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Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe

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S.D.G.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dramatische Verdichtung<br />

(der Auferstehungsproblematik<br />

in der griechischen Antike)<br />

in fünf Aufzügen<br />

Zwischen Hoffen und Sehnen der Stadt<br />

Dresden<br />

- im Frühlingszauber ihrer Renaissance –<br />

zugesprochen<br />

November 1997<br />

Juni 1982


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Die Personen<br />

Helios<br />

Selene<br />

Eos<br />

Hemera<br />

Die Horen<br />

Jahrtausende<br />

Klymene<br />

Nereide<br />

Oreade<br />

Najade<br />

Dryade<br />

Echo<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos<br />

Philotinos<br />

Anphit<br />

Zelot<br />

Pleon<br />

Apolausis<br />

Glaukos<br />

Philemon<br />

Gaia<br />

Lachesis<br />

Klotho<br />

Atropos<br />

Erebos<br />

Nyx<br />

Hypnos<br />

Kirke<br />

Eridanos<br />

Gott der Sonne<br />

Göttin des Mondes<br />

Göttin der Morgenröte<br />

= Schwestern des Helios<br />

Gott des Tages<br />

Frühling, Sommer, Herbst, Winter<br />

Mutter des <strong>Phaethon</strong>, hier: auch der Nymphen<br />

Nymphe des Meeres<br />

Nymphe der Berge und Wiesen<br />

Nymphe der Quellen und Flüsse<br />

Nymphe der Bäume und übrigen Pflanzen<br />

Nymphe, von Narkissos nicht geliebt<br />

Sohn der Klymene und des Helios<br />

wahrer Freund des <strong>Phaethon</strong><br />

Die zweckbegleitenden Gefährten des <strong>Phaethon</strong>:<br />

der Ehr- und Ruhmsüchtige<br />

der Zweifler<br />

der Neidische, der Eifersüchtige<br />

der Habgierige<br />

der Genießer<br />

<strong>ein</strong> blinder Bettler<br />

s<strong>ein</strong> halbwüchsiger, <strong>ein</strong>fältiger Führer<br />

die Erdmutter<br />

Parze, den Faden abrollend<br />

Parze, den Faden abmessend<br />

Parze, den Faden abschneidend<br />

Gott der Dunkelheit (des Hades)<br />

Göttin der Nacht; Schwester des Erebos<br />

Gott des Schlafes; Sohn der Nyx<br />

Zauberin; Tochter des Helios<br />

Gott des Flusses Po<br />

Weitere Erwähnte und deren namentliche Bedeutung:<br />

Die Moiren<br />

Nemesis<br />

Eris<br />

Thrinakia<br />

Verzweiflung<br />

Die Schicksalsgöttinnen, hier: den Parzen zugesellt<br />

Tochter der Nyx; Bestraferin, Rächerin aller schlechten<br />

Taten<br />

Göttin der Zwietracht, Anarchie; Tochter der Nyx<br />

auf dieser Insel weiden die Rinder des Helios<br />

Ihr griech. Name wird, der direkten Symbolik wegen,<br />

nicht genannt


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Vorspiel<br />

(Der Garten der Klymene im Morgengrauen:<br />

Eos tritt vom Leichnam des <strong>Phaethon</strong> zurück.<br />

Der Autor betritt die Szene, als ob er etwas<br />

suche. Er findet <strong>ein</strong>en zusammengeknoteten<br />

Faden, betrachtet ihn rätselnd, geht zunächst<br />

wieder. Eos tritt erneut hervor und berührt die<br />

Schulter des Toten).<br />

Eos<br />

<strong>Phaethon</strong>!<br />

(Mehrstimmige Musik durch Posaunen, aus der<br />

Ferne hörbar)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(wie erwachend):<br />

Wer grüßt? – und von woher?<br />

Dort draußen, wo du mich rufst, ist es so<br />

entsetzlich kalt!<br />

(Er versucht, sich mit s<strong>ein</strong>em Gewande<br />

zuzudecken)<br />

Ach, komm doch wieder zurück zur Sonne!<br />

Sende mir doch ihre ersten Strahlen! Eos, die<br />

Morgenröte, berührte mir <strong>ein</strong>st die Stirn, das<br />

Haar – sie tröstete mich in der Kühle des<br />

anbrechenden Tages. Da befiel mich<br />

unauslöschliche Sehnsucht nach dem Licht. Aber<br />

wo bin ich jetzt?<br />

(Der Autor betritt wieder die Szene und nähert<br />

sich dem Daliegenden).<br />

Autor<br />

Verzeihen Sie, <strong>Phaethon</strong>, dass ich Sie in der<br />

Blüte Ihrer Jugend aufschrecke, aber ich komme<br />

aus <strong>ein</strong>em bestimmten Grunde zu Ihnen.<br />

Weswegen, bitte?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Autor<br />

Erinnern Sie sich nicht mehr?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja, doch! Es war so heiß – Helios – der<br />

Sonnenwagen – der Absturz -: Warum eigentlich<br />

noch?<br />

Autor<br />

Ihr Mythos nennt nur den <strong>ein</strong>en Grund: Sie<br />

wollten sich angeblich profilieren und zeigen,<br />

dass Sie Helios´ Sohn seien.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Deswegen riskiert man doch nicht gleich den<br />

Hals!<br />

Autor<br />

Erzählen Sie das mal den Leuten hinter mir!<br />

Oder war es vielleicht <strong>ein</strong>e Frauengeschichte? So<br />

etwas soll <strong>ein</strong>en ja auch um den Verstand<br />

bringen, hört man.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Da müsste ich nachdenken. – N<strong>ein</strong>, dazu fällt mir<br />

nichts Passendes <strong>ein</strong>. Denken Sie, m<strong>ein</strong> Vater<br />

hätte mich deswegen losfahren lassen?<br />

Autor<br />

Eifersucht war also nicht im Spiel?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich hatte nie Grund, eifersüchtig zu s<strong>ein</strong>.<br />

Autor<br />

Und doch waren Sie verzweifelt.<br />

War ich das?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(abweisend)<br />

Autor<br />

Man stürzt sich doch nicht ins Feuer, wenn man,<br />

als Sohn des Helios, beliebige Auswege<br />

geschenkt bekommen hätte! N<strong>ein</strong>, es muss für<br />

Sie <strong>ein</strong>e Sackgasse gewesen s<strong>ein</strong> – finden Sie<br />

nicht auch?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sind Sie Geschichtsschreiber – oder Journalist –<br />

oder Kritiker?<br />

Autor<br />

Bewahre! Ich vertrete nicht die Macht der<br />

öffentlichen M<strong>ein</strong>ung, sondern ich suche die<br />

verbindende Wahrheit<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie wagen es also zu denken? - - N<strong>ein</strong>, auch den<br />

Philosophen sollte man nicht trauen!<br />

Autor<br />

Fürchten Sie denn nicht, <strong>ein</strong> falsches Bild in der<br />

Öffentlichkeit zu hinterlassen? Jeder entschuldigt<br />

Sie mit dem bloßen Hinweis auf Ihre Jugend.<br />

Dafür ist mir aber Ihre Entscheidung –<br />

- zu groß?<br />

- zu endgültig!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Autor<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(ihn aufmerksam ansehend)<br />

Worin wollen Sie das Endgültige entdeckt<br />

haben?<br />

Autor<br />

Die Unausweichlichkeit Ihrer Lösung machte<br />

mich stutzig:


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Sehen Sie, <strong>ein</strong> Sohn des Helios handelt nicht wie<br />

<strong>ein</strong> gewöhnlicher Sterblicher, sondern er setzt<br />

Zeichen. Wollen Sie mir nicht doch sagen, was<br />

Sie tatsächlich mitzuteilen hatten und zu eben<br />

diesem Mittel der Aussage greifen mussten?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist zu lange her – ich mag mich nicht mehr<br />

erinnern.<br />

Aller Jammer quillt wieder auf. – Übrigens: Was<br />

ist aus m<strong>ein</strong>en Eltern, was aus dem Reich der<br />

Götter und Menschen geworden?<br />

Autor<br />

Nur die Sonne sch<strong>ein</strong>t – die Götter sind tot.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was sind denn die Götter ohne die Menschen?<br />

(ironisch):<br />

Warum legen Sie mich nicht <strong>ein</strong>fach zu den<br />

Akten?<br />

Autor<br />

Ich habe Sie nicht geweckt.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So? – Und wer war es dann?<br />

Autor<br />

Ich kam mit der Morgenröte zu Ihnen.<br />

Eos – ist sie hier?<br />

Sehen Sie selbst!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Autor<br />

(auffahrend)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Warum tritt sie nicht zu mir heran? Warum<br />

verbirgt sie sich?<br />

Autor<br />

(zur Seite tretend, die Morgenröte <strong>Phaethon</strong>s<br />

Gesicht erstrahlen lassen):<br />

So sehen Sie doch!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(in Tränen ausbrechend):<br />

Nun werde ich Sie nicht wieder gehen lassen!<br />

Eos – warum antwortest Du mir nicht?<br />

Autor<br />

Sie wird Ihnen antworten können, sobald Sie sie<br />

wieder suchen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Jeden Tag will ich ihre Hände herbeiflehen und<br />

ihre Blicke suchen, ihre Stimme erschauernd<br />

hören, sie liebkosen und notfalls den<br />

Sonnenwagen wieder besteigen, aber – wie kann<br />

dies möglich werden?<br />

Autor<br />

Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen m<strong>ein</strong>e Hilfe<br />

anbiete?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Können Sie mir <strong>ein</strong>e Sprache geben, aus der die<br />

Liebe allumfassend und überpersönlich spricht?<br />

Lassen Sie mich sagen, was das Menschliche<br />

zum Baust<strong>ein</strong> allen Schaffens macht? Lassen Sie<br />

mich m<strong>ein</strong>en Schwestern und Eos zurufen, was<br />

ich damals in m<strong>ein</strong>er Leidenschaft für das<br />

Lebenswerteste aussprechen konnte? Geben Sie<br />

m<strong>ein</strong>en Gedanken unzweifelbare, höchste<br />

Bedeutung, damit jeder weiß, wie unsträflich<br />

m<strong>ein</strong> Wollen je war?<br />

Autor<br />

Ob ich das mit m<strong>ein</strong>en bescheidenen Mitteln<br />

kann, weiß ich nicht. Aber ich werde mich von<br />

Tugenden leiten lassen, die ich in Ihnen<br />

wiedererweckt finde, und von dem Ausmaß Ihrer<br />

Verzweiflung, weil man Ihnen den Rückweg zur<br />

Menschheit abgeschnitten hat. Sie sollen Ihren<br />

Entschluss niemals bereuen müssen, dafür will<br />

ich alle Gründe zusammentragen, die ich von<br />

Ihnen erfahren darf. Wer so heiß liebt, muss ja in<br />

der Entsagung verbrennen. Das will ich von<br />

Ihnen lernen, und das lohnt sich weiterzusagen,<br />

so gut es eben geht.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(nach <strong>ein</strong>igem Sinnen)<br />

Werden Sie nicht Ärger mit dem Publikum und<br />

dem Regisseur bekommen? Wie ist es denn<br />

heute so- : Darf im Theater natürlich empfunden<br />

und gew<strong>ein</strong>t werden?<br />

Autor<br />

Leider ist es zur Mode geworden, Argumente für<br />

das wahrhaft Empfundene als kitschig,<br />

melodramatisch allenfalls, darzustellen und in<br />

Zerrbildern zynisch zu widerlegen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Welche Chance gibt man uns dann noch?<br />

Autor<br />

Die, die uns die Kunst noch übrig gelassen hat!<br />

Vielleicht sollte ich sie zu täuschen versuchen:<br />

Eine Prise Nihilismus, <strong>ein</strong> paarmal gehumpelten<br />

Fatalismus, <strong>ein</strong>en Schuss Arroganz ..., aber am<br />

Ende werde ich all den Unrat opfern müssen –<br />

Sie verstehen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wozu machen Sie sich überhaupt die Mühe?<br />

Autor<br />

Weil ich die leise Hoffnung hege, dass es<br />

Menschen gibt, die noch die Fähigkeit besitzen,<br />

mit uns zu trauern, und die begreifen können,


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dass das <strong>ein</strong>zig Sinnvolle die unbeirrbare Liebe<br />

ist als die unablässige Erneuerung zum Leben.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Das ist der Haken: Man findet sich eben doch<br />

nur mit mir ab. Wer begreift dagegen –<br />

Autor<br />

Die Hoffnungslosigkeit <strong>ein</strong>er trauernden Eos?<br />

Sie wissen - ?<br />

Dazu bin ich ja hier.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Autor<br />

(lächelnd)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nun sagen Sie das noch <strong>ein</strong>mal – aber ganz<br />

langsam!<br />

Autor<br />

In Ihrem Ende liegt zugleich der Anfang Ihrer<br />

Geschichte:<br />

Das ist Ihre Lösung; nur so leben Sie in der Nähe<br />

der Göttin weiter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie sind Geschwister, glauben Sie mir!<br />

Autor<br />

Auch ich habe diese Schwestern sehr lieb.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dann bitten Sie jetzt die Schauspieler, das Stück<br />

zu beginnen. – Ach, helfen Sie mir auf? Ich fühle<br />

mich noch etwas steif vom langen Herumliegen.<br />

Sie sind offenbar der erste, der fast über mich<br />

gestolpert wäre – ist´s nicht so? – Ja, und sagen<br />

Sie den Schauspielern, sie sollen der Wahrheit<br />

zuerst und hernach dem Applaus dienen.<br />

Autor<br />

Sie sind seit jeher, wenn Sie so wollen, die<br />

Treuhänder unseres Spiels.<br />

(Sie gehen langsam ab, <strong>Phaethon</strong> zunächst noch<br />

gestützt).<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wer hat dies veranlasst?<br />

Autor<br />

Es ist <strong>ein</strong> Auftrag, dem ich mich gern unterwerfe.<br />

Ich fand dies hier.<br />

(Er zeigt den zusammengeknoteten Faden)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Der Schicksalsfaden – ja! Jetzt verstehe ich Ihre<br />

Hingabe an m<strong>ein</strong> Ende. Aber werden Sie mich<br />

dann auch so zu Worte kommen lassen, wie ich<br />

wirklich bin?<br />

Autor<br />

Manchmal sehe ich in Sie hin<strong>ein</strong> wie in <strong>ein</strong>en<br />

Spiegel. Vielleicht klingt das anmaßend, aber ich<br />

kann mich Ihrem Mythos so gut anpassen, weil<br />

wir Menschen, die so denken und empfinden wie<br />

Sie, leiden müssen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wollen Sie damit andeuten, dass auch Sie die<br />

Menschheit lieben? M<strong>ein</strong> Bester, besteigen Sie<br />

nicht auch diesen verrückten Rennwagen in die<br />

Ewigkeit – die meisten haben es nicht verdient,<br />

dass man sich ihretwegen den Hals bricht. –<br />

Aber Sie haben natürlich recht: Die Glut in uns<br />

lässt sich nicht ersticken. Sie ist <strong>ein</strong> Leben wert.<br />

Autor<br />

Leben, Liebe und Leid – gehören sie nicht eng<br />

zusammen?


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Erster Aufzug<br />

Erster Auftritt<br />

(Wieder im Garten der Klymene; mit<br />

zunehmendem Licht der aufgehenden Sonne<br />

lösen sich aus den Schatten die Nymphen aus<br />

ihrer tödlichen Erstarrung und treten<br />

nach<strong>ein</strong>ander zum Lichte zusammen)<br />

Oreade<br />

Aus langem Schlafe lockte mich die <strong>ein</strong>st<br />

vertraute Stimme m<strong>ein</strong>es Bruders <strong>Phaethon</strong>.<br />

Herab von m<strong>ein</strong>en altvertrauten Höhen tret´ ich,<br />

durch die Gefilde zögernd streifend, endlich<br />

doch in diesen Garten wieder. Ob ich die Mutter<br />

finde? Sie wenigstens wird wissen, wer mich<br />

rief. Oh, Mutter – Mutter – hörst du mich?<br />

Echo<br />

Zwar ruft nicht uns´re Mutter, aber sieh nur:<br />

Echo ist es, die dir, Schwester, rät: Schlaf weiter,<br />

denn man hat uns längst vergessen.<br />

Oreade<br />

Nicht, Schwester! Komm, zeig dich mir und lass´<br />

uns warten!<br />

Echo<br />

(sich aus <strong>ein</strong>er Felswand lösend)<br />

Wer immer uns rief – er muss doch diese<br />

Umarmung dulden wollen?<br />

(Die Schwestern umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />

Oreade<br />

(Echos Haupt liebkosend)<br />

Du Tiefbekümmerte, ich hab´ dich lang entbehrt!<br />

Du weißt es noch, als wir, von heißer Liebe<br />

unversehrt, durch diesen Garten tanzten, und<br />

uns´re Haare flogen?<br />

Echo<br />

Ja, Schwester! Und Dryade neckte uns, als wir<br />

sie wieder mal nicht finden konnten. Und Najade<br />

zupfte uns heimlich, als wir dastanden und<br />

lauschten –<br />

Oreade<br />

- bis Nereide ihre Hand erhob und beide<br />

ernst zu Tisch gebot. Ja, du erinnerst dich, als<br />

sei´s erst gestern.<br />

Echo<br />

Wer konnte ahnen, dass es so furchtbar enden<br />

würde?<br />

Nereide<br />

Außer dir – wohl niemand, Schwester! Ja, ihr<br />

staunt? Von ebbenden Wogen entwand sich die<br />

Schwester, die dritte. Ich komme zu euch aus den<br />

Fluten des Meeres zurück.<br />

(Sie schreitet ruhig heran)<br />

Oreade<br />

Oh, kluge, erhabene Nereide, bist du´s wirklich?<br />

Nereide<br />

(beide an der Hand fassend)<br />

Ich bin´s – ich hörte die Stimme auch. Zuerst<br />

aber prüft´ ich die Kraft des geheiligten<br />

Elementes. Nun sehr ihr mich vollends lebendig!<br />

(Sie umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />

Najade<br />

(aus dem Gebüsch hervortretend)<br />

Oreade! Nereide! Echo! Ihr seid hier? Wie ist das<br />

möglich?<br />

(Auch sie begrüßen sich herzlich)<br />

Mir war, als hätte ich jemanden rufen hören, und<br />

etwas trieb mich zu neuem Leben. Da schlug ich<br />

die Augen auf und unterschied eure Stimmen. Ist<br />

es wahr? Ihr lebt?<br />

Nereide<br />

Es kam aus dunkler, dumpfer Abgeschiedenheit<br />

des Todes, wie aus Gewölben rief´s zu mir<br />

her<strong>ein</strong>, als ich mich schlafen legte. Nun ist es<br />

heller Tag, er eilt in Stunden rasch dahin, und ihr<br />

seid alle hier – bis auf Dryade.<br />

Dryade<br />

(den Ort mehrmals während des Sprechens<br />

heimlich wechseln)<br />

Ihr sucht mich? Schaut hierher – n<strong>ein</strong>! Hierher!<br />

Ach, wo hört ihr hin? Nach hier – so schaut doch<br />

her –genauer her!<br />

Najade<br />

(jubelnd)<br />

Sie lebt! Sie ist wohl unter uns!<br />

(schmeichelnd)<br />

Komm, zeig dich uns! Sei nicht gleich wieder<br />

neckisch! Komm doch – enthülle dich!<br />

Dryade<br />

Ihr sucht mich n i c h t ? So zeig´ ich mich auch<br />

nicht! Wird Echo euch nicht sagen können, wo<br />

ich bin?<br />

Oreade<br />

Najade hat schon recht: Komm jetzt heraus!<br />

Dryade<br />

(kichert von verschiedenen Seiten, stiftet<br />

Verwirrung)<br />

Najade<br />

Kannst du so grausam s<strong>ein</strong>? Oh, komm hervor,<br />

nimm die ersehnten Züge an, dass wir uns<br />

endlich jetzt ver<strong>ein</strong>t die Hände fassen können!<br />

Dryade<br />

Ich bin so glücklich in Gestalt der Pflanzen, dass<br />

ich - -


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Nereide<br />

Dryade – ich bin hier die Älteste: Genug des<br />

Schabernacks! Nimm Formen an, die wir<br />

umfassen können!<br />

Dryade<br />

(sich in <strong>ein</strong>e Nymphe verwandelnd)<br />

Oh – schade! Wo mir das Spiel so gut gefiel!<br />

(Sie tritt in den Kreis und wird von allen<br />

begrüßt)<br />

Oreade<br />

Jetzt fühle ich den Tag die Glieder schon<br />

durchwärmen.<br />

Najade<br />

(die Hand gegen die Sonne haltend)<br />

Ja, rosig schimmert mir die Haut, und jene nahe<br />

Quelle hier beim Hause hör´ ich wieder durch die<br />

Büsche.<br />

Oreade<br />

Wie Schnee, der taut, schmilzt mir das Leben <strong>ein</strong><br />

zu grünen Fluren, und Blumen fühl´ ich sprießen<br />

zwischen Felsgest<strong>ein</strong> und auf den weiten<br />

Wiesen.<br />

Nereide<br />

Und majestätisch rollt die Welle froh zu<br />

altgewohnten Ufern.<br />

Dryade<br />

Blätter rauschen mir neuen Traum: Verwandle<br />

dich, du heit´re Nymphe – belebe diesen Garten<br />

mit dem Wispern und dem Scherzen d<strong>ein</strong>er<br />

Stimme!<br />

Dryade - !<br />

Oh!<br />

Nereide<br />

Dryade<br />

(beschämt)<br />

Nereide<br />

(Echo um die Schulter fassend, sie anlächelnd)<br />

Was sagt nur dir die Stunde, Echo?<br />

Echo<br />

(seufzt)<br />

Wir möchten´s kaum glauben, aber ich höre die<br />

Bäche rauschen, den Wind säuseln, die Kreatur<br />

sich bekriegen, finde das Meer Ertrunkene<br />

wiegen – es hat sich zu nichts Bedeutungsvollem<br />

geändert. Ach, Nereide, warum fragst du mich?<br />

Ich komme und gehe, und der Tag hat mich nur<br />

begrüßt. Helios erwärmt und hütet m<strong>ein</strong>e<br />

Locken, bis sie Selene, die Köstliche, mit <strong>ein</strong>em<br />

kalten Hauch umgürtet. Und doch ist alles<br />

Leiden noch Leben, noch Hoffnung und mäßiger<br />

Gebrauch von der Liebe, die uns kitzelnd reizt<br />

und hernach mit ihrem grausigen Stachel tötet!<br />

Nereide<br />

Ich will Poseidon bitten, dass er den Schiffen<br />

günstig sei.<br />

Oreade<br />

Ich will Pan anflehen, dass er dir freundliche<br />

Töne spielt, wenn er in d<strong>ein</strong>e Nähe kommt. Und<br />

auch Aphrodite will ich ersuchen, dich zukünftig<br />

nicht zu übersehen.<br />

Echo<br />

Sag´ Eros, er soll mich nicht wieder aufsuchen.<br />

Ach, dann ist mir wohler!<br />

Oreade<br />

Denke doch: Dies soll der Tag nicht s<strong>ein</strong>, an dem<br />

du ins Unglück gestürzt worden bist!<br />

Echo<br />

Heute – n<strong>ein</strong>! Doch dämmert mir <strong>ein</strong> ähnliches<br />

Verhängnis, das ich zu verhindern suchte. –<br />

(sich erinnernd)<br />

Ja, jetzt weiß ich´s: War es nicht <strong>Phaethon</strong>, dem<br />

es noch übler ergangen ist als mir?<br />

Najade<br />

<strong>Phaethon</strong> – ja! Er war´s, dessen Stimme ich<br />

gehört habe. Hieß er uns nicht rufen?<br />

Echo<br />

So lebt er? M<strong>ein</strong> Bruder – lebt?<br />

(freudig erregt)<br />

Dryade<br />

Mir gar nicht fern, erweckte mich s<strong>ein</strong><br />

Zwiegespräch – es kann nicht anders s<strong>ein</strong>: Er ist<br />

zurückgekommen!<br />

Echo<br />

(zu Nereide und Oreade)<br />

Sagt, Schwestern, ihr auch: Lebt <strong>Phaethon</strong> doch?<br />

Nereide<br />

Aus der Erstarrung stieg ich aus den Fluten .Auf<br />

den Wellen lag <strong>ein</strong> metallischer Glanz, und die<br />

Fische ängstigten sich und flohen in kühlere<br />

Tiefen. Ich sage dir: Er ist´s!<br />

Dryade<br />

Sag´, Nereide, was hat dies zu bedeuten?<br />

Najade<br />

Fällt´s euch nicht <strong>ein</strong>? An <strong>ein</strong>em gleichen Tag<br />

wie jetzt, und fast zur gleichen Stunde,<br />

plauderten wir im Garten, hier, als <strong>Phaethon</strong> zu<br />

uns kam mit ebenso vielen Gefährten, wie wir<br />

Schwestern sind. Wir verbargen uns im Gebüsch,<br />

als sie herbeitraten.<br />

Oreade<br />

Oh ja, und herrlich fanden wir es, sie zunächst zu<br />

necken ....


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Najade<br />

(horchen)<br />

Still! Ja, sie kommen. Rasch, verbergt euch – bei<br />

Echo – hier – so – und nun still!<br />

(Die Nymphen halten sich wieder verborgen,<br />

diesmal, um die Ankömmlinge ungesehen zu<br />

erwarten).<br />

Zweiter Auftritt<br />

(<strong>Phaethon</strong> betritt, mit den Gefährten plaudernd,<br />

den Garten)<br />

Philotinos<br />

Dies ist das erstemal, dass du uns d<strong>ein</strong>er Familie<br />

vorstellst – in diesem Garten d<strong>ein</strong>er Mutter!<br />

Welchem Umstande verdanken wir solche Ehre?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Man kennt euch nur als Helden in den üblichen<br />

Wettkämpfen. Aber nach all den Gastmählern<br />

und <strong>ein</strong>em sonst bedeutungsarmen Leben möchte<br />

ich euch dem Urteil der Frauen ausliefern.<br />

Anphit<br />

Du scherzt! Bezweifelst du, dass wir d<strong>ein</strong>er<br />

Mutter nicht überall die gleiche Ehrfurcht<br />

entgegenbringen, und m<strong>ein</strong>st du, dass wir die<br />

Gastfreundschaft nicht stets gebührend zu<br />

würdigen wüssten als ausgerechnet hier?<br />

Zelot<br />

Zudem sollte man denken, du vertraust dem<br />

Urteil kluger Männer, die zugleich unsere Lehrer<br />

sind, weniger als dem Gespür der Weiber!<br />

(Gelächter)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es macht mich staunen, dass du der Weisheit<br />

<strong>ein</strong>es weiblichen Herzens <strong>ein</strong> treffendes Urteil<br />

verweigerst.<br />

Philotinos<br />

Man weiß hingegen, dass <strong>Phaethon</strong>s Mutter von<br />

außergewöhnlicher Anmut ist. Es wird uns leicht<br />

fallen, uns von unserer besten Seite zu zeigen.<br />

Pleon<br />

Kann nicht den Berichten die Probe folgen?<br />

Apolausis<br />

Nach denen, die uns bewirtet haben, muss jetzt<br />

<strong>ein</strong> Wunder folgen! Denn <strong>Phaethon</strong> ist von<br />

auserlesen schönen Dienerinnen umgeben, von<br />

den angenehmsten Wohltaten umschwärmt. Nur<br />

– ich vermisse Knaben in diesem Hause!<br />

Zelot<br />

Du suchst nicht mit <strong>Phaethon</strong>s Augen, sondern<br />

stolperst auf eigenen Pfaden. Du weißt doch: Er<br />

mag k<strong>ein</strong>e Jünglinge und Knaben!<br />

(Gelächter)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ihr solltet mich nicht darum schelten, dass ich<br />

den Gebräuchen m<strong>ein</strong>er Erzieher widerstrebe.<br />

Aber sagt ihr nicht selbst, dass ich von<br />

außergewöhnlichem Reiz umgeben sei? Und<br />

doch ...<br />

(ernst werdend, wie abwesend)<br />

... bin ich durch m<strong>ein</strong>e<br />

Mutter dazu erzogen, <strong>ein</strong>er edlen Jungfrau m<strong>ein</strong><br />

Herz vorzubereiten.<br />

(schnell den Gefährten sich wieder zuwendend):<br />

Ich kette k<strong>ein</strong>e Unmündigen an m<strong>ein</strong> Leben!<br />

Anphit<br />

Es ist ja nicht nur dies: Du scheust dich nicht<br />

<strong>ein</strong>mal, die Waffen ernstlich zu gebrauchen, mit<br />

denen du sonst so gut umzugehen weißt. M<strong>ein</strong>st<br />

du, die Welt sei durch die Zartheit der<br />

Frauenhände erbaut?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Da sie am Unvollkommenen kränkelt, glaube ich<br />

es ebensowenig wie du.<br />

(Gelächter)<br />

Zelot<br />

Mich erstaunt darüber hinaus, dass du so<br />

gelassen den Gewohnheiten des Alltages<br />

fernbleibst. Du nimmst alle Kampfübungen mit<br />

Heiterkeit, du achtest nicht den Ernst der Proben,<br />

aber den Lehrern gibst du ausweichende, sehr<br />

philosophische Antworten auf ihren Unwillen.<br />

Pleon<br />

Eben diese Gewissheit macht uns stutzig: Woher<br />

nimmst du sie, wenn du sie doch nicht begründen<br />

kannst?<br />

Apolausis<br />

Unsere Vergnügungen haben dich nur<br />

nebensächlich erfreut. Glaubst du nicht an den<br />

Sinn menschlicher Genüsse?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong>e Mutter lehrte mich, was dem Griechen <strong>ein</strong><br />

höheres Empfinden abnötigt. So beklage ich<br />

nicht, was ihr Verlust nennt, aber ich leide tiefer<br />

als ihr um gleiche Mißstände und weiß oft nicht,<br />

woher mich diese Regung trifft. Neidet mir also<br />

nicht m<strong>ein</strong>en sch<strong>ein</strong>baren Gleichmut – er dienst<br />

ja nur als Vorwand, um zu überstehen, um mit<br />

euch leben zu können.<br />

Dryade<br />

Dagegen heitert die Natur ihn gern auf!<br />

(Sichtbares Erstaunen der Gefährten)<br />

Anphit<br />

Sprach dort nicht <strong>ein</strong> Mädchen? – Ist d<strong>ein</strong>er<br />

Mutter Gesinde stets so nahe, wenn sich Männer<br />

unterhalten?


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Najade<br />

(wie die anderen Nymphen versteckt):<br />

Ist es nur das Gesinde, was dich so erschreckt?<br />

Anphit<br />

Wahrhaftig – Ort und Stimme wechseln!<br />

<strong>Phaethon</strong>, was hat dies zu bedeuten?<br />

Echo<br />

Was fragst du ihn? Frag´ uns!<br />

Apolausis<br />

Beim Zeus! Diese Stimmen sind für m<strong>ein</strong> Ohr<br />

ungewohnt. Ich glaube, das Gesinde ist es nicht.<br />

Oreade<br />

Sooft ihr die Gefilde durchstreift oder die Wellen<br />

durchkreuzt: Ihr seht uns, doch nie hört ihr uns.<br />

Ihr betet, aber ihr zweifelt zugleich. Warum<br />

wollt ihr uns jetzt sehen, da ihr uns doch hören<br />

könnt?<br />

Najade<br />

Richtig, Schwester! Gib ihnen nur <strong>ein</strong> Rätsel auf!<br />

Oreade<br />

Gebt euch also mit dem <strong>ein</strong>en Sinn zufrieden,<br />

dankt uns für unsere Stimmen – nicht wahr,<br />

Schwestern?<br />

(unterdrücktes Lachen)<br />

Pleon<br />

Du irrst, Schöne! Wir hätten euch gern so, wie<br />

ihr geschaffen seid. Tretet also hervor!<br />

Najade<br />

Wenn wir unsere Gewänder ablegen, wird<br />

Mutter uns schelten, denn es ziemt sich nicht.<br />

Oreade<br />

Wir sind doch k<strong>ein</strong>e Schenkelzeigerinnen, um<br />

Spartas Jugend zur Fruchtbarkeit aufzufordern!<br />

Najade<br />

Es ist doch <strong>ein</strong> gar zu merkwürdiges Ding: Man<br />

muss bei euch die Natur erst locken, damit sie<br />

sich zeige!<br />

(Kichern, Lachen)<br />

Apolausis<br />

Ihr Lieblichen, scheltet uns nicht, straft uns nicht<br />

länger: Kommt heraus – oder sollen wir das<br />

Gebüsch durchstreifen?<br />

Nereide<br />

Du scheust dich also nicht, selbst mit den<br />

Fischen zu spielen, m<strong>ein</strong> Sohn?<br />

(Lachen der Mädchen)<br />

Anphit<br />

Ich bitt´ dich, <strong>Phaethon</strong>, löse dieses Rätsel. Du<br />

lächelst? Kennst du sie etwa?<br />

Ja doch, und ihr ...<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dryade<br />

- Pssst! Wirst du schweigen, Bruder?<br />

Was sagte sie?<br />

Anphit<br />

Dryade<br />

(den Ort wechselnd)<br />

Ich riet ihm nur, m<strong>ein</strong>en Standort nicht genauer<br />

zu bezeichnen.<br />

Anphit<br />

Eben sprachst du noch hier – - und jetzt so rasch<br />

...?<br />

Najade<br />

Menschenart, dass sie nur dem sichtbaren<br />

Augenblick völlig vertrauen, nicht wahr?<br />

Apolausis<br />

Oh n<strong>ein</strong>, du freundliches Kind! Sie weiß zum<br />

Beispiel den Augenblick der Nacht gut zu<br />

planen. Was sträubst du dich also noch?<br />

Du drohtest mir!<br />

Wann?<br />

Soeben!<br />

Najade<br />

Apolausis<br />

Najade<br />

Zelot<br />

Wenn ich nachdenke, möchte ich m<strong>ein</strong>en,<br />

<strong>Phaethon</strong> will uns etwas vorenthalten.<br />

Pleon<br />

Recht hast du! Geizt man so den Freunden<br />

gegenüber?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was trachtet ihr – Beute zu machen?<br />

Zelot<br />

Wir teilte ja nicht nur die Freuden mit<strong>ein</strong>ander,<br />

sondern auch den Kummer laden wir auf <strong>ein</strong>es<br />

jeden Schulter zu gleichen Teilen<br />

Nereide<br />

Bis sich der Augenblick gefügt hat, dem man<br />

all<strong>ein</strong> und abgeschieden die Treue halten kann,<br />

ohne sich das Herz dabei zu zerreißen.<br />

Zelot<br />

Die tiefe Stimme dieser Frau schießt giftige<br />

Pfeile ab!


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Philotinos<br />

Ein solches Wort muss jeden Freund kränken!<br />

So werft!<br />

Nereide<br />

Anphit<br />

Sie geben sich wie weise Gottheiten, aber ihr<br />

Neid ist nach Weiber Art.<br />

Pleon<br />

Lasst uns doch das Geheimnis lüften. Kommt,<br />

wir ergründen ihre Verstecke!<br />

(Man verteilt sich, ohne <strong>Phaethon</strong>, rasch im<br />

Garten, sucht, kehrt zurück):<br />

Pleon<br />

Nichts! Wie ist das möglich?<br />

Dryade<br />

Ihr habt eure Ehre zu retten gesucht, und jetzt<br />

wundert ihr euch, dass ihr mit leeren Armen<br />

zurückkehrt?<br />

Philotinos<br />

Dieses rätselhafte weibische Geschwätz sollte<br />

uns empören, aber es kann uns nicht <strong>ein</strong>mal<br />

ritzen!<br />

Oreade<br />

Die Wunden, die sich Menschen gegenseitig<br />

beibringen, versucht ihr bei uns zu lindern.<br />

Warum öffnet ihr nicht lieber euer Herz?<br />

Echo<br />

Jedoch nicht wieder mit der Waffe!<br />

Nereide<br />

Spotte nicht, Schwester!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Zürne ihr nicht, denn es ist doch wahr: Wer den<br />

Frieden sucht, kann ihn nicht mit der Waffe<br />

erzwingen.<br />

Philotinos<br />

Und doch liegt oft der Sieg in der Herrlichkeit<br />

<strong>ein</strong>es trotzig aufbrausenden männlichen Zornes<br />

begründet.<br />

Zelot<br />

Nur fehlt die Hand, wenn das Auge zuckte.<br />

Anphit<br />

Glaubt ihr, dass <strong>ein</strong> mannhaftes Gemüt bei der<br />

Geschwätzigkeit des Weibes Frieden fände?<br />

Oreade<br />

So zänkisch sind sie nicht. Sie werden erst dazu<br />

gemacht.<br />

Pleon<br />

Da muss ich dir recht geben: Was sie nicht<br />

nachgeworfen bekommen, ersticheln sie mit ihrer<br />

Zunge.<br />

Pleon<br />

Wir haben nichts. Was uns gefällt, bemühen wir<br />

lieber in unsere eigene Tasche.<br />

Nereide<br />

So schmeichelt es eurer Eitelkeit, wenn wir euch<br />

bäten, etwas Kostbares zu verschenken?<br />

Apolausis<br />

Alles hat s<strong>ein</strong>en Preis!<br />

Dryade<br />

Da bin ich neugierig!<br />

Philotinos<br />

Sollten wir uns die Kosten nicht teilen?<br />

Zelot<br />

Glaubst du, du kämest zu kurz?<br />

Anphit<br />

Halt, Freunde! Lasst ihr euch schon von bloßen<br />

Gerüchen die Nasen betören, ohne den Braten<br />

erst kosten zu können?<br />

Pleon<br />

In der Tat: Wir lassen uns von den reizenden<br />

Stimmen bestricken, ohne die Gewähr ihrer<br />

Gestalt erhalten zu haben, die dazu wird passen<br />

müssen!<br />

Najade<br />

Wir spielen doch nur mit eurem Preis wie mit<br />

<strong>ein</strong>em Ball! Er ist euch doch so nahe! Holt ihn<br />

euch, schenkt uns dafür eure Gelassenheit,<br />

Hoheit, Klugheit, Weisheit, Ehrsamkeit – kurz,<br />

alle Tugenden <strong>ein</strong>es wahrhaften Jünglings – legt<br />

sie vor uns nieder, und wir treten sofort zu euch<br />

heraus!<br />

(Ratlosigkeit der Gefährten)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist genug, Schwestern! Habt Dank für euer<br />

Ersch<strong>ein</strong>en!<br />

(Die Nymphen treten hervor. Die Gefährten<br />

weichen <strong>ein</strong> wenig zurück)<br />

Zelot<br />

Ihr seid nicht <strong>Phaethon</strong> Schwestern – wir<br />

kennten euch von früher! N<strong>ein</strong>, ihr seid nicht<br />

Menschen, ihr seid Nymphen.<br />

Oreade<br />

Was suchst du zu erhöhen? Sprachst du doch mit<br />

uns als Menschen, und seid ihr uns nicht Antwort<br />

und Beweis schuldig geblieben? Wozu sollten<br />

wir uns zu Gottheiten gemacht fühlen, wenn ihr


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schon vor den Sterblichen euer wahres Wesen<br />

beschämt <strong>ein</strong>gestehen müsst?<br />

Echo<br />

Die Weisheit der Frau ist nicht in der<br />

Göttlichkeit zu suchen, sondern die Schöpfung<br />

offenbart sich in der weisen Erschaffung der<br />

Frau!<br />

Zelot<br />

(höhnisch lachend)<br />

Philotinos<br />

Aus <strong>ein</strong>es Mannes Mund kam dieses bescheidene<br />

Wort wohl nicht?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich zweifle nicht, dass manches Unglück hätte<br />

verhindert werden können, wenn man ihm von<br />

berufeneren Lippen Schranken gewiesen hätte,<br />

als aus dem Ehrgeiz Leichtsinn zu entfachen.<br />

Sucht man nicht auch hier, um das Große<br />

entkräften zu können, in der Häufung des<br />

Niedrigen den Gegenbeweis, und bemerkt man<br />

darum nicht, wie sehr man sich dadurch mit ihm<br />

selbst verkuppelt?<br />

Nereide<br />

Ein kühnes Wort, m<strong>ein</strong> Bruder!<br />

Zelot<br />

Darum soll es überhört s<strong>ein</strong>.<br />

Apolausis<br />

Der Anblick dieser reizenden Mädchen sollte uns<br />

versöhnlich stimmen, Freunde. Was kann denn<br />

<strong>Phaethon</strong> für die <strong>ein</strong>samen Gedanken s<strong>ein</strong>er<br />

Schwestern?<br />

Pleon<br />

Wie recht du hast, Apolausis! Einem jeden Gaste<br />

<strong>ein</strong> freundliches Lächeln, denk´ ich. Es ist schon<br />

sehr lange her, dass wir euch sahen. Du da –<br />

sagst du mir d<strong>ein</strong>en Namen?<br />

Dryade<br />

Dem Namenlosen ist die Menschheit hold: Man<br />

vergisst sie nach <strong>ein</strong>em misslungenen Abenteuer<br />

um so eher!<br />

Zelot<br />

So will ich dich, schöne Jungfrau, bitten, mich zu<br />

<strong>ein</strong>em Trunk zu laden.<br />

Najade<br />

Täglich habe ich ihn dir dargeboten, aber du<br />

übersiehst m<strong>ein</strong>e Gabe und lässt höchstens die<br />

Hunde daraus saufen. Nun will ich nicht mehr!<br />

Apolausis<br />

Ihr zwei seid spröde Jungfrauen und ungastliche<br />

dazu. Versuch´ ich´s also mit der Ernsteren unter<br />

den Schwestern! In d<strong>ein</strong>em Zögern vermute ich<br />

mehr Freundlichkeit.<br />

(Er nähert sich Oreade)<br />

Oreade<br />

M<strong>ein</strong>e geweitete Seele würde dich, Fremder,<br />

unnötig auffordern; ziellos herumstreifen<br />

würdest du, und am Ende würdest du doch nur<br />

von <strong>ein</strong>em Labyrinth berichten, in das ich dich<br />

gelockt habe.<br />

Philotinos<br />

(ironisch)<br />

Wohl erkenne ich, dass trotzige Worte nicht<br />

fruchten. Auch ahnt mir verborgene Größe, und<br />

ich bitte nun dich, du Ernste voll Majestät, mir<br />

d<strong>ein</strong>e Hand zu reichen, um uns an diesen Tisch<br />

zu laden.<br />

Nereide<br />

Der Kranz, der dich damit schmücken soll,<br />

könnte dir die kühne Stirn zerknittern.<br />

Anphit<br />

Siehst du, Freund: Weder mit Trotz, mit<br />

Übermut noch mit ehrlichem Ernst ist hier<br />

jemand zu gewinnen. Nun sind genug<br />

Artigkeiten ausgetauscht. Versuchen wir´s lieber<br />

mit <strong>ein</strong>er gesunden Portion Zynismus, denn mir<br />

sch<strong>ein</strong>t, die edlen Frauen verstehen sich auf´s<br />

Zuspitzen? Mir bleibt, wie ich sehe, nur <strong>ein</strong><br />

schwermutvolles Kind zu betrauern. Aber sie<br />

steht m<strong>ein</strong>em Gesicht nicht – ob gespielte oder<br />

wirklich empfundene Trauer. Soll doch der<br />

kommen und sie trösten, dem sie ihr Wesen<br />

verdankt!<br />

Schweig´ – Mensch!<br />

Nereide<br />

Anphit<br />

Soll ich vor <strong>ein</strong>es Weibes Zunge –<br />

(auf ihn zutretend)<br />

Nereide<br />

- du rührtest an der tiefsten Wunde. Jetzt, da du´s<br />

weißt, tritt zurück. Du sollst schweigen, Anphit!<br />

Anphit<br />

Bist du nicht die gleiche, die vorhin den Giftpfeil<br />

schoss?<br />

Nereide<br />

Er streifte dich – nicht mehr! Doch gehst du<br />

nicht ungestraft aus, wenn du der Schwester böse<br />

Worte sagst!


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<strong>Phaethon</strong><br />

Hier sollte Ehrfurcht Einhalt gebieten, wo die<br />

Einsicht sich vermissen lässt.<br />

Anphit<br />

So spricht man nicht zu Gästen. Sind wir also<br />

unwillkommen, sagt unser Stolz uns jetzt: Geht,<br />

Freunde!<br />

(Sie wenden sich zum Gehen)<br />

Dritter Auftritt<br />

(Klymene ersch<strong>ein</strong>t)<br />

Was hör´ ich? Habt ihr Streit? Nicht doch:<br />

Nehmt Platz, kommt, lasst euch reichen von<br />

allem, was ihr vorfindet!<br />

Anphit<br />

<strong>Phaethon</strong>s Mutter wollen wir gern Ehrerbietung<br />

bezeigen, wo die Töchter sie verschmähten!<br />

Klymene<br />

Ich bin <strong>Phaethon</strong>s u n d der Mädchen Mutter.<br />

Wenn ihr gekränkt seid, will ich die Ursache<br />

erforschen und schon hier für begangenes<br />

Unrecht um Verzeihung bitten.<br />

Philotinos<br />

Wir sind gekränkt durch losen Mädchenmund.<br />

Klymene<br />

(sich unter den Nymphen umschauend):<br />

Wer war´s im <strong>ein</strong>zelnen?<br />

Zelot<br />

Bis auf die Stille waren´s alle. N<strong>ein</strong>, frag´ sie<br />

lieber selbst.<br />

Klymene<br />

Ihr habt euch töricht aufgeführt – Empörung<br />

verursacht? Wie konntet ihr! Sag´, Nereide, was<br />

bedeutet das?<br />

Nereide<br />

Unser Vergehen war es nur, die Sterblichen zu<br />

necken. Was ihnen der Unmut zu verschweigen<br />

gebot, entlockte ihnen sodann der Zorn. Was sie<br />

kränkt, ist das Ungewohnte unseres Wesens, das<br />

ihnen Schranken weisen musste.<br />

Klymene<br />

So – Schranken? Aber wisst ihr denn nicht, dass<br />

ihr die Menschen nicht herausfordern dürft? Ihr<br />

waret spröde, wie?<br />

Nereide<br />

Wir waren´s – wir sind es noch!<br />

Klymene<br />

Oh, wie ich euch kenne! Und Dryade – neckte<br />

sie die werten Gäste wieder auf ihre Weise?<br />

Dryade<br />

(wieder versteckt)<br />

Ein kl<strong>ein</strong>es Spiel, liebste Mutter!<br />

Klymene<br />

Ah – ich verstehe schon!<br />

(Najade zupft verstohlen an Klymenes Gewand)<br />

Schau doch, Najade – treib´ nicht d<strong>ein</strong>en<br />

Schabernack! Bei euch großen Töchtern<br />

vermisse ich bisweilen den nötigen Ernst. Habt<br />

ihr nicht gehört, wie sehr unsere Gäste sich über<br />

euch beklagen?<br />

Dryade<br />

Sie sollten damit zu Ende kommen, denn wir<br />

werden dir gehorchen, Mutter.<br />

Klymene<br />

Najade – du bist <strong>ein</strong> großes Kind. Geh, lass´ das!<br />

(Najade ersch<strong>ein</strong>t.<br />

Kl<strong>ein</strong>laut):<br />

Najade<br />

Ja, Mutter, aber die Gelegenheit zum Spiel kehrt<br />

nicht so leicht wieder, nicht wahr?<br />

(Sie lächelt zu Apolausis hinüber)<br />

Oreade<br />

Es war genug – verzeiht!<br />

Pleon<br />

Was uns erregte, sei dahin!<br />

Nereide<br />

Dem Sturm folg´ tiefe Stille: Es sei!<br />

Dryade<br />

Ich säusele in Wipfeln und halte nach Helios´<br />

Sonnenwagen Ausschau, der stetig<br />

herniederkommt.<br />

Echo<br />

Wir danken d<strong>ein</strong>en weisen Worten, Mutter, und<br />

wir wollen uns bescheiden, bis wir gerufen<br />

werden.<br />

Anphit<br />

Es liegt im Gemüt, etwas zu tun oder zu lassen.<br />

Daher wollen wir den Groll begraben. Dennoch,<br />

edle Frau, ist die Stunde zu weit fortgeschritten,<br />

als dass wir bleiben könnten. Ein andermal sei<br />

uns <strong>ein</strong> herzlicher Empfang gewiss?<br />

Klymene<br />

Natürlich, Anphit! Mag <strong>Phaethon</strong> euch bis ans<br />

Tor geleiten – unsere Wünsche begleiten euch<br />

bis nach Hause. Lebt wohl!<br />

Lebt wohl!<br />

Die Gefährten


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Vierter Auftritt<br />

Klymene<br />

Kommt jetzt zu Tische, da lässt es sich bequemer<br />

sprechen!<br />

Dryade<br />

(Ihre Stimme aus <strong>ein</strong>em Baume)<br />

Wenn ich mich schüttle, werfe ich sogar etwas<br />

Laub zu euch hinab.<br />

Nereide<br />

Die Mutter rief zu Tisch, Dryade!<br />

Dryade<br />

(hinter dem Baume hervortretend)<br />

Du bist fast noch strenger als sie!<br />

Fünfter Auftritt<br />

(<strong>Phaethon</strong> kommt zurück, setzt sich mit zu<br />

Tische)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Aller Unmut hat s<strong>ein</strong>en Ursprung in eurer<br />

Leichtigkeit des Scherzens gehabt. Vergib,<br />

Mutter, dass ich´s gewähren ließ!<br />

Klymene<br />

Du wirst es mich wissen lassen wollen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja doch, liebste Mutter! Weil ich wusste, dass die<br />

Schwestern sich um diese Zeit hier gern<br />

aufhalten, brachte ich jene Freunde hierher. Ich<br />

wollte sie prüfen, und ich musste entdecken, dass<br />

ihre Gesinnung nur allzu menschlich ist.<br />

Klymene<br />

Du kanntest sie doch: Es sind gewöhnliche<br />

Sterbliche, ruhelose Glücksuchende und der Erde<br />

verhaftet. Sie waren dir noch nie <strong>ein</strong>e gute<br />

Stütze.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Bisher war ich vor ihrer Hilfe ziemlich sicher. –<br />

Ist es nicht überhaupt bemerkenswert, dass sich<br />

kaum Freunde halten, sobald man ihr Herz mehr<br />

prüft als ihre guten Manieren?<br />

Klymene<br />

Dir bleibt ja Philos. Er ist neu – ich hätte ihn<br />

gern kennen gelernt. Im übrigen: Du bist<br />

verwöhnt, <strong>Phaethon</strong>. Bedenke, was dir d<strong>ein</strong>e<br />

Schwestern sind. Wer soll sich je mit ihnen<br />

messen? Du musst dich unter dem menschlichen<br />

Maß an das Erreichbare halten. Richte darauf<br />

d<strong>ein</strong> Herz, so wird sich auch dir unter weniger<br />

hohen Ansprüchen die Welt öffnen, statt dich<br />

abzuschrecken. Und suchst du in aller<br />

Schwachheit des Weibes Erholung, komm und<br />

ruhe dich bei d<strong>ein</strong>en Schwestern aus. Genügt dir<br />

das nicht, m<strong>ein</strong> Sohn? N<strong>ein</strong>? Ich sehe schon, dass<br />

du um jede Stunde trauerst, die du nicht unter<br />

uns s<strong>ein</strong> kannst .... Du wirst es schwer haben,<br />

<strong>Phaethon</strong>!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja, das bekümmert mich: Die Sorgen der<br />

Vornehmen kitzeln mich nicht, denn ich lebe den<br />

Unsterblichen näher als den Menschen. Das<br />

danke ich euch.<br />

Echo<br />

Liebster, du bist dem Lichte zugeboren. Das<br />

macht dich heiter und dem Leben so leicht<br />

verbunden. Immer will es hinauf, und darum<br />

dünken die Fesseln des Hiers<strong>ein</strong>s oft Qual.<br />

Wir kennen d<strong>ein</strong>en Kummer wohl. Aber es<br />

tröstet uns, dass du aufwärts strebst, den Göttern<br />

zu gefallen. Also trinke vom Licht der Gestirne,<br />

ehe sich der Tag für dich neigen mag.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(sie zärtlich an sich ziehend)<br />

Obgleich ich mich ängstige vor dem, was in mir<br />

zur Höhe treibt, kannst du mir Mut zusprechen.<br />

Sag´, ging es dir heute gut? Lass´ auch du dich<br />

<strong>ein</strong> wenig trösten! Von dem, was man dir vorhin<br />

angetan hat, ist morgen das meiste als<br />

unbedeutend vergessen, nicht wahr?<br />

Echo<br />

(sich an ihn schmiegend)<br />

Das danke ich dir, du vergisst mich nicht.<br />

Klymene<br />

Auch Echo scherzte vorhin, wie mir Nereide<br />

soeben lächelnd deutet. Das ist mir <strong>ein</strong> warmer<br />

Trost! So gibt es auch auf d<strong>ein</strong>er hohen Stirn<br />

Glätte, m<strong>ein</strong>e Tochter?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(Echos Stirn küssend, die Locken streichelnd)<br />

Die Still hat ihr Teil ohne Tränen zurück, Mutter.<br />

Wie ging das zu?<br />

Klymene<br />

Echo<br />

M<strong>ein</strong> Bruder selbst hatte uns zu dem heiteren<br />

Spiel ermutigt: Auf s<strong>ein</strong>en Mienen stand schon<br />

angekündigt, was er von uns erwartete. Was<br />

konnten wir zerstören, wenn er´s doch selbst<br />

durchschaut hatte?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Bedeutend kam ich nicht, nur offen. Doch Echo,<br />

weit vorausschauend, gab sich der unbeschwerten<br />

Kurzweil um so eher hin, weil ich´s auch tat.<br />

So waren wir <strong>ein</strong>es Sinnes.


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Klymene<br />

Aber Kinder! Nennt ihr dies Gastfreundschaft?<br />

Was ist dann noch heilig, wenn es der blinde<br />

Witz verletzt?<br />

Nereide<br />

Gib uns, Mutter, Gelegenheit zur Reue.<br />

Dennnoch bekennen wir auch, dass die Männer<br />

von Vorteil und Eigensucht zu <strong>Phaethon</strong>s Leben<br />

gestoßen sind. Nun aber wissen sie, dass wir sie<br />

erkannt haben.<br />

Oreade<br />

Und da sie sich erschmeicheln und hernach<br />

ertrotzen wollten, was sie nicht haben durften ...<br />

Najade<br />

... schlugen wir ihre Heiligkeit nicht gerade sehr<br />

hoch an und verwiesen sie in den entlegeneren<br />

Winkel unseres Schauspiels.<br />

Dryade<br />

Zudem sind sie garstig üble, schwerfällige<br />

Schauspieler, Mutter: Auf alles Unerklärliche<br />

tölpelten sie her<strong>ein</strong>, dass wir lachen mussten.<br />

Klymene<br />

Sollen uns je die Menschen nachsagen können,<br />

dass wir sie nicht zu bewirten wüssten?<br />

Oreade<br />

Wir haben ihnen unsere Vorteile ja angedeutet,<br />

aber sie konnten dergleichen wohl nicht an uns<br />

entdecken!<br />

(Die Mädchen kichern)<br />

Klymene<br />

(seufzt, erhebt sich lächelnd)<br />

Ich sehe schon, wie recht die Fremden hatten:<br />

Mit euch ist k<strong>ein</strong> verständiges Wort zu wechseln.<br />

Mag s<strong>ein</strong>, dass der Tag so herrlich vergangen ist,<br />

mag s<strong>ein</strong>, dass euer Bruder –<br />

Mutter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Klymene<br />

- erheiternd auf euch gewirkt hat - - ihr wolltet<br />

diese Menschen etwas Göttliches lehren, nun,<br />

und das begreifen sie <strong>ein</strong>fach nicht.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mutter, es sind nicht alle so!<br />

Klymene<br />

(streichelt ihm die Wange)<br />

Ich weiß! Aber sie verstehen dich auch nicht<br />

ganz – damit finde dich ab, m<strong>ein</strong> Sohn. Es ist<br />

d<strong>ein</strong> Geschick, Verwirrung zu hinterlassen, wo<br />

du die Wahrheit suchtest. Aber d<strong>ein</strong><br />

ausgleichendes Wesen möge segensreich auf die<br />

Menschen wirken und zur Verantwortung rufen,<br />

ehe es zu spät ist.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wo werde ich diese Kunst vollends lernen?<br />

Klymene<br />

Du musst ja noch nicht fort! Doch d<strong>ein</strong>e Lehrer<br />

berichteten mir große Fortschritte in d<strong>ein</strong>em<br />

Studium. Die Waffe dagegen war noch nie d<strong>ein</strong><br />

Argument. So werden denn groß im Denken!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich habe ja euch! Da wird auch das Herz reden<br />

dürfen!<br />

(Am Eingange des Gartens entsteht Unruhe:<br />

Zwei verschleierte Frauen treten näher).<br />

Sechster Auftritt<br />

Klymene<br />

Von diesen Gästen weiß ich allerdings nichts.<br />

Seid uns willkommen. Wer seid ihr?<br />

(Beim Herzutreten der Frauen weichen <strong>Phaethon</strong><br />

und s<strong>ein</strong>e Schwestern unwillkürlich zurück)<br />

Erste Frau<br />

Ich bin Psuchos und grüße dich und d<strong>ein</strong>e<br />

Kinder, Klymene!<br />

Zweite Frau<br />

Nimm m<strong>ein</strong>en Namen Odä zum Gebrauch – du<br />

kennst auch mich.<br />

Psuchos<br />

Nach langer Zeit betreten wir d<strong>ein</strong> Haus, um uns<br />

nach eurem Besten zu erkundigen.<br />

Odä<br />

Nach dir und d<strong>ein</strong>en Kindern!<br />

Klymene<br />

Auch wir grüßen euch! Wollt ihr nun den<br />

Schleier heben, dass wir euer Gesicht erkennen?<br />

Psuchos<br />

Sogleich – jedoch: Erschreckt nur nicht! Ich bin<br />

die Kühle; m<strong>ein</strong>e Schwester hat sich der<br />

Dichtkunst gewidmet.<br />

Klymene<br />

Als solche seid ihr mir unbekannt. Doch seid<br />

willkommen!<br />

Psuchos<br />

Es liegt selbstverständlich daran, dass wir<br />

unseren Namen mit verschleiert haben, damit wir<br />

nicht ständig genötigt werden, über uns zu<br />

berichten.


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Odä<br />

Wir bitten dich, Klymene, erkenne auch du uns<br />

vorläufig unter diesem Namen wieder, wenn wir<br />

jetzt <strong>ein</strong>en Teil unseres Geheimnisses lüften.<br />

(Sie nehmen den Schleier ab)<br />

Klymene<br />

(erstaunt zurückweichend)<br />

Ich kenne euch: Ihr seid –<br />

Odä<br />

Ich bitte dich: Es bleibt dabei?<br />

Klymene<br />

Gern beuge ich mich eurem Wunsch. Doch wozu<br />

- ?<br />

Psuchos<br />

Es war Odäs Vorschlag. Mehr weiß ich darüber<br />

eigentlich auch nicht. Aber sie hat versprochen,<br />

sich zu gegebener zeit zu enthüllen. Bis dahin<br />

gedulde dich, Klymene!<br />

Odä<br />

So versprach ich´s.<br />

(Sie wendet sich den Mädchen zu)<br />

Du bist – so ehr´ ich dich – die stolze Nereide, in<br />

deren Element sich Helios und Selene<br />

bespiegeln?<br />

Nereide<br />

Nicht stolz! M<strong>ein</strong> Wesen fügt sich der<br />

verliehenen Würde.<br />

Odä<br />

Und du, voll weiter Gedanken und lichter<br />

Erkenntnisse, bist die ernste Oreade?<br />

Oreade<br />

Du sagst mir viel Gutes!<br />

Odä<br />

Dryade, Neckische?<br />

(Sie fasst lächelnd ihr Kinn):<br />

So scherzt du doch nicht immer – wie vorhin?<br />

Dryade<br />

(verlegen)<br />

D<strong>ein</strong> leiser Tadel trifft mich sanft ins Herz. Dir<br />

werd´ ich ehrbar dienen!<br />

Odä<br />

Aus d<strong>ein</strong>en Augen quellen r<strong>ein</strong>e Tränen. Warum,<br />

Najade?<br />

Najade<br />

Du bist k<strong>ein</strong> Mensch, dass du mich so erkennen<br />

darfst!<br />

Odä<br />

Ein leiser Hauch berührte dich -: schon bist du<br />

erschüttert. Du bist nicht für das Leiden<br />

geschaffen! – Und hier? Bist du nicht Echo, die<br />

an des Bruders Brust sich lehnt? Schwermütig<br />

schaust du, Echo? In d<strong>ein</strong>en Augen ziehen<br />

Welten auf und ab! Zehre getrost von der Kraft,<br />

die von den Sterblichen ausgeht, nicht von ihren<br />

Schwächen!<br />

Echo<br />

(sich fassend)<br />

M<strong>ein</strong> Bruder ist mir Welt genug, edle Herrin!<br />

Odä<br />

D<strong>ein</strong> Bruder <strong>Phaethon</strong> – ist es recht?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich schütze sie. Wir sind <strong>ein</strong>ander besonders<br />

zugetan.<br />

Odä<br />

(in merkwürdiger Aufmerksamkeit <strong>Phaethon</strong><br />

anschauend)<br />

Als Schwester doch – dem Bruder – nicht wahr?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nun, da du mich so offen fragst: M<strong>ein</strong>e<br />

Schwestern haben mich in m<strong>ein</strong>em Urteil über<br />

die Hoheit der Frau sehr gebildet. So ist es mir<br />

bisher schwergefallen, <strong>ein</strong>e Jungfrau zu umwerben.<br />

Odä<br />

Bisher? – Ein stolzes Wort!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(überrascht)<br />

N<strong>ein</strong> – oh – vergib! Ich m<strong>ein</strong>e: So erhaben über<br />

die Herzen der Menschen bin ich nicht.<br />

Vielleicht bin ich aber nicht weit genug<br />

herumgekommen, um auf <strong>ein</strong> solches weibliches<br />

Geschöpf zu stoßen, das so anmutig, so<br />

tugendhaft, so voller Lauterkeit und Liebreiz<br />

<strong>ein</strong>herschreitet – wie – wie – die Morgenröte? –<br />

so jungfräulich und über alle Greuel der<br />

Gesinnungen erhaben.<br />

Odä<br />

Soviel erhoffst du? – Neigst du doch dazu,<br />

Göttliches in Menschen zu erfahren! Lass´ dich<br />

nicht enttäuschen, junger Mann! Die Wesen, die<br />

du findest, sind allesamt dazu geschaffen, an der<br />

Qual des unwiederbringlich Schönen zu leiden.<br />

So saugen sie sich am Augenblick fest und<br />

werten das Vorhaben und Wesen der Götter aus<br />

dem Jetzt, aus dem höchsten Erkennen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So reden auch die Schwestern. Bist du <strong>ein</strong>e<br />

Nymphe wie sie? Doch n<strong>ein</strong> – sie erschauern.<br />

Wer also bist du?


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Klymene<br />

Vergib, Odä, m<strong>ein</strong>en Sohn beunruhigt d<strong>ein</strong>e<br />

angeborene Hoheit. Ich glaube fast, er ist<br />

betroffen.<br />

Odä<br />

(lacht)<br />

Wir geben euch unser Ziel bekannt, sobald die<br />

Zeit dazu reif ist.<br />

Mehr als das!<br />

Odä<br />

(sinnend)<br />

Klymene<br />

Versteht doch: M<strong>ein</strong>e Töchter glauben, dass mit<br />

eurem Namen auch euer Wesen erklärt ist!<br />

Klymene<br />

Bevor du weiterfragst, <strong>Phaethon</strong>, lass´ uns diese<br />

Antwort verschieben. Es ist genug, wenn ich dir<br />

sage, dass Odä unserem Hause gut bekannt ist.<br />

Echo<br />

(dem erregten <strong>Phaethon</strong> die Brust streichelnd)<br />

Bruder! Es liegt vielleicht <strong>ein</strong> heiliger Schwur<br />

auf diesem Geheimnis ihrer Herkunft, und die<br />

Mutter will´s nicht preisgeben.<br />

Sie darf es nicht!<br />

Psuchos<br />

Klymene<br />

Es bleibt ja auch noch viel zu erzählen. Bringt<br />

uns Stühle, Schemel, setzt euch alle, dass wir<br />

noch <strong>ein</strong> wenig uns unterhalten. Ihr müsst ja bald<br />

wieder fort.<br />

Psuchos<br />

Diese Stunde ist kostbar, das geben wir gern zu.<br />

(Man setzt sich)<br />

Klymene<br />

Es ist lange her, dass ich euch bewirten durfte.<br />

Gibt es k<strong>ein</strong>en Aufschub?<br />

Du scherzt, Klymene!<br />

Psuchos<br />

(stutzt, lächelt)<br />

Odä<br />

Zweifelst du vielleicht noch, dass ihr uns so<br />

wichtig waret, dass wir euch gern wiedersehen<br />

wollten?<br />

Nereide<br />

Fragen mag ich nicht, aber ich spüre, dass wir<br />

uns oft begegnet sind. Jetzt aber weiß ich´s nicht<br />

mehr.<br />

Oreade<br />

Das überkommt auch mich sonderbar.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ihr forscht, aber ihr seid ungehorsam.<br />

Dryade<br />

Kannst du dem Winde verbieten, in den Blättern<br />

zu spielen?<br />

Najade<br />

Ja, ja, das m<strong>ein</strong>en wir!<br />

Odä<br />

Wie ich sehe, Klymene, sind d<strong>ein</strong>e Töchter<br />

allerliebst gewachsen und <strong>ein</strong>e Zierde d<strong>ein</strong>es<br />

Hauses. Selbst die Götter könnten sich zu<br />

Bewerbern herniederlassen, m<strong>ein</strong>st du nicht?<br />

Klymene<br />

Dieses Lob haben sie eigentlich nicht verdient –<br />

oder, Kinder?<br />

(Die Nymphen rufen Erstaunen)<br />

Oh ja! Habt ihr schon vergessen, wie ihr mit<br />

<strong>Phaethon</strong>s Gefährten umgesprungen seid?<br />

Dryade<br />

Wir haben sie allesamt in <strong>ein</strong>e Waagschale<br />

hüpfen lassen. Nichts hat sie hinaufzudrücken<br />

vermocht: Die Erde hat sie festgehalten<br />

(Lachen)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Eure Rätsel waren ihnen auch wirklich zu<br />

schwer.<br />

Najade<br />

Mit erhobenen Nasen suchten sie ihre<br />

Männlichkeit uns zu deuten. Dabei stolperten sie<br />

über Baumwurzeln.<br />

Psuchos<br />

Was das Dryades Werk?<br />

Dryade<br />

Bitte, nehmt das nicht so wörtlich! Sie konnten<br />

sich für überhaupt k<strong>ein</strong>e Richtung entscheiden<br />

außer für die, aus der sie kamen.<br />

Odä<br />

Sie standen sich wohl selbst im Wege? Da<br />

musstet ihr sie also wieder gehen lassen.<br />

Nereide<br />

Ein bisschen gekränkt, aber vorläufig<br />

ausgesöhnt! Es deucht ihnen, sie hätten vom<br />

Guten das Beste gesehen. Darum werden sie<br />

wiederkommen.<br />

Oreade<br />

Wenn du willst, führe ich sie das nächste Mal<br />

gleich in die Irre.


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Nereide<br />

Spare dir die Mühe: Von dort kommen sie<br />

gerade.<br />

Psuchos<br />

Sie wissen also immer noch nicht wer ihr seid?<br />

(leise lachend)<br />

Oh, ihr spöttischen Nymphen!<br />

(allgem<strong>ein</strong>e Heiterkeit)<br />

Echo<br />

Wir waren der M<strong>ein</strong>ung, dass ihnen nach ihren<br />

ausschweifenden Gastmählern auch die anmuten<br />

Geschöpfe nichts mehr anhaben möchten. Aber<br />

weil sie sich gegenseitig nichts gönnten, haben<br />

wir doch die Gier nach uns in ihnen erweckt.<br />

Odä<br />

Nur staune ich, dass du dich auch unter die<br />

Scherzenden mischen konntest. Wolltest du dich<br />

rächen?<br />

Echo<br />

(traurig)<br />

Es war m<strong>ein</strong> Bruder, der mich heiter stimmte.<br />

Ihm danke ich manches stille Wort des Trostes.<br />

Odä<br />

Ist d<strong>ein</strong> Gemüt, <strong>Phaethon</strong>, so kristallklar, dass<br />

du, Orpheus ähnlich, das Unabänderliche noch<br />

aufheben kannst?<br />

(Da <strong>Phaethon</strong>, die Hand der Schwester haltend,<br />

verlegen schweigt):<br />

Nun, ich sehe wohl, dass die Liebe unter<br />

Geschwistern <strong>ein</strong>iges vollbringt. Solltest du da in<br />

der Hingabe d<strong>ein</strong>er Liebe an <strong>ein</strong> fremdes<br />

Mädchen nicht noch Gewaltigeres empfinden<br />

können? Langsam begreife ich, was in dir<br />

angelegt ist und zu keimen hofft!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(nach <strong>ein</strong>igem Schweigen sie fest ansehend, in<br />

plötzlicher Empfindung)<br />

Ich fürchte nichts!<br />

Odä<br />

(beiseite sehend)<br />

Das ahnte ich. Dann sei dir Glück beschieden, so<br />

hoch du es immer ansetzt! Ich denke, es hält eher<br />

in dir Einzug, als wir vermuten möchten.<br />

Psuchos<br />

Wie, Schwester – was denkst du?<br />

Odä<br />

(ihr <strong>ein</strong> Zeichen geben)<br />

Nichts! – Mir ist so jung zu Mute – was bedeutet<br />

das?<br />

Was ist dir?!<br />

Psuchos<br />

(sie scharf betrachtend)<br />

Odä<br />

An m<strong>ein</strong>en Sohlen fühle ich der Kindheit Wege,<br />

und mit m<strong>ein</strong>en Händen spüre ich dem <strong>ein</strong>stmals<br />

unbekümmerten Erleben nach. Ich atme den Duft<br />

des hingehenden Tages wie neu. – Klymene, was<br />

empfindest du?<br />

Klymene<br />

Ich fühle mich den Sorgen ferner als zu Zeiten,<br />

da m<strong>ein</strong>e Kinder kl<strong>ein</strong> waren. Jetzt sind sie mir<br />

<strong>ein</strong>e Wohltat. Lass´ mich also nicht klagen:<br />

M<strong>ein</strong>e Töchter übten sich früh in ihren Pflichten,<br />

und <strong>Phaethon</strong> war ihr Gespiele. Wie manchen<br />

Tag tobten sie durch das Gebüsch und jagten<br />

<strong>ein</strong>ander, bis er betroffen vor dem Baum stand<br />

und Dryade ihn verspottete. Dann ballte er die<br />

kl<strong>ein</strong>en Fäuste, wenn sie lachte, und er schlug<br />

verzweifelt die Rinde. Jetzt ist das alles längst<br />

vorüber.<br />

Psuchos<br />

Ihr redet wie Menschen, die Abschied vom<br />

Gewesenen nehmen. Mich fröstelt. Komm,<br />

Schwester, genug geplaudert! Der Weg zurück<br />

könnte zu beginnender Nacht beschwerlich<br />

werden.<br />

Odä<br />

Ich habe doch dich? Was drängst du mich dann?<br />

Klymene<br />

Der Wind ist <strong>ein</strong>geschlafen. Auch der morgige<br />

Tag wird milde werden. Ihr hab noch nichts zu<br />

euch genommen. Soll ich die Dienerinnen rufen<br />

lassen?<br />

Psuchos<br />

Es wird nicht nötig s<strong>ein</strong>. Wir hatten uns<br />

ger<strong>ein</strong>igt, bevor wir in den Garten traten. Wir<br />

wissen ja: Wir sind hier gern gesehen, nicht<br />

wahr?<br />

Klymene<br />

Noch heute nacht wirst du mich grüßen sehen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Das klingt doch sonderbar. Und Odä?<br />

Odä<br />

(sich erhebend)<br />

Erschrick nicht, wenn du mir unverhofft<br />

begegnest! Auch wenn du mich nicht erkennen<br />

wirst: Ich komme zurück!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(verwirrt)<br />

N<strong>ein</strong> – gewiss nicht -, ich begreife nur nicht, wie<br />

das geschehen soll! D<strong>ein</strong> Antlitz hat sich schon<br />

in m<strong>ein</strong>em Herzen <strong>ein</strong>gebrannt – wer könnte dich<br />

je übersehen?


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Odä<br />

(hastig)<br />

Genug – lass´ mich´s erraten – sprich es noch<br />

nicht aus!<br />

Komm, Schwester, wir müssen zurück!<br />

(Psuchos und Odä wenden sich zum Gehen; die<br />

Nymphen begleiten sie, <strong>Phaethon</strong> bleibt wie<br />

erstarrt zurück, von Odä durch <strong>ein</strong>en<br />

bedeutsamen Blick zurückgehalten)<br />

Lebt denn wohl!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Zweiter Aufzug<br />

Erster Auftritt<br />

(<strong>Phaethon</strong> und Philos betreten den Garten;<br />

<strong>Phaethon</strong> mit verbundener Hand)<br />

Philos<br />

Natürlich könntest du <strong>ein</strong> guter Kämpfer s<strong>ein</strong>.<br />

D<strong>ein</strong>e Geschicklichkeit bestreitet niemand, d<strong>ein</strong><br />

Mut wird gerühmt, d<strong>ein</strong>e Treffsicherheit sollte<br />

manchen zur Vorsicht raten: Du scheust k<strong>ein</strong>e<br />

ernstliche Wunde! Was dir noch fehlt, ist der<br />

Wille, kräftig zurückzuschlagen. Wovor fürchtest<br />

du dich?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Die Gem<strong>ein</strong>heit der niederen Instinkte, in den<br />

Armen uns´rer vornehmen Jünglinge zur Taktik<br />

stilisiert!<br />

Philos<br />

Sagen wir: Du scheust dich, jemanden zu<br />

verletzen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Diese Feststellung muss ich wohl gelten lassen.<br />

Philos<br />

Weißt du nicht, wie manchen es kitzeln mag,<br />

dich aus Bosheit herauszufordern? Warum willst<br />

du ihn schonen -–was willst du tun?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du müsstest mich soweit kennen, dass ich dem<br />

Streit ausweiche.<br />

Philos<br />

Und wenn man dich trotzdem irgendwann stellt?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong>e Freunde wissen, dass sie <strong>ein</strong>en leichten<br />

Sieg hätten, und F<strong>ein</strong>de habe ich k<strong>ein</strong>e.<br />

Philos<br />

Was aber bei <strong>ein</strong>em Hinterhalt – <strong>ein</strong>em<br />

räuberischen Überfall?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Habe ich behauptet, ich wolle m<strong>ein</strong> Leben<br />

verschenken?<br />

Philos<br />

Warum lässt du dann zu, dass man dich<br />

ungestraft verletzen darf? Wie gerade heute?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Lass´ gut s<strong>ein</strong>, Philos! M<strong>ein</strong> Auge suchte die<br />

Seele des jungen Mannes, der gegen mich antrat,<br />

deshalb zuckte das Schwert zurück. Es war auch<br />

ihm <strong>ein</strong> p<strong>ein</strong>lich leichter, <strong>ein</strong> ungewollt schneller<br />

Sieg.<br />

Philos<br />

Du glaubst, er hätte dich geschont?


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<strong>Phaethon</strong><br />

S<strong>ein</strong> flammendes Auge suchte nicht mich,<br />

sondern all<strong>ein</strong> den Sieg.<br />

Philos<br />

Dann wirst du ihn enttäuscht haben! Wer mag<br />

mit dir kämpfen, wenn er nicht s<strong>ein</strong>e ganze<br />

Geschicklichkeit durch d<strong>ein</strong>e kraftvolle<br />

Gegenwehr erproben darf?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Vergleich´ er sich doch mit mir in der Art s<strong>ein</strong>es<br />

Willens und zu welchem Ziel er sich geschaffen<br />

fühlt - : was er Großes vorhat! Unsere Lehrer<br />

sollen das Urteil fällen!<br />

Philos<br />

Sie möchten in dir die Mutter ehren, von der du<br />

mir immer das Beste erzählst, wenn du solche<br />

Kühnheit im Denken vorweist und für d<strong>ein</strong><br />

Leben durchsetzen willst.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Erst recht die Schwestern würden sie – ungewollt<br />

– ehren, Philos!<br />

Philos<br />

Deren Schönheit habe ich rühmen hören – aber<br />

noch mehr ihre Unnahbarkeit.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wundere auch du dich nicht, dass sie sich<br />

vorläufig zurückziehen, sobald Fremde<br />

ersch<strong>ein</strong>en: Sie wollen niemandem Hoffnungen<br />

erwecken, den sie nicht mögen.<br />

Sind sie so spröde?<br />

Philos<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie erforschen das Herz – nichts weniger!<br />

Philos<br />

Sie m<strong>ein</strong>en, das reiche aus?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Das weiß ich nicht. Freier kenne ich jedenfalls<br />

noch k<strong>ein</strong>e für sie. Allerdings hält sie ihre Natur<br />

reichlich jung.<br />

Philos<br />

Trotz der Heiterkeit, die aus d<strong>ein</strong>en Worten<br />

blitzt, klopft mir das Herz. Wer sind sie<br />

wirklich?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Am klügsten ist es, sie als fremde Wesen zu<br />

betrachten, um nicht enttäuscht zu werden.<br />

Philos<br />

Dann sind d<strong>ein</strong>e Schwestern Nymphen und <strong>ein</strong>er<br />

Nymphe Kinder – wie du?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mit <strong>ein</strong>em wesentlichen Unterschied zu mir.<br />

Philos<br />

Wir zwei sind sterblich, nicht wahr?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(<strong>Phaethon</strong> nickt)<br />

Philos<br />

(mit leisem Spott)<br />

Dann hast du <strong>ein</strong>en bedeutenden Vorzug: Wir<br />

nehmen unser kl<strong>ein</strong>es Glück als unverhofftes<br />

Geschenk. Wir müssen, um es überhaupt<br />

verdient zu haben, vor dem Allwissenden in<br />

schönen Gedanken und hohem Handeln<br />

wetteifern. Denn die Götter messen uns nicht an<br />

der Fülle unseres ausgeschöpften Glückes,<br />

sondern an der Gesinnung, mit der wir ihr<br />

Geschenk verwalten. Selbst der Unglückliche<br />

darf hoffen, nach s<strong>ein</strong>en Fähigkeiten bestrebt<br />

gewesen zu s<strong>ein</strong>. Darf uns <strong>ein</strong>e Gottheit neiden,<br />

was sie uns ohnehin vorübergehend überließ?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was aber, wenn wir das Gute nicht erkannt und<br />

es vertan haben?<br />

Philos<br />

Der Blinde ist nicht zu strafen, weil er´s nicht<br />

sieht, sondern er macht sich schuldig, wenn er<br />

versäumt, sich zum Guten leiten zu lassen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Quält uns aber nicht unser Gewissen, auch wenn<br />

wir unschuldig genannt werden?<br />

Philos<br />

Dann beklagst du nicht eigenen Verlust!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja, Philos – hier liegt die Ursache m<strong>ein</strong>es<br />

Zögerns: Oft hätte man zu Gunsten anderer<br />

entscheiden können, wo man´s lieber versäumt<br />

oder sich gar nicht getraut hat.<br />

Philos<br />

Zögerst du deshalb, weil du dich nicht übereilt<br />

und zum eigenen Gewinn verteidigen willst?<br />

Hältst du deshalb den Streich aus, den du hättest<br />

abwehren müssen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong>e Tat ist nie r<strong>ein</strong>, solange mir das Gewissen<br />

zum Gegenteil rät. Ich weiß: Man wird über<br />

mich lachen, wenn man davon erfährt.<br />

Philos<br />

Erträgst du es, wenn es wenigstens d<strong>ein</strong>e<br />

Freunde wissen?


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<strong>Phaethon</strong><br />

Du m<strong>ein</strong>st, dann hänge es nicht öffentlich aus?<br />

Oh, im Gegenteil: Das Weltgewöhnliche reibt<br />

sich an uns Ungewöhnlichen doch nur die alte<br />

Haut ab, und in diesem Zustand ist es besonders<br />

bissig.<br />

Philos<br />

Denkst du so hoffnungslos von den Menschen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie sind es in dem Maße, in dem sie sich vom<br />

Willen der Götter lossagen.<br />

Philos<br />

Du machst mich nachdenklich: Wohl achte ich<br />

sie und verehre ihr Tun - - aber es bleibt<br />

rätselhaft. Sie greifen in unser Leben mit Willkür<br />

<strong>ein</strong> und überlassen uns letztlich den Folgen, dem<br />

Elend, dem Leiden der Sterblichen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So unglücklich denke ich nicht von ihnen. Bleibt<br />

nicht gerade hierdurch <strong>ein</strong>e lebendige Brücke<br />

zwischen Göttern und Menschen? Ersch<strong>ein</strong>t ihr<br />

Richten nicht dem Menschen verständlich durch<br />

das Maß, das sie uns dazu mitgeben? Die Götter<br />

gestatten uns Erkenntnisse, die uns unser Das<strong>ein</strong><br />

sinnvoll ordnen lassen.<br />

Philos<br />

So redest du – Sohn <strong>ein</strong>er Nymphe! Du atmest<br />

das Glück übernatürlicher Erneuerung! Dir sind<br />

Hoffnungen angeboren, die nicht mühsam dem<br />

philosophischen Studium entnommen werden<br />

mussten! Was aber sind wir? Ein Glied in der<br />

Kette <strong>ein</strong>er aufsteigenden, hernach sich<br />

verzehrenden Geschlechterkette. Neidlos<br />

bekenne ich, dass ich dich als Freund liebe, weil<br />

d<strong>ein</strong> Wesen so leicht das Große findet und<br />

festhält, um das wir anderen täglich ringen<br />

müssen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wenn es so ist, will auch ich es nicht als<br />

Geschenk! Es sei <strong>ein</strong>e mir gunstvoll anvertraute<br />

Schuld, die ich vor allem an dir abzutragen<br />

gedenke.<br />

Philos<br />

Jeder Gedanke von dir ist menschlicher als alles<br />

Treiben d<strong>ein</strong>er mittelmäßigen Bekanntschaft.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wenn es ihr misslingt, ist es anteilig auch m<strong>ein</strong><br />

Missgeschick. Dann fehlt mir doch die<br />

Überzeugungskraft, die mich befähigen sollte,<br />

öffentliches Unrecht aufzuhalten oder gar zu<br />

tilgen! Unfertig bin ich, trotz m<strong>ein</strong>er Jahre, und<br />

tauge zu politischen Ämtern nur dort, wo von<br />

Frieden die Rede ist. Auf Blut und Tränen kann<br />

ich nicht gedeihen – dort muss ich verkümmern.<br />

Philos<br />

D<strong>ein</strong>e Schuld kann es nicht s<strong>ein</strong>. Jene, die von<br />

dir das Gute wollen und empfangen, zählen vor<br />

allem und zuerst den Nutzen daraus nach, und<br />

alles andere dünkt sie <strong>ein</strong>e hübsche, aber<br />

nutzlose Verpackung, die man fortwirft.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Fühlst du m<strong>ein</strong>en Schmerz? Eine solche Wunde<br />

brennt mehr als diese Schramme hier. Wer und<br />

was kann sie stillen?<br />

Philos<br />

Wenn ich doch beide heilen könnte!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nicht doch! Du tröstest mich, sooft du sie lindern<br />

möchtest. D<strong>ein</strong>e Medizin ist, mich in m<strong>ein</strong>em<br />

Fortkrüppeln im Unvollkommenen nicht zu<br />

verlachen, sondern zu lieben.<br />

Philos<br />

Eigentlich wollte ich dir zeigen, wie natürlich ich<br />

fühlte. Nun denke ich fast, ich bin <strong>ein</strong>e<br />

Ausnahme. Warum aber gerade ich?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du führst d<strong>ein</strong> Leben nicht wie jene, die den<br />

Frevel heimlich zulassen, sondern frei,<br />

öffentlicher Rechenschaft gegenüber ohne<br />

Makel. D<strong>ein</strong>e Lehrer lieben d<strong>ein</strong>en Charakter<br />

wie –<br />

Philos<br />

- wie den d<strong>ein</strong>en! Hoffst du vor m<strong>ein</strong>en Fehlern<br />

so sicher zu s<strong>ein</strong>?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Verstehe ich dich richtig, so m<strong>ein</strong>en wir unter<br />

Freundschaft den Austausch hoher<br />

Empfindungen und wertvoller Gedanken, ohne<br />

damit <strong>ein</strong>ander das Ich abkaufen zu wollen.<br />

Philos<br />

Wobei du stets aus der Fülle d<strong>ein</strong>es Herzens<br />

schenkst, ohne dafür etwas zu fordern.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(nach <strong>ein</strong>igem Besinnen)<br />

- außer Vertrauen!<br />

Philos, es gibt niemanden, in dem ich soviel<br />

Wesensgleiches entdeckte wie in dir. Sei mir<br />

nahe – ich bitte dich – was auch<br />

Widersprüchliches kommen mag!<br />

Philos<br />

Was wirst du fürchten müssen?! – Aber sei<br />

unbesorgt: Wo immer du mich suchst, wirst du<br />

mich finden.


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<strong>Phaethon</strong><br />

Ist es dir nun gleich, woher ich komme?<br />

Philos<br />

D<strong>ein</strong>e Herkunft ist nur dann wichtig, wenn sie<br />

Ursache d<strong>ein</strong>es Willens ist. – Ja, ich muss dich<br />

darum höher achten. Die Wahrheit verschweige<br />

ich dir darum aber nicht!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Zum Schmeichler taugst du nicht, das weiß ich.<br />

Philos<br />

Trotz allem bist du mir mehr Mensch als Erbe!<br />

Verzeih, dass ich so irdisch denke!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong> Freund bist du um so mehr, als du offenbar<br />

nichts Verpflichtendes d´raus ableitest.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So war es: Ich stellte sie – zunächst ohne ihr<br />

Wissen – den Schwestern vor.<br />

Philos<br />

Soll ich dir sagen, was sie taten?<br />

Du weißt davon?<br />

Von wem?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos<br />

(lachend)<br />

(erstaunt)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wie – waren sie tatsächlich so klug, darüber<br />

nicht weiter zureden? Die Mädchen sind sehr<br />

offen mit ihnen umgegangen.<br />

Philos<br />

Bei allem, was mir sonst unverständlich an dir<br />

ersch<strong>ein</strong>en mag, ist es d<strong>ein</strong>e Bescheidenheit, die<br />

ich schätze.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Auch für das Ungewöhnliche gibt es Erklärungen<br />

....Aber soll ich über mich lächeln? Ich kenne sie<br />

ja nicht <strong>ein</strong>mal selber und kann sie darum auch<br />

nicht nennen.<br />

Philos<br />

Das Wesentliche erklärt sich in dir welt- und<br />

lebenszugewandt. Für mich ist es darum k<strong>ein</strong>e<br />

Schande, mit etwas Geheimnisvollen<br />

auskommen zu müssen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Hab´ Dank für d<strong>ein</strong> Vertrauen!<br />

Philos<br />

Endlich fanden sich Ort und Stunde, um dir das<br />

<strong>ein</strong>dringlich zu versichern.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dank auch den Schwestern, dass sie uns haben<br />

plaudern lassen.<br />

Scherzt du?<br />

Philos<br />

(stutzt)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja – <strong>ein</strong> wenig! Ich dachte an die fünf Freunde,<br />

die sich gestern hier bei mir <strong>ein</strong>fanden.<br />

Philos<br />

Sie versammeln wohl alle groben Fehler aufs<br />

beste in sich?<br />

Philos<br />

Wie kamest du überhaupt an die fünf?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Eigentlich kannten wir uns von Jugend auf. Wir<br />

verloren uns jedoch aus den Augen, und so<br />

entfiel ich ihren Interessen. Jetzt, nach Jahren,<br />

hängten sie sich, nachdem wir in dieses Haus<br />

gezogen waren, um irgend<strong>ein</strong>es Vorteils willen<br />

wieder an mich. Zunächst ließ ich sie gewähren,<br />

weil es mir unwichtig schien, was sie wollten.<br />

Bis jetzt weiß ich nicht <strong>ein</strong>mal, ob es der Ruf<br />

m<strong>ein</strong>er Schwestern war, der ihre Neugier weckte.<br />

Jedenfalls führte ich sie hierher.<br />

Philos<br />

Dennoch sch<strong>ein</strong>st du traurig?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong>er Mutter warfen sie mangelnde<br />

Gastfreundschaft vor!<br />

Philos<br />

Habt ihr das zugelassen? – Nun, dann hat man<br />

sie missbraucht?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Man ist den Schwestern <strong>ein</strong>deutig zu nahe<br />

getreten.<br />

Philos<br />

Wussten diese Stutzer denn nicht - ?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nichts ahnten sie – zu alledem!<br />

Philos<br />

Es hätte, in der Tat, den Frevel nur erhöht!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wir ließen´s gut s<strong>ein</strong>, nachdem sie m<strong>ein</strong>e Mutter<br />

hatte versöhnlich stimmen können.


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Philos<br />

Dann kommen sie gewiss wieder! – Wie willst<br />

du die Schmarotzer loswerden?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Lass´ sie doch: Sie werden erneut ins Leere<br />

tappen.<br />

Philos<br />

Welche M<strong>ein</strong>ung werden d<strong>ein</strong>e Schwestern nun<br />

aber von mir haben? Oder möchtest du mich<br />

noch nicht in ihr Gespräch ziehen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos, wenn sie noch nicht hier sind, ist es die<br />

Ehrfurcht vor unserem vertrauen Gespräch, das<br />

sie bislang von uns ferngehalten hat.<br />

Philos<br />

Du gibst mir viel für <strong>ein</strong>en Tag, m<strong>ein</strong> Freund!<br />

(Sie drücken <strong>ein</strong>ander die Hand)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Kommt dort nicht –<br />

Philos<br />

- d<strong>ein</strong>e Mutter, <strong>Phaethon</strong>?<br />

Zweiter Auftritt<br />

(Klymene ersch<strong>ein</strong>t)<br />

Klymene<br />

Ein lang ersehnter Gast – Philos, denke ich“?<br />

Er ist es, Mutter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Klymene<br />

Trotz der kurzen Zeit, die ihr euch kennt,<br />

berichtete m<strong>ein</strong> Sohn nur das Beste! Ich bin froh,<br />

dass er s<strong>ein</strong>esgleichen gefunden hat.<br />

Philos<br />

Hoffe ich zwar, <strong>ein</strong> guter Freund zu s<strong>ein</strong>, ist dies<br />

jedoch zuviel Lob. Ich danke dir!<br />

(Sie begrüßen <strong>ein</strong>ander)<br />

Klymene<br />

Glaubst du? – Gestern brachte er – zum<br />

Vergleich womöglich? – s<strong>ein</strong>e Gefährten mit: Er<br />

nennt sie scherzhaft s<strong>ein</strong>e Kletten, aber s<strong>ein</strong>e<br />

Schwestern wussten davon zu befreien – auf<br />

m<strong>ein</strong>e Kosten allerdings!<br />

Philos<br />

Ja, ich hörte soeben davon. Aber liegt der Fehler<br />

nicht im Missbrauch mütterlichen Vertrauens?<br />

Fand nicht ihr frecher Zugriff auf die<br />

Unbescholtenen so die nötigen Grenzen?<br />

Klymene<br />

Ich sehe, du redest als <strong>ein</strong> freier Mann. Auch du<br />

wirst <strong>ein</strong>same Wege gehen müssen wie m<strong>ein</strong><br />

Sohn.<br />

Philos<br />

Dennoch gibt es zwischen uns Unterschiede.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wir treffen uns immer wieder, von wo wir auch<br />

kommen.<br />

Klymene<br />

Sind diese unterschiede irgendwann<br />

schwerwiegender Natur?<br />

Philos<br />

Wahrheit ist hier Wohltat, nicht Schmuck der<br />

klugen Worte. Und doch: <strong>ein</strong>es jeden Wahrheit!<br />

Klymene<br />

Was fürchtest du dann? – Wirst du auch d<strong>ein</strong>es<br />

Freundes Mutter mögen?<br />

Philos<br />

Kaum wechselten wir die ersten Worte: Schon<br />

fühle ich mich zu Hause!<br />

Klymene<br />

Das Gastrecht macht es.<br />

Philos<br />

Oh, von Ritus k<strong>ein</strong>e Spur – nicht alterprobtes<br />

Handeln: Hier spricht <strong>ein</strong> mütterliches Herz!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Erkennst du ihn, Mutter? Auch Philos hat man<br />

noch nicht zu s<strong>ein</strong>en besten Taten gefordert,<br />

sonst wäre ihm s<strong>ein</strong> Ruhm vorausgetragen<br />

worden.<br />

(Zu Philos):<br />

So aber tratest du mir unversehens in die<br />

Rennbahn.<br />

Philos<br />

War es ungeschickt von mir?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Aber n<strong>ein</strong>! Du wurdest mir zur rechten Stunde<br />

gesandt. Jeder folgende Tag, an dem wir uns<br />

nicht gegenseitig in unseren Gedanken<br />

bereichern konnten, war uns Verlust.<br />

Philos<br />

Ersch<strong>ein</strong>en nicht doch – eher durch die<br />

Gewohnheit als durch die Eigenschaft unserer<br />

Freundschaft – Mutter und Schwestern<br />

vorübergehend weniger bedeutsam als ich?


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<strong>Phaethon</strong><br />

Ihr Wesen lenkt mich auf andere,<br />

gleichbedeutende Pfade des Denkens als d<strong>ein</strong>es.<br />

Beide sind mir gleich wichtig.<br />

Klymene<br />

Eigentlich ist er untadelig und hört gern auf uns.<br />

Sich jedoch zu schützen, und dies all<strong>ein</strong> aus<br />

Notwehr, sch<strong>ein</strong>t er selten in Erwägung zu<br />

ziehen. Sorglos lässt er sich fordern, als wisse er,<br />

wie wohl ihm das Schicksal gesonnen ist.<br />

Philos<br />

(<strong>Phaethon</strong>s verwundete Hand heben):<br />

Natürlich: Von dorther rührt diese Wunde, nicht<br />

vom Übermut!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Im Spiel doch nur!<br />

Darf ich´s sehen?<br />

Klymene<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Lass´ nur! Ich möchte den Schwestern damit<br />

noch <strong>ein</strong>en leichten Schrecken <strong>ein</strong>jagen.<br />

Quäl´ Echo nicht!<br />

Klymene<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

An sie habe ich dabei nicht gedacht. Aber du<br />

weißt ja auch, dass sie sich nicht zu entsetzen<br />

braucht.<br />

Klymene<br />

Nun gut: Entziehe dich den Schönen nur ja nicht!<br />

Lass´ dich <strong>ein</strong> bisschen bedauern – die Männer<br />

brauchen das offenbar!<br />

Dritter Auftritt<br />

(Die Nymphen treten auf, in abwartender<br />

Entfernung Philos aufmerksam betrachtend)<br />

Klymene<br />

Kommt, Töchter, dies ist Philos, von dem auch<br />

<strong>Phaethon</strong> nur Gutes versprach!<br />

Philos<br />

(ehrerbietig)<br />

Auf Anmut war ich zwar gefasst, nicht aber auf<br />

soviel Schönheit, <strong>Phaethon</strong>!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie ist der Wirkstoff m<strong>ein</strong>er selbstgenügsamen<br />

Jugend.<br />

Philos<br />

Gern glaub´ ich´s!<br />

(all<strong>ein</strong> zu <strong>Phaethon</strong> gesprochen):<br />

Ihre Augen forschen auf sonderbar <strong>ein</strong>dringliche<br />

Weise in m<strong>ein</strong>em Herzen. Von solchen Blicken<br />

werde ich zu mir selbst erhoben. – Verzeih, wenn<br />

ich mich gewöhnen muss!<br />

(Er lehnt sich, tief betroffen, an des Freundes<br />

Schulter)<br />

Was ist dir, Philos?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(bewegt)<br />

Philos<br />

Ich sagte es doch: In diesen Augen sticht k<strong>ein</strong><br />

Berechnen, flackert k<strong>ein</strong> Falsch, - klar sind sie,<br />

auf unaussprechliche Weise klar! Es rüttelt an<br />

den Pforten m<strong>ein</strong>er Seele – ich erfuhr dies<br />

nirgendwo – ich fürchte, es gilt k<strong>ein</strong><br />

Entkommen!<br />

Oreade<br />

(auf ihn zuschreitend)<br />

Wer so fühlt, ist auch unser Freund. Sind wir<br />

denn nicht <strong>ein</strong>ander nahe?<br />

Philos<br />

Sch<strong>ein</strong>t es jetzt doch, dass ich aus Eigennutz<br />

eures Bruders Freund s<strong>ein</strong> könnte! S<strong>ein</strong> Wesen<br />

ist es ja, von euch umsegnet, das ihn mir<br />

unersetzlich macht!<br />

Nereide<br />

Gib uns die Hand und nimm uns als Menschen –<br />

nicht doch als Götter!<br />

(die Hand ihm reichend)<br />

Philos<br />

Dies macht es mir noch schwerer!<br />

Oreade<br />

Du bist <strong>ein</strong> Teil auch unseres Lebens, Philos!<br />

Gibst du uns Treue, geben wir dir Ruhe!<br />

Philos<br />

Noch wagte ich, <strong>Phaethon</strong> zu befragen, was ihn<br />

anders machte. Jetzt sehe ich die Kluft zwischen<br />

uns ganz deutlich.<br />

Najade<br />

Warum diese Schwermut? – Schwestern, ihr sehr<br />

ja selbst: Wir begegnen den Menschen viel zu<br />

ernst!<br />

Dryade<br />

Wir hätten ihn zuvor <strong>ein</strong> wenig necken sollen.<br />

Nereide<br />

Wo je der Mensch auf der Suche ist, den<br />

Menschen zu begreifen, sollten die Possen<br />

fehlen. Nur Gottlose wagen es, dem Ernst zu<br />

spotten.<br />

Dryade


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Vergib, Nereide, aber ich hab´s nicht böse<br />

gem<strong>ein</strong>t.<br />

Najade<br />

Aufmuntern wollten wir den schönen Jüngling.<br />

Nereide<br />

Siehst du, Philos: Dies sind m<strong>ein</strong>e Schwestern<br />

Dryade und Najade.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Und du, Nereide, beherrschst das lockere<br />

Gezwitscher mit d<strong>ein</strong>er vollen Stimme.<br />

Philos<br />

(Nereide zulächelnd, auf Echo weisend)<br />

Und wer ist jenes schwermütig sch<strong>ein</strong>ende<br />

Mädchen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist das jüngste und hütet mir m<strong>ein</strong> Herz: Es ist<br />

m<strong>ein</strong>e Schwester Echo.<br />

Philos<br />

Ich sehe wohl: Was brauchst du mich noch?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Schau, Philos, Echo lächelt! So begrüßt euch als<br />

Verbündete!<br />

Echo<br />

(umarmt scheu Philos, widmet sich dann<br />

<strong>Phaethon</strong>s Verband)<br />

Wodurch geschah dies?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Gleich, Echo! – Auch Oreade, Philos, lächelt dir<br />

zu: Du bist daheim!<br />

Philos<br />

Hier könnte ich ewig ausruhen!<br />

(Sie reichen <strong>ein</strong>ander die Hand. Er wendet sich<br />

sodann und geht zur abseits stehenden Klymene)<br />

Echo<br />

Mich wolltest du ja nicht erschrecken, Bruder?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(ihr die Wange küssend)<br />

Verzeih, Schwester – n<strong>ein</strong>!<br />

Echo<br />

(den Verband abwickelnd)<br />

Es gibt auch k<strong>ein</strong>en Anlass – sieh selbst!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Vielleicht war es wirklich nur der Schreck?<br />

Philos<br />

(wieder herzutretend und die Heilung<br />

betrachtend)<br />

Ein tiefer Schnitt war´s – das Schwert zerschlug<br />

dir fast die Daumensehne!<br />

Echo<br />

So stolz waret ihr und wolltet euch <strong>ein</strong>es bloßen<br />

Schrecks wegen gar bew<strong>ein</strong>en lassen?<br />

Philos<br />

(fassunglos)<br />

Ich schwöre – ja, ich war zutiefst besorgt! Es war<br />

die Rechte – sehr doch, hier klebt ja noch das<br />

Blut!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(den Arm um Philos´ Schulter legend)<br />

Ach, Philos! Echo nickte dich mit ihrer<br />

Wunderkraft. Was in und an mir alle Wunden<br />

heilt, geschieht durch ihre Liebe. Ich kann nicht<br />

töten, kann nicht hassen: Es ist ihr Werk!<br />

Philos<br />

Ja, so erklärt sich alles!<br />

(zu Klymene zurücktretend)<br />

Ist dir als Mutter noch das Amt geblieben, das<br />

größer ist als dieser Töchter Wohltat, geh ich<br />

beschämt in Ehrfurcht m<strong>ein</strong>er Wege!<br />

Klymene<br />

Du sinnst? Du glaubst, du rettest dich aus<br />

heiligem Bezirk der Freundschaft ins<br />

gleichgültige Leben zurück?<br />

Philos<br />

(ihre Hände ergreifend und an s<strong>ein</strong>e Lippen<br />

pressend)<br />

N<strong>ein</strong> – n<strong>ein</strong>, ich bleibe!<br />

Klymene<br />

Sei mir – <strong>Phaethon</strong> – <strong>ein</strong> lieber Sohn!<br />

Philos<br />

Für das, was mir noch übrig bleibt, wirst du alle<br />

Kraft von mir fordern müssen.<br />

Klymene<br />

Du weißt, was menschlich ist und uns erhebt. So<br />

bist du m<strong>ein</strong>em Hause genug. Was könnte ich<br />

jemals mehr fordern?<br />

Philos<br />

Teure Mutter – wie könnte ich d<strong>ein</strong>en Töchtern<br />

in Gleichem begegnen?<br />

Klymene<br />

Sie sind durch <strong>Phaethon</strong> längst vorbereitet und<br />

haben soeben erfahren, wie du empfindest. Nun<br />

werden sie d<strong>ein</strong>en Fuß bewachen, dass du nicht<br />

stolperst.<br />

Philos<br />

Mir ist, als strebe alles nur <strong>ein</strong>em Höhepunkt<br />

m<strong>ein</strong>es Lebens zu!


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Echo<br />

Du musst k<strong>ein</strong> Seher s<strong>ein</strong> – wozu auch? Aber<br />

untrüglich empfindest du für das Lebenswerte.<br />

Ehe m<strong>ein</strong> Bruder mich bitten muss, wird er dich<br />

vorher gern um Rat fragen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(plötzlich seltsam ernst)<br />

Doch nicht in allem, Echo?<br />

Echo<br />

Was m<strong>ein</strong>st du jetzt? Auch ich scheue vor<br />

diesem Höhepunkt zurück! - - Ich weiß doch<br />

auch nicht, warum!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(sie an sich ziehend)<br />

W<strong>ein</strong>e doch nicht! Dieser Tag ist <strong>ein</strong> Geschenk,<br />

das wir sorgsam in uns wegschließen wollen,<br />

nicht wahr?<br />

Echo<br />

(nickt stumm)<br />

Najade<br />

Was – <strong>ein</strong> Gaukler – <strong>ein</strong> Bettler? Mit<br />

vollgestopften Backen?<br />

Dryade<br />

Lasst sehen, welcher Schelm sich dahinter<br />

verbirgt!<br />

Vierter Auftritt<br />

(Glaukos, von dem halbwüchsigen Philemon<br />

geführt, tritt auf mit langem Stabe und <strong>ein</strong>er<br />

Umhängetasche)<br />

Glaukos<br />

(noch zu Philemon)<br />

Ist es hier? Sind sie es, die wir suchen?<br />

(herbeitretend, zu den Anwesenden)<br />

Heil dem Spender, der uns so empfangen und<br />

bewirten ließ! Als wär´ ich fürstlichen<br />

Geschlechts, erfüllt man mir ungefragt jeden<br />

Wunsch mit größter Zuvorkommenheit. Man<br />

wusch mir die Füße, bot mir <strong>ein</strong> Lager an – nach<br />

so langer Wanderschaft! In Griechenland, das<br />

verkünd´ ich gern, ehrt man den Bettler wie den<br />

Seher mit der gleichen Ehrfurcht, auch den<br />

unbekannten, ruhmlosen!<br />

Klymene<br />

Ehrwürdiger Fremder! Du bist im Hause der<br />

Klymene. Um mich versammelt sind m<strong>ein</strong> Sohn<br />

<strong>Phaethon</strong> und m<strong>ein</strong>e Töchter Nereide, Oreade,<br />

Echo, Najade und Dryade. Hier steht auch<br />

Philos, <strong>Phaethon</strong>s Freund. Sie alle bieten dir<br />

Gesellschaft, ehe sie sich ihren Pflichten wieder<br />

zuwenden. Und du, bist du in der Tat ohne<br />

Namen?<br />

Glaukos<br />

Klymene, <strong>Phaethon</strong>s Mutter! Welch´ <strong>ein</strong><br />

Wohlklang in m<strong>ein</strong>en Ohren! Nun, ich heiße<br />

Glaukos. M<strong>ein</strong> Geschick verhieß mir schon in<br />

der Wiege, nie solle ich das Tageslicht schauen.<br />

Sieh, nun tappe ich ergeben durch´s Leben. An<br />

der Hand <strong>ein</strong>es Knaben erspähe ich des<br />

Menschen Herz und der Welt kurioses Treiben.<br />

Verstehe, dass mich so vieles nur noch heiter<br />

stimmen kann!<br />

Klymene<br />

Spottend oder heiter: Der Weise ist berufen, das<br />

Wichtigste als des Tages Notdurft zu erfassen,<br />

und, je nachdem, was ihm hervorhebenswert<br />

ersch<strong>ein</strong>t, soll er lächeln oder traurig s<strong>ein</strong>.<br />

Glaukos<br />

Obgleich ich graue Haare und k<strong>ein</strong> harmonisches<br />

Äußere an mir habe, bin ich doch k<strong>ein</strong> Esel.<br />

(Er wirft <strong>ein</strong>en soeben abgenagten Knochen<br />

hinter sich durch die Luft)<br />

Sieh, <strong>ein</strong> Garten mit Büschen und Gesträuch? An<br />

solchen Flecken wohnen die Lieblinge der<br />

Götter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(reicht dem Blinden <strong>ein</strong>en Becher W<strong>ein</strong>)<br />

Nimm, Glaukos, trink mit uns auf d<strong>ein</strong> Wohl!<br />

- Wie heißt du, Knabe?<br />

Philemon, Herr!<br />

Philemon<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So nimm auch du, den das Schicksal an das Los<br />

dieses Menschen gekettet hält!<br />

(Er reicht auch ihm <strong>ein</strong>en Becher)<br />

Glaukos<br />

Mir sagt d<strong>ein</strong>e Stimme, dass du jung bist.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Des Lebens Frische lebt in mir. Ich prahle nicht<br />

gern mit Vorzügen, die mir zugefallen sind.<br />

Glaukos<br />

Bescheiden bist du, aber auch selbstbewusst.<br />

Recht hast du: Die Jugend ist nichts<br />

Selbstverständliches. Wie rasch ist sie verblüht!<br />

Was bleibt ...<br />

(wischt sich <strong>ein</strong>e Träne ab)<br />

- nur fauler Ekel in Lumpen!<br />

Philos<br />

Nun, Alter, Philos sagt dir: Zähl´ die besten<br />

Stunden nur! Die anderen vergiss, wenn du dich<br />

ausruhen kannst. Und wer von der Vornehmen<br />

Tisch bettelt, findet auch noch <strong>ein</strong> Bett dazu.


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Glaukos<br />

M<strong>ein</strong>st du, Freund? Ein Bett mit behaglicher<br />

Wärme, Zuversicht in die Ehefrau, in die Freude<br />

am Weibe? M<strong>ein</strong>st du, das fiele <strong>ein</strong>em zu, wann<br />

immer man´s braucht? N<strong>ein</strong>, sag´ ich! Es bleibt<br />

<strong>ein</strong> Traum, den Sonnenkindern vorbehalten. Wo<br />

Armut herrscht, lebt die Trauer. Denkst du etwa,<br />

man lädt mich <strong>ein</strong>, weil ich <strong>ein</strong> schmutziger<br />

Bettler bin? Und käme man vor m<strong>ein</strong>e Tür auf<br />

der Durchreise, vom Unwetter überrascht, und<br />

sähe m<strong>ein</strong>e Umstände zu leben: Was wird man<br />

tun? Im Stehen wird man das Wüten der Natur<br />

abwarten und so rasch danach aufbrechen, wie es<br />

sich eben machen lässt. Bedenke, dass nicht der<br />

Bettler geehrt wird, sondern die Furcht, es könne<br />

<strong>ein</strong> Gott selbst in dieser Verkleidung den<br />

Menschen prüfen und um <strong>ein</strong> Obdach bitten.<br />

Klymene<br />

Armer Mensch! Wir forschen nicht nach<br />

Herkunft oder Geschlecht, wie bieten dir und<br />

Philemon gern Rast und <strong>ein</strong> Nachtlager. Wir<br />

hoffen, dass auch uns die gleiche Liebe<br />

widerfährt, wenn uns der Zufall und die Not an<br />

d<strong>ein</strong>e bescheidene Tür klopfen lassen. Sei also<br />

beruhigt, Glaukos, trink und iss und lebe diese<br />

Nacht als unser Gast.<br />

(Während sich Glaukos bedienen lässt, zeigt<br />

Philemon <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>fältiges und unsicheres<br />

Gebaren)<br />

Glaukos<br />

Dem Zufall verdanke ich seit jeher m<strong>ein</strong> Leben.<br />

Als mich m<strong>ein</strong> richtiger Vater ausgesetzt hatte,<br />

fand mich <strong>ein</strong> armer Kerl, dem gerade das eigene<br />

Kind gestorben war. Besser so <strong>ein</strong>en als gar<br />

k<strong>ein</strong>en, mag er gedacht haben. Konnte <strong>ein</strong><br />

solcher Sohn wie ich noch mehr Schande auf das<br />

Haupt <strong>ein</strong>es Schafdiebes sammeln? Nun, er<br />

wurde dafür aufgehängt. Ich wuchs unter m<strong>ein</strong>er<br />

Ziehmutter heran, die <strong>ein</strong>mal bessere Tage<br />

gesehen haben musste, und ihr verdanke ich<br />

m<strong>ein</strong>e Sprache. Als aber auch sie sich<br />

davonmachte – ich m<strong>ein</strong>e, als sie starb – nahm<br />

ich diese Tasche, <strong>ein</strong>en Stab und allen Mut<br />

zusammen und ging, von mitleidigen Bauern<br />

geführt, von Dorf zu Dorf, von Tür zu Tür,<br />

jahraus, jahr<strong>ein</strong>. Dann fand ich Philemon, von<br />

s<strong>ein</strong>en Altersgenossen verhöhnt – na ja, er ist <strong>ein</strong><br />

bisschen blöde ...? Nun, wir fanden zusammen.<br />

Jetzt endlich sind wir hier.<br />

Nereide<br />

Verzeih, Fremder: Endlich hier? Worauf hast du<br />

gewartet?<br />

Glaukos<br />

D<strong>ein</strong>e dunkle, warme Stimme könnte mir raten,<br />

dir zu vertrauen.<br />

Nereide<br />

Ich bin Nereide, die älteste der Töchter<br />

Klymenes.<br />

Glaukos<br />

Nun, wisse: Da mir die Fähigkeit vorenthalten<br />

wird zu sehen, habe ich das Gesicht nach innen<br />

bekommen. Du verstehst?<br />

Nereide<br />

Du willst damit sagen, du kannst Träume deuten?<br />

Glaukos<br />

Ich deute so vielerlei!<br />

Philos<br />

So bist du also <strong>ein</strong> Seher?<br />

(Währenddessen scharen sich die Nymphen um<br />

den sitzenden Glaukos)<br />

Glaukos<br />

In manchen Dingen, ja!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Klärst du uns d<strong>ein</strong> Wort: Endlich hier?<br />

Glaukos<br />

Unlängst – ich saß im Mittagsschatten <strong>ein</strong>es<br />

Baumes nahe <strong>ein</strong>er Quelle unter Bäumen –<br />

träumte mir, ich würde von m<strong>ein</strong>er Armut erlöst,<br />

wenn ich <strong>ein</strong>em Manne begegnete, der über m<strong>ein</strong><br />

Haupt des Himmels Licht zu bringen vermöchte.<br />

Nereide<br />

Dies ist tatsächlich außerordentlich!<br />

Oreade<br />

Ich neide ihm dieses Gesicht – verspricht es nicht<br />

Unerhörtes?<br />

Najade<br />

Noch mehr: Erleuchtung?<br />

(Da sie schalkhaft lächelt, droht ihr Klymene.<br />

Najade, die Faust gegen die Lippen pressend,<br />

zieht sich aufmerksam <strong>ein</strong> wenig zurück)<br />

Dryade<br />

(aus der Höhe sprechend)<br />

Kam dieser Traum von oben, Glaukos?<br />

Glaukos<br />

(verwirrt)<br />

Wohl fühle ich k<strong>ein</strong> Gemäuer hinter mir, sondern<br />

ringsum hohe Bäume – aber wo bist du,<br />

Mädchen?<br />

Dryade<br />

(rasch vor ihn tretend)<br />

Sorge dich nicht, Glaukos, ich scherzte nur.<br />

Verzeih!


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Glaukos<br />

(zornig)<br />

Treibt ja nicht euren Schabernack mit <strong>ein</strong>em<br />

Boten fremder Welten! Ich weiß gut, was du mir<br />

sagen möchtest, aber hüte dich, mich zu<br />

verspotten!<br />

Klymene<br />

Dryade scherzt – die Natur des Kindes ist leicht<br />

wie <strong>ein</strong> Vogel, aber beständig wie die<br />

Jahreszeiten.<br />

Glaukos<br />

Die Namen d<strong>ein</strong>er Kind sind so hübsch wie ihre<br />

Stimmen: Sie gleichen denen der Nymphen!<br />

Najade<br />

Kennst du ihre Stimmen?<br />

Glaukos<br />

Wüsstest du <strong>ein</strong>en besseren Vergleich, schönes<br />

Kind?<br />

(<strong>Phaethon</strong>, Philos und Klymene wechseln<br />

anerkennende Blicke)<br />

Philos<br />

Du bist <strong>ein</strong> Menschenkenner, Glaukos, und man<br />

soll nicht sagen, du seiest blind. Was führt dich<br />

hierher? Willst du wissen, wo du jenen Mann<br />

finden kannst? Ich fürchte, wir wissen es auch<br />

nicht.<br />

Glaukos<br />

(hörbar Obst verzehrend, den Rest achtlos um<br />

sich streuend)<br />

Mir sagte das im Traum <strong>ein</strong>e liebliche Stimme.<br />

Hierbei erfuhr ich auch den Namen des Mannes.<br />

Klymene<br />

Ist er denn für uns so wichtig?<br />

(aufmerksam)<br />

Glaukos<br />

Der Name war verschlüsselt. Aus <strong>ein</strong>igen<br />

Eigenschaften s<strong>ein</strong>es Aussehens und s<strong>ein</strong>es<br />

Charakters ist er jedoch leicht zu erraten.<br />

Klymene<br />

So frage – sag´ uns, was du weißt! Doch n<strong>ein</strong> –<br />

beschreibe uns den Menschen, denn ich ahne: Du<br />

fragst nicht umsonst zuerst bei uns an!<br />

Glaukos<br />

(listig)<br />

Du hast mich gut verstanden, auch wenn du nur<br />

zu ahnen sch<strong>ein</strong>st.<br />

Philos<br />

Mich dünkt, d<strong>ein</strong> Rätsel gibst du nur unter<br />

gewissen Bedingungen preis?<br />

Glaukos<br />

Nun, so sehr sind diese nicht für mich bindend.<br />

In jedem Haus der Stadt könnte ich zu fragen<br />

anfangen; so erführe <strong>ein</strong> jeder <strong>ein</strong> bisschen mehr<br />

über die Wahrheit, bis ich am Ende die ganze<br />

Stadt davon in Aufruhr versetzt hätte -: dass ich<br />

Helios´ Sohn suche.<br />

(Klymene springt auf, die Nymphen weichen<br />

zurück)<br />

Klymene<br />

Helios´ Sohn, sagst du – in unserer Stadt?<br />

Nereide<br />

Sag´, Glaukos, warum kommst du uns zuerst<br />

damit?<br />

Glaukos<br />

Ich denke, wir sind des Rätsels Lösung hier am<br />

nächsten?<br />

Klymene<br />

(außer sich)<br />

Genug! Was auch d<strong>ein</strong> Gesicht sagen mag,<br />

Fremder, es ist nicht nötig, es jetzt und hier zu<br />

offenbaren! Ich bitte dich, es mir heute abend<br />

zuerst und all<strong>ein</strong> anzuvertrauen. Denn ich habe<br />

Grund genug, alle unnötige Unruhe, alle<br />

widersprüchlichen Gerüchte m<strong>ein</strong>em hause<br />

fernzuhalten, bevor ich sie nicht selber geprüft<br />

habe.<br />

Nereide<br />

Recht, Mutter! Mich lockt auch nicht s<strong>ein</strong>e<br />

Neuigkeit, sondern mich fesselten vielmehr die<br />

näheren Umstände, wie du´s erfuhrest, Glaukos.<br />

Glaukos<br />

Sagte ich nicht: Unter Bäumen im<br />

Mittagsschlafe?<br />

Dryade<br />

Schien auch dort nicht die Sonne heiß durch die<br />

Blätter?<br />

Dryade!<br />

Klymene<br />

Dryade<br />

Sag´ doch selbst, Najade: Verwechselt man nicht<br />

leicht im Halbschlafe das Plätschern des<br />

Wassers, das Glucksen der munteren Quelle mit<br />

dem Raunen und Wispern sich neckender<br />

Nymphen?<br />

Najade<br />

Schon mancher Wanderer glaubte zu hören –<br />

Glaukos<br />

- vergebens, liebe Mädchen: Das hörte ich<br />

genau, was da zu mir gesprochen wurde.


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Najade<br />

Dann war es auch k<strong>ein</strong> Traum. Gib´s zu,<br />

Glaukos: Hast du nicht <strong>ein</strong> bisschen die Ohren<br />

gespitzt?<br />

Ich schwör´s ...!<br />

Glaukos<br />

Najade<br />

(legt ihm den Finger auf die Lippen)<br />

Pssst! Du kannst es nicht!<br />

Glaukos<br />

(greift sie behende und zieht sie gewaltsam auf<br />

s<strong>ein</strong>en Schloß, sie dabei befingernd)<br />

Ha! Spötterin! Du fliegst mir nicht davon! Ja,<br />

kreische nur! Nun beichte, Täubchen: Willst du<br />

mich zum Lügner machen?<br />

Najade<br />

(befreit sich, <strong>ein</strong>en Teil ihres Gewandes Glaukos<br />

überlassend, bebend vor Zorn)<br />

Sag´s ihm, Oreade!<br />

(Der Tumult legt sich allmählich)<br />

Oreade<br />

Pan hatte s<strong>ein</strong>e Flöte verlegt. Ich führte diesen<br />

Strolch in deren Nähe, so dass er sie finden<br />

musste. Nun vernahm ihr Besitzer bald deren<br />

süße Klänge. Er belohnte den Finder mit <strong>ein</strong>em<br />

Geheimnis, das er zu s<strong>ein</strong>em Wohlergehen oder<br />

zu s<strong>ein</strong>em Verderben auszunutzen ihm offen<br />

ließ.<br />

Najade belauschte das Gespräch dieses gierigen<br />

Geschöpfes mit dem <strong>ein</strong>fältigen Jungen dort. Er<br />

hat nun nichts anderes vor, als sich durch das<br />

Geheimnis erpresserisch zu bereichern!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wie, Glaukos – bist du so?<br />

Glaukos<br />

(die Arme schützend über dem Kopfe)<br />

Was hätte ich anderes tun können?!<br />

Klymene<br />

Haltet <strong>ein</strong> – fasst ihn nicht an!<br />

(zu ihm tretend)<br />

Du hast dich unter <strong>ein</strong>em Vorwand in m<strong>ein</strong> Haus<br />

geschlichen. Du hast mit Lügen Menschlichkeit<br />

erschmeichelt. Du hast m<strong>ein</strong>er Tochter Gewalt<br />

angetan. Du bist in das Geheimnis <strong>ein</strong>es Hauses<br />

<strong>ein</strong>gebrochen, willens, es an jedermann zu<br />

verraten – um <strong>ein</strong>es elenden Verräterlohnes<br />

willen. Was du anders hättest machen sollen,<br />

elende Kreatur?<br />

Wärest du vor mich getreten, hättest du mir d<strong>ein</strong><br />

Geheimnis anvertraut, so hätte ich dir für den<br />

Rest d<strong>ein</strong>es jämmerlichen Das<strong>ein</strong>s Obdach und<br />

Brot verliehen. Das hatte Pan, der Liebliche,<br />

gem<strong>ein</strong>t, als der dir riet, dich an mich zu wenden.<br />

Aber du hast, nach d<strong>ein</strong>em Charakter gebildet,<br />

nichts anderes denken können. Du bist unter den<br />

Ärmsten der Unwürdigste, und m<strong>ein</strong> Haus wird<br />

dir verschlossen bleiben, solange ich lebe. Du<br />

hast geurteilt nach dem Geschäft, das du<br />

jahrelang betrieben hast. D<strong>ein</strong> Leben kriecht als<br />

Lüge weiter. Darum geh – noch jetzt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mutter! Kannst du so hart s<strong>ein</strong>? Siehst du nicht,<br />

dass ihn das Unglück s<strong>ein</strong>er verlorenen Kindheit<br />

nicht besser gebildet hat? Was hätte er anders tun<br />

können?<br />

Glaukos<br />

(sich eilig vom Tische neues Obst erraffend und<br />

die Tasche vollstopfend)<br />

Dank, dir, edler <strong>Phaethon</strong>! Du verstehst m<strong>ein</strong><br />

blutendes Herz!<br />

Philos<br />

(mit gezückter Waffe)<br />

Genug, verruchter Bettler! Zum Garten, zum Tor<br />

hinaus! Auf der Stelle verlässt du den Vorzug<br />

barmherziger Menschen! Du bist es nicht wert,<br />

das Licht des Tages zu genießen Du zeigtest<br />

nicht <strong>ein</strong>en Augenblick Reue. Pfui, Ratte!<br />

(Er treibt ihn mit flacher Klinge vom Tische fort.<br />

Glaukos, den Stab und Philemons Hand<br />

ergreifend, wegeilend)<br />

Glaukos<br />

Zu Hilfe! Rettung! Philos – Mörder!<br />

(in Sicherheit, da Philos ihn nicht weiter<br />

verfolgt)<br />

Fluch diesem Hause! Fluch auch <strong>Phaethon</strong>, dass<br />

s<strong>ein</strong> Flehen unerhört bleibt, wo er´s am<br />

inbrünstigsten ausjammert! Fluch Philos! Fluch<br />

dem Reichtum! Fluch der Üppigkeit!<br />

Philos<br />

Kreisch du nur, verdammte Krähe! Mich triffst<br />

du nicht, und das Redliche wird von dem Ekel<br />

d<strong>ein</strong>er Gesinnung verschont bleiben!<br />

(Glaukos und Philemon endgültig ab)<br />

Fünfter Auftritt<br />

Philos<br />

(vor Klymene knieend)<br />

Vergib, teure Klymene, dass ich die Waffe zog!<br />

Ich hätte d<strong>ein</strong>en Garten nicht entheiligen lassen<br />

dürfen!<br />

(Er küsst ihre Hände)<br />

Klymene<br />

Steh auf, Philos! D<strong>ein</strong> Zorn war <strong>ein</strong> notwendiger<br />

Schritt zu übler Stunde. Lasst uns den Vorfall<br />

vergessen, Kinder!<br />

(Philos erhebt sich, geht zu <strong>Phaethon</strong>.


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Dieser, wie aus <strong>ein</strong>er Erstarrung sich lösend)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du hattest recht, Philos. Aber ich hätte es nicht<br />

gekonnt. Was war an jenem Gerücht denn wahr –<br />

was nicht? Was wusste Pan? Was wissen m<strong>ein</strong>e<br />

Schwestern?<br />

Klymene<br />

Hältst du für so erfragenswert, wenn dir <strong>ein</strong> übler<br />

Charakter <strong>ein</strong>en Verdacht zuspielt?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Gewöhnlich gehe ich dem Gerücht aus dem<br />

Wege. Oreade hat es selbst geklärt: Es stammt<br />

von Pan, der euch so nahe, so vertraut! Was kann<br />

er wissen? Und warum mühst du dich, mir <strong>ein</strong><br />

Geheimnis vorzuenthalten, dessen Inhalt ich<br />

wissen müsste, käme mir das Ganze nicht so<br />

ungeheuerlich vor!<br />

Philos<br />

Hegst du gegen d<strong>ein</strong>e Mutter <strong>ein</strong>en Vorwurf?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wer s<strong>ein</strong>e Mutter so liebt wie ich, ist für jeden<br />

Tag dankbar, an dem er ihr Freude gemacht hat.<br />

Klymene<br />

Und denkst du jetzt, mich betrübt zu sehen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Liebste Mutter, warum weichst du aus? Ich traue<br />

dir nichts Arges zu. Warum dann etwas<br />

verschleiern, was morgen die ganze Stadt wissen<br />

wird?<br />

Klymene<br />

Allerdings, das vergaß ich.<br />

(seufzt)<br />

Oreade<br />

Es hilft doch nichts, Mutter, es ihm zu<br />

verheimlichen! <strong>Phaethon</strong> ist dieser Botschaft<br />

würdiger als wir.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was ihr verschweigen konntet – und ihr habt<br />

mich immer sehr lieb gehabt – kann doch nichts<br />

Böses s<strong>ein</strong>! Ich ahne hingegen, dass es etwas so<br />

Entgegengesetztes s<strong>ein</strong> muss, dass ihr fürchtet,<br />

ich ertrüge es nicht.<br />

Sag´, Mutter: Wer ist m<strong>ein</strong> Vater?<br />

Klymene<br />

(s<strong>ein</strong>e Hände fassend)<br />

Zwing´ dich zur Ruhe, <strong>Phaethon</strong>! Ja, der blinde<br />

Bettler sprach die Wahrheit: D<strong>ein</strong> Vater ist<br />

Helios!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(sie innig betrachtend)<br />

Hätte für mich nicht <strong>ein</strong> weniger Großer genügt?<br />

Musstest du mir solche Erbschaft anvertrauen? –<br />

Oh, Mutter!<br />

(Sie umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(nach <strong>ein</strong>igem Überdenken)<br />

Was hat das aber jetzt für mich zu bedeuten?<br />

Welche Wirkung geht von allem Zukünftigen<br />

aus? Wie wird man an m<strong>ein</strong>en Handlungen das<br />

Vergangene werten? Wird man mich messen wie<br />

Helios´ Sohn -: Wie erbärmlich sind dann m<strong>ein</strong>e<br />

Werke gewesen! Wird man mich aber nach dem<br />

messen, was ich Menschliches tun wollte, wird<br />

man dann nicht mitleidig sagen: Es war der Eifer<br />

als s<strong>ein</strong> göttliches Erbteil, das ihn so gegen s<strong>ein</strong>e<br />

eigene Wohlfahrt Ziele ansteuern hieß – fern<br />

allen Genossen?<br />

Was wird es heißen? Sagt´s mir doch!<br />

Philos<br />

Darf ich zuerst sprechen?<br />

Sprich, Philos!<br />

(zu Klymene)<br />

Nereide<br />

(da Klymene außer Fassung)<br />

Philos<br />

(auch auf Klymenes Nicken hin zu <strong>Phaethon</strong>)<br />

Da man weiß, dass du´s bis heute selber nicht<br />

erfahren hattest, wer d<strong>ein</strong> Vater ist, wird jeder<br />

dich nach d<strong>ein</strong>er Menschlichkeit, nach d<strong>ein</strong>er<br />

gewöhnlichen jugendlichen Leistungskraft und<br />

Gesinnung gelten lassen. Was du in Zukunft tust,<br />

mag mit den gleichen Maßstäben gemessen<br />

werden, wenn du dich, nach wie vor als Mensch,<br />

zu ihnen bekennst. Da du – vermutlich? – k<strong>ein</strong><br />

Unsterblicher bist? –<br />

(die Nymphen nicken)<br />

bleibst du dem irdischen Gefühl verhaftet. Lass´<br />

dich auf k<strong>ein</strong>en Fall aus dieser Bahn<br />

herausreizen oder durch Forderungen entehren,<br />

die du nicht erfüllen kannst und willst. Bleib´ dir<br />

auch in Zukunft treu, denn so wird dich d<strong>ein</strong><br />

Vater wollen, <strong>Phaethon</strong>, und nicht mehr!<br />

Nereide<br />

Dem füg´ ich nur hinzu: Du kannst nicht größer<br />

werden: Du bist in d<strong>ein</strong>em Wesen zu Hohem<br />

angelegt – <strong>ein</strong> Freund der Götter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dies Vorrecht erkenne ich nicht an, wenn ich es<br />

mir nicht selber verdienen kann!<br />

Nereide<br />

So sagte ich: Du bist zu Hohem angelegt -:<br />

Beweise, was du bist, so, wie bisher! Du wirst<br />

um jede große Tat wohl ringen müssen, denn du


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bist sterblich und erwirbst es für den Augenblick.<br />

Dies ist der Menschen Los – dem kannst du nicht<br />

entrinnen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Oh, Schwestern – Mutter – Philos, hört mich an!<br />

Begreift ihr nicht, was mich verpflichtet: M<strong>ein</strong>e<br />

Gesinnung, m<strong>ein</strong>e Freiheit, mich entscheiden zu<br />

dürfen? Täglich muss ich mich fragen: Wie weit<br />

hast du dich d<strong>ein</strong>er Erfüllung genähert? Und<br />

begehe ich Fehler: Wieviel werden sie wiegen?<br />

Ist m<strong>ein</strong>e Antwort auf <strong>ein</strong>e unschuldige Frage<br />

wirklich noch die gleiche wie vor <strong>ein</strong>er Stunde?<br />

Ist nicht vielmehr jedes Wort von mir <strong>ein</strong> Orakel<br />

-: sinnbeschwert, wo ich nur harmlos zu scherzen<br />

m<strong>ein</strong>te? Konnt´ ich mich vormals natürlich<br />

äußern, zieht man daraus jetzt Maßstäbe m<strong>ein</strong>es<br />

Fühlens, Wollens und Denkens! Da werden<br />

M<strong>ein</strong>ungen zu Gesetzen, da wird bloßer<br />

Geschmack Willkür, wo man Menschen<br />

vergöttert!<br />

Klymene<br />

Du bist so frei und unbelastet wie immer! Was<br />

kümmert dich, was die Menge sich<br />

zusammendichtet?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(bitter)<br />

Dafür wandelt jetzt die göttliche Vaterschaft<br />

<strong>ein</strong>es bloßen Menschen täglich unter ihnen! –<br />

Denkt ihr, es bliebe mir zukünftig noch <strong>ein</strong><br />

anderer Weg offen als eben der, als Sohn <strong>ein</strong>es<br />

Gottes zum Verkünder <strong>ein</strong>es heiligen fremden<br />

Willens zu werden – aus Glauben Gewissheit zu<br />

machen? Wie aber kann <strong>ein</strong> Mensch dem <strong>ein</strong>en<br />

Gotte dienen und den Willen der anderen Götter<br />

übersehen wollen?<br />

Klymene<br />

Halt, <strong>Phaethon</strong> – halt´ doch <strong>ein</strong>! Das hat d<strong>ein</strong><br />

Vater nie gewollt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ist er <strong>ein</strong> Gott, so überschaute er dies noch vor<br />

der Nacht, in der er mich zeugte!<br />

Klymene<br />

Er wusste um dieses Erbe. Du darfst sicher s<strong>ein</strong>,<br />

dass er dich damit nicht belasten wollte.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nicht in den Olymp – in die Welt hat er mich<br />

gezeugt! Ihr seid ja Nymphen, könnt euch, wie es<br />

euch beliebt, verwandeln – aber ich?<br />

Wie kann <strong>ein</strong> Vater das wollen, dass s<strong>ein</strong> Sohn<br />

nur Mensch, nur sterblich unter s<strong>ein</strong>esgleichen<br />

ist -: immer ihren Missverständnissen,<br />

Verleumdungen, schließlich ihren Verfolgungen<br />

ausgesetzt? Wozu dies Opfer überhaupt? Ist es<br />

nicht besser, die menschliche Unklarheit solcher<br />

göttlichen Botschaft dem Sohne dadurch<br />

vorzuenthalten, indem man ihn erst gar nicht<br />

zeugte? Warum zeugen Götter Menschen, wenn<br />

sie ihnen die Fähigkeit verweigern, wie Götter<br />

über den Sorgen der Erde zu stehen? Warum<br />

also, Mutter, muss ich die Strafe auf mich<br />

nehmen, Helios´ Sohn zu s<strong>ein</strong>, indem ich nichts<br />

aus ihm tun darf? Warum stattete er mich nicht<br />

mit sichtbaren Eigenschaften aus, die mich vor<br />

der Kl<strong>ein</strong>mütigkeit m<strong>ein</strong>er Mitmenschen<br />

schützen könnten?<br />

Klymene<br />

Du lebtest glücklich, als du davon nichts ahntest!<br />

Jetzt quälst du dich – willst mühsam alles anders<br />

sehen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Froh lebte ich mit m<strong>ein</strong>en Schwestern, Freunden,<br />

auch mit dir! Seit Glaukos durch die Straßen<br />

lärmt und <strong>ein</strong>e Feuersbrunst des Neides, auch der<br />

Schadenfreude gegen mich entfacht, denke ich<br />

über m<strong>ein</strong>e Person etwas außergewöhnlich. Das<br />

ist sie ja auch wohl!<br />

Philos<br />

Siehst du k<strong>ein</strong>en Ausweg, dem ersten Ansturm<br />

auszuweichen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Man hat mir zugemutet, als Helios´ Sohn zu<br />

gelten. Soll ich mich jetzt verstecken und in die<br />

Wildnis ziehen? Auch m<strong>ein</strong>e Schwestern und<br />

m<strong>ein</strong>e Mutter sind, so weiß man vielerorts,<br />

bevorzugt -: Lieblinge der Götter! N<strong>ein</strong>, das<br />

Spiel, das Pan in Gang gesetzt, geht wohl nicht<br />

ohne mich zu Ende. Und sag´ doch selbst: Gäbst<br />

du dem Pöbel nach?<br />

Philos<br />

Ich wiche nur aus Klugheit für´s erste der<br />

Gewalt.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Man wird´s auf die Spitze treiben: Wenn ich<br />

k<strong>ein</strong>e Wunder vollbringe, wird m<strong>ein</strong> Name ins<br />

Lächerliche gezogen, und m<strong>ein</strong>en Vater wird<br />

man lästern, sobald ich als bloßer Mensch<br />

entlarvt bin!<br />

Philos<br />

Versuche erst gar nicht, mehr s<strong>ein</strong> zu wollen,<br />

<strong>Phaethon</strong>! Ich werde dir dabei helfen. M<strong>ein</strong> Wort<br />

gilt auch noch etwas, und d<strong>ein</strong>e Mutter hat viele<br />

Freunde. So reicht es hin, dass man erklärt, es sei<br />

nur die leibliche Nachkommenschaft gem<strong>ein</strong>t<br />

gewesen, sonst nichts von d<strong>ein</strong>em Vater. Zwar<br />

ahnt mir mehr, doch soll´s dem Volk genügen.<br />

Bist du so sicher?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos


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Die klugen Männer, die dich kennen, werden<br />

d<strong>ein</strong>en gelehrigen Verstand und d<strong>ein</strong>e ehrlich<br />

Wissbegierde nicht als Verstellung auslegen. Sie<br />

wissen um jugendliches Bemühen. Du bist vor<br />

ihnen k<strong>ein</strong> Lügner. Auch sonst erkennt man die<br />

Mühsal an, mit der du dich in allem vornehmen<br />

Wettstreit übtest. Ein Göttersohn lässt sich wohl<br />

kaum auf diese Weise prüfen und hernach feiern!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wenngleich ich zögere, stimmst du mich ruhig.<br />

Nun denn, der Tag ist ohnehin zu Ende. Wie mag<br />

die Nacht mich an den Morgen entlassen? Denn<br />

ich grüble über m<strong>ein</strong> Los und finde doch k<strong>ein</strong>en<br />

Schluss!<br />

Philos<br />

Noch ist der Tag nicht vorüber! Dort naht <strong>ein</strong><br />

Gast, vor dem auch du hellere Klänge d<strong>ein</strong>er<br />

Seele anstimmen solltest!<br />

Sechster Auftritt<br />

(Odä ersch<strong>ein</strong>t, diesmal all<strong>ein</strong>)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist Odä – <strong>ein</strong>e Verwandte oder Freundin der<br />

Mutter.<br />

Klymene<br />

Heute kommst du all<strong>ein</strong>, Odä?<br />

Odä<br />

Du weißt, die Schwester ist beschäftigt. Sie<br />

konnte mich nicht begleiten, aber sie lässt<br />

herzliche Grüße ausrichten. Sie gelten auch für<br />

euch, ihr Schönen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Grüß dich, Odä! Dies hier ist Philos, m<strong>ein</strong><br />

Freund.<br />

Odä<br />

(Philos kurz, aber fest betrachtend, dann zu<br />

<strong>Phaethon</strong>)<br />

Er passt zu dir: du konntest k<strong>ein</strong>en besseren<br />

finden!<br />

Nereide<br />

(zu den Nymphen)<br />

Die Sonne wirft schon lange Schatten.<br />

Najade<br />

Wir ziehen uns zurück, nicht wahr?<br />

Oreade<br />

Echo, kommst du mit?<br />

Echo<br />

Ja, Schwester! Lebt wohl – bis morgen, Bruder!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(ihre Schläfe küssen)<br />

Lebt wohl – gute Nacht!<br />

Gute Nacht!<br />

Dryade<br />

Odä<br />

Bin ich zu früh oder zu spät gekommen? Der<br />

Aufbruch wirkt sehr hastig!<br />

Klymene<br />

Sie wissen, dass wir uns im engsten Kreise öfter<br />

bis in die späte Nacht unterhalten. So gehen sie<br />

ohne Groll eher; du weißt ja, auch sie haben<br />

Pflichten.<br />

Odä<br />

Liebste Klymene, ich habe <strong>ein</strong>en Wunsch!<br />

Er sei dir gewährt!<br />

Klymene<br />

Odä<br />

(ausweichend)<br />

Warum prüfst du ihn nicht zuerst <strong>ein</strong>mal?<br />

Klymene<br />

Ich schlage dir nichts ab, weil ich dir vertraue.<br />

Odä<br />

Gut denn: Lass´ mich diese Nacht d<strong>ein</strong> Gast<br />

bleiben!<br />

Klymene<br />

Du weißt, dass du gern gesehen bist. Lass´ mich<br />

also nur eben die Dienerschaft rufen und ihr<br />

Anweisungen geben, d<strong>ein</strong> Schlafgemach<br />

herzurichten.<br />

(Sie erhebt sich und will gehen)<br />

Philos<br />

Verzeiht! – Klymene, lass´ mich dich doch ins<br />

Haus begleiten; dort nehme auch ich Abschied<br />

bis morgen, dann komme ich wieder?<br />

Klymene<br />

Warum so früh? Du, dachte ich, würdest<br />

wenigstens noch <strong>ein</strong>e Weile mit uns plaudern<br />

können!<br />

Philos<br />

<strong>Phaethon</strong> hat wenig Zeit gehabt, sich gelassener<br />

in das Neue zu finden. Diese Art Zerstreuung<br />

kommt ihm sicher zu Gute, nachdem auch wir ja<br />

schon ausführlich gesprochen haben. Ich möchte<br />

mich daher auch schon jetzt zurückziehen.<br />

(Er tauscht mit Odä und <strong>Phaethon</strong> Zeichen des<br />

Abschiedes, geht dann mit Klymene zum Hause)


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Siebenter Auftritt<br />

(Odä mit <strong>Phaethon</strong> all<strong>ein</strong>)<br />

Odä<br />

Der Abend wird kühl.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Die letzten Ereignisse hielten m<strong>ein</strong> Blut in<br />

Wallung, darum spüre ich die Erfrischung noch<br />

nicht.<br />

Ich weiß – !<br />

Odä<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich wage nicht zu fragen!<br />

Odä<br />

Wo ich herkomme, ist Licht, ist Lebenswärme.<br />

Seit ich bei dir bin, brauche ich nichts zu<br />

vermissen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist das erstemal, dass wir ungestört<br />

mit<strong>ein</strong>ander sprechen können, nicht wahr?<br />

Odä<br />

Warum sollten wir uns davor fürchten? Wir<br />

kennen uns länger als du denkst. Mich wundert,<br />

dass du dich nicht erinnerst.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ein merkwürdiges Empfinden, wie wenn ich sehr<br />

lange etwas erwartet hätte, überkam mich bei<br />

unserer ersten Begegnung.<br />

Odä<br />

Möchtest du darüber reden?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Von m<strong>ein</strong>en Schwestern bin ich´s gewöhnt, dass<br />

man mir durch Erraten das Herz im voraus<br />

erleichtert. Ob das allerdings auch hier ...?<br />

Du stockst?<br />

Odä<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du machst mich erröten, Odä!<br />

Odä<br />

Diese Art Gefühle könnten nicht den Schwestern<br />

gewidmet s<strong>ein</strong>, nicht wahr?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dann weißt du also um sie!<br />

Odä<br />

Du sandtest mir Blicke in <strong>ein</strong>er Sprache ohne<br />

Missverständnisse – bei allem Abstand! Jetzt bin<br />

ich zurückgekommen – !<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Warum? Was muss ich verbergen?<br />

Odä<br />

Jetzt – nichts mehr! D<strong>ein</strong> Herz liegt offen vor<br />

mir.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es brennt seit gestern brennt´s in m<strong>ein</strong>er Brust<br />

und will sich nicht mehr beruhigen lassen! Ist das<br />

überhitzig hingeworfen?<br />

Odä<br />

Wenn du es aber so empfindest - ?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist nicht d<strong>ein</strong> Körper, den ich schon begehrte<br />

– noch nicht! Aber seit ich dich gesehen habe,<br />

m<strong>ein</strong>e ich, fast daheim zu s<strong>ein</strong>. Wo ist diese<br />

Heimat? Was mag das s<strong>ein</strong>? Nur Liebe – oder ist<br />

es auch die Sehnsucht nach dem, woher du<br />

kommst?<br />

Odä<br />

Weil ich ahnte, dass du mich und niemanden<br />

anderen finden musstest – sonst wäre d<strong>ein</strong> Leben<br />

unglücklich verlaufen – bin ich dir<br />

entgegengekommen! Entbehre ich darum d<strong>ein</strong>er<br />

Achtung?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Seit ich dich ansah, hat sich m<strong>ein</strong> Gemüt<br />

geweitet, und seit ich d<strong>ein</strong>e Stimme höre,<br />

vergleiche ich alle Musik mit ihr und werde nicht<br />

müde, mich zu erinnern. Sag´, Odä: Welche<br />

Welten klaffen zwischen gestern und heute?<br />

Odä<br />

Das Gestern war <strong>ein</strong>e Frage nach dem Wohin.<br />

Bevor ich kam, hatten sich all d<strong>ein</strong>e Jahre auf<br />

diesen Brennpunkt gesammelt. Ich ahnte zudem<br />

die Entdeckung d<strong>ein</strong>es Vaters. Du hast <strong>ein</strong><br />

großes Herz und hängst an der Vollkommenheit.<br />

Der Rückweg zum Alltäglichen ist dir<br />

abgeschnitten. Ich bin <strong>ein</strong> gewichtiger Teil der<br />

Antwort auf d<strong>ein</strong> Leben. Jetzt bist du sicher.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Aber so plötzlich! Ein tiefe Ruhe breitete sich in<br />

mir aus – trotz dieses Brennens! Ich begreif´s<br />

nicht!<br />

Odä<br />

Das ist auch nicht nötig. Jetzt wirst du <strong>ein</strong>e<br />

Entwicklung in dir verspüren, <strong>ein</strong> Reifen, das<br />

dich nicht mehr loslässt.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong>e Mutter kommt zurück. Du bist diese<br />

Nacht unser Gast. Gibt es noch Schranken, so –


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Odä<br />

Es gibt k<strong>ein</strong>e mehr! Mach mir noch diese Nacht<br />

das Brautbett, m<strong>ein</strong> Liebster!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du findest mich in allem eröffnet – ich bin<br />

bereit!<br />

Klymene<br />

(nahe)<br />

In der Halle brennt das Feuer; der Tisch ist<br />

gedeckt, das Nachtlager gerichtet! Kommt doch<br />

mit ins Haus!<br />

(Alle entfernen sich zum Hause)<br />

Dritter Aufzug<br />

Erster Auftritt<br />

(Im Schlafgemach der Odä; <strong>Phaethon</strong> bei ihr,<br />

beide notdürftig bedeckt. Gegen Morgen: Odä im<br />

Aufbruch)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Welch <strong>ein</strong> unerhörtes Vorrecht wiederum mir:<br />

Wo andere um jedes Lächeln kämpfen, um jedes<br />

Stirnrunzeln bangen, um jedes missdeutbare<br />

Wort mit dem Gedanken spielen, ihrem Jammer<br />

womöglich <strong>ein</strong> Ende zu setzen, da senkt sich<br />

d<strong>ein</strong>e Liebe wie <strong>ein</strong> Rausch über mich und<br />

ergießt sich wie <strong>ein</strong> erquickender Ragen auf<br />

Wüstenland. Was nahm ich mir, mit Billigung<br />

m<strong>ein</strong>es Schicksales, heraus, dass ich, wie<br />

betäubt, immer noch nicht fasse, was du mir<br />

schenktest, liebste Braut!<br />

Odä<br />

Was sorgst du dich im Genuss? Nimm mich –<br />

nimm alles!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Gerade ich durfte mich nie über mangelnde<br />

Liebe beklagen: M<strong>ein</strong>e Mutter, m<strong>ein</strong>e<br />

Schwestern – jetzt, kürzlich, der Freund<br />

überhäufte mich mit Hingabe, ließen mich zu<br />

Menschlichstem gedeihen! Wem unter der Sonne<br />

ist solche Gnade jemals vergönnt? Wer, und<br />

hätte er die edelsten Gedanken, darf sich soweit<br />

darin ergehen, sie zum Grundsatz s<strong>ein</strong>es Lebens<br />

wählen zu dürfen?<br />

N<strong>ein</strong>, Odä, über mir ruht <strong>ein</strong> ganz besonderer<br />

Segen, dessen Ausmaß mir nur unerträglich wird,<br />

weil ich hoffe, dass ich m<strong>ein</strong>es Vaters würdig<br />

s<strong>ein</strong> werde – oder untergehen will!<br />

Odä<br />

Du hast nie mit der Liebe Missbrauch getrieben.<br />

Nun durftest du sie erstmals auskosten wie <strong>ein</strong><br />

Mann! Das überwältigt dich. Aber mich hat es zu<br />

<strong>ein</strong>em neuen Wesen erhoben!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Hat dich denn m<strong>ein</strong>e Unerfahrenheit nicht<br />

abgeschreckt, Liebste?<br />

Odä<br />

Wie könnte ich?! Du hast die Schönheit geliebt,<br />

ohne sie zu vergewaltigen, und als Heiligtum<br />

verehrt, was dir nicht zugesprochen werden<br />

konnte. Jetzt hast du alles!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dies ist nur zu wahr: Nie befiel mich Lüsternheit<br />

nach der Anmut m<strong>ein</strong>er Schwestern oder <strong>ein</strong>es<br />

Knaben.


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Odä<br />

Danke es d<strong>ein</strong>er Mutter: Sie war es, die dich der<br />

allumfassenden Liebe vorbehalten hat.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es macht mich schwindeln, wenn ich begreifen<br />

soll, dass nicht nur m<strong>ein</strong>e Seele, sondern diesmal<br />

und für immer auch m<strong>ein</strong> Körper auskosten<br />

dürfen, was <strong>ein</strong> Mädchen ist.<br />

(Er umarmt sie heftig)<br />

Odä<br />

M<strong>ein</strong> liebster Bräutigam: Der Traum, die Nacht –<br />

geht jetzt zu Ende. Spar´ alle Kraft bis für die<br />

nächste Dämmerstunde!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(fortfahrend, sie zu liebkosen)<br />

Mir ist, als hätte ich m<strong>ein</strong> Leben <strong>ein</strong>er neuen<br />

Geburt geopfert! Nie zuvor war mir vergönnt,<br />

Anmut und Liebreiz ganz zu kosten! Nun atme<br />

ich alles durch die Rosendüfte d<strong>ein</strong>es rötlichen<br />

Gewandes! Oh, ich will mit ihnen fallen und<br />

d<strong>ein</strong>e herrliche Schönheit erstrahlen lassen! –<br />

Wie soll es weitergehen? Wann wirst du den<br />

Brautkranz tragen? Sag´s mir doch!<br />

Odä<br />

(sich sanft befreiend und aufrichtend)<br />

Du ahnst mit Recht: So frei verfügbar bin ich<br />

wieder nicht!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Hast du <strong>ein</strong> heimliches Amt da draußen und<br />

wagst es mir doch nicht zu sagen?<br />

Odä<br />

(wegsehend)<br />

Ja, <strong>Phaethon</strong>: An <strong>ein</strong>e lebenslange Pflicht bin ich<br />

gebunden.<br />

(<strong>Phaethon</strong> ansehend)<br />

Aber hindert das uns in unserer unsäglich tiefen,<br />

heißen Liebe?<br />

(ihn stürmisch liebkosend)<br />

So unverbrüchlich, wie ich dir hier m<strong>ein</strong> Wort<br />

gegeben habe, ist m<strong>ein</strong> Leben dir geweiht!<br />

Ja, m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong>, du sollst mich immer haben –<br />

bis auf diese kurze Tagesfrist, in der ich fort<br />

muss!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wer zwingt dich denn?<br />

Odä<br />

M<strong>ein</strong> Bruder, <strong>Phaethon</strong>!<br />

vor ihn treten und s<strong>ein</strong>e segnenden Hände auf<br />

unsere Häupter erflehen – und ich sage dir: er<br />

wird´s tun!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Versprichst du´s mir?<br />

Odä<br />

Gern sag´ ich´s ihm! Doch versprichst du mir<br />

auch, dass du mich ohne Murren und Misstrauen<br />

zu ihm gehen lässt?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ei ja doch! – Und dennoch, das spüre ich, ist dir<br />

d<strong>ein</strong> Herz unruhig, denn: Horch, leg´ ich m<strong>ein</strong><br />

Ohr an d<strong>ein</strong>en herrlichen Busen und lausche in<br />

all das Wogen hin<strong>ein</strong> dem Leben, dem wilden<br />

Pochen d<strong>ein</strong>es Herzens? ...<br />

Odä<br />

(s<strong>ein</strong> Haar streichelnd)<br />

Ist es nicht die Liebe, <strong>Phaethon</strong>, die so ungestüm<br />

die Freuden dieser Nacht ausläutet?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wie hast du mich beschenkt – in diesen kurzen<br />

Stunden! An dir erblüht die Jugend makellos!<br />

Dir ist das Leben gut: D<strong>ein</strong>er haut entströmt mir<br />

fieberheißes Glühen, auf d<strong>ein</strong>en Brüsten prangen<br />

köstliche Rubine – ach! Ich nasche sie dir gern<br />

herab!<br />

(Odä kleidet sich an)<br />

In d<strong>ein</strong>en schimmernden Armen, die so keck aus<br />

den Falten d<strong>ein</strong>es Gewandes hervorgrüßen,<br />

drängte ich m<strong>ein</strong>e Schultern, in d<strong>ein</strong>en<br />

Schenkeln prangt Erfüllung heißester Sehnsucht<br />

– der liebte nie, dem das nicht Liebe ist!<br />

Odä<br />

Ich mir dünken die Nächte, die vordem so<br />

nutzlos verstrichen sind, wie Diebstahl an dir!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong>e Hände suchen unablässig alle Rundungen<br />

d<strong>ein</strong>es Liebestempels, und m<strong>ein</strong>e Küsse gelten<br />

jedem Winkel d<strong>ein</strong>es Heiligtums!<br />

Odä<br />

Du tratest <strong>ein</strong>: Jetzt gehört er dir – nur dir! Aber<br />

nie darfst du dich mir opfern, <strong>Phaethon</strong>, sondern<br />

bleibe Priester, Wächter in der Stille!<br />

Verschweige der Welt das Heiligste in dir, denn<br />

sie neidet dir dieses Glück, und vor jedem<br />

Zweifel, den sie dir ins Herz zu listen sucht,<br />

komm zu mir!<br />

Kenne ich ihn?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wie kann ich zweifeln, wenn du bei mir bist!<br />

Odä<br />

Du wirst ihn kennen lernen. Ich bringe ihn dir<br />

nahe, sobald es die Zeit erlaubt, und wir werden<br />

Odä<br />

Wenn man jemals ahnt, wie sehr d<strong>ein</strong><br />

Lebensglück in unserer Liebe ganz beschlossen


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liegt, wird mancher Dieb bei der Nacht kommen<br />

und versuchen, dir d<strong>ein</strong>e r<strong>ein</strong>sten Gedanken,<br />

d<strong>ein</strong>e ungetrübte Gesinnung zu entwenden!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wo fänden sie jemals Einlass?<br />

Odä<br />

In eben diesem Geheimnis, das ich zunächst vor<br />

dir noch verborgen halten muss! Dort werden sie<br />

das Misstrauen zuerst ansäen, und hat es erst<br />

Wurzeln gefasst, wird es den Spalt von selbst<br />

vergrößern. Jahr um Jahr stärker, wird endlich<br />

d<strong>ein</strong> gequältes Herz nach m<strong>ein</strong>em ganzen Wesen<br />

fragen wollen. Solange es mir nicht gestattet ist,<br />

darf ich dir darauf k<strong>ein</strong>e Antwort geben.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich werde dich nicht mehr danach fragen.<br />

Odä<br />

Ach, <strong>Phaethon</strong>! – Ach, du bist ja auch <strong>ein</strong><br />

Sterblicher, der um Minuten bangt, weil er<br />

fürchtet, Jahre zu verlieren!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Bist du etwa nicht sterblich, Odä?<br />

Odä<br />

Was tut das hier? M<strong>ein</strong> Bild in dir wird nie<br />

verlöschen, und m<strong>ein</strong> Herz wird dich nie mehr<br />

loslassen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ist das <strong>ein</strong> Schwur?<br />

Odä<br />

Bei m<strong>ein</strong>em Bruder schwöre ich´s!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So schwöre ich dir: K<strong>ein</strong> and´res Mädchen soll<br />

mich je verführen können, an d<strong>ein</strong>er Treue zu<br />

zweifeln oder sie dir zu brechen!<br />

Odä<br />

Diesen Schwur will ich dir erleichtern: Du wirst<br />

auch nie mehr anders können!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Hast du so gewaltige Kraft? Du bist doch nicht<br />

gar Aphrodite?<br />

Odä<br />

(lächelnd)<br />

Das nun zwar nicht! Doch bevor ich dir<br />

begegnete, war ich <strong>ein</strong> unersättliches Weib, voll<br />

Gier nach männlicher Kraft. Da hörte ich endlich<br />

von d<strong>ein</strong>er aufblühenden Jugend. Täglich<br />

lauschte ich auf d<strong>ein</strong>e Stimme. Dann betrat ich<br />

das Haus d<strong>ein</strong>er Mutter, traf dich, weil ich dir<br />

endlich begegnen wollte. Als ich dir aber<br />

gegenüberstand, begann m<strong>ein</strong> Körper sich<br />

plötzlich auf wundervolle Weise in<br />

jungfräuliches Empfinden zurückzuentwickeln.<br />

Da spürte ich, dass du mir <strong>ein</strong> neues Leben zu<br />

schenken geschaffen warst. Ich beschloss, dir<br />

dieses Geschenk – nur dir all<strong>ein</strong> –<br />

zurückzugeben!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was mögen die Götter gewollt haben?<br />

Odä<br />

Ja, <strong>Phaethon</strong>: Nicht um m<strong>ein</strong>etwillen, sondern dir<br />

zu Ehren schuf <strong>ein</strong> Gott mich neu, obgleich ich<br />

lebte! Er wollte nicht d<strong>ein</strong> Unglück, d<strong>ein</strong> Leben<br />

lang <strong>ein</strong>e Frau suchen zu müssen, die es gar nicht<br />

geben könnte.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Womit sollte ich das verdient haben?<br />

Odä<br />

Das weiß ich nicht und will´s auch nicht<br />

ergründen. Bist du der Götter Freund, so dankst<br />

du es ihnen ohnehin täglich durch d<strong>ein</strong><br />

untadeliges Wesen. Grüble nicht: Lass´ es genug<br />

s<strong>ein</strong>!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(sich ebenfalls ankleidend)<br />

Odä – Liebste! M<strong>ein</strong> Kopf ist voll von soviel<br />

Neuem, dass mich schwindeln möchte. Nun ist<br />

mit unserer Liebe auch der Mutter Sorge dahin.<br />

Odä<br />

Soll ich´s ihr sagen? So überrascht, möchte sie<br />

erstaunen. Du weißt, wir sind befreundet.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wir sagen es ihr beide, ja?<br />

Odä<br />

Hörst du die Vögel? Sieh, der Morgen graut. Ich<br />

muss nun fort zu m<strong>ein</strong>em Bruder. Heut´ abend<br />

komm ich wieder. Wirst du warten, Liebster?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Der Tag kriecht so fort wie die Schnecke, und<br />

jeder Blick saugt dich aus der Ferne herbei. Ach,<br />

wärest du doch immer noch näher als das<br />

schönste Jetzt!<br />

Odä<br />

Besänftige d<strong>ein</strong> stürmisches Drängen! Warte auf<br />

mich! Oder noch besser: Über Tag schon will ich<br />

zurück s<strong>ein</strong>, da können wir es Klymene auch<br />

zusammen berichten.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du göttliche Braut! Sehnsucht und Ungeduld<br />

sind m<strong>ein</strong>e neuen Geschwister!<br />

(Er umschlingt sie. Odä löst sich)


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Odä<br />

Jetzt muss ich fort! Leb´ wohl!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(noch <strong>ein</strong>en flüchtigen Blick mit ihr tauschend,<br />

ihr nachsehend)<br />

Leb´ wohl!<br />

Zweiter Auftritt<br />

(Im Garten der Klymene, fortgeschrittener<br />

Morgen. Odä wartend, Klymene kommt vom<br />

Hause)<br />

Klymene<br />

Du hast mich rufen lassen?<br />

Odä<br />

Mich nötigte die Pflicht, darum bin ich erst jetzt<br />

zurück.<br />

Klymene<br />

Ich denke, du hast jetzt <strong>ein</strong>e noch schwerere<br />

Pflicht zu tragen.<br />

Odä<br />

Sei nicht unmutig, Klymene: Diesmal ist es mir<br />

ernst!<br />

Klymene<br />

Was soll ich davon glauben? Du stiehlst mir<br />

m<strong>ein</strong>en Sohn - gut, das ist Mütter Los! Aber<br />

warum gerade er?<br />

Odä<br />

Er ist so kostbar, dass ich ihn für mich gewinnen<br />

musste!<br />

Klymene<br />

Du trugst ja jedes Kl<strong>ein</strong>od nicht sehr lange. Aber<br />

glaube mir: Das m<strong>ein</strong>ige wird sofort verblassen,<br />

sobald es s<strong>ein</strong>en Glanz mit anderen teilen muss!<br />

Odä<br />

Sieh her: An m<strong>ein</strong>en Fingern, selbst an m<strong>ein</strong>em<br />

Halse strahlt nichts mehr. Ich hab´ es tief bereut,<br />

seit ich d<strong>ein</strong>en Sohn liebe! M<strong>ein</strong>e Seele ist<br />

seitdem ruhig und fest geworden. Klymene: Ich<br />

raube ihn nicht, ich liebe ihn!<br />

andere. Doch nicht dies Kind – kaum zum<br />

Jüngling erwachsen!<br />

Odä<br />

Klymene! Er ist sehr hoch, sehr ernst – <strong>ein</strong>e<br />

große Seele! Ich will sie nicht entheiligen –<br />

glaub´ mir doch!<br />

Klymene<br />

Wie dann? Willst du ihm etwas Kinder gebären?<br />

Weißt du, was d<strong>ein</strong> Bruder dazu sagen wird,<br />

wenn er´s erfährt? Dieses Verhältnis darf doch<br />

das Licht des Tages nicht sehen! Ihr müsst doch<br />

beide die ganze Wahrheit scheuen! Oh, Zeus!<br />

Das kann nie gut gehen! Du forderst <strong>ein</strong>e<br />

Katastrophe heraus, aber du kannst und kannst<br />

nie satt werden, nicht wahr?<br />

Odä<br />

Da er mich liebt wie ich ihn, kann ihm nichts<br />

geschehen.<br />

Klymene<br />

Nichts? Ja, gerade darum wird er unglücklicher<br />

s<strong>ein</strong> als alle Unfruchtbaren! Du solltest wissen,<br />

dass sich jeder Gatte Kinder wünscht, dass er mit<br />

ihnen, selbst alternd, neues Leben aus der Jugend<br />

saugt, dass er ihnen alle männliche Fürsorge<br />

angedeihen lassen möchte, dass er spüren will,<br />

wie sie heranwachsen, dass er alle Kraft für sie,<br />

für ihr Wohl <strong>ein</strong>setzen wird – und um dies Glück<br />

willst du m<strong>ein</strong> Kind betrügen?<br />

Odä<br />

Ich schenke ihm <strong>ein</strong> lichteres Glück!<br />

Klymene<br />

Zwar weiß ich nicht, womit du <strong>ein</strong>es Menschen<br />

menschlichste Sehnsüchte betäuben willst, aber<br />

du kannst ihm nicht das Leben auf dieser Erde<br />

entziehen und vor d<strong>ein</strong>es Bruders Augen<br />

verhätscheln und wie <strong>ein</strong>e Gottheit prahlen! Er<br />

taugt zu solcher Allmacht nicht, auch wenn er<br />

Helios´ Sohn ist! Er ist zuerst und bis zuletzt <strong>ein</strong><br />

Mensch, und - - ach, ich flehe dich an: Gib mir<br />

diesen <strong>ein</strong>zigen Sohn zurück, ehe er s<strong>ein</strong><br />

namenloses Unglück begreift!<br />

Ich kann nicht!<br />

Odä<br />

Als Braut?<br />

Klymene<br />

Klymene<br />

Soll ich ihm sagen, wer du wirklich bist?<br />

Odä<br />

Ja, liebste Mutter: als Braut – wie anders?<br />

Klymene<br />

Ich bitte dich: Verspotte nicht die Empfindungen<br />

<strong>ein</strong>es Menschen, der aus r<strong>ein</strong>em Herzen liebt!<br />

Such´ dir zu d<strong>ein</strong>en Spielen dutzendweise<br />

Odä<br />

Du bist von allen Weibern doch auch nur <strong>ein</strong><br />

Weib! Wag´s nicht, mich zu verraten!<br />

Klymene<br />

Vor m<strong>ein</strong>em eigenen Unheil ist mir doch nicht<br />

bange! S<strong>ein</strong> Leben ist´s, worum ich zitt´re!


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Odä<br />

Du raubst mir m<strong>ein</strong>e Liebe und <strong>ein</strong> neues Leben!<br />

Klymene<br />

Wenn du ihn liebst, so gib ihn auf – noch jetzt –<br />

noch hier!<br />

Odä<br />

Auch wenn ich müsste: Ich kann nicht!<br />

Klymene<br />

Schenk´ mir den Sohn – schenk´ mir auch die<br />

Tränen <strong>ein</strong>er Freundin!<br />

Odä<br />

Du ahnst nicht, was du willst! Du forderst<br />

Treuebruch und unnennbaren Jammer! Mit<br />

welchen Werten wiegst du´s auf?<br />

Klymene<br />

Mit <strong>ein</strong>em menschlich langen Leben m<strong>ein</strong>es<br />

Sohnes, im Arme <strong>ein</strong>er Sterblichen, nichts mehr<br />

– nichts weniger!<br />

Odä<br />

Klymene, weißt du denn immer noch nicht, dass<br />

es unausschöpfliche Dinge gibt, für die <strong>ein</strong><br />

langes Leben zu kurz ist?<br />

Klymene<br />

(jammernd)<br />

Du kennst die Neigungen der Lichtgeborenen zu<br />

gut! Du hast es schon zu weit getrieben, fürchte<br />

ich, so dass er dir nicht mehr entgegen kann!<br />

(Odä senkt schweigend das Haupt)<br />

So ist es schon geschehen? Er war heut´ nacht<br />

bei dir?<br />

(Odä nickt)<br />

So muss er fort von hier. Und du, versprich mir<br />

abzuwarten, bis s<strong>ein</strong>e Glut sich abgekühlt hat! –<br />

Du wirst ihm nicht mehr dorthin folgen?<br />

Odä<br />

(mit den Tränen kämpfend)<br />

Und wenn´s m<strong>ein</strong> Unglück ist: Ich folg´ ihm<br />

dorthin nicht!<br />

Klymene<br />

Hoffst du nicht, er werde, entflammt für dich wie<br />

diese Nacht, auf d<strong>ein</strong>e Umarmung warten, sobald<br />

er zurück ist?<br />

(Odä sieht zur Seite)<br />

Dacht´ ich´s doch! Wie leicht du doch zu erraten<br />

bist! Du könntest in mir sogar Mitleid erregen.<br />

Odä<br />

(ihr Gesicht verbergend)<br />

Ich bin bestimmt, durch <strong>Phaethon</strong> gut zu s<strong>ein</strong>. Du<br />

nimmst mir m<strong>ein</strong>e Seligkeit, du harte Törin –<br />

nichts weniger als dies!<br />

Klymene<br />

- Durch <strong>Phaethon</strong> gut? Das allerdings wusste ich<br />

nicht. Was heißt das? Bist du dadurch anders?<br />

Odä<br />

Du ringst um d<strong>ein</strong>en Sohn und weißt nicht, wer<br />

er ist?<br />

Klymene<br />

Du redest sonderbar. Was m<strong>ein</strong>st du – sag´ es<br />

mir!<br />

(Odä schüttelt das Haupt)<br />

Bin ich´s nicht wert? Ich bin doch s<strong>ein</strong>e Mutter!<br />

Odä<br />

Du wirst die frisch gegrab´ne Quelle frevelnd zu,<br />

Klymene – warum begreifst du das denn nicht?!<br />

Klymene<br />

Weil ich die Welt, die <strong>Phaethon</strong>s Jugend steuert,<br />

mit s<strong>ein</strong>en Augen sehe, nicht mit d<strong>ein</strong>en! Was<br />

dich gleichgültig lassen könnte, dürfte ihn bereits<br />

zerstören, denkst du nicht?<br />

Odä<br />

D<strong>ein</strong> Blick ist menschlich wohl geschärft, aber<br />

d<strong>ein</strong> Herz ist <strong>ein</strong>e Falle.<br />

Klymene<br />

Lass´ uns doch Einigung darin erstreben, dass ich<br />

uns <strong>Phaethon</strong> für geraume Zeit fortschicke.<br />

Kommt er wieder, wie er gegangen, nun, bei<br />

Helios, gehört er s<strong>ein</strong>em Unglück. Sonst aber –<br />

und ich prüfe s<strong>ein</strong> Herz genau! – betrittst du<br />

niemals wieder s<strong>ein</strong>e Lebensnähe!<br />

Odä<br />

Nur so darf ich noch hoffen?<br />

Klymene<br />

Es geht all<strong>ein</strong> zu d<strong>ein</strong>en Lasten, wenn hier etwas<br />

geschieht, was ihn unglücklich machen sollte!<br />

Odä<br />

Dann rede ich noch jetzt mit ihm!<br />

Klymene<br />

Nicht <strong>ein</strong> Wort mehr! Willst du das ganze<br />

verschlimmern? – N<strong>ein</strong>, fürchte nichts: S<strong>ein</strong>e<br />

Schwestern, s<strong>ein</strong> Freund und ich werden uns um<br />

ihn kümmern.<br />

Odä<br />

(im Widerstreit ihrer Gefühle, endlich zu<br />

Klymene)<br />

Die Grenzen sind im Fluss: Alles ist im Wandel<br />

begriffen. Wo nicht, war s<strong>ein</strong> Leben umsonst! –<br />

Du hältst das Lichtgewohnte nicht im Schatten:<br />

Du musst es erst auslöschen!<br />

(Sie wendet sich und geht; auch Klymene geht,<br />

sinnend, zum Hause zurück)


www.grabbe-contacts.conne.net 38<br />

Dritter Auftritt<br />

(<strong>Phaethon</strong> kommt Klymene entgegen; sie kehren<br />

beide in die Mitte der Szene zurück.)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ist es nun Zufall, ist es höhere Fügung? Dich<br />

suchte ich, Mutter, und finde dich auf´s erste<br />

schon hier!<br />

(Sie küssen <strong>ein</strong>ander die Wange)<br />

Klymene<br />

Ja, du deutest insgeheim richtig: Ich bin in<br />

Sorge!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mich dagegen versieht das Glück mit Flügeln an<br />

den Füßen. Ich muss dir´s gleich sagen, Mutter:<br />

Ich liebe Odä!<br />

Klymene<br />

Du bist – so lauter ist d<strong>ein</strong> Herz – k<strong>ein</strong> Mann der<br />

f<strong>ein</strong>en Gespinste. So bin auch ich offen: Ich hab´<br />

es gerade auch erfahren.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mutter, du verwirrst mich!<br />

Klymene<br />

Sie war hierher zurückgekommen, um mich<br />

rufen zu lassen. Und sie hat es mir gestanden,<br />

dass ihr euch in dieser Nacht –<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

- im Brautbett umarmten – ja, Mutter!<br />

Klymene<br />

Schien dir die Zeit des Prüfens schon zu lange?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie ist wie ich: Ich weiß ja auch nicht, woher sie<br />

kommt, aber ihr Wesen ist so ohne Falsch, so<br />

licht ...!<br />

Klymene<br />

Und doch vielleicht <strong>ein</strong> wenig leichter als<br />

d<strong>ein</strong>es? Woher willst du wissen, dass du der erste<br />

und <strong>ein</strong>zige bist, der ihr Leben bestimmt?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nun, dass ich nicht der erste bin, bestreitet sie ja<br />

nicht. Doch sagte sie mir frei, dass ich ersehen<br />

sei, ihr Leben neu zu formen. Warum? Sie weiß<br />

es auch nicht.<br />

Klymene<br />

So redete sie auch zu mir. Was kann sie damit<br />

wollen? Nun gut: Es mag die Wahrheit s<strong>ein</strong>. –<br />

Du liebtest sie in dieser Nacht in allem?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

In allem, was die Liebe noch übrig gelassen<br />

hatte, die mir aus den Augen sprach, seit ich sie<br />

das erstemal sah, und mir im Herzen brannte -–<br />

und diese Nacht war die Vollendung.<br />

Klymene<br />

War´s nicht auch Erfüllung?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mutter! Hoffst du auf <strong>ein</strong> Ende – wenn auch <strong>ein</strong><br />

glückliches – wo ich vom Beginn träume? Das<br />

Ende hiervon kann nur schrecklich s<strong>ein</strong>!<br />

Klymene<br />

Lass´ gut s<strong>ein</strong>, liebster <strong>Phaethon</strong>! Du bist mir<br />

<strong>ein</strong>zig verblieben, dass du´s weißt: Auch mir war<br />

jene Nacht mit Helios, d<strong>ein</strong>em Vater, Erfüllung!<br />

Danach begehrte ich k<strong>ein</strong>en Mann wieder. Er<br />

hätte mich nur verletzen können.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du sprichst wie im Vergleich: Als wäre Odä <strong>ein</strong>e<br />

Göttin!<br />

Klymene<br />

Dünkt uns das Liebste – die Liebste nicht <strong>ein</strong>e<br />

Göttin für die <strong>ein</strong>e Nacht, und stiehlt das Altern<br />

uns nicht später so manche unsterblich<br />

anmutende Hoffnung?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Den Kummer such´ ich nicht! Ich will m<strong>ein</strong><br />

kostbares Glück in Händen wissen, in m<strong>ein</strong>en<br />

Händen, um ihre Glieder, ihre Brüste<br />

umschmeichelt zu wissen, Mutter. Wer verbietet<br />

das?<br />

Klymene<br />

K<strong>ein</strong> Sterblicher soll dir jemals diese Glück<br />

neiden, wenn du es für dich behältst. – Doch jetzt<br />

<strong>ein</strong> dringendes Geschäft: Willst du mit <strong>ein</strong>er<br />

teuren Botschaft, mit <strong>ein</strong>em Brief zu guten<br />

Freunden reisen? Es wird über <strong>ein</strong>e Woche<br />

dauern, auch länger, wenn es dir gefällt. Ein<br />

Freund des Vaters lebt mit s<strong>ein</strong>en Kindern in<br />

ländliche Stille hinter schwer zugänglichen<br />

Pässen. Es braucht den Boten, braucht den Mann.<br />

Willst du mir diese Liebe tun?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Oh, Mutter, du vertraust mir solche Botschaft<br />

an? Sieh, ich bin jung, unerfahren – ich zögere ja<br />

nicht, aber all<strong>ein</strong>?<br />

Klymene<br />

Ich habe schon an Philos gedacht und werde ihn<br />

bitten, sobald er kommt. Wie ich ihn kenne, leiht<br />

er uns den Arm, das Schwert, den klugen Sinn<br />

und s<strong>ein</strong>e unbeugsame Treue gern.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(abseitig)<br />

Für <strong>ein</strong>e Woche! Ist das lange für Menschen, die<br />

sich lieb haben?


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Klymene<br />

Sie hat gelobt, hier auf dich zu warten. Wie du<br />

zurückkommst, ist sie schon bei dir!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dann will ich gleich alle Vorbereitungen treffen.<br />

Sag´ Odä, dass ich mich beeilen werde. Ich will<br />

so schnell zurückkehren, wie es Weg und<br />

Witterung erlauben.<br />

Klymene<br />

(auf Stimmen lauschend vom Hause her)<br />

Schon recht!<br />

(<strong>Phaethon</strong> ab)<br />

Vierter Auftritt<br />

(Philos tritt auf)<br />

Philos<br />

Grüß dich, Klymene! Mutter m<strong>ein</strong>es Freundes<br />

<strong>Phaethon</strong>!<br />

Klymene<br />

Warum so förmlich? Verzeih mir die Eile, aber<br />

sie ist geboten!<br />

Philos<br />

Zu helfen komm´ ich gern!<br />

Klymene<br />

Es handelt sich um <strong>Phaethon</strong>. Er rüstet sich<br />

soeben in hast, für mich <strong>ein</strong>e Botschaft weit von<br />

hier dem Freundes s<strong>ein</strong>es Vaters zu überbringen.<br />

All<strong>ein</strong> wagt er die Reise noch nicht. Willst du ihn<br />

begleiten, Philos?<br />

Philos<br />

Ich brenne schon darauf!<br />

Klymene<br />

Dann versorge auch du dich sogleich durch<br />

m<strong>ein</strong>e Dienerschaft mit allem, was du nötig hast:<br />

Du sollst noch mehr erhalten, als du fordern<br />

magst.<br />

Philos<br />

Nicht der Inhalt der Botschaft macht die Reise so<br />

dringend - ?<br />

Klymene<br />

Was denkst du? Forderst du –<br />

Philos<br />

O n<strong>ein</strong>, Klymene – so deutest du mich falsch!<br />

Klymene<br />

Du ahnst doch <strong>ein</strong>e – List, nicht wahr? – Ja,<br />

Philos, ich kann und darf dich nicht belügen:<br />

<strong>Phaethon</strong> muss so schnell wie irgend denkbar<br />

von hier weg!<br />

Philos<br />

Weiß ich den Grund, könnte ich die Medizin, die<br />

du schon mischtest, mit Bedacht verabreichen.<br />

Wovon willst du ihn heilen?<br />

Klymene<br />

Ich sehe wenig Hoffnung: Er ist verliebt, wo er<br />

nicht lieben durfte!<br />

Philos<br />

Er tat Verruchtes? N<strong>ein</strong>, das glaub´ ich nicht!<br />

Klymene<br />

So sagt´ ich nicht! N<strong>ein</strong>, er liebt Odä.<br />

Philos<br />

Sie war – zu Gast? – Wohl gar gegen ihren<br />

Willen? Auch dies kann niemals s<strong>ein</strong>!<br />

Klymene<br />

Dass er sie liebt, ist wohl nicht so gefährlich wie<br />

die Entdeckung, die ich fürchte.<br />

Philos<br />

So weißt du mehr als er?<br />

Klymene<br />

Natürlich! Aber auch dir darf ich nichts<br />

offenbaren. An m<strong>ein</strong> Wort bin ich gebunden,<br />

aber ich kann noch diesen Ausweg wählen.<br />

Gelingt es dir nun, <strong>Phaethon</strong> für <strong>ein</strong>e jener<br />

schönen Töchter zu gewinnen, deren Vater euch<br />

langfristige Gastfreundschaft gewähren wird, so<br />

könnte die Gefahr gebannt s<strong>ein</strong>. Denn m<strong>ein</strong> Sohn<br />

ist Sterblicher wie du.<br />

Philos<br />

Heißt das, Odä ist <strong>ein</strong>e -?<br />

Klymene<br />

Dies ist die Wahrheit!<br />

Philos<br />

Oh Götter!<br />

(Er verbirgt s<strong>ein</strong> Angesicht)<br />

Nur Spielball also ihrer Launen!<br />

Klymene<br />

Das eben glaub´ ich wieder nicht!<br />

Philos<br />

Du m<strong>ein</strong>st, sie handelt ernst?<br />

Klymene<br />

Sie ist bereit, die Bindung durchzusetzen. – M<strong>ein</strong><br />

Sohn: Gespött des Olymps – ich will es nicht<br />

ertragen müssen! – Hör, Philos: Mach <strong>ein</strong> Ende –<br />

hilf ihm! <strong>Phaethon</strong> hat das Menschlichste<br />

verdient. Es ist genug, dass ihn <strong>ein</strong> Gott gezeugt!<br />

Philos<br />

(bestürzt)<br />

Edle Mutter, ja, ich will ihm helfen!


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Klymene<br />

Lass´ dir die Stirne küssen!<br />

(Es geschieht)<br />

Zelot<br />

Man sagt, er sei dem Licht verwandt.<br />

Philos<br />

Du ehrst mich wie d<strong>ein</strong>en eigenen Sohn!<br />

(Beide merken auf: Es treten die Geführten des<br />

<strong>Phaethon</strong> in den Garten)<br />

Fünfter Auftritt<br />

Klymene<br />

So unverhofft am Morgen? Ich grüße euch!<br />

Philotinos<br />

Wir danken dir für d<strong>ein</strong>en Gruß – auch euch –<br />

auch Philos, unserem seltsamen Gefährten!<br />

Philos<br />

Zuerst selten, jetzt seltsam – was fehlt euch noch<br />

an mir?<br />

Eines jeden Geschäft fordert den Handelnden an<br />

den richtigen Platz, nicht wahr?<br />

Pleon<br />

Hoffentlich bringt er jedem das <strong>ein</strong>, was er<br />

verdient hat!<br />

Philos<br />

Nun, Pleon, ich nehme euch so leicht nichts weg.<br />

Anphit<br />

Im Gegenteil: Man spürt, was dir an uns nicht<br />

gefällt, und das wirfst du achtlos hin.<br />

Philos<br />

So dünk´ ich euch? Das tut mir leid!<br />

Anphit<br />

Damit noch nicht genug, enthältst du uns den<br />

Freund <strong>Phaethon</strong> vor. Wir vermissen ihn sehr!<br />

Philos<br />

Als ihn ihn das letztemal sprachet, kam er sich<br />

k<strong>ein</strong>eswegs wie das Salz in der Suppe vor.<br />

Philotinos<br />

Er ist <strong>ein</strong> edler Mann, und der Umgang mit ihm<br />

veredelt auch unser leichtes Gemüt, sollte man<br />

m<strong>ein</strong>en.<br />

Klymene<br />

Du sprichst m<strong>ein</strong>em Sohne großes Lob aus.<br />

Philotinos<br />

Doch, in der Tat, er ist <strong>ein</strong> würdiger Sohn d<strong>ein</strong>es<br />

Mannes.<br />

Klymene<br />

Ihr tut auch mir Ehre an. Habt ihr <strong>ein</strong>en<br />

besonderen Grund?<br />

Klymene<br />

Der Mensch ist im allgem<strong>ein</strong>en k<strong>ein</strong> Maulwurf,<br />

der die Finsternis lieben muss – soweit hast du<br />

recht. Aber das, denke ich, sollte doch die<br />

Eigenschaft aller aufrechten, ehrlichen Männer<br />

s<strong>ein</strong>!<br />

Pleon<br />

Da ist <strong>ein</strong> Unterschied, ob jemand von Hause aus<br />

mit <strong>ein</strong>er Laterne oder mit der Sonne ausgestattet<br />

ist.<br />

Zelot<br />

Ein Vorrecht der Geburt außerdem, wenn der<br />

Vater über <strong>ein</strong>en Einfluss verfügt, der nichts<br />

verborgen lässt und damit dem Sohne alle Tore<br />

öffnet, um ihn zum Edelsten, R<strong>ein</strong>sten, Lautersten<br />

ausrufen zu lassen!<br />

Anphit<br />

Und wir Narren hatten geglaubt, er sei aus sich<br />

selbst schon fast <strong>ein</strong> Heiliger!<br />

Klymene<br />

Was bedeuten diese Erkenntnisse – diese<br />

Anschuldigungen?<br />

Apolausis<br />

Anfangs kamen wir, um uns an der<br />

Jungfräulichkeit s<strong>ein</strong>er Schwestern zu ergötzen.<br />

Aber dann stellten wir fest, dass es ja in d<strong>ein</strong>em<br />

Hause, edle Klymene, k<strong>ein</strong>e Menschen mehr gibt<br />

– nur unantastbare Heiligtümer, und dass man<br />

besonders den Bettlern die Tür weist. Nun<br />

verstehen wir d<strong>ein</strong>e gemessene Gastfreundschaft<br />

etwas tiefer, nicht wahr, Genossen?<br />

Klymene<br />

Ihr zweifelt an m<strong>ein</strong>em Hause?<br />

Anphit<br />

Nicht doch! Aber wir halten es für verständlich,<br />

dass man den niederen Kreaturen weniger<br />

Beachtung schenkt, wenn man mit den Göttern<br />

so eng verwandt ist. Was ist denn schon dabei?<br />

Ist es nicht sogar sehr menschlich, Fehler zu<br />

begehen?<br />

Philos<br />

Freund, zähme d<strong>ein</strong>en Spott! Dies ist gegen die<br />

Gastlichkeit dieses Hauses! Aber ihr hofftet, <strong>ein</strong><br />

feiles Weib – <strong>ein</strong>em jeden <strong>ein</strong>es – zu ergattern,<br />

und dabei klopften sie euch auf die<br />

ausgestreckten Krallen, was? So nehmt ihr Urteil<br />

getrost an und sucht euch anderswo Gelegenheit,<br />

statt das Ohr <strong>ein</strong>er vornehmen Frau mit eurem<br />

neidischen Gezänk zu beleidigen!


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Anphit<br />

Willst du mich fordern?<br />

Klymene<br />

Halt! K<strong>ein</strong> blankes Schwert in m<strong>ein</strong>em Garten<br />

ohne m<strong>ein</strong>e Befugnis! Sagt, was ihr wollt, dann<br />

geht!<br />

Anphit<br />

Verzeih – der Gimpel forderte mich zum Zorn.<br />

Aber ja – was wollten wir? Wir hätten gern den<br />

teuren Sohn gesprochen!<br />

Zelot<br />

Ja, teuer ist er uns gewesen. Nun sind wir ihm zu<br />

billig, so dass er uns nicht mehr sehen will?<br />

Klymene<br />

An s<strong>ein</strong>em Charakter hat bislang niemand<br />

Zweifel erhoben. Ihr seid die ersten. Ich selbst<br />

werde <strong>Phaethon</strong> holen. Doch wehe dem, der<br />

s<strong>ein</strong>e Waffe zückt im Zorn! In m<strong>ein</strong>em Garten<br />

wird k<strong>ein</strong> Blut vergossen!<br />

Pleon<br />

Schätzt du uns <strong>ein</strong> wie Räuber oder Mörder?<br />

Klymene<br />

M<strong>ein</strong> Urteil ist euch aufgehoben, bis dies hier<br />

vorüber ist. Doch wenn ich´s fälle, seid darauf<br />

gefasst, wie es euch ereilt!<br />

Zelot<br />

Das war unmissverständlich! Nun, wir beugen<br />

uns der lichten Macht!<br />

(Gelächter der fünf)<br />

(Klymene, zweifelnd, unschlüssig ab; ihr<br />

entgegen kommt bereits <strong>Phaethon</strong>, und Mutter<br />

und Sohn wechseln leise Worte.<br />

<strong>Phaethon</strong> küsst die Fortgehende, dann kommt er<br />

heran)<br />

Sechster Auftritt<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Grüß euch, Genossen!<br />

(Die fünf in übertriebener Ehrerbietung,<br />

zusammen)<br />

Die Genossen<br />

Gegrüßet seist du, Sohn des Helios!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ach, das ist´s, was euch juckt ...? Beleidigt ihr<br />

darum die Mutter? Wo sind die angelernten<br />

vornehmen Sitten? Kneift euch der schwarze<br />

Hass die Sonnenstrahlen ab? Nun, wollt ihr mich<br />

verhöhnen, wie? – Ach, Freunde, trinkt mit uns<br />

wie altgewohnt den Becher in heiterer Runde –<br />

mehr nicht! Was wollt ihr noch?<br />

Zelot<br />

Wie – das errätst du immer noch nicht? Wir<br />

wollen dir huldigen, dir die Knie umfangen, dich<br />

bitten, uns bei den Kampfspielen den Sieg vom<br />

Throne d<strong>ein</strong>es Vaters zu erbitten! Wir ehren<br />

dich, wir wollen jetzt von dir lernen, wie man<br />

Helios verehrt, wenn man verschwitzt im<br />

Schatten dörrt und flucht!<br />

(Gelächter der fünf)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Das wollt ihr wissen?<br />

Zelot<br />

Ja, erhab´ner Meister! Sagst du´s uns?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Warum denn nicht? Ei, geht doch selbst zur<br />

Sonnenburg des Gottes Helios, erfragt bei ihm,<br />

wie man die allgefällige Demut lernt! Denn was<br />

ich euch zu sagen hatte, habt ihr mir seit jeher<br />

verübelt und als unbequem oder knechtisch<br />

verhöhnt. Nun fragt ihr mich als Sohn des<br />

Gottes, aber habe ich ihn vorher gefragt? Ich<br />

weiß es, was ich weiß, aus m<strong>ein</strong>em Herzen, und<br />

m<strong>ein</strong>e Schwestern prüfen, ob es gut gesonnen ist.<br />

Von Helios weiß ich, wie ihr, von frommen<br />

Gerüchten. Das half mir wenig, und es wird auch<br />

euch nichts nützen.<br />

Philotinos<br />

So denkst du nicht – das redet d<strong>ein</strong>e Zunge!<br />

Warum hängt sich Philos an dich wie <strong>ein</strong>e<br />

Klette? Was weiß – was ahnt er mehr als wir?<br />

Apolausis<br />

Hast du nicht bei manchem Gastmahl von<br />

unserer Tafel ohne Murren alle Genüsse<br />

bekommen? Vergisst du d<strong>ein</strong>e Freunde so<br />

schnell, dass du dich nicht <strong>ein</strong>mal scheust, sie<br />

dem Geschwätz unerzogener Weiber auszusetzen?<br />

N<strong>ein</strong>, du hast die Hand geschlagen, die<br />

dir den W<strong>ein</strong>kelch darreichte, und d<strong>ein</strong>e Ohren<br />

verstopftest du vor dem freundlichen Gesang<br />

d<strong>ein</strong>er Freunde. Du bist <strong>ein</strong> Verräter der Tafel,<br />

der Sitten und Gebräuche d<strong>ein</strong>es Volkes, und du<br />

hast sogar geduldet, dass man zwei ehrfürchtig<br />

Bittende mit dem Schwerte aus dem Hause<br />

d<strong>ein</strong>er Mutter vertrieben hat. Pfui, <strong>Phaethon</strong>,<br />

Helios´ Sohn! Zeige uns durch <strong>ein</strong>e veränderte<br />

Lebensart, dass wir Unrecht haben sollen, sonst<br />

machen wir dich zum Gespött ganz<br />

Griechenlands!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(nach <strong>ein</strong>igem Besinnen)<br />

Es nützt wohl nichts, wenn ich den Sachverhalt<br />

richtig stelle und den Missverständnissen<br />

entgegentrete. Ihr wollt ja nicht verstehen,<br />

sondern ihr wollt Rache! Ihr stellt mir<br />

Forderungen? -–Gut denn: Auch ich werde<br />

<strong>ein</strong>em jeden von euch den Weg weisen, den er


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durch s<strong>ein</strong> Herz zu gehen gezwungen ist. Wenn<br />

ich dann fertig bin, geht ruhig und ungekränkt<br />

fort, wenn ihr´s überhaupt fertig bringt, und lasst<br />

uns unserer Wege ziehen. Denn ich verlasse<br />

diesen Ort noch heute.<br />

Anphit<br />

- gehst fort? Wohin?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich gehe in gewichtiger Botschaft m<strong>ein</strong>er Mutter.<br />

Es hat mit euch zwar nichts zu tun, aber ihr habt<br />

mir den Abschied sehr leicht gemacht.<br />

Zelot<br />

Ach, armer <strong>Phaethon</strong>! Bist du so gekränkt?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wenn du mich so fragst: nicht mehr!<br />

Zelot<br />

Was ärgert dich denn an mir?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wo je sich <strong>ein</strong>e Gem<strong>ein</strong>schaft findet, Zelot, wird<br />

es dich geben! In jeder Gruppe findet sich <strong>ein</strong><br />

Liebling aller -–und schon trittst du aus dem<br />

Heiligtum der Freundschaft und schlägst dich ins<br />

Dickicht d<strong>ein</strong>es Neides, d<strong>ein</strong>er Missgunst, d<strong>ein</strong>er<br />

Eifersucht! Sie lassen k<strong>ein</strong>e Freundschaft<br />

ungeschoren; von allem willst du ja nur den<br />

innersten Teil für dich, und ohne Erbarmen stürzt<br />

du die Freunde ins Verderben, wenn du nur den<br />

Preis bekommst, Liebling des Vornehmsten zu<br />

s<strong>ein</strong>. Aber du verlierst nicht nur diesen Gönner,<br />

sondern alle. Überall wirst du ahne Anker<br />

verweilen, du bist heimatlos und ohne Wohltaten<br />

der Liebe, die du so mit Füßen getreten hast.<br />

Pleon<br />

Hei, Zelot, hat er´s dir gegeben?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du hoffst, Pleon, dass ich ihn vernichten könnte,<br />

damit du s<strong>ein</strong>en Beuteanteil mitbekommst? Aber<br />

du bist von allen der Unverschämteste! Was du<br />

erblickst, muss dir gehören. Aber ohne den Wert<br />

des Geraubten überhaupt zu erkennen, häufst du<br />

ihn zum Gefühl, Sieger zu s<strong>ein</strong>. Du willst nicht<br />

m<strong>ein</strong>e Freundschaft, sondern m<strong>ein</strong>es Lebens<br />

Äußeres, du hoffst auf Glanz, der auch für dich<br />

noch reiche. D<strong>ein</strong>e lüsternen Augen lieben den<br />

Reichtum, ohne damit sinnvoll wirtschaften zu<br />

wollen. Aus d<strong>ein</strong>en Händen sprießt k<strong>ein</strong>e<br />

Wohltat, sondern Armut, Elend und Schrecken.<br />

Apolausis<br />

Das kannst du mir gewiss nicht nachsagen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Unter den fünf angesehensten Söhnen dieser<br />

Stadt hier bist du, Apolausis, das erbärmlichste<br />

Wesen! – Halte die Hand vom Dolche: Dich will<br />

ich nicht zu Tode treffen, sondern dir nur d<strong>ein</strong>e<br />

Maske abreißen. Du bist <strong>ein</strong> Mensch ohne<br />

Bindung zu jeder Lehre der Sittlichkeit. Dir zählt<br />

der Vorteil nur die augenblicklichen Genüsse,<br />

nur die Befriedigung d<strong>ein</strong>er Begierden in den<br />

Schoß, und niemand kann dich lehren, sie<br />

geringer zu achten als das Wahrhaftige d<strong>ein</strong>er<br />

Seele, das du zu ersticken dich täglich mühst!<br />

Schön bist du von Hause aus – aber die Laster<br />

werden die Folgen d<strong>ein</strong>er Wollust in d<strong>ein</strong>en<br />

Zügen schonungslos offenbaren. Du hast den<br />

Vorzug, jung zu s<strong>ein</strong>, längst verschleudert, und<br />

man wird sich später voller Grauen von dir<br />

abwenden. Du kannst mich dauern, Apolausis!<br />

Philotinos<br />

Ist dies alles, was du uns zu sagen hast?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wenn ihr mir´s widerlegen könnt, so mögt ihr<br />

jetzt reden. Wenn nicht, so geht. Ich will mit<br />

Anphit noch <strong>ein</strong> Letztes klären. Verzeiht, wenn<br />

ich euch bitten muss, mich mit ihm all<strong>ein</strong> zu<br />

lassen.<br />

Zelot<br />

Du hast uns hart verklagt!<br />

Pleon<br />

Einer gegen fünf: Denkst du, unserer Rache zu<br />

entgehen?<br />

Apolausis<br />

Nichts teile ich mit dir!<br />

Philotinos<br />

Du wirst d<strong>ein</strong> Urteil noch bereuen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mit Groll auf immer mögt ihr mich verlassen?<br />

Bin ich denn fehlerfrei? Aber ihr habt mich<br />

herausgefordert, und ich habe euch pariert. Seid<br />

ihr so schlechte Verlierer? Sagt wenigstens<br />

Lebewohl!<br />

(Die vier gehen stumm und ohne Zeichen des<br />

Abschieds)<br />

Anphit<br />

Zur Sache denn! Dass du in Philos jenen Freund<br />

gefunden hast, der diese hässlichen Charaktere<br />

nicht in sich ver<strong>ein</strong>igt, weiß ich nun. Dennoch<br />

bin ich nicht sicher, ob er ihr Gegenteil<br />

verkörpert. Du kennst ihn weniger als uns. Mit<br />

uns bist du aufgewachsen, mit ihm erst seit<br />

wenigen Tagen befreundet.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich weiß! Aber m<strong>ein</strong> herz sagt mir, was ich<br />

wissen muss. Ich bin mir völlig sicher.


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Anphit<br />

Sagst du das nun als Helios´ Sohn?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Hab´ ich mich verändert, seit es mir m<strong>ein</strong>e<br />

Mutter gestern gesagt hat?<br />

Anphit<br />

Wusstest du nichts – all die Jahre nichts?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Bei m<strong>ein</strong>em Vater – n<strong>ein</strong>!<br />

(lächelnd)<br />

Anphit<br />

Zwar hast du dich in nichts geändert – du hast –<br />

die Brücken d<strong>ein</strong>er Kindheit soeben <strong>ein</strong>gerissen,<br />

ja, das ist anders und neu. Aber das kann auch<br />

verborgene Gründe haben. Ich hörte, du habest<br />

<strong>ein</strong>e Geliebte gefunden?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Auf dem Dorfe bleibt wohl nichts geheim? –<br />

Aber es tut nichts zur Sache!<br />

Anphit<br />

Vielleicht doch? M<strong>ein</strong>st du nicht, dass dich das<br />

zum Manne hat reifen lassen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So über Nacht? Das glaub´ ich nicht.<br />

Anphit<br />

Dir mag es selber nicht auffallen, aber Philos<br />

kann bestätigen, was ich sehe.<br />

Philos<br />

Du wirkst entschlossener, auch wagemutiger.<br />

Das liegt sicher am Ausmaß d<strong>ein</strong>er<br />

Verantwortung, <strong>Phaethon</strong>.<br />

Wie?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos<br />

Dir wurde zweierlei bewusst: Du bist, das weißt<br />

du erst seit gestern abend, der Sohn Helios´, und<br />

alles andere, was daraus folgen muss, ist dir<br />

sofort klargeworden. Noch in der gleichen Nacht<br />

hast du dich für jenes Mädchen entschieden. S<strong>ein</strong><br />

Name tut nichts zur Sache, aber du hast dich<br />

gebunden, und die Folgen, die daraus für dich zu<br />

ziehen sind, machen dich reifer und <strong>ein</strong>samer.<br />

Anphit<br />

In der Tat bekommen die Dinge <strong>ein</strong> anderes<br />

Gewicht.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Vielleicht habt ihr beide recht. Stärker denn je<br />

spüre ich m<strong>ein</strong>en Lebensauftrag, <strong>ein</strong>e Botschaft<br />

an die Mitmenschen, so unbedingt, unbeirrbar, so<br />

ohne Kompromisse, dass es mir k<strong>ein</strong>e Zeit mehr<br />

zu lassen sch<strong>ein</strong>t, unter wohlm<strong>ein</strong>enden<br />

Menschen Anker zu werfen. Die ich bei mir<br />

habe, muss ich wohl an mich flehen, aber Macht,<br />

sie zu halten, empfinde ich heute weniger denn<br />

je.<br />

Anphit<br />

Ist das <strong>ein</strong> Wunder? Vorher warst du <strong>ein</strong><br />

merkwürdiger Kauz, <strong>ein</strong> frühreifer Sonderling,<br />

aber gern gelitten, weil d<strong>ein</strong> Wesen offenherzig<br />

und leutselig war. Jetzt brichst du beliebig<br />

Freundschaften, beschwörst Zwist herauf,<br />

sonderst dich gegen das unbeschwerte Drauflos<br />

erst recht ab -: Alles an dir ist uns unheimlich<br />

geworden.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos, bin ich so böse?<br />

Philos<br />

Natürlich nicht! Was er m<strong>ein</strong>t, ist das<br />

Endgültige, was jetzt d<strong>ein</strong>em Handeln zu Grunde<br />

liegt. Alles hat den Ansch<strong>ein</strong> des Einmaligen,<br />

Unwiederholbaren gewonnen. So offen war es<br />

sonst bei dir nicht zu bemerken, obwohl d<strong>ein</strong>e<br />

Anlagen dich dahin gedrängt haben mögen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du hast recht, Philos: Mir selbst ist zu Mute, als<br />

hätte dies alles schon viel eher geschehen<br />

müssen. Mich reut auch nicht! Ich bin erleichtert,<br />

sogar befreit, wenn du willst.<br />

Anphit<br />

Nun, und wofür willst du tatsächlich leben?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wo mir Verantwortung übertragen wird, will ich<br />

das Menschliche im Menschen in Kraft setzen.<br />

Ich fühle das Leben, wo es Liebe ist. Dort ist es<br />

menschlich, ohne Berechnung gegen jedermann.<br />

Dorthin zieht es mich.<br />

Anphit<br />

Was ist der Mensch?! Ein verbindendes Glied<br />

zwischen Lüge und Wunsch, zwischen Schöntun<br />

und der Fratze der Verbohrtheit! Hast du<br />

Freunde, sei auf der Hut: Über Nacht sind sie<br />

d<strong>ein</strong>e ärgsten F<strong>ein</strong>de, wenn du ihnen k<strong>ein</strong>en<br />

Vorteil mehr verschaffst. Je hilfloser du um ihre<br />

Liebe ringst, desto fröhlicher schlagen sie auf<br />

dich <strong>ein</strong>. Für sie gibt es nichts, was weh tut –<br />

außer ihnen! Und fragst du nach Gründen? Sie<br />

verbrettern jeden Durchblick nach innen,<br />

schweigen! Hundert Kerzen reichen nicht aus,<br />

um sich in ihrem dunklen Seelenlabyrinth<br />

zurechtzufinden. Darum ist m<strong>ein</strong>e erfolgreichste<br />

Waffe der beständige Zweifel – ihn halte ich<br />

wach wie <strong>ein</strong>en Hofhund! Denn steckt nicht in<br />

allem, was man uns angeblich Gutes tun möchte,<br />

der widerwärtige Keim des Handels? Mich ekelt


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vor <strong>ein</strong>er Menschheit, die um ihr Bestes noch<br />

hökert! Das ist der Grund, warum ich nicht mehr<br />

an das R<strong>ein</strong>e im Menschen glaube, weil ich es zu<br />

oft am Boden habe liegen sehen: <strong>ein</strong>e Maske, die<br />

man nicht mehr nötige hatte! Ob Gott -–ob<br />

Mensch: Weißt du überhaupt den Unterschied<br />

ihrer Willkür? Unser Kinderglaube ist in ihrer<br />

Schleuder des Hohns <strong>ein</strong> Kiesel, um die Vögel<br />

aus ihren Obstbäumen zu verscheuchen. In<br />

unserer frommen Vorstellung sind die Götter die<br />

stets Mächtigsten unter uns, die wir ja doch nicht<br />

kennen. Aber die Geschichte, die Zeit, die<br />

angeblich alles heilt, in Wahrheit aber nur <strong>ein</strong><br />

erbärmlich faulenden Kompromiss ist, rollt über<br />

die Schicksale <strong>ein</strong>zelner hinweg wie der<br />

Baumstamm über den Knecht, der ihn umschlug.<br />

Ist das vielleicht nicht gerecht?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mich schaudert vor dem, was dich führt!<br />

Anphit<br />

So kann ich alle Abgründe schauen, ohne dass<br />

mich schwindelt.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Darum bist du aber noch k<strong>ein</strong> Held der Götter!<br />

Anphit<br />

Helden? Wer macht sie? Sie sind Gaukler des<br />

Glückes, von <strong>ein</strong>iger Tüchtigkeit unterstützt.<br />

Man löscht sie aus. Na, und? Man erschlägt auch<br />

Ratten. Liegt der Unterschied nicht bloß in den<br />

Umständen des Mordens?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

N<strong>ein</strong>, Anphit, sondern im Ziel, das beide<br />

Kreaturen unterscheidet. Dem Guten, dem<br />

unverbrüchlich Edelmütigen, dem ewig<br />

Lebenswerten sich zu opfern, ist anders als<br />

<strong>ein</strong>em falsch ablaufenden Instinkt zu unterliegen.<br />

Anphit<br />

So schwärme du! Ich will mich vor dir retten.<br />

Denn die Gefahr, die du ausströmst, benebelt mir<br />

bei Zeiten die klaren Gedanken. Du Narr glaubst<br />

an die edle Hand des Menschen auch dann noch,<br />

wenn sie schon zum tödlichen Hieb ausholt.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So geh - leb´ wohl! Ich kann nicht anders enden!<br />

Anphit<br />

(ihm die Hand reichend, ihn fest ansehend):<br />

Wenn ich nur wüsste, wer du wirklich bist!<br />

(Er geht)<br />

Siebenter Auftritt<br />

(<strong>Phaethon</strong>, Philos; Klymene naht)<br />

Klymene<br />

Sind d<strong>ein</strong>e Freunde fort? Und warum im Groll?<br />

Gelang es euch wenigstens, sie bis zum<br />

Wiedersehen mit <strong>ein</strong>em freundlichen Lebewohl<br />

zu entlassen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Lange genug habe ich´s hingezögert. Heute<br />

musste es gesagt werden. Um Anphit tut´s mir<br />

leid: Er war <strong>ein</strong> beherzter Plauderer. Die anderen<br />

waren mir seit langem <strong>ein</strong>e Herzensplage.<br />

Klymene<br />

Du brichst – warum?<br />

Philos<br />

Verzeih, Klymene – sie forderten ihn heraus,<br />

s<strong>ein</strong>er Abkunft wegen. Da konnte es ihm nur<br />

noch darum gehen, sich die Neider und Spötter<br />

vom Halse zu schaffen.<br />

Klymene<br />

Sie konnten auch anders s<strong>ein</strong>: Ihr habt vergessen,<br />

dass sie die Söhne stolzer Eltern sind, die<br />

Nachkommen der Vornehmsten unserer Stadt.<br />

Ihr habt viel verspielt, und ich mit euch!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Der Einsatz war zu hoch, Mutter!<br />

Wie das?<br />

Klymene<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong> Vater gegen ihr Geschwätz?<br />

Klymene<br />

Ja, <strong>Phaethon</strong>, ja, ich ahnte, was kommen musste.<br />

Nun ist es allerorts heraus, und du hast dich zu<br />

wehren. – Es ist besser, dass du für längere Zeit<br />

wegbleibst.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du wusstest also, was sich hier ereignen würde?<br />

Klymene<br />

Das auch – vielleicht auch das – ja, an den<br />

Mienen las ich´s ab!<br />

Mutter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Klymene<br />

Fordere – du! – fordere mich nicht so!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Vergib! – Was ist der Brief so wichtig? Darf ich<br />

ihn wissen?<br />

Klymene<br />

(wie zerstreut)<br />

Lesen – warum? Vertraust du mir denn nicht?


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<strong>Phaethon</strong><br />

Ist er so wichtig, dass Gefahr für unser Leben<br />

droht, - dass man sich mühen wird, ihn abzufangen?<br />

Klymene<br />

N<strong>ein</strong>, n<strong>ein</strong>, so wichtig wahrhaft nicht!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Warum dann das Geheimnis?<br />

Klymene<br />

M<strong>ein</strong> Sohn, du bist so anders – n<strong>ein</strong>, du fragst<br />

nicht mehr, du forderst!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(bitter)<br />

Die <strong>ein</strong>e Nacht muss mich zum Mann gewandelt<br />

haben! Frag´ Philos, er versteht mich besser!<br />

Klymene<br />

Dass dies so ist, begreift auch d<strong>ein</strong>e Mutter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wenn ich die Reise mit dem liebsten Freunde<br />

unternehme und wir riskieren manchen Pfad, die<br />

Reise zu verkürzen, dann sag´ mir doch – sag´<br />

uns: Wofür das ganze Unternehmen?<br />

Klymene<br />

M<strong>ein</strong> Sohn, du weißt, du hast hier F<strong>ein</strong>de, seit du<br />

so offenherzig redest.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du batest mich, bevor ich morsche Brücken<br />

<strong>ein</strong>stürzen ließ!<br />

Klymene<br />

Hilf, Philos, er treibt mich in die Enge!<br />

Philos<br />

Da er so machtvoll in sich neues Leben in<br />

Verantwortung fühlt, solltest du ihm die<br />

Wahrheit nicht verschweigen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wahrheit – verschweigen? Nun, ist Schweigen<br />

Anmut, oder soll es <strong>ein</strong>e Waffe furchtbarer<br />

Zweifel werden, auf das Herz des Liebenden<br />

gezielt? – Ich sehe, Mutter, dass ich <strong>ein</strong>e List<br />

durchschaute! Das erstemal, dass du mich –<br />

hintergehen wolltest?<br />

Ja, Mutter, wie groß ist d<strong>ein</strong>e Liebe zu mir, dass<br />

du mir das antun möchtest?! Was willst du<br />

retten, dass du sogar m<strong>ein</strong>en Freund in d<strong>ein</strong>e<br />

Geheimnisse gezogen hast und unser Vertrauen<br />

stören musst? Was, liebste Mutter, fürchtest du?<br />

Philos<br />

Darf ich für sie antworten?<br />

Philos<br />

Sieh, <strong>Phaethon</strong> d<strong>ein</strong>e Mutter liebst du, d<strong>ein</strong>e<br />

Schwestern und nun auch mich. Welche Freude<br />

für alle, denen du d<strong>ein</strong> Vertrauen schenkst!<br />

Welch´ <strong>ein</strong>e Strafe für jene, die du fortgeschickt<br />

hast. Aber du hast in all<strong>ein</strong> d<strong>ein</strong>e Liebe nicht<br />

verloren, sondern sie ist wohlgebettet und trägt,<br />

auch beim Entferntesten, neue Früchte. Selbst<br />

Echo ist aus steter Schwermut zum Lächeln<br />

bereit – durch dich!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Und jetzt das Aber – ich bitte dich, Philos,<br />

mach´s kurz:<br />

Stoß zu!<br />

Philos<br />

Wenn du mich so forderst, senke ich m<strong>ein</strong>e<br />

Stimme zum Nichts. Ich will dich nicht<br />

umbringen, nicht verletzen, nicht enttäuschen!<br />

Ich will dich bitten - - für d<strong>ein</strong>e Mutter bittet dich<br />

d<strong>ein</strong> Freund!<br />

Was hat sie vor?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos<br />

Sie bittet dich um Aufschub, um Besinnung.<br />

Worin – wobei?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Philos<br />

Du quälst mich, wie du fragst! Sonst lobtet ihr<br />

die Rede Philons – aber heute stottere ich – es ist<br />

<strong>ein</strong> allzu schwerer Auftrag – Klymene – verzeih<br />

– so kann´s nicht gehen!<br />

Klymene<br />

So höre, Sohn, das Entsetzliche: Du darfst, du<br />

kannst es nicht! Du wirst Odä nicht lieben, nie<br />

gewinnen können! Frag´ nicht, warum: Ich darf´s<br />

dir nicht enthüllen. Du gibst sie auf – so bist du<br />

dem Leben hier gerettet. Sonst wirst du<br />

untergehen, während jene lebt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich – sie – aufgeben? M<strong>ein</strong>e F<strong>ein</strong>de frohlocken,<br />

die losen Freunde sagen: Recht geschah ihm: An<br />

das Göttliche im Menschen zu glauben! – Was<br />

sagt Philos?<br />

Ich w<strong>ein</strong>e!<br />

Philos<br />

(Er wendet sich ab)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Und m<strong>ein</strong>e Mutter? -: Gott sei Dank! So hat der<br />

böse Spuk <strong>ein</strong> Ende – ja?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du darfst – du liebst mich ja auch, nicht wahr?


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Klymene<br />

Du darfst mich nicht verleugnen, <strong>Phaethon</strong> –<br />

Helios´ Sohn!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wahrhaftig: Hätt´ ich´s doch fast vergessen: Ein<br />

frommer Augenblick machte mich leben, und ich<br />

wuchs in der Nacht heran. Glaubst du nicht, dass<br />

mich die Sonne blenden könnte?<br />

O Mutter, ich glaubte noch, der Menschheit<br />

<strong>ein</strong>en Gefallen damit zu tun, dass ich lebe und ihr<br />

gute Gedanken bringe statt der Schelte ihrer<br />

Priester oder hasserfüllter Schläge ihrer<br />

Obrigkeiten!<br />

Klymene<br />

Sieh, was du sammeltest, ist das Leben wert, und<br />

was du aufgibst, das Trauern. Aber das<br />

Wertvolle ist nicht zugleich auch jedermanns<br />

Besitz, und wenn <strong>ein</strong> Wesen dich verlässt, so<br />

muss es, bei allen bösen Zeichen, nicht Hass<br />

s<strong>ein</strong>, sondern heftiger Schmerz in der Entsagung<br />

– aus Liebe?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wer kann mir Schmerzen zufügen wollen und<br />

mich zugleich lieben?<br />

Klymene<br />

Ich! Ich musste es tun, m<strong>ein</strong> Sohn! – N<strong>ein</strong>, frage<br />

jetzt noch nicht! Ich will das Geheimnis lüften,<br />

wenn du die Stärke wiedergewonnen hast, die<br />

der Schmerz dir jetzt aus der Brust reißt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du m<strong>ein</strong>st, ich soll mich mit m<strong>ein</strong>en<br />

Sehnsüchten ausseufzen – vielleicht auf dem<br />

verwaisten Bett – bis k<strong>ein</strong>e Kraft mehr dazu ist?<br />

Bin ich <strong>ein</strong> Weib? N<strong>ein</strong>, sag´ mir jetzt die<br />

Wahrheit oder nie!<br />

Klymene<br />

Dann nie -: Es liegt <strong>ein</strong> Gelübde darauf! Soll ich<br />

den Schwur brechen und so zweier Gemüter<br />

Unschuld in Nacht tauchen? Verlangst du das<br />

von mir?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

In d<strong>ein</strong>en Augen lese ich Wissen – entsetzliches<br />

Wissen um m<strong>ein</strong> kommendes Geschick! So ist es<br />

doch schon beschlossene Sache, dass ich in<br />

Vergessen zurücktauchen, das ewig Schöne, das<br />

mir nur <strong>ein</strong>mal erblühte in m<strong>ein</strong>em Leben, zum<br />

Schleuderpreis <strong>ein</strong>es halben Trostes aufzugeben<br />

habe -, <strong>ein</strong> Schwur gegen <strong>ein</strong> ganzes Leben, leer,<br />

ohne ferneres Ziel, <strong>ein</strong> Witz unter der trunken<br />

taumelnden Masse Mensch - - bin ich das?<br />

Mutter! Freund! Kann das jemand mir<br />

abfordern? Ihr liebt mich doch! Warum wollt ihr<br />

eure Liebe zu mir austrocknen lassen durch euer<br />

beharrliches Schweigen?! Warum gebt ihr denn<br />

nicht zu, dass ich liebte, was ich nicht durfte?<br />

Klymene<br />

Oh Götter! <strong>Phaethon</strong> – höre auf!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du weißt ja um die Ungeduld m<strong>ein</strong>es Herzens!<br />

Warum zögerst du nicht, mich von dir zu<br />

schicken? Was musst du jetzt mich behüten, wo<br />

alle Gefahr durch dunkle Schwüre beseitigt?<br />

<strong>Phaethon</strong> ...!<br />

Klymene<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So hökerst du mit d<strong>ein</strong>en Gefühlen für mich!<br />

Hökertest du etwa auch um m<strong>ein</strong>e Seele?<br />

(Klymene w<strong>ein</strong>t)<br />

Philos<br />

Halt´ jetzt <strong>ein</strong>, Freund! Ja, du bist es noch, auch<br />

wenn du d<strong>ein</strong>e Mutter quälst! Sie hat es nicht<br />

verdient. Ich weiß zwar nicht, wie kostbar ihr<br />

Geheimnis ist, aber sie hat es zu k<strong>ein</strong>em<br />

Besseren getan. Glaub´ ihr zunächst, dass sie<br />

d<strong>ein</strong>e Liebe womöglich gegen d<strong>ein</strong>en Untergang<br />

abgewogen hat. Um dich zu retten, hat sie d<strong>ein</strong>e<br />

Liebe geopfert.<br />

- Ja, <strong>Phaethon</strong>, nun w<strong>ein</strong>e auch du. Ist es denn so<br />

schwer, die Liebe <strong>ein</strong>er Mutter gegen das eigene<br />

Irren sprechen zu lassen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(stöhnt)<br />

Irren! Wie redest du! Weiß ich doch, dass Odä<br />

frei umhergeht und m<strong>ein</strong>er nicht mehr achtet!<br />

Jeder darf ihr zulächeln, mit ihr scherzen, mit ihr<br />

tanzen – ich aber soll es nicht! N<strong>ein</strong>, eher heißt<br />

es hier, klüglich bei Seite zu sehen, damit nicht<br />

ihr ernstes Gesicht mit all den lieben tödlichen<br />

Vorwürfen darauf m<strong>ein</strong> Herz aus dieser Brust<br />

wegsaugen können. Aber es brennt mir doch alle<br />

Empfindungen heraus! Ja, ich will Feuer in mir<br />

legen, und ich will den Brand m<strong>ein</strong>er Seele<br />

hinausschreien, in die Welt prasseln lassen! An<br />

der Glut m<strong>ein</strong>es wahnsinnigen Liebesatems<br />

sollen die Parzen sich die Barthaare verkohlen ....<br />

Narren wie ich: Damit jeder für alle Zukunft<br />

begreift: Liebe, doch liebe nicht zu hoch – nicht<br />

das Göttliche, sonst sengt es dir die Maske d<strong>ein</strong>er<br />

stolzen Männlichkeit weg, und jeder sieht die<br />

Wahrheit unter dem stinkenden Flammenwisch!<br />

Philos<br />

D<strong>ein</strong> – unnennbarer Jammer!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wäre sie tot, die ich so heiß begehre, so wäre der<br />

rasende Schmerz überschaubar. Aber indem sie<br />

lebt, toben zweier Gewissen gegen<strong>ein</strong>ander,<br />

während die Herzen nach Erfüllung lechzen.<br />

Was kann denn der Wandel der Zeit ihnen


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nehmen? Nichts! Was kann er bringen? Ewige<br />

Treue? – Wozu noch? – Und k<strong>ein</strong>e Treue? Oh,<br />

welche Schande, je geliebt zu haben, je geliebt<br />

worden zu s<strong>ein</strong>! – N<strong>ein</strong> des <strong>ein</strong>en Tod wäre des<br />

anderen Schonung!<br />

Philos<br />

Was sinnst du, <strong>Phaethon</strong>? Sag´, was dröhnt in<br />

d<strong>ein</strong>em Innern für <strong>ein</strong> furchtbarer Tritt gegen das<br />

Weltgefüge?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Erlösung – sagte ich das nicht?<br />

Philos<br />

Nimm, Freund, des Freundes Hände – hier, ja,<br />

fasse sie: Dir waren sie <strong>ein</strong>st sicher, doch jetzt<br />

nicht mehr? N<strong>ein</strong>, sie zittern, <strong>Phaethon</strong>, ich fühle<br />

<strong>ein</strong>e Kraft mich verlassen, die ich dir aufgehoben<br />

glaubte. Nimm sie, bevor die Quelle vollends<br />

versiegt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Etwas fühle ich wohl in mich übergehen, aber ist<br />

es Kraft?<br />

(Er umarmt Philos)<br />

Was fange ich denn mit diesem Geschenk noch<br />

an? Was verlängere ich Schauriges? Was sollte<br />

ich, rasch entschlossen, an Jammervollem nicht<br />

lieber enden?<br />

(Er reißt sich los)<br />

Was quält ihr mich? Warum lasst ihr mich nicht<br />

gehen, wohin k<strong>ein</strong> Sterblicher den Weg mit<br />

s<strong>ein</strong>en Fürsprechern geht? Lasst mich mit<br />

Persephone scherzen, denn sie ist verlässlicher<br />

zugegen!<br />

Philos<br />

Beim Styx – das sollst du nicht!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was? Soll ich, kann ich auch diesen Eid nicht<br />

brechen? Ja, es mag noch <strong>ein</strong> Lebewesen<br />

entscheiden, dem ich die tiefsten Empfindungen<br />

in m<strong>ein</strong>er Angelegenheit zutraue!<br />

Klymene<br />

Oh <strong>Phaethon</strong>, hast du Hoffnung?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

N<strong>ein</strong>, Mutter, aber <strong>ein</strong>e vorzügliche Ratgeberin.<br />

Wo ist Echo?<br />

Klymene<br />

(entsetzt)<br />

Was willst du von ihr? Ist sie nicht schon genug<br />

misshandelt durch ihren Jammer um Narkissos?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Misshandelt, ja, das ist´s! Sie weiß in m<strong>ein</strong>er<br />

Sache alles – müsste es zumindest wissen!<br />

Klymene<br />

Schone sie – ich bitte dich!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie ist m<strong>ein</strong>e Lieblingsschwester, und sie würde<br />

mir Vorwürfe machen, wenn sie nichts gewusst<br />

hätte!<br />

Klymene<br />

Und wenn sie dir rät zu bleiben? – Sie ist ja auch<br />

wieder unter uns!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wie lange noch ...? N<strong>ein</strong>, Mutter, fürchte nichts:<br />

Sie wird mir sagen können, was ich, aus frischer<br />

Wunde blutend, an Heilmitteln nicht weiß. Was<br />

sie mir rät, will ich tun. Sie war bereit, alles mit<br />

mir zu teilen, sie wird auch jetzt m<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziger<br />

Trost s<strong>ein</strong>.<br />

Philos<br />

Ich sehe, die Ruhe kehrt wieder bei dir <strong>ein</strong>?<br />

Klymene<br />

Oh, trau´ ihr nicht! S<strong>ein</strong> Leben knüpft er los, das<br />

nur mit leichten Bändern am Diesseits befestigt<br />

war, das hoch hinauf schon schwebt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dank, Mutter! Ja, es tut nicht mehr weh! Es wird<br />

so leicht um Hirn und Herz, da kümmert mich<br />

das Morgen wenig -–so oder so!<br />

Klymene<br />

Gäb´ es doch Rettung!<br />

Philos<br />

Sie kommt! Ich sehe Echo!<br />

Klymene<br />

Mach´ d<strong>ein</strong>e Sache gut, m<strong>ein</strong> Sohn! N<strong>ein</strong>,<br />

überstürze nichts! – Komm, Philos, mit ins Haus!<br />

Hier ist nichts mehr für uns zu retten. Nimm<br />

m<strong>ein</strong>en Arm – ja, so! Mich schwindelt leicht - :<br />

du ahnst?<br />

Philos<br />

(sie voller Mitgefühl ansehend)<br />

Ich weiß es jetzt!<br />

(Beide gehen langsam zum Hause; Echo tritt<br />

heran)<br />

Achter Auftritt<br />

Echo<br />

Nun, <strong>Phaethon</strong> ... willst du uns verlassen? –<br />

N<strong>ein</strong>, erkläre nichts: Ich m<strong>ein</strong>e nicht die Reise,<br />

die dir Mutter zur Zerstreuung verschreiben<br />

wollte. Sie haben dich mir überlassen, nicht<br />

wahr?


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<strong>Phaethon</strong><br />

(sie in Todesangst in die Arme ziehend)<br />

Jetzt sind wir ganz all<strong>ein</strong>?<br />

Echo<br />

Ich weiß – darum bin ich bei dir. Längst habe ich<br />

geahnt, wo dich das Geschick hintreiben könnte.<br />

Aufhalten konnte ich´s nicht! Wozu auch? Sind<br />

wir nicht so unendlich gleicher Natur? Wo<br />

immer wir suchten: War es nicht das gleiche<br />

Ziel, das wir m<strong>ein</strong>ten?<br />

(Sie setzt sich, nimmt des knieenden <strong>Phaethon</strong>s<br />

Haupt in ihren Schoß)<br />

Das Hiers<strong>ein</strong> ist so leicht, fast ungewichtig ...,<br />

zuerst fest ans Erdreich angepflockt, indessen<br />

doch die Sinne, den leichten Flug seit jeher<br />

gewöhnt, den Wolken nachtrauern, da ja auch<br />

ihre Gestalt verändern, während sie weiterziehen.<br />

(<strong>Phaethon</strong> liebkosend; nach <strong>ein</strong>er Weile)<br />

Ja, du bist Helios´ Sohn! Die wahrhaft Lichtgeborenen<br />

hält die Erde nicht; sie streben am<br />

Zenit dahin und müssen der Sonne nichts neiden.<br />

(Sie streichelt s<strong>ein</strong> Haar)<br />

Nun möchtest du nach Hause, ja?<br />

(<strong>Phaethon</strong> nickt)<br />

(Echo, sinnend)<br />

Du bist doch allezeit daheim gewesen mit d<strong>ein</strong>en<br />

Gedanken und in der lichten Schönheit d<strong>ein</strong>es<br />

Wesens. Nur d<strong>ein</strong>etwegen kam ich zurück, um<br />

dich bei mir zu wissen, m<strong>ein</strong> Bruder. –<br />

Gehst du wirklich fort?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(ihr ins Gesicht sehend)<br />

Ja, Schwester – ja, ich gehe fort – ins<br />

Schattenreich, nicht aber gar zur Höhe.<br />

Echo<br />

Liebster, geh nicht so!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Da innen ist alles ausgebrannt! Es ist k<strong>ein</strong><br />

Streben zu Erhabenem mehr in mir.<br />

Ich weiß!<br />

Echo<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Soll ich, wie du <strong>ein</strong>st, zu St<strong>ein</strong> werden?<br />

(lächelt)<br />

Echo<br />

Aber nicht doch! D<strong>ein</strong> Weg muss oben s<strong>ein</strong>,<br />

nicht etwa zum Hades! Lass´ dort die<br />

Fledermäuse jagen – du gehörst ins Licht!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wer leiht die Fackel <strong>ein</strong>em Sterblichen?<br />

Echo<br />

Du wirst nicht brennen lassen, sondern leuchten.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Gib mir d<strong>ein</strong> Licht! – Oh, könnt´ ich bei dir<br />

ruhen und so vergessen!<br />

Echo<br />

Dazu ist d<strong>ein</strong> Wesen zu umfassend und zu<br />

durchdringend zugleich. Wo du aufschaust,<br />

pocht den Menschen das Gewissen, und indem<br />

sie noch über die lachen, spüren sie das Grauen<br />

ihres Frevels heraufkriechen.<br />

Du musst die Lösung selber suchen: das ist d<strong>ein</strong><br />

Leben. Ich kann dich nie belügen. Darum muss<br />

ich dich ziehen lassen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wohin, Schwester? Wohin?<br />

Echo<br />

Nur <strong>ein</strong>en großen Wunsch im Leben hast du frei.<br />

Geh, hol´ dir die Erfüllung, Sterblicher! Geh zu<br />

d<strong>ein</strong>em Vater Helios, m<strong>ein</strong> Bruder: Es ist die<br />

letzte Hoffnung!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Zu – m<strong>ein</strong>em Vater? Denkst du, ich soll den<br />

<strong>ein</strong>en Wunsch nur für m<strong>ein</strong> eig´nes Glück<br />

verschenken?<br />

Echo<br />

Beglückt er dich, beglückt er alle. Das ist d<strong>ein</strong>e<br />

Natur, und sie bekommt von Helios´ Thron aus<br />

Flügel!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Weiß du, wen uns´re Mutter mir entzogen hat?<br />

Echo<br />

(nachdenklich)<br />

Ich weiß es nicht, nicht <strong>ein</strong>mal ahnen kann ich´s.<br />

Mir ist, als hätte mir Odä <strong>ein</strong> ehernes Band des<br />

Vergessens um die Schläfen gepresst. – N<strong>ein</strong>,<br />

<strong>Phaethon</strong>, ich weiß es nicht.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Doch Helios wird es wissen?<br />

Echo<br />

Zumindest sieht er, was am Tage geschieht, und<br />

so mag er auch jene Fremde erkannt haben, als<br />

sie zu uns ging.<br />

N<strong>ein</strong>, ich denke, du kannst getrost s<strong>ein</strong>. Mach´<br />

dich noch diesen Abend auf den Weg, so wirst<br />

du zum Tagesanbruch Helios´ Aufstieg<br />

bewundern dürfen. Sag´ ihm, du seiest s<strong>ein</strong> Sohn,<br />

und unterdrücke vor s<strong>ein</strong>er Hoheit nicht d<strong>ein</strong>e<br />

Wünsche, ganz gleich, welche es seien!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(ihre Hände küssen)<br />

Du weißt, mich hält nichts mehr?


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Echo<br />

D´rum geh noch diese Nacht. D<strong>ein</strong> Jammer muss<br />

<strong>ein</strong> Ende haben – so oder so!<br />

<strong>Phaethon</strong>! <strong>Phaethon</strong>! Komm zurück!<br />

(Sie ruft):<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was muss ich dir nicht danken?<br />

Das Leben!<br />

Echo<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Das macht mich auch schon traurig.<br />

Echo<br />

Wo immer du s<strong>ein</strong> wirst: Ich werde hinkommen<br />

und dich erwarten.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dann sehen wir uns wieder!<br />

(<strong>Phaethon</strong> antwortet nicht mehr)<br />

Echo<br />

Es ist auch <strong>ein</strong>erlei: Du bist dem Diesseits schon<br />

zu weit entrückt. Ja, lebend sehen wir uns doch<br />

nicht wieder!<br />

- (Pause) -<br />

(Sie geht langsam ab)<br />

Gewiss – nur – wie?<br />

Echo<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du wirst mich betten, dass ich süßer ruhen kann<br />

als hier?<br />

Echo<br />

Das will ich veranlassen – mehr weiß ich nicht.<br />

Ach, m<strong>ein</strong>e Kräfte nehmen ab – ich spüre ...<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

... doch jetzt noch nicht! Geh, sing mir noch <strong>ein</strong><br />

Abschiedslied!<br />

Echo<br />

Das wäre Spott. Du kommst ja wieder.<br />

Und dann?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Echo<br />

Dann frag´ ich dich, was du noch gerne hören<br />

möchtest.<br />

(Sie verabschieden sich)<br />

Leb´ wohl!<br />

Echo<br />

(<strong>Phaethon</strong> geht)<br />

Echo<br />

Nach Osten – geh nach Osten!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(schon entfernt)<br />

Nach Osten, Schwester, der Morgenröte<br />

entgegen!<br />

Echo<br />

(nachdenklich, plötzlich zusammenfahrend, wie<br />

ahnend)<br />

Morgenröte – Eos?


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Vierter Aufzug<br />

Erster Auftritt<br />

(Ort der Parzen. Diese sitzen am Werke)<br />

Atropos<br />

(<strong>ein</strong>en Faden durchschneidend)<br />

So! das wär´s! Leb´ wohl, die Stunde ist<br />

erfüllt. Und Trauer möge d<strong>ein</strong>en Tod<br />

begleiten.<br />

Klotho<br />

Wer kommt jetzt?<br />

Lachesis<br />

<strong>Phaethon</strong>, Helios´ Sohn!<br />

Ist er lang?<br />

Klotho<br />

Lachesis<br />

Er hat noch viel Zeit.<br />

(Sie betrachtet den Faden etwas<br />

genauer)<br />

Merkwürdig! Er sieht anders aus. Ich<br />

glaube, das Garn taugt nichts mehr.<br />

Atropos<br />

Ja, ja, die Qualität wird zwar immer<br />

besser, aber nur bei Artikeln, an denen<br />

sich gut verdienen lässt. – Sagt mal,<br />

Schwestern, habt ihr nicht<br />

zwischendurch jemand anderen zum<br />

Abschneiden?<br />

Klotho<br />

Hier – <strong>ein</strong> junges Weib, das sich vor<br />

Liebe ertränken wird.<br />

Atropos<br />

Na, gib schon! Soll sie etwa lange<br />

zappeln? Sei nicht so unbarmherzig,<br />

Schwester!<br />

(Sie nimmt die Schere, schneidet ab)<br />

Dummes süßes Ding! Na, mach´ die<br />

Augen zu! Es hat sich ja doch nicht<br />

gelohnt!


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Lachesis<br />

Atropos! Atropos! <strong>Phaethon</strong>s Faden ist<br />

brüchig!<br />

Atropos<br />

Hat Helios uns nichts Besseres zu bieten<br />

gehabt?<br />

Klotho<br />

Lachesis hat recht: An der Qualität<br />

kann´s nicht liegen ...!<br />

Atropos<br />

So fragt man die Moiren! Wo steckt es<br />

eigentlich, das Schicksal? Muss ich<br />

immer erst betteln, wenn ich in<br />

Schwierigkeiten bin? Heraus mit –<br />

Klotho<br />

Atropos! Ich mache ganz langsam.<br />

Krakehle also nicht durch die Nacht!<br />

Atropos<br />

Aber sonderbar ist es doch, oder?<br />

Lachesis<br />

Da kommt Erebos! Lasst uns ihn fragen,<br />

vielleicht kann er uns helfen?<br />

Zweiter Auftritt<br />

(Erebos tritt herzu aus der Finsternis)<br />

Erebos<br />

Grüß´ euch, ihr fleißigen Frauen!<br />

Atropos<br />

Ja, denkst du, Erebos! Wir müssen hier<br />

müßig herumsitzen!<br />

Erebos<br />

Die Damen sind also in<br />

Schwierigkeiten?<br />

Klotho<br />

Alter Spötter! Beim Styx, ja!<br />

Lachesis<br />

Guck dir mal diese schlampige Arbeit an<br />

– und das für Helios´ Sohn!<br />

Erebos<br />

Darf ich mal ziehen?<br />

(Er strafft)<br />

So schwach ist´s doch gar nicht. Wer hat<br />

denn da schon wieder geunkt?<br />

Atropos<br />

Natürlich Lachesis – als ob sie das Zeug<br />

gemacht hätte!<br />

(Lachesis schaut giftig zu Atropos)<br />

Erebos<br />

Also schön weitermachen! – Nanu,<br />

Schwester, noch munter?<br />

Dritter Auftritt<br />

(Nyx tritt auf; gähnt)<br />

Nyx<br />

Ich kann nicht schlafen. Warum diese<br />

lauten Gespräche?<br />

Erebos<br />

Gespräche hin – Palawer her: Du bist zu<br />

früh zur Ruhe gegangen. Der Morgen<br />

wird auf sich warten lassen!<br />

Hm?<br />

Nyx<br />

Erebos<br />

D<strong>ein</strong> Enkel hat sich von mir <strong>ein</strong><br />

Stückchen ausgeliehen.<br />

Ja, was werdet ihr denn bleich?<br />

Nyx<br />

Ausgeliehen – von dir? Soll das <strong>ein</strong> Witz<br />

s<strong>ein</strong>?<br />

Erebos<br />

I wo! Ein kl<strong>ein</strong>er Spaß vielleicht, um<br />

irgend<strong>ein</strong> Liebesabenteuer irgend<strong>ein</strong>er<br />

Gottheit irgendwo länger dauern zu<br />

lassen, vielleicht? – Ach, lasst mich!<br />

Was weiß ich?!<br />

Klotho<br />

Hat denn <strong>Phaethon</strong> nicht noch <strong>ein</strong>e<br />

Schwester – ich m<strong>ein</strong>, Kirke?


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Atropos<br />

Ach, was! Seit ihr der Odysseus<br />

auskneifen konnte, ist ihr sogar der Spaß<br />

an den kl<strong>ein</strong>en verzauberten Ferkelchen<br />

vergangen!<br />

Nyx<br />

Schau doch mal nach, Lachesis, ob der<br />

Faden noch da ist!<br />

Lachesis<br />

(die Rollen untersuchend)<br />

Ach Gott – ich hab´ sie ganz vergessen.<br />

Ich hab´s für Spinnweben gehalten. Ja,<br />

natürlich – das ist er!<br />

Klotho<br />

Darf ich mal?<br />

(Sie zieht, knüllt in der Faust zusammen)<br />

Vierter Auftritt<br />

Kirke<br />

(alt geworden, verdrießlich, ersch<strong>ein</strong>t)<br />

Wer ruft?<br />

Klotho<br />

Die holde Zauberin von <strong>ein</strong>st ist etwas<br />

verknittert.<br />

(dabei in die Hand auf das Garn<br />

schauend)<br />

Aber sie lebt noch. Grüß´ dich, Kirke!<br />

Kirke<br />

Mir fehlt m<strong>ein</strong> Zauberstab –<br />

(die übrigen lachen)<br />

für diese auserlesene Gesellschaft!<br />

Atropos<br />

Hast du den Ithaker immer noch nicht<br />

verwunden?<br />

Kirke<br />

(lebhaft)<br />

Oh n<strong>ein</strong>! Das war <strong>ein</strong> Mann! Ein<br />

herrliches Geschöpf!<br />

Lachesis<br />

Hör´ mich an, Zauberin: D<strong>ein</strong> Bruder<br />

kommt hier vorbei – ich fühl´s.<br />

Kirke<br />

Und deswegen weckst du hässliche Eule<br />

<strong>ein</strong> lebensmüdes Weib wie mich? Was<br />

geht der mich an?<br />

Lachesis<br />

Schau dir doch <strong>ein</strong>mal diesen Faden an!<br />

Kirke<br />

(betrachtet ihn abfällig)<br />

Von Helios <strong>ein</strong> Sohn? Pah! M<strong>ein</strong> Vater<br />

wird wohl alt?<br />

Erebos<br />

Du solltest nicht so reden, Kirke! Wir<br />

selber kennen die Ursache nicht. Daher<br />

möchten wir gern, dass du sie<br />

ergründest.<br />

Klotho<br />

Ich wage nicht, den Faden abzuspulen,<br />

weil ich nicht ahne, ob er mir nicht unter<br />

den Fingern zerreißt. Du weißt, wir sind<br />

alt und abgestumpft in unserem Geschäft<br />

geworden, aber mit der Verzweiflung<br />

will ich nicht spielen.<br />

Kirke<br />

(höhnisch lachend)<br />

Sie steigen Nyx auf den Kopf – ihre<br />

zarte Brut, euer Adoptivkindchen!<br />

Nyx<br />

Was sagst du alte Hexe da?<br />

Kirke<br />

Pah! Weißt du, was es tut?<br />

(zornig)<br />

Nyx<br />

Was kannst du schon gesehen haben!<br />

Kirke<br />

So höre doch: Der Moirensohn spielte<br />

mit Nemesis und Eris Ball und hernach<br />

Verstecken!


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So?<br />

Nyx<br />

Kirke<br />

Auf Thrinakia – zwischen Helios´ Rindviechern!<br />

Die armen Biester kriegten´s mit der<br />

Angst, denn dieser Bastard polterte<br />

mächtig durch die Haine, als wollte er<br />

Helios herausfordern.<br />

Nyx<br />

(zu Erebos)<br />

Na, Bruder? Wer hat sich also von dir<br />

etwas ausgeliehen, dass ihr mich im<br />

Nachthemd hierherfordern durftet?<br />

Erebos<br />

Verzweiflung – ich sagte es doch schon!<br />

Nyx<br />

Und was soll der Zirkus auf Thrinakia<br />

bei Nacht?<br />

- Wo ist Hypnos?<br />

Fünfter Auftritt<br />

(Hypnos tritt auf)<br />

Kirke<br />

Nimm mich mit, Hypnos – lass´ mich<br />

bei Vaters Herde schlafen.<br />

Nyx<br />

Willst du d<strong>ein</strong>em Bruder - ?<br />

Kirke<br />

(schläfrig)<br />

Schick´ ihn mir nach! Ich mach´ ihm<br />

schon <strong>ein</strong> Kringelschwänzchen, ja?<br />

(gähnt, geht mit Hypnos ab)<br />

Sechster Auftritt<br />

Klotho<br />

Ob sie überhaupt weiß, wie er aussieht?<br />

Lachesis<br />

Sie sch<strong>ein</strong>t völlig ohne Interesse.<br />

Atropos<br />

Sie ist alt geworden. – Na, gib den Faden<br />

her! Ja, siehst du, Klotho? Er reicht<br />

sowieso nur noch für <strong>ein</strong> paar Tage.<br />

Erebos<br />

Also, was ist? Kann ich gehen?<br />

Hier, Mutter!<br />

Hypnos<br />

So eilig, Bruder?<br />

Nyx<br />

Nyx<br />

Hinauf! Sieh zu, dass Ruhe unter den<br />

Rindern unseres Freundes Helios<br />

herrscht!<br />

Ja, Mutter!<br />

Hypnos<br />

(Er will gehen)<br />

Nyx<br />

Vor drei Tagen will ich nichts mehr von<br />

ihnen hören!<br />

Gehst du endlich?<br />

Ja, Mutter!<br />

Hypnos<br />

Erebos<br />

(grinsend)<br />

Atropos hat mir vorhin <strong>ein</strong> süßes junges<br />

Ding zugeschickt, das sich aus<br />

Liebeskummer ersäuft hat. Das möchte<br />

ich mir gerne näher anschauen.<br />

(zu Atropos)<br />

Aber mit der alten ledernen Kirke<br />

wartest du noch <strong>ein</strong> paar Tage – mir zu<br />

Liebe, ja?<br />

Atropos<br />

Ihr Götter seid doch alle gleich: K<strong>ein</strong>e<br />

Gelegenheit wird ausgelassen, und eure<br />

Torheiten bevölkern den Hades oft<br />

früher als nötig!


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Erebos<br />

Geh, alte Zitrone – du schaust mir zu<br />

sauer d´r<strong>ein</strong>!<br />

Atropos<br />

Hättest du doch nur <strong>ein</strong>en Faden – ich<br />

wollte ihn dir schon abzwacken, alter<br />

Schwerenöter!<br />

(Erebos lacht, geht ab)<br />

Siebenter Auftritt<br />

Nyx<br />

Solange ich nicht geweckt werde, geh´<br />

ich jetzt schlafen.<br />

Lachesis<br />

Du kannst noch nicht!<br />

Wer sagt das?<br />

Nyx<br />

Lachesis<br />

Da kommt Selene – mit <strong>Phaethon</strong>!<br />

Nyx<br />

Nanu? Dann wird´s also doch wohl noch<br />

nichts?<br />

Achter Auftritt<br />

Selene<br />

Grüß´ euch, ihr edlen Frauen! Na, wie<br />

geht das Geschäft?<br />

Atropos<br />

Ich habe nichts zu tun!<br />

Selene<br />

Wartest du auf jemanden?<br />

Atropos<br />

(auf <strong>Phaethon</strong> verstohlen zeigend)<br />

Auf ihn? – K<strong>ein</strong>er weiß es!<br />

Selene<br />

(erschrocken)<br />

So zeigt doch mir den Faden erst!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ach, Psuchos – kümmere dich nicht<br />

darum!<br />

Lachesis<br />

(leise zu Selene)<br />

Sieh her: Ist er nicht äußerst dünn?<br />

Klotho<br />

(ebenso leise)<br />

Doch Erebos behauptet, er sei noch<br />

stabil genug.<br />

Atropos<br />

Schnick schnack! Seht euch den Bengel<br />

doch an: Strotzt vor Gesundheit – nur <strong>ein</strong><br />

bisschen Liebeskummer! Junge, Kopf<br />

hoch – das geht vorbei! – Wo hab´ ich<br />

denn bloß m<strong>ein</strong>e Schere wieder<br />

hingelegt?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nun, edle Jungfrauen – was ergab die<br />

Garnprobe?<br />

Nyx<br />

Was geht´s dich jetzt schon an? Der<br />

Faden ist lang genug für <strong>ein</strong> schönes<br />

Leben.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(nähert sich den Parzen, dabei Nyx nicht<br />

beachtend)<br />

Schöne Jungfrauen seid ihr – etwas<br />

ältlich vielleicht, aber von ungebrochener<br />

Herbheit und Kraft.<br />

Atropos<br />

Unser Geschäft hat uns gefühllos<br />

gemacht. Sei also nicht undankbar oder<br />

unverschämt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja, so? – Ausgesprochen eitel seid ihr<br />

auch nicht mehr: In euren Haaren nisten<br />

gar die Spinnen? Ei, sieh doch: Du hast<br />

<strong>ein</strong>en Buckel gekriegt vom Nachlesen,<br />

ja? Und du, Mittlere, brauchst <strong>ein</strong><br />

helleres Licht als den Mond – m<strong>ein</strong>st du<br />

nicht, Psuchos? – Ei ja, und du sitzest<br />

unbequem, und vom Schneiden haben


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die Finger dicke Hornhäute bekommen.<br />

Ein stumpfsinniges Geschäft, jahraus,<br />

jahr<strong>ein</strong>! N<strong>ein</strong>, danke!<br />

Ist er toll?<br />

Nyx<br />

(zu Selene)<br />

Selene<br />

Den weiten Weg hierher benahm er sich<br />

vorbildlich! Was dies jetzt soll, weiß ich<br />

auch nicht.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Und jetzt seid ihr arbeitslos?<br />

Lachesis<br />

Jüngling! Du bist schön, das Leben liegt<br />

vor dir, d<strong>ein</strong> Lebenswandel ist ohne<br />

Makel –<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

- aber doch auch ungriechisch: man<br />

behandelt mich, als sei ich maßlos.<br />

Klotho<br />

D<strong>ein</strong> Maß setzt du dir selbst. Das mag<br />

dich vor den anderen als den Sohn des<br />

Helios auszeichnen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So – Auszeichnung nennst du das?<br />

Klotho<br />

Sei doch nicht undankbar!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mit euch alten Warzennasen will ich<br />

mich nicht streiten.<br />

Aber der Faden interessiert mich doch!<br />

(Er greift unversehens rasch zu, entreißt<br />

ihn Lachesis, zieht von der Rolle)<br />

Ja, bei näherer Betrachtung ist es schon<br />

<strong>ein</strong> f<strong>ein</strong>es Gewebe – seht ihr nicht? Es ist<br />

Gold hindurchgewirkt – daher die<br />

Brüchigkeit!<br />

Lachesis<br />

<strong>Phaethon</strong>! Vermessener! Was tust du!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(sie abwehrend)<br />

Lass´ mich, alte Vettel! – Sieh her,<br />

Klotho: Da hast du den Anfang. Nun<br />

bring´s zu Ende!<br />

Klotho<br />

Du bist – du bist ja toll – besessen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Vielleicht hielt Kirke diesen Faden, eh´<br />

sie schlafen ging?<br />

(Er rollt hastig weiter ab)<br />

Euch Götter seh´ ich, als Standbilder<br />

zwischen Athen und der Welt –<br />

(er rollt schnell ab)<br />

- Jahrhunderte ... sie fliegen auf mich<br />

zu ... ich sehe Blut ...ich sehe Reiche<br />

fallen ... ich sehe Völker niedersinken ...<br />

Feuer aus den Lüften Menschen sinnlos<br />

morden ... ich sehe ... nichts ... nichts<br />

mehr - - !<br />

- (Er bricht in wahnsinniges Gelächter<br />

aus, sinkt nieder, dabei reißt der Faden<br />

von der Rolle)<br />

Lachesis<br />

Beim Zeus – was tust du, Mensch! Was<br />

ist das?<br />

Atropos<br />

(missmutig)<br />

Er hat auf <strong>ein</strong>s die Jahrtausende durcheilt<br />

und ist von Sinnen. Wundert euch das?<br />

Klotho<br />

(wie aus entsetzlicher, lähmender<br />

Unschlüssigkeit erwachend)<br />

Vor k<strong>ein</strong>em Schicksal war mir je bange!<br />

Viel Grauen hab´ ich abwickeln müssen!<br />

Ich habe Strafen der Götter vollstreckt<br />

gesehen und Tod und Elend aus m<strong>ein</strong>en<br />

Händen weitergegeben. Ich habe stets<br />

m<strong>ein</strong> Amt unparteiisch und gehorsam<br />

ausgeführt. Nie hat mich <strong>ein</strong>es<br />

Menschen Geschick davon abhalten<br />

dürfen.<br />

(<strong>Phaethon</strong> stöhnt)<br />

Dies aber – dies ist k<strong>ein</strong> Geschick: dies<br />

ist<br />

(<strong>Phaethon</strong>s Faden durchtrennend)


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das Ende!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(kehrt langsam wieder zu sich zurück)<br />

Barmherzigkeit! - - Dank sei dir, Klotho,<br />

dass du das getan!<br />

Klotho<br />

(entsetzt auf ihre Hände starrend,<br />

zitternd)<br />

Was – was habe ich getan? Oh Götter,<br />

Jüngling – ich habe d<strong>ein</strong>en Faden<br />

zerrissen!<br />

(Sie schluchzt, die Hände vor das<br />

Gesicht pressend)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(sich erhebend, zu ihr tretend)<br />

Wie lange ist er her, dass du die<br />

Schleusen d<strong>ein</strong>es Mitgefühls geöffnet?<br />

Um m<strong>ein</strong>etwillen hast du dich heute<br />

ganz menschlich, ganz göttlich zugleich<br />

erwiesen. Tröste dich, Klotho: du bist<br />

sehr alt geworden!<br />

(Er kniet vor ihr nieder)<br />

Darum schulde ich dir Ehrfurcht. Wenn<br />

ich es eben auch nicht tat – jetzt tu ich´s.<br />

Verzeih mir Sterblichem m<strong>ein</strong> Vergehen,<br />

aber wer hätte den Faden sonst zerreißen<br />

sollen? Und so lieb, so kurz nur hältst du<br />

ihn in d<strong>ein</strong>en faltigen dürren Händen!<br />

Klotho<br />

Hast du denn k<strong>ein</strong>e Angst?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wie lange reicht er denn?<br />

Klotho<br />

Für <strong>ein</strong>en ganzen Tag nur noch!<br />

Erebos<br />

Nyx, liebliche Schwester! Du wirst bald<br />

schlafen können: Hypnos, d<strong>ein</strong> Sohn, hat<br />

die Verzweiflung in tiefen Schlaf<br />

versetzt. – Nanu? Was gibt es jetzt?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(ihn nicht beachtend)<br />

Ich danke dir, Klotho! Diese Frist reich<br />

völlig. Und jetzt will ich zu m<strong>ein</strong>em<br />

Vater, ihm guten Tag zu wünschen.<br />

Erebos<br />

Wer bist du, schöner Jüngling?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Vergänglich, teurer Erebos, wie alles<br />

hier.<br />

Was redest du?<br />

Erebos<br />

Atropos<br />

Papperlapapp! Er war eben schneller als<br />

wir! Nun denn, er weiß es jetzt.<br />

Klotho<br />

Und das alles, damit ich s<strong>ein</strong>en Faden im<br />

Zorn abrisse!<br />

Erebos<br />

Jüngling, wozu? Du hättest leben<br />

können!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ach, alter Graubart: Nachdem ich<br />

gesehen habe, was kommen muss, ist es<br />

mir ganz lieb, als Wesen m<strong>ein</strong>er Zeit in<br />

den Schoß des Nichts zurückzukehren.<br />

Glaube mir: Es lohnt sich nicht! – Leg´<br />

d<strong>ein</strong>e Schere weg, Atropos: Du wirst sie<br />

nicht mehr brauchen: Sagt Hypnos, er<br />

soll sich auf <strong>ein</strong>e große Aufgabe<br />

vorbereiten.<br />

Neunter Auftritt<br />

Was soll er tun?<br />

Nyx<br />

(Erebos kehrt zurück)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Er soll das Ungeheure schlafen legen.<br />

Das Welttheater wird zwar


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weiterspielen, aber außer größeren<br />

Schrecken wird es nichts Neues zu sagen<br />

haben. Ein gutes Theater wird s<strong>ein</strong>er<br />

Generation <strong>ein</strong> kluger, vielleicht sogar<br />

weiser Ratgeber s<strong>ein</strong> können, aber es soll<br />

sich nicht <strong>ein</strong>bilden, deswegen gern<br />

gehört zu werden.<br />

Klotho<br />

Oh teurer Sohn des Helios! D<strong>ein</strong> Faden<br />

geht zu Ende!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Halt´ ihn – noch diese Nacht und diesen<br />

neuen Tag, bis ich das Letzte weiß, das<br />

mir m<strong>ein</strong> Vater zu sagen haben wird.<br />

Einmal möchte ich´s noch wissen, was<br />

ich versäumt habe, dann gib ihn Atropos,<br />

den schwachen Zipfel m<strong>ein</strong>es Lebens!<br />

Atropos<br />

Du rührst auch m<strong>ein</strong> Herz! Wie kommt<br />

das?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du hast das erstemal zu d<strong>ein</strong>em Opfer<br />

aufgesehen, Atropos, und hast erkannt,<br />

was du tun musstest.<br />

Atropos<br />

(ihm die Wange streichelnd)<br />

Recht hast du, Söhnchen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dir, Lachesis, kann ich k<strong>ein</strong>e Träne<br />

abnötigen?<br />

Lachesis<br />

Du hast mich überlistet!<br />

(wegsehend)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du gute Seele hättest mich ja doch d´ran<br />

gehindert, nicht wahr?<br />

Lachesis<br />

(sich verstohlen das Auge wischend)<br />

Warum hast du das getan?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong> Lebensmut gipfelte in der Liebe zu<br />

<strong>ein</strong>er Unbekannten. Das Schweigen<br />

bringt mich um: ich suche sie vergebens!<br />

Selene<br />

Kann das noch lebenswert s<strong>ein</strong>, s<strong>ein</strong><br />

Leben an <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziges Wesen zu hängen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du siehst ja: N<strong>ein</strong>!<br />

Selene<br />

<strong>Phaethon</strong>, lass´ das Spotten!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Bei Odä – n<strong>ein</strong>, ich spotte nicht!<br />

Selene<br />

Ich kann dir d<strong>ein</strong>en Edelmut nicht mehr<br />

belohnen, darum gehen wir weiter<br />

(abseits, zu Klotho und Lachesis)<br />

Knüpft doch das Ende s<strong>ein</strong>es Fadens an<br />

<strong>ein</strong> langes, reißt den Rest dann ab, so<br />

kann er leben!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ob dir die List genügen mag? Ich fürchte<br />

nichts! Und darum,<br />

(er entreißt Lachesis s<strong>ein</strong>en Faden und<br />

reicht ihn, zusammengeknüllt, Selene)<br />

so sag´ ich, lass´ uns erst zum Vater<br />

Helios gehen!<br />

Selene<br />

(zornig)<br />

Gut denn, du störrischer Mensch! Ich<br />

gebe ihn d<strong>ein</strong>er unbekannten Geliebten!<br />

Mag sie zusehen, was sie damit anfängt!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Du weißt, wo sie wohnt?<br />

(erstaunt)<br />

Selene<br />

Natürlich weiß ich´s! Komm, wir gehen!<br />

Erebos<br />

Du bist des Todes, <strong>Phaethon</strong>!


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<strong>Phaethon</strong><br />

N<strong>ein</strong> – des Lichtes! Denn von dorther<br />

kam ich, dorthin kehr´ ich zurück! –<br />

Auch euer Amt ist bald zu Ende! Lebt<br />

wohl, ihr alten Götter Griechenlands!<br />

Lachesis<br />

Bei Zeus: Der Faden ist verworren!<br />

Klotho<br />

Ich kann nichts fassen – außer diesem<br />

kurzen Stück!<br />

Atropos<br />

(die Schere fortlegend)<br />

So sind auch wir erlöst. Kommt, geh´n<br />

wir schlafen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(schon weiter weg)<br />

Mir ist der Fuß so leicht, der Weg so<br />

unbeschwert ..., m<strong>ein</strong> Leben gleicht dem<br />

Schweben! Oh, Götter, seid ihr nahe! So<br />

menschlich nahe – so erhaben – so<br />

vergänglich nahe, dass ich ohne Tränen<br />

weiterwandere! Nicht Wandel schreckt<br />

das Maß der Dinge, n<strong>ein</strong>, Erfüllung! Nie<br />

peitschte ich das Meer mit Ruten,<br />

sondern war nur Werkzeug all die Jahre,<br />

so fühl´ ich´s!<br />

Nur diesen Tag noch: Er bringe uns des<br />

Rätsels Lösung!<br />

(Die Szene wird langsam verlassen)<br />

Zehnter Auftritt<br />

(Halle im Palast des Helios, mit zwei<br />

sich gegenüberliegenden Ausgängen,<br />

kuppelförmig nach oben;<br />

im Halbrund der hinteren Wand Gestühl,<br />

darin in der Mitte Helios´ Thron,<br />

erhöht; Kostbarkeiten symbolisieren das<br />

Leben der Götter, ausschmückend)<br />

(Fanfaren: Einzug der dem Helios<br />

zugeordneten Gottheiten wie die Horen,<br />

die Jahrtausenden, usw., als CHOR<br />

gemessen den Raum erfüllend, sich<br />

teilend,<br />

<strong>ein</strong> jeder s<strong>ein</strong>em Platze sich nähernd,<br />

von Paukenschlägen begleitet)<br />

Chor I<br />

Wer aus der Nacht den Tag begrüßt,<br />

mag, wie der Tod, vom Schlaf erwachen:<br />

Er tritt aus Dunkelheit an´s Licht,<br />

streckt aus der Kühle sich zur ew´gen<br />

Wärme<br />

Chor II<br />

Zur Sonne drängt das Leben gerne,<br />

und Helios genügt der Pflicht,<br />

das Eis, es schmilzt, die Fluren lachen,<br />

wo s<strong>ein</strong> Gestirn die Erde küsst.<br />

Chor I<br />

Doch wehe, wem Erleuchtung f<strong>ein</strong>d<br />

Und ihn verschleierte Gelüste freuen!<br />

In´s Dämmerlicht der Seele dringen<br />

Ihm Helios´ Strahlen nicht hinab!<br />

Chor II<br />

Er muss sie meiden mit flüchtigem Stab.<br />

Sie können ihm nicht Heilung bringen.<br />

Was and´re segnet, muss er scheuen,<br />

muss untergeh´n wo Rettung sch<strong>ein</strong>t.


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Chor I und II<br />

Oh Mensch, der du das Licht so liebst:<br />

Verehr´s, doch spalt´ es nie zum Grauen!<br />

Es bleibt dir fremd, was du besiegst –<br />

vernichtest nur, statt zu erbauen! –<br />

Wer diesem Heiligtum sich naht,<br />

den warnen wir, sterblich zu s<strong>ein</strong>:<br />

Geblendet von des Höchsten Sch<strong>ein</strong>,<br />

bereut er, was er frevelnd sah!<br />

Elfter Auftritt<br />

(Paukenwirbel, dann Posaunen:<br />

es ersch<strong>ein</strong>t Helios, auf dem Gewand<br />

<strong>ein</strong>e Sonne <strong>ein</strong>gestickt,<br />

noch ohne Strahlenkranz)<br />

Helios<br />

Sonst altvertrautes morgendliches<br />

Plaudern<br />

in lock´rer Gruppen Vielerlei -: Nun<br />

heut´ so ernst,<br />

so feierlich in wohlgemess´nem Gang?<br />

Betrübt ´was? War zu dieser Jahreszeit<br />

weitschweifig eure Nacht? – Und die<br />

Jahrtausende,<br />

die letzten, steht ihr da mit<br />

trauerkündend-,<br />

ja finster wallenden Gewändern? – Wie,<br />

gar Tränen?<br />

(zu Hemera)<br />

Ist es uns´res Gastes wegen,<br />

den Selene uns just aus tiefer nacht<br />

heraufzubringen sich mit leichtem Fuß<br />

und heit´ren Redensarten froh bemüht?<br />

Ihr Götter! Ist das alles, was euch<br />

drückt?<br />

Was können Götter fürchten wollen? Hat<br />

der Mensch sich selbst uns zwar erdacht<br />

mit Namen,<br />

kommt auch die Zeit, in der er sich<br />

„erlöst“<br />

vom unschuldsvollen Kinderglauben!<br />

Dann<br />

erlischt der Name dieses Volkes rasch.<br />

Wir aber wissen uns wie je zu wandeln,<br />

und neue Schöpfung geht aus uns hervor.<br />

Wohl ist es recht: Man muss sich trennen<br />

können,<br />

doch fällt, was wir den Menschen<br />

überließen,<br />

nach Maß der Schöpfung endlich uns,<br />

den Göttern,<br />

am Ende wohlverdientermaßen zu.<br />

Was ihr beklagen würdet, ist <strong>ein</strong><br />

Schrecken<br />

für heute nur. Viel schlimmer trifft es<br />

mich:<br />

Da ist m<strong>ein</strong> Sohn, der, lebensmatt, die<br />

Dinge<br />

zu bessern sucht, statt schlecht´re zu<br />

erfinden!<br />

Ich kann euch trösten: Seht, er wandelt<br />

nur,<br />

nichts löst er durch verzweiflungsvolles<br />

Ringen.<br />

(Vor dem Throne angekommen,<br />

setzt er sich,<br />

legt den Strahlenkranz jetzt an,<br />

auch die übrigen lassen sich auf ihren<br />

Plätzen nieder)<br />

Zwölfter Auftritt<br />

Selene<br />

M<strong>ein</strong> Bruder Helios!<br />

(Selene ersch<strong>ein</strong>t)<br />

Helios<br />

Nun, Schwester, schon<br />

zurück? Und bringst du mir m<strong>ein</strong> teures Kind?<br />

Selene<br />

Bis hierher unversehrt! Er wartet draußen.<br />

Helios<br />

(zu Hemera)<br />

Ist´s Zeit?<br />

Dieser nickt)<br />

Und doch:<br />

(zu Selene)<br />

Berichte du zuerst von ihm!<br />

Selene<br />

Er ging von Echo tränenschwer von hinnen<br />

und irrte bald, des Weg´s unkundig, hin,<br />

als ich ihm leuchtete mit ziemlich voller<br />

und klar begrenzter Scheibe. Doch ich kann<br />

wohl sicher sagen: Er erkannt´ mich nicht!


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Helios<br />

So sinnestrunken – oder war´s der W<strong>ein</strong>?<br />

Selene<br />

Die Zeit zu spotten, liebster Bruder, ist<br />

verjährt! Denn was sich anzubahnen sch<strong>ein</strong>t,<br />

wird auch d<strong>ein</strong> weites Herz beklemmen müssen.<br />

Helios<br />

Wie das – verjährt? – Was ich noch gestern<br />

scherzte,<br />

treibt Missklang auch schon in die r<strong>ein</strong>en Worte?<br />

Was Schlimmes mag es s<strong>ein</strong>?<br />

Selene<br />

Wie, Helios –<br />

du magst hier fragen?<br />

Helios<br />

Ja!<br />

Selene<br />

Du ahnst nicht –<br />

Helios<br />

Was?<br />

Selene<br />

Du zeugtest ihn, und sie, Klymene, schwieg<br />

zu ihrem hohen Mutterglück die Jahre,<br />

verheimlichte dem Jüngling noch s<strong>ein</strong> Erbe,<br />

bis Pan sich diesen kühnen Scherz erlaubte<br />

und <strong>ein</strong>em Bettler anvertraute, was<br />

er lüstern <strong>ein</strong>st erlauscht abseits dem Brautbett.<br />

Helios<br />

Ich dacht´, der Schelm spielt sonst die Flöte<br />

besser?!<br />

Selene<br />

Was selbst die Schwestern <strong>Phaethon</strong><br />

vorenthielten,<br />

verriet ihm jetzt boshaft die Kreatur,<br />

um durch die Mutter Wohlstand zu erpressen.<br />

Doch dieser Greuel und der Frevel s<strong>ein</strong>er<br />

voll Dreistigkeit hinzugesetzten Lügen,<br />

sehr schnell entlarvt durch <strong>Phaethon</strong>s treue<br />

Schwestern,<br />

vereitelten das schändliche Beginnen.<br />

Doch blieb der Stachel, <strong>ein</strong>es Gottes Sohn<br />

zu s<strong>ein</strong>, und dieser und <strong>ein</strong> schlimm´rer Umstand<br />

bewirkten jäh <strong>ein</strong> forschend-jammernd´ Klagen;<br />

Verzweiflung setzte schließlich <strong>ein</strong>en Plan,<br />

von Echo ihm zudem ins Herz geraten,<br />

und darum steht er hier vor dir zu bitten.<br />

Helios<br />

S<strong>ein</strong> Maß ist ihm gesetzt, ganz gleich, durch wen<br />

-<br />

s<strong>ein</strong> kindlich r<strong>ein</strong>es Herz soll nicht noch länger<br />

um m<strong>ein</strong>etwillen leiden. Lasst ihn kommen!<br />

Hemera<br />

Bedenke, Helios: Er ist nur sterblich!<br />

Helios<br />

(legt den Strahlenkranz ab)<br />

Des Wahnsinns Los erspar´ ich ihm bei Zeiten,<br />

d´rum lasst ihn vor mich treten, wes Verstand´s<br />

er immer sei – ich will ihn m<strong>ein</strong>er würdig<br />

erhalten, denn er ist ja m<strong>ein</strong> geblieben!<br />

(zu Hemera, der gehen will)<br />

Noch Halt! Es bleibe nichts verhüllt, versäumt:<br />

Posaunen lasst für ihn Willkommen blasen,<br />

denn <strong>Phaethon</strong> ist ja auch Klymenes Sohn.<br />

Dreizehnter Auftritt<br />

(Posaunen wie im Vorspiel;<br />

<strong>Phaethon</strong> tritt <strong>ein</strong>, von Hemera geleitet)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Obgleich die Sterblichen das Heiligste der Götter<br />

zunächst verehren und hernach verachten,<br />

steh´ ich, Klymenes Sohn, voll Ehrfurcht hier<br />

und beuge demutsvoll das Knie vor dir,<br />

m<strong>ein</strong> Vater!<br />

(Er schweigt, sieht aber offenen Auges zu s<strong>ein</strong>em<br />

Vater auf.<br />

Dieser hält zunächst das Schweigen)<br />

Helios<br />

Was Griechenland nicht haben mag,<br />

soll nun gar ich als Opfergabe <strong>ein</strong>er<br />

womöglich stolzen Mutter wiederhaben?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich fragte weder Griechen noch die Mutter.<br />

Zu dir empfahl mich Echo, m<strong>ein</strong>e Schwester.<br />

Helios<br />

Weiß sie soviel von mir, dass sie dies durfte?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

M<strong>ein</strong> Herz befahl mir, ihrem Rat zu folgen,<br />

um nicht zu endigen, was noch zu retten!<br />

Und? Hoffst du?<br />

Helios<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja! Auf Erden ist <strong>ein</strong> Tag<br />

mir nur noch zugemessen, doch die Götter<br />

vermögen, wenn sie wollen, den Verlust<br />

durch <strong>ein</strong>e List mit eig´nen Mitteln zu<br />

ersetzen.<br />

Helios<br />

Kühn bist du, des Rates würdig!<br />

Was hast du aufzuweisen, dass du so<br />

absonderliche Wünsche mir, statt erst den<br />

Parzen,


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in frommem Jugendsinne nennen möchtest?<br />

- Doch gut, ich werde später fragen, weiß<br />

ich doch, wie hoffnungsschwach du von der<br />

Mutter<br />

herauf zu mir, durch Selene geleitet,<br />

die Wallfahrt nahmest. – Was ist d<strong>ein</strong> Begehr?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wenn du m<strong>ein</strong> Vater bist, hast du mich doch<br />

gar wohl versorgt – trotz dieser Ferne?!<br />

Helios<br />

(finster blickend, sich erhebend)<br />

Bedenk´: Du trotzt mir <strong>ein</strong>e Geste ab –<br />

Nicht mehr!<br />

(Er geht auf <strong>Phaethon</strong> zu)<br />

Steh auf – sieh mir ins Angesicht!<br />

(<strong>Phaethon</strong> steht auf, sieht ihn an)<br />

Du zitterst – nicht – du hältst dem Blick mir<br />

stand?<br />

So kommst du nicht, um lebend zu gewinnen?<br />

Du kommst, mir m<strong>ein</strong> Geschenk<br />

zurückzugeben!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja, Vater .... Hielt ich´s wohl für dich verwahrt?<br />

Helios<br />

Veracht´ ich Menschenopfer, will m<strong>ein</strong> Sohn<br />

Sich schlachten lassen? - - Wohl aus Übermut?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Verzeih, m<strong>ein</strong> Vater: Soll ich dann hinab<br />

und selber Hand anlegen, was du schmähst?<br />

Helios<br />

Um d<strong>ein</strong>en Stolz kämpf´ nicht – ring´ um d<strong>ein</strong><br />

Leben!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was gibt du mir dafür?<br />

Helios<br />

(lächelnd)<br />

Die Braut des Lebens!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Sie heißt – ich nenne Odä die Geliebte,<br />

die gestern früh ich erst entließ aus uns´rem<br />

geheimen Brautgemach im Haus der Mutter.<br />

Helios<br />

Geheim? Weshalb durft´ sie davon nichts<br />

wissen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist nicht Odäs rechter Name, den<br />

mir Mutter sagte und den richtigen<br />

mir nicht zu sagen anfangs m<strong>ein</strong>er Braut<br />

versprechen musste. Da´s nun Mutter wusste,<br />

dass wir uns lieben, sandte sie mich fort.<br />

Helios<br />

Beschaff´ ich dir die Liebliche, gehst du<br />

Zurück – hinab zur Mutter? –<br />

(zu Hemera)<br />

Geh und forsche!<br />

Nimm gleich den Knaben hier zur Mutter mit!<br />

Nun, leb´ denn wohl, m<strong>ein</strong> Sohn, mit diesem<br />

Kusse ...,<br />

n<strong>ein</strong>, widersetz´ dich nicht – und grüß´ sie innig!<br />

(Er küsst <strong>Phaethon</strong> leicht die Stirn.<br />

Dieser schüttelt Hemeras Arm unwillig ab,<br />

bleibt stehen.<br />

Helios beachtet ihn nicht weiter)<br />

Wo bleibt denn Eos? Längst schon müsst´ es<br />

Tag s<strong>ein</strong>!<br />

Die Flügelpferde schnauben schon im Stalle ....<br />

So spann´ ich an. Sie soll die Pforten öffnen!<br />

Vierzehnter Auftritt<br />

(Eos ersch<strong>ein</strong>t,<br />

das Gesicht bis auf die Augen verborgen,<br />

das Haupt gesenkt, in tiefer Trauer)<br />

Helios<br />

(zärtlich ihre Hände fassend,<br />

sie an sich ziehend,<br />

dabei fällt die Verschleierung)<br />

Errötendste der Schwestern: Du verbirgst<br />

Für diesen heit´ren Tag die schönen Züge?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(sie erkennend, <strong>ein</strong>en Schrei ausstoßend,<br />

zurücktaumelnd)<br />

Odä – Eos! Göttin – ist – die Braut?<br />

(Er sinkt auf die Knie in wilder Verzweiflung)<br />

Helios<br />

Der Knabe spricht in Rätseln, denk´ ich?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(mit den Fäusten den Boden schlagend)<br />

Wenn sich erst Götter gar zu Menschen wandeln<br />

und mit den Nymphen drunten Söhne zeugen,<br />

die sie, wenn jene aufgewachsen, leicht<br />

zum lauen Spiel der Schwester werden lassen,<br />

dann, heil´ger Vater Helios, mach´ mich<br />

wied´rum just hier den Göttern gleichermaßen,<br />

denn war´s nicht Eos, die mir Treue schwor,<br />

die, ohne ihren Namen preiszugeben,<br />

mit dem Geheimnis heiter sich empfahl?<br />

Was sind wir Menschen bloß euch Göttern? –<br />

Luft?<br />

Helios<br />

Du hast es selbst gesagt: Nur Luft!<br />

(spöttisch)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wie? Was?<br />

So zeugtest du der Mutter <strong>ein</strong>fach Luft? –<br />

Ein leichthin kräuselndes Gewölk soll ihr


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dieses unverzüglich melden, künden, was<br />

doch ihr Geliebter –<br />

Helios<br />

Schweig!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(in Verzweiflung schreiend)<br />

Dem Sturm befiehl!<br />

Wirf mich hinab – der Mutter Schmach besteht!<br />

Helios<br />

(ihn erstaunt betrachtend)<br />

Bist du m<strong>ein</strong> Sohn? –Du bittest für die Mutter?<br />

(Er hebt ihn auf, zieht ihn heftig an sich)<br />

N<strong>ein</strong>, n<strong>ein</strong>! Das sollst du nicht! Verzeih mir,<br />

<strong>Phaethon</strong>!<br />

Ich war sehr hart, verstellte mich zu prüfen,<br />

ob du es seist, den ich m<strong>ein</strong> eigen nenne,<br />

und finde dich der Mutter Los weit höher<br />

beschreibend als das eig´ne, das ich <strong>ein</strong>st<br />

in m<strong>ein</strong>em Vaterstolz dir kostbar zuerdacht.<br />

Nun höre ich, zwei Schatten sind auf d<strong>ein</strong><br />

sonst völlig sorgenfreies S<strong>ein</strong> gefallen?<br />

Denn zweimal hat man dir <strong>ein</strong> großes Los<br />

doch sehr verkl<strong>ein</strong>ert nur ins Herz vertraut?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Und schlepp´ ich doppelt nicht an jedem<br />

<strong>ein</strong>z´lnen?<br />

So sprich!<br />

Wozu?<br />

Helios<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Helios<br />

Erkämpfst du dir sonst nichts?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mir sind ja beide Lose zuerkannt,<br />

und jeder Sterbliche, auf solche Art<br />

bevorzugt, weiß damit auch wohl zu rechnen.<br />

Nur: Erstens – ich verweigere die Mitgift,<br />

des Gottes Helios geheim gezeugtes,<br />

als sterblich gar zu Welt gebrachtes Kind<br />

zu gelten. N<strong>ein</strong>, d´rauf vorbereitet ward<br />

ich nicht. Soll ich als Mensch nur leben und<br />

m<strong>ein</strong> Erbgut, d<strong>ein</strong> Geschenk, zu k<strong>ein</strong>es<br />

Menschen<br />

Gebrauch, ohn´ allen Nutzen mit mir schleppen?<br />

Kann das <strong>ein</strong> Gott von s<strong>ein</strong>em Kinde wollen?<br />

Er kann!<br />

Helios<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Doch woher weiß der Sohn dies sicher?<br />

Doch nur aus sich, wo ihm die Botschaft raunt,<br />

das Heilige in sich groß zu entfalten,<br />

den stillen Wink der Seele für die Tat<br />

zu messen, sei sie unbedeutend kl<strong>ein</strong>!<br />

Denn m<strong>ein</strong>st du nicht, selbst Mittelmäßiges<br />

veredele sich nicht durch d<strong>ein</strong>en Samen<br />

als stille Kraft bis zum Erhabenen?<br />

Und will er das verhindern, muss er selbst,<br />

der Gott, als Vater ja wohl nicht? – die Rose<br />

herniederdrücken, bis sie krüppelt am<br />

Spalier der unteren Gesinnung, um<br />

die hohe Abkunft solcher Schändlichkeit zu<br />

opfern! – Du, m<strong>ein</strong> Vater, denkst so nicht!<br />

Helios<br />

N<strong>ein</strong>, nie! – Was ist d<strong>ein</strong> Vorwurf weiter,<br />

<strong>Phaethon</strong>?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es war nicht gut, mir m<strong>ein</strong>en Vater zu<br />

verschweigen!<br />

Mensch?<br />

Helios<br />

Rechnest du nicht wie <strong>ein</strong><br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ja? – Zweitens: Warum hat mir d<strong>ein</strong>e Schwester,<br />

die gleichfalls auch mit mir verwandt, geheim,<br />

auf m<strong>ein</strong>e Liebe rechnend, das erschlichen,<br />

was sie – das wusste sie – von m<strong>ein</strong>er Mutter<br />

auf off´nen Wunsch so nicht erhalten hätte?<br />

Helios<br />

Bis Eos selbst sich äußert, will ich schon<br />

in diesem Haus das Urteil fällen: Ja,<br />

auch ich verdamme das geheime Schmieden<br />

von Ehen, die von kurzer Dauer sind!<br />

Doch Eos rede, wenn der erste Punkt<br />

geklärt und <strong>Phaethon</strong> sich zu mäßigen bemüht.<br />

Du hörst -?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich will nicht! Und hier setz´ ich mich!<br />

(Er setzt sich auf den flachen Boden)<br />

Helios<br />

Auch gut: Halt´ warm die Erde! – Jetzt zum<br />

ersten:<br />

Klymene gab ich dich zu sanftem Leben;<br />

in ihrer und der Schwestern treuer Obhut<br />

erwuchsest du, das Glück, der Glanz des Hauses,<br />

erkennbar als m<strong>ein</strong> Sohn durch d<strong>ein</strong>er Seele<br />

gar tiefe, segensreiche stille Botschaft!<br />

Du hättest, wenn du nichts gewusst, all<strong>ein</strong><br />

durch d<strong>ein</strong>e gute Tat bewirken können,<br />

wozu den and´ren Weitblick fehlet oder Mut!<br />

Du warst auf bestem Wege! D<strong>ein</strong>e Schwestern<br />

verbanden dir die Wunden und umschmückten<br />

mit zarter Hand dir oft die nasse Stirn,<br />

wenn d<strong>ein</strong> der Sieg! – den du so kühn<br />

verschmähtest.<br />

Nun magst du schelten, dass ich´s hier enthüllt,


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doch denk´ ich mir: Du weißt nicht, was ich<br />

plante!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Solange ich – nur Mensch – aus m<strong>ein</strong>er Seele<br />

den Himmel atme und d<strong>ein</strong> göttlich´ Licht,<br />

durch das mich´s drängend höher zieht zu leben,<br />

solange mag die Sehnsucht die Gemüter<br />

der glückverschmähten Menschen hoffend<br />

stärken.<br />

Doch ahnte je die gleichgeschaff´ne Seele<br />

bei mir Betrug – dass jemals sie erführe:<br />

Es war ja nicht die selbstgeschöpfte Kraft,<br />

die bloße Menschlichkeit! – so folgt der<br />

Vorwurf:<br />

Man sagt, die Götter spielten unbekümmert<br />

durch ihre Söhne mit dem schwersten Jammer!<br />

Und and´re: Der war Gottes Sohn<br />

Und brachte mehr des Glückes nicht zu Wege?<br />

Oh, pfui dem Bastard Helios´, der Sonne,<br />

er gliche eher doch dem Lampenschimmer!<br />

Helios<br />

Wer Segen hält, bezieht die gröbsten Flüche!<br />

D´rum sperre ja d<strong>ein</strong> Inn´res zu und schweig´!<br />

Lass´ du die Kreatur dich ferne hassen,<br />

zieh´ bald getrost in ferne Lande fort<br />

und bleibe dennoch immer, der du warst.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Verhöhnt, verhasst, und endlich heimatlos?<br />

Darf denn d<strong>ein</strong> Sohn nicht mehr als dies<br />

ertragen?<br />

Gib mir den Wink, um dessentwillen man<br />

verstößt den Sohn: Der Menschen Not zu enden!<br />

Helios<br />

Ich bin nicht Zeus, dir Fähigkeit zu geben,<br />

das <strong>ein</strong>z´lne Los aus allgem<strong>ein</strong>er Schuld,<br />

je nach Bedarf, von Mensch zu Mensch, zu<br />

lösen.<br />

Der Gott, der das erlaubt, muss <strong>ein</strong>zig leben,<br />

und s<strong>ein</strong>em Sohne Wehe, dem´s gegeben!<br />

N<strong>ein</strong>, liebstes Kind, dies Größte geb´ ich nicht!<br />

- Dennoch <strong>ein</strong> and´rer Vorschlag, dich zu ehren:<br />

Gesetzt, es ist bekannt jetzt, wer du seist,<br />

schick´ ich dich morgen, tief gesegnet, neu<br />

hinab, der größte Dichter Griechenlands,<br />

vielleicht Europas gar, - berühmt zu werden.<br />

Weit sichtbar sei das Maß bestimmt, bekannt,<br />

was Helios bereit, dem Sohn zu geben.<br />

Dass dies geschieht, das schwör´ ich, trag´ ich<br />

Sorge!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ein Künstler, der im Geist der Zeit voraus,<br />

gleicht wohl dem Seher, aber ohne jenem<br />

vergleichbar in der Unantastbarkeit!<br />

Hier liegt es ärger: Um Erfolg zu haben,<br />

empfiehlt er sich den Mächtigen zum Bündnis,<br />

und, statt das Schändliche zu schmähen,<br />

schweigt<br />

er weislich, wo der Seher sich empört!<br />

Und lässt man trotzdem ihn den Narren spielen,<br />

legt teuflisch man der falschen Spuren viele,<br />

so dass der Weg, die Wahrheit zu entdecken,<br />

zum labyrinthischen Verderben führt.<br />

So werde Seher!<br />

Helios<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Das zu s<strong>ein</strong>, gebietet<br />

Ihr Götter mir die <strong>ein</strong>e, allumfassend<br />

begründende Erkenntnis eures Willens,<br />

dann will ich geh´n und mich zerreißen lassen.<br />

Helios<br />

Der ew´gen Gottheit Vielerlei auf <strong>ein</strong>s<br />

wie durch geschliff´nes Glas zu konzentrieren,<br />

durchleuchtet nicht -: es sengt mit <strong>ein</strong>s hinweg!<br />

Verkünd´ es - - doch entstammst du selbst der<br />

Schöpfung?!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Dies alles nahm ich wohl in acht, eh´ ich<br />

mit m<strong>ein</strong>er Tante zu den Parzen ging,<br />

den Strick zu reißen, eh´ er abgeschnitten.<br />

Helios<br />

Was tatest du? Ich bitt´ dich: Scherze nicht!<br />

Selene<br />

Von Lachesis erhaschte er den Faden,<br />

er riss ihn – auf Jahrtausend´ Länge – weiter<br />

und sah, was nie <strong>ein</strong> Mensch vorausgeseh´n!<br />

Um ihn dem Augenblick zurückzugeben,<br />

zerriss man´s auch am and´ren Fadenende,<br />

was Leben heißt, bis auf dies Heute ab!<br />

(Sie reicht Helios den Fadenrest)<br />

Helios<br />

Nun weiß ich wirklich: <strong>Phaethon</strong> ist m<strong>ein</strong> Sohn!<br />

Mit eig´ner Hand ergriff er s<strong>ein</strong> Geschick<br />

obzwar mit Todesfurcht, und kam zum Vater!<br />

Du betteltest mir nicht von Rettung, <strong>Phaethon</strong>,<br />

vielmehr, du sorgtest um das Los der Welt.<br />

Verdienst du doch, mit mir das Licht zu zünden,<br />

das dir im Busen brannte, als du Mensch!<br />

Und hier gerade ist des Vaters Macht<br />

in eurem Götterstaat zu eng gemessen!<br />

Mir bleibt ja nichts, das Große zu vollenden,<br />

dem wandelnd´ Maß Erfüllung zu gewähren!<br />

Du magst dir wünschen, was du willst: Es ist<br />

mit Menschenglück auf Erden nachzumessen!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Doch denkst du nicht, <strong>ein</strong> Zeichen d<strong>ein</strong>er Macht<br />

symbolisch durch die <strong>ein</strong>zigartig kühne<br />

Erlaubnis jetzt zu setzen?<br />

Helios<br />

Was wäre dies?


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<strong>Phaethon</strong><br />

Lass´ mich, erhab´ner Vater, <strong>ein</strong>mal d<strong>ein</strong>en<br />

berühmten Sonnenwagen westwärts lenken!<br />

Nichts sonst?<br />

Helios<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Was bleibt danach?<br />

Helios<br />

Verderben – Tod!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Mir ist das Schattenreich gewiss – noch heute!<br />

Nur darum sorge nicht, m<strong>ein</strong> liebster Vater.<br />

Eos<br />

(aufschreiend)<br />

Oh <strong>Phaethon</strong>, <strong>Phaethon</strong>! Was hast du getan?<br />

Nun, Vater?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Helios<br />

So nenne mir den <strong>ein</strong>en Grund,<br />

womit ich Welt und Leben brennend strafte!<br />

Eos<br />

O Helios! O <strong>Phaethon</strong>! Oh, ihr Götter!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ist dies nicht schon <strong>ein</strong> Grund, dass uns ihr<br />

Götter<br />

durch Listen und Verstellung lieben macht,<br />

vielleicht sogar mit etwas Treue lohnt,<br />

bis Charons Nachen flutennippend ächzt?<br />

Und hier <strong>ein</strong> zweiter, den ich dir schon nannte:<br />

Vermaß man sich, zu hintergeh´n mit Schweigen<br />

Klymenes Sohn, so hat der Trug s<strong>ein</strong> Ende,<br />

indem die Wahrheit fackelnd niederfährt!<br />

Helios<br />

Du bist nicht stark genug!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Zum Wagenlenken?<br />

Sprech´ ich denn von Hephaistos´<br />

Kostbarkeiten?<br />

Helios<br />

So suchst du d<strong>ein</strong>en Tod in Raserei,<br />

indessen unter dir der Erdkreis brenne?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Die Menschheit muss es danken, dass ich sie<br />

dies <strong>ein</strong>e Mal vom Himmel her erleuchte,<br />

damit sie lerne, nimmermehr die Wahrheit –<br />

um k<strong>ein</strong>en Preis – dem Edlen zu verdunkeln!<br />

Eos<br />

So hör´ doch auf! Du spottest, forderst Rache!<br />

Was wirst du ändern? Ja, du selbst verbirgst<br />

das Licht der Wahrheit, das du suchen kommst!<br />

Es ist schon wahr, dass ich in Liebe wallte<br />

und ständig auf der Suche war zu lindern.<br />

Dann sah ich dich! In allem, was ich sprach,<br />

gestand ich dir <strong>ein</strong> neues Wertgefühl!<br />

Ach, gliche ich doch dir! – Das war m<strong>ein</strong><br />

Sehnen,<br />

denn nur ihr Menschen wisst den Augenblick<br />

für alle Ewigkeit im voraus ganz<br />

in Demut, fromm und innig auszukosten.<br />

Ich, Eos, liebte dich in scheuer Ehrfurcht<br />

Und tu´s erst jetzt mit allen Göttersinnen!<br />

Auch, wenn ich göttlich bin, so hind´re nichts<br />

dich teuren Menschen, mir d<strong>ein</strong> Herz zu<br />

schenken!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nimm´s hin – am Abend fressen´s doch die<br />

Hunde!<br />

Eos<br />

(mit den Tränen kämpfend)<br />

Ich sehe wohl: Du darfst nichts mehr gewinnen!<br />

Doch warum schleuderst du das Letzte fort?<br />

Erfreut dich Armen, in Verzweiflung<br />

schäumend,<br />

die Wohltat nicht, dass ich hier bei dir stehe<br />

und betend w<strong>ein</strong>e, weil du von uns gehst?<br />

M<strong>ein</strong> Säumen riss dich fort zu raschem Handeln,<br />

doch warte hier, ich will zu Zeus, zu bitten!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(erschüttert)<br />

Das willst du tun? – Oh, Eos, süße Braut,<br />

begreifst du mich denn nicht? – dass m<strong>ein</strong><br />

Beginnen<br />

sich lebenslänglich nutzlos fortbemüht?<br />

Was soll <strong>ein</strong> Leben, das sich wirkungslos<br />

verzehrt, den Göttern aus der Hand gestohlen?<br />

Ich darf nur leben, wenn ich handelnd liebe,<br />

denn nur im Licht der Liebe kann das Leben<br />

gedeihen, kann es Wohltat bringen -: Licht!<br />

Eos<br />

Doch endlich: Wofür willst du dich jetzt opfern?<br />

Was lohnt, der Menschheit dauernd´ Los zu<br />

heben,<br />

den altgelegten Grund der gleichen Fehler<br />

dem <strong>ein</strong>en Menschenalter zu erklären,<br />

wenn schon das nächste sie erneut begeht?<br />

Du änderst nicht das irdische Geschlecht<br />

der Söhne, die der Väter Willkür höhnen<br />

und doch der gleichen Torheit unterliegen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(zögernd, wie abwesend)<br />

Vier Elemente sind´s; den Lebewesen<br />

vertraute Zeus nur drei. Prometheus ließ<br />

der Götter Vater zornig an den Felsen<br />

zu bitt´rer Qual mit kalten Ketten schmieden.


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Er ward befreit – nun gut: Er stahl das Feuer!<br />

...Nun hat der Mensch, es nutzend, in Gebrauch.<br />

Nur in Gebrauch? - In jedem Krieg, dem<br />

Morden,<br />

erhellt der Brand das schaurige Frohlocken.<br />

Doch nicht genug, erweist der Mensch sich<br />

findig,<br />

gelingt´s ihm <strong>ein</strong>st, des Feuers Kraft zu ballen,<br />

vom Himmel selbst, wie Götter, auszustreuen!<br />

Entsetzlich wütet er in s<strong>ein</strong>em Wahn,<br />

wobei der Gegner sich der gleichen Waffe<br />

bedient, das Leben d´runten zu vernichten.<br />

Bald grenzenlos, enthebt er der Gesetze,<br />

der gottgewollten Ordnung sich – und fällt!<br />

Helios<br />

M<strong>ein</strong> Sohn, du hast genug gesehen. Komm!<br />

Was wollt ihr tun?<br />

Eos<br />

Helios<br />

Er soll den Sonnenwagen<br />

beseh´n und prüfen, ob er ihn als Mensch,<br />

wohl nicht als Gottes Sohn, zu lenken weiß.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Als Mensch nur? Soll ich als Betrüger sterben?<br />

Helios<br />

K<strong>ein</strong> Sohn der Götter triebe grenzenlos<br />

mit diesem heil´gen Feuer die Vernichtung<br />

wie eben jene Wütende, die du<br />

beschrieben hast!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

So darf ich also nicht?<br />

Helios<br />

Wenn du als Mensch die Reise wagtest – ja!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Nun gut: Ich bin ja sterblich!<br />

Helios<br />

Ja – und m e i n !<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(wegsehend)<br />

Ich kann die Welt nicht hassen, nicht bestrafen!<br />

So gib sie auf!<br />

Helios<br />

Eos<br />

Oh, komm zu mir – die Stunden!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Ich ahne <strong>ein</strong> Versäumnis! – Liebster Vater,<br />

hilf du mir auf, dass mich m<strong>ein</strong> Tod nicht reute!<br />

Helios<br />

Auf diesen Augenblick, m<strong>ein</strong> Sohn, hab´ ich<br />

gewartet! Ja, m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong>, was du sahest,<br />

ist alles wahr! Was wir bisher erörtert,<br />

war nur gespielt, das Letzte dir zu fordern.<br />

Ja, frei bist du von dieser Stunde an!<br />

Du bist zwar Mensch, doch bist du Helios´ Sohn<br />

–<br />

ich sag´s leichhin jetzt, doch bedeutet´s viel!<br />

Im Leben d´runten stattete ich dich<br />

mit lichter Seele aus, der Schwestern Liebe<br />

umschützte diese höchste Himmelsgabe!<br />

Nun bist du zwar, doch nur noch diesen Tag,<br />

doch was vergeht, soll wieder neu erstehen.<br />

D´rum sieh: Den Lebensfaden knüpf´ ich jetzt<br />

zu <strong>ein</strong>em Kreis, der Leben dir verheiße.<br />

Wo klärend d<strong>ein</strong> Geschick sich jäh verdichtet –<br />

vorgestern fing es an – da soll´s beginnen,<br />

und mit dem Morgen mag es endend leben.<br />

Komm, Schwester, nimm des Liebsten<br />

Schicksalsfaden<br />

in treue Obhut! Küsst euch dann, nehmt<br />

Abschied!<br />

Was hier jetzt endet, steige morgen glücklich<br />

zum Leben froh empor!<br />

Eos<br />

(Helios´ Hände fassend)<br />

Oh, liebster Bruder!<br />

Soll nie das Bangen, Hoffen, das Verzweifeln<br />

<strong>ein</strong> sanftes Glück im Arm der Liebe finden?<br />

Soll <strong>Phaethon</strong>s Jammer als <strong>ein</strong> endlos´ Spiel<br />

beliebig oft den schaudernden Geschlechtern<br />

als Warnung dienen müssen vor den Göttern?<br />

Helios<br />

Sei unbesorgt: Die Toren stört k<strong>ein</strong> Jammer,<br />

solang´ er hier auf dem Theater spielt.<br />

Selbst vor dem Höchsten kann ich sie nicht<br />

warnen.<br />

Dafür sollt ihr die Tore offen sehen,<br />

wo zwischenhin der Schöpfer sichtbar waltet,<br />

dass euer Selbst der Schmerzen sich entkleide<br />

und unverhüllter Freude leben darf!<br />

Es ist d<strong>ein</strong> Bräutigam, der darum fehlte,<br />

als letzte Tat <strong>ein</strong> Mahnmal aufzusetzen.<br />

Ich tu´ es gern! Und da er liebend leidet,<br />

soll s<strong>ein</strong>er Liebe, flammend, licht und r<strong>ein</strong>,<br />

dies wiederkehrende <strong>Gedicht</strong> auch gelten!<br />

Dass er dazu, aus eigenem Erkennen,<br />

den Göttern gar das Feuer wiederbrächte,<br />

erhebt ihn ganz zu m<strong>ein</strong>em Sohne. - Nun,<br />

verlangt dich noch, die Sonne stolz zu führen?<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(schüttelt das Haupt)<br />

N<strong>ein</strong>, Vater – n<strong>ein</strong>!<br />

Helios<br />

So, wie die Flamme r<strong>ein</strong><br />

Und furchtbar doch zugleich sich still verzehrt,<br />

verringert sich nun d<strong>ein</strong>e Lebensspanne.


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Du kamst so ohne Hoffnung her zu mir!<br />

Doch ruhig fußest du auf d<strong>ein</strong>er Würde.<br />

Wenn dich doch auch Klymene sehen könnte!<br />

(Er bricht in Tränen aus, das Haupt schützend.<br />

Endlich, sich fassend)<br />

Ich wusste ja, bevor du kamst, was kommen<br />

und mich zum größten Vater fordern würde!<br />

Was darf ich handeln, wenn ich handeln muss?<br />

Ach, an den Busen will ich m<strong>ein</strong>en Sohn<br />

dies <strong>ein</strong>e, letzte Mal mit Inbrunst pressen!<br />

(Sie umarmen <strong>ein</strong>ander)<br />

Nun höre, höre, <strong>Phaethon</strong>: Niemand soll<br />

je wieder m<strong>ein</strong>er Rosse Zügel fassen,<br />

wenn ich nicht selbst! Doch diesen <strong>ein</strong>en Tag<br />

sei´s dir erlaubt: Ich wüsste k<strong>ein</strong>en Bess´ren!<br />

Ach, liebster <strong>Phaethon</strong>, wissen wir´s doch beide:<br />

Nicht lebend sehen sich die Besten wieder!<br />

Doch was ich dir versprach, das sei gehalten,<br />

und flössen selbst Jahrtausende dahin!<br />

Lass´ dir zuvor erst den Palast des Vaters<br />

noch zeigen. Sieh, hier stehen die Getreuen,<br />

die Horen Lenz und Sommer, Herbst und Winter,<br />

Jahrtausende, die vielen an der Zahl.<br />

Gespannt, erstrahlt die Kuppel schon, wenn Eos<br />

die Tore, eh´ ich selbst ersch<strong>ein</strong>e, öffnet.<br />

Komm, Schwester, führe du den Bräutigam<br />

noch <strong>ein</strong>mal sicher, Hand in Hand, durch d<strong>ein</strong>es<br />

Geliebten Heimatfeste, denn er ist<br />

in s<strong>ein</strong>er Sehnsucht endlich nun zu Haus.<br />

Umarmt euch, küsst euch – ja, doch w<strong>ein</strong>et nicht!<br />

Ist erst die Angst hinweg, so fallen Schranken.<br />

Der Fuß wird leicht, das Leben knüpft die<br />

Fesseln<br />

behende selbst sich ab und steigt zum Licht.<br />

Nun ist es hier – will nicht betrauert werden.<br />

Du bist gewachsen, seit ich dich zuerst<br />

gesprochen. Jetzt, am Gipfel d<strong>ein</strong>er Größe,<br />

m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong>, wirst du künftig nicht verzagen.<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Es ist nicht Angst: Ich tat ihr vorhin Unrecht;<br />

Nun schmerzt mich sehr, ihr wehgetan zu haben!<br />

Helios<br />

Ist recht!<br />

Kommt nur, ihr müsst euch trennen! – Eos! Eos!<br />

(Er legt den Arm um die laut Schluchzende)<br />

Eos<br />

Wie sollen wir´s im Kopf ergrübeln können,<br />

was unser Herz vor Qual nicht mehr erfassen<br />

kann?!<br />

Wie bangte ich, niemals mehr zu enttäuschen,<br />

dem Liebsten niemals irgend weh zu tun!<br />

Nun steht er hier, dem Leben sich zu künden,<br />

das ihn auf Erden nicht erfüllen durfte.<br />

Du hattest alles längst dies überschaut<br />

Und hast mich nicht gewarnt – du schwiegest<br />

auch!<br />

Oh, Fluch dem Wort, das ungesprochen bleibt,<br />

denn Schweigen lindert nicht – es muss das<br />

Unheil,<br />

dem Schwelbrand gleich, nach innen hin<br />

vergrößern!<br />

Helios<br />

Zum Trost gelobt´ ich euch des Hoffens<br />

Wiederkehr<br />

und die Gelegenheit, vor aller Welt<br />

in diesen wen´gen Augenblicken ganz<br />

den Umfang und die Tiefe eurer Liebe<br />

noch <strong>ein</strong>mal unerschütterlich zu nennen.<br />

(Er hält ihr den geknüpften Faden hin –<br />

Eos ergreift ihn zögernd)<br />

Eos<br />

(zu <strong>Phaethon</strong>)<br />

Vorgestern, als ich mich der Seele d<strong>ein</strong><br />

Zum erstenmal vertraute, wusste ich,<br />

dass sie in ungeheurem Flügelschlag<br />

der Heimat nahte. Sieh, nun ruht sie aus<br />

an m<strong>ein</strong>er Liebe, Lichtgeborener<br />

zum Licht, vergehend und doch wieder werdend<br />

- Wenn d<strong>ein</strong>e Lippen kalt, d<strong>ein</strong> Herze still,<br />

bin ich nicht ferne, dich zum Licht zu retten.<br />

Dies sei das ganze Los der armen Eos!<br />

Eos<br />

N<strong>ein</strong> Liebster, das ist längst schon überwunden.<br />

Mich quält der Abschied – and´res quält nicht<br />

mehr.<br />

Helios<br />

Du reißt die Wunde, die s<strong>ein</strong> Tod dir schlägt,<br />

mit aller Kraft nur tiefer auf! Willst du<br />

entsetzt im Brautbett s<strong>ein</strong>en Tod erleben?<br />

Komm – gib ihn frei! Lass´ ihn dies <strong>ein</strong>e<br />

Tagwerk<br />

an s<strong>ein</strong>es Vaters Statt beglückt beenden.<br />

Dann magst du trauern und ihn – neu erwarten!<br />

Hemera<br />

Die Rosse warten, Helios!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Wir fühlen Gleiches, sind wir doch nicht gleich,<br />

und atmen wir nicht dennoch gleiche Luft?<br />

Wir steh´n im Äther uns´rer Liebe, im<br />

Zenit, und, überschauernd, ruh´n die Herzen<br />

nach kurzer Irrfahrt bald für immer aus.<br />

Was kommen soll, ist ja schon längst erklärt,<br />

und, wohl der Leidenschaft zum Trotz, entrückt<br />

die Liebe bald in Sphären höchsten Glücks.<br />

Mögt denn ihr Götter ewig euch umwandeln –<br />

Vergessen macht euch <strong>ein</strong> zukünftig´ Irren,<br />

erklärt i h r euch nicht durch der Schöpfung<br />

Wesen,<br />

dass sie durch Liebe! - - durch Berechnung nicht<br />

–<br />

gebildet und im Innersten begründet!<br />

Nur dann ist Werden und Vergeh´n und Werden


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Als Wandel bloß, als Ende nicht erklärt,<br />

dann ist das Schönste, das der Mensch ersinnet,<br />

der fromme Tempel solcher Schöpfungskraft.<br />

Dann drängt es ihn, das Heiligste zu ehren:<br />

Das Leben ehrt er in der kl<strong>ein</strong>sten Form<br />

und übergibt der Menschheit rettende<br />

Gedanken, <strong>ein</strong>t die Schöpfung, statt zu spalten!<br />

Hierzu, geliebte Eos, kannst du mich<br />

behalten, wenn ich m<strong>ein</strong>er letzten Pflicht,<br />

die mir vom Vater anvertraut, gehorche.<br />

Und findet ihr mich heute abend wieder,<br />

gebt mich zurück an m<strong>ein</strong>e Schwester Echo!<br />

Helios<br />

Es sei! Und jetzt <strong>ein</strong> letztes Lebewohl!<br />

(Sie verabschieden sich)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Lebt wohl!<br />

(zu Eos)<br />

Auch du!<br />

(zu Helios)<br />

Nun, werde ich die Kraft - ?<br />

Helios<br />

Du hast die Kraft, die du benötigst.<br />

Sei unbesorgt um dieses Rosselenken,<br />

doch hüte dich vor Schrecken – halt´ die Zügel<br />

mit beiden Fäusten straff und schaue stets<br />

nach Westen auf das ferne Ziel! Du hast,<br />

ich sag´ es noch <strong>ein</strong>mal, zu allem Mittel!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

Bring´ ich den Wagen wohlversorgt zurück,<br />

dann, Vater, bettet mich in Mutters Garten,<br />

bis Eos mich aus schweren Träumen küsst!<br />

Helios<br />

Ein wahrhaft göttlich mutendes Vermächtnis!<br />

(Er führt <strong>Phaethon</strong> zum Seitentor,<br />

das Eos nun vor ihnen aufstößt<br />

und als erste hinaustritt)<br />

Mit rosenfing´rig zarten Strahlen kündet<br />

Dir die Geliebte d<strong>ein</strong>en höchsten Tag.<br />

Erfüll´ ihn – mach´ mich glücklich, teurer Sohn!<br />

Es darf nur <strong>ein</strong>mal s<strong>ein</strong>, dich so zu sehen,<br />

dies <strong>ein</strong>e Mal betrittst nur du die Bahn.<br />

(Man hört rasselndes Geschirr, Schnauben,<br />

Räderrollen.<br />

Eos tritt langsam zurück, sie wartet drinnen<br />

neben Helios.<br />

<strong>Phaethon</strong> tritt hinaus)<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(draußen, in Todesangst)<br />

Bin ich d<strong>ein</strong> Sohn, m<strong>ein</strong> Vater?<br />

Helios<br />

(streckt segnend die Hände zum Sohne aus)<br />

<strong>Phaethon</strong> – ja!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(nach <strong>ein</strong>er Pause)<br />

Nichts blendet mehr – die Zügel halt´ ich sicher!<br />

Helios<br />

Fahr´ also zu, m<strong>ein</strong> Sohn! Fahr sicher zu,<br />

und heute sehen dich die Teuren wieder!<br />

<strong>Phaethon</strong><br />

(unter Anfahren)<br />

Ein heit´rer Morgen! Lebt denn alle wohl!<br />

(Helios geht an den zum Tor Drängenden vorbei<br />

langsam zur Mitte der Halle, dabei in Gedanken<br />

versunken)<br />

Hemera<br />

(nach draußen spähend)<br />

Bei d<strong>ein</strong>em Strahlenkranz: Er ist von dir<br />

Durch nichts zu unterscheiden! Ja, er lenkt<br />

Die steile Bahn hinauf als wie gewohnt,<br />

und jedes Köpfeheben d<strong>ein</strong>er Rosse<br />

beachtet er mit junggeschärften Mienen.<br />

Ich glaube sicher, Helios, es glückt!<br />

(Erstaunen, freudiges Raunen der übrigen)<br />

Helios<br />

Du musst dich irren, lieber Freund, denn sieh:<br />

Der Neid der Erde haftet ihm noch an,<br />

und Gaia wird ihn schonungslos vernichten.<br />

Das neidend´ Irdische zerstört sich selbst:<br />

Es bringt sich um im Strahlentod des Hasses.<br />

Weh dem, was ihm dazu die Macht verliehen:<br />

Es schenkte Licht und bringt nur Asche <strong>ein</strong>!<br />

Wenn ich es ändern könnte, blieb´ dir Recht,<br />

all<strong>ein</strong>, es naht die Stunde, wo die Götter<br />

im Weltenbrand den Untergang erleben.<br />

Die Welt, die sich der Grieche schuf, verlodert,<br />

die Götter fallen, weil der Glaube schwindet,<br />

und and´re Völker kommen, and´re Götter –<br />

Uuuuuuaaaah!<br />

Gaia<br />

(von unten schreiend)<br />

Helios<br />

(die Achseln zuckend)<br />

... wir treten ab, wir hintergeh´n die Szene ...<br />

Hemera<br />

Ich seh´ Entsetzliches! Was war das eben?<br />

Vom Schrei erschreckt, entspringen ihm die<br />

Pferde!<br />

Was kann er tun, die Bahn nicht zu verlassen?<br />

Helios<br />

Nichts mehr, nichts minder kann er retten<br />

wollen,<br />

als dass die Erde selbst nicht Feuer fängt!<br />

Nun ja! Jetzt hat sie Zeus hinabgerufen ....,<br />

mit s<strong>ein</strong>en Blicken überfliegt er jäh die Szene –<br />

er greift zum Blitz – und – ah! –


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(Ein greller Blitz und <strong>ein</strong> schwerer Donnerschlag<br />

durchzucken die Szene)<br />

m<strong>ein</strong> <strong>Phaethon</strong> fällt!<br />

(nach <strong>ein</strong>igem Besinnen)<br />

Den Wagen rett´ ich in die Bahn zurück!<br />

Hemera<br />

Er kommt! Die Rosse eilen rückwärts, Gott!<br />

Helios<br />

Damit genug! Der Brand erhellt all<strong>ein</strong><br />

Für diesen Tag die Welt mit Flammenbrausen!<br />

Führ´, Tag, sie in die altgewohnten Boxen<br />

und straf´ sie nicht, denn sie sind ja nicht schuld.<br />

(Eos wankt, von Selene gestützt, mit<br />

verst<strong>ein</strong>ertem Gesicht heran, nach ihnen die<br />

übrigen)<br />

Selene<br />

So bin ich heute auch <strong>ein</strong>mal entbunden<br />

Und will mit m<strong>ein</strong>er Schwester suchen geh´n.<br />

Eos<br />

(nach <strong>ein</strong>er Pause)<br />

Wen willst du suchen? Finden wirst du <strong>ein</strong><br />

zerfetztes, <strong>ein</strong> verkohltes finst´res Wesen,<br />

wovor mich schaudert, wenn ich nur d´ran<br />

denke!<br />

Lass´ mich darum all<strong>ein</strong> den Leichnam suchen,<br />

dann mag hernach mit mir gescheh´n, was will:<br />

Ich weiß, unsterblich s<strong>ein</strong> ist auch k<strong>ein</strong> Glück,<br />

weil auch das Glück von kurzer Dauer ist.<br />

K<strong>ein</strong> Ruhm, den Bräutigam zu überleben:<br />

S<strong>ein</strong> Tagwerk w a r ja längst vollbracht – Lebt<br />

wohl!<br />

Helios<br />

Zu ihm gehst du: Vergiss den Faden nicht!<br />

Eos<br />

(Helios umarmend)<br />

Du teurer Bruder, n<strong>ein</strong>, er muss erstehen –<br />

Durch d<strong>ein</strong>en Segen wird er mir unsterblich<br />

mit alle den Hoffnungen und Tränen -:Ja!<br />

Selene<br />

Ich darf dich nicht so <strong>ein</strong>sam gehen lassen<br />

und eile dir zur Nacht besorgt voraus.<br />

(Eos und Selene verlassen trauernd die Halle,<br />

ehrfürchtig durchgelassen)<br />

Fünfzehnter Auftritt<br />

Helios<br />

(an die Zuschauer des Theaters)<br />

Dies ist das Ende nicht und auch k<strong>ein</strong> Anfang.<br />

Was nun geschieht, sei weihevolles Staunen,<br />

den frommen Menschen in das Herz gesenkt<br />

zu stiller Botschaft, welche weiterwirke.<br />

Aus manchem großen Auge wird sie leuchten,<br />

die Botschaft m<strong>ein</strong>er lichtgebor´nen Kinder,<br />

(an die jungen Zuschauer)<br />

<strong>ein</strong> stummer Kreis, der schon sich selbst genügt.<br />

Und doch: Ihr seid verfolgt und müsst es leiden!<br />

Ihr Engel m<strong>ein</strong>es Lichts, mir zugeboren:<br />

Nehmt <strong>Phaethon</strong>, m<strong>ein</strong>en Sohn, zu eurer Mitte,<br />

seid Zeugen, überlasst euch nicht Vergessen,<br />

ruft eure Sehnsucht Tag für Tag herauf!<br />

Ein Gott wird s<strong>ein</strong>, der Menschen ungeachtet,<br />

der euch das Licht zu teurem Schatze hält!<br />

Und wir indessen? Ach, wir alten Götter<br />

sind mit der Griechen Untergang vergessen.<br />

Was hält es denn? Was kann es uns je schaden?<br />

Wir überwinden jede neue Zeit,<br />

indem wir uns zu neuem Geist verschmelzen<br />

und in der Schöpfung Atem lebend sind.<br />

Gleich, wer uns auch erfand: Wir lösen´s auf<br />

und geh´n zurück zum Ursprung. – Ja, der<br />

Mensch<br />

verfällt und stirbt, bis er zu Neuem werde -:<br />

Der Gott, den man auf Erden frech verlästert,<br />

verwandelt sich – denn er entbehrt ja nichts –<br />

zu ungeahnt beglückender Erfüllung.<br />

Er ist sich selbst, und was er schafft, er selbst -:<br />

S<strong>ein</strong> Spiel, im Kreise s<strong>ein</strong>er Werke ihn<br />

<strong>ein</strong> wenig freundlich grüßend zu verwundern.<br />

S<strong>ein</strong> Kosmos schwebt in unerhörten Bahnen,<br />

worin das Schicksal lächelnder Gedanke<br />

gewesen sei – nicht mehr -, <strong>ein</strong> b<strong>ein</strong>ah´ Nichts.<br />

So woll´n wir schlafen, bis uns neuer Glaube<br />

in hoher Phantasie zu spät´ren Tagen<br />

zu neuem and´ren Leben gaukelnd schaffe<br />

und wir ihn halten, bis auch er sich dann<br />

von uns´rer Hand hinweg, sich zu befreien,<br />

losreißt. Vielleicht nennt es der Mensch<br />

„Befreiung“ ... :<br />

s´íst Sklaverei des herrenlosen Geistes,<br />

und wütend, mit den freigesetzten Mitteln,<br />

zerfleischt der Knecht das herrschende Gehirn. -<br />

-<br />

(zu den umstehenden Göttern)<br />

Es stieß am Fuß uns bloß die <strong>ein</strong>e Schwelle;<br />

Wir merkten auf – nun lasst uns heimwärts<br />

gehen.<br />

(Er geht ab; die übrigen folgen ihm, nach beiden<br />

Seiten den Ausgang nehmend – Fanfaren,<br />

Paukenschläge)<br />

Chor I und II<br />

Im Zauber, den wir lächelnd Leben nenne,<br />

eratmest Licht vom Äther tief dir <strong>ein</strong>!<br />

Halt´ ehrfurchtsvoll vor dem, was wir nicht<br />

kennen,<br />

denn nichts vor Erd´ und Himmel bleibet d<strong>ein</strong>.<br />

Doch, Menschen wie auch Göttern, naht das<br />

Ende.<br />

Was irdisch war, zerfällt alsdann zu Staub,<br />

dem Himmlischen hingegen gilt´s als Wende,<br />

es wandelt sich, was künftig ungeglaubt.


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Mag nun der Götter Bild den Menschen<br />

schwinden:<br />

Ihr Wesen schwebt in aller Schöpfungskraft<br />

Und strebt, aus ungewisser Nacht zu binden,<br />

woraus e i n Gott das neue Leben schafft.<br />

Und weist euch dann <strong>ein</strong> Gottessohn aufs neue,<br />

dass doch in höchster Liebe diese Welt<br />

den Brand der rasenden Nationen scheue,<br />

so liebt auch den, der ihm zum Opfer fällt!<br />

geworden? Vielleicht sucht auch Klymene ihren<br />

Sohn?<br />

- Ich will ihn nicht! Italien ist für k<strong>ein</strong>e Heimat.<br />

Soll er also zurückkehren! – Nun, Nymphe, er<br />

ist wieder zu Hause. Aber s<strong>ein</strong> Gesicht zeig´ ich<br />

dir lieber nicht. Hm! Sollte ich ihn hier am<br />

besten gleich begraben? Aber n<strong>ein</strong>! Ich denke,<br />

s<strong>ein</strong>e Schwestern werden noch auf ihn warten<br />

wollen. –<br />

Armer junger Mensch! Konntest du´s nicht mehr<br />

abwarten? Stürmisch wie alle Jugend und zuerst<br />

mal ohne Kompromisse!<br />

(Er schnalzt missbilligend mit der Zunge)<br />

Na, dann komm herunter – ich mache dir für´s<br />

erste <strong>ein</strong> bequemes Lager!<br />

(Eridanos breitet s<strong>ein</strong>en Mantel auf die Erde,<br />

zieht alsdann die Leiche mühsam, aber<br />

vorsichtig herunter und legt sie auf den Mantel.<br />

Sie betrachtend)<br />

Da ruhe und schlafe fort. Ich trauere um dich wie<br />

um den eigenen Sohn. Wie ist <strong>ein</strong>em denn<br />

dabei? Legt man nicht mit euch Unglücklichen<br />

<strong>ein</strong> ganzes Stück Hoffnung und Liebe mit ins<br />

Grab? Ja, <strong>Phaethon</strong>, so menschlich können wir<br />

armselig verlassenen Götter fühlen. – Schlaf´<br />

wohl – ich werde d<strong>ein</strong>e Schwestern herzurufen.<br />

Dann wirst du <strong>ein</strong> stilles Grab bekommen.<br />

(Eridanos nimmt langsam s<strong>ein</strong>en Schubkarren<br />

und verlässt die Szene)<br />

Zweiter Auftritt<br />

(Philemon irrt mit Glaukos durch den Garten)<br />

Glaukos<br />

Alles so wie gestern, sagst du? Wo?<br />

Philemon<br />

Im Garten – gestern – Klymene, Herr! Das Haus<br />

ist schön!<br />

(Er schrickt vor der Leiche zurück)<br />

Fünfter Aufzug<br />

Erster Auftritt<br />

(Morgengrauen; in Klymenes Garten.<br />

Eridanos rollt auf <strong>ein</strong>em flachen Schubkarren<br />

<strong>Phaethon</strong>s verdeckten Leichnam her<strong>ein</strong>)<br />

Eridanos<br />

Hier muss es s<strong>ein</strong>.<br />

(Er setzt ab)<br />

Wie unversehrt dieser Garten doch geblieben ist!<br />

Rings tote Wälder, schwelendes Geäst,<br />

verkohlte Leichen von Tier und Mensch – hier<br />

alles wohlbehalten! – Ist denn k<strong>ein</strong>er hier?<br />

Klymene, alte Freundin, sag´, wo find´ ich dich?<br />

– Nichts – Totenstille! Ob ich im Hause suche?<br />

Ach was! Vielleicht ist ihr dies alles öd´<br />

Glaukos<br />

Was ist?<br />

Philemon<br />

Da liegt was – da ist wer – tot!<br />

Glaukos<br />

Schnell weg, sonst verprügeln sie uns!<br />

Philemon<br />

N<strong>ein</strong> – ist all<strong>ein</strong> – k<strong>ein</strong> Mensch sonst!<br />

Glaukos<br />

Wie sieht der Tote aus?<br />

Philemon<br />

Verbrannt – glaub´ ich – zugedeckt!<br />

Glaukos<br />

Ah, vermutlich gut geröstet – die Haut <strong>ein</strong>e<br />

schwarze Schwarte, was?


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(Er lacht hämisch)<br />

S<strong>ein</strong> Gesicht! Sieh nach, wer es ist!<br />

Philemon<br />

(mit äußerster Überwindung den Überwurf vom<br />

Gesicht hebend und entsetzt zurückprallend)<br />

Schwarz – k<strong>ein</strong>e Haare – Augen weit offen – ah!<br />

(Er übergibt sich)<br />

Glaukos<br />

So hab´ dich doch nicht so! K<strong>ein</strong><br />

Markenzeichen? Ist es vielleicht der f<strong>ein</strong>e Herr<br />

<strong>Phaethon</strong> selbst?<br />

Philemon<br />

Es ist – nichts – Menschliches mehr an ihm!<br />

Glaukos<br />

Hat er Geld? – Nun los! Durchsuche ihn! Den<br />

Gürtel!<br />

Philemon<br />

(die Leiche voll Abscheu oberflächlich musternd)<br />

Es hängt nichts d´ran!<br />

Glaukos<br />

Siehst du sonst <strong>ein</strong>e Kreatur?<br />

(Er wendet sich zum Gehen)<br />

Glaukos<br />

Zum Hades mit dir undankbaren Kreatur!<br />

Verflucht sei d<strong>ein</strong> Übermut! Komm her, sag´ ich!<br />

Ratte! Wirst du wohl hören?<br />

(Er tappt wütend umher, stößt häufig an)<br />

Au! Höllenhund! Gib Ton, du Köter! Her zu mir!<br />

(jammernd)<br />

Willst du mich denn all<strong>ein</strong> ins Unglück stürzen<br />

lassen? Warst du nicht m<strong>ein</strong> bester Freund?<br />

(In´s Schweigen horchend)<br />

Warte! Wart´, du begegnest mir <strong>ein</strong>es Tages<br />

doch noch! Dann wirst du´s bezahlen, was du<br />

mir heute getan hast! Du wirst bezahlen!<br />

Totschlagen werde ich dich Ungeziefer ...!<br />

(Er findet langsam davon)<br />

Dritter Auftritt<br />

(Die Nymphen ersch<strong>ein</strong>en, sammeln sich um<br />

<strong>Phaethon</strong>s Leichnam)<br />

Oreade<br />

Eridanos sagte, er habe ihn hier in den Garten<br />

gelegt?<br />

Nichts, Herr!<br />

Philemon<br />

Najade<br />

Das versprach er uns.<br />

Glaukos<br />

Gut, dann gehen wir jetzt in´s Haus und sehen<br />

und dort nach etwas Brauchbarem um!<br />

Philemon<br />

Herr, ich beraube k<strong>ein</strong>e Toten!<br />

Glaukos<br />

Willst du wohl hören, Tölpel?<br />

(Er schlägt ihn)<br />

Reicht es dir nicht, dass sie im Leben in Saus<br />

und Braus gelebt haben? Willst du ihnen ihre<br />

Reichtümer noch in die Grube nachwerfen oder<br />

gar auf den Scheiterhaufen legen?<br />

Philemon<br />

Herr, mir graut vor dir! Ich habe dir geglaubt –<br />

du bist doch <strong>ein</strong> Seher! Bist du so habgierig?<br />

Glaukos<br />

Ach, geh! Ich war noch nie <strong>ein</strong> Gesandter der<br />

Götter! Ich habe nur den Schabernack des<br />

Zufalls für mich ausgenutzt. Wozu also das<br />

fromme Gewimmer? Die Götter Griechenlands<br />

haben sich blamiert. Unser Leben geht weiter!<br />

Wir müssen zu Menschen, die mehr Glück hatten<br />

als wir. Von denen können wir erben – nicht von<br />

diesen verkohlten Ratten! Los, vorwärts ins<br />

Haus!<br />

Philemon<br />

N<strong>ein</strong>, Herr. Ich muss dich jetzt verlassen!<br />

Nereide<br />

Hier liegt <strong>ein</strong> Mensch – aber: wie übel<br />

zugerichtet! Er ist verbrannt. Wie sollen wir je<br />

erfahren, ob es <strong>Phaethon</strong> war?<br />

Echo<br />

(tritt vor, kniet nieder, streichelt den Leichnam)<br />

Nicht so, m<strong>ein</strong> Bruder – nicht wahr? N<strong>ein</strong>, bist<br />

du auch tot, so geb´ ich dir d<strong>ein</strong> Aussehen<br />

wieder! Weißt du nicht? Gestern? Wie<br />

unversehrt war doch d<strong>ein</strong>e Hand, Liebster!<br />

Warum willst du denn nicht auch wieder leben?<br />

Oreade<br />

Echo! Er ist´s – als läge er und schliefe!<br />

Echo<br />

Die Kunst, ihn wieder lebendig zu machen,<br />

verstehe ich leider nicht.<br />

Dryade<br />

Es ist so besser! Er hat genug gelitten. Armer<br />

Bruder! Komm, Oreade, lass´ uns nach Blumen<br />

Ausschau halten und ihn damit schmücken.<br />

Najade<br />

Wo ist bloß Mutter?<br />

Nereide


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Sie ruht bei ihrer Dienerschaft, verwandelt,<br />

unerkannt, als hätte sie den Tod gefunden. Lasst<br />

sie schlafen! Wir werden heute <strong>ein</strong> trauriges<br />

Geschäft zu vollziehen haben.<br />

Das kann ich nicht!<br />

Najade<br />

Nereide<br />

Du hast wohl recht – auch mir versagen die<br />

Glieder langsam ihren Dienst.<br />

Oreade<br />

Ist dies hier nicht das Geschäft der Menschen?<br />

Mir ist, als fehlten mir zu den Blüten auch die<br />

Tränen, als söge die Nacht mir letzte Mittel, das<br />

Leben zu verlängern.<br />

Nereide<br />

Was hält uns, Schwestern? Trauer? Wofür? Er ist<br />

dahin! Auch unsere Mutter ist nicht mehr. Chaos<br />

triumphiert. Von Philos k<strong>ein</strong>e Spur – er müsste<br />

längst hier s<strong>ein</strong>! Oder bestattet er eigene<br />

Verwandte? Liegt auch er unter rauchenden<br />

Trümmern begraben? – Alles weicht fernhin von<br />

uns ab!<br />

Najade<br />

Die letzten Blüten! Damit schmück´ ich m<strong>ein</strong>es<br />

Bruders Schlaf. Mehr, Liebster, kann ich für dich<br />

nicht tun. Schlaf´ wohl!<br />

Dryade<br />

Von mir das Laub! Zum Kranz um d<strong>ein</strong>e Stirne<br />

reicht es nicht. Komm, <strong>Phaethon</strong>, mit in unser<br />

Reich! Auch wir wollen nicht zurück. Wir gehen<br />

auf in den großen Atem des neuen Lebens – zu<br />

anderen Zeiten und zu anderen Welten! Komm<br />

doch mit!<br />

Nereide<br />

Es wandeln Ort und Zeiten ihren Sinn – wir<br />

wandeln unerkannt durch sie hindurch, um dich,<br />

geliebtes Herz, auf immer zu bew<strong>ein</strong>en!<br />

Oreade<br />

Lasst uns nun alle Elemente still verlassen – wir<br />

gehen <strong>ein</strong> in das umfassende Vergehen und<br />

Beginnen.<br />

Komm, Echo!<br />

Dryade<br />

Echo<br />

(die Leiche schmückend)<br />

Geduld! Geduld! Ich komme nach! Noch ist mir<br />

Kraft gegeben, m<strong>ein</strong>en Dienst an <strong>Phaethon</strong>s<br />

Tode zu vollenden.<br />

Nereide<br />

(von ferne)<br />

Lebt wohl, Schwestern!<br />

Echo<br />

Lebt wohl, m<strong>ein</strong>e Schwestern!<br />

(zu <strong>Phaethon</strong>)<br />

Nun, Bruder, sind wir wieder ganz all<strong>ein</strong>!<br />

Schön bist du wieder – so, wie gestern nacht, und<br />

d<strong>ein</strong>e Züge ruhen still in Frieden.<br />

Du liebes Haupt!<br />

(Sie bricht in heftiges W<strong>ein</strong>en aus)<br />

Ach weh, ihr starken Glieder!<br />

(Die übrigen Nymphen haben jetzt die Szene<br />

verlassen; Echo all<strong>ein</strong>)<br />

Vierter Auftritt<br />

Echo<br />

(all<strong>ein</strong> mit <strong>Phaethon</strong>)<br />

Zerschlagen war euch das Geschick hinab in<br />

Eridanos´ Bett, doch er hob dich, hob m<strong>ein</strong>en<br />

Bruder, selber schmerzerfüllt, aus s<strong>ein</strong>en Fluten,<br />

sieh – und brachte ihn uns her.<br />

(Sie kniet)<br />

Wie ruhte gestern noch m<strong>ein</strong> trostlos dumpfer<br />

Kopf<br />

an d<strong>ein</strong>er Brust, worin ich stark d<strong>ein</strong> Herz<br />

mir klopfen hörte, als wolltest du mir sagen: Sei<br />

getrost! Ich schlage ja – was kümmert uns die<br />

Welt?<br />

Warum, m<strong>ein</strong> Bruder, warum konnt´ ich dich<br />

nicht<br />

mit der heißen Schwesterliebe halten?<br />

Ja, ja – ich weiß es ja: Dich sog die Sehnsucht<br />

zu Eos, ohne dass du wusstest, dass sie es war<br />

und wo sie wohnte – mit allen Strängen der<br />

Natur hinan zu Helios´ Thron! Und? Fand sie<br />

dich in allem, was sie angerichtet, zur<br />

Entscheidung reif?<br />

Du hättest nie zurück gekonnt!<br />

Was suchtest du, so zwischen Welt und Himmel<br />

ohne Heimat,<br />

bei den Göttern? D<strong>ein</strong>e Sinne spürten jene Kluft<br />

der unglückseligen Verflechtung auf.<br />

N<strong>ein</strong>, ohne Fesseln durftest du ja nicht als<br />

Sterblicher Unsterbliches begehen -–das wusstest<br />

du als<br />

Kind ja schon! So hat dich das, worum du<br />

niemals ringen wolltest, am Ende doch erreicht<br />

und vom<br />

Zenit herabgeworfen.<br />

Du warst m<strong>ein</strong> Bruder – ach, m e i n Bruder!<br />

Und was bleibt jetzt?<br />

Die treuen Schwestern haben dich verlassen,<br />

und Still wächst bald über d<strong>ein</strong>em toten Glück<br />

der Ruhe.<br />

Dem Fels ver<strong>ein</strong>t: So kann ich manches<br />

Erdenalter überdauern, jammern zwar! Doch das<br />

genügt der Zeit,<br />

den faden Kompromiss, an Opfern mehr, als dass<br />

man sich, sofern man menschlich fühlt, an ihrem<br />

unmenschlichen Verlangen stößt,


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zu vergessen!<br />

Vergessen! Kann dich je <strong>ein</strong> gottgewolltes<br />

Wesen<br />

im Chaos d<strong>ein</strong>es hohnerfüllten Ruhmes<br />

übersehen?<br />

N<strong>ein</strong>: Leichtsinn, Großmannssucht war´s nicht!<br />

Es war, <strong>ein</strong>mal im Leben vor die Wahl gestellt,<br />

d<strong>ein</strong> ganzes Ich, das in der Flamme sich<br />

verzehrte.<br />

Nun ist, mit diesem Weltenbrand, der Glaube<br />

Wohnung auch vernichtet und verschwelt, und,<br />

nutzlos, hebt k<strong>ein</strong> frommer Grieche zu s<strong>ein</strong>en<br />

Göttern die Hände zum Gebet. Er flehte doch zu<br />

st<strong>ein</strong>geword´nen<br />

schönen Toten, nicht zu lebensrettendem Gewinn<br />

der trüben Seele!<br />

Oh, <strong>Phaethon</strong>, kehrte je das Leben dir zurück,<br />

wie wollt´ ich m<strong>ein</strong>e Schläfe an der Schulter dir<br />

bei scherzendem Geplauder ruhen lassen! Ach,<br />

striche nur noch <strong>ein</strong>mal d<strong>ein</strong>e sanfte Rechte<br />

das lockenschwere Haar mir aus der Stirne,<br />

und jeden Kuss, den du mir schenktest, wollt´ ich<br />

sehnsuchtsvoll erwidern – ach,<br />

nun kommst du lebend nie zurück?<br />

Du liegst so kalt! Auch mir gefriert das Leben,<br />

das langsam sich von dannen stiehlt,<br />

den Körper abermals zu düsterem Felsgest<strong>ein</strong>.<br />

Mir ist so kalt! Ach, <strong>Phaethon</strong>, liebster Bruder –<br />

kalt - ist - alles ....<br />

(in die Felswand zurücktretend, zu St<strong>ein</strong><br />

werdend)<br />

Fünfter Auftritt<br />

(Jahrtausende führen Eos heran)<br />

Eos<br />

Ihr namenlosen Schwestern! Sagt, ruht m<strong>ein</strong><br />

<strong>Phaethon</strong>, m<strong>ein</strong> Gemahl, an dieser Stätte?<br />

Kenn´ ich sie doch! Ist das hier nicht<br />

Klymenes Garten? Er ist es doch!<br />

Nur – will mich k<strong>ein</strong>er mehr begrüßen?<br />

(Die Jahrtausenden gehen stumm)<br />

Sechster Auftritt<br />

Eos<br />

Verlasst ihr mich? Ist das euer Vermächtnis, dass<br />

ihr mich lehrt, <strong>ein</strong>sam unsterblich zu werden? Oh<br />

ja, die alten Götter traten ab; <strong>ein</strong> Frevel häuft<br />

sich zum nächsten, und wellenartig riss es alles<br />

mit hinab. Ist´s nicht so? N<strong>ein</strong>?<br />

Da raucht nun Hellas´ Pracht – <strong>ein</strong> göttergleiches<br />

mächtiges Geschick – als käm´ es aus der<br />

Fremde! Zerrissen ist das duftige Gespinst des<br />

alten Glaubens!<br />

Bleib´ ich all<strong>ein</strong> zurück? – Bin ich das Letzte ...?<br />

Was kann mir vorbehalten bleiben, wenn die<br />

Erde <strong>ein</strong>stmals verkohlt, entmenscht?<br />

Wem soll ich glühen, rosenfingrig Hoffnung<br />

senden? Wen soll ich grüßen -–und von wem?<br />

Was halt´ ich hier noch in der Hand?<br />

Ein Faden ist´s – den <strong>Phaethon</strong> Lachesis entriss!<br />

Ja, du ergriffest d<strong>ein</strong> Geschick mit kühner Hand,<br />

beendetest das ungewisse Jetzt!<br />

Zwar bist auch du nicht mehr! Du hattest mich<br />

zu Höherem erheben sollen als zu bloßer Liebe,<br />

mich von gewohnter Sinnlichkeit<br />

hinaufzulocken!<br />

Den Faden werf´ ich fort – du wolltest ihn ja<br />

auch nicht mehr. Und dennoch weiß ich, dass du<br />

leben musst!<br />

In vielen Seelen wirst du wiederkehren.<br />

Nur in der unbeirrten steten Wiederholung d<strong>ein</strong>es<br />

Opferwillens liegt der Sinn: Nach höchster<br />

Menschlichkeit zu fordern und zu leben, so will<br />

ich s<strong>ein</strong>, was du nicht werden durftest! D<strong>ein</strong><br />

Schicksal ist so wenig nutzlos wie das Sterben<br />

jener Menschen, die die stumpfe Welt verkennt<br />

und die sie doch so heilsam zu durchforschen<br />

wussten.<br />

Wehe dem Volk, in dem das Ringen <strong>Phaethon</strong>s<br />

ohne Widerhall verklingt und schlimmem<br />

Gleichmut unterliegt!<br />

Es ist nicht wert, dass auch nur <strong>ein</strong>e große Seele<br />

darum bangte!<br />

Wo du nicht fragst, woher du kommst, wozu du<br />

bist, wohin du gehen wirst, oh Mensch, da wird<br />

k<strong>ein</strong> Gott dir d<strong>ein</strong> erkaltetes Gewissen rühren,<br />

und niemals wirst du <strong>Phaethon</strong>s raschen Tod<br />

begreifen!<br />

Was auch die Welt erschaffen hat und hält: Es<br />

stelle mich, die Morgenröte, als Symbol der<br />

Treue zu allem täglich ins Geschehen, was zu<br />

Bess´rem hoffen lässt! Ich will <strong>ein</strong> Freund s<strong>ein</strong>,<br />

wem der Tag<br />

beginnt mit heißer Herzensglut,<br />

will Trost ihm leuchten, wenn er sich in<br />

Einsamkeit begreift, wo er die Welt umarmen<br />

wollte, ich will ihm lächeln, wenn die Kreatur<br />

das Herrliche, das Ahnen<br />

in ihm verkennt, will schmeichelnd röten, wo der<br />

Gram ihn blasser krankt, will Hoffnung strahlen,<br />

wo Verzweiflung wuchert, will ruhelos den<br />

Einzelnen erwarten, wenn ihn die Menge frech<br />

verstößt – ich will ihm Zeichen s<strong>ein</strong> für alles,<br />

was ihn weit erhebt zu großem Sehnen, <strong>ein</strong><br />

ewiger Bruder m<strong>ein</strong>es Gatten <strong>Phaethon</strong>, den ich<br />

finden möchte, soll er werden! - -<br />

Der Gram zerfrisst m<strong>ein</strong> Selbst! Nicht <strong>ein</strong>e<br />

Nymphe, nicht <strong>ein</strong> Mensch, der mich zu<br />

<strong>Phaethon</strong> führen könnte?<br />

(Sie schaut angestrengt um sich,<br />

entdeckt <strong>Phaethon</strong>s Leiche hinter sich)<br />

Eos


www.grabbe-contacts.conne.net 73<br />

(knieend)<br />

So ernst? – Wie immer! Sag´, wer legte heimlich<br />

dich hierher? Doch n<strong>ein</strong> – mich hat man<br />

hergeführt, und ich war blind vor Kummer!<br />

Verzeih, m<strong>ein</strong> Liebster! Schläfst du nur? Ja?<br />

Aber d<strong>ein</strong>e Hände sind so kalt! Wer hat dich so<br />

menschlich hergerichtet? Nach diesem<br />

grauenvollen Sturz kannst du doch so nicht<br />

gebettet worden s<strong>ein</strong>! War machte dieses<br />

Wunder noch? – Es ist auch <strong>ein</strong>erlei! Ich sehe<br />

dich ja doch nicht lebend wieder!<br />

Nur <strong>ein</strong>e Nacht warst du m<strong>ein</strong> Geliebter – was<br />

habe ich entbehrt bis zu dieser Nacht – was<br />

werde ich gewinnen seit dieser Nacht? – Sagst<br />

du´s mir nicht?<br />

(Sie w<strong>ein</strong>t)<br />

Sieh – Göttertränen – die letzten – und niemals<br />

wieder! Und tropfen sie auf dich hernieder und<br />

wecken dich nicht auf?<br />

Wahrhaftig – <strong>ein</strong> Mythos ging zu Ende, und tot<br />

sind nun die Götter! Wer blieb dann ich?<br />

Ob ich´s versuche? Nur <strong>ein</strong>mal - ?<br />

(sie horcht, steht auf, tritt scheu zurück.<br />

Der Autor ersch<strong>ein</strong>t, findet auf der Bühne den<br />

Faden, geht unschlüssig zurück.<br />

Sie tritt erneut zu <strong>Phaethon</strong> heran,<br />

berührt s<strong>ein</strong>e Schulter):<br />

<strong>Phaethon</strong>!<br />

Eos<br />

(Posaunen wie im Vorspiel!<br />

Der Autor kehrt zurück, steht horchend.<br />

Noch während sich der Vorhang schließt, sieht<br />

man <strong>Phaethon</strong> sich aufstützen;<br />

Wie nun das Licht im Zuschauerraum zunimmt,<br />

nimmt die Lautstärke der Posaunen ab, bis der<br />

Vorhang geschlossen ist).<br />

- (Ende) -<br />

(Dem Schöpfer se Dank, dass mit Eingießen der Seele in<br />

dieses <strong>Gedicht</strong> <strong>ein</strong> kostbarer Mensch zum Leben erwachen<br />

durfte! – Juni 1982 / September 2000) –<br />

<strong>Gerhard</strong> <strong>Grabbe</strong>


www.grabbe-contacts.conne.net 74<br />

Bühnenplan für die Aufführung des<br />

„<strong>Phaethon</strong>“<br />

Vorhang zur Begrenzung<br />

der Szene<br />

Obere Plattform:<br />

Der Palast des<br />

Helios;<br />

Ein Vorhang bildet<br />

den sichtbaren<br />

Abschluss, davor<br />

der Thron Helios´<br />

Die Spielstufen in der Ansicht von oben. Sie führen um das<br />

Kernhaus herum; dieses stellt das Haus der Klymene dar.<br />

Seitenansicht<br />

des<br />

Bühnenaufba<br />

ues<br />

Ansteigende Treppenstufen,<br />

die um den<br />

Innenbereich herumführen.<br />

Sie sind an den<br />

Innen- wie Außensäulen<br />

zu befestigen<br />

und mit Lichtquellen<br />

zu füllen. Für die Stufen<br />

sollte man Heizdrähte<br />

mit <strong>ein</strong>gießen,<br />

damit die Schauspieler<br />

barfuß spielen können.<br />

Die Spielebenen<br />

können so<br />

ansteigend oder<br />

zurücksetzend auf<br />

ihren Bedeutungsebenen<br />

fußend<br />

genutzt werden.<br />

Die<br />

Gesamtkonstruktion<br />

soll aus Acryl<br />

ge-baut werden,<br />

damit sie von allen<br />

Seiten und von<br />

vorn nach hinten<br />

durchschaubar<br />

bleibt - mit den<br />

Lichteffekten.<br />

Die ansteigenden Spielebenen aus durchsichtigem Acryl, beheizbar, um das Haus als Innenbereich<br />

herumführend; mit der letzten Handlungsstufe ist dann auch das Dach, der Sitz des Helios, erreicht.<br />

Die Nymphen treten anfangs in Mänteln ihres Genres auf; als die Gefährten des <strong>Phaethon</strong> sie suchen,<br />

haben sie sich darin zu <strong>ein</strong>er der Formen verkleidet, denen sie von ihrem Bedeutungscharakter her<br />

durch die Mythologie zuzuordnen sind. Die Stufen sollen im Uhrzeigersinn angeordnet befestigt s<strong>ein</strong>, so<br />

dass der Ort der Parzen links vom Gebäude und fast unterhalb der Dachebene gut sichtbar für alle<br />

Besucher im Blickfeld steht. – Gelingt der in die Säulen <strong>ein</strong>zulassende Lichtquellen-Effekt, lässt sich<br />

mit den Spielebenen sowohl die Höhe des Lichtes als auch dessen Farblichkeit so verändern, dass am<br />

Ende der Palast des Helios wie aus der Dunkelheit heraus zu schweben sch<strong>ein</strong>t.

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