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Fridolins Fleißkärtchen

Ich sah nur alles bunt und durcheinander. Der ruhig fließende Bach meines Le­bens wollte jetzt eher ein quirliger Gebirgsbach sein, der in unberechenbaren Strudeln über das Gestein an seinem Boden sprudelte. Meinem Therapeuten erklärte ich: „Wissen Sie, Eigenständigkeit und Selbstbehauptung? Renitenz und Widerspenstigkeit das lebe ich alles längst in meinem Alltag.“ und er ließ es sich erklären. „Ja, Liebe kann stärker sein als jede Therapie.“ sinnierte er nur und lächelte. Liebe, wo gab es die denn, wie sah die denn aus? Claudia und ich, wir hatten uns gegenseitig ganz nett gefunden. Bei Christine würde ich das zu Anfang bestimmt auch gesagt haben, aber jetzt empfand ich mich einfach 'as nutty as a fruitcake' als ein verrücktes Huhn. Das kannte ich nicht. Meinem bisherigen Leben war ein derartiger Zustand abhold. Verrückt war ich. Schon am Freitag versuchte ich, mir den kommenden Donnerstag vorzustellen. Sehn­süchtig war ich nach Christine. An wen dachte ich sonst als an Christine. Gott­lob hatte ich noch niemanden mit Christine angeredet. Donnerstag, das war die Welt, in der ich leben wollte. So sollte meine Welt aussehen und nicht nur an diesem einen Tag. Mein neues Leben?

Ich sah nur alles bunt und durcheinander. Der ruhig fließende Bach meines Le­bens wollte jetzt eher ein quirliger Gebirgsbach sein, der in unberechenbaren Strudeln über das Gestein an seinem Boden sprudelte. Meinem Therapeuten erklärte ich: „Wissen Sie, Eigenständigkeit und Selbstbehauptung? Renitenz und Widerspenstigkeit das lebe ich alles längst in meinem Alltag.“ und er ließ es sich erklären. „Ja, Liebe kann stärker sein als jede Therapie.“ sinnierte er nur und lächelte. Liebe, wo gab es die denn, wie sah die denn aus? Claudia und ich, wir hatten uns gegenseitig ganz nett gefunden. Bei Christine würde ich das zu Anfang bestimmt auch gesagt haben, aber jetzt empfand ich mich einfach 'as nutty as a fruitcake' als ein verrücktes Huhn. Das kannte ich nicht. Meinem bisherigen Leben war ein derartiger Zustand abhold. Verrückt war ich. Schon am Freitag versuchte ich, mir den kommenden Donnerstag vorzustellen. Sehn­süchtig war ich nach Christine. An wen dachte ich sonst als an Christine. Gott­lob hatte ich noch niemanden mit Christine angeredet. Donnerstag, das war die Welt, in der ich leben wollte. So sollte meine Welt aussehen und nicht nur an diesem einen Tag. Mein neues Leben?

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nicht wegen der Lust am Sex. Umgekehrt, die war erst durch das Interesse aneinander<br />

möglich. Ich hatte vermutetet, es läge am Alter, als es langsam einschlief,<br />

aber es war das einschlafende Interesse aneinander. Das konnte man<br />

doch nicht einfach wieder erwecken, es war nicht mehr da. Aber da gewesen<br />

war Claudia immer, auch ohne besonderes Interesse. Wir hatten uns geachtet<br />

und respektiert, hatten tiefstes Vertrauen zueinander, und nahe waren wir uns<br />

mit Sicherheit. Wenn man es auch nicht als Liebe bezeichnen will, aber eine<br />

bedeutsame Beziehung war es doch schon. Es bestand doch etwas zwischen<br />

uns, das mehr als Gewohnheit war. Ich versuchte Claudia nicht zu überzeugen.<br />

Offensichtlich wollte sie mich nicht mehr, konnte dem Leben mit mir nichts<br />

Positives mehr abgewinnen, auch wenn sie mich und mein Verhalten mit<br />

keinem Wort kritisierte. Sie sprach nur immer davon, was wir falsch gemacht<br />

und versäumt hätten, und jetzt sei eben alles tot.<br />

Der Therapeut<br />

Es dauerte, bis Claudia aktiv wurde, und sich eine Wohnung suchte. Wie ein<br />

begossener Pudel sagt man dazu, wie ich mich empfand. Ich stand nur daneben<br />

und schaute belämmert zu, was sich ereignete. So etwas passierte normalerweise<br />

in meinem Leben nicht. Es war ein Bruch, der mich konsternierte. Ich<br />

empfand keine liebevolle Sehnsucht nach Claudia, da hatte sie schon Recht gehabt,<br />

aber es kam mir vor, als ob mein Alltag zerstört sei. Dass ich mich jetzt<br />

selber um alles allein kümmern musste, war sicher unangenehm, aber ich<br />

empfand mich mit allem, was mit zu Hause zusammenhing, als leer, in gewisser<br />

weise unbehaust. Es hatte ja alles keinen Zweck, so kam es mir manchmal<br />

vor, immer und bei allem war ich allein. Eine Freundin finden, die Claudias Stelle<br />

einnahm, na so was. Darüber musste ich selber lachen. Das Bedürfnis, nicht<br />

allein sein zu wollen, ließ aber nicht nach, im Gegenteil, es nahm eher an Intensität<br />

zu. Ich begann schon, alle Frauen im Kollegium zu taxieren. So ein<br />

Quatsch, fast alle waren doch verheiratet und die keinen Partner hatten, vor<br />

denen grauste mir. Wodurch konnte ich denn einer Frau imponieren? Damit<br />

dass bei mir immer alles glatt liefe, bis auf den Punkt, dass meine Frau mich<br />

verlassen hatte? Ich war wieder nichts, ein Nemo. Ich hatte schon an Partnervermittlungen<br />

gedacht, aber was sollte der Zirkus? In meiner Welt machten<br />

sich zunehmend triste Novembertage breit, auch bei vollem Sonnenschein im<br />

Hochsommer. Ob ich den Verlust von Claudia nicht verkraftete, oder die Zerstörung<br />

meiner bisherigen Lebensgewohnheiten nicht ertragen konnte, ich weiß es<br />

nicht. Jedenfalls konnte dieser Zustand nicht auf Dauer anhalten. Nach einem<br />

Jahr ging ich zum Psychotherapeuten. Der sagte mir: „Einen allgemeinen<br />

Durchschnittsmenschen gibt es nicht. Bei allem was sie tun oder lassen, sind<br />

immer ihre persönlichen Emotionen beteiligt. Eine Entscheidung ohne Beteiligung<br />

ihrer spezifischen Libido gibt es nicht.“ Also es gab mich persönlich und<br />

nicht nur den Durchschnittstypen. Der Therapeut ließ mich die ganzen fünfzig<br />

Minuten erzählen, was ich darunter verstünde, und wie es sich mir darstelle. Er<br />

stellte nur selten Fragen, aber immer wieder zu meinen Vorstellungen vom<br />

Durchschnitt und allgemein üblichem Verhalten. Dabei hatte ich mich doch nie<br />

danach gefragt, wie sich jetzt der Durchschnitt oder die Mehrheit wohl verhal-<br />

<strong>Fridolins</strong> Fleißkärtchen - Seite 5 von 13

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