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Liebe neu lernen

„Du wirst dich später als einsamer, alter Mann von deinem Töchterchen pflegen las­sen müssen, wenn du dich nicht mal bald um eine neue Frau kümmerst.“ Machte ich Claude deutlich. Er schmunzelte, schaute mich an „Und du?“ fragte er nur. Ich hätte ihn jetzt gern geküsst, traute mich aber nicht. Einige Schritte weiter tat ich es dann aber doch. Wir schauten uns lange an. Die anderen waren schon weit voraus. „Sandra ich lie­be dich einfach immer.“ sagte Claude, „Das wird nie wieder weg gehen. Das ist wie eingebrannt. Auch eine andere Frau wird das nicht auslöschen können. Selbst wenn es gar keine Chance für die Realisierung gibt, es ist einfach da. Wie du deine Mutter liebst, was auch niemand verändern kann, bist du es mit der Liebe zu einer Frau in mir. Ich will es ja eigentlich gar nicht. Es würde ja vieles erleichtern, wenn es nicht so wäre, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Was ich dir damals in Bonn gesagt habe, warum ich dich für so eine tolle Frau halte, sehe ich zwar auch so, aber das ist es nicht, was es ausmacht. Da ist noch etwas anderes, was ich nicht benennen, was ich nicht fassen kann.“ Was sollte ich dazu sagen. „Puh,“ stöhnte ich nur. „Ich liebe meine Tochter. Wie Liebe zu einem Mann geht, ob ich das noch weiß, Claude? Vielleicht habe ich es in der langen Winterzeit völlig vergessen. Oder vergisst eine Frau so etwas nie? Ob wir das mal klären sollten? Sonst müsste ich es eben neu lernen. Würdest du mir denn dabei helfen? Ich mag dich nämlich auch schon sehr gern, Claude. Ob wir mal etwas in der Richtung versuchen sollten?“ Claude lächelte und wir küssten uns nochmal, Jetzt ein wenig intensiver und länger.

„Du wirst dich später als einsamer, alter Mann von deinem Töchterchen pflegen las­sen müssen, wenn du dich nicht mal bald um eine neue Frau kümmerst.“ Machte ich Claude deutlich. Er schmunzelte, schaute mich an „Und du?“ fragte er nur. Ich hätte ihn jetzt gern geküsst, traute mich aber nicht. Einige Schritte weiter tat ich es dann aber doch. Wir schauten uns lange an. Die anderen waren schon weit voraus. „Sandra ich lie­be dich einfach immer.“ sagte Claude, „Das wird nie wieder weg gehen. Das ist wie eingebrannt. Auch eine andere Frau wird das nicht auslöschen können. Selbst wenn es gar keine Chance für die Realisierung gibt, es ist einfach da. Wie du deine Mutter liebst, was auch niemand verändern kann, bist du es mit der Liebe zu einer Frau in mir. Ich will es ja eigentlich gar nicht. Es würde ja vieles erleichtern, wenn es nicht so wäre, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Was ich dir damals in Bonn gesagt habe, warum ich dich für so eine tolle Frau halte, sehe ich zwar auch so, aber das ist es nicht, was es ausmacht. Da ist noch etwas anderes, was ich nicht benennen, was ich nicht fassen kann.“ Was sollte ich dazu sagen. „Puh,“ stöhnte ich nur. „Ich liebe meine Tochter. Wie Liebe zu einem Mann geht, ob ich das noch weiß, Claude? Vielleicht habe ich es in der langen Winterzeit völlig vergessen. Oder vergisst eine Frau so etwas nie? Ob wir das mal klären sollten? Sonst müsste ich es eben neu lernen. Würdest du mir denn dabei helfen? Ich mag dich nämlich auch schon sehr gern, Claude. Ob wir mal etwas in der Richtung versuchen sollten?“ Claude lächelte und wir küssten uns nochmal, Jetzt ein wenig intensiver und länger.

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Carmen Sevilla<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong><br />

Der Frühling lässt auf sich warten<br />

Erzählung<br />

Etwas hat mein armes warmes Leben<br />

irgendeinem in die Hand gegeben,<br />

der nicht weiß was ich noch gestern war.<br />

"Die <strong>Liebe</strong>nde", Das Buch der Bilder, Rainer Maria Rilke<br />

„Du wirst dich später als einsamer, alter Mann von deinem Töchterchen<br />

pflegen lassen müssen, wenn du dich nicht mal bald um eine <strong>neu</strong>e Frau<br />

kümmerst.“ Machte ich Claude deutlich. Er schmunzelte, schaute mich<br />

an „Und du?“ fragte er nur. Ich hätte ihn jetzt gern geküsst, traute mich<br />

aber nicht. Einige Schritte weiter tat ich es dann aber doch. Wir schauten<br />

uns lange an. Die anderen waren schon weit voraus. „Sandra ich liebe<br />

dich einfach immer.“ sagte Claude, „Das wird nie wieder weg gehen. Das<br />

ist wie eingebrannt. Auch eine andere Frau wird das nicht auslöschen<br />

können. Selbst wenn es gar keine Chance für die Realisierung gibt, es ist<br />

einfach da. Wie du deine Mutter liebst, was auch niemand verändern<br />

kann, bist du es mit der <strong>Liebe</strong> zu einer Frau in mir. Ich will es ja<br />

eigentlich gar nicht. Es würde ja vieles erleichtern, wenn es nicht so<br />

wäre, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Was ich dir damals in<br />

Bonn gesagt habe, warum ich dich für so eine tolle Frau halte, sehe ich<br />

zwar auch so, aber das ist es nicht, was es ausmacht. Da ist noch etwas<br />

anderes, was ich nicht benennen, was ich nicht fassen kann.“ Was sollte<br />

ich dazu sagen. „Puh,“ stöhnte ich nur. „Ich liebe meine Tochter. Wie<br />

<strong>Liebe</strong> zu einem Mann geht, ob ich das noch weiß, Claude? Vielleicht habe<br />

ich es in der langen Winterzeit völlig vergessen. Oder vergisst eine Frau<br />

so etwas nie? Ob wir das mal klären sollten? Sonst müsste ich es eben<br />

<strong>neu</strong> <strong>lernen</strong>. Würdest du mir denn dabei helfen? Ich mag dich nämlich<br />

auch schon sehr gern, Claude. Ob wir mal etwas in der Richtung<br />

versuchen sollten?“ Claude lächelte und wir küssten uns nochmal, Jetzt<br />

ein wenig intensiver und länger.<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 1von 22


<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> - Inhalt<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong>.............................................................................4<br />

Weihnachten..................................................................................4<br />

Perspektiven...................................................................................4<br />

Herbstzeit....................................................................................... 5<br />

L' Amour und die Familie................................................................ 5<br />

Verloren..........................................................................................6<br />

Was willst du von mir?...................................................................6<br />

Rauswurf........................................................................................ 7<br />

Kein Frühling in Sicht.....................................................................7<br />

Keine Entwicklung.......................................................................... 8<br />

Neu Inspirationen...........................................................................9<br />

Neues Leben?............................................................................... 10<br />

Beziehungen................................................................................. 10<br />

Besuch bei Linchen....................................................................... 11<br />

Flaute in der Apotheke.................................................................12<br />

Monsieur Denon............................................................................13<br />

Wiedersehen.................................................................................13<br />

Linas Freund................................................................................. 15<br />

Kein Wandel................................................................................. 16<br />

Camille kommt..............................................................................16<br />

Unerwarteter Besuch....................................................................17<br />

Neue Freundschaft.......................................................................18<br />

Besuch in Liége.............................................................................18<br />

Neue <strong>Liebe</strong>....................................................................................19<br />

Wechselnde Besuche.................................................................... 20<br />

Claude kommt nach Bonn............................................................. 20<br />

Frühlingsperspektive.................................................................... 21<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 2von 22


<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong><br />

Weihnachten<br />

Auf die Weihnachtszeit freue ich mich. Nicht nur ich freue mich heute, sondern<br />

soweit man weiß, bot sie immer schon für die Menschen Anlass zu Freude und<br />

festlichen Veranstaltungen. Die katholische Kirche erklärte Weihnachten zum<br />

Geburtstag ihres Religionsstifters, doch das weiß man erst seit Karl dem<br />

Großen, der bei Androhung der Todesstrafe dadurch früher übliche, als heidnisch<br />

bezeichnete Bräuche ersetzte. Ich freue mich auch nicht, weil angeblich<br />

um diese Zeit in einem Stall in Palästina ein vorgeblich nicht gezeugter Tischlerssohn<br />

geboren sein soll. Das lässt mich cool, kann keine angenehmen emotionalen<br />

Regungen in mir wecken. Ich freue mich, weil Weihnachen symbolisiert,<br />

dass eine zunehmend unangenehmer werdende Zeit ihr Ende gefunden<br />

hat, dass ab jetzt etwas Neues beginnt, in dem langsam aber stetig und unwiderruflich<br />

die Annehmlichkeiten größer werden. Die dunklen grauen Herbstund<br />

Wintertage sind vorbei. Die Sonne wird intensiver ihr Licht ausstrahlen,<br />

und es wird morgens früher hell und abends später dunkel. Es geht auf den<br />

Frühling zu. Eine freudig stimmende Erwartung, die dieser Wechsel um die<br />

Weihnachtszeit mit sich bringt.<br />

Das feiern die meisten Menschen an Weihnachten heute allerdings nicht. Sie<br />

geben sich Gelüsten hin, deren Befriedigung ihnen womöglich das übrige Jahr<br />

über versagt ist, und deren anheimelnde Erscheinungsformen Wärme vermittelndes<br />

Glück versprechen. Das mag ich nicht und ist nicht mein Weihnachten,<br />

dieses Bedürfnis nach imaginierter Glückseligkeit, nach Rauschgoldengeln und<br />

Glühweinduft, die Freude an kindlich naiven Verkleidungen, an süßlichen Liedchen<br />

und Dekorationen in immer perfektionierterer Kitschigkeit. Das entspricht<br />

eher einem kindlich naiven Anpassungsverhalten, was zu meiner Freude auf<br />

die Wintersonnenwende in keiner Beziehung steht.<br />

Perspektiven<br />

Ich bin keine Landwirtin, für die die Jahreszeiten und Witterungsbedingungen<br />

bedeutsam sind, aber mir gefällt es, Situationen zu erleben, in denen sich eine<br />

angenehme Perspektive, eine positive Entwicklung abzeichnet. Davon ist dem<br />

Herbst nichts vergönnt. Im Gegenteil, die Annehmlichkeiten es Sommer verschwinden<br />

nach und nach, und die graue Tristesse feuchter dunkler Regentage<br />

nimmt zu. Welche Freude bereiten da die ersten Schneeglöckchen und Krokusse,<br />

sowie schon mal ein warmer Tag im März. Es ist weniger das einzelne Erlebnis,<br />

das uns erfreut, sondern das vermittelte Signal, das bald wieder Blumen<br />

blühen, und die Bäume uns mit dem angenehmem Grün ihrer Blätter erfreuen<br />

werden. Im Café noch leicht fröstelnd, denken wir an die kommende<br />

warme Zeit, die es uns erlaubt, in lauer Abendluft noch spät draußen zu sitzen.<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 3von 22


Wir wissen es wird angenehmer, bequemer, es kommt eine Zeit, die in uns viele<br />

wohltuende emotionale Erlebnisse bereiten wird. Das stimmt jetzt schon<br />

freudig und hebt unser Befinden.<br />

Ich brauche dieses Empfinden, eine Perspektive zu haben, eine Entwicklung zu<br />

sehen, auf die ich mich freuen, oder die ich zumindest gutheißen kann. Jeden<br />

Tag zu leben, wie ich ihn gestern auch schon gelebt habe, und dort ja nichts<br />

Schlimmes passiert ist, reicht mir nicht. Das es schlimmer, beziehungsweise<br />

schlechter wird, vollzieht sich in der Regel nicht durch ein plötzliches unerwartetes<br />

Ereignis, sondern langsam Tag für Tag ein ganz klein wenig. Du nimmst<br />

es gar nicht wahr. So wie du älter wirst, und es auch nicht Tag für Tag erkennst.<br />

Jeder Tag scheint dir wie der vorhergehende und trotzdem hat sich etwas<br />

verändert. Deine Tage sind kein Kontinuum sie sind immer ein Prozess, ein<br />

Prozess der eine Entwicklung hat. Dass deine Haut langsam älter wird, deine<br />

Organe an Funktionstüchtigkeit verlieren, ist eine feststehende Entwicklung,<br />

auf die du keinen grundsätzlichen Einfuss hast, die Entwicklung deiner Persönlichkeit,<br />

deiner emotionalen Lage ist jedoch kein festgelegter Prozess, sondern<br />

hängt von dir, deinem Handeln und deinen Erfahrungen ab.<br />

Herbstzeit<br />

Betrachte ich mich, habe ich über viele Jahre mit einer Herbstzeit ähnlichen<br />

Perspektive gelebt. Über viele Jahre habe ich im Zusammenleben mit meinem<br />

Mann positive Entwicklungen nicht erlebt, ja ich habe sie gar nicht mal mehr<br />

erwartet. Ich habe nicht gewusst, dass man es braucht, dass ich es brauche.<br />

Ich wahr froh, wenn ich meinte festzustellen, es sei nicht erkennbar schlimmer<br />

geworden sei. Ich fand es zwar nicht erfreulich, aber auch nicht außergewöhnlich<br />

schlimm. Es hat lange gedauert, bis mir bewusst wurde, wie perspektivlos<br />

es ist, und jede Vorstellung davon, jeder Anspruch darauf ein glückliches Leben<br />

zu führen, in diesem Zusammenhang nicht möglich sein werden.<br />

L' Amour und die Familie<br />

Als „ganz normal“ würde ich es bezeichnen. Wir waren schrecklich verliebt, als<br />

ich Sebastian kennenlernte. Kaum eine Minute konnten wir ohne den andern<br />

sein. Sebastian musste dafür sogar ein zusätzliches Semester einlegen. Es war<br />

alles wunderschön und aufregend. Dass unsere <strong>Liebe</strong>, unser Verliebtsein<br />

nachließ oder abnahm, ist mir nicht aufgefallen. Natürlich konnte es nicht immer<br />

so bleiben, so konnte man ja auch nicht mit den Alltagserfordernissen zurecht<br />

kommen, aber dass wir uns auch noch nach zwei Jahren genauso lieb<br />

hatten, sah ich schon so. Dann kamen die Kinder im Abstand von zwei Jahren,<br />

noch mehr Alltagserfordernisse und zwei kleine Nebenbuhler um Zuwendung<br />

und <strong>Liebe</strong>. Sicherlich hatte sich an unserer <strong>Liebe</strong> etwas verändert. Sebastian<br />

war ja immer da, große Sehnsucht nach ihm brauchte es nicht zu geben, aber<br />

dass ich ihn weniger geliebt hätte, konnte ich nicht sehen. Insgesamt wurde<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 4von 22


aber doch wohl langsam immer alles selbstverständlicher. Alltag eben. Die Beziehung<br />

zu Sebastian auch. Sie gehörte zwar dazu, aber im Vordergrund stand<br />

eher, alles gemanagt zu bekommen. Ich hatte wieder angefangen zu arbeiten,<br />

Linchen war auch in die Schule gekommen, und ich musste mich sorgen, wie<br />

ich in meinem Terminplan alles geregelt bekam. Sebastian kümmerte sich auch<br />

um vieles, wir liebten uns ja. Oder war es damals schon nicht viel mehr als<br />

eine gute freundschaftliche Beziehung? Ich konnte es nicht erkennen. Wir<br />

schliefen zwar miteinander, aber das war auch ebenso dieses<br />

selbstverständliche Alltagsgeschehen, dieser Familienablauf. Nur selten dachte<br />

ich darüber nach, ich funktionierte einfach und war damit zufrieden. Im Grunde<br />

war alles wie früher bei mir zu Hause, zwei Kinder und zwei Organisatoren, die<br />

alles zufriedenstellend am Laufen hielten. Wo war ich eigentlich? Meine<br />

Persönlichkeit? Lebte ich davon, dass ich meine Hausaufgaben brav gemacht<br />

hatte, meine Pflichten erfüllt hatte, war ich damit zufrieden und befriedigt. Was<br />

wollte ich für mich? Welche Perspektive gab es? Ich wusste es überhaupt nicht.<br />

Nur über die Familie, das Wohlergehen der Kinder und Ähnliches konnte ich<br />

mich definieren.<br />

Verloren<br />

„Sebastian, ich glaube ich bin verloren gegangen.“ sagte ich zu meinem Mann.<br />

„Aha,“ meinte er lächelnd von seiner Zeitung aufblickend, „soll ich dich jetzt<br />

suchen?“ „Nein ich meine etwas Ernstes.“ erwiderte ich und erklärte ihm die<br />

Ansicht meiner persönlichen Situation. „Ja, ich denke auch, dass sich vieles<br />

verändert hat, nicht alles unbedingt in eine Richtung, die jeden Einzelnen von<br />

uns beiden glücklicher gemacht hat. Nur als zufrieden empfinde ich mich so<br />

schon. Was sollen wir tun? Entwicklungen ungeschehen machen? Ein Fake<br />

großer Verliebtheit inszenieren? Es mag zwar sein, dass etwas anderes schöner,<br />

angenehmer sein könnte, aber ich sehe keinen Weg dahin. Ich gebe mich<br />

mit unserer derzeitigen Situation zufrieden.“ erklärte er dazu. Da ist mir zum<br />

ersten Mal deutlich geworden, dass zwischen uns etwas grundsätzlich anders<br />

geworden war. Es kam mir vor, als ob ich ihn als Gesprächspartner verloren<br />

hätte. Er hörte mir fast nur noch formal zu, um mir dann seine Version darzustellen,<br />

die apodiktisch zu gelten hatte. Er ließ sich gar nicht mehr auf mich<br />

ein, fragte nicht, was ich davon hielte, wie belehrt kam ich mir vor. Das war<br />

nicht der Sebastian der mich geliebt hatte, und den ich meinte immer noch zu<br />

lieben. Ich war enttäuscht und traurig. Ich wollte das ändern, wollte es reparieren,<br />

wollte unsere Beziehung wieder intensivieren. Wir beide allein würden<br />

mehr gemeinsame Aktivitäten entwickeln, dann kämen wir sicher wieder näher<br />

zusammen. Wir würden öfter gemeinsam Essen gehen, gemeinsam ins Theater<br />

oder die Oper, Ausstellungen würden wir zusammen besuchen, nur wir beide<br />

ohne die Kinder. Leider musste ich feststellen, dass Sebastian es meistens ehr<br />

für eine Verpflichtung hielt, der er sich nicht entziehen konnte, anstatt sich<br />

darüber zu freuen. Er schien seine Lust auf mich, auf meine Person verloren zu<br />

haben, ich weinte, aber zu helfen wusste ich mir nicht.<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 5von 22


Was willst du von mir?<br />

Schon damals hätte ich ihn fragen sollen, was er eigentlich von mir wolle, und<br />

ihn vor die Alternative stellen sollen, ihn rauszuwerfen oder sich zu ändern.<br />

Vielleicht hätte er es ja noch gekonnt, aber derartige Gedanken kamen mir<br />

nicht. So etwas lag für mich völlig außerhalb meines gedanklichen Horizonts.<br />

Ich Sebastian wo rauswerfen? Mich gab es ja in meinem Empfinden gar nicht<br />

mehr allein. Ich war ein Teil der Familie, zu der auch Sebastian gehörte. Ich<br />

hätte ja auch nicht meinen Kindern einfach kündigen können und Sebastian<br />

ebenso wenig. Es kam mir nie in den Sinn. Nur was sich an Beziehung zwischen<br />

uns abspielte wurde immer dünner. Wir hätten befreundete Geschäftspartner<br />

sein können, Interesse an der Person des Anderen existierte kaum<br />

noch. Ich meinte es hinnehmen zu müssen, es gab ja keinen Grund zur Beschwerde,<br />

keine Streitereien, kein exzessives Verhalten. Wenn man hörte, was<br />

sich in anderen Ehen abspielte, ging's mir ja noch gut. Wir respektierten einander<br />

schon, und ich meinte auch Sebastian immer noch zu mögen, obwohl ich<br />

diese Entwicklung natürlich für schade hielt und eine Perspektive, das sich etwas<br />

ändern könnte, nicht vorstellbar war. Ich lebte halt meine Tage und meinte,<br />

mich damit abfinden zu müssen. Als mich jemand fragte, ob ich wisse, dass<br />

Sebastian eine Freundin habe, wurde mir erst deutlich wie fern er mir war. „Na<br />

und?“ hätte ich beinahe geantwortet. Ich hatte das Gefühl, dass es mich kaum<br />

interessiert. Nur mit ihm schlafen, wozu es sowieso sehr selten kam, wollte ich<br />

jetzt nicht mehr. Als Sebastian es einmal zu wollen schien, habe ich ihn gefragt,<br />

ob's ihm seine Freundin nicht gut oder häufig genug mache. Er hat nur<br />

seine Kissen genommen und ist in sein Arbeitszimmer gegangen. Seit dem<br />

schlief er auf der Couch in seinem Zimmer.<br />

Rauswurf<br />

Als Linchen sich verabschiedet hatte, um in ihr Studentenzimmer nach Bonn zu<br />

fahren, habe ich Sebastian angeschaut: „Verschwinde! Mach das du weg<br />

kommst!“ herrschte ich ihn an. Er lächelte verlegen, glaubte nicht zu verstehen,<br />

was er gehört hatte. „Es ist kein Scherz. Genau so meine ich es. Wie ich<br />

es gesagt habe und wie du es gehört hast. Ich habe seit vielen Jahren nichts<br />

mehr mit dir zu tun, und du willst nichts mit mir zu tun haben. Also was soll ich<br />

mit dir. Raus! Ich will dich nicht mehr sehen!“ reagierte ich. Sebastian begann<br />

zu diskutieren, ich unterbrach ihn: „Es gibt nichts darüber zu reden. Es steht<br />

so fest, wie ich es gesagt habe. Besorge dir eine Wohnung und verschwinde.<br />

Das ist definitiv alles, was es dazu zu sagen gibt.“ Ich hatte es mir schon lange<br />

überlegt. Meine einzige Sorge war, dass Linchen eventuell etwas von unangenehmen<br />

Szenarien mitbekommen könnte. Die Tage bis sie das Haus verließ<br />

waren kurz und gut erträglich. Ich hatte ja eine Perspektive. Was mir als Qual,<br />

die ich nach meiner Einschätzung zu ertragen hätte, erschienen war, hätte<br />

dann ein Ende. Ich konnte mich wieder freuen, befreit fühlen. Die perspektivlose<br />

Herbstzeit, in der keine positiven, angenehmen Entwicklungen zu erkennen<br />

sind, hatte ein Ende. Es war Weihnachten.<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 6von 22


Kein Frühling in Sicht<br />

Nur direkte Hinweise eines sich ankündigenden Frühlings konnte ich auch nicht<br />

erkennen. Keine bunt leuchtenden Blumen, keine warmen Empfindungen einer<br />

für mich strahlenden Sonne, aber ich wusste auch überhaupt nicht, was ich<br />

wollte, und in der Apotheke, in der ich tagsüber arbeitete, lief mir wahrscheinlich<br />

auch das Glück nicht plötzlich über den Weg. Ich hätte es ja auch nicht<br />

einmal erkennen können. Wie sollte es denn aussehen? Ein anderer Mann?<br />

Gott bewahre! Männer erschienen mir prinzipiell alle wie Sebastians, in anderer<br />

Erscheinungsform zwar, aber grundsätzlich waren es Männer, die Frauen quälten.<br />

Allein zu sein, war zunächst kein Problem für mich. Im Gegenteil ich fühlte<br />

mich erleichtert und frei und konnte vor Freude durchs Haus tanzen. Allerdings<br />

war Linchen ja auch nicht mehr da. Niemand war mehr da, mit dem ich mal ein<br />

Wort wechseln konnte. Immer musste ich Leute einladen oder Bekannte besuchen,<br />

wenn ich mal mit jemandem reden wollte. Die Apotheke war ja auch kein<br />

besonderes Diskussionsforum, wo ich meinen persönlichen Gesprächsbedarf<br />

decken konnte, und nach Geschäftsschluss wie eine Einsiedlerin zu leben, entsprach<br />

nicht meinen Bedürfnissen. Ich diskutierte mit Jeane, meiner besten<br />

Freundin darüber. Ich amüsierte mich oft über ihren Lebensstil. Sie hatte seit<br />

fast zwanzig Jahren einen festen Freund, aber beide zogen es vor in getrennten<br />

Wohnungen zu leben. Familie oder Ähnliches kam für sie nicht in Frage. Sie<br />

brauche niemanden rauszuwerfen, falls ihre Beziehung erkalte, sie könne nicht<br />

in Zwänge kommen, aus denen sie sich nicht zu lösen wisse. Sie fühle sich<br />

sehr wohl so und wolle es nie anders haben. Vielleicht wäre das kein schlechtes<br />

Model, eine mögliche Perspektive für mich, aber Mann? Ein Verlangen danach<br />

konnte ich in mir nicht verspüren. Ich war ja mittlerweile auch schon siebenundvierzig<br />

Jahre alt. Auch wenn ich meinte noch relativ gut auszusehen und<br />

den Wechsel gut überstanden zu haben, verminderten die Begehrlichkeit weckenden<br />

Reize auf die maskulinen Mitglieder unserer Spezies doch zunehmend<br />

ihre Anziehungskraft. Außerdem lebte der weitaus überwiegende Teil braubarer<br />

Männer in meinem Alter mit Sicherheit in festen Beziehungen. Die Wahrscheinlichkeit<br />

bei <strong>neu</strong>en Beziehungen auf Männer wie Sebastian oder schlimmer zu<br />

treffen, war nicht gering. Daran lag mir nicht. Sollte ich im Haus vielleicht etwas<br />

vermieten? An eine Studentin, mit so etwas Ähnlichem wie Familienanschluss,<br />

dass sie meine Küche benutzen und im Wohnraum fernsehen konnte?<br />

Ich würde sie dann ja öfter sehen und mit ihr vielleicht auch Gemeinsames<br />

machen können. Nein, nein, eine alte einsame Frau, die sich von einem jungen<br />

Mädchen unterhalten lassen will, war ich auch nicht.<br />

Keine Entwicklung<br />

Es war unwiderruflich gut, dass die frühere Situation vorüber war, nur eine<br />

Perspektive, einen Ausblick in welche Richtung sich etwas entwickeln könnte,<br />

das mich glücklicher werden lies oder mit dem ich zumindest zufrieden sein<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 7von 22


könnte, gab es nicht. Ich wusste auch gar nicht, in welche Richtung ich denken<br />

sollte. Immer so bis an mein Lebensende die Tage verstreichen lassen, war<br />

keine Perspektive, die mich erfreuen konnte. Sie machte mir eher Angst.<br />

Angst, weil ich befürchtete, dass es dazu kommen könnte, weil ich nicht wusste,<br />

was ich sonst tun sollte. Perspektivlos traurig fühlte ich mich.<br />

Im Grunde lebte ich ja so weiter wie bisher, nur eben ohne Sebastian. Ich<br />

musste etwas anderes beginnen, mir eine <strong>neu</strong>e Umgebung suchen, ein <strong>neu</strong>es<br />

Leben anfangen, wenn mir irgendwelche Inspirationen für meine Zukunft kommen<br />

sollten. Aber was sollte ich mit meinem Pharmaziestudium im Alter von<br />

siebenundvierzig schon anfangen. In Augsburg oder Stuttgart Pillen verkaufen?<br />

Sollte das andere Inspirationen vermitteln. Für alles andere war ich ja zu alt.<br />

Ich hatte mir eigentlich auch kein Leben als Verkäuferin in einer Apotheke vor<br />

gestellt, aber darin bestand der größte Teil meiner Arbeit. Natürlich hat man<br />

ein wenig mehr Verantwortung, als wenn man hinter der Fleischtheke Schnitzel<br />

verkauft, aber so ganz viel anders ist es nicht. Nur eben ein deutlich anderes<br />

Ambiente. Eigentlich wäre ich gern im Wissenschaftsbereich geblieben, aber<br />

dass daraus nichts wurde, ist auch Sebastians Schuld. Damals dachte ich lieber<br />

daran mit ihm im Bett zu liegen, als mir ein Thema für meine Dissertation zu<br />

überlegen. Die Verliebtheit hatte alle anderen Perspektiven vernebelt.<br />

Neu Inspirationen<br />

Als ich sinnierend über meine ganze Biographie nachdachte, fiel mir das wunderschöne<br />

Jahr meines Schüleraustausches in Frankreich ein. Bei einer Familie<br />

in Charleville-Mézières in den Ardennen war ich gewesen. Mézières selbst hatte<br />

mich nicht sehr fasziniert. Es waren Madame und Monsieur Rozier, die alles taten,<br />

um für mich ein glückliches Jahr zu arrangieren. Mein Verhältnis zu Coralie<br />

ihrer Tochter, war nicht so besonders herzlich, vielleicht weil Madame mir offensichtlich<br />

nicht nur größere Beachtung schenkte, sondern regelrecht verliebt<br />

in mich zu sein schien. Die Roziers waren Belgier, liebten Belgien und all ihre<br />

Verwandten und Freunde lebten dort. Sie kamen aus Liége hatten sich dort<br />

kennengelernt und verliebt, und nach dort natürlich alle möglichen Verbindungen.<br />

Wir verbrachten so gut wie jedes Wochenende in Belgien, nicht nur in der<br />

Wallonie, sondern ich bekam ganz Belgien gezeigt. Flandern mit Brügge, Gent<br />

und Antwerpen hatte mich besonders begeistert, und Madame nannte mich immer<br />

schmeichelnd ihre kleine Flamande. In De Panne habe ich im Urlaub zum<br />

ersten Mal Meer und Strand erlebt und meinen ersten Freund gehabt. Wir haben<br />

zwar nicht miteinander geschlafen, dafür war ich mit vierzehn ja noch viel<br />

zu jung. Die fickenden Kinder heute würden darüber lachen, aber für mich war<br />

unser Gefummel mein erster Sex. Ein Junge, der meine Muschi berührte, sie<br />

streichelte und mit seinen Fingern kitzelte, das hatte ich noch nie erlebt. Knallrot<br />

war ich geworden, nicht vor Scham, sondern vor Spannung und Aufregung.<br />

Es kam mir vor, als ob ich in dem Jahr zwar in Frankreich zur Schule gegangen<br />

war, aber eigentlich Belgien erlebt und lieben gelernt hatte. Alles Belgische war<br />

mir lieb und wichtig, und wenn ich heute über die Konflikte zwischen Flamen<br />

und Wallonen höre, tut es mir weh. Gedanken an Belgien, wecken noch heute<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 8von 22


freudige Assoziationen in mir, ob wohl ich später nur einmal wieder kurz mit<br />

den Kindern in Antwerpen war.<br />

Sollte ich vielleicht nach Belgien gehen und dort ein <strong>neu</strong>es Leben versuchen?<br />

In Brüssel, Liége oder Namur? Ich schrieb meinen Gasteltern von damals. Sie<br />

mussten ja jetzt annähernd siebzig sein. Aber die Post kam zurück. Das Bergwerk<br />

gab es ja nicht mehr und außerdem würden sie ihren Lebensabend sicherlich<br />

in Belgien verbringen. Ich wollte es bei Freunden und Verwandten in<br />

Lüttich versuchen. Irgendjemand ließe sich bestimmt noch finden, der sich an<br />

die jeune fille de Flandre vor dreiunddreißig Jahren erinnerte. Stand es schon<br />

fest, war es schon sicher, dass ich es so machen wollte. Dass ich mich in<br />

Belgien wohl fühlen würde, stand außer Frage und dass es vielfältige <strong>neu</strong>e<br />

Eindrücke gäbe auch. Was wollte ich mehr als Basis für eine <strong>neu</strong>e Perspektive.<br />

Ja ich würde mich in Liége um eine Stelle und eine <strong>neu</strong>e Wohnung kümmern.<br />

Jens und Lina meine Kinder waren eher skeptisch, freuten sich aber darauf,<br />

mich dort besuchen zu können. Auch Jeane und andere Bekannte äußerten<br />

Bedenken, aber ich glaubte daran, hatte eine Perspektive, auf die ich mit<br />

freute. Es gefiel mir auch gut in Lüttich. Ich fühlte mich wohl. Zwei der alten<br />

Bekannten konnte ich noch ausfindig machen. Natürlich erinnerten sie sich an<br />

la Flamande, aber sie wussten auch, das Roziers nicht mehr lebten,<br />

gemeinsam bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren sie. Das trübte<br />

die Freude über unser Wiedersehen nach so langer Zeit. Trotzdem brachten sie<br />

mich in Kontakt mit ihren Kindern, die auch etwa in meinem Alter waren. Wir<br />

hielten das aufrecht, uns so brauchte ich mich im großen Liége nicht allein und<br />

verlassen zu fühlen.<br />

Neues Leben?<br />

Nur was änderte sich grundsätzlich? Ich fühlte mich ganz wohl, aber auch<br />

wenn ich jetzt den ganzen Tag über französisch sprach, Einfälle und Inspirationen<br />

für eine künftige Perspektive wollten sich auch in dieser Sprache nicht einstellen.<br />

Jetzt würde ich eben in Liége französisch sprechend allein alt werden.<br />

Unwohl hatte ich mich ja in Erlangen auch nicht gefühlt. Ich lebte gern dort<br />

und war damit nicht unzufrieden. Ich meinte nur, dass eine <strong>neu</strong>e Umgebung<br />

mich grundsätzlich auf andere Gedanken bringen würde, hatte aber nicht bedacht,<br />

dass ich meine Persönlichkeit, meine psychische Struktur, mein soziales<br />

Verhalten ja nicht zurücklassen konnte. Ich war kein <strong>neu</strong>er Mensch, weil ich in<br />

einer <strong>neu</strong>en Umgebung lebte. Ein <strong>neu</strong>es Leben? Eine Phantasmagorie. Du<br />

musst mit deinen Strukturen und Vorstellungen zurecht kommen. Du musst dir<br />

darüber klar werden, was dich daran hindert, etwas zu verändern, etwas Neues<br />

zu gestalten, <strong>neu</strong>e Wege zu finden, <strong>neu</strong>e Knospen zu bilden, die sich zu<br />

prachtvollen Blüten entfalten. Mir schien, als ob bei mir in meinem Denken und<br />

meinen Vorstellungen alles blockiert sei, dass ich gar nicht wusste, was denn<br />

zu tun sei, um mich für Veränderungen offen zu machen. Ich überlegte einen<br />

Therapeuten zu konsultieren.<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 9von 22


Beziehungen<br />

An einem Wochenende fuhr ich nach Erlangen zu Jeane, um ihr mein Leid zu<br />

klagen. „Ja, vielleicht ist Belgien wirklich schön,“ erklärte Jeane „außer bei diesen<br />

Konflikten zwischen Flamen und Wallonen entwickeln sich bei mir auch keine<br />

Aversionen, aber dass du es liebst und heute noch so freundliche emotionale<br />

Assoziationen entwickelst, liegt nicht an der Schönheit Belgiens, sondern an<br />

der <strong>Liebe</strong> und Zuneigung mit der sie dir nahegebracht und vermittelt worden<br />

ist. Das ist das Glück, dass in dir bleibt. Schöne emotionale Empfindungen, die<br />

du liebst und die dir viel bedeuten, werden nie durch Materielles hervorgerufen,<br />

sie sind immer mit Personen verbunden, mit Zuneigung, Vertrauen, Anerkennung,<br />

das macht dir die Welt angenehm, lässt dich sicher frei und zufrieden<br />

empfinden, macht dich glücklich. Das positive Verhältnis anderer zu dir ist es,<br />

was dir die Welt schön werden lässt.“ Was wollte Jeane mir damit sagen? „Allein<br />

kann es keine Perspektive geben. Du brauchst jemanden, der dich mag,<br />

anerkennt, dir <strong>Liebe</strong> vermittelt?“ Ja im Grunde traf es schon zu. Da existierte<br />

ein fester Block in mir, ein festgefügtes Bild, an dem nichts verändert werden<br />

konnte. Meine emotionalen Beziehungen zu Gleichaltrigen, waren die zu Sebastian,<br />

anderes war nicht präsent und zugänglich. Es war das, was ich über<br />

vierundzwanzig Jahre erlebt hatte, ausschließlich erlebt hatte. Es machte mir<br />

Angst und vermittelte mir quälende Empfindungen. Wie ich dieses Bild ändern<br />

sollte in ein Bild, das mich Beziehungen zu anderen freudig erwarten ließe,<br />

wusste ich nicht. Es war mir nur klar, dass meine derzeitigen Assoziationen<br />

jede Beziehungsaufnahme verhinderten.<br />

Besuch bei Linchen<br />

Ich fuhr jetzt häufiger nach Deutschland. Fast jedes Wochende verbrachte ich<br />

dort. Linchen studierte Biologie in Bonn. Für mich war sie trotz ihrer fast zweiundzwanzig<br />

Jahre immer noch die Süße, Kleine. Sie hatte nichts dagegen und<br />

lachte darüber. Sie war ja auch zart und grazil, und ich empfand sie als außergewöhnlich<br />

hübsch. Sie hatte zarte Gesichtszüge und konnte einen mit ihren<br />

braunen Augen, durchdringend aber warm anschauen. Ich hatte Jens auch gemocht,<br />

und hätte mich gegen den Vorwurf, eins der beiden Kinder zu bevorzugen<br />

gewehrt, aber Linchen war mir schon als kleines Kind viel näher erschienen.<br />

Sie war immer meine kleine Frau gewesen, mit der mich so etwas Ähnliches<br />

wie eine schwesterliche Solidarität verband. Sie suchte auch während ihrer<br />

gesamten Entwicklung meine Nähe und ich war immer eindeutig ihr bevorzugter<br />

Ansprechpartner. Sie freute sich außerordentlich, wenn ich sie besuchte,<br />

und von Liége nach Bonn war es ja auch nicht so weit. Natürlich war ihr nicht<br />

verborgen geblieben, dass die Beziehung zwischen Sebastian und mir nicht<br />

stimmte. „Es war manchmal gräßlich, euch beide, meinen Dad und meine<br />

Mami, zu erleben.“ erklärte sie mir, „Wie zwei Menschen von anderen Sternen,<br />

die gerade mal gegenseitig ihre Namen kannten, so kalt so distanziert. Ihr habt<br />

euch ja nicht angekeift, aber es tat mir entsetzlich weh. Ich habe öfter<br />

geweint. Ich wollte mich da nicht einmischen. Ich wusste ja nicht, wieso es<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 10von 22


dazu gekommen war. Ich sah nur die schöne Zeit, als ich klein war, wie ihr<br />

miteinander Quatsch machen konntet, euch liebend umarmtet und küsstet. So<br />

glücklich wollte ich später auch mal sein. Du erschienst mir, wenn du dich mit<br />

Dad unterhieltest, wie ein anderer Mensch. Da warst du nicht die Sandra, die<br />

meine Mami war, die mich liebte und mit der ich mich glücklich verbunden<br />

fühlte. So eine Mutter hätte ich nicht gewollt. Ich habe dich damals nicht verstanden.<br />

Jetzt weiß ich es ja, und ich habe zwar nicht direkt Angst, das mir<br />

zwangsläufig so etwas auch passiert, aber ich denke schon, dass ich Tag für<br />

Tag wache Augen haben werde, um so eine Entwicklung zu verhindern.“ Ich<br />

erklärte Lina, wie tief sich dieses Erlebnis bei mir eingegraben hätte, und immer<br />

noch mein Denken über Beziehungen dominiere. „Warum steht nicht das,<br />

was ich bei meinem Verhältnis zu dir empfinde im Vordergrund? Warum zeigt<br />

sich nicht das Vertrauen und die <strong>Liebe</strong>, die uns verbindet, wenn ich an die Beziehung<br />

zu einem anderen Menschen denke? Ich glaube, ich habe einen schweren<br />

psychischen Defekt, eine unheilbare Männerbeziehungsphobie.“ schloss ich<br />

scherzend. Linchen gab mir einen Kuss. „Sandra,“ zum ersten Mal nannte sie<br />

mich so, bislang war ich ausschließlich die Mami gewesen, „ich denke auch,<br />

dass mein Verhältnis zu dir für mich meine tiefste, bedeutsamste persönliche<br />

Beziehung darstellt. Das Verhältnis zu einem Mann ist etwas anderes, obwohl<br />

sicher vieles von dem darin enthalten ist. Von wem weiß ich, was <strong>Liebe</strong>, Vertrauen,<br />

Zuneigung, Verständnis und Wärme sein können, das hast du fest in<br />

mir verankert, das bist du, die in mir lebt. Ein schönes Gefühl macht das. Ich<br />

bin dir dankbar dafür. Das hast du doch auch in dir. Das wusstest du doch bevor<br />

du Sebastian kennenlerntest und das ist auch noch da. Das ist ein Teil von<br />

dir, der sich als Kind in deine Person eingegraben hat, den niemand wieder<br />

auslöschen kann. Du hast es mir doch auch gegeben. Versuche es wieder zu<br />

finden, es ist noch da. Die Erfahrung mit Sebastian war, auch wenn sie langandauernd,<br />

enttäuschend und quälend war, demgegenüber nur eine Episode.<br />

Versuche deine <strong>Liebe</strong>, deine Freude, dein Vertrauen wiederzufinden. Das ist es<br />

was dich, was deine Person ausmacht, jetzt definierst du dich noch immer über<br />

Sebastian. Auslöschen wirst du diese Erahrung nicht können, aber ich denke du<br />

solltest versuchen dich selbst mehr in den Vordergrund zu stellen.“ Jetzt<br />

küssten wir uns. Mir machte es immer sehr viel Freude. Sie machte mir nicht<br />

nur Mut, sie gab mir Wärme, Zuneigung und das Empfinden, dass es immer<br />

eine Hoffnung gibt. Das hatte sie von mir? So etwas konnte ich?<br />

Von Linchen fuhr ich immer glücklich beschwingt nach Hause. Ein Besuch bei<br />

ihr ließ mich immer leichter und lockerer werden, nahm meinen Gedanken die<br />

Schwere, die sonst auf ihnen zu lasten schien. Es half mir viel mehr, als all die<br />

tiefen Überlegungen im schönen Belgien. Vielleicht sind es ja auch gar nicht so<br />

sehr das Alter und die körperlichen Reize, die deine Attraktivität ausmachen,<br />

vielleicht kannst du es nicht verbergen, dass du nicht glücklich bist und erweckst<br />

dadurch bei anderen nicht das Bedürfnis zu einer Kontaktaufnahme mit<br />

dir. Ich lebte weiter in Belgien, wie ich's mir gewünscht hatte und verbrachte<br />

die Wochenenden in Deutschland, was mir trotz der stressigen Fahrten immer<br />

am besten gefiel.<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 11von 22


Flaute in der Apotheke<br />

In unserer Apotheke war die Geschäftslage ein wenig flau geworden. Ich befürchtete<br />

schon, man werde mir kündigen. Ohne Familie, als letzte eingestellt,<br />

da war es schon naheliegend, aber man kündigte den Hilfskräften. Angenehm<br />

war das auch nicht. Jetzt hatten wir deren Arbeit mit zu erledigen. Drei Arztpraxen<br />

in unserer unmittelbaren Nähe waren innerhalb kurzer Zeit verschwunden.<br />

Zwei waren in ein <strong>neu</strong> errichtetes Ärztehaus umgezogen, und der ältere<br />

Arzt, der uns die meisten Kunden mit den umfänglichsten Rezepten vermittelt<br />

hatte, war in Ruhestand gegangen. Die Praxis stand lange Zeit leer, bis ein relativ<br />

junger Arzt, etwa Mitte dreißig, sie <strong>neu</strong> eröffnete. Er kam in der Mittagszeit<br />

zu uns, meinte, seine Patienten würden ja wohl vornehmlich bei uns ihre<br />

Rezepte einlösen. Wir seien ja nicht unabhängig voneinander, und ihm läge<br />

daran, wenn wir uns mal kurz kennen<strong>lernen</strong> würden. Nach Schließung der Apotheke<br />

wollten wir uns an einem Abend kurz bei ihm treffen.<br />

Man scherzte viel, was er zu tun hätte, um unsere Apotheke zu sanieren, und<br />

wie wir das organisieren könnten. Es wurde ziemlich lustig und man hatte das<br />

Gefühl, sich gut zu verstehen. Er hatte lange gezögert, sich niederzulassen,<br />

sah aber darin letztendlich für sich persönlich doch die günstigere Perspektive.<br />

Er meinte, Hausmann sei ein französischer Name, und bei meiner Sprache<br />

könne ich nicht verleugnen, dass ich französische Wurzeln haben müsse. In<br />

Deutschland gehe es den Apotheken doch so glänzend, was mich denn da nach<br />

Belgien vertrieben habe. Es sei nichts geheimes daran, nur sei es eine etwas<br />

längere Geschichte, die jetzt nicht in den Rahmen passe. „Ich würde sie trotzdem<br />

gern hören.“ meinte er, „haben sie nicht Lust, sie mir mal bei einem Kaffee<br />

oder Glas Wein zu erzählen?“ Sonderbar, ich kannte ihn ja gar nicht, aber<br />

weil er mir nicht unsympathisch war, ließ ich mich darauf ein. Bestimmt eine<br />

nette Abwechselung.<br />

Monsieur Denon<br />

Es wurde ein anregender Abend. Monsieur Denon konnte sehr unterhaltsam<br />

sein, und brachte mich durch seine Scherze und ironischen Bemerkungen häufig<br />

zum Lachen. Die Story über die Entwicklung meiner <strong>Liebe</strong> zu Belgien fand<br />

er hinreißend und meinte, da würde ich Belgien sicher besser kennen als er<br />

selber. Besonderes Interesse schien er aber daran zu haben, wie es zur Trennung<br />

von meinem Mann gekommen war und wie sich unsere Beziehung entwickelt<br />

hatte. Seine Nachfragen gingen mir doch ein wenig zu weit. „Monsieur,<br />

ich habe mich mit ihnen getroffen, weil ich ihnen meine Geschichte zur belgischen<br />

Apotheke erzählen wollte, ich hatte nicht erwartet mich bei meinem Therapeuten<br />

wiederzufinden.“ machte ich ihm eindeutig klar. Er entschuldigte sich,<br />

es habe sich unreflektiert so entwickelt. Nichts liege ihm ferner, als meine persönliche<br />

Spähre zu verletzen. Obwohl ich gar nicht mehr daran dachte, entschuldigte<br />

er sich beim Abschied noch einmal und versicherte, dass ihm so etwas<br />

nicht wieder passieren werde. Der Abend hatte mir gefallen. Ich würde<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 12von 22


gern öfter Ähnliches erleben. Ich kannte zwar einige Leute, aber die Unterhaltungen<br />

mit ihnen hatten nicht das, was dieser unbekannte Mann mir vermittelt<br />

hatte. Es käme nicht wieder vor? Wann und wodurch sollte es denn nicht wieder<br />

vorkommen?<br />

Kurze Zeit später erschien er in unserer Apotheke und wollte mit mir etwas bezüglich<br />

eines Rezeptes klären. Was war das denn. Wenn es etwas zu klären<br />

gab, telefonierte man gegenseitig, aber besuchte sich doch nicht. Ich hielt es<br />

nur für kurios und schmunzelte. Dass es etwas mit mir zu tun haben könnte,<br />

der Gedanke kam mir nicht.<br />

Wiedersehen<br />

Etwa zwei Monate später stand er abends vor unserer Apotheke. Er entschuldigte<br />

sich vielfach stotternd, wolle mir nicht zu nahe treten, aber habe das<br />

dringende Bedürfnis gehabt mich wiederzusehen und nicht gewusst wie. Mon<br />

Dieu, was sollte das denn? Diesen Jungen quälten doch wohl keine amourösen<br />

Gelüste nach einer alten Frau. So fühlte ich mich zwar nicht, aber der<br />

erhebliche Altersunterschied war doch nicht zu verkennen. Wie sollte ich<br />

reagieren? Ihm sagen: „Schaun sie mich gut an, und dann gehen sie brav nach<br />

Hause.“ Nein ich mochte ihn ja, kompromittieren wollte ich ihn nicht. „Na jetzt<br />

sehen sie mich.“ lächelte ich ihn an, „Und was wollen sie jetzt mit mir machen,<br />

wo sie mich gesehen haben?“ fragte ich spöttelnd noch leicht irritiert. „Ich weiß<br />

nicht, irgendetwas, in ein Café gehen, was sie möchten. „Na, sie wollten mich<br />

doch wiedersehen, da müssten sie doch wissen, was sie möchten, aber o. k.,<br />

lassen sie uns einen Kaffee trinken gehen.“ gab ich ihm zur Antwort. Im Café<br />

fixierte ich ihn lächelnd, er war nervös, sein Verhalten war ihm sicher nicht<br />

angenehm. Überwinden hatte er sich dazu müssen. Ein dringendes Bedürfnis<br />

war es ihm anscheinend, hatte von mir geträumt. Ich musste lachen, als es<br />

mir durch den Kopf ging. „Ich lache nicht über sie Monsieur, ich habe an etwas<br />

anderes gedacht.“ log ich ihn an, „Aber erklären müssen sie mir schon etwas.“<br />

Ich brauche keine Befürchtung haben, er habe sich nicht in mich verliebt. Er<br />

hätte mich nur bei unserem Gespräch sehr angenehm und sympathisch<br />

empfunden und hielte es für schade, wenn sich derartige Kontakte einfach<br />

wieder verlieren würden. Das war auch gelogen. „Soll ich ihnen das glauben,<br />

Monsieur? Sie hätten mich doch anrufen können und auf einen Kaffee einladen<br />

können, aber so, wie sie es gemacht haben, kommt es mir schon eher so vor,<br />

als ob sie etwas drängt. Was möchten sie, was erwarten sie, was erhoffen sie<br />

sich. Monsieur Denon wurde verlegen, begann zu drucksen und meinte: „Na ja,<br />

Madame Hausman, es ist schon so, dass ich nicht nur unser Gespräch als<br />

angenehm empfand, sie persönlich haben bei mir auch ein starken Eindruck<br />

hinterlassen. Sie gefielen mir sehr gut, und ich musste im Nachhinein öfter an<br />

sie denken, immer öfter. Warum genau kann ich nicht erklären, es war einfach<br />

so, und das Bedürfnis sie wieder zu sehen nahm ständig zu.“ „Monsieur Denon,<br />

sie sind ein junger Mann. Sie werden mir doch nicht erklären, dass sie sich in<br />

mich verlieben wollen. Da sollten sie sich doch lieber etwas in ihrer Altersklasse<br />

suchen.“ verdeutlichte ich ihm. „Habe ich ja.“ und auf meine erstaunten Blicke<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 13von 22


erklärte er, dass er verheiratet und auch Vater eines Kindes sei. Nur für ihn<br />

existiere das Verhältnis ausschließlich formal. Er könne mit seiner Frau nicht<br />

mehr reden und käme sich häufig wie geduldet vor. Irgendeine Art von Einfluss<br />

habe er auf seine Frau nicht mehr. „Und da suchen sie jetzt Trost bei der Mutti<br />

und wollen sich ausweinen. Monsieur, dafür bin ich keine Ansprechpartnerin.<br />

Gehen sie zu ihrer richtigen Mamon, die wird sie sicher in die Arme nehmen,<br />

ihnen zuhören und ihnen Trost spenden. Aber aller Trost wird ihnen letztendlich<br />

wenig helfen, wenn sie das Problem selbst nicht lösen.“ stellte ich meine Sicht<br />

dar. Er wollte mir erklären, wie kompliziert es sei und welche unangenehmen<br />

Folgen es haben könnte wegen seiner Tochter. „Non Monsieur,“ reagierte ich,<br />

„ich mag sie, aber das will ich gar nicht hören. Sie glauben doch nicht, dass sie<br />

ihre Probleme lösen können, indem sie eine andere Beziehung beginnen. Die<br />

Frau in dieser Beziehung möchte ich grundsätzlich nicht sein, unabhängig von<br />

dem Alter.“ Das Alter spiele für ihn keine Rolle, ich habe einen sehr tiefen<br />

Eindruck bei ihm hinterlassen. „Trotzdem wird es keine näheren Beziehungen<br />

zwischen uns geben. Sie haben ein Problem, das sie lösen müssen. Solange sie<br />

das nicht gelöst haben, fehlt jedem weiteren Kontakt zwischen uns die Basis.“<br />

stellte ich klar. „Aber öfter mal gemeinsam einen Kaffee trinken könnten wir<br />

doch.“ meinte Monsieur Denon. „Nein, nein, auch das möchte ich nicht. Sie<br />

sind nicht unvorbelastet, Monsieur le Docteur. Lassen sie es uns bei den<br />

zufälligen Kontakten bewenden lassen. Es wird besser für mich sein, und auch<br />

für sie ist es die sinnvollere Praxis.“ erklärte ich abschließend. Er bedauerte es<br />

und auch ich dachte am Abend noch öfter darüber nach. Was ihn wohl an mir<br />

interessiert hatte. Im Spiegel meinte ich es nicht entdecken zu können. Gab es<br />

doch etwas an mir, an dem was ich sagte, wie ich mich verhielt, das bei<br />

anderen Interesse an mir wecken konnte, sogar bei einem bestimmt über zehn<br />

Jahre jüngeren Mann? Es ließ mich schmunzeln, ich war ein wenig zufrieden<br />

mit mir.<br />

Linas Freund<br />

„Ich sag ja immer, dass du eine tolle Frau bist. Jetzt hast du's endlich mal erfahren.<br />

Hoffentlich glaubst du es jetzt auch selber.“ kommentierte Linchen, als<br />

ich ihr davon erzählte. Sie meinte auch, dass es mit dem Arzt keine Perspektive<br />

gewesen sei, aber dass ich einen Mann nett und sympathisch gefunden hätte<br />

und ihn gut leiden könne, sei doch allein schon ein riesiger Erfolg. Sebastian<br />

sei da ja anscheinend nicht zugegen gewesen. Linas Freund war auch anwesend.<br />

Ich hatte zuerst nicht kommen wollen, weil ich meinte zu stören, aber<br />

Linchen bestand darauf ihn mir zu zeigen. Sie hatten sich in der Camargue bei<br />

einem Umweltseminar kennen und lieben gelernt. Camille war Franzose und<br />

studierte in Montpellier. Ein schlanker, großer junger Mann mit schwarzen Haaren<br />

und Brille. Machte einen intellektuellen aber auch ein wenig naturverbundenen<br />

Einduck, zeigte sich sehr offen und lachte viel. Ich hätte gedacht, dass<br />

Camilles alles Mädchen seien, meinte ich. Bei ihm sei das eben mal anders verlaufen,<br />

meinte er scherzhaft, klärte mich dann aber auf, wie es sich tatsächlich<br />

verhielt. „Camille, ich will dich jetzt schon warnen. Du wirst immer mit meiner<br />

Eifersucht zu rechnen haben. Ich liebe meine Tochter sehr. Du kannst nicht er<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 14von 22


messen, welche Kostbarkeit sie darstellt.“ erklärte ich scherzend. Er wisse es<br />

schon, sonst habe er den weiten Weg hierher sicher nicht gemacht. Dazu sei er<br />

noch viel zu jung, um das vollständig erfassen zu können. Camille lachte, umarmte<br />

mich und meinte: „Madame Hausmann, das, wofür meine Kinderaugen<br />

jetzt noch verschlossen sind, werden sie mir bestimmt zu vermitteln wissen, da<br />

bin ich mir sicher.“ Wir lachten, ich mochte Camille und Lina erfreute es. „Wie<br />

kann man denn einen Freund haben, der so weit entfernt wohnt? Wie erträgt<br />

man das denn?“ fragte ich sie als wir unter uns waren. „Umso mehr freut man<br />

sich, wenn man sich dann mal trifft.“ meinte sie leicht scherzend, „nein, ist mir<br />

schon klar, dass es so keine Perspektive hat. Ich mag Camille schon sehr, aber<br />

es ist ja im Grunde alles noch sehr dünn, und jetzt einfach hier alles fliegen<br />

lassen und nach Montpellier gehen, weil ich Camille gern öfter sehen möchte,<br />

das mache ich auf keinen Fall. Da muss ich schon für mich selber eine Perspektive<br />

sehen können, die auch dann noch trägt, wenn wir uns mal auseinander<br />

dividieren sollten.“ Eine kluge Frau, meine Tochter, mir hatte es an einer derartigen<br />

Einsicht damals gemangelt.<br />

Kein Wandel<br />

Eine Perspektive für mich, gab es jedoch immer noch nicht. Es belastete mich<br />

aber nicht mehr so sehr. Ich fühlte mich leichter und lockerer, war eher der<br />

festen Ansicht, es würde sich schon etwas ereignen, wie mit dem jungen Arzt.<br />

Nur es ereignete sich nichts. Kein Mann der sich in mich verliebte, keine herausgehobene<br />

Bekanntschaft, keine beruflichen Veränderungen, alles blieb so<br />

wie es war. Nichts wurde anders oder besser. Ich machte mal mehr das Eine<br />

oder das Andere, ging mal häufiger ins Theater, kümmerte mich mehr um<br />

Kunst und besucht öfter Ausstellungen, aber grundsätzliche Veränderungen,<br />

Ansätze für eine <strong>neu</strong>e Perspektive boten sich dadurch nicht. Schrecklich traurig<br />

konnte mich das aber nicht machen. Ich konnte in Liége gut leben und freute<br />

mich auf die Wochenenden in Deutschland.<br />

Camille kommt<br />

Für Lina hatte sich allerdings eine <strong>neu</strong>e Perspektive ergeben. Nicht sie hatte<br />

Wege für sich in Montpellier gefunden, sondern Camille, der kein Wort Deutsch<br />

kannte, hatte es nicht mehr ausgehalten. Besuchte einen Intensivkurs Deutsch<br />

in Montpellier und wollte sich im nächsten Semester in Bonn einschreiben. Ihm<br />

gefiel es auch in Bonn besser als in dem Moloch Montpellier. Er fand nicht nur<br />

die Biologische Fakultät der Uni gut, er liebte auch die relative Beschaulichkeit<br />

Bonns, den Rhein, die Umgebung mit den vielen Laubwäldern und grünen Wiesen<br />

und die Heimat Beethovens, seines Lieblingskomponisten, mit dem er sich<br />

in seiner Jugend so viel am Klavier abgemüht hatte, was konnte es schöneres<br />

geben. Alles war stimmig. In der Sehnsucht nach Lina war auch ein klein wenig<br />

die <strong>Liebe</strong> zu Bonn enthalten. Lina freute sich natürlich maßlos. Einfach zusammen<br />

in ihrem relativ kleinen Appartement zu wohnen, hielt ich allerdings für<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 15von 22


keine gute Grundlage ihrer gemeinsamen Beziehung. Ich war schon der Ansicht,<br />

dass es besser sei, mehr persönlichen Freiraum zu haben, als ständig all<br />

zu nah beieinander hocken zu müssen.<br />

Unsere Überlegungen führten letztendlich dazu, dass ich mich von Sebastian<br />

scheiden lassen wollte, unser Haus verkaufen, zurück nach Deutschland kommen,<br />

in Bonn ein Haus kaufen und mit Lina und Camille zusammenleben wollte.<br />

Lina freute sich darauf, Camille ebenso und mir erschien es, als ob ich endlich<br />

eine Perspektive gefunden hätte. Es bedeute viel Arbeit und die Erledigung<br />

umfangreicher Formalitäten. Als Camille kam hatten wir noch kein Haus und<br />

ich keine Arbeit. Jetzt lebten nicht nur Lina und Camille in dem kleinen Appartement,<br />

sondern ich auch noch. Wir standen uns zwar ständig auf den Füßen,<br />

aber wir lachten darüber, weil wir wussten, dass es anders werden würde, und<br />

dass ich Arbeit finden würde, dessen war ich mir auch sicher. Letztendlich hat<br />

auch alles funktioniert, nur mit dem schönen Haus in der Bonner Altstadt, wie<br />

wir uns das vorgestellt hatten, wurde es nichts. Das konnte ich doch nicht finanzieren.<br />

Wir hatten endlos damit zu tun alles ein- und herzurichten und alle<br />

Formalitäten zu erledigen. Lina und Camille wohnten im Parterre, wenn wir gemeinsam<br />

etwas machen wollten, kamen sie zu mir. Das war sehr oft der Fall,<br />

und ich empfand mich in meiner Situation als happy. Mir kam es vor, als ob es<br />

in Bonn mit Lina und Camille viel mehr Neues und Interessantes gab, als<br />

damals für mich in Belgien. Lina und Camille waren stark politisch engagiert<br />

und infizierten mich. Ich las andere Zeitungen und entwickelte andere, <strong>neu</strong>e<br />

Interessen. Jetzt schien ich ein anderer, vielleicht ein wenig <strong>neu</strong>er Mensch zu<br />

werden. Nicht weil ich etwas anderes tat, ich hatte den Eindruck, sonst alles<br />

nur von außen registriert zu haben, jetzt fühlte ich mich selbst betroffen, nahm<br />

ein Gefühl von Verantwortung war, meinte einen anderen Platz in der<br />

Gesellschaft zu besetzen. Es machte mich stark und wichtig, und eröffnete mir<br />

<strong>neu</strong>e Horizonte und Welten.<br />

Unerwarteter Besuch<br />

Wir wohnten seit etwa einem Jahr in unserem Haus, als es klingelte und Doktor<br />

Denon aus Belgien mit vermutlich seiner Tochter in Tür stand. „Oh Schreck,<br />

was wollen sie denn hier?“ schoss es mir durch den Kopf, sagt ich aber natürlich<br />

nicht, sondern bat ihn rein. Er mache eine Woche Urlaub und wolle seiner<br />

Tochter den Rhein zeigen. Von seiner Frau habe er sich getrennt, sie habe auf<br />

das Sorgerecht verzichtet und Linette lebe jetzt bei ihm. Da er schon mal hier<br />

sei, habe er mich doch kurz besuchen wollen. Die Adresse habe man in der<br />

Apotheke gehabt. Ich wusste gar nicht wie mir war, was ich davon halten sollte,<br />

was ich mit ihm reden sollte. Ob er wohl immer noch heimlich in mich verliebt<br />

war und wieder Kontakt aufnehmen wollte? „Und haben sie schon eine<br />

<strong>neu</strong>e Freundin gefunden, oder suchen sie immer noch nach einer Großmutter<br />

für Linette?“ fragte ich ein wenig spitz. „Non Madame, sie scherzen, aber sie<br />

sind keine alte Frau, sie sind eine wundervolle Frau. Wer nicht ganz unsensibel<br />

ist, erkennt das schnell. Die Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit vermittelt das,<br />

wonach man sich eigentlich sehnt.“ reagierte er auf mich. „Monsieur, sie über-<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 16von 22


schütten mich mit Komplimenten, aber was meinen sie mit dem, wonach man<br />

sich eigentlich sehnt?“ wollte ich von ihm wissen. „Madame sie wissen es, aber<br />

es ist das Vertrauen, die Wärme, die Herzlichkeit die sie ausstrahlen, es ist die<br />

Freude, die ihr Lachen und Lächeln vermittelt, es sind Wissen und Erfahrung,<br />

die in ihrem Blick liegen. Was kann ein Mann sich mehr von einer Frau wünschen?<br />

Ich denke, dass Männer, die das nicht erkennen und zu werten wissen,<br />

erhebliche Sensibilitätsmängel haben.“ erklärte Monsieur Denon. Ich erklärte<br />

ihm, dass ich eine ganz normale, schlichte, alltägliche Frau sei, die ihre Macken<br />

und Probleme habe, und keine kleine Madonna, als die er mich wohl sähe. Er<br />

blieb dabei, und meinte er sei kein Phantast, der sich irgendetwas zusammen<br />

spinne. Da ich wieder in Deutschland sei, wäre an eine Beziehung ja nicht zu<br />

denken, aber ich habe für ihn eine Marge gesetzt, die ihm den Kontakt zu einer<br />

anderen Frau nicht erleichtere. Er wollte also nichts mehr von mir. Jetzt war ich<br />

befreit und lebte auf. Ich zeigte und erklärte ihm Alles, scherzte mit seinem<br />

zwölfjährigen Töchterchen und schien ihn wieder richtig zu mögen. Selbstverständlich<br />

blieb er zum Abendbrot, und mit Lina und Camille wurde es eine<br />

recht lustige Runde. Lina wusste was es alles Aufregendes in Bonn zu sehen<br />

gab, und was Linette auf keinen Fall versäumen durfte. Sie bot sich an, sie am<br />

nächsten Tag zu begleiten, und am übernächsten Tag wollte ich mit ihnen zum<br />

Drachenfels, auf dem ich auch noch nicht gewesen war. Vom Rhein bekamen<br />

Monsieur Denon und seine Tochter außer in Bonn nicht viel zu sehen. An einem<br />

Tag fuhren sie von ihrem Bonner Hotel aus nach Köln, damit war der Rhein-<br />

Urlaub beendet.<br />

Neue Freundschaft<br />

Wir hatten unsere E-Mail Adressen ausgetauscht, und Monsieur Denon bedankte<br />

sich für den wunderbaren Urlaub, den er und seine Tochter durch uns gehabt<br />

hätten. Viel bedeutsamer als die Sighseeings selber sei die Herzlichkeit in<br />

der sie ihnen zugänglich gemacht worden seien. Seiner Tochter habe es auch<br />

sehr gut gefallen, sie hätte uns sehr nett gefunden und möchte uns gut leiden.<br />

Ich bedankte mich für sein Lob und sprach auch noch anderes an. Wir schrieben<br />

uns häufiger und Lina fiel manchmal noch etwas ein, womit sie Linette<br />

Vergnügen bereiten konnte. Lina fotografierte gern und machte wild aufregende<br />

Bilder im Alexander-König-Museum, das Linette so begeistert hatte. Sie<br />

schickte ihr auch schon mal ein kleines Buch oder Informationen über etwas,<br />

womit sie sich gerade beschäftigte, und es dauerte nicht lange, bis Linette für<br />

sich beschloss, später auch Biologin werden zu wollen.<br />

Eines Tages rief Claude, wir duzten und mittlerweile, mich an. Er habe ein Problem<br />

und ich solle offen sagen, wie es sich für mich darstelle. Linette habe gefragt,<br />

warum wir uns nicht mal öfter besuchen würden, und warum wir nicht<br />

mal zu ihnen kämen. Linette freue sich immer sehr über Besuch, nur wäre der<br />

recht selten, und wenn Lina sie besuche, sei das natürlich etwas unvergleichlich<br />

Schönes für sie. Ich wusste gar nicht, wo ich stand. Ich mochte Claude gut<br />

leiden, freute mich über seine Mails, hatte Lust ihm zu schreiben und mit ihm<br />

zu scherzen. Er war ein guter Freund, ein sehr guter Freund, nur Amore und<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 17von 22


Beziehung waren in unsern Mails unausgesprochenes Tabu. Er hatte ja recht,<br />

was sollte es. Ich würde nicht wieder nach Belgien gehen, und Claude würde<br />

nicht hierher kommen können. Warum sollte man einen Gedanken daran verschwenden,<br />

vielleicht realitätsferne Illusionen entwickeln? Warum sollten wir<br />

ihn und Linette nicht besuchen? Ich sagte Claude, dass ich es mit Lina besprechen<br />

müsse und ihn dann informiere.<br />

Besuch in Liége<br />

Claude wohnte mit Linette in einem kleinen Haus am Rande von Liége. Aus<br />

dem alten Haus hatte er ausziehen müssen. Seine Frau hatte ihn vor die Alternative<br />

gestellt: Haus oder Sorgerecht. Als er mir das erzählte, schaute er mich<br />

mit fragenden Augen und skeptischem Mund an, als ob er sagen wollte: „Kann<br />

man sich das vorstellen?“. Ich streichelte ihm übers Haar, als ob ich ihn verständnisvoll<br />

trösten wollte. Zum ersten Mal, dass ich ihn anfasste, aber es war<br />

selbstverständlich und wurde mir erst hinterher bewusst. Es war ein amüsantes<br />

Wochenende. Wir unternahmen Einiges und lachten viel. „Und mit der <strong>Liebe</strong><br />

tut sich immer noch nichts?“ fragte ich Claude bei einem Spaziergang, „Du<br />

wirst dich später als einsamer alter Mann von deinem Töchterchen pflegen lassen<br />

müssen, wenn du da nicht mal bald etwas änderst.“ Er schmunzelte,<br />

schaute mich an „Und du?“ fragte er nur. Ich hätte ihn jetzt gern geküsst,<br />

traute mich aber nicht. Einige Schritte weiter tat ich es dann aber doch. Wir<br />

schauten uns lange an. Die anderen waren schon weit voraus. „Sandra ich liebe<br />

dich einfach immer.“ sagte Claude, „Das wird nie wieder weg gehen. Das ist<br />

wie eingebrannt. Auch eine andere Frau wird das nicht auslöschen können.<br />

Auch wenn es gar keine Chance für die Realisierung gibt, es ist einfach da. Wie<br />

du deine Mutter liebst, was auch niemand verändern kann, bist du es mit der<br />

<strong>Liebe</strong> zu einer Frau in mir. Ich will es ja eigentlich gar nicht. Es würde ja vieles<br />

erleichtern, wenn es nicht so wäre, aber ich kann mich nicht dagegen wehren.<br />

Was ich dir damals in Bonn gesagt habe, warum ich dich für so eine tolle Frau<br />

halte, sehe ich zwar auch so, aber das ist es nicht, was es ausmacht. Da ist<br />

noch etwas anderes, was ich nicht benennen, was ich nicht fassen kann.“ Was<br />

sollte ich dazu sagen. „Puh,“ stöhnte ich nur. „Ich liebe meine Tochter. Wie<br />

<strong>Liebe</strong> zu einem Mann geht, weiß ich gar nicht mehr, Claude. Es ist mir ausgetrieben<br />

worden. Ich glaube, ich müsste es ganz <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong>. Ob ich das will? Ich<br />

weiß es nicht genau. Ich mag dich schon sehr gern, Claude. Vielleicht wäre es<br />

ja nicht ganz falsch, wenn wir mal etwas in der Richtung versuchten.“ Claude<br />

lächelte und wir küssten uns nochmal, Jetzt ein wenig intensiver und länger.<br />

Lina, Camille und Linette hatten von all dem nichts mitbekommen, sie erkundigten<br />

sich nur, warum wir so gebummelt hätten. Ich hatte Lina auch noch<br />

nichts erzählt. „Mensch Sandra,“ meinte sie auf der Rückfahrt, „richtig verstehen<br />

kann ich dich nicht. Der Claude ist so ein klasse Typ. Wie verliebt der in<br />

dich ist, kann der doch gar nicht verheimlichen. Dem würdest du niemals<br />

gleichgültig, der würde es nicht ertragen können, wenn du nicht glücklich<br />

wärst. Was hast du denn an dem auszusetzen, was stört dich denn an dem?“<br />

Ich wusste nicht so recht, wie ich antworten sollte. „Lina ich sehe das alles ge-<br />

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nau wie du und habe auch nichts an ihm auszusetzen, nur er in Lüttich und ich<br />

in Bonn, wie soll das denn gehen?“ antwortete ich schließlich. „Ha, welche Entfernung,<br />

Camille am Mittelmeer und ich in Bonn ging ja schließlich auch, oder?“<br />

meinte sie, und Camille gab lächelnd zurück: „Ging ja doch nicht, oder?“<br />

Neue <strong>Liebe</strong><br />

In meinen Mails mit Claude waren Beziehung und Amore jetzt nicht mehr ausgeklammert,<br />

sondern bildeten die Themenschwerpunkte. Unsere Briefwechsel<br />

wurden auch zunehmend häufiger, und bald durfte kein Tag mehr vergehen,<br />

ohne dass man nicht wenigstens eine kleine freundliche Notiz vom anderen bekommen<br />

hätte. Ich fuhr Claude am Wochenende besuchen, nur für's gemeinsame<br />

Bett brauche ich noch Zeit. Die Zeit ging schnell vorbei. Ich schlief wieder<br />

mit einem Mann. Wie lange hatte ich das nicht gehabt, hatte ich es nicht<br />

gewollt, war es mir gar kein Bedürfnis gewesen. Es machte mich so happy,<br />

dass Linette am Samstagmorgen meinte, ich solle doch nicht so albern sein.<br />

Jetzt versuchte ich öfter nicht nur alle vierzehn Tage, sondern oft auch an den<br />

Wochenenden zwischendurch nach Liége zu kommen. Die ständige Fahrerei<br />

nervte mich zwar, aber Claude musste ja für Linette da sein. Warum brachte er<br />

sie nicht mit nach Bonn? Es würde ihr bestimmt gefallen, außerdem hatte sie<br />

ja auch als Fremdsprache Deutsch gewählt, und da nutzte es ihr ja sogar, mal<br />

öfter in Deutschland zu sein. Claude selbst lernte auch fleißig Deutsch. Er hat<br />

es mir erst erzählt, als er schon Einiges konnte und von mir etwas wissen<br />

wollte. Er müsse seine deutsche Geliebte doch wenigstens ein klein wenig<br />

verstehen können, aber warum man dazu einen Manager Intensivkurs<br />

brauchte, verstand ich nicht.<br />

Wechselnde Besuche<br />

Dass wir uns in unseren Besuchen abwechselten, schien Linette die meiste<br />

Freude zu machen. Sie fragte, ob ich nicht manchmal auch Lina mitbringen<br />

könnte, wenn ich zu ihnen käme. Linette war mein absoluter Schatz. Diese<br />

süße kleine Göre schien gierig nach <strong>Liebe</strong>, Zuwendung und Beachtung, konnte<br />

mich stundenlang mit Fragen aushöhlen und liebte es dabei ihren Kopf auf<br />

meinen Schoß zu legen, oder sonst wie mit mir zu schmusen. Bei ihren Fragen<br />

zu sexuellen Themen kam ich mir manchmal doch schon recht alt vor. Manches<br />

von dem, was sie aus dem Internet, oder Gesprächen der Schüler untereinander<br />

kannte, waren für mich spanische Dörfer. Ich erzählte ihr von meinen ersten<br />

sexuellen Kontaken in de Panne, und sie meinte, sie wolle auch noch warten,<br />

sie sei nicht so geil.<br />

Ich war glücklich, und hatte es gar nicht richtig bemerkt. Ohne Gedanken an<br />

eine Perspektive hatte sie sich eingestellt, hatte sich einfach eröffnet, selbstverständlich<br />

wie die Blütenkelche der ersten Blumen im Frühling. Allerdings das<br />

Fahren blieb schon eine Strapaze und ich hätte auch gern Montags, Dienstags,<br />

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Mittwochs und Donnerstags mit Claude zu Abend gegessen, mit ihm gefrühstückt<br />

und mit ihm geredet, aber damit musste ich mich wohl abfinden,<br />

dass es dafür keine Perspektive gab.<br />

Claude kommt nach Bonn<br />

Eines Tages eröffnete mir Claude, er überlege, nach Deutschland zu gehen. Mit<br />

seinen Sprachkenntnissen werde er wohl zurecht kommen, an eine Praxis sei<br />

allerdings vorerst nicht zu denken. Da müsse er wieder im Krankenhaus arbeiten.<br />

Er hoffe, dass ich das auch wolle, und mich darauf freuen würde. Mit Linette<br />

habe er das noch nicht besprochen, weil ja alles noch in den Sternen stehe.<br />

Ich starrte Claude an, konnte es nicht fassen. Er lag auf dem Rücken im<br />

Bett, ich ließ mich auf ihn fallen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen und<br />

konnte gar nicht wieder aufhören, ihn vor Freude abzuknutschen. Es machte<br />

mich so glücklich, dass ich nicht wusste, wo ich meine Freude lassen sollte. Ich<br />

setzte mich auf Claude und hätte ihn fast vor Freude vertrimmt. Der lachte sich<br />

tot über mich und bekam sich gar nicht wieder ein. Morgen früh werden wir es<br />

Linette erzählen, und wenn wir es richtig machen, wird sie sich bestimmt<br />

darüber freuen. Es dauerte allerdings noch bis zum Schuljahrsende, und dann<br />

gab's keinen Sommerurlaub, sondern Umzug nach Bonn<br />

Es verlief nicht alles so problemlos, wie wir es uns gedacht hatten. Die Lehrer<br />

und auch die Mitschüler in Linetts Schule waren nicht immer so rücksichtsvoll,<br />

wie wir uns das gewünscht hätten. Wir engagierten für sie eine Nachhilfelehrerin,<br />

und um die Weihnachtszeit, war Linette soweit, dass es keine Probleme<br />

mehr gab, zumindest war sie sicher es zu schaffen. Sie hatte zwei Freundinnen,<br />

die sie gut leiden mochte, mit denen sie sich gut verstand und mit denen<br />

sie per Handy fast in Dauerkontakt stand. Claude kam auch nicht immer glücklich<br />

nach Hause. Die Arroganz mancher Kollegen machte ihm am Anfang oft zu<br />

schaffen, und es schien ihm härter, als er es sich vorgestellt hatte. Aber die<br />

Freude über unser Zusammenleben machte uns stark für den Umgang mit Problemen<br />

und nahm ihnen viel von ihrer tatsächlichen und emotionalen Gewichtung.<br />

Frühlingsperspektive<br />

Eine Perspektive hatte sich für mich ergeben, wie ich sie so nicht planen, entwickeln<br />

und vorausahnen konnte. Es hatte lange gebraucht, Umwege war ich<br />

gegangen und Ratlosigkeit hatte nicht selten in meinen Vorstellungen für die<br />

Zukunft dominiert. Jeder Tag war mir heute kostbar und wichtig. Es galt nicht<br />

nur darauf zu achten, das sich keine Entwicklungen einschlichen, die unser<br />

Glück hätten ruinieren oder gefährden können, ich wollte es jeden Tag <strong>neu</strong> erleben,<br />

<strong>neu</strong> beleben, <strong>neu</strong> gestalten. Es war für mich kein Zustand, der sich<br />

selbstverständlich erhielt, wenn man ihn die Tage ablaufen lassend zu genießen<br />

versuchte. Ich wusste, dass es ein Prozess war, der eine Entwicklungstendenz<br />

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hatte, und die galt es zu gestalten. Diese Frühlingsperspektive sollte nie<br />

herbtstzeitliche Züge bekommen, dass ich das jetzt zu verhindern wusste, dessen<br />

war ich mir sicher.<br />

Fin<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>neu</strong> <strong>lernen</strong> – Seite 21von 22


Etwas hat mein armes<br />

warmes Leben irgendeinem<br />

in die Hand gegeben,<br />

der nicht weiß<br />

was ich noch gestern war.<br />

"Die <strong>Liebe</strong>nde", Das Buch der Bilder,<br />

Rainer Maria Rilke<br />

„Du wirst dich später als einsamer, alter Mann von deinem Töchterchen<br />

pflegen lassen müssen, wenn du dich nicht mal bald um eine <strong>neu</strong>e Frau<br />

kümmerst.“ Machte ich Claude deutlich. Er schmunzelte, schaute mich<br />

an „Und du?“ fragte er nur. Ich hätte ihn jetzt gern geküsst, traute mich<br />

aber nicht. Einige Schritte weiter tat ich es dann aber doch. Wir schauten<br />

uns lange an. Die anderen waren schon weit voraus. „Sandra ich liebe<br />

dich einfach immer.“ sagte Claude, „Das wird nie wieder weg gehen. Das<br />

ist wie eingebrannt. Auch eine andere Frau wird das nicht auslöschen<br />

können. Selbst wenn es gar keine Chance für die Realisierung gibt, es ist<br />

einfach da. Wie du deine Mutter liebst, was auch niemand verändern<br />

kann, bist du es mit der <strong>Liebe</strong> zu einer Frau in mir. Ich will es ja<br />

eigentlich gar nicht. Es würde ja vieles erleichtern, wenn es nicht so<br />

wäre, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Was ich dir damals in<br />

Bonn gesagt habe, warum ich dich für so eine tolle Frau halte, sehe ich<br />

zwar auch so, aber das ist es nicht, was es ausmacht. Da ist noch etwas<br />

anderes, was ich nicht benennen, was ich nicht fassen kann.“ Was sollte<br />

ich dazu sagen. „Puh,“ stöhnte ich nur. „Ich liebe meine Tochter. Wie<br />

<strong>Liebe</strong> zu einem Mann geht, ob ich das noch weiß, Claude? Vielleicht habe<br />

ich es in der langen Winterzeit völlig vergessen. Oder vergisst eine Frau<br />

so etwas nie? Ob wir das mal klären sollten? Sonst müsste ich es eben<br />

<strong>neu</strong> <strong>lernen</strong>. Würdest du mir denn dabei helfen? Ich mag dich nämlich<br />

auch schon sehr gern, Claude. Ob wir mal etwas in der Richtung<br />

versuchen sollten?“ Claude lächelte und wir küssten uns nochmal, Jetzt<br />

ein wenig intensiver und länger.<br />

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