26.11.2013 Aufrufe

Planungsfehler

Gar keine Skrupel hätte ich vorm Abtreiben gehabt. Wenn einem eine Warze oder sonst etwas entfernt wurde, handelte es sich auch um eine Ansammlung von Zellen, die man auch hätte bestehen lassen können, die man aber nicht brauchte, und in meinem Uterus brauchte ich so etwas auch nicht. Als ich nach Hause kam, konnte ich nicht sagen, dass ich unsicher wäre, ich verspürte nur wie mich etwas quälte. Und immer wieder diese Ultraschallbilder. Beim Kaffee am Küchentisch musste ich plötzlich den Kopf auf die Arme legen und entsetzlich heulen. Das konnte ich doch nicht. Das kleine Wesen in meinem Bauch war doch mein Krabbeltier. Dem konnte ich doch nicht einfach den Lebensfaden abschneiden. Es gehörte doch zu mir. Wenn ich das täte, würden die Bilder mich wahrscheinlich mein Leben lang verfolgen. Als ich aufhörte zu heulen, schaute ich ratlos ins Leere. Lilas kam in die Küche. „Mama, was ist los?“ fragte sie erstaunt, weil sie meine verheulten Augen sah. „Ich bin schwanger, Lilas.“ antwortete ich halb lachend mit meinem verheulten Gesicht. „Nein, sag was los ist.“ sie glaubte es nicht. „Ja, es ist tatsächlich so. Ich habe fast acht Wochen meine Regel nicht bekom­men, und da war ich bei der Ärztin und habe es selbst gesehen.“ erklärte ich. Lilas umarmte und drückte mich. „Und warum weinst du? Bist du glücklich oder verwirrt?“ wollte sie wissen. Als ich ihr erklärte, das ich es hätte wegmachen lassen wollen, es mir jetzt aber unendlich schwer falle, und ich es im Grunde gar nicht mehr könne, wurde sie ganz erbost. „Untersteh dich.“ verkündete sie lachend, “Natürlich könnten wir nicht gegen dich bestimmen, dass du das Kind bekommen sollst, aber glaubst du denn, dass es einen unter uns gäbe, der sich nicht wahnsinnig darüber freuen würde? Und es ist doch besser, wenn du das Kind bekommst, als wenn es mir passiert wäre. Mami bei aller Liebe macht es dich zusätzlich nochmal unheimlich sympathisch, dass dir so etwas passieren kann. Da müssten wir ja eigentlich Champagner drauf trinken.“

Gar keine Skrupel hätte ich vorm Abtreiben gehabt. Wenn einem eine Warze oder sonst etwas entfernt wurde, handelte es sich auch um eine Ansammlung von Zellen, die man auch hätte bestehen lassen können, die man aber nicht brauchte, und in meinem Uterus brauchte ich so etwas auch nicht. Als ich nach Hause kam, konnte ich nicht sagen, dass ich unsicher wäre, ich verspürte nur wie mich etwas quälte. Und immer wieder diese Ultraschallbilder. Beim Kaffee am Küchentisch musste ich plötzlich den Kopf auf die Arme legen und entsetzlich heulen. Das konnte ich doch nicht. Das kleine Wesen in meinem Bauch war doch mein Krabbeltier. Dem konnte ich doch nicht einfach den Lebensfaden abschneiden. Es gehörte doch zu mir. Wenn ich das täte, würden die Bilder mich wahrscheinlich mein Leben lang verfolgen. Als ich aufhörte zu heulen, schaute ich ratlos ins Leere. Lilas kam in die Küche. „Mama, was ist los?“ fragte sie erstaunt, weil sie meine verheulten Augen sah. „Ich bin schwanger, Lilas.“ antwortete ich halb lachend mit meinem verheulten Gesicht. „Nein, sag was los ist.“ sie glaubte es nicht. „Ja, es ist tatsächlich so. Ich habe fast acht Wochen meine Regel nicht bekom­men, und da war ich bei der Ärztin und habe es selbst gesehen.“ erklärte ich. Lilas umarmte und drückte mich. „Und warum weinst du? Bist du glücklich oder verwirrt?“ wollte sie wissen. Als ich ihr erklärte, das ich es hätte wegmachen lassen wollen, es mir jetzt aber unendlich schwer falle, und ich es im Grunde gar nicht mehr könne, wurde sie ganz erbost. „Untersteh dich.“ verkündete sie lachend, “Natürlich könnten wir nicht gegen dich bestimmen, dass du das Kind bekommen sollst, aber glaubst du denn, dass es einen unter uns gäbe, der sich nicht wahnsinnig darüber freuen würde? Und es ist doch besser, wenn du das Kind bekommst, als wenn es mir passiert wäre. Mami bei aller Liebe macht es dich zusätzlich nochmal unheimlich sympathisch, dass dir so etwas passieren kann. Da müssten wir ja eigentlich Champagner drauf trinken.“

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

schwunden, wir kennen es gar nicht mehr, sondern wissen nur, welche Bedeutung<br />

ihm im Gebrauch der Redensart zukommt.<br />

Häufig handelt es sich dabei um nichtssagende verbrauchte Floskeln, Phrasen<br />

und Gemeinplätze. Alle, bei denen sich etwas verändert hat, finden immer zu<br />

'Neuen Wegen', weil sie über den Willen verfügen, und wenn der vorhanden ist,<br />

ist der Weg ja bekanntlich auch da. In der Regel wird die Bezeichnung 'Weg' jedoch<br />

als eine Metapher verwendet, die den räumlichen Weg im Zusammenhang<br />

mit dem Fortschreiten und der Dauer des Gehens als Sinnbild für zeitliche Abläufe<br />

verwendet. So wie man sagt, das die Zeit selbst fortschreitet, schreitet<br />

jede und jeder einzelne auf seinem Lebensweg fort.<br />

Hälfte des Lebensweges<br />

Ich werde im nächsten Monat fünfundvierzig. Die erste Hälfte meines Lebensweges<br />

hätte ich damit aller Voraussicht nach wohl abgeschritten. Meine Vermehrungsfähigkeit<br />

würde sicher auch bald ihre Funktionen einstellen. So etwas<br />

brauchte man auf der zweiten Hälfte des Lebensweges nicht mehr. Ich war<br />

zwar bislang auch nicht ausschließlich mit Gebären und was dazu gehört beschäftigt<br />

gewesen. Was mich im Sozialen erwarten würde, könnte ich mir in<br />

etwa vorstellen, aber das Leben, wollte das jetzt gar nichts mehr von mir?<br />

Würden nach Abschaltung der Eierstöcke langsam auch nach und nach andere<br />

Organe und Funktionen ihre Tätigkeiten reduzieren und schließlich ganz einstellen?<br />

Es würde sich wohl so entwickeln wollen. Eine ganz langsame kleine<br />

Folter über zirka vierzig Jahre bis du dann schließlich an ihr stirbst. Was soll<br />

das ganze Gerede, wie gut es einem mit fünfzig, ja und sogar sechzig noch<br />

geht. Man soll sich stark fühlen, damit man auch weiterhin noch tüchtig arbeitet.<br />

Ein Staat der sich wirklich als sozial bezeichnen wollte, müsste nach der<br />

Devise verfahren: „Als es dir gut ging, hast du dich für uns abgerackert, hast<br />

für Nachwuchs gesorgt, dich um alles gekümmert, jetzt wo du anfängst abzubauen,<br />

helfen wir dir und sind für dich da.“ Schlecht wäre es nicht, wenn man<br />

nach der Menopause nicht mehr zu arbeiten brauchte. Dass du die physiologische<br />

Abbaufolter erdulden und gleichzeitig dabei noch arbeiten musst, um andere<br />

an deinem Schaffen verdienen zu lassen, empfinde ich als absolut inhuman.<br />

Gesellschaftlich sei das nicht realisierbar, sagt man. Was würden die ganzen<br />

Frauen denn dann machen? In Cafés und Parks rumhängen? Nur daran<br />

sind sie ja selber Schuld. Ein Mensch weiß ebenso gut wie jedes Tier auch immer<br />

was er zu machen hat. Bei kleinen Kindern ist das noch so, es beginnt<br />

erst, wenn sie sich daran gewöhnt haben, dass nicht sie, sondern andere ihnen<br />

sagen, was sie zu tun haben. Ob meine Eltern und Lehrer in jungen Jahren<br />

nicht wirkungsvoll genug waren? Ich habe zwar vieles von dem getan, was sie<br />

mir gesagt haben, manchmal war es ja auch nicht schlecht, aber dass ich selber<br />

nicht wüsste, was ich machen sollte, aus Langeweile die Zeit in Cafés abhängen<br />

würde, dass ist für mich unvorstellbar, und derartige Situationen hat es<br />

für mich in meinem Leben noch nie gegeben und würde es auch nie geben. Es<br />

gehört zu meiner Persönlichkeit. Die ist zwar auch mit zirka fünfundzwanzig<br />

Jahren, genauso wie mein Körper, fertig gewesen, aber das ist eben Psyche,<br />

<strong>Planungsfehler</strong> – Seite 4 von 10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!