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Mirko, was willst du?

Isa ist studierte Fotodesignerin, arbeitet aber meistens wie eine schlichte Fotografin. Im Radio hört sie den Namen eines Kulturredakteurs, mit dem sie als Studentin eine wundervolle Nacht erlebte. Sie ruft ihn an. Bloß zum Spaß. Trifft sich aber mit ihm. Meine eigenen Bilder kannte ja niemand. Sie sind ein Trost für mich selbst, ich erzähle mich in ihnen, meine eigene Welt, und versuche mich in den Fotografien zu erkennen. In eine wundervolle Welt war ich geboren. Meine Eltern waren in die Jahre gekommene Yuppies. Ich wüsste nicht, dass ich ihr extrovertiertes, aufgeblasenes Leben je geliebt hätte. Auch meine Mutter liebte ich nicht, ich sah sie viel zu selten, und in der Pubertät begann ich sie zu hassen. Meine eigene, eine gehaltvollere, tiefere Welt wollte ich mir schaffen. Verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, in der Natur oder bei meiner Freundin und hielt mich gleichzeitig an meiner Kamera fest. Sie ließ mich mit der Welt auf meine Art kommunizieren. „Was soll das, Mirko? Warum tust du das? Es ist nicht mehr vor zwanzig Jahren und wir tanzen auch nicht mehr wei­ter. Nicht nur die Welt um uns ist eine andere geworden, auch unsere eigenen Welten sind andere, als sie es damals waren. Es kann heute nichts geben, was deine Frau nicht wissen dürfte.“ sagte ich.

Isa ist studierte Fotodesignerin, arbeitet aber meistens wie eine schlichte Fotografin. Im Radio hört sie den Namen eines Kulturredakteurs, mit dem sie als Studentin eine wundervolle Nacht erlebte. Sie ruft ihn an. Bloß zum Spaß. Trifft sich aber mit ihm. Meine eigenen Bilder kannte ja niemand. Sie sind ein Trost für mich selbst, ich erzähle mich in ihnen, meine eigene Welt, und versuche mich in den Fotografien zu erkennen. In eine wundervolle Welt war ich geboren. Meine Eltern waren in die Jahre gekommene Yuppies. Ich wüsste nicht, dass ich ihr extrovertiertes, aufgeblasenes Leben je geliebt hätte. Auch meine Mutter liebte ich nicht, ich sah sie viel zu selten, und in der Pubertät begann ich sie zu hassen. Meine eigene, eine gehaltvollere, tiefere Welt wollte ich mir schaffen. Verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, in der Natur oder bei meiner Freundin und hielt mich gleichzeitig an meiner Kamera fest. Sie ließ mich mit der Welt auf meine Art kommunizieren. „Was soll das, Mirko? Warum tust du das? Es ist nicht mehr vor zwanzig Jahren und wir tanzen auch nicht mehr wei­ter. Nicht nur die Welt um uns ist eine andere geworden, auch unsere eigenen Welten sind andere, als sie es damals waren. Es kann heute nichts geben, was deine Frau nicht wissen dürfte.“ sagte ich.

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Das geschah aber nicht. <strong>Mirko</strong> meldete sich nicht in den nächsten Tagen, nicht<br />

in der nächsten Woche und nicht im nächsten Monat. Er meldete sich überhaupt<br />

nicht mehr. Ich konnte das nicht verstehen, war maßlos enttäuscht und<br />

wollte auch nichts mehr von ihm wissen, als er schon so lange nicht angerufen<br />

hatte. Was hätt' ich ihm auch sagen sollen, <strong>was</strong> ich von ihm wollte, wenn es<br />

nichts gab, das wir gemeinsam planten. Meine Emotionen sprachen anders. Sie<br />

schienen schon et<strong>was</strong> von ihm zu wollen, nur ließen sie mich nicht wissen,<br />

<strong>was</strong>. Vielleicht nahm man in zwanzig Jahren ja mal wieder Kontakt auf, erinnerte<br />

sich mühsam aneinander und lud sich zum Tanz in den Mai ein. Eine sonderbare,<br />

sehr schöne Zeit. Sie hatte vieles in meinem Leben verändert und war<br />

dann so unsäglich geendet. Traurigkeit umfing mich. Ich hatte et<strong>was</strong> Bedeutsames<br />

verloren, und konnte nicht einmal genau beschreiben, <strong>was</strong> es war.<br />

Vorlesung<br />

Eine alte Professorin von der Uni rief mich an. Sie habe meinen Namen gelesen<br />

und sich an mich erinnert. Sie wolle mal hören, wie es mir ginge. Na so et<strong>was</strong>.<br />

Mir geht’s gut. Was verbarg sich denn dahinter. Man freue sich ja immer, wenn<br />

man höre, dass ehemalige Studentinnen oder Studenten es zu et<strong>was</strong> gebracht<br />

hätten. Ich sollte doch mal von mir erzählen. Ich hatte es also zu et<strong>was</strong> gebracht,<br />

na schön. Ich erzählte ihr von Ausstellungen und riet ihr, sich doch mal<br />

meine Homepage anzusehen. „Frau Hooger, das ist ja fabelhaft.“ meldete sie<br />

sich einige Tage später, „Sie müssen unbedingt ihre Bilder bei uns ausstellen.<br />

Was sie geschrieben haben, hat mir äußerst gut gefallen, es wäre schade,<br />

wenn unsere Studenten das nicht zu hören bekämen.“ „Soll ich eine Einführung<br />

in die Ausstellung geben?“ fragte ich. „Ja, es wäre sehr schön, wenn sie das ein<br />

wenig ausbauen und in unserem akademischen Rahmen als Vorlesung gestalten<br />

könnten.“ meinte sie. Oh, Schreck. Dafür reichte es nicht. Ich konnte auch<br />

nicht sagen: „Nein, das kann ich nicht.“ und sagte zu. Ich konnte ja nicht nur<br />

mein Bekanntes wiederholen, vom 'Homo Clausus', vom unbehausten Menschen,<br />

von Giselle Freund und dergleichen erzählen, ich brauchte neue Gedanken,<br />

die ich bislang noch nicht formuliert hatte. Über die in der In<strong>du</strong>striegesellschaft<br />

destruierte Persönlichkeit des Menschen, der sich nicht mehr als einheitlich<br />

empfinde, nicht mehr um seine wahren Bedürfnisse wisse und seine Gefühle<br />

nicht mehr erkennen und wahrnehmen könne. Der entfremdete Mensch, hinter<br />

dessen Maske sollten meine Fotos schauen. Über die Traurigkeit, die man<br />

erlebt, aber nicht wahrnehmen darf. Ihr wollte ich einen größere Passage widmen.<br />

Ich bekam es schon hin und war erstaunt über mich selbst. Ich konnte<br />

nur hoffen, dass die Studenten das auch so sehen würden. „Frau Hooger ihr<br />

Vortrag hat mir sehr gut gefallen, wissenschaftlich fundiert und zeigte ganz<br />

neue Aspekte auf. Wir brauchen sie hier, das müssen sie vermitteln. Nein, jetzt<br />

im Ernst, hätten sie nicht Lust für ein Semester ein Seminar zu übernehmen?“<br />

fragte die Professorin. Hoffentlich äußerte sich mein innerliches Lachen nicht in<br />

meiner Mimik. Ich würde gerne, aber es ließ sich zeitlich nicht arrangieren, erklärte<br />

ich, aber das würde mich wirklich überfordern. Zu Hause ließ ich alles<br />

nochmal ablaufen. Warum empfand ich es eigentlich als Überforderung? Zur<br />

Zeit meines Examens wären solche Gedanken nicht aufgekommen, nur da<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 14 von 27

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