch die<br />
Tränen <strong>ein</strong>er Freundin!<br />
Odä<br />
Du ahnst nicht, was du willst! Du forderst<br />
Treuebruch und unnennbaren Jammer! Mit<br />
welchen Werten wiegst du´s auf?<br />
Klymene<br />
Mit <strong>ein</strong>em menschlich langen Leben m<strong>ein</strong>es<br />
Sohnes, im Arme <strong>ein</strong>er Sterblichen, nichts mehr<br />
– nichts weniger!<br />
Odä<br />
Klymene, weißt du denn immer noch nicht, dass<br />
es unausschöpfliche Dinge gibt, für die <strong>ein</strong><br />
langes Leben zu kurz ist?<br />
Klymene<br />
(jammernd)<br />
Du kennst die Neigungen der Lichtgeborenen zu<br />
gut! Du hast es schon zu weit getrieben, fürchte<br />
ich, so dass er dir nicht mehr entgegen kann!<br />
(Odä senkt schweigend das Haupt)<br />
So ist es schon geschehen? Er war heut´ nacht<br />
bei dir?<br />
(Odä nickt)<br />
So muss er fort von hier. Und du, versprich mir<br />
abzuwarten, bis s<strong>ein</strong>e Glut sich abgekühlt hat! –<br />
Du wirst ihm nicht mehr dorthin folgen?<br />
Odä<br />
(mit den Tränen kämpfend)<br />
Und wenn´s m<strong>ein</strong> Unglück ist: Ich folg´ ihm<br />
dorthin nicht!<br />
Klymene<br />
Hoffst du nicht, er werde, entflammt für dich wie<br />
diese Nacht, auf d<strong>ein</strong>e Umarmung warten, sobald<br />
er zurück ist?<br />
(Odä sieht zur Seite)<br />
Dacht´ ich´s doch! Wie leicht du doch zu erraten<br />
bist! Du könntest in mir sogar Mitleid erregen.<br />
Odä<br />
(ihr Gesicht verbergend)<br />
Ich bin bestimmt, durch <strong>Phaethon</strong> gut zu s<strong>ein</strong>. Du<br />
nimmst mir m<strong>ein</strong>e Seligkeit, du harte Törin –<br />
nichts weniger als dies!<br />
Klymene<br />
- Durch <strong>Phaethon</strong> gut? Das allerdings wusste ich<br />
nicht. Was heißt das? Bist du dadurch anders?<br />
Odä<br />
Du ringst um d<strong>ein</strong>en Sohn und weißt nicht, wer<br />
er ist?<br />
Klymene<br />
Du redest sonderbar. Was m<strong>ein</strong>st du – sag´ es<br />
mir!<br />
(Odä schüttelt das Haupt)<br />
Bin ich´s nicht wert? Ich bin doch s<strong>ein</strong>e Mutter!<br />
Odä<br />
Du wirst die frisch gegrab´ne Quelle frevelnd zu,<br />
Klymene – warum begreifst du das denn nicht?!<br />
Klymene<br />
Weil ich die Welt, die <strong>Phaethon</strong>s Jugend steuert,<br />
mit s<strong>ein</strong>en Augen sehe, nicht mit d<strong>ein</strong>en! Was<br />
dich gleichgültig lassen könnte, dürfte ihn bereits<br />
zerstören, denkst du nicht?<br />
Odä<br />
D<strong>ein</strong> Blick ist menschlich wohl geschärft, aber<br />
d<strong>ein</strong> Herz ist <strong>ein</strong>e Falle.<br />
Klymene<br />
Lass´ uns doch Einigung darin erstreben, dass ich<br />
uns <strong>Phaethon</strong> für geraume Zeit fortschicke.<br />
Kommt er wieder, wie er gegangen, nun, bei<br />
Helios, gehört er s<strong>ein</strong>em Unglück. Sonst aber –<br />
und ich prüfe s<strong>ein</strong> Herz genau! – betrittst du<br />
niemals wieder s<strong>ein</strong>e Lebensnähe!<br />
Odä<br />
Nur so darf ich noch hoffen?<br />
Klymene<br />
Es geht all<strong>ein</strong> zu d<strong>ein</strong>en Lasten, wenn hier etwas<br />
geschieht, was ihn unglücklich machen sollte!<br />
Odä<br />
Dann rede ich noch jetzt mit ihm!<br />
Klymene<br />
Nicht <strong>ein</strong> Wort mehr! Willst du das ganze<br />
verschlimmern? – N<strong>ein</strong>, fürchte nichts: S<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern, s<strong>ein</strong> Freund und ich werden uns um<br />
ihn kümmern.<br />
Odä<br />
(im Widerstreit ihrer Gefühle, endlich zu<br />
Klymene)<br />
Die Grenzen sind im Fluss: Alles ist im Wandel<br />
begriffen. Wo nicht, war s<strong>ein</strong> Leben umsonst! –<br />
Du hältst das Lichtgewohnte nicht im Schatten:<br />
Du musst es erst auslöschen!<br />
(Sie wendet sich und geht; auch Klymene geht,<br />
sinnend, zum Hause zurück)
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Dritter Auftritt<br />
(<strong>Phaethon</strong> kommt Klymene entgegen; sie kehren<br />
beide in die Mitte der Szene zurück.)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ist es nun Zufall, ist es höhere Fügung? Dich<br />
suchte ich, Mutter, und finde dich auf´s erste<br />
schon hier!<br />
(Sie küssen <strong>ein</strong>ander die Wange)<br />
Klymene<br />
Ja, du deutest insgeheim richtig: Ich bin in<br />
Sorge!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mich dagegen versieht das Glück mit Flügeln an<br />
den Füßen. Ich muss dir´s gleich sagen, Mutter:<br />
Ich liebe Odä!<br />
Klymene<br />
Du bist – so lauter ist d<strong>ein</strong> Herz – k<strong>ein</strong> Mann der<br />
f<strong>ein</strong>en Gespinste. So bin auch ich offen: Ich hab´<br />
es gerade auch erfahren.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mutter, du verwirrst mich!<br />
Klymene<br />
Sie war hierher zurückgekommen, um mich<br />
rufen zu lassen. Und sie hat es mir gestanden,<br />
dass ihr euch in dieser Nacht –<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
- im Brautbett umarmten – ja, Mutter!<br />
Klymene<br />
Schien dir die Zeit des Prüfens schon zu lange?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie ist wie ich: Ich weiß ja auch nicht, woher sie<br />
kommt, aber ihr Wesen ist so ohne Falsch, so<br />
licht ...!<br />
Klymene<br />
Und doch vielleicht <strong>ein</strong> wenig leichter als<br />
d<strong>ein</strong>es? Woher willst du wissen, dass du der erste<br />
und <strong>ein</strong>zige bist, der ihr Leben bestimmt?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nun, dass ich nicht der erste bin, bestreitet sie ja<br />
nicht. Doch sagte sie mir frei, dass ich ersehen<br />
sei, ihr Leben neu zu formen. Warum? Sie weiß<br />
es auch nicht.<br />
Klymene<br />
So redete sie auch zu mir. Was kann sie damit<br />
wollen? Nun gut: Es mag die Wahrheit s<strong>ein</strong>. –<br />
Du liebtest sie in dieser Nacht in allem?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
In allem, was die Liebe noch übrig gelassen<br />
hatte, die mir aus den Augen sprach, seit ich sie<br />
das erstemal sah, und mir im Herzen brannte -–<br />
und diese Nacht war die Vollendung.<br />
Klymene<br />
War´s nicht auch Erfüllung?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mutter! Hoffst du auf <strong>ein</strong> Ende – wenn auch <strong>ein</strong><br />
glückliches – wo ich vom Beginn träume? Das<br />
Ende hiervon kann nur schrecklich s<strong>ein</strong>!<br />
Klymene<br />
Lass´ gut s<strong>ein</strong>, liebster <strong>Phaethon</strong>! Du bist mir<br />
<strong>ein</strong>zig verblieben, dass du´s weißt: Auch mir war<br />
jene Nacht mit Helios, d<strong>ein</strong>em Vater, Erfüllung!<br />
Danach begehrte ich k<strong>ein</strong>en Mann wieder. Er<br />
hätte mich nur verletzen können.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du sprichst wie im Vergleich: Als wäre Odä <strong>ein</strong>e<br />
Göttin!<br />
Klymene<br />
Dünkt uns das Liebste – die Liebste nicht <strong>ein</strong>e<br />
Göttin für die <strong>ein</strong>e Nacht, und stiehlt das Altern<br />
uns nicht später so manche unsterblich<br />
anmutende Hoffnung?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Den Kummer such´ ich nicht! Ich will m<strong>ein</strong><br />
kostbares Glück in Händen wissen, in m<strong>ein</strong>en<br />
Händen, um ihre Glieder, ihre Brüste<br />
umschmeichelt zu wissen, Mutter. Wer verbietet<br />
das?<br />
Klymene<br />
K<strong>ein</strong> Sterblicher soll dir jemals diese Glück<br />
neiden, wenn du es für dich behältst. – Doch jetzt<br />
<strong>ein</strong> dringendes Geschäft: Willst du mit <strong>ein</strong>er<br />
teuren Botschaft, mit <strong>ein</strong>em Brief zu guten<br />
Freunden reisen? Es wird über <strong>ein</strong>e Woche<br />
dauern, auch länger, wenn es dir gefällt. Ein<br />
Freund des Vaters lebt mit s<strong>ein</strong>en Kindern in<br />
ländliche Stille hinter schwer zugänglichen<br />
Pässen. Es braucht den Boten, braucht den Mann.<br />
Willst du mir diese Liebe tun?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Oh, Mutter, du vertraust mir solche Botschaft<br />
an? Sieh, ich bin jung, unerfahren – ich zögere ja<br />
nicht, aber all<strong>ein</strong>?<br />
Klymene<br />
Ich habe schon an Philos gedacht und werde ihn<br />
bitten, sobald er kommt. Wie ich ihn kenne, leiht<br />
er uns den Arm, das Schwert, den klugen Sinn<br />
und s<strong>ein</strong>e unbeugsame Treue gern.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(abseitig)<br />
Für <strong>ein</strong>e Woche! Ist das lange für Menschen, die<br />
sich lieb haben?
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Klymene<br />
Sie hat gelobt, hier auf dich zu warten. Wie du<br />
zurückkommst, ist sie schon bei dir!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dann will ich gleich alle Vorbereitungen treffen.<br />
Sag´ Odä, dass ich mich beeilen werde. Ich will<br />
so schnell zurückkehren, wie es Weg und<br />
Witterung erlauben.<br />
Klymene<br />
(auf Stimmen lauschend vom Hause her)<br />
Schon recht!<br />
(<strong>Phaethon</strong> ab)<br />
Vierter Auftritt<br />
(Philos tritt auf)<br />
Philos<br />
Grüß dich, Klymene! Mutter m<strong>ein</strong>es Freundes<br />
<strong>Phaethon</strong>!<br />
Klymene<br />
Warum so förmlich? Verzeih mir die Eile, aber<br />
sie ist geboten!<br />
Philos<br />
Zu helfen komm´ ich gern!<br />
Klymene<br />
Es handelt sich um <strong>Phaethon</strong>. Er rüstet sich<br />
soeben in hast, für mich <strong>ein</strong>e Botschaft weit von<br />
hier dem Freundes s<strong>ein</strong>es Vaters zu überbringen.<br />
All<strong>ein</strong> wagt er die Reise noch nicht. Willst du ihn<br />
begleiten, Philos?<br />
Philos<br />
Ich brenne schon darauf!<br />
Klymene<br />
Dann versorge auch du dich sogleich durch<br />
m<strong>ein</strong>e Dienerschaft mit allem, was du nötig hast:<br />
Du sollst noch mehr erhalten, als du fordern<br />
magst.<br />
Philos<br />
Nicht der Inhalt der Botschaft macht die Reise so<br />
dringend - ?<br />
Klymene<br />
Was denkst du? Forderst du –<br />
Philos<br />
O n<strong>ein</strong>, Klymene – so deutest du mich falsch!<br />
Klymene<br />
Du ahnst doch <strong>ein</strong>e – List, nicht wahr? – Ja,<br />
Philos, ich kann und darf dich nicht belügen:<br />
<strong>Phaethon</strong> muss so schnell wie irgend denkbar<br />
von hier weg!<br />
Philos<br />
Weiß ich den Grund, könnte ich die Medizin, die<br />
du schon mischtest, mit Bedacht verabreichen.<br />
Wovon willst du ihn heilen?<br />
Klymene<br />
Ich sehe wenig Hoffnung: Er ist verliebt, wo er<br />
nicht lieben durfte!<br />
Philos<br />
Er tat Verruchtes? N<strong>ein</strong>, das glaub´ ich nicht!<br />
Klymene<br />
So sagt´ ich nicht! N<strong>ein</strong>, er liebt Odä.<br />
Philos<br />
Sie war – zu Gast? – Wohl gar gegen ihren<br />
Willen? Auch dies kann niemals s<strong>ein</strong>!<br />
Klymene<br />
Dass er sie liebt, ist wohl nicht so gefährlich wie<br />
die Entdeckung, die ich fürchte.<br />
Philos<br />
So weißt du mehr als er?<br />
Klymene<br />
Natürlich! Aber auch dir darf ich nichts<br />
offenbaren. An m<strong>ein</strong> Wort bin ich gebunden,<br />
aber ich kann noch diesen Ausweg wählen.<br />
Gelingt es dir nun, <strong>Phaethon</strong> für <strong>ein</strong>e jener<br />
schönen Töchter zu gewinnen, deren Vater euch<br />
langfristige Gastfreundschaft gewähren wird, so<br />
könnte die Gefahr gebannt s<strong>ein</strong>. Denn m<strong>ein</strong> Sohn<br />
ist Sterblicher wie du.<br />
Philos<br />
Heißt das, Odä ist <strong>ein</strong>e -?<br />
Klymene<br />
Dies ist die Wahrheit!<br />
Philos<br />
Oh Götter!<br />
(Er verbirgt s<strong>ein</strong> Angesicht)<br />
Nur Spielball also ihrer Launen!<br />
Klymene<br />
Das eben glaub´ ich wieder nicht!<br />
Philos<br />
Du m<strong>ein</strong>st, sie handelt ernst?<br />
Klymene<br />
Sie ist bereit, die Bindung durchzusetzen. – M<strong>ein</strong><br />
Sohn: Gespött des Olymps – ich will es nicht<br />
ertragen müssen! – Hör, Philos: Mach <strong>ein</strong> Ende –<br />
hilf ihm! <strong>Phaethon</strong> hat das Menschlichste<br />
verdient. Es ist genug, dass ihn <strong>ein</strong> Gott gezeugt!<br />
Philos<br />
(bestürzt)<br />
Edle Mutter, ja, ich will ihm helfen!
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Klymene<br />
Lass´ dir die Stirne küssen!<br />
(Es geschieht)<br />
Zelot<br />
Man sagt, er sei dem Licht verwandt.<br />
Philos<br />
Du ehrst mich wie d<strong>ein</strong>en eigenen Sohn!<br />
(Beide merken auf: Es treten die Geführten des<br />
<strong>Phaethon</strong> in den Garten)<br />
Fünfter Auftritt<br />
Klymene<br />
So unverhofft am Morgen? Ich grüße euch!<br />
Philotinos<br />
Wir danken dir für d<strong>ein</strong>en Gruß – auch euch –<br />
auch Philos, unserem seltsamen Gefährten!<br />
Philos<br />
Zuerst selten, jetzt seltsam – was fehlt euch noch<br />
an mir?<br />
Eines jeden Geschäft fordert den Handelnden an<br />
den richtigen Platz, nicht wahr?<br />
Pleon<br />
Hoffentlich bringt er jedem das <strong>ein</strong>, was er<br />
verdient hat!<br />
Philos<br />
Nun, Pleon, ich nehme euch so leicht nichts weg.<br />
Anphit<br />
Im Gegenteil: Man spürt, was dir an uns nicht<br />
gefällt, und das wirfst du achtlos hin.<br />
Philos<br />
So dünk´ ich euch? Das tut mir leid!<br />
Anphit<br />
Damit noch nicht genug, enthältst du uns den<br />
Freund <strong>Phaethon</strong> vor. Wir vermissen ihn sehr!<br />
Philos<br />
Als ihn ihn das letztemal sprachet, kam er sich<br />
k<strong>ein</strong>eswegs wie das Salz in der Suppe vor.<br />
Philotinos<br />
Er ist <strong>ein</strong> edler Mann, und der Umgang mit ihm<br />
veredelt auch unser leichtes Gemüt, sollte man<br />
m<strong>ein</strong>en.<br />
Klymene<br />
Du sprichst m<strong>ein</strong>em Sohne großes Lob aus.<br />
Philotinos<br />
Doch, in der Tat, er ist <strong>ein</strong> würdiger Sohn d<strong>ein</strong>es<br />
Mannes.<br />
Klymene<br />
Ihr tut auch mir Ehre an. Habt ihr <strong>ein</strong>en<br />
besonderen Grund?<br />
Klymene<br />
Der Mensch ist im allgem<strong>ein</strong>en k<strong>ein</strong> Maulwurf,<br />
der die Finsternis lieben muss – soweit hast du<br />
recht. Aber das, denke ich, sollte doch die<br />
Eigenschaft aller aufrechten, ehrlichen Männer<br />
s<strong>ein</strong>!<br />
Pleon<br />
Da ist <strong>ein</strong> Unterschied, ob jemand von Hause aus<br />
mit <strong>ein</strong>er Laterne oder mit der Sonne ausgestattet<br />
ist.<br />
Zelot<br />
Ein Vorrecht der Geburt außerdem, wenn der<br />
Vater über <strong>ein</strong>en Einfluss verfügt, der nichts<br />
verborgen lässt und damit dem Sohne alle Tore<br />
öffnet, um ihn zum Edelsten, R<strong>ein</strong>sten, Lautersten<br />
ausrufen zu lassen!<br />
Anphit<br />
Und wir Narren hatten geglaubt, er sei aus sich<br />
selbst schon fast <strong>ein</strong> Heiliger!<br />
Klymene<br />
Was bedeuten diese Erkenntnisse – diese<br />
Anschuldigungen?<br />
Apolausis<br />
Anfangs kamen wir, um uns an der<br />
Jungfräulichkeit s<strong>ein</strong>er Schwestern zu ergötzen.<br />
Aber dann stellten wir fest, dass es ja in d<strong>ein</strong>em<br />
Hause, edle Klymene, k<strong>ein</strong>e Menschen mehr gibt<br />
– nur unantastbare Heiligtümer, und dass man<br />
besonders den Bettlern die Tür weist. Nun<br />
verstehen wir d<strong>ein</strong>e gemessene Gastfreundschaft<br />
etwas tiefer, nicht wahr, Genossen?<br />
Klymene<br />
Ihr zweifelt an m<strong>ein</strong>em Hause?<br />
Anphit<br />
Nicht doch! Aber wir halten es für verständlich,<br />
dass man den niederen Kreaturen weniger<br />
Beachtung schenkt, wenn man mit den Göttern<br />
so eng verwandt ist. Was ist denn schon dabei?<br />
Ist es nicht sogar sehr menschlich, Fehler zu<br />
begehen?<br />
Philos<br />
Freund, zähme d<strong>ein</strong>en Spott! Dies ist gegen die<br />
Gastlichkeit dieses Hauses! Aber ihr hofftet, <strong>ein</strong><br />
feiles Weib – <strong>ein</strong>em jeden <strong>ein</strong>es – zu ergattern,<br />
und dabei klopften sie euch auf die<br />
ausgestreckten Krallen, was? So nehmt ihr Urteil<br />
getrost an und sucht euch anderswo Gelegenheit,<br />
statt das Ohr <strong>ein</strong>er vornehmen Frau mit eurem<br />
neidischen Gezänk zu beleidigen!
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Anphit<br />
Willst du mich fordern?<br />
Klymene<br />
Halt! K<strong>ein</strong> blankes Schwert in m<strong>ein</strong>em Garten<br />
ohne m<strong>ein</strong>e Befugnis! Sagt, was ihr wollt, dann<br />
geht!<br />
Anphit<br />
Verzeih – der Gimpel forderte mich zum Zorn.<br />
Aber ja – was wollten wir? Wir hätten gern den<br />
teuren Sohn gesprochen!<br />
Zelot<br />
Ja, teuer ist er uns gewesen. Nun sind wir ihm zu<br />
billig, so dass er uns nicht mehr sehen will?<br />
Klymene<br />
An s<strong>ein</strong>em Charakter hat bislang niemand<br />
Zweifel erhoben. Ihr seid die ersten. Ich selbst<br />
werde <strong>Phaethon</strong> holen. Doch wehe dem, der<br />
s<strong>ein</strong>e Waffe zückt im Zorn! In m<strong>ein</strong>em Garten<br />
wird k<strong>ein</strong> Blut vergossen!<br />
Pleon<br />
Schätzt du uns <strong>ein</strong> wie Räuber oder Mörder?<br />
Klymene<br />
M<strong>ein</strong> Urteil ist euch aufgehoben, bis dies hier<br />
vorüber ist. Doch wenn ich´s fälle, seid darauf<br />
gefasst, wie es euch ereilt!<br />
Zelot<br />
Das war unmissverständlich! Nun, wir beugen<br />
uns der lichten Macht!<br />
(Gelächter der fünf)<br />
(Klymene, zweifelnd, unschlüssig ab; ihr<br />
entgegen kommt bereits <strong>Phaethon</strong>, und Mutter<br />
und Sohn wechseln leise Worte.<br />
<strong>Phaethon</strong> küsst die Fortgehende, dann kommt er<br />
heran)<br />
Sechster Auftritt<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Grüß euch, Genossen!<br />
(Die fünf in übertriebener Ehrerbietung,<br />
zusammen)<br />
Die Genossen<br />
Gegrüßet seist du, Sohn des Helios!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ach, das ist´s, was euch juckt ...? Beleidigt ihr<br />
darum die Mutter? Wo sind die angelernten<br />
vornehmen Sitten? Kneift euch der schwarze<br />
Hass die Sonnenstrahlen ab? Nun, wollt ihr mich<br />
verhöhnen, wie? – Ach, Freunde, trinkt mit uns<br />
wie altgewohnt den Becher in heiterer Runde –<br />
mehr nicht! Was wollt ihr noch?<br />
Zelot<br />
Wie – das errätst du immer noch nicht? Wir<br />
wollen dir huldigen, dir die Knie umfangen, dich<br />
bitten, uns bei den Kampfspielen den Sieg vom<br />
Throne d<strong>ein</strong>es Vaters zu erbitten! Wir ehren<br />
dich, wir wollen jetzt von dir lernen, wie man<br />
Helios verehrt, wenn man verschwitzt im<br />
Schatten dörrt und flucht!<br />
(Gelächter der fünf)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Das wollt ihr wissen?<br />
Zelot<br />
Ja, erhab´ner Meister! Sagst du´s uns?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Warum denn nicht? Ei, geht doch selbst zur<br />
Sonnenburg des Gottes Helios, erfragt bei ihm,<br />
wie man die allgefällige Demut lernt! Denn was<br />
ich euch zu sagen hatte, habt ihr mir seit jeher<br />
verübelt und als unbequem oder knechtisch<br />
verhöhnt. Nun fragt ihr mich als Sohn des<br />
Gottes, aber habe ich ihn vorher gefragt? Ich<br />
weiß es, was ich weiß, aus m<strong>ein</strong>em Herzen, und<br />
m<strong>ein</strong>e Schwestern prüfen, ob es gut gesonnen ist.<br />
Von Helios weiß ich, wie ihr, von frommen<br />
Gerüchten. Das half mir wenig, und es wird auch<br />
euch nichts nützen.<br />
Philotinos<br />
So denkst du nicht – das redet d<strong>ein</strong>e Zunge!<br />
Warum hängt sich Philos an dich wie <strong>ein</strong>e<br />
Klette? Was weiß – was ahnt er mehr als wir?<br />
Apolausis<br />
Hast du nicht bei manchem Gastmahl von<br />
unserer Tafel ohne Murren alle Genüsse<br />
bekommen? Vergisst du d<strong>ein</strong>e Freunde so<br />
schnell, dass du dich nicht <strong>ein</strong>mal scheust, sie<br />
dem Geschwätz unerzogener Weiber auszusetzen?<br />
N<strong>ein</strong>, du hast die Hand geschlagen, die<br />
dir den W<strong>ein</strong>kelch darreichte, und d<strong>ein</strong>e Ohren<br />
verstopftest du vor dem freundlichen Gesang<br />
d<strong>ein</strong>er Freunde. Du bist <strong>ein</strong> Verräter der Tafel,<br />
der Sitten und Gebräuche d<strong>ein</strong>es Volkes, und du<br />
hast sogar geduldet, dass man zwei ehrfürchtig<br />
Bittende mit dem Schwerte aus dem Hause<br />
d<strong>ein</strong>er Mutter vertrieben hat. Pfui, <strong>Phaethon</strong>,<br />
Helios´ Sohn! Zeige uns durch <strong>ein</strong>e veränderte<br />
Lebensart, dass wir Unrecht haben sollen, sonst<br />
machen wir dich zum Gespött ganz<br />
Griechenlands!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(nach <strong>ein</strong>igem Besinnen)<br />
Es nützt wohl nichts, wenn ich den Sachverhalt<br />
richtig stelle und den Missverständnissen<br />
entgegentrete. Ihr wollt ja nicht verstehen,<br />
sondern ihr wollt Rache! Ihr stellt mir<br />
Forderungen? -–Gut denn: Auch ich werde<br />
<strong>ein</strong>em jeden von euch den Weg weisen, den er
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durch s<strong>ein</strong> Herz zu gehen gezwungen ist. Wenn<br />
ich dann fertig bin, geht ruhig und ungekränkt<br />
fort, wenn ihr´s überhaupt fertig bringt, und lasst<br />
uns unserer Wege ziehen. Denn ich verlasse<br />
diesen Ort noch heute.<br />
Anphit<br />
- gehst fort? Wohin?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich gehe in gewichtiger Botschaft m<strong>ein</strong>er Mutter.<br />
Es hat mit euch zwar nichts zu tun, aber ihr habt<br />
mir den Abschied sehr leicht gemacht.<br />
Zelot<br />
Ach, armer <strong>Phaethon</strong>! Bist du so gekränkt?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wenn du mich so fragst: nicht mehr!<br />
Zelot<br />
Was ärgert dich denn an mir?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wo je sich <strong>ein</strong>e Gem<strong>ein</strong>schaft findet, Zelot, wird<br />
es dich geben! In jeder Gruppe findet sich <strong>ein</strong><br />
Liebling aller -–und schon trittst du aus dem<br />
Heiligtum der Freundschaft und schlägst dich ins<br />
Dickicht d<strong>ein</strong>es Neides, d<strong>ein</strong>er Missgunst, d<strong>ein</strong>er<br />
Eifersucht! Sie lassen k<strong>ein</strong>e Freundschaft<br />
ungeschoren; von allem willst du ja nur den<br />
innersten Teil für dich, und ohne Erbarmen stürzt<br />
du die Freunde ins Verderben, wenn du nur den<br />
Preis bekommst, Liebling des Vornehmsten zu<br />
s<strong>ein</strong>. Aber du verlierst nicht nur diesen Gönner,<br />
sondern alle. Überall wirst du ahne Anker<br />
verweilen, du bist heimatlos und ohne Wohltaten<br />
der Liebe, die du so mit Füßen getreten hast.<br />
Pleon<br />
Hei, Zelot, hat er´s dir gegeben?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du hoffst, Pleon, dass ich ihn vernichten könnte,<br />
damit du s<strong>ein</strong>en Beuteanteil mitbekommst? Aber<br />
du bist von allen der Unverschämteste! Was du<br />
erblickst, muss dir gehören. Aber ohne den Wert<br />
des Geraubten überhaupt zu erkennen, häufst du<br />
ihn zum Gefühl, Sieger zu s<strong>ein</strong>. Du willst nicht<br />
m<strong>ein</strong>e Freundschaft, sondern m<strong>ein</strong>es Lebens<br />
Äußeres, du hoffst auf Glanz, der auch für dich<br />
noch reiche. D<strong>ein</strong>e lüsternen Augen lieben den<br />
Reichtum, ohne damit sinnvoll wirtschaften zu<br />
wollen. Aus d<strong>ein</strong>en Händen sprießt k<strong>ein</strong>e<br />
Wohltat, sondern Armut, Elend und Schrecken.<br />
Apolausis<br />
Das kannst du mir gewiss nicht nachsagen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Unter den fünf angesehensten Söhnen dieser<br />
Stadt hier bist du, Apolausis, das erbärmlichste<br />
Wesen! – Halte die Hand vom Dolche: Dich will<br />
ich nicht zu Tode treffen, sondern dir nur d<strong>ein</strong>e<br />
Maske abreißen. Du bist <strong>ein</strong> Mensch ohne<br />
Bindung zu jeder Lehre der Sittlichkeit. Dir zählt<br />
der Vorteil nur die augenblicklichen Genüsse,<br />
nur die Befriedigung d<strong>ein</strong>er Begierden in den<br />
Schoß, und niemand kann dich lehren, sie<br />
geringer zu achten als das Wahrhaftige d<strong>ein</strong>er<br />
Seele, das du zu ersticken dich täglich mühst!<br />
Schön bist du von Hause aus – aber die Laster<br />
werden die Folgen d<strong>ein</strong>er Wollust in d<strong>ein</strong>en<br />
Zügen schonungslos offenbaren. Du hast den<br />
Vorzug, jung zu s<strong>ein</strong>, längst verschleudert, und<br />
man wird sich später voller Grauen von dir<br />
abwenden. Du kannst mich dauern, Apolausis!<br />
Philotinos<br />
Ist dies alles, was du uns zu sagen hast?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wenn ihr mir´s widerlegen könnt, so mögt ihr<br />
jetzt reden. Wenn nicht, so geht. Ich will mit<br />
Anphit noch <strong>ein</strong> Letztes klären. Verzeiht, wenn<br />
ich euch bitten muss, mich mit ihm all<strong>ein</strong> zu<br />
lassen.<br />
Zelot<br />
Du hast uns hart verklagt!<br />
Pleon<br />
Einer gegen fünf: Denkst du, unserer Rache zu<br />
entgehen?<br />
Apolausis<br />
Nichts teile ich mit dir!<br />
Philotinos<br />
Du wirst d<strong>ein</strong> Urteil noch bereuen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mit Groll auf immer mögt ihr mich verlassen?<br />
Bin ich denn fehlerfrei? Aber ihr habt mich<br />
herausgefordert, und ich habe euch pariert. Seid<br />
ihr so schlechte Verlierer? Sagt wenigstens<br />
Lebewohl!<br />
(Die vier gehen stumm und ohne Zeichen des<br />
Abschieds)<br />
Anphit<br />
Zur Sache denn! Dass du in Philos jenen Freund<br />
gefunden hast, der diese hässlichen Charaktere<br />
nicht in sich ver<strong>ein</strong>igt, weiß ich nun. Dennoch<br />
bin ich nicht sicher, ob er ihr Gegenteil<br />
verkörpert. Du kennst ihn weniger als uns. Mit<br />
uns bist du aufgewachsen, mit ihm erst seit<br />
wenigen Tagen befreundet.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich weiß! Aber m<strong>ein</strong> herz sagt mir, was ich<br />
wissen muss. Ich bin mir völlig sicher.
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Anphit<br />
Sagst du das nun als Helios´ Sohn?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Hab´ ich mich verändert, seit es mir m<strong>ein</strong>e<br />
Mutter gestern gesagt hat?<br />
Anphit<br />
Wusstest du nichts – all die Jahre nichts?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Bei m<strong>ein</strong>em Vater – n<strong>ein</strong>!<br />
(lächelnd)<br />
Anphit<br />
Zwar hast du dich in nichts geändert – du hast –<br />
die Brücken d<strong>ein</strong>er Kindheit soeben <strong>ein</strong>gerissen,<br />
ja, das ist anders und neu. Aber das kann auch<br />
verborgene Gründe haben. Ich hörte, du habest<br />
<strong>ein</strong>e Geliebte gefunden?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Auf dem Dorfe bleibt wohl nichts geheim? –<br />
Aber es tut nichts zur Sache!<br />
Anphit<br />
Vielleicht doch? M<strong>ein</strong>st du nicht, dass dich das<br />
zum Manne hat reifen lassen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So über Nacht? Das glaub´ ich nicht.<br />
Anphit<br />
Dir mag es selber nicht auffallen, aber Philos<br />
kann bestätigen, was ich sehe.<br />
Philos<br />
Du wirkst entschlossener, auch wagemutiger.<br />
Das liegt sicher am Ausmaß d<strong>ein</strong>er<br />
Verantwortung, <strong>Phaethon</strong>.<br />
Wie?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos<br />
Dir wurde zweierlei bewusst: Du bist, das weißt<br />
du erst seit gestern abend, der Sohn Helios´, und<br />
alles andere, was daraus folgen muss, ist dir<br />
sofort klargeworden. Noch in der gleichen Nacht<br />
hast du dich für jenes Mädchen entschieden. S<strong>ein</strong><br />
Name tut nichts zur Sache, aber du hast dich<br />
gebunden, und die Folgen, die daraus für dich zu<br />
ziehen sind, machen dich reifer und <strong>ein</strong>samer.<br />
Anphit<br />
In der Tat bekommen die Dinge <strong>ein</strong> anderes<br />
Gewicht.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Vielleicht habt ihr beide recht. Stärker denn je<br />
spüre ich m<strong>ein</strong>en Lebensauftrag, <strong>ein</strong>e Botschaft<br />
an die Mitmenschen, so unbedingt, unbeirrbar, so<br />
ohne Kompromisse, dass es mir k<strong>ein</strong>e Zeit mehr<br />
zu lassen sch<strong>ein</strong>t, unter wohlm<strong>ein</strong>enden<br />
Menschen Anker zu werfen. Die ich bei mir<br />
habe, muss ich wohl an mich flehen, aber Macht,<br />
sie zu halten, empfinde ich heute weniger denn<br />
je.<br />
Anphit<br />
Ist das <strong>ein</strong> Wunder? Vorher warst du <strong>ein</strong><br />
merkwürdiger Kauz, <strong>ein</strong> frühreifer Sonderling,<br />
aber gern gelitten, weil d<strong>ein</strong> Wesen offenherzig<br />
und leutselig war. Jetzt brichst du beliebig<br />
Freundschaften, beschwörst Zwist herauf,<br />
sonderst dich gegen das unbeschwerte Drauflos<br />
erst recht ab -: Alles an dir ist uns unheimlich<br />
geworden.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos, bin ich so böse?<br />
Philos<br />
Natürlich nicht! Was er m<strong>ein</strong>t, ist das<br />
Endgültige, was jetzt d<strong>ein</strong>em Handeln zu Grunde<br />
liegt. Alles hat den Ansch<strong>ein</strong> des Einmaligen,<br />
Unwiederholbaren gewonnen. So offen war es<br />
sonst bei dir nicht zu bemerken, obwohl d<strong>ein</strong>e<br />
Anlagen dich dahin gedrängt haben mögen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du hast recht, Philos: Mir selbst ist zu Mute, als<br />
hätte dies alles schon viel eher geschehen<br />
müssen. Mich reut auch nicht! Ich bin erleichtert,<br />
sogar befreit, wenn du willst.<br />
Anphit<br />
Nun, und wofür willst du tatsächlich leben?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wo mir Verantwortung übertragen wird, will ich<br />
das Menschliche im Menschen in Kraft setzen.<br />
Ich fühle das Leben, wo es Liebe ist. Dort ist es<br />
menschlich, ohne Berechnung gegen jedermann.<br />
Dorthin zieht es mich.<br />
Anphit<br />
Was ist der Mensch?! Ein verbindendes Glied<br />
zwischen Lüge und Wunsch, zwischen Schöntun<br />
und der Fratze der Verbohrtheit! Hast du<br />
Freunde, sei auf der Hut: Über Nacht sind sie<br />
d<strong>ein</strong>e ärgsten F<strong>ein</strong>de, wenn du ihnen k<strong>ein</strong>en<br />
Vorteil mehr verschaffst. Je hilfloser du um ihre<br />
Liebe ringst, desto fröhlicher schlagen sie auf<br />
dich <strong>ein</strong>. Für sie gibt es nichts, was weh tut –<br />
außer ihnen! Und fragst du nach Gründen? Sie<br />
verbrettern jeden Durchblick nach innen,<br />
schweigen! Hundert Kerzen reichen nicht aus,<br />
um sich in ihrem dunklen Seelenlabyrinth<br />
zurechtzufinden. Darum ist m<strong>ein</strong>e erfolgreichste<br />
Waffe der beständige Zweifel – ihn halte ich<br />
wach wie <strong>ein</strong>en Hofhund! Denn steckt nicht in<br />
allem, was man uns angeblich Gutes tun möchte,<br />
der widerwärtige Keim des Handels? Mich ekelt
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vor <strong>ein</strong>er Menschheit, die um ihr Bestes noch<br />
hökert! Das ist der Grund, warum ich nicht mehr<br />
an das R<strong>ein</strong>e im Menschen glaube, weil ich es zu<br />
oft am Boden habe liegen sehen: <strong>ein</strong>e Maske, die<br />
man nicht mehr nötige hatte! Ob Gott -–ob<br />
Mensch: Weißt du überhaupt den Unterschied<br />
ihrer Willkür? Unser Kinderglaube ist in ihrer<br />
Schleuder des Hohns <strong>ein</strong> Kiesel, um die Vögel<br />
aus ihren Obstbäumen zu verscheuchen. In<br />
unserer frommen Vorstellung sind die Götter die<br />
stets Mächtigsten unter uns, die wir ja doch nicht<br />
kennen. Aber die Geschichte, die Zeit, die<br />
angeblich alles heilt, in Wahrheit aber nur <strong>ein</strong><br />
erbärmlich faulenden Kompromiss ist, rollt über<br />
die Schicksale <strong>ein</strong>zelner hinweg wie der<br />
Baumstamm über den Knecht, der ihn umschlug.<br />
Ist das vielleicht nicht gerecht?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mich schaudert vor dem, was dich führt!<br />
Anphit<br />
So kann ich alle Abgründe schauen, ohne dass<br />
mich schwindelt.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Darum bist du aber noch k<strong>ein</strong> Held der Götter!<br />
Anphit<br />
Helden? Wer macht sie? Sie sind Gaukler des<br />
Glückes, von <strong>ein</strong>iger Tüchtigkeit unterstützt.<br />
Man löscht sie aus. Na, und? Man erschlägt auch<br />
Ratten. Liegt der Unterschied nicht bloß in den<br />
Umständen des Mordens?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
N<strong>ein</strong>, Anphit, sondern im Ziel, das beide<br />
Kreaturen unterscheidet. Dem Guten, dem<br />
unverbrüchlich Edelmütigen, dem ewig<br />
Lebenswerten sich zu opfern, ist anders als<br />
<strong>ein</strong>em falsch ablaufenden Instinkt zu unterliegen.<br />
Anphit<br />
So schwärme du! Ich will mich vor dir retten.<br />
Denn die Gefahr, die du ausströmst, benebelt mir<br />
bei Zeiten die klaren Gedanken. Du Narr glaubst<br />
an die edle Hand des Menschen auch dann noch,<br />
wenn sie schon zum tödlichen Hieb ausholt.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So geh - leb´ wohl! Ich kann nicht anders enden!<br />
Anphit<br />
(ihm die Hand reichend, ihn fest ansehend):<br />
Wenn ich nur wüsste, wer du wirklich bist!<br />
(Er geht)<br />
Siebenter Auftritt<br />
(<strong>Phaethon</strong>, Philos; Klymene naht)<br />
Klymene<br />
Sind d<strong>ein</strong>e Freunde fort? Und warum im Groll?<br />
Gelang es euch wenigstens, sie bis zum<br />
Wiedersehen mit <strong>ein</strong>em freundlichen Lebewohl<br />
zu entlassen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Lange genug habe ich´s hingezögert. Heute<br />
musste es gesagt werden. Um Anphit tut´s mir<br />
leid: Er war <strong>ein</strong> beherzter Plauderer. Die anderen<br />
waren mir seit langem <strong>ein</strong>e Herzensplage.<br />
Klymene<br />
Du brichst – warum?<br />
Philos<br />
Verzeih, Klymene – sie forderten ihn heraus,<br />
s<strong>ein</strong>er Abkunft wegen. Da konnte es ihm nur<br />
noch darum gehen, sich die Neider und Spötter<br />
vom Halse zu schaffen.<br />
Klymene<br />
Sie konnten auch anders s<strong>ein</strong>: Ihr habt vergessen,<br />
dass sie die Söhne stolzer Eltern sind, die<br />
Nachkommen der Vornehmsten unserer Stadt.<br />
Ihr habt viel verspielt, und ich mit euch!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Der Einsatz war zu hoch, Mutter!<br />
Wie das?<br />
Klymene<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong> Vater gegen ihr Geschwätz?<br />
Klymene<br />
Ja, <strong>Phaethon</strong>, ja, ich ahnte, was kommen musste.<br />
Nun ist es allerorts heraus, und du hast dich zu<br />
wehren. – Es ist besser, dass du für längere Zeit<br />
wegbleibst.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du wusstest also, was sich hier ereignen würde?<br />
Klymene<br />
Das auch – vielleicht auch das – ja, an den<br />
Mienen las ich´s ab!<br />
Mutter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Klymene<br />
Fordere – du! – fordere mich nicht so!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Vergib! – Was ist der Brief so wichtig? Darf ich<br />
ihn wissen?<br />
Klymene<br />
(wie zerstreut)<br />
Lesen – warum? Vertraust du mir denn nicht?
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<strong>Phaethon</strong><br />
Ist er so wichtig, dass Gefahr für unser Leben<br />
droht, - dass man sich mühen wird, ihn abzufangen?<br />
Klymene<br />
N<strong>ein</strong>, n<strong>ein</strong>, so wichtig wahrhaft nicht!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Warum dann das Geheimnis?<br />
Klymene<br />
M<strong>ein</strong> Sohn, du bist so anders – n<strong>ein</strong>, du fragst<br />
nicht mehr, du forderst!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(bitter)<br />
Die <strong>ein</strong>e Nacht muss mich zum Mann gewandelt<br />
haben! Frag´ Philos, er versteht mich besser!<br />
Klymene<br />
Dass dies so ist, begreift auch d<strong>ein</strong>e Mutter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wenn ich die Reise mit dem liebsten Freunde<br />
unternehme und wir riskieren manchen Pfad, die<br />
Reise zu verkürzen, dann sag´ mir doch – sag´<br />
uns: Wofür das ganze Unternehmen?<br />
Klymene<br />
M<strong>ein</strong> Sohn, du weißt, du hast hier F<strong>ein</strong>de, seit du<br />
so offenherzig redest.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du batest mich, bevor ich morsche Brücken<br />
<strong>ein</strong>stürzen ließ!<br />
Klymene<br />
Hilf, Philos, er treibt mich in die Enge!<br />
Philos<br />
Da er so machtvoll in sich neues Leben in<br />
Verantwortung fühlt, solltest du ihm die<br />
Wahrheit nicht verschweigen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wahrheit – verschweigen? Nun, ist Schweigen<br />
Anmut, oder soll es <strong>ein</strong>e Waffe furchtbarer<br />
Zweifel werden, auf das Herz des Liebenden<br />
gezielt? – Ich sehe, Mutter, dass ich <strong>ein</strong>e List<br />
durchschaute! Das erstemal, dass du mich –<br />
hintergehen wolltest?<br />
Ja, Mutter, wie groß ist d<strong>ein</strong>e Liebe zu mir, dass<br />
du mir das antun möchtest?! Was willst du<br />
retten, dass du sogar m<strong>ein</strong>en Freund in d<strong>ein</strong>e<br />
Geheimnisse gezogen hast und unser Vertrauen<br />
stören musst? Was, liebste Mutter, fürchtest du?<br />
Philos<br />
Darf ich für sie antworten?<br />
Philos<br />
Sieh, <strong>Phaethon</strong> d<strong>ein</strong>e Mutter liebst du, d<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern und nun auch mich. Welche Freude<br />
für alle, denen du d<strong>ein</strong> Vertrauen schenkst!<br />
Welch´ <strong>ein</strong>e Strafe für jene, die du fortgeschickt<br />
hast. Aber du hast in all<strong>ein</strong> d<strong>ein</strong>e Liebe nicht<br />
verloren, sondern sie ist wohlgebettet und trägt,<br />
auch beim Entferntesten, neue Früchte. Selbst<br />
Echo ist aus steter Schwermut zum Lächeln<br />
bereit – durch dich!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Und jetzt das Aber – ich bitte dich, Philos,<br />
mach´s kurz:<br />
Stoß zu!<br />
Philos<br />
Wenn du mich so forderst, senke ich m<strong>ein</strong>e<br />
Stimme zum Nichts. Ich will dich nicht<br />
umbringen, nicht verletzen, nicht enttäuschen!<br />
Ich will dich bitten - - für d<strong>ein</strong>e Mutter bittet dich<br />
d<strong>ein</strong> Freund!<br />
Was hat sie vor?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos<br />
Sie bittet dich um Aufschub, um Besinnung.<br />
Worin – wobei?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Philos<br />
Du quälst mich, wie du fragst! Sonst lobtet ihr<br />
die Rede Philons – aber heute stottere ich – es ist<br />
<strong>ein</strong> allzu schwerer Auftrag – Klymene – verzeih<br />
– so kann´s nicht gehen!<br />
Klymene<br />
So höre, Sohn, das Entsetzliche: Du darfst, du<br />
kannst es nicht! Du wirst Odä nicht lieben, nie<br />
gewinnen können! Frag´ nicht, warum: Ich darf´s<br />
dir nicht enthüllen. Du gibst sie auf – so bist du<br />
dem Leben hier gerettet. Sonst wirst du<br />
untergehen, während jene lebt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich – sie – aufgeben? M<strong>ein</strong>e F<strong>ein</strong>de frohlocken,<br />
die losen Freunde sagen: Recht geschah ihm: An<br />
das Göttliche im Menschen zu glauben! – Was<br />
sagt Philos?<br />
Ich w<strong>ein</strong>e!<br />
Philos<br />
(Er wendet sich ab)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Und m<strong>ein</strong>e Mutter? -: Gott sei Dank! So hat der<br />
böse Spuk <strong>ein</strong> Ende – ja?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du darfst – du liebst mich ja auch, nicht wahr?
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Klymene<br />
Du darfst mich nicht verleugnen, <strong>Phaethon</strong> –<br />
Helios´ Sohn!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wahrhaftig: Hätt´ ich´s doch fast vergessen: Ein<br />
frommer Augenblick machte mich leben, und ich<br />
wuchs in der Nacht heran. Glaubst du nicht, dass<br />
mich die Sonne blenden könnte?<br />
O Mutter, ich glaubte noch, der Menschheit<br />
<strong>ein</strong>en Gefallen damit zu tun, dass ich lebe und ihr<br />
gute Gedanken bringe statt der Schelte ihrer<br />
Priester oder hasserfüllter Schläge ihrer<br />
Obrigkeiten!<br />
Klymene<br />
Sieh, was du sammeltest, ist das Leben wert, und<br />
was du aufgibst, das Trauern. Aber das<br />
Wertvolle ist nicht zugleich auch jedermanns<br />
Besitz, und wenn <strong>ein</strong> Wesen dich verlässt, so<br />
muss es, bei allen bösen Zeichen, nicht Hass<br />
s<strong>ein</strong>, sondern heftiger Schmerz in der Entsagung<br />
– aus Liebe?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wer kann mir Schmerzen zufügen wollen und<br />
mich zugleich lieben?<br />
Klymene<br />
Ich! Ich musste es tun, m<strong>ein</strong> Sohn! – N<strong>ein</strong>, frage<br />
jetzt noch nicht! Ich will das Geheimnis lüften,<br />
wenn du die Stärke wiedergewonnen hast, die<br />
der Schmerz dir jetzt aus der Brust reißt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du m<strong>ein</strong>st, ich soll mich mit m<strong>ein</strong>en<br />
Sehnsüchten ausseufzen – vielleicht auf dem<br />
verwaisten Bett – bis k<strong>ein</strong>e Kraft mehr dazu ist?<br />
Bin ich <strong>ein</strong> Weib? N<strong>ein</strong>, sag´ mir jetzt die<br />
Wahrheit oder nie!<br />
Klymene<br />
Dann nie -: Es liegt <strong>ein</strong> Gelübde darauf! Soll ich<br />
den Schwur brechen und so zweier Gemüter<br />
Unschuld in Nacht tauchen? Verlangst du das<br />
von mir?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
In d<strong>ein</strong>en Augen lese ich Wissen – entsetzliches<br />
Wissen um m<strong>ein</strong> kommendes Geschick! So ist es<br />
doch schon beschlossene Sache, dass ich in<br />
Vergessen zurücktauchen, das ewig Schöne, das<br />
mir nur <strong>ein</strong>mal erblühte in m<strong>ein</strong>em Leben, zum<br />
Schleuderpreis <strong>ein</strong>es halben Trostes aufzugeben<br />
habe -, <strong>ein</strong> Schwur gegen <strong>ein</strong> ganzes Leben, leer,<br />
ohne ferneres Ziel, <strong>ein</strong> Witz unter der trunken<br />
taumelnden Masse Mensch - - bin ich das?<br />
Mutter! Freund! Kann das jemand mir<br />
abfordern? Ihr liebt mich doch! Warum wollt ihr<br />
eure Liebe zu mir austrocknen lassen durch euer<br />
beharrliches Schweigen?! Warum gebt ihr denn<br />
nicht zu, dass ich liebte, was ich nicht durfte?<br />
Klymene<br />
Oh Götter! <strong>Phaethon</strong> – höre auf!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du weißt ja um die Ungeduld m<strong>ein</strong>es Herzens!<br />
Warum zögerst du nicht, mich von dir zu<br />
schicken? Was musst du jetzt mich behüten, wo<br />
alle Gefahr durch dunkle Schwüre beseitigt?<br />
<strong>Phaethon</strong> ...!<br />
Klymene<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So hökerst du mit d<strong>ein</strong>en Gefühlen für mich!<br />
Hökertest du etwa auch um m<strong>ein</strong>e Seele?<br />
(Klymene w<strong>ein</strong>t)<br />
Philos<br />
Halt´ jetzt <strong>ein</strong>, Freund! Ja, du bist es noch, auch<br />
wenn du d<strong>ein</strong>e Mutter quälst! Sie hat es nicht<br />
verdient. Ich weiß zwar nicht, wie kostbar ihr<br />
Geheimnis ist, aber sie hat es zu k<strong>ein</strong>em<br />
Besseren getan. Glaub´ ihr zunächst, dass sie<br />
d<strong>ein</strong>e Liebe womöglich gegen d<strong>ein</strong>en Untergang<br />
abgewogen hat. Um dich zu retten, hat sie d<strong>ein</strong>e<br />
Liebe geopfert.<br />
- Ja, <strong>Phaethon</strong>, nun w<strong>ein</strong>e auch du. Ist es denn so<br />
schwer, die Liebe <strong>ein</strong>er Mutter gegen das eigene<br />
Irren sprechen zu lassen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(stöhnt)<br />
Irren! Wie redest du! Weiß ich doch, dass Odä<br />
frei umhergeht und m<strong>ein</strong>er nicht mehr achtet!<br />
Jeder darf ihr zulächeln, mit ihr scherzen, mit ihr<br />
tanzen – ich aber soll es nicht! N<strong>ein</strong>, eher heißt<br />
es hier, klüglich bei Seite zu sehen, damit nicht<br />
ihr ernstes Gesicht mit all den lieben tödlichen<br />
Vorwürfen darauf m<strong>ein</strong> Herz aus dieser Brust<br />
wegsaugen können. Aber es brennt mir doch alle<br />
Empfindungen heraus! Ja, ich will Feuer in mir<br />
legen, und ich will den Brand m<strong>ein</strong>er Seele<br />
hinausschreien, in die Welt prasseln lassen! An<br />
der Glut m<strong>ein</strong>es wahnsinnigen Liebesatems<br />
sollen die Parzen sich die Barthaare verkohlen ....<br />
Narren wie ich: Damit jeder für alle Zukunft<br />
begreift: Liebe, doch liebe nicht zu hoch – nicht<br />
das Göttliche, sonst sengt es dir die Maske d<strong>ein</strong>er<br />
stolzen Männlichkeit weg, und jeder sieht die<br />
Wahrheit unter dem stinkenden Flammenwisch!<br />
Philos<br />
D<strong>ein</strong> – unnennbarer Jammer!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wäre sie tot, die ich so heiß begehre, so wäre der<br />
rasende Schmerz überschaubar. Aber indem sie<br />
lebt, toben zweier Gewissen gegen<strong>ein</strong>ander,<br />
während die Herzen nach Erfüllung lechzen.<br />
Was kann denn der Wandel der Zeit ihnen
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nehmen? Nichts! Was kann er bringen? Ewige<br />
Treue? – Wozu noch? – Und k<strong>ein</strong>e Treue? Oh,<br />
welche Schande, je geliebt zu haben, je geliebt<br />
worden zu s<strong>ein</strong>! – N<strong>ein</strong> des <strong>ein</strong>en Tod wäre des<br />
anderen Schonung!<br />
Philos<br />
Was sinnst du, <strong>Phaethon</strong>? Sag´, was dröhnt in<br />
d<strong>ein</strong>em Innern für <strong>ein</strong> furchtbarer Tritt gegen das<br />
Weltgefüge?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Erlösung – sagte ich das nicht?<br />
Philos<br />
Nimm, Freund, des Freundes Hände – hier, ja,<br />
fasse sie: Dir waren sie <strong>ein</strong>st sicher, doch jetzt<br />
nicht mehr? N<strong>ein</strong>, sie zittern, <strong>Phaethon</strong>, ich fühle<br />
<strong>ein</strong>e Kraft mich verlassen, die ich dir aufgehoben<br />
glaubte. Nimm sie, bevor die Quelle vollends<br />
versiegt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Etwas fühle ich wohl in mich übergehen, aber ist<br />
es Kraft?<br />
(Er umarmt Philos)<br />
Was fange ich denn mit diesem Geschenk noch<br />
an? Was verlängere ich Schauriges? Was sollte<br />
ich, rasch entschlossen, an Jammervollem nicht<br />
lieber enden?<br />
(Er reißt sich los)<br />
Was quält ihr mich? Warum lasst ihr mich nicht<br />
gehen, wohin k<strong>ein</strong> Sterblicher den Weg mit<br />
s<strong>ein</strong>en Fürsprechern geht? Lasst mich mit<br />
Persephone scherzen, denn sie ist verlässlicher<br />
zugegen!<br />
Philos<br />
Beim Styx – das sollst du nicht!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was? Soll ich, kann ich auch diesen Eid nicht<br />
brechen? Ja, es mag noch <strong>ein</strong> Lebewesen<br />
entscheiden, dem ich die tiefsten Empfindungen<br />
in m<strong>ein</strong>er Angelegenheit zutraue!<br />
Klymene<br />
Oh <strong>Phaethon</strong>, hast du Hoffnung?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
N<strong>ein</strong>, Mutter, aber <strong>ein</strong>e vorzügliche Ratgeberin.<br />
Wo ist Echo?<br />
Klymene<br />
(entsetzt)<br />
Was willst du von ihr? Ist sie nicht schon genug<br />
misshandelt durch ihren Jammer um Narkissos?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Misshandelt, ja, das ist´s! Sie weiß in m<strong>ein</strong>er<br />
Sache alles – müsste es zumindest wissen!<br />
Klymene<br />
Schone sie – ich bitte dich!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie ist m<strong>ein</strong>e Lieblingsschwester, und sie würde<br />
mir Vorwürfe machen, wenn sie nichts gewusst<br />
hätte!<br />
Klymene<br />
Und wenn sie dir rät zu bleiben? – Sie ist ja auch<br />
wieder unter uns!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wie lange noch ...? N<strong>ein</strong>, Mutter, fürchte nichts:<br />
Sie wird mir sagen können, was ich, aus frischer<br />
Wunde blutend, an Heilmitteln nicht weiß. Was<br />
sie mir rät, will ich tun. Sie war bereit, alles mit<br />
mir zu teilen, sie wird auch jetzt m<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziger<br />
Trost s<strong>ein</strong>.<br />
Philos<br />
Ich sehe, die Ruhe kehrt wieder bei dir <strong>ein</strong>?<br />
Klymene<br />
Oh, trau´ ihr nicht! S<strong>ein</strong> Leben knüpft er los, das<br />
nur mit leichten Bändern am Diesseits befestigt<br />
war, das hoch hinauf schon schwebt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dank, Mutter! Ja, es tut nicht mehr weh! Es wird<br />
so leicht um Hirn und Herz, da kümmert mich<br />
das Morgen wenig -–so oder so!<br />
Klymene<br />
Gäb´ es doch Rettung!<br />
Philos<br />
Sie kommt! Ich sehe Echo!<br />
Klymene<br />
Mach´ d<strong>ein</strong>e Sache gut, m<strong>ein</strong> Sohn! N<strong>ein</strong>,<br />
überstürze nichts! – Komm, Philos, mit ins Haus!<br />
Hier ist nichts mehr für uns zu retten. Nimm<br />
m<strong>ein</strong>en Arm – ja, so! Mich schwindelt leicht - :<br />
du ahnst?<br />
Philos<br />
(sie voller Mitgefühl ansehend)<br />
Ich weiß es jetzt!<br />
(Beide gehen langsam zum Hause; Echo tritt<br />
heran)<br />
Achter Auftritt<br />
Echo<br />
Nun, <strong>Phaethon</strong> ... willst du uns verlassen? –<br />
N<strong>ein</strong>, erkläre nichts: Ich m<strong>ein</strong>e nicht die Reise,<br />
die dir Mutter zur Zerstreuung verschreiben<br />
wollte. Sie haben dich mir überlassen, nicht<br />
wahr?
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<strong>Phaethon</strong><br />
(sie in Todesangst in die Arme ziehend)<br />
Jetzt sind wir ganz all<strong>ein</strong>?<br />
Echo<br />
Ich weiß – darum bin ich bei dir. Längst habe ich<br />
geahnt, wo dich das Geschick hintreiben könnte.<br />
Aufhalten konnte ich´s nicht! Wozu auch? Sind<br />
wir nicht so unendlich gleicher Natur? Wo<br />
immer wir suchten: War es nicht das gleiche<br />
Ziel, das wir m<strong>ein</strong>ten?<br />
(Sie setzt sich, nimmt des knieenden <strong>Phaethon</strong>s<br />
Haupt in ihren Schoß)<br />
Das Hiers<strong>ein</strong> ist so leicht, fast ungewichtig ...,<br />
zuerst fest ans Erdreich angepflockt, indessen<br />
doch die Sinne, den leichten Flug seit jeher<br />
gewöhnt, den Wolken nachtrauern, da ja auch<br />
ihre Gestalt verändern, während sie weiterziehen.<br />
(<strong>Phaethon</strong> liebkosend; nach <strong>ein</strong>er Weile)<br />
Ja, du bist Helios´ Sohn! Die wahrhaft Lichtgeborenen<br />
hält die Erde nicht; sie streben am<br />
Zenit dahin und müssen der Sonne nichts neiden.<br />
(Sie streichelt s<strong>ein</strong> Haar)<br />
Nun möchtest du nach Hause, ja?<br />
(<strong>Phaethon</strong> nickt)<br />
(Echo, sinnend)<br />
Du bist doch allezeit daheim gewesen mit d<strong>ein</strong>en<br />
Gedanken und in der lichten Schönheit d<strong>ein</strong>es<br />
Wesens. Nur d<strong>ein</strong>etwegen kam ich zurück, um<br />
dich bei mir zu wissen, m<strong>ein</strong> Bruder. –<br />
Gehst du wirklich fort?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(ihr ins Gesicht sehend)<br />
Ja, Schwester – ja, ich gehe fort – ins<br />
Schattenreich, nicht aber gar zur Höhe.<br />
Echo<br />
Liebster, geh nicht so!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Da innen ist alles ausgebrannt! Es ist k<strong>ein</strong><br />
Streben zu Erhabenem mehr in mir.<br />
Ich weiß!<br />
Echo<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Soll ich, wie du <strong>ein</strong>st, zu St<strong>ein</strong> werden?<br />
(lächelt)<br />
Echo<br />
Aber nicht doch! D<strong>ein</strong> Weg muss oben s<strong>ein</strong>,<br />
nicht etwa zum Hades! Lass´ dort die<br />
Fledermäuse jagen – du gehörst ins Licht!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wer leiht die Fackel <strong>ein</strong>em Sterblichen?<br />
Echo<br />
Du wirst nicht brennen lassen, sondern leuchten.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Gib mir d<strong>ein</strong> Licht! – Oh, könnt´ ich bei dir<br />
ruhen und so vergessen!<br />
Echo<br />
Dazu ist d<strong>ein</strong> Wesen zu umfassend und zu<br />
durchdringend zugleich. Wo du aufschaust,<br />
pocht den Menschen das Gewissen, und indem<br />
sie noch über die lachen, spüren sie das Grauen<br />
ihres Frevels heraufkriechen.<br />
Du musst die Lösung selber suchen: das ist d<strong>ein</strong><br />
Leben. Ich kann dich nie belügen. Darum muss<br />
ich dich ziehen lassen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wohin, Schwester? Wohin?<br />
Echo<br />
Nur <strong>ein</strong>en großen Wunsch im Leben hast du frei.<br />
Geh, hol´ dir die Erfüllung, Sterblicher! Geh zu<br />
d<strong>ein</strong>em Vater Helios, m<strong>ein</strong> Bruder: Es ist die<br />
letzte Hoffnung!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Zu – m<strong>ein</strong>em Vater? Denkst du, ich soll den<br />
<strong>ein</strong>en Wunsch nur für m<strong>ein</strong> eig´nes Glück<br />
verschenken?<br />
Echo<br />
Beglückt er dich, beglückt er alle. Das ist d<strong>ein</strong>e<br />
Natur, und sie bekommt von Helios´ Thron aus<br />
Flügel!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Weiß du, wen uns´re Mutter mir entzogen hat?<br />
Echo<br />
(nachdenklich)<br />
Ich weiß es nicht, nicht <strong>ein</strong>mal ahnen kann ich´s.<br />
Mir ist, als hätte mir Odä <strong>ein</strong> ehernes Band des<br />
Vergessens um die Schläfen gepresst. – N<strong>ein</strong>,<br />
<strong>Phaethon</strong>, ich weiß es nicht.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Doch Helios wird es wissen?<br />
Echo<br />
Zumindest sieht er, was am Tage geschieht, und<br />
so mag er auch jene Fremde erkannt haben, als<br />
sie zu uns ging.<br />
N<strong>ein</strong>, ich denke, du kannst getrost s<strong>ein</strong>. Mach´<br />
dich noch diesen Abend auf den Weg, so wirst<br />
du zum Tagesanbruch Helios´ Aufstieg<br />
bewundern dürfen. Sag´ ihm, du seiest s<strong>ein</strong> Sohn,<br />
und unterdrücke vor s<strong>ein</strong>er Hoheit nicht d<strong>ein</strong>e<br />
Wünsche, ganz gleich, welche es seien!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(ihre Hände küssen)<br />
Du weißt, mich hält nichts mehr?
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Echo<br />
D´rum geh noch diese Nacht. D<strong>ein</strong> Jammer muss<br />
<strong>ein</strong> Ende haben – so oder so!<br />
<strong>Phaethon</strong>! <strong>Phaethon</strong>! Komm zurück!<br />
(Sie ruft):<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was muss ich dir nicht danken?<br />
Das Leben!<br />
Echo<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Das macht mich auch schon traurig.<br />
Echo<br />
Wo immer du s<strong>ein</strong> wirst: Ich werde hinkommen<br />
und dich erwarten.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dann sehen wir uns wieder!<br />
(<strong>Phaethon</strong> antwortet nicht mehr)<br />
Echo<br />
Es ist auch <strong>ein</strong>erlei: Du bist dem Diesseits schon<br />
zu weit entrückt. Ja, lebend sehen wir uns doch<br />
nicht wieder!<br />
- (Pause) -<br />
(Sie geht langsam ab)<br />
Gewiss – nur – wie?<br />
Echo<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du wirst mich betten, dass ich süßer ruhen kann<br />
als hier?<br />
Echo<br />
Das will ich veranlassen – mehr weiß ich nicht.<br />
Ach, m<strong>ein</strong>e Kräfte nehmen ab – ich spüre ...<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
... doch jetzt noch nicht! Geh, sing mir noch <strong>ein</strong><br />
Abschiedslied!<br />
Echo<br />
Das wäre Spott. Du kommst ja wieder.<br />
Und dann?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Echo<br />
Dann frag´ ich dich, was du noch gerne hören<br />
möchtest.<br />
(Sie verabschieden sich)<br />
Leb´ wohl!<br />
Echo<br />
(<strong>Phaethon</strong> geht)<br />
Echo<br />
Nach Osten – geh nach Osten!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(schon entfernt)<br />
Nach Osten, Schwester, der Morgenröte<br />
entgegen!<br />
Echo<br />
(nachdenklich, plötzlich zusammenfahrend, wie<br />
ahnend)<br />
Morgenröte – Eos?
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Vierter Aufzug<br />
Erster Auftritt<br />
(Ort der Parzen. Diese sitzen am Werke)<br />
Atropos<br />
(<strong>ein</strong>en Faden durchschneidend)<br />
So! das wär´s! Leb´ wohl, die Stunde ist<br />
erfüllt. Und Trauer möge d<strong>ein</strong>en Tod<br />
begleiten.<br />
Klotho<br />
Wer kommt jetzt?<br />
Lachesis<br />
<strong>Phaethon</strong>, Helios´ Sohn!<br />
Ist er lang?<br />
Klotho<br />
Lachesis<br />
Er hat noch viel Zeit.<br />
(Sie betrachtet den Faden etwas<br />
genauer)<br />
Merkwürdig! Er sieht anders aus. Ich<br />
glaube, das Garn taugt nichts mehr.<br />
Atropos<br />
Ja, ja, die Qualität wird zwar immer<br />
besser, aber nur bei Artikeln, an denen<br />
sich gut verdienen lässt. – Sagt mal,<br />
Schwestern, habt ihr nicht<br />
zwischendurch jemand anderen zum<br />
Abschneiden?<br />
Klotho<br />
Hier – <strong>ein</strong> junges Weib, das sich vor<br />
Liebe ertränken wird.<br />
Atropos<br />
Na, gib schon! Soll sie etwa lange<br />
zappeln? Sei nicht so unbarmherzig,<br />
Schwester!<br />
(Sie nimmt die Schere, schneidet ab)<br />
Dummes süßes Ding! Na, mach´ die<br />
Augen zu! Es hat sich ja doch nicht<br />
gelohnt!
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Lachesis<br />
Atropos! Atropos! <strong>Phaethon</strong>s Faden ist<br />
brüchig!<br />
Atropos<br />
Hat Helios uns nichts Besseres zu bieten<br />
gehabt?<br />
Klotho<br />
Lachesis hat recht: An der Qualität<br />
kann´s nicht liegen ...!<br />
Atropos<br />
So fragt man die Moiren! Wo steckt es<br />
eigentlich, das Schicksal? Muss ich<br />
immer erst betteln, wenn ich in<br />
Schwierigkeiten bin? Heraus mit –<br />
Klotho<br />
Atropos! Ich mache ganz langsam.<br />
Krakehle also nicht durch die Nacht!<br />
Atropos<br />
Aber sonderbar ist es doch, oder?<br />
Lachesis<br />
Da kommt Erebos! Lasst uns ihn fragen,<br />
vielleicht kann er uns helfen?<br />
Zweiter Auftritt<br />
(Erebos tritt herzu aus der Finsternis)<br />
Erebos<br />
Grüß´ euch, ihr fleißigen Frauen!<br />
Atropos<br />
Ja, denkst du, Erebos! Wir müssen hier<br />
müßig herumsitzen!<br />
Erebos<br />
Die Damen sind also in<br />
Schwierigkeiten?<br />
Klotho<br />
Alter Spötter! Beim Styx, ja!<br />
Lachesis<br />
Guck dir mal diese schlampige Arbeit an<br />
– und das für Helios´ Sohn!<br />
Erebos<br />
Darf ich mal ziehen?<br />
(Er strafft)<br />
So schwach ist´s doch gar nicht. Wer hat<br />
denn da schon wieder geunkt?<br />
Atropos<br />
Natürlich Lachesis – als ob sie das Zeug<br />
gemacht hätte!<br />
(Lachesis schaut giftig zu Atropos)<br />
Erebos<br />
Also schön weitermachen! – Nanu,<br />
Schwester, noch munter?<br />
Dritter Auftritt<br />
(Nyx tritt auf; gähnt)<br />
Nyx<br />
Ich kann nicht schlafen. Warum diese<br />
lauten Gespräche?<br />
Erebos<br />
Gespräche hin – Palawer her: Du bist zu<br />
früh zur Ruhe gegangen. Der Morgen<br />
wird auf sich warten lassen!<br />
Hm?<br />
Nyx<br />
Erebos<br />
D<strong>ein</strong> Enkel hat sich von mir <strong>ein</strong><br />
Stückchen ausgeliehen.<br />
Ja, was werdet ihr denn bleich?<br />
Nyx<br />
Ausgeliehen – von dir? Soll das <strong>ein</strong> Witz<br />
s<strong>ein</strong>?<br />
Erebos<br />
I wo! Ein kl<strong>ein</strong>er Spaß vielleicht, um<br />
irgend<strong>ein</strong> Liebesabenteuer irgend<strong>ein</strong>er<br />
Gottheit irgendwo länger dauern zu<br />
lassen, vielleicht? – Ach, lasst mich!<br />
Was weiß ich?!<br />
Klotho<br />
Hat denn <strong>Phaethon</strong> nicht noch <strong>ein</strong>e<br />
Schwester – ich m<strong>ein</strong>, Kirke?
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Atropos<br />
Ach, was! Seit ihr der Odysseus<br />
auskneifen konnte, ist ihr sogar der Spaß<br />
an den kl<strong>ein</strong>en verzauberten Ferkelchen<br />
vergangen!<br />
Nyx<br />
Schau doch mal nach, Lachesis, ob der<br />
Faden noch da ist!<br />
Lachesis<br />
(die Rollen untersuchend)<br />
Ach Gott – ich hab´ sie ganz vergessen.<br />
Ich hab´s für Spinnweben gehalten. Ja,<br />
natürlich – das ist er!<br />
Klotho<br />
Darf ich mal?<br />
(Sie zieht, knüllt in der Faust zusammen)<br />
Vierter Auftritt<br />
Kirke<br />
(alt geworden, verdrießlich, ersch<strong>ein</strong>t)<br />
Wer ruft?<br />
Klotho<br />
Die holde Zauberin von <strong>ein</strong>st ist etwas<br />
verknittert.<br />
(dabei in die Hand auf das Garn<br />
schauend)<br />
Aber sie lebt noch. Grüß´ dich, Kirke!<br />
Kirke<br />
Mir fehlt m<strong>ein</strong> Zauberstab –<br />
(die übrigen lachen)<br />
für diese auserlesene Gesellschaft!<br />
Atropos<br />
Hast du den Ithaker immer noch nicht<br />
verwunden?<br />
Kirke<br />
(lebhaft)<br />
Oh n<strong>ein</strong>! Das war <strong>ein</strong> Mann! Ein<br />
herrliches Geschöpf!<br />
Lachesis<br />
Hör´ mich an, Zauberin: D<strong>ein</strong> Bruder<br />
kommt hier vorbei – ich fühl´s.<br />
Kirke<br />
Und deswegen weckst du hässliche Eule<br />
<strong>ein</strong> lebensmüdes Weib wie mich? Was<br />
geht der mich an?<br />
Lachesis<br />
Schau dir doch <strong>ein</strong>mal diesen Faden an!<br />
Kirke<br />
(betrachtet ihn abfällig)<br />
Von Helios <strong>ein</strong> Sohn? Pah! M<strong>ein</strong> Vater<br />
wird wohl alt?<br />
Erebos<br />
Du solltest nicht so reden, Kirke! Wir<br />
selber kennen die Ursache nicht. Daher<br />
möchten wir gern, dass du sie<br />
ergründest.<br />
Klotho<br />
Ich wage nicht, den Faden abzuspulen,<br />
weil ich nicht ahne, ob er mir nicht unter<br />
den Fingern zerreißt. Du weißt, wir sind<br />
alt und abgestumpft in unserem Geschäft<br />
geworden, aber mit der Verzweiflung<br />
will ich nicht spielen.<br />
Kirke<br />
(höhnisch lachend)<br />
Sie steigen Nyx auf den Kopf – ihre<br />
zarte Brut, euer Adoptivkindchen!<br />
Nyx<br />
Was sagst du alte Hexe da?<br />
Kirke<br />
Pah! Weißt du, was es tut?<br />
(zornig)<br />
Nyx<br />
Was kannst du schon gesehen haben!<br />
Kirke<br />
So höre doch: Der Moirensohn spielte<br />
mit Nemesis und Eris Ball und hernach<br />
Verstecken!
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So?<br />
Nyx<br />
Kirke<br />
Auf Thrinakia – zwischen Helios´ Rindviechern!<br />
Die armen Biester kriegten´s mit der<br />
Angst, denn dieser Bastard polterte<br />
mächtig durch die Haine, als wollte er<br />
Helios herausfordern.<br />
Nyx<br />
(zu Erebos)<br />
Na, Bruder? Wer hat sich also von dir<br />
etwas ausgeliehen, dass ihr mich im<br />
Nachthemd hierherfordern durftet?<br />
Erebos<br />
Verzweiflung – ich sagte es doch schon!<br />
Nyx<br />
Und was soll der Zirkus auf Thrinakia<br />
bei Nacht?<br />
- Wo ist Hypnos?<br />
Fünfter Auftritt<br />
(Hypnos tritt auf)<br />
Kirke<br />
Nimm mich mit, Hypnos – lass´ mich<br />
bei Vaters Herde schlafen.<br />
Nyx<br />
Willst du d<strong>ein</strong>em Bruder - ?<br />
Kirke<br />
(schläfrig)<br />
Schick´ ihn mir nach! Ich mach´ ihm<br />
schon <strong>ein</strong> Kringelschwänzchen, ja?<br />
(gähnt, geht mit Hypnos ab)<br />
Sechster Auftritt<br />
Klotho<br />
Ob sie überhaupt weiß, wie er aussieht?<br />
Lachesis<br />
Sie sch<strong>ein</strong>t völlig ohne Interesse.<br />
Atropos<br />
Sie ist alt geworden. – Na, gib den Faden<br />
her! Ja, siehst du, Klotho? Er reicht<br />
sowieso nur noch für <strong>ein</strong> paar Tage.<br />
Erebos<br />
Also, was ist? Kann ich gehen?<br />
Hier, Mutter!<br />
Hypnos<br />
So eilig, Bruder?<br />
Nyx<br />
Nyx<br />
Hinauf! Sieh zu, dass Ruhe unter den<br />
Rindern unseres Freundes Helios<br />
herrscht!<br />
Ja, Mutter!<br />
Hypnos<br />
(Er will gehen)<br />
Nyx<br />
Vor drei Tagen will ich nichts mehr von<br />
ihnen hören!<br />
Gehst du endlich?<br />
Ja, Mutter!<br />
Hypnos<br />
Erebos<br />
(grinsend)<br />
Atropos hat mir vorhin <strong>ein</strong> süßes junges<br />
Ding zugeschickt, das sich aus<br />
Liebeskummer ersäuft hat. Das möchte<br />
ich mir gerne näher anschauen.<br />
(zu Atropos)<br />
Aber mit der alten ledernen Kirke<br />
wartest du noch <strong>ein</strong> paar Tage – mir zu<br />
Liebe, ja?<br />
Atropos<br />
Ihr Götter seid doch alle gleich: K<strong>ein</strong>e<br />
Gelegenheit wird ausgelassen, und eure<br />
Torheiten bevölkern den Hades oft<br />
früher als nötig!
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Erebos<br />
Geh, alte Zitrone – du schaust mir zu<br />
sauer d´r<strong>ein</strong>!<br />
Atropos<br />
Hättest du doch nur <strong>ein</strong>en Faden – ich<br />
wollte ihn dir schon abzwacken, alter<br />
Schwerenöter!<br />
(Erebos lacht, geht ab)<br />
Siebenter Auftritt<br />
Nyx<br />
Solange ich nicht geweckt werde, geh´<br />
ich jetzt schlafen.<br />
Lachesis<br />
Du kannst noch nicht!<br />
Wer sagt das?<br />
Nyx<br />
Lachesis<br />
Da kommt Selene – mit <strong>Phaethon</strong>!<br />
Nyx<br />
Nanu? Dann wird´s also doch wohl noch<br />
nichts?<br />
Achter Auftritt<br />
Selene<br />
Grüß´ euch, ihr edlen Frauen! Na, wie<br />
geht das Geschäft?<br />
Atropos<br />
Ich habe nichts zu tun!<br />
Selene<br />
Wartest du auf jemanden?<br />
Atropos<br />
(auf <strong>Phaethon</strong> verstohlen zeigend)<br />
Auf ihn? – K<strong>ein</strong>er weiß es!<br />
Selene<br />
(erschrocken)<br />
So zeigt doch mir den Faden erst!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ach, Psuchos – kümmere dich nicht<br />
darum!<br />
Lachesis<br />
(leise zu Selene)<br />
Sieh her: Ist er nicht äußerst dünn?<br />
Klotho<br />
(ebenso leise)<br />
Doch Erebos behauptet, er sei noch<br />
stabil genug.<br />
Atropos<br />
Schnick schnack! Seht euch den Bengel<br />
doch an: Strotzt vor Gesundheit – nur <strong>ein</strong><br />
bisschen Liebeskummer! Junge, Kopf<br />
hoch – das geht vorbei! – Wo hab´ ich<br />
denn bloß m<strong>ein</strong>e Schere wieder<br />
hingelegt?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nun, edle Jungfrauen – was ergab die<br />
Garnprobe?<br />
Nyx<br />
Was geht´s dich jetzt schon an? Der<br />
Faden ist lang genug für <strong>ein</strong> schönes<br />
Leben.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(nähert sich den Parzen, dabei Nyx nicht<br />
beachtend)<br />
Schöne Jungfrauen seid ihr – etwas<br />
ältlich vielleicht, aber von ungebrochener<br />
Herbheit und Kraft.<br />
Atropos<br />
Unser Geschäft hat uns gefühllos<br />
gemacht. Sei also nicht undankbar oder<br />
unverschämt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja, so? – Ausgesprochen eitel seid ihr<br />
auch nicht mehr: In euren Haaren nisten<br />
gar die Spinnen? Ei, sieh doch: Du hast<br />
<strong>ein</strong>en Buckel gekriegt vom Nachlesen,<br />
ja? Und du, Mittlere, brauchst <strong>ein</strong><br />
helleres Licht als den Mond – m<strong>ein</strong>st du<br />
nicht, Psuchos? – Ei ja, und du sitzest<br />
unbequem, und vom Schneiden haben
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die Finger dicke Hornhäute bekommen.<br />
Ein stumpfsinniges Geschäft, jahraus,<br />
jahr<strong>ein</strong>! N<strong>ein</strong>, danke!<br />
Ist er toll?<br />
Nyx<br />
(zu Selene)<br />
Selene<br />
Den weiten Weg hierher benahm er sich<br />
vorbildlich! Was dies jetzt soll, weiß ich<br />
auch nicht.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Und jetzt seid ihr arbeitslos?<br />
Lachesis<br />
Jüngling! Du bist schön, das Leben liegt<br />
vor dir, d<strong>ein</strong> Lebenswandel ist ohne<br />
Makel –<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
- aber doch auch ungriechisch: man<br />
behandelt mich, als sei ich maßlos.<br />
Klotho<br />
D<strong>ein</strong> Maß setzt du dir selbst. Das mag<br />
dich vor den anderen als den Sohn des<br />
Helios auszeichnen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So – Auszeichnung nennst du das?<br />
Klotho<br />
Sei doch nicht undankbar!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mit euch alten Warzennasen will ich<br />
mich nicht streiten.<br />
Aber der Faden interessiert mich doch!<br />
(Er greift unversehens rasch zu, entreißt<br />
ihn Lachesis, zieht von der Rolle)<br />
Ja, bei näherer Betrachtung ist es schon<br />
<strong>ein</strong> f<strong>ein</strong>es Gewebe – seht ihr nicht? Es ist<br />
Gold hindurchgewirkt – daher die<br />
Brüchigkeit!<br />
Lachesis<br />
<strong>Phaethon</strong>! Vermessener! Was tust du!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sie abwehrend)<br />
Lass´ mich, alte Vettel! – Sieh her,<br />
Klotho: Da hast du den Anfang. Nun<br />
bring´s zu Ende!<br />
Klotho<br />
Du bist – du bist ja toll – besessen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Vielleicht hielt Kirke diesen Faden, eh´<br />
sie schlafen ging?<br />
(Er rollt hastig weiter ab)<br />
Euch Götter seh´ ich, als Standbilder<br />
zwischen Athen und der Welt –<br />
(er rollt schnell ab)<br />
- Jahrhunderte ... sie fliegen auf mich<br />
zu ... ich sehe Blut ...ich sehe Reiche<br />
fallen ... ich sehe Völker niedersinken ...<br />
Feuer aus den Lüften Menschen sinnlos<br />
morden ... ich sehe ... nichts ... nichts<br />
mehr - - !<br />
- (Er bricht in wahnsinniges Gelächter<br />
aus, sinkt nieder, dabei reißt der Faden<br />
von der Rolle)<br />
Lachesis<br />
Beim Zeus – was tust du, Mensch! Was<br />
ist das?<br />
Atropos<br />
(missmutig)<br />
Er hat auf <strong>ein</strong>s die Jahrtausende durcheilt<br />
und ist von Sinnen. Wundert euch das?<br />
Klotho<br />
(wie aus entsetzlicher, lähmender<br />
Unschlüssigkeit erwachend)<br />
Vor k<strong>ein</strong>em Schicksal war mir je bange!<br />
Viel Grauen hab´ ich abwickeln müssen!<br />
Ich habe Strafen der Götter vollstreckt<br />
gesehen und Tod und Elend aus m<strong>ein</strong>en<br />
Händen weitergegeben. Ich habe stets<br />
m<strong>ein</strong> Amt unparteiisch und gehorsam<br />
ausgeführt. Nie hat mich <strong>ein</strong>es<br />
Menschen Geschick davon abhalten<br />
dürfen.<br />
(<strong>Phaethon</strong> stöhnt)<br />
Dies aber – dies ist k<strong>ein</strong> Geschick: dies<br />
ist<br />
(<strong>Phaethon</strong>s Faden durchtrennend)
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das Ende!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(kehrt langsam wieder zu sich zurück)<br />
Barmherzigkeit! - - Dank sei dir, Klotho,<br />
dass du das getan!<br />
Klotho<br />
(entsetzt auf ihre Hände starrend,<br />
zitternd)<br />
Was – was habe ich getan? Oh Götter,<br />
Jüngling – ich habe d<strong>ein</strong>en Faden<br />
zerrissen!<br />
(Sie schluchzt, die Hände vor das<br />
Gesicht pressend)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sich erhebend, zu ihr tretend)<br />
Wie lange ist er her, dass du die<br />
Schleusen d<strong>ein</strong>es Mitgefühls geöffnet?<br />
Um m<strong>ein</strong>etwillen hast du dich heute<br />
ganz menschlich, ganz göttlich zugleich<br />
erwiesen. Tröste dich, Klotho: du bist<br />
sehr alt geworden!<br />
(Er kniet vor ihr nieder)<br />
Darum schulde ich dir Ehrfurcht. Wenn<br />
ich es eben auch nicht tat – jetzt tu ich´s.<br />
Verzeih mir Sterblichem m<strong>ein</strong> Vergehen,<br />
aber wer hätte den Faden sonst zerreißen<br />
sollen? Und so lieb, so kurz nur hältst du<br />
ihn in d<strong>ein</strong>en faltigen dürren Händen!<br />
Klotho<br />
Hast du denn k<strong>ein</strong>e Angst?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wie lange reicht er denn?<br />
Klotho<br />
Für <strong>ein</strong>en ganzen Tag nur noch!<br />
Erebos<br />
Nyx, liebliche Schwester! Du wirst bald<br />
schlafen können: Hypnos, d<strong>ein</strong> Sohn, hat<br />
die Verzweiflung in tiefen Schlaf<br />
versetzt. – Nanu? Was gibt es jetzt?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(ihn nicht beachtend)<br />
Ich danke dir, Klotho! Diese Frist reich<br />
völlig. Und jetzt will ich zu m<strong>ein</strong>em<br />
Vater, ihm guten Tag zu wünschen.<br />
Erebos<br />
Wer bist du, schöner Jüngling?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Vergänglich, teurer Erebos, wie alles<br />
hier.<br />
Was redest du?<br />
Erebos<br />
Atropos<br />
Papperlapapp! Er war eben schneller als<br />
wir! Nun denn, er weiß es jetzt.<br />
Klotho<br />
Und das alles, damit ich s<strong>ein</strong>en Faden im<br />
Zorn abrisse!<br />
Erebos<br />
Jüngling, wozu? Du hättest leben<br />
können!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ach, alter Graubart: Nachdem ich<br />
gesehen habe, was kommen muss, ist es<br />
mir ganz lieb, als Wesen m<strong>ein</strong>er Zeit in<br />
den Schoß des Nichts zurückzukehren.<br />
Glaube mir: Es lohnt sich nicht! – Leg´<br />
d<strong>ein</strong>e Schere weg, Atropos: Du wirst sie<br />
nicht mehr brauchen: Sagt Hypnos, er<br />
soll sich auf <strong>ein</strong>e große Aufgabe<br />
vorbereiten.<br />
Neunter Auftritt<br />
Was soll er tun?<br />
Nyx<br />
(Erebos kehrt zurück)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Er soll das Ungeheure schlafen legen.<br />
Das Welttheater wird zwar
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weiterspielen, aber außer größeren<br />
Schrecken wird es nichts Neues zu sagen<br />
haben. Ein gutes Theater wird s<strong>ein</strong>er<br />
Generation <strong>ein</strong> kluger, vielleicht sogar<br />
weiser Ratgeber s<strong>ein</strong> können, aber es soll<br />
sich nicht <strong>ein</strong>bilden, deswegen gern<br />
gehört zu werden.<br />
Klotho<br />
Oh teurer Sohn des Helios! D<strong>ein</strong> Faden<br />
geht zu Ende!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Halt´ ihn – noch diese Nacht und diesen<br />
neuen Tag, bis ich das Letzte weiß, das<br />
mir m<strong>ein</strong> Vater zu sagen haben wird.<br />
Einmal möchte ich´s noch wissen, was<br />
ich versäumt habe, dann gib ihn Atropos,<br />
den schwachen Zipfel m<strong>ein</strong>es Lebens!<br />
Atropos<br />
Du rührst auch m<strong>ein</strong> Herz! Wie kommt<br />
das?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du hast das erstemal zu d<strong>ein</strong>em Opfer<br />
aufgesehen, Atropos, und hast erkannt,<br />
was du tun musstest.<br />
Atropos<br />
(ihm die Wange streichelnd)<br />
Recht hast du, Söhnchen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dir, Lachesis, kann ich k<strong>ein</strong>e Träne<br />
abnötigen?<br />
Lachesis<br />
Du hast mich überlistet!<br />
(wegsehend)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du gute Seele hättest mich ja doch d´ran<br />
gehindert, nicht wahr?<br />
Lachesis<br />
(sich verstohlen das Auge wischend)<br />
Warum hast du das getan?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong> Lebensmut gipfelte in der Liebe zu<br />
<strong>ein</strong>er Unbekannten. Das Schweigen<br />
bringt mich um: ich suche sie vergebens!<br />
Selene<br />
Kann das noch lebenswert s<strong>ein</strong>, s<strong>ein</strong><br />
Leben an <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziges Wesen zu hängen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du siehst ja: N<strong>ein</strong>!<br />
Selene<br />
<strong>Phaethon</strong>, lass´ das Spotten!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Bei Odä – n<strong>ein</strong>, ich spotte nicht!<br />
Selene<br />
Ich kann dir d<strong>ein</strong>en Edelmut nicht mehr<br />
belohnen, darum gehen wir weiter<br />
(abseits, zu Klotho und Lachesis)<br />
Knüpft doch das Ende s<strong>ein</strong>es Fadens an<br />
<strong>ein</strong> langes, reißt den Rest dann ab, so<br />
kann er leben!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ob dir die List genügen mag? Ich fürchte<br />
nichts! Und darum,<br />
(er entreißt Lachesis s<strong>ein</strong>en Faden und<br />
reicht ihn, zusammengeknüllt, Selene)<br />
so sag´ ich, lass´ uns erst zum Vater<br />
Helios gehen!<br />
Selene<br />
(zornig)<br />
Gut denn, du störrischer Mensch! Ich<br />
gebe ihn d<strong>ein</strong>er unbekannten Geliebten!<br />
Mag sie zusehen, was sie damit anfängt!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Du weißt, wo sie wohnt?<br />
(erstaunt)<br />
Selene<br />
Natürlich weiß ich´s! Komm, wir gehen!<br />
Erebos<br />
Du bist des Todes, <strong>Phaethon</strong>!
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<strong>Phaethon</strong><br />
N<strong>ein</strong> – des Lichtes! Denn von dorther<br />
kam ich, dorthin kehr´ ich zurück! –<br />
Auch euer Amt ist bald zu Ende! Lebt<br />
wohl, ihr alten Götter Griechenlands!<br />
Lachesis<br />
Bei Zeus: Der Faden ist verworren!<br />
Klotho<br />
Ich kann nichts fassen – außer diesem<br />
kurzen Stück!<br />
Atropos<br />
(die Schere fortlegend)<br />
So sind auch wir erlöst. Kommt, geh´n<br />
wir schlafen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(schon weiter weg)<br />
Mir ist der Fuß so leicht, der Weg so<br />
unbeschwert ..., m<strong>ein</strong> Leben gleicht dem<br />
Schweben! Oh, Götter, seid ihr nahe! So<br />
menschlich nahe – so erhaben – so<br />
vergänglich nahe, dass ich ohne Tränen<br />
weiterwandere! Nicht Wandel schreckt<br />
das Maß der Dinge, n<strong>ein</strong>, Erfüllung! Nie<br />
peitschte ich das Meer mit Ruten,<br />
sondern war nur Werkzeug all die Jahre,<br />
so fühl´ ich´s!<br />
Nur diesen Tag noch: Er bringe uns des<br />
Rätsels Lösung!<br />
(Die Szene wird langsam verlassen)<br />
Zehnter Auftritt<br />
(Halle im Palast des Helios, mit zwei<br />
sich gegenüberliegenden Ausgängen,<br />
kuppelförmig nach oben;<br />
im Halbrund der hinteren Wand Gestühl,<br />
darin in der Mitte Helios´ Thron,<br />
erhöht; Kostbarkeiten symbolisieren das<br />
Leben der Götter, ausschmückend)<br />
(Fanfaren: Einzug der dem Helios<br />
zugeordneten Gottheiten wie die Horen,<br />
die Jahrtausenden, usw., als CHOR<br />
gemessen den Raum erfüllend, sich<br />
teilend,<br />
<strong>ein</strong> jeder s<strong>ein</strong>em Platze sich nähernd,<br />
von Paukenschlägen begleitet)<br />
Chor I<br />
Wer aus der Nacht den Tag begrüßt,<br />
mag, wie der Tod, vom Schlaf erwachen:<br />
Er tritt aus Dunkelheit an´s Licht,<br />
streckt aus der Kühle sich zur ew´gen<br />
Wärme<br />
Chor II<br />
Zur Sonne drängt das Leben gerne,<br />
und Helios genügt der Pflicht,<br />
das Eis, es schmilzt, die Fluren lachen,<br />
wo s<strong>ein</strong> Gestirn die Erde küsst.<br />
Chor I<br />
Doch wehe, wem Erleuchtung f<strong>ein</strong>d<br />
Und ihn verschleierte Gelüste freuen!<br />
In´s Dämmerlicht der Seele dringen<br />
Ihm Helios´ Strahlen nicht hinab!<br />
Chor II<br />
Er muss sie meiden mit flüchtigem Stab.<br />
Sie können ihm nicht Heilung bringen.<br />
Was and´re segnet, muss er scheuen,<br />
muss untergeh´n wo Rettung sch<strong>ein</strong>t.
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Chor I und II<br />
Oh Mensch, der du das Licht so liebst:<br />
Verehr´s, doch spalt´ es nie zum Grauen!<br />
Es bleibt dir fremd, was du besiegst –<br />
vernichtest nur, statt zu erbauen! –<br />
Wer diesem Heiligtum sich naht,<br />
den warnen wir, sterblich zu s<strong>ein</strong>:<br />
Geblendet von des Höchsten Sch<strong>ein</strong>,<br />
bereut er, was er frevelnd sah!<br />
Elfter Auftritt<br />
(Paukenwirbel, dann Posaunen:<br />
es ersch<strong>ein</strong>t Helios, auf dem Gewand<br />
<strong>ein</strong>e Sonne <strong>ein</strong>gestickt,<br />
noch ohne Strahlenkranz)<br />
Helios<br />
Sonst altvertrautes morgendliches<br />
Plaudern<br />
in lock´rer Gruppen Vielerlei -: Nun<br />
heut´ so ernst,<br />
so feierlich in wohlgemess´nem Gang?<br />
Betrübt ´was? War zu dieser Jahreszeit<br />
weitschweifig eure Nacht? – Und die<br />
Jahrtausende,<br />
die letzten, steht ihr da mit<br />
trauerkündend-,<br />
ja finster wallenden Gewändern? – Wie,<br />
gar Tränen?<br />
(zu Hemera)<br />
Ist es uns´res Gastes wegen,<br />
den Selene uns just aus tiefer nacht<br />
heraufzubringen sich mit leichtem Fuß<br />
und heit´ren Redensarten froh bemüht?<br />
Ihr Götter! Ist das alles, was euch<br />
drückt?<br />
Was können Götter fürchten wollen? Hat<br />
der Mensch sich selbst uns zwar erdacht<br />
mit Namen,<br />
kommt auch die Zeit, in der er sich<br />
„erlöst“<br />
vom unschuldsvollen Kinderglauben!<br />
Dann<br />
erlischt der Name dieses Volkes rasch.<br />
Wir aber wissen uns wie je zu wandeln,<br />
und neue Schöpfung geht aus uns hervor.<br />
Wohl ist es recht: Man muss sich trennen<br />
können,<br />
doch fällt, was wir den Menschen<br />
überließen,<br />
nach Maß der Schöpfung endlich uns,<br />
den Göttern,<br />
am Ende wohlverdientermaßen zu.<br />
Was ihr beklagen würdet, ist <strong>ein</strong><br />
Schrecken<br />
für heute nur. Viel schlimmer trifft es<br />
mich:<br />
Da ist m<strong>ein</strong> Sohn, der, lebensmatt, die<br />
Dinge<br />
zu bessern sucht, statt schlecht´re zu<br />
erfinden!<br />
Ich kann euch trösten: Seht, er wandelt<br />
nur,<br />
nichts löst er durch verzweiflungsvolles<br />
Ringen.<br />
(Vor dem Throne angekommen,<br />
setzt er sich,<br />
legt den Strahlenkranz jetzt an,<br />
auch die übrigen lassen sich auf ihren<br />
Plätzen nieder)<br />
Zwölfter Auftritt<br />
Selene<br />
M<strong>ein</strong> Bruder Helios!<br />
(Selene ersch<strong>ein</strong>t)<br />
Helios<br />
Nun, Schwester, schon<br />
zurück? Und bringst du mir m<strong>ein</strong> teures Kind?<br />
Selene<br />
Bis hierher unversehrt! Er wartet draußen.<br />
Helios<br />
(zu Hemera)<br />
Ist´s Zeit?<br />
Dieser nickt)<br />
Und doch:<br />
(zu Selene)<br />
Berichte du zuerst von ihm!<br />
Selene<br />
Er ging von Echo tränenschwer von hinnen<br />
und irrte bald, des Weg´s unkundig, hin,<br />
als ich ihm leuchtete mit ziemlich voller<br />
und klar begrenzter Scheibe. Doch ich kann<br />
wohl sicher sagen: Er erkannt´ mich nicht!
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Helios<br />
So sinnestrunken – oder war´s der W<strong>ein</strong>?<br />
Selene<br />
Die Zeit zu spotten, liebster Bruder, ist<br />
verjährt! Denn was sich anzubahnen sch<strong>ein</strong>t,<br />
wird auch d<strong>ein</strong> weites Herz beklemmen müssen.<br />
Helios<br />
Wie das – verjährt? – Was ich noch gestern<br />
scherzte,<br />
treibt Missklang auch schon in die r<strong>ein</strong>en Worte?<br />
Was Schlimmes mag es s<strong>ein</strong>?<br />
Selene<br />
Wie, Helios –<br />
du magst hier fragen?<br />
Helios<br />
Ja!<br />
Selene<br />
Du ahnst nicht –<br />
Helios<br />
Was?<br />
Selene<br />
Du zeugtest ihn, und sie, Klymene, schwieg<br />
zu ihrem hohen Mutterglück die Jahre,<br />
verheimlichte dem Jüngling noch s<strong>ein</strong> Erbe,<br />
bis Pan sich diesen kühnen Scherz erlaubte<br />
und <strong>ein</strong>em Bettler anvertraute, was<br />
er lüstern <strong>ein</strong>st erlauscht abseits dem Brautbett.<br />
Helios<br />
Ich dacht´, der Schelm spielt sonst die Flöte<br />
besser?!<br />
Selene<br />
Was selbst die Schwestern <strong>Phaethon</strong><br />
vorenthielten,<br />
verriet ihm jetzt boshaft die Kreatur,<br />
um durch die Mutter Wohlstand zu erpressen.<br />
Doch dieser Greuel und der Frevel s<strong>ein</strong>er<br />
voll Dreistigkeit hinzugesetzten Lügen,<br />
sehr schnell entlarvt durch <strong>Phaethon</strong>s treue<br />
Schwestern,<br />
vereitelten das schändliche Beginnen.<br />
Doch blieb der Stachel, <strong>ein</strong>es Gottes Sohn<br />
zu s<strong>ein</strong>, und dieser und <strong>ein</strong> schlimm´rer Umstand<br />
bewirkten jäh <strong>ein</strong> forschend-jammernd´ Klagen;<br />
Verzweiflung setzte schließlich <strong>ein</strong>en Plan,<br />
von Echo ihm zudem ins Herz geraten,<br />
und darum steht er hier vor dir zu bitten.<br />
Helios<br />
S<strong>ein</strong> Maß ist ihm gesetzt, ganz gleich, durch wen<br />
-<br />
s<strong>ein</strong> kindlich r<strong>ein</strong>es Herz soll nicht noch länger<br />
um m<strong>ein</strong>etwillen leiden. Lasst ihn kommen!<br />
Hemera<br />
Bedenke, Helios: Er ist nur sterblich!<br />
Helios<br />
(legt den Strahlenkranz ab)<br />
Des Wahnsinns Los erspar´ ich ihm bei Zeiten,<br />
d´rum lasst ihn vor mich treten, wes Verstand´s<br />
er immer sei – ich will ihn m<strong>ein</strong>er würdig<br />
erhalten, denn er ist ja m<strong>ein</strong> geblieben!<br />
(zu Hemera, der gehen will)<br />
Noch Halt! Es bleibe nichts verhüllt, versäumt:<br />
Posaunen lasst für ihn Willkommen blasen,<br />
denn <strong>Phaethon</strong> ist ja auch Klymenes Sohn.<br />
Dreizehnter Auftritt<br />
(Posaunen wie im Vorspiel;<br />
<strong>Phaethon</strong> tritt <strong>ein</strong>, von Hemera geleitet)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Obgleich die Sterblichen das Heiligste der Götter<br />
zunächst verehren und hernach verachten,<br />
steh´ ich, Klymenes Sohn, voll Ehrfurcht hier<br />
und beuge demutsvoll das Knie vor dir,<br />
m<strong>ein</strong> Vater!<br />
(Er schweigt, sieht aber offenen Auges zu s<strong>ein</strong>em<br />
Vater auf.<br />
Dieser hält zunächst das Schweigen)<br />
Helios<br />
Was Griechenland nicht haben mag,<br />
soll nun gar ich als Opfergabe <strong>ein</strong>er<br />
womöglich stolzen Mutter wiederhaben?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich fragte weder Griechen noch die Mutter.<br />
Zu dir empfahl mich Echo, m<strong>ein</strong>e Schwester.<br />
Helios<br />
Weiß sie soviel von mir, dass sie dies durfte?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
M<strong>ein</strong> Herz befahl mir, ihrem Rat zu folgen,<br />
um nicht zu endigen, was noch zu retten!<br />
Und? Hoffst du?<br />
Helios<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja! Auf Erden ist <strong>ein</strong> Tag<br />
mir nur noch zugemessen, doch die Götter<br />
vermögen, wenn sie wollen, den Verlust<br />
durch <strong>ein</strong>e List mit eig´nen Mitteln zu<br />
ersetzen.<br />
Helios<br />
Kühn bist du, des Rates würdig!<br />
Was hast du aufzuweisen, dass du so<br />
absonderliche Wünsche mir, statt erst den<br />
Parzen,
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in frommem Jugendsinne nennen möchtest?<br />
- Doch gut, ich werde später fragen, weiß<br />
ich doch, wie hoffnungsschwach du von der<br />
Mutter<br />
herauf zu mir, durch Selene geleitet,<br />
die Wallfahrt nahmest. – Was ist d<strong>ein</strong> Begehr?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wenn du m<strong>ein</strong> Vater bist, hast du mich doch<br />
gar wohl versorgt – trotz dieser Ferne?!<br />
Helios<br />
(finster blickend, sich erhebend)<br />
Bedenk´: Du trotzt mir <strong>ein</strong>e Geste ab –<br />
Nicht mehr!<br />
(Er geht auf <strong>Phaethon</strong> zu)<br />
Steh auf – sieh mir ins Angesicht!<br />
(<strong>Phaethon</strong> steht auf, sieht ihn an)<br />
Du zitterst – nicht – du hältst dem Blick mir<br />
stand?<br />
So kommst du nicht, um lebend zu gewinnen?<br />
Du kommst, mir m<strong>ein</strong> Geschenk<br />
zurückzugeben!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja, Vater .... Hielt ich´s wohl für dich verwahrt?<br />
Helios<br />
Veracht´ ich Menschenopfer, will m<strong>ein</strong> Sohn<br />
Sich schlachten lassen? - - Wohl aus Übermut?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Verzeih, m<strong>ein</strong> Vater: Soll ich dann hinab<br />
und selber Hand anlegen, was du schmähst?<br />
Helios<br />
Um d<strong>ein</strong>en Stolz kämpf´ nicht – ring´ um d<strong>ein</strong><br />
Leben!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was gibt du mir dafür?<br />
Helios<br />
(lächelnd)<br />
Die Braut des Lebens!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Sie heißt – ich nenne Odä die Geliebte,<br />
die gestern früh ich erst entließ aus uns´rem<br />
geheimen Brautgemach im Haus der Mutter.<br />
Helios<br />
Geheim? Weshalb durft´ sie davon nichts<br />
wissen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist nicht Odäs rechter Name, den<br />
mir Mutter sagte und den richtigen<br />
mir nicht zu sagen anfangs m<strong>ein</strong>er Braut<br />
versprechen musste. Da´s nun Mutter wusste,<br />
dass wir uns lieben, sandte sie mich fort.<br />
Helios<br />
Beschaff´ ich dir die Liebliche, gehst du<br />
Zurück – hinab zur Mutter? –<br />
(zu Hemera)<br />
Geh und forsche!<br />
Nimm gleich den Knaben hier zur Mutter mit!<br />
Nun, leb´ denn wohl, m<strong>ein</strong> Sohn, mit diesem<br />
Kusse ...,<br />
n<strong>ein</strong>, widersetz´ dich nicht – und grüß´ sie innig!<br />
(Er küsst <strong>Phaethon</strong> leicht die Stirn.<br />
Dieser schüttelt Hemeras Arm unwillig ab,<br />
bleibt stehen.<br />
Helios beachtet ihn nicht weiter)<br />
Wo bleibt denn Eos? Längst schon müsst´ es<br />
Tag s<strong>ein</strong>!<br />
Die Flügelpferde schnauben schon im Stalle ....<br />
So spann´ ich an. Sie soll die Pforten öffnen!<br />
Vierzehnter Auftritt<br />
(Eos ersch<strong>ein</strong>t,<br />
das Gesicht bis auf die Augen verborgen,<br />
das Haupt gesenkt, in tiefer Trauer)<br />
Helios<br />
(zärtlich ihre Hände fassend,<br />
sie an sich ziehend,<br />
dabei fällt die Verschleierung)<br />
Errötendste der Schwestern: Du verbirgst<br />
Für diesen heit´ren Tag die schönen Züge?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sie erkennend, <strong>ein</strong>en Schrei ausstoßend,<br />
zurücktaumelnd)<br />
Odä – Eos! Göttin – ist – die Braut?<br />
(Er sinkt auf die Knie in wilder Verzweiflung)<br />
Helios<br />
Der Knabe spricht in Rätseln, denk´ ich?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(mit den Fäusten den Boden schlagend)<br />
Wenn sich erst Götter gar zu Menschen wandeln<br />
und mit den Nymphen drunten Söhne zeugen,<br />
die sie, wenn jene aufgewachsen, leicht<br />
zum lauen Spiel der Schwester werden lassen,<br />
dann, heil´ger Vater Helios, mach´ mich<br />
wied´rum just hier den Göttern gleichermaßen,<br />
denn war´s nicht Eos, die mir Treue schwor,<br />
die, ohne ihren Namen preiszugeben,<br />
mit dem Geheimnis heiter sich empfahl?<br />
Was sind wir Menschen bloß euch Göttern? –<br />
Luft?<br />
Helios<br />
Du hast es selbst gesagt: Nur Luft!<br />
(spöttisch)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wie? Was?<br />
So zeugtest du der Mutter <strong>ein</strong>fach Luft? –<br />
Ein leichthin kräuselndes Gewölk soll ihr
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dieses unverzüglich melden, künden, was<br />
doch ihr Geliebter –<br />
Helios<br />
Schweig!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(in Verzweiflung schreiend)<br />
Dem Sturm befiehl!<br />
Wirf mich hinab – der Mutter Schmach besteht!<br />
Helios<br />
(ihn erstaunt betrachtend)<br />
Bist du m<strong>ein</strong> Sohn? –Du bittest für die Mutter?<br />
(Er hebt ihn auf, zieht ihn heftig an sich)<br />
N<strong>ein</strong>, n<strong>ein</strong>! Das sollst du nicht! Verzeih mir,<br />
<strong>Phaethon</strong>!<br />
Ich war sehr hart, verstellte mich zu prüfen,<br />
ob du es seist, den ich m<strong>ein</strong> eigen nenne,<br />
und finde dich der Mutter Los weit höher<br />
beschreibend als das eig´ne, das ich <strong>ein</strong>st<br />
in m<strong>ein</strong>em Vaterstolz dir kostbar zuerdacht.<br />
Nun höre ich, zwei Schatten sind auf d<strong>ein</strong><br />
sonst völlig sorgenfreies S<strong>ein</strong> gefallen?<br />
Denn zweimal hat man dir <strong>ein</strong> großes Los<br />
doch sehr verkl<strong>ein</strong>ert nur ins Herz vertraut?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Und schlepp´ ich doppelt nicht an jedem<br />
<strong>ein</strong>z´lnen?<br />
So sprich!<br />
Wozu?<br />
Helios<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Helios<br />
Erkämpfst du dir sonst nichts?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mir sind ja beide Lose zuerkannt,<br />
und jeder Sterbliche, auf solche Art<br />
bevorzugt, weiß damit auch wohl zu rechnen.<br />
Nur: Erstens – ich verweigere die Mitgift,<br />
des Gottes Helios geheim gezeugtes,<br />
als sterblich gar zu Welt gebrachtes Kind<br />
zu gelten. N<strong>ein</strong>, d´rauf vorbereitet ward<br />
ich nicht. Soll ich als Mensch nur leben und<br />
m<strong>ein</strong> Erbgut, d<strong>ein</strong> Geschenk, zu k<strong>ein</strong>es<br />
Menschen<br />
Gebrauch, ohn´ allen Nutzen mit mir schleppen?<br />
Kann das <strong>ein</strong> Gott von s<strong>ein</strong>em Kinde wollen?<br />
Er kann!<br />
Helios<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Doch woher weiß der Sohn dies sicher?<br />
Doch nur aus sich, wo ihm die Botschaft raunt,<br />
das Heilige in sich groß zu entfalten,<br />
den stillen Wink der Seele für die Tat<br />
zu messen, sei sie unbedeutend kl<strong>ein</strong>!<br />
Denn m<strong>ein</strong>st du nicht, selbst Mittelmäßiges<br />
veredele sich nicht durch d<strong>ein</strong>en Samen<br />
als stille Kraft bis zum Erhabenen?<br />
Und will er das verhindern, muss er selbst,<br />
der Gott, als Vater ja wohl nicht? – die Rose<br />
herniederdrücken, bis sie krüppelt am<br />
Spalier der unteren Gesinnung, um<br />
die hohe Abkunft solcher Schändlichkeit zu<br />
opfern! – Du, m<strong>ein</strong> Vater, denkst so nicht!<br />
Helios<br />
N<strong>ein</strong>, nie! – Was ist d<strong>ein</strong> Vorwurf weiter,<br />
<strong>Phaethon</strong>?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es war nicht gut, mir m<strong>ein</strong>en Vater zu<br />
verschweigen!<br />
Mensch?<br />
Helios<br />
Rechnest du nicht wie <strong>ein</strong><br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ja? – Zweitens: Warum hat mir d<strong>ein</strong>e Schwester,<br />
die gleichfalls auch mit mir verwandt, geheim,<br />
auf m<strong>ein</strong>e Liebe rechnend, das erschlichen,<br />
was sie – das wusste sie – von m<strong>ein</strong>er Mutter<br />
auf off´nen Wunsch so nicht erhalten hätte?<br />
Helios<br />
Bis Eos selbst sich äußert, will ich schon<br />
in diesem Haus das Urteil fällen: Ja,<br />
auch ich verdamme das geheime Schmieden<br />
von Ehen, die von kurzer Dauer sind!<br />
Doch Eos rede, wenn der erste Punkt<br />
geklärt und <strong>Phaethon</strong> sich zu mäßigen bemüht.<br />
Du hörst -?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich will nicht! Und hier setz´ ich mich!<br />
(Er setzt sich auf den flachen Boden)<br />
Helios<br />
Auch gut: Halt´ warm die Erde! – Jetzt zum<br />
ersten:<br />
Klymene gab ich dich zu sanftem Leben;<br />
in ihrer und der Schwestern treuer Obhut<br />
erwuchsest du, das Glück, der Glanz des Hauses,<br />
erkennbar als m<strong>ein</strong> Sohn durch d<strong>ein</strong>er Seele<br />
gar tiefe, segensreiche stille Botschaft!<br />
Du hättest, wenn du nichts gewusst, all<strong>ein</strong><br />
durch d<strong>ein</strong>e gute Tat bewirken können,<br />
wozu den and´ren Weitblick fehlet oder Mut!<br />
Du warst auf bestem Wege! D<strong>ein</strong>e Schwestern<br />
verbanden dir die Wunden und umschmückten<br />
mit zarter Hand dir oft die nasse Stirn,<br />
wenn d<strong>ein</strong> der Sieg! – den du so kühn<br />
verschmähtest.<br />
Nun magst du schelten, dass ich´s hier enthüllt,
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doch denk´ ich mir: Du weißt nicht, was ich<br />
plante!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Solange ich – nur Mensch – aus m<strong>ein</strong>er Seele<br />
den Himmel atme und d<strong>ein</strong> göttlich´ Licht,<br />
durch das mich´s drängend höher zieht zu leben,<br />
solange mag die Sehnsucht die Gemüter<br />
der glückverschmähten Menschen hoffend<br />
stärken.<br />
Doch ahnte je die gleichgeschaff´ne Seele<br />
bei mir Betrug – dass jemals sie erführe:<br />
Es war ja nicht die selbstgeschöpfte Kraft,<br />
die bloße Menschlichkeit! – so folgt der<br />
Vorwurf:<br />
Man sagt, die Götter spielten unbekümmert<br />
durch ihre Söhne mit dem schwersten Jammer!<br />
Und and´re: Der war Gottes Sohn<br />
Und brachte mehr des Glückes nicht zu Wege?<br />
Oh, pfui dem Bastard Helios´, der Sonne,<br />
er gliche eher doch dem Lampenschimmer!<br />
Helios<br />
Wer Segen hält, bezieht die gröbsten Flüche!<br />
D´rum sperre ja d<strong>ein</strong> Inn´res zu und schweig´!<br />
Lass´ du die Kreatur dich ferne hassen,<br />
zieh´ bald getrost in ferne Lande fort<br />
und bleibe dennoch immer, der du warst.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Verhöhnt, verhasst, und endlich heimatlos?<br />
Darf denn d<strong>ein</strong> Sohn nicht mehr als dies<br />
ertragen?<br />
Gib mir den Wink, um dessentwillen man<br />
verstößt den Sohn: Der Menschen Not zu enden!<br />
Helios<br />
Ich bin nicht Zeus, dir Fähigkeit zu geben,<br />
das <strong>ein</strong>z´lne Los aus allgem<strong>ein</strong>er Schuld,<br />
je nach Bedarf, von Mensch zu Mensch, zu<br />
lösen.<br />
Der Gott, der das erlaubt, muss <strong>ein</strong>zig leben,<br />
und s<strong>ein</strong>em Sohne Wehe, dem´s gegeben!<br />
N<strong>ein</strong>, liebstes Kind, dies Größte geb´ ich nicht!<br />
- Dennoch <strong>ein</strong> and´rer Vorschlag, dich zu ehren:<br />
Gesetzt, es ist bekannt jetzt, wer du seist,<br />
schick´ ich dich morgen, tief gesegnet, neu<br />
hinab, der größte Dichter Griechenlands,<br />
vielleicht Europas gar, - berühmt zu werden.<br />
Weit sichtbar sei das Maß bestimmt, bekannt,<br />
was Helios bereit, dem Sohn zu geben.<br />
Dass dies geschieht, das schwör´ ich, trag´ ich<br />
Sorge!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ein Künstler, der im Geist der Zeit voraus,<br />
gleicht wohl dem Seher, aber ohne jenem<br />
vergleichbar in der Unantastbarkeit!<br />
Hier liegt es ärger: Um Erfolg zu haben,<br />
empfiehlt er sich den Mächtigen zum Bündnis,<br />
und, statt das Schändliche zu schmähen,<br />
schweigt<br />
er weislich, wo der Seher sich empört!<br />
Und lässt man trotzdem ihn den Narren spielen,<br />
legt teuflisch man der falschen Spuren viele,<br />
so dass der Weg, die Wahrheit zu entdecken,<br />
zum labyrinthischen Verderben führt.<br />
So werde Seher!<br />
Helios<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Das zu s<strong>ein</strong>, gebietet<br />
Ihr Götter mir die <strong>ein</strong>e, allumfassend<br />
begründende Erkenntnis eures Willens,<br />
dann will ich geh´n und mich zerreißen lassen.<br />
Helios<br />
Der ew´gen Gottheit Vielerlei auf <strong>ein</strong>s<br />
wie durch geschliff´nes Glas zu konzentrieren,<br />
durchleuchtet nicht -: es sengt mit <strong>ein</strong>s hinweg!<br />
Verkünd´ es - - doch entstammst du selbst der<br />
Schöpfung?!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Dies alles nahm ich wohl in acht, eh´ ich<br />
mit m<strong>ein</strong>er Tante zu den Parzen ging,<br />
den Strick zu reißen, eh´ er abgeschnitten.<br />
Helios<br />
Was tatest du? Ich bitt´ dich: Scherze nicht!<br />
Selene<br />
Von Lachesis erhaschte er den Faden,<br />
er riss ihn – auf Jahrtausend´ Länge – weiter<br />
und sah, was nie <strong>ein</strong> Mensch vorausgeseh´n!<br />
Um ihn dem Augenblick zurückzugeben,<br />
zerriss man´s auch am and´ren Fadenende,<br />
was Leben heißt, bis auf dies Heute ab!<br />
(Sie reicht Helios den Fadenrest)<br />
Helios<br />
Nun weiß ich wirklich: <strong>Phaethon</strong> ist m<strong>ein</strong> Sohn!<br />
Mit eig´ner Hand ergriff er s<strong>ein</strong> Geschick<br />
obzwar mit Todesfurcht, und kam zum Vater!<br />
Du betteltest mir nicht von Rettung, <strong>Phaethon</strong>,<br />
vielmehr, du sorgtest um das Los der Welt.<br />
Verdienst du doch, mit mir das Licht zu zünden,<br />
das dir im Busen brannte, als du Mensch!<br />
Und hier gerade ist des Vaters Macht<br />
in eurem Götterstaat zu eng gemessen!<br />
Mir bleibt ja nichts, das Große zu vollenden,<br />
dem wandelnd´ Maß Erfüllung zu gewähren!<br />
Du magst dir wünschen, was du willst: Es ist<br />
mit Menschenglück auf Erden nachzumessen!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Doch denkst du nicht, <strong>ein</strong> Zeichen d<strong>ein</strong>er Macht<br />
symbolisch durch die <strong>ein</strong>zigartig kühne<br />
Erlaubnis jetzt zu setzen?<br />
Helios<br />
Was wäre dies?
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<strong>Phaethon</strong><br />
Lass´ mich, erhab´ner Vater, <strong>ein</strong>mal d<strong>ein</strong>en<br />
berühmten Sonnenwagen westwärts lenken!<br />
Nichts sonst?<br />
Helios<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Was bleibt danach?<br />
Helios<br />
Verderben – Tod!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Mir ist das Schattenreich gewiss – noch heute!<br />
Nur darum sorge nicht, m<strong>ein</strong> liebster Vater.<br />
Eos<br />
(aufschreiend)<br />
Oh <strong>Phaethon</strong>, <strong>Phaethon</strong>! Was hast du getan?<br />
Nun, Vater?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Helios<br />
So nenne mir den <strong>ein</strong>en Grund,<br />
womit ich Welt und Leben brennend strafte!<br />
Eos<br />
O Helios! O <strong>Phaethon</strong>! Oh, ihr Götter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ist dies nicht schon <strong>ein</strong> Grund, dass uns ihr<br />
Götter<br />
durch Listen und Verstellung lieben macht,<br />
vielleicht sogar mit etwas Treue lohnt,<br />
bis Charons Nachen flutennippend ächzt?<br />
Und hier <strong>ein</strong> zweiter, den ich dir schon nannte:<br />
Vermaß man sich, zu hintergeh´n mit Schweigen<br />
Klymenes Sohn, so hat der Trug s<strong>ein</strong> Ende,<br />
indem die Wahrheit fackelnd niederfährt!<br />
Helios<br />
Du bist nicht stark genug!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Zum Wagenlenken?<br />
Sprech´ ich denn von Hephaistos´<br />
Kostbarkeiten?<br />
Helios<br />
So suchst du d<strong>ein</strong>en Tod in Raserei,<br />
indessen unter dir der Erdkreis brenne?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Die Menschheit muss es danken, dass ich sie<br />
dies <strong>ein</strong>e Mal vom Himmel her erleuchte,<br />
damit sie lerne, nimmermehr die Wahrheit –<br />
um k<strong>ein</strong>en Preis – dem Edlen zu verdunkeln!<br />
Eos<br />
So hör´ doch auf! Du spottest, forderst Rache!<br />
Was wirst du ändern? Ja, du selbst verbirgst<br />
das Licht der Wahrheit, das du suchen kommst!<br />
Es ist schon wahr, dass ich in Liebe wallte<br />
und ständig auf der Suche war zu lindern.<br />
Dann sah ich dich! In allem, was ich sprach,<br />
gestand ich dir <strong>ein</strong> neues Wertgefühl!<br />
Ach, gliche ich doch dir! – Das war m<strong>ein</strong><br />
Sehnen,<br />
denn nur ihr Menschen wisst den Augenblick<br />
für alle Ewigkeit im voraus ganz<br />
in Demut, fromm und innig auszukosten.<br />
Ich, Eos, liebte dich in scheuer Ehrfurcht<br />
Und tu´s erst jetzt mit allen Göttersinnen!<br />
Auch, wenn ich göttlich bin, so hind´re nichts<br />
dich teuren Menschen, mir d<strong>ein</strong> Herz zu<br />
schenken!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nimm´s hin – am Abend fressen´s doch die<br />
Hunde!<br />
Eos<br />
(mit den Tränen kämpfend)<br />
Ich sehe wohl: Du darfst nichts mehr gewinnen!<br />
Doch warum schleuderst du das Letzte fort?<br />
Erfreut dich Armen, in Verzweiflung<br />
schäumend,<br />
die Wohltat nicht, dass ich hier bei dir stehe<br />
und betend w<strong>ein</strong>e, weil du von uns gehst?<br />
M<strong>ein</strong> Säumen riss dich fort zu raschem Handeln,<br />
doch warte hier, ich will zu Zeus, zu bitten!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(erschüttert)<br />
Das willst du tun? – Oh, Eos, süße Braut,<br />
begreifst du mich denn nicht? – dass m<strong>ein</strong><br />
Beginnen<br />
sich lebenslänglich nutzlos fortbemüht?<br />
Was soll <strong>ein</strong> Leben, das sich wirkungslos<br />
verzehrt, den Göttern aus der Hand gestohlen?<br />
Ich darf nur leben, wenn ich handelnd liebe,<br />
denn nur im Licht der Liebe kann das Leben<br />
gedeihen, kann es Wohltat bringen -: Licht!<br />
Eos<br />
Doch endlich: Wofür willst du dich jetzt opfern?<br />
Was lohnt, der Menschheit dauernd´ Los zu<br />
heben,<br />
den altgelegten Grund der gleichen Fehler<br />
dem <strong>ein</strong>en Menschenalter zu erklären,<br />
wenn schon das nächste sie erneut begeht?<br />
Du änderst nicht das irdische Geschlecht<br />
der Söhne, die der Väter Willkür höhnen<br />
und doch der gleichen Torheit unterliegen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(zögernd, wie abwesend)<br />
Vier Elemente sind´s; den Lebewesen<br />
vertraute Zeus nur drei. Prometheus ließ<br />
der Götter Vater zornig an den Felsen<br />
zu bitt´rer Qual mit kalten Ketten schmieden.
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Er ward befreit – nun gut: Er stahl das Feuer!<br />
...Nun hat der Mensch, es nutzend, in Gebrauch.<br />
Nur in Gebrauch? - In jedem Krieg, dem<br />
Morden,<br />
erhellt der Brand das schaurige Frohlocken.<br />
Doch nicht genug, erweist der Mensch sich<br />
findig,<br />
gelingt´s ihm <strong>ein</strong>st, des Feuers Kraft zu ballen,<br />
vom Himmel selbst, wie Götter, auszustreuen!<br />
Entsetzlich wütet er in s<strong>ein</strong>em Wahn,<br />
wobei der Gegner sich der gleichen Waffe<br />
bedient, das Leben d´runten zu vernichten.<br />
Bald grenzenlos, enthebt er der Gesetze,<br />
der gottgewollten Ordnung sich – und fällt!<br />
Helios<br />
M<strong>ein</strong> Sohn, du hast genug gesehen. Komm!<br />
Was wollt ihr tun?<br />
Eos<br />
Helios<br />
Er soll den Sonnenwagen<br />
beseh´n und prüfen, ob er ihn als Mensch,<br />
wohl nicht als Gottes Sohn, zu lenken weiß.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Als Mensch nur? Soll ich als Betrüger sterben?<br />
Helios<br />
K<strong>ein</strong> Sohn der Götter triebe grenzenlos<br />
mit diesem heil´gen Feuer die Vernichtung<br />
wie eben jene Wütende, die du<br />
beschrieben hast!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So darf ich also nicht?<br />
Helios<br />
Wenn du als Mensch die Reise wagtest – ja!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nun gut: Ich bin ja sterblich!<br />
Helios<br />
Ja – und m e i n !<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(wegsehend)<br />
Ich kann die Welt nicht hassen, nicht bestrafen!<br />
So gib sie auf!<br />
Helios<br />
Eos<br />
Oh, komm zu mir – die Stunden!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich ahne <strong>ein</strong> Versäumnis! – Liebster Vater,<br />
hilf du mir auf, dass mich m<strong>ein</strong> Tod nicht reute!<br />
Helios<br />
Auf diesen Augenblick, m<strong>ein</strong> Sohn, hab´ ich<br />
gewartet! Ja, m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong>, was du sahest,<br />
ist alles wahr! Was wir bisher erörtert,<br />
war nur gespielt, das Letzte dir zu fordern.<br />
Ja, frei bist du von dieser Stunde an!<br />
Du bist zwar Mensch, doch bist du Helios´ Sohn<br />
–<br />
ich sag´s leichhin jetzt, doch bedeutet´s viel!<br />
Im Leben d´runten stattete ich dich<br />
mit lichter Seele aus, der Schwestern Liebe<br />
umschützte diese höchste Himmelsgabe!<br />
Nun bist du zwar, doch nur noch diesen Tag,<br />
doch was vergeht, soll wieder neu erstehen.<br />
D´rum sieh: Den Lebensfaden knüpf´ ich jetzt<br />
zu <strong>ein</strong>em Kreis, der Leben dir verheiße.<br />
Wo klärend d<strong>ein</strong> Geschick sich jäh verdichtet –<br />
vorgestern fing es an – da soll´s beginnen,<br />
und mit dem Morgen mag es endend leben.<br />
Komm, Schwester, nimm des Liebsten<br />
Schicksalsfaden<br />
in treue Obhut! Küsst euch dann, nehmt<br />
Abschied!<br />
Was hier jetzt endet, steige morgen glücklich<br />
zum Leben froh empor!<br />
Eos<br />
(Helios´ Hände fassend)<br />
Oh, liebster Bruder!<br />
Soll nie das Bangen, Hoffen, das Verzweifeln<br />
<strong>ein</strong> sanftes Glück im Arm der Liebe finden?<br />
Soll <strong>Phaethon</strong>s Jammer als <strong>ein</strong> endlos´ Spiel<br />
beliebig oft den schaudernden Geschlechtern<br />
als Warnung dienen müssen vor den Göttern?<br />
Helios<br />
Sei unbesorgt: Die Toren stört k<strong>ein</strong> Jammer,<br />
solang´ er hier auf dem Theater spielt.<br />
Selbst vor dem Höchsten kann ich sie nicht<br />
warnen.<br />
Dafür sollt ihr die Tore offen sehen,<br />
wo zwischenhin der Schöpfer sichtbar waltet,<br />
dass euer Selbst der Schmerzen sich entkleide<br />
und unverhüllter Freude leben darf!<br />
Es ist d<strong>ein</strong> Bräutigam, der darum fehlte,<br />
als letzte Tat <strong>ein</strong> Mahnmal aufzusetzen.<br />
Ich tu´ es gern! Und da er liebend leidet,<br />
soll s<strong>ein</strong>er Liebe, flammend, licht und r<strong>ein</strong>,<br />
dies wiederkehrende <strong>Gedicht</strong> auch gelten!<br />
Dass er dazu, aus eigenem Erkennen,<br />
den Göttern gar das Feuer wiederbrächte,<br />
erhebt ihn ganz zu m<strong>ein</strong>em Sohne. - Nun,<br />
verlangt dich noch, die Sonne stolz zu führen?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(schüttelt das Haupt)<br />
N<strong>ein</strong>, Vater – n<strong>ein</strong>!<br />
Helios<br />
So, wie die Flamme r<strong>ein</strong><br />
Und furchtbar doch zugleich sich still verzehrt,<br />
verringert sich nun d<strong>ein</strong>e Lebensspanne.
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Du kamst so ohne Hoffnung her zu mir!<br />
Doch ruhig fußest du auf d<strong>ein</strong>er Würde.<br />
Wenn dich doch auch Klymene sehen könnte!<br />
(Er bricht in Tränen aus, das Haupt schützend.<br />
Endlich, sich fassend)<br />
Ich wusste ja, bevor du kamst, was kommen<br />
und mich zum größten Vater fordern würde!<br />
Was darf ich handeln, wenn ich handeln muss?<br />
Ach, an den Busen will ich m<strong>ein</strong>en Sohn<br />
dies <strong>ein</strong>e, letzte Mal mit Inbrunst pressen!<br />
(Sie umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />
Nun höre, höre, <strong>Phaethon</strong>: Niemand soll<br />
je wieder m<strong>ein</strong>er Rosse Zügel fassen,<br />
wenn ich nicht selbst! Doch diesen <strong>ein</strong>en Tag<br />
sei´s dir erlaubt: Ich wüsste k<strong>ein</strong>en Bess´ren!<br />
Ach, liebster <strong>Phaethon</strong>, wissen wir´s doch beide:<br />
Nicht lebend sehen sich die Besten wieder!<br />
Doch was ich dir versprach, das sei gehalten,<br />
und flössen selbst Jahrtausende dahin!<br />
Lass´ dir zuvor erst den Palast des Vaters<br />
noch zeigen. Sieh, hier stehen die Getreuen,<br />
die Horen Lenz und Sommer, Herbst und Winter,<br />
Jahrtausende, die vielen an der Zahl.<br />
Gespannt, erstrahlt die Kuppel schon, wenn Eos<br />
die Tore, eh´ ich selbst ersch<strong>ein</strong>e, öffnet.<br />
Komm, Schwester, führe du den Bräutigam<br />
noch <strong>ein</strong>mal sicher, Hand in Hand, durch d<strong>ein</strong>es<br />
Geliebten Heimatfeste, denn er ist<br />
in s<strong>ein</strong>er Sehnsucht endlich nun zu Haus.<br />
Umarmt euch, küsst euch – ja, doch w<strong>ein</strong>et nicht!<br />
Ist erst die Angst hinweg, so fallen Schranken.<br />
Der Fuß wird leicht, das Leben knüpft die<br />
Fesseln<br />
behende selbst sich ab und steigt zum Licht.<br />
Nun ist es hier – will nicht betrauert werden.<br />
Du bist gewachsen, seit ich dich zuerst<br />
gesprochen. Jetzt, am Gipfel d<strong>ein</strong>er Größe,<br />
m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong>, wirst du künftig nicht verzagen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Es ist nicht Angst: Ich tat ihr vorhin Unrecht;<br />
Nun schmerzt mich sehr, ihr wehgetan zu haben!<br />
Helios<br />
Ist recht!<br />
Kommt nur, ihr müsst euch trennen! – Eos! Eos!<br />
(Er legt den Arm um die laut Schluchzende)<br />
Eos<br />
Wie sollen wir´s im Kopf ergrübeln können,<br />
was unser Herz vor Qual nicht mehr erfassen<br />
kann?!<br />
Wie bangte ich, niemals mehr zu enttäuschen,<br />
dem Liebsten niemals irgend weh zu tun!<br />
Nun steht er hier, dem Leben sich zu künden,<br />
das ihn auf Erden nicht erfüllen durfte.<br />
Du hattest alles längst dies überschaut<br />
Und hast mich nicht gewarnt – du schwiegest<br />
auch!<br />
Oh, Fluch dem Wort, das ungesprochen bleibt,<br />
denn Schweigen lindert nicht – es muss das<br />
Unheil,<br />
dem Schwelbrand gleich, nach innen hin<br />
vergrößern!<br />
Helios<br />
Zum Trost gelobt´ ich euch des Hoffens<br />
Wiederkehr<br />
und die Gelegenheit, vor aller Welt<br />
in diesen wen´gen Augenblicken ganz<br />
den Umfang und die Tiefe eurer Liebe<br />
noch <strong>ein</strong>mal unerschütterlich zu nennen.<br />
(Er hält ihr den geknüpften Faden hin –<br />
Eos ergreift ihn zögernd)<br />
Eos<br />
(zu <strong>Phaethon</strong>)<br />
Vorgestern, als ich mich der Seele d<strong>ein</strong><br />
Zum erstenmal vertraute, wusste ich,<br />
dass sie in ungeheurem Flügelschlag<br />
der Heimat nahte. Sieh, nun ruht sie aus<br />
an m<strong>ein</strong>er Liebe, Lichtgeborener<br />
zum Licht, vergehend und doch wieder werdend<br />
- Wenn d<strong>ein</strong>e Lippen kalt, d<strong>ein</strong> Herze still,<br />
bin ich nicht ferne, dich zum Licht zu retten.<br />
Dies sei das ganze Los der armen Eos!<br />
Eos<br />
N<strong>ein</strong> Liebster, das ist längst schon überwunden.<br />
Mich quält der Abschied – and´res quält nicht<br />
mehr.<br />
Helios<br />
Du reißt die Wunde, die s<strong>ein</strong> Tod dir schlägt,<br />
mit aller Kraft nur tiefer auf! Willst du<br />
entsetzt im Brautbett s<strong>ein</strong>en Tod erleben?<br />
Komm – gib ihn frei! Lass´ ihn dies <strong>ein</strong>e<br />
Tagwerk<br />
an s<strong>ein</strong>es Vaters Statt beglückt beenden.<br />
Dann magst du trauern und ihn – neu erwarten!<br />
Hemera<br />
Die Rosse warten, Helios!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Wir fühlen Gleiches, sind wir doch nicht gleich,<br />
und atmen wir nicht dennoch gleiche Luft?<br />
Wir steh´n im Äther uns´rer Liebe, im<br />
Zenit, und, überschauernd, ruh´n die Herzen<br />
nach kurzer Irrfahrt bald für immer aus.<br />
Was kommen soll, ist ja schon längst erklärt,<br />
und, wohl der Leidenschaft zum Trotz, entrückt<br />
die Liebe bald in Sphären höchsten Glücks.<br />
Mögt denn ihr Götter ewig euch umwandeln –<br />
Vergessen macht euch <strong>ein</strong> zukünftig´ Irren,<br />
erklärt i h r euch nicht durch der Schöpfung<br />
Wesen,<br />
dass sie durch Liebe! - - durch Berechnung nicht<br />
–<br />
gebildet und im Innersten begründet!<br />
Nur dann ist Werden und Vergeh´n und Werden
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Als Wandel bloß, als Ende nicht erklärt,<br />
dann ist das Schönste, das der Mensch ersinnet,<br />
der fromme Tempel solcher Schöpfungskraft.<br />
Dann drängt es ihn, das Heiligste zu ehren:<br />
Das Leben ehrt er in der kl<strong>ein</strong>sten Form<br />
und übergibt der Menschheit rettende<br />
Gedanken, <strong>ein</strong>t die Schöpfung, statt zu spalten!<br />
Hierzu, geliebte Eos, kannst du mich<br />
behalten, wenn ich m<strong>ein</strong>er letzten Pflicht,<br />
die mir vom Vater anvertraut, gehorche.<br />
Und findet ihr mich heute abend wieder,<br />
gebt mich zurück an m<strong>ein</strong>e Schwester Echo!<br />
Helios<br />
Es sei! Und jetzt <strong>ein</strong> letztes Lebewohl!<br />
(Sie verabschieden sich)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Lebt wohl!<br />
(zu Eos)<br />
Auch du!<br />
(zu Helios)<br />
Nun, werde ich die Kraft - ?<br />
Helios<br />
Du hast die Kraft, die du benötigst.<br />
Sei unbesorgt um dieses Rosselenken,<br />
doch hüte dich vor Schrecken – halt´ die Zügel<br />
mit beiden Fäusten straff und schaue stets<br />
nach Westen auf das ferne Ziel! Du hast,<br />
ich sag´ es noch <strong>ein</strong>mal, zu allem Mittel!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Bring´ ich den Wagen wohlversorgt zurück,<br />
dann, Vater, bettet mich in Mutters Garten,<br />
bis Eos mich aus schweren Träumen küsst!<br />
Helios<br />
Ein wahrhaft göttlich mutendes Vermächtnis!<br />
(Er führt <strong>Phaethon</strong> zum Seitentor,<br />
das Eos nun vor ihnen aufstößt<br />
und als erste hinaustritt)<br />
Mit rosenfing´rig zarten Strahlen kündet<br />
Dir die Geliebte d<strong>ein</strong>en höchsten Tag.<br />
Erfüll´ ihn – mach´ mich glücklich, teurer Sohn!<br />
Es darf nur <strong>ein</strong>mal s<strong>ein</strong>, dich so zu sehen,<br />
dies <strong>ein</strong>e Mal betrittst nur du die Bahn.<br />
(Man hört rasselndes Geschirr, Schnauben,<br />
Räderrollen.<br />
Eos tritt langsam zurück, sie wartet drinnen<br />
neben Helios.<br />
<strong>Phaethon</strong> tritt hinaus)<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(draußen, in Todesangst)<br />
Bin ich d<strong>ein</strong> Sohn, m<strong>ein</strong> Vater?<br />
Helios<br />
(streckt segnend die Hände zum Sohne aus)<br />
<strong>Phaethon</strong> – ja!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(nach <strong>ein</strong>er Pause)<br />
Nichts blendet mehr – die Zügel halt´ ich sicher!<br />
Helios<br />
Fahr´ also zu, m<strong>ein</strong> Sohn! Fahr sicher zu,<br />
und heute sehen dich die Teuren wieder!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(unter Anfahren)<br />
Ein heit´rer Morgen! Lebt denn alle wohl!<br />
(Helios geht an den zum Tor Drängenden vorbei<br />
langsam zur Mitte der Halle, dabei in Gedanken<br />
versunken)<br />
Hemera<br />
(nach draußen spähend)<br />
Bei d<strong>ein</strong>em Strahlenkranz: Er ist von dir<br />
Durch nichts zu unterscheiden! Ja, er lenkt<br />
Die steile Bahn hinauf als wie gewohnt,<br />
und jedes Köpfeheben d<strong>ein</strong>er Rosse<br />
beachtet er mit junggeschärften Mienen.<br />
Ich glaube sicher, Helios, es glückt!<br />
(Erstaunen, freudiges Raunen der übrigen)<br />
Helios<br />
Du musst dich irren, lieber Freund, denn sieh:<br />
Der Neid der Erde haftet ihm noch an,<br />
und Gaia wird ihn schonungslos vernichten.<br />
Das neidend´ Irdische zerstört sich selbst:<br />
Es bringt sich um im Strahlentod des Hasses.<br />
Weh dem, was ihm dazu die Macht verliehen:<br />
Es schenkte Licht und bringt nur Asche <strong>ein</strong>!<br />
Wenn ich es ändern könnte, blieb´ dir Recht,<br />
all<strong>ein</strong>, es naht die Stunde, wo die Götter<br />
im Weltenbrand den Untergang erleben.<br />
Die Welt, die sich der Grieche schuf, verlodert,<br />
die Götter fallen, weil der Glaube schwindet,<br />
und and´re Völker kommen, and´re Götter –<br />
Uuuuuuaaaah!<br />
Gaia<br />
(von unten schreiend)<br />
Helios<br />
(die Achseln zuckend)<br />
... wir treten ab, wir hintergeh´n die Szene ...<br />
Hemera<br />
Ich seh´ Entsetzliches! Was war das eben?<br />
Vom Schrei erschreckt, entspringen ihm die<br />
Pferde!<br />
Was kann er tun, die Bahn nicht zu verlassen?<br />
Helios<br />
Nichts mehr, nichts minder kann er retten<br />
wollen,<br />
als dass die Erde selbst nicht Feuer fängt!<br />
Nun ja! Jetzt hat sie Zeus hinabgerufen ....,<br />
mit s<strong>ein</strong>en Blicken überfliegt er jäh die Szene –<br />
er greift zum Blitz – und – ah! –
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(Ein greller Blitz und <strong>ein</strong> schwerer Donnerschlag<br />
durchzucken die Szene)<br />
m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong> fällt!<br />
(nach <strong>ein</strong>igem Besinnen)<br />
Den Wagen rett´ ich in die Bahn zurück!<br />
Hemera<br />
Er kommt! Die Rosse eilen rückwärts, Gott!<br />
Helios<br />
Damit genug! Der Brand erhellt all<strong>ein</strong><br />
Für diesen Tag die Welt mit Flammenbrausen!<br />
Führ´, Tag, sie in die altgewohnten Boxen<br />
und straf´ sie nicht, denn sie sind ja nicht schuld.<br />
(Eos wankt, von Selene gestützt, mit<br />
verst<strong>ein</strong>ertem Gesicht heran, nach ihnen die<br />
übrigen)<br />
Selene<br />
So bin ich heute auch <strong>ein</strong>mal entbunden<br />
Und will mit m<strong>ein</strong>er Schwester suchen geh´n.<br />
Eos<br />
(nach <strong>ein</strong>er Pause)<br />
Wen willst du suchen? Finden wirst du <strong>ein</strong><br />
zerfetztes, <strong>ein</strong> verkohltes finst´res Wesen,<br />
wovor mich schaudert, wenn ich nur d´ran<br />
denke!<br />
Lass´ mich darum all<strong>ein</strong> den Leichnam suchen,<br />
dann mag hernach mit mir gescheh´n, was will:<br />
Ich weiß, unsterblich s<strong>ein</strong> ist auch k<strong>ein</strong> Glück,<br />
weil auch das Glück von kurzer Dauer ist.<br />
K<strong>ein</strong> Ruhm, den Bräutigam zu überleben:<br />
S<strong>ein</strong> Tagwerk w a r ja längst vollbracht – Lebt<br />
wohl!<br />
Helios<br />
Zu ihm gehst du: Vergiss den Faden nicht!<br />
Eos<br />
(Helios umarmend)<br />
Du teurer Bruder, n<strong>ein</strong>, er muss erstehen –<br />
Durch d<strong>ein</strong>en Segen wird er mir unsterblich<br />
mit alle den Hoffnungen und Tränen -:Ja!<br />
Selene<br />
Ich darf dich nicht so <strong>ein</strong>sam gehen lassen<br />
und eile dir zur Nacht besorgt voraus.<br />
(Eos und Selene verlassen trauernd die Halle,<br />
ehrfürchtig durchgelassen)<br />
Fünfzehnter Auftritt<br />
Helios<br />
(an die Zuschauer des Theaters)<br />
Dies ist das Ende nicht und auch k<strong>ein</strong> Anfang.<br />
Was nun geschieht, sei weihevolles Staunen,<br />
den frommen Menschen in das Herz gesenkt<br />
zu stiller Botschaft, welche weiterwirke.<br />
Aus manchem großen Auge wird sie leuchten,<br />
die Botschaft m<strong>ein</strong>er lichtgebor´nen Kinder,<br />
(an die jungen Zuschauer)<br />
<strong>ein</strong> stummer Kreis, der schon sich selbst genügt.<br />
Und doch: Ihr seid verfolgt und müsst es leiden!<br />
Ihr Engel m<strong>ein</strong>es Lichts, mir zugeboren:<br />
Nehmt <strong>Phaethon</strong>, m<strong>ein</strong>en Sohn, zu eurer Mitte,<br />
seid Zeugen, überlasst euch nicht Vergessen,<br />
ruft eure Sehnsucht Tag für Tag herauf!<br />
Ein Gott wird s<strong>ein</strong>, der Menschen ungeachtet,<br />
der euch das Licht zu teurem Schatze hält!<br />
Und wir indessen? Ach, wir alten Götter<br />
sind mit der Griechen Untergang vergessen.<br />
Was hält es denn? Was kann es uns je schaden?<br />
Wir überwinden jede neue Zeit,<br />
indem wir uns zu neuem Geist verschmelzen<br />
und in der Schöpfung Atem lebend sind.<br />
Gleich, wer uns auch erfand: Wir lösen´s auf<br />
und geh´n zurück zum Ursprung. – Ja, der<br />
Mensch<br />
verfällt und stirbt, bis er zu Neuem werde -:<br />
Der Gott, den man auf Erden frech verlästert,<br />
verwandelt sich – denn er entbehrt ja nichts –<br />
zu ungeahnt beglückender Erfüllung.<br />
Er ist sich selbst, und was er schafft, er selbst -:<br />
S<strong>ein</strong> Spiel, im Kreise s<strong>ein</strong>er Werke ihn<br />
<strong>ein</strong> wenig freundlich grüßend zu verwundern.<br />
S<strong>ein</strong> Kosmos schwebt in unerhörten Bahnen,<br />
worin das Schicksal lächelnder Gedanke<br />
gewesen sei – nicht mehr -, <strong>ein</strong> b<strong>ein</strong>ah´ Nichts.<br />
So woll´n wir schlafen, bis uns neuer Glaube<br />
in hoher Phantasie zu spät´ren Tagen<br />
zu neuem and´ren Leben gaukelnd schaffe<br />
und wir ihn halten, bis auch er sich dann<br />
von uns´rer Hand hinweg, sich zu befreien,<br />
losreißt. Vielleicht nennt es der Mensch<br />
„Befreiung“ ... :<br />
s´íst Sklaverei des herrenlosen Geistes,<br />
und wütend, mit den freigesetzten Mitteln,<br />
zerfleischt der Knecht das herrschende Gehirn. -<br />
-<br />
(zu den umstehenden Göttern)<br />
Es stieß am Fuß uns bloß die <strong>ein</strong>e Schwelle;<br />
Wir merkten auf – nun lasst uns heimwärts<br />
gehen.<br />
(Er geht ab; die übrigen folgen ihm, nach beiden<br />
Seiten den Ausgang nehmend – Fanfaren,<br />
Paukenschläge)<br />
Chor I und II<br />
Im Zauber, den wir lächelnd Leben nenne,<br />
eratmest Licht vom Äther tief dir <strong>ein</strong>!<br />
Halt´ ehrfurchtsvoll vor dem, was wir nicht<br />
kennen,<br />
denn nichts vor Erd´ und Himmel bleibet d<strong>ein</strong>.<br />
Doch, Menschen wie auch Göttern, naht das<br />
Ende.<br />
Was irdisch war, zerfällt alsdann zu Staub,<br />
dem Himmlischen hingegen gilt´s als Wende,<br />
es wandelt sich, was künftig ungeglaubt.
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Mag nun der Götter Bild den Menschen<br />
schwinden:<br />
Ihr Wesen schwebt in aller Schöpfungskraft<br />
Und strebt, aus ungewisser Nacht zu binden,<br />
woraus e i n Gott das neue Leben schafft.<br />
Und weist euch dann <strong>ein</strong> Gottessohn aufs neue,<br />
dass doch in höchster Liebe diese Welt<br />
den Brand der rasenden Nationen scheue,<br />
so liebt auch den, der ihm zum Opfer fällt!<br />
geworden? Vielleicht sucht auch Klymene ihren<br />
Sohn?<br />
- Ich will ihn nicht! Italien ist für k<strong>ein</strong>e Heimat.<br />
Soll er also zurückkehren! – Nun, Nymphe, er<br />
ist wieder zu Hause. Aber s<strong>ein</strong> Gesicht zeig´ ich<br />
dir lieber nicht. Hm! Sollte ich ihn hier am<br />
besten gleich begraben? Aber n<strong>ein</strong>! Ich denke,<br />
s<strong>ein</strong>e Schwestern werden noch auf ihn warten<br />
wollen. –<br />
Armer junger Mensch! Konntest du´s nicht mehr<br />
abwarten? Stürmisch wie alle Jugend und zuerst<br />
mal ohne Kompromisse!<br />
(Er schnalzt missbilligend mit der Zunge)<br />
Na, dann komm herunter – ich mache dir für´s<br />
erste <strong>ein</strong> bequemes Lager!<br />
(Eridanos breitet s<strong>ein</strong>en Mantel auf die Erde,<br />
zieht alsdann die Leiche mühsam, aber<br />
vorsichtig herunter und legt sie auf den Mantel.<br />
Sie betrachtend)<br />
Da ruhe und schlafe fort. Ich trauere um dich wie<br />
um den eigenen Sohn. Wie ist <strong>ein</strong>em denn<br />
dabei? Legt man nicht mit euch Unglücklichen<br />
<strong>ein</strong> ganzes Stück Hoffnung und Liebe mit ins<br />
Grab? Ja, <strong>Phaethon</strong>, so menschlich können wir<br />
armselig verlassenen Götter fühlen. – Schlaf´<br />
wohl – ich werde d<strong>ein</strong>e Schwestern herzurufen.<br />
Dann wirst du <strong>ein</strong> stilles Grab bekommen.<br />
(Eridanos nimmt langsam s<strong>ein</strong>en Schubkarren<br />
und verlässt die Szene)<br />
Zweiter Auftritt<br />
(Philemon irrt mit Glaukos durch den Garten)<br />
Glaukos<br />
Alles so wie gestern, sagst du? Wo?<br />
Philemon<br />
Im Garten – gestern – Klymene, Herr! Das Haus<br />
ist schön!<br />
(Er schrickt vor der Leiche zurück)<br />
Fünfter Aufzug<br />
Erster Auftritt<br />
(Morgengrauen; in Klymenes Garten.<br />
Eridanos rollt auf <strong>ein</strong>em flachen Schubkarren<br />
<strong>Phaethon</strong>s verdeckten Leichnam her<strong>ein</strong>)<br />
Eridanos<br />
Hier muss es s<strong>ein</strong>.<br />
(Er setzt ab)<br />
Wie unversehrt dieser Garten doch geblieben ist!<br />
Rings tote Wälder, schwelendes Geäst,<br />
verkohlte Leichen von Tier und Mensch – hier<br />
alles wohlbehalten! – Ist denn k<strong>ein</strong>er hier?<br />
Klymene, alte Freundin, sag´, wo find´ ich dich?<br />
– Nichts – Totenstille! Ob ich im Hause suche?<br />
Ach was! Vielleicht ist ihr dies alles öd´<br />
Glaukos<br />
Was ist?<br />
Philemon<br />
Da liegt was – da ist wer – tot!<br />
Glaukos<br />
Schnell weg, sonst verprügeln sie uns!<br />
Philemon<br />
N<strong>ein</strong> – ist all<strong>ein</strong> – k<strong>ein</strong> Mensch sonst!<br />
Glaukos<br />
Wie sieht der Tote aus?<br />
Philemon<br />
Verbrannt – glaub´ ich – zugedeckt!<br />
Glaukos<br />
Ah, vermutlich gut geröstet – die Haut <strong>ein</strong>e<br />
schwarze Schwarte, was?
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(Er lacht hämisch)<br />
S<strong>ein</strong> Gesicht! Sieh nach, wer es ist!<br />
Philemon<br />
(mit äußerster Überwindung den Überwurf vom<br />
Gesicht hebend und entsetzt zurückprallend)<br />
Schwarz – k<strong>ein</strong>e Haare – Augen weit offen – ah!<br />
(Er übergibt sich)<br />
Glaukos<br />
So hab´ dich doch nicht so! K<strong>ein</strong><br />
Markenzeichen? Ist es vielleicht der f<strong>ein</strong>e Herr<br />
<strong>Phaethon</strong> selbst?<br />
Philemon<br />
Es ist – nichts – Menschliches mehr an ihm!<br />
Glaukos<br />
Hat er Geld? – Nun los! Durchsuche ihn! Den<br />
Gürtel!<br />
Philemon<br />
(die Leiche voll Abscheu oberflächlich musternd)<br />
Es hängt nichts d´ran!<br />
Glaukos<br />
Siehst du sonst <strong>ein</strong>e Kreatur?<br />
(Er wendet sich zum Gehen)<br />
Glaukos<br />
Zum Hades mit dir undankbaren Kreatur!<br />
Verflucht sei d<strong>ein</strong> Übermut! Komm her, sag´ ich!<br />
Ratte! Wirst du wohl hören?<br />
(Er tappt wütend umher, stößt häufig an)<br />
Au! Höllenhund! Gib Ton, du Köter! Her zu mir!<br />
(jammernd)<br />
Willst du mich denn all<strong>ein</strong> ins Unglück stürzen<br />
lassen? Warst du nicht m<strong>ein</strong> bester Freund?<br />
(In´s Schweigen horchend)<br />
Warte! Wart´, du begegnest mir <strong>ein</strong>es Tages<br />
doch noch! Dann wirst du´s bezahlen, was du<br />
mir heute getan hast! Du wirst bezahlen!<br />
Totschlagen werde ich dich Ungeziefer ...!<br />
(Er findet langsam davon)<br />
Dritter Auftritt<br />
(Die Nymphen ersch<strong>ein</strong>en, sammeln sich um<br />
<strong>Phaethon</strong>s Leichnam)<br />
Oreade<br />
Eridanos sagte, er habe ihn hier in den Garten<br />
gelegt?<br />
Nichts, Herr!<br />
Philemon<br />
Najade<br />
Das versprach er uns.<br />
Glaukos<br />
Gut, dann gehen wir jetzt in´s Haus und sehen<br />
und dort nach etwas Brauchbarem um!<br />
Philemon<br />
Herr, ich beraube k<strong>ein</strong>e Toten!<br />
Glaukos<br />
Willst du wohl hören, Tölpel?<br />
(Er schlägt ihn)<br />
Reicht es dir nicht, dass sie im Leben in Saus<br />
und Braus gelebt haben? Willst du ihnen ihre<br />
Reichtümer noch in die Grube nachwerfen oder<br />
gar auf den Scheiterhaufen legen?<br />
Philemon<br />
Herr, mir graut vor dir! Ich habe dir geglaubt –<br />
du bist doch <strong>ein</strong> Seher! Bist du so habgierig?<br />
Glaukos<br />
Ach, geh! Ich war noch nie <strong>ein</strong> Gesandter der<br />
Götter! Ich habe nur den Schabernack des<br />
Zufalls für mich ausgenutzt. Wozu also das<br />
fromme Gewimmer? Die Götter Griechenlands<br />
haben sich blamiert. Unser Leben geht weiter!<br />
Wir müssen zu Menschen, die mehr Glück hatten<br />
als wir. Von denen können wir erben – nicht von<br />
diesen verkohlten Ratten! Los, vorwärts ins<br />
Haus!<br />
Philemon<br />
N<strong>ein</strong>, Herr. Ich muss dich jetzt verlassen!<br />
Nereide<br />
Hier liegt <strong>ein</strong> Mensch – aber: wie übel<br />
zugerichtet! Er ist verbrannt. Wie sollen wir je<br />
erfahren, ob es <strong>Phaethon</strong> war?<br />
Echo<br />
(tritt vor, kniet nieder, streichelt den Leichnam)<br />
Nicht so, m<strong>ein</strong> Bruder – nicht wahr? N<strong>ein</strong>, bist<br />
du auch tot, so geb´ ich dir d<strong>ein</strong> Aussehen<br />
wieder! Weißt du nicht? Gestern? Wie<br />
unversehrt war doch d<strong>ein</strong>e Hand, Liebster!<br />
Warum willst du denn nicht auch wieder leben?<br />
Oreade<br />
Echo! Er ist´s – als läge er und schliefe!<br />
Echo<br />
Die Kunst, ihn wieder lebendig zu machen,<br />
verstehe ich leider nicht.<br />
Dryade<br />
Es ist so besser! Er hat genug gelitten. Armer<br />
Bruder! Komm, Oreade, lass´ uns nach Blumen<br />
Ausschau halten und ihn damit schmücken.<br />
Najade<br />
Wo ist bloß Mutter?<br />
Nereide
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Sie ruht bei ihrer Dienerschaft, verwandelt,<br />
unerkannt, als hätte sie den Tod gefunden. Lasst<br />
sie schlafen! Wir werden heute <strong>ein</strong> trauriges<br />
Geschäft zu vollziehen haben.<br />
Das kann ich nicht!<br />
Najade<br />
Nereide<br />
Du hast wohl recht – auch mir versagen die<br />
Glieder langsam ihren Dienst.<br />
Oreade<br />
Ist dies hier nicht das Geschäft der Menschen?<br />
Mir ist, als fehlten mir zu den Blüten auch die<br />
Tränen, als söge die Nacht mir letzte Mittel, das<br />
Leben zu verlängern.<br />
Nereide<br />
Was hält uns, Schwestern? Trauer? Wofür? Er ist<br />
dahin! Auch unsere Mutter ist nicht mehr. Chaos<br />
triumphiert. Von Philos k<strong>ein</strong>e Spur – er müsste<br />
längst hier s<strong>ein</strong>! Oder bestattet er eigene<br />
Verwandte? Liegt auch er unter rauchenden<br />
Trümmern begraben? – Alles weicht fernhin von<br />
uns ab!<br />
Najade<br />
Die letzten Blüten! Damit schmück´ ich m<strong>ein</strong>es<br />
Bruders Schlaf. Mehr, Liebster, kann ich für dich<br />
nicht tun. Schlaf´ wohl!<br />
Dryade<br />
Von mir das Laub! Zum Kranz um d<strong>ein</strong>e Stirne<br />
reicht es nicht. Komm, <strong>Phaethon</strong>, mit in unser<br />
Reich! Auch wir wollen nicht zurück. Wir gehen<br />
auf in den großen Atem des neuen Lebens – zu<br />
anderen Zeiten und zu anderen Welten! Komm<br />
doch mit!<br />
Nereide<br />
Es wandeln Ort und Zeiten ihren Sinn – wir<br />
wandeln unerkannt durch sie hindurch, um dich,<br />
geliebtes Herz, auf immer zu bew<strong>ein</strong>en!<br />
Oreade<br />
Lasst uns nun alle Elemente still verlassen – wir<br />
gehen <strong>ein</strong> in das umfassende Vergehen und<br />
Beginnen.<br />
Komm, Echo!<br />
Dryade<br />
Echo<br />
(die Leiche schmückend)<br />
Geduld! Geduld! Ich komme nach! Noch ist mir<br />
Kraft gegeben, m<strong>ein</strong>en Dienst an <strong>Phaethon</strong>s<br />
Tode zu vollenden.<br />
Nereide<br />
(von ferne)<br />
Lebt wohl, Schwestern!<br />
Echo<br />
Lebt wohl, m<strong>ein</strong>e Schwestern!<br />
(zu <strong>Phaethon</strong>)<br />
Nun, Bruder, sind wir wieder ganz all<strong>ein</strong>!<br />
Schön bist du wieder – so, wie gestern nacht, und<br />
d<strong>ein</strong>e Züge ruhen still in Frieden.<br />
Du liebes Haupt!<br />
(Sie bricht in heftiges W<strong>ein</strong>en aus)<br />
Ach weh, ihr starken Glieder!<br />
(Die übrigen Nymphen haben jetzt die Szene<br />
verlassen; Echo all<strong>ein</strong>)<br />
Vierter Auftritt<br />
Echo<br />
(all<strong>ein</strong> mit <strong>Phaethon</strong>)<br />
Zerschlagen war euch das Geschick hinab in<br />
Eridanos´ Bett, doch er hob dich, hob m<strong>ein</strong>en<br />
Bruder, selber schmerzerfüllt, aus s<strong>ein</strong>en Fluten,<br />
sieh – und brachte ihn uns her.<br />
(Sie kniet)<br />
Wie ruhte gestern noch m<strong>ein</strong> trostlos dumpfer<br />
Kopf<br />
an d<strong>ein</strong>er Brust, worin ich stark d<strong>ein</strong> Herz<br />
mir klopfen hörte, als wolltest du mir sagen: Sei<br />
getrost! Ich schlage ja – was kümmert uns die<br />
Welt?<br />
Warum, m<strong>ein</strong> Bruder, warum konnt´ ich dich<br />
nicht<br />
mit der heißen Schwesterliebe halten?<br />
Ja, ja – ich weiß es ja: Dich sog die Sehnsucht<br />
zu Eos, ohne dass du wusstest, dass sie es war<br />
und wo sie wohnte – mit allen Strängen der<br />
Natur hinan zu Helios´ Thron! Und? Fand sie<br />
dich in allem, was sie angerichtet, zur<br />
Entscheidung reif?<br />
Du hättest nie zurück gekonnt!<br />
Was suchtest du, so zwischen Welt und Himmel<br />
ohne Heimat,<br />
bei den Göttern? D<strong>ein</strong>e Sinne spürten jene Kluft<br />
der unglückseligen Verflechtung auf.<br />
N<strong>ein</strong>, ohne Fesseln durftest du ja nicht als<br />
Sterblicher Unsterbliches begehen -–das wusstest<br />
du als<br />
Kind ja schon! So hat dich das, worum du<br />
niemals ringen wolltest, am Ende doch erreicht<br />
und vom<br />
Zenit herabgeworfen.<br />
Du warst m<strong>ein</strong> Bruder – ach, m e i n Bruder!<br />
Und was bleibt jetzt?<br />
Die treuen Schwestern haben dich verlassen,<br />
und Still wächst bald über d<strong>ein</strong>em toten Glück<br />
der Ruhe.<br />
Dem Fels ver<strong>ein</strong>t: So kann ich manches<br />
Erdenalter überdauern, jammern zwar! Doch das<br />
genügt der Zeit,<br />
den faden Kompromiss, an Opfern mehr, als dass<br />
man sich, sofern man menschlich fühlt, an ihrem<br />
unmenschlichen Verlangen stößt,
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zu vergessen!<br />
Vergessen! Kann dich je <strong>ein</strong> gottgewolltes<br />
Wesen<br />
im Chaos d<strong>ein</strong>es hohnerfüllten Ruhmes<br />
übersehen?<br />
N<strong>ein</strong>: Leichtsinn, Großmannssucht war´s nicht!<br />
Es war, <strong>ein</strong>mal im Leben vor die Wahl gestellt,<br />
d<strong>ein</strong> ganzes Ich, das in der Flamme sich<br />
verzehrte.<br />
Nun ist, mit diesem Weltenbrand, der Glaube<br />
Wohnung auch vernichtet und verschwelt, und,<br />
nutzlos, hebt k<strong>ein</strong> frommer Grieche zu s<strong>ein</strong>en<br />
Göttern die Hände zum Gebet. Er flehte doch zu<br />
st<strong>ein</strong>geword´nen<br />
schönen Toten, nicht zu lebensrettendem Gewinn<br />
der trüben Seele!<br />
Oh, <strong>Phaethon</strong>, kehrte je das Leben dir zurück,<br />
wie wollt´ ich m<strong>ein</strong>e Schläfe an der Schulter dir<br />
bei scherzendem Geplauder ruhen lassen! Ach,<br />
striche nur noch <strong>ein</strong>mal d<strong>ein</strong>e sanfte Rechte<br />
das lockenschwere Haar mir aus der Stirne,<br />
und jeden Kuss, den du mir schenktest, wollt´ ich<br />
sehnsuchtsvoll erwidern – ach,<br />
nun kommst du lebend nie zurück?<br />
Du liegst so kalt! Auch mir gefriert das Leben,<br />
das langsam sich von dannen stiehlt,<br />
den Körper abermals zu düsterem Felsgest<strong>ein</strong>.<br />
Mir ist so kalt! Ach, <strong>Phaethon</strong>, liebster Bruder –<br />
kalt - ist - alles ....<br />
(in die Felswand zurücktretend, zu St<strong>ein</strong><br />
werdend)<br />
Fünfter Auftritt<br />
(Jahrtausende führen Eos heran)<br />
Eos<br />
Ihr namenlosen Schwestern! Sagt, ruht m<strong>ein</strong><br />
<strong>Phaethon</strong>, m<strong>ein</strong> Gemahl, an dieser Stätte?<br />
Kenn´ ich sie doch! Ist das hier nicht<br />
Klymenes Garten? Er ist es doch!<br />
Nur – will mich k<strong>ein</strong>er mehr begrüßen?<br />
(Die Jahrtausenden gehen stumm)<br />
Sechster Auftritt<br />
Eos<br />
Verlasst ihr mich? Ist das euer Vermächtnis, dass<br />
ihr mich lehrt, <strong>ein</strong>sam unsterblich zu werden? Oh<br />
ja, die alten Götter traten ab; <strong>ein</strong> Frevel häuft<br />
sich zum nächsten, und wellenartig riss es alles<br />
mit hinab. Ist´s nicht so? N<strong>ein</strong>?<br />
Da raucht nun Hellas´ Pracht – <strong>ein</strong> göttergleiches<br />
mächtiges Geschick – als käm´ es aus der<br />
Fremde! Zerrissen ist das duftige Gespinst des<br />
alten Glaubens!<br />
Bleib´ ich all<strong>ein</strong> zurück? – Bin ich das Letzte ...?<br />
Was kann mir vorbehalten bleiben, wenn die<br />
Erde <strong>ein</strong>stmals verkohlt, entmenscht?<br />
Wem soll ich glühen, rosenfingrig Hoffnung<br />
senden? Wen soll ich grüßen -–und von wem?<br />
Was halt´ ich hier noch in der Hand?<br />
Ein Faden ist´s – den <strong>Phaethon</strong> Lachesis entriss!<br />
Ja, du ergriffest d<strong>ein</strong> Geschick mit kühner Hand,<br />
beendetest das ungewisse Jetzt!<br />
Zwar bist auch du nicht mehr! Du hattest mich<br />
zu Höherem erheben sollen als zu bloßer Liebe,<br />
mich von gewohnter Sinnlichkeit<br />
hinaufzulocken!<br />
Den Faden werf´ ich fort – du wolltest ihn ja<br />
auch nicht mehr. Und dennoch weiß ich, dass du<br />
leben musst!<br />
In vielen Seelen wirst du wiederkehren.<br />
Nur in der unbeirrten steten Wiederholung d<strong>ein</strong>es<br />
Opferwillens liegt der Sinn: Nach höchster<br />
Menschlichkeit zu fordern und zu leben, so will<br />
ich s<strong>ein</strong>, was du nicht werden durftest! D<strong>ein</strong><br />
Schicksal ist so wenig nutzlos wie das Sterben<br />
jener Menschen, die die stumpfe Welt verkennt<br />
und die sie doch so heilsam zu durchforschen<br />
wussten.<br />
Wehe dem Volk, in dem das Ringen <strong>Phaethon</strong>s<br />
ohne Widerhall verklingt und schlimmem<br />
Gleichmut unterliegt!<br />
Es ist nicht wert, dass auch nur <strong>ein</strong>e große Seele<br />
darum bangte!<br />
Wo du nicht fragst, woher du kommst, wozu du<br />
bist, wohin du gehen wirst, oh Mensch, da wird<br />
k<strong>ein</strong> Gott dir d<strong>ein</strong> erkaltetes Gewissen rühren,<br />
und niemals wirst du <strong>Phaethon</strong>s raschen Tod<br />
begreifen!<br />
Was auch die Welt erschaffen hat und hält: Es<br />
stelle mich, die Morgenröte, als Symbol der<br />
Treue zu allem täglich ins Geschehen, was zu<br />
Bess´rem hoffen lässt! Ich will <strong>ein</strong> Freund s<strong>ein</strong>,<br />
wem der Tag<br />
beginnt mit heißer Herzensglut,<br />
will Trost ihm leuchten, wenn er sich in<br />
Einsamkeit begreift, wo er die Welt umarmen<br />
wollte, ich will ihm lächeln, wenn die Kreatur<br />
das Herrliche, das Ahnen<br />
in ihm verkennt, will schmeichelnd röten, wo der<br />
Gram ihn blasser krankt, will Hoffnung strahlen,<br />
wo Verzweiflung wuchert, will ruhelos den<br />
Einzelnen erwarten, wenn ihn die Menge frech<br />
verstößt – ich will ihm Zeichen s<strong>ein</strong> für alles,<br />
was ihn weit erhebt zu großem Sehnen, <strong>ein</strong><br />
ewiger Bruder m<strong>ein</strong>es Gatten <strong>Phaethon</strong>, den ich<br />
finden möchte, soll er werden! - -<br />
Der Gram zerfrisst m<strong>ein</strong> Selbst! Nicht <strong>ein</strong>e<br />
Nymphe, nicht <strong>ein</strong> Mensch, der mich zu<br />
<strong>Phaethon</strong> führen könnte?<br />
(Sie schaut angestrengt um sich,<br />
entdeckt <strong>Phaethon</strong>s Leiche hinter sich)<br />
Eos
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(knieend)<br />
So ernst? – Wie immer! Sag´, wer legte heimlich<br />
dich hierher? Doch n<strong>ein</strong> – mich hat man<br />
hergeführt, und ich war blind vor Kummer!<br />
Verzeih, m<strong>ein</strong> Liebster! Schläfst du nur? Ja?<br />
Aber d<strong>ein</strong>e Hände sind so kalt! Wer hat dich so<br />
menschlich hergerichtet? Nach diesem<br />
grauenvollen Sturz kannst du doch so nicht<br />
gebettet worden s<strong>ein</strong>! War machte dieses<br />
Wunder noch? – Es ist auch <strong>ein</strong>erlei! Ich sehe<br />
dich ja doch nicht lebend wieder!<br />
Nur <strong>ein</strong>e Nacht warst du m<strong>ein</strong> Geliebter – was<br />
habe ich entbehrt bis zu dieser Nacht – was<br />
werde ich gewinnen seit dieser Nacht? – Sagst<br />
du´s mir nicht?<br />
(Sie w<strong>ein</strong>t)<br />
Sieh – Göttertränen – die letzten – und niemals<br />
wieder! Und tropfen sie auf dich hernieder und<br />
wecken dich nicht auf?<br />
Wahrhaftig – <strong>ein</strong> Mythos ging zu Ende, und tot<br />
sind nun die Götter! Wer blieb dann ich?<br />
Ob ich´s versuche? Nur <strong>ein</strong>mal - ?<br />
(sie horcht, steht auf, tritt scheu zurück.<br />
Der Autor ersch<strong>ein</strong>t, findet auf der Bühne den<br />
Faden, geht unschlüssig zurück.<br />
Sie tritt erneut zu <strong>Phaethon</strong> heran,<br />
berührt s<strong>ein</strong>e Schulter):<br />
<strong>Phaethon</strong>!<br />
Eos<br />
(Posaunen wie im Vorspiel!<br />
Der Autor kehrt zurück, steht horchend.<br />
Noch während sich der Vorhang schließt, sieht<br />
man <strong>Phaethon</strong> sich aufstützen;<br />
Wie nun das Licht im Zuschauerraum zunimmt,<br />
nimmt die Lautstärke der Posaunen ab, bis der<br />
Vorhang geschlossen ist).<br />
- (Ende) -<br />
(Dem Schöpfer se Dank, dass mit Eingießen der Seele in<br />
dieses <strong>Gedicht</strong> <strong>ein</strong> kostbarer Mensch zum Leben erwachen<br />
durfte! – Juni 1982 / September 2000) –<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Grabbe</strong>
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Bühnenplan für die Aufführung des<br />
„<strong>Phaethon</strong>“<br />
Vorhang zur Begrenzung<br />
der Szene<br />
Obere Plattform:<br />
Der Palast des<br />
Helios;<br />
Ein Vorhang bildet<br />
den sichtbaren<br />
Abschluss, davor<br />
der Thron Helios´<br />
Die Spielstufen in der Ansicht von oben. Sie führen um das<br />
Kernhaus herum; dieses stellt das Haus der Klymene dar.<br />
Seitenansicht<br />
des<br />
Bühnenaufba<br />
ues<br />
Ansteigende Treppenstufen,<br />
die um den<br />
Innenbereich herumführen.<br />
Sie sind an den<br />
Innen- wie Außensäulen<br />
zu befestigen<br />
und mit Lichtquellen<br />
zu füllen. Für die Stufen<br />
sollte man Heizdrähte<br />
mit <strong>ein</strong>gießen,<br />
damit die Schauspieler<br />
barfuß spielen können.<br />
Die Spielebenen<br />
können so<br />
ansteigend oder<br />
zurücksetzend auf<br />
ihren Bedeutungsebenen<br />
fußend<br />
genutzt werden.<br />
Die<br />
Gesamtkonstruktion<br />
soll aus Acryl<br />
ge-baut werden,<br />
damit sie von allen<br />
Seiten und von<br />
vorn nach hinten<br />
durchschaubar<br />
bleibt - mit den<br />
Lichteffekten.<br />
Die ansteigenden Spielebenen aus durchsichtigem Acryl, beheizbar, um das Haus als Innenbereich<br />
herumführend; mit der letzten Handlungsstufe ist dann auch das Dach, der Sitz des Helios, erreicht.<br />
Die Nymphen treten anfangs in Mänteln ihres Genres auf; als die Gefährten des <strong>Phaethon</strong> sie suchen,<br />
haben sie sich darin zu <strong>ein</strong>er der Formen verkleidet, denen sie von ihrem Bedeutungscharakter her<br />
durch die Mythologie zuzuordnen sind. Die Stufen sollen im Uhrzeigersinn angeordnet befestigt s<strong>ein</strong>, so<br />
dass der Ort der Parzen links vom Gebäude und fast unterhalb der Dachebene gut sichtbar für alle<br />
Besucher im Blickfeld steht. – Gelingt der in die Säulen <strong>ein</strong>zulassende Lichtquellen-Effekt, lässt sich<br />
mit den Spielebenen sowohl die Höhe des Lichtes als auch dessen Farblichkeit so verändern, dass am<br />
Ende der Palast des Helios wie aus der Dunkelheit heraus zu schweben sch<strong>ein</strong>t.